Bigoscht - Tanja Kummer - E-Book

Bigoscht E-Book

Tanja Kummer

0,0

Beschreibung

Kummer erzählt in «Bigoscht» heitere und mitreißende Geschichten über das, was den Menschen umtreibt – Liebe, Arbeit, Freundschaften oder auch Natur und das Älterwerden. Die kurzen Erzählungen sind gespickt mit Mundartausdrücken; ebenso sind alle Dialogpassagen in Thurgauer Mundart gehalten. Zu den «Gschichte» in «Bigoscht» gesellen sich «Gedicht», die durchgängig im Thurgauer Dialekt verfasst und am Puls der Zeit sind. Sie beschäftigen sich sehnsüchtig, trotzig und verspielt unter anderem mit Wut und Mut, den Jahreszeiten, dem Gschäftlimachen, Schuld und Unschuld, dem Aufbruch, der Natur und dem Leben in der Stadt – und dem Schreiben. Nach dem großen Erfolg des Buchs «Gaggalaariplatz – Mundart für Aafènger und Fortgschrittni» (2019) hat sich der Arisverlag entschlossen, «Nägel mit Chöpf» zu machen und heimische Mundart-Literatur zu fördern. Mit der neu geschaffenen Reihe «Edition Gaggalaariplatz» sollen jährlich zwei Bücher erscheinen, die die moderne Schweizer Mundart ins Rampenlicht rücken. Dabei werden die verschiedenen deutschsprachigen Regionen und ihre unterschiedlichen Idiome berücksichtigt. 2020 erscheint der erste Band «Bigoscht – Gschichte & Gedicht» von Tanja Kummer. «Bigoscht» von Tanja Kummer ist eine Trouvaille für alle, die sich für kurzweilige Prosa, Lyrik und fast vergessene Mundartwörter begeistern.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 91

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



«Bigoscht» erzählt davon, was uns Menschen umtreibt. D’Liebi, s’Läbe, d’Arbet, der tägliche Chrampf.

Moderne Texte und Gedichte von Tanja Kummer, gespickt mit Thurgauer Mundart.

I ha immer so vill tänkt

und es hät tänkt und tänkt i mir

i ha so vill tänkt und tänkt

i tänke ano falsch, han i tänkt

well mer mue doch positiv tänke!

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Herausgeber der «Edition Gaggalaariplatz» ist der Historische Verein Embrachertal

«Bigoscht» wurde ausserdem unterstützt von:

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage

© 2020, Arisverlag

(Ein Unternehmen der Redaktionsbüro.ch GmbH)

Schützenhausstrasse 80

CH-8424 Embrach

www.arisverlag.ch | www.redaktionsbüro.ch

Umschlag und Satz: Lynn Grevenitz | www.kulturkonsulat.com

Lektorat Mundart: Martin Hannes Graf

Korrektorat: Claudia Fluor, Schreib-Weise | Red Pen Sprachdienstleistungen e.U.

E-Book: CPI books GmbH

ISBN: 978-3-907238-13-4

INHALTSVERZEICHNIS

Wan i zerscht wott säge

Übers s’Läbe

Vo üüs Mensche

Über d’Arbet und so

Vo de Liebi

Vom Abschiid

Wan i au no ha wölle säge

Glossar

Liebe Leserinnen und Leser, wie schön, dass ich Sie auf eine Reise durch meine «Gschichte & Gedicht» mitnehmen darf. Ich schreibe, wie ich meinen Thurgauer Dialekt spreche, und freue mich darüber, dass er so lebendig ist. Am Schluss des Buches finden Sie ein Glossar mit Mundartausdrücken, von «Bisiwätter» über «säule» bis «Spinemugge». Und ein Interview, das die Verlegerin Katrin Sutter mit mir geführt hat und in dem ich von der Arbeit an diesem Buch erzähle. Ich wünsche Ihnen eine unterhaltsame Lesezeit.

DOSENAPRIKOSEN

Angefangen hat es am Geburtstagsfest von Grossmutter Trudi.

Die Familie traf sich zum Zmittag im Restaurant am Hang, von dem aus man bis zum Säntis sieht. An der langen Tafel kamen 16Personen zu sitzen, die Spannweite umfasste vier Generationen.

Die strahlende Jubilarin kam, gestützt von ihrem Sohn, ins Restaurant, alle begannen zu klatschen, es wurde gratuliert und zugeprostet. Zum Ässe gab es Hackbraten und auf zahlreichen Wunsch der jungen Generation veganes Gemüse-Curry. Zum Tessär wurde Trudis Lieblingsnachspeise serviert, im glasierten Blätterteig-Dach der Crèmeschnitte steckte eine Wunderkerze, die Familie sang:

«Zum Geburtstag vill Glück, zum Geburtstag vill Glück», zaghaft, aber immerhin bis zum Ende, auch die anderen Gäste im Restaurant klatschten höflich und Leonie, die Enkelin der Jubilarin, gab Liam, ihrem Freund-seit-zwei-Wochen, einen innigen Zungenkuss.

«Leonie, gòòts no», zischte ihre Mutter Regi.

«Sorry», murmelte Leonie, aus ihren Augen sprühte das Verknalltsein und Regi wurde von einem gänzlich unerwarteten Gefühl durchzuckt: der Eifersucht. Wann hatten Iso und sie sich das letzte Mal so leidenschaftlich geküsst? Sie konnte sich nicht daran erinnern.

Auf der Autofahrt nach Hause sagt Iso zu Regi: «Isch e schöös Ässe gsii, aber di Diskussion am Schluss, wer wa vo de Rechnig übernimmt, hett würkli nöd müese si, mir händs jo vorane abgmacht!»

Regi kann nicht darauf eingehen.

«I wott di wider so küsse wi früener», sagt sie.

«Aso, wi meinsch da?», fragt Iso.

«I wott wider so richtig küsse wi dözmòòl, wo mer üüs käneglärnt händ, weisch so mit Zunge, nöd afach uf d’Lippe schmatze, wi mer da immer mached.»

«Findsch du, das i nöd guet küsse?», fragt Iso und reckt trotzig s’Chüni.

«Momoll, du küssisch scho guet, mir küssed üüs afach nüme richtig!»

Die beiden schweigen, bis sie ihr Haus erreichen. Dort angekommen, sagt Iso, er müsse noch dringend etwas fürs Geschäft machen, und verzieht sich, Regi schaut ihm ratlos nach.

Iso sitzt zwei Stunden im Büro und hintersinnt sich. Er kann nicht küssen! Anders kann Regi das nicht gemeint haben. Das ganze Gerede mit dem Küssen wie früher. Papperlapapp. Er kann nicht küssen, das ist alles, was sie ihm sagen will. Und ihm fällt nur jemand ein, bei dem es ihm nicht peinlich ist, nach Kuss-Tipps zu fragen: Google.

Er tippt wie küsst man richtig in die Suchzeile ein und Google erweitert zu:

wie küsst man richtig … tipps und tricks

wie küsst man richtig … in der schweiz

wie küsst man richtig … mit zunge

wie küsst man richtig … mit zahnspange

wie küsst man richtig … video

Iso wählt: wie küsst man richtig mit zunge.

Während er verschiedene Anleitungen studiert, fühlt er sich wie damals als Schuelerbueb, als er die Tipps von Doktor Sommer gelesen hatte: unsicher und etwas beschämt.

Und dann ist Weihnachten. Wie immer ist die Familie bei Regi und Iso zu Gast, auch das Rentnerpaar von nebenan kommt gerne und bringt ihren alten Königspudel Max mit. Der Christbaum ist wie jedes Jahr mit roten Kerzen und goldenen Kugeln geschmückt, Regi hält nicht viel von wechselnden Dekors.

Als sich die Familie nach dem Essen rund um den Christbaum formiert, sorgt sich Leonie darum, dass man merken könnte, dass sie nicht mitsingen will und nur die Lippen bewegt. Sie macht einen Schritt nach hinten – und tritt dabei auf die Pfote von Königspudel Max, der nach Leonie schnappt, diese versucht sich an Regi festzuhalten, die wiederum stürchelt nach hinten und wird von ihrem Gatten Iso aufgefangen. Wänn nöd ez, wänn dänn, denkt er, als Regi in seinen Armen liegt, und er setzt um, was er heimlich mit einer süssen Aprikosenhälfte aus der Dose ausprobiert hat: Er streicht mit der Zunge sanft über Regis Lippen, die sich sofort öffnen.

In Regis Bauch fliegt ein Schwarm Schmetterlinge auf, die Familie dreht sich peinlich berührt ab und stimmt «Stille Nacht» an.

Nur Leonie steht mit offenem Mund da und chas nöd verbutze, dass ihre Eltern sich in dieser Heiligen Nacht viel, viel leidenschaftlicher küssen als sie und ihr Freund-seit-einem-Monat.

STOOBLIIBE

I tänk nöd gärn nòò

well mi da blockiert

well mini Gedanke loosfaared

a Chrüüzige chömed, an Ample

und z’Fuess wiitergönd

am Fuessgängerstreife warted

nöd, well es Auto chunnt

sondern afach us Gwonet

GUET TRAINIERT

I ha immer so vill tänkt

und es hät tänkt und tänkt i mir

i ha so vill tänkt und tänkt

i tänke ano falsch, han i tänkt

well mer mue doch positiv tänke!

Aber dänn han i mi ertappt, das i falsch

tänke, ganz falsch, ganz falsch gwicklet tänk

Grüezi?

Han i früener id Lääri gheepet,

i bi nienets gsii und ha mi

i min eigne Grabe ine tänkt und

mit positiive Gedanke wider drus use

i ha tänkt, so mues es sii und dass da

hueren aaschträngend isch

und dänn han i äswänn

nümen eso Ziit ghaa

ha anders müese mache

ha nüme vill tänkt, nuno

das i guet traininert bi i

guete Gedanke

und schlächte Gfüül

SCHLAFPROBLEME

Nach dem Training habe ich e Tuschi gnoo und etwas Leichtes gschnoigget. Vor dem Schlafengehen habe ich weder am Computer gesurft noch am Handy umetöggelet – das wüeli uuf, habe ich gelesen und mir da hinder d’Oore gschribe –, nein, ich habe auf dem Sofa ein Buch gelesen, bin dann aber nicht auf dem Sofa und vor em Fernsee iipfuuset, sondern ging, und das amend nicht allzu spät, is Näscht. Und bevor ich es vergesse: Tagsüber habe ich Meridian-Dehnungsübungen gemacht, das ist ja auch nicht verkehrt zum so richtig Abechoo. Aso alemaa habe ich alles richtig gemacht für en tüüfe, gsunde Schlòòf.

So lag ich also im Bett. Und habe das Licht ausgemacht.

Und dann war da dieser Schnòòg.

EIN KLEINER KRIMI

«I gang ez», ruft Fritz und zieht die Türe hinter sich zu, hört noch, wie Vreni «Isch guet» sagt, und weiss, dass sie dabei nicht von ihrem Sudoku aufblickt.

Vreni und Fritz sind seit 40Jahren verheiratet, wohnen mit Blick auf den Bodensee, ihr Haus ist gelb mit grünen Fensterläden, der Rasen ist immer gemäht, ihr Sohn kommt einmal im Monat zu Besuch, die Tochter lebt in Australien.

Vreni und Fritz stehen gut im Leben. Es ist immer alles im Haus, was sie brauchen, beide sind pensioniert und haben Geld auf der Seite, Vreni macht ab und zu Ausflüge mit anderen Pensionärinnen, Fritz geht jeden Dienstag zum Stammtisch, so wie heute. Der «Leue» ist nicht weit, nur der Hauptstrasse entlang, Fritz geht zu Fuss. Im «Leue» gibt es auch eine Kegelbahn, aber meistens wird gejasst, Bier getrunken, Stumpe graucht.

Sosehr Vreni die Dienstagabende alleine zu Hause geniesst und die Gesundheitssendung und das Konsumentenmagazin uf em Schwiizer lueget, genauso ungern geht sie alleine ins Bett, sie findet es einfach komisch. Liegt sie alleine, wird das Leintuch nicht warm, ist die Ruhe nicht beruhigend, sondern totenstill, und Vreni vermisst ihren Chnuuschti Fritz.

Auch an diesem Dienstag geht sie zu Bett und bleibt wie üblich wach, bis Fritz nach Hause kommt.

Als sie den Schlüssel im Schloss hört, schaut sie zum Wecker, es ist kurz vor halb eins. Vreni hört, wie Fritz den Garderobenschrank im Flur öffnet und den Tschoope an den Bügel hängt, je nachdem, wie sorgfältig er den Schrank schliesst, weiss sie, wie viele Stange das er gsoffe hät. Heute müssen es drei gewesen sein.

Dass er nach dem Brünzle den WC-Deckel fallen lässt, ist nicht typisch für ihn, der Deckel muss ihm aus der Hand gerutscht sein, es knallt gehörig. Dann geht die Schlafzimmertüre auf, schiebt sich über den Teppich und Vrenis Matratzenseite hebt sich, als sich Fritz aufs Bett setzt. Vrenis Augen sind geschlossen, sie stellt sich schlafend, wie immer. Und sie will sich auch gleich dem Schlaf hingeben, erlebt dann aber eine grosse Überraschung: Fritz legt sich nahe zu ihr – und legt den Arm um sie. 40Jahre verheiratet. Seit 40Jahren im selben Ehebett. Aber er hat sie seit vielen Jahren nicht mehr zum Einschlafen in den Arm genommen. Heute macht er es. Und er hät nöd emòòl e Faane.

Am nächsten Morgen ist Vreni erstaunt darüber, wie gut sie geschlafen hat. Sie erinnert sich daran, wie Fritz nach Hause kam. Wie er den Arm um sie gelegt hat. Wie überrascht sie war – und dass sie trotzdem schnell eingeschlafen ist. Sie hat in seinen Armen so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr.

Es ist halb acht an diesem dunklen Novembermorgen. Fritz liegt nicht mehr neben ihr, aber aus der Küche duftet es nach Kaffee. Vreni setzt sich auf, greift nach dem Morgenmantel, zieht ihn über. In diesem Moment klingelt es an der Türe.

«Gòòsch du?», ruft sie und als keine Antwort kommt, geht sie selber und öffnet. Draussen steht ein Polizist. Vreni bejaht die Frage, ob ihr Mann Fritz heisse. Der Polizist scheint aufrichtig zerknirscht, als er Vreni sagt, dass er ihr mitteilen müsse, dass sie ihren Mann gegen ein Uhr morgens im Strassengraben gefunden hätten. Er sei wohl kurz nach Mitternacht stark alkoholisiert nach Hause gegangen und dabei in den Strassengraben gefallen. Ein Autofahrer habe ihn entdeckt. Fritz gehe es den Umständen entsprechend gut, aber er habe die Nacht im Ausnüchterungsraum verbracht.

«Er chunnt bald hei, aber Si händ sich sicher scho Sorge gmacht», sagt der Polizist zu Vreni.

Nein, denkt sie, bis jetzt noch nicht.

WORÜBER WIR NACHDENKEN