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Die DEIMOS war vor vier Wochen von TEST aus gestartet, um drei Sonnensysteme am Rande der Galaxis anzufliegen. Da diese Systeme noch nie zuvor von terranischen Raumfahrzeugen besucht worden waren, sprach man im Fachjargon von einer ›Ersterkundung‹. Solche Ersterkundungen wurden stets mit äußerster Akribie durchgeführt; so hatte das Wissenschaftlerteam, das sich an Bord der DEIMOS befand und fast die Hälfte der knapp zweihundert Besatzungsmitglieder stellte, nicht weniger als vier Wochen auf das erste angeflogene System verwandt. Insgesamt sollte die Expedition der DEIMOS ein Vierteljahr dauern.
Mit Jenseits der Universen schrieb Karl-Ulrich Burgdorf ein Prequel zu seinem (ebenfalls im Apex-Verlag erschienenen) Roman Delta Omicron.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
KARL-ULRICH BURGDORF
Jenseits der Universen
Roman
Apex-Verlag
*) Auf Wunsch des Autors veröffentlicht der Apex-Verlag
diesen Roman in der alten Rechtschreibung.
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Der Autor
Vorbemerkung des Autors
JENSEITS DER UNIVERSEN
Prolog
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
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16
17
18
Epilog
Die DEIMOS war vor vier Wochen von TEST aus gestartet, um drei Sonnensysteme am Rande der Galaxis anzufliegen. Da diese Systeme noch nie zuvor von terranischen Raumfahrzeugen besucht worden waren, sprach man im Fachjargon von einer ›Ersterkundung‹. Solche Ersterkundungen wurden stets mit äußerster Akribie durchgeführt; so hatte das Wissenschaftlerteam, das sich an Bord der DEIMOS befand und fast die Hälfte der knapp zweihundert Besatzungsmitglieder stellte, nicht weniger als vier Wochen auf das erste angeflogene System verwandt. Insgesamt sollte die Expedition der DEIMOS ein Vierteljahr dauern.
Mit Jenseits der Universen schrieb Karl-Ulrich Burgdorf ein Prequel zu seinem (ebenfalls im Apex-Verlag erschienenen) Roman Delta Omicron.
Karl-Ulrich Burgdorf, Jahrgang 1952.
Karl-Ulrich Burgdorf ist ein deutscher Schriftsteller und Übersetzer, der auch die Pseudonyme Henry Wolf, C. T. Bauer, Arl Duncan und Harald Münzer verwendet hat.
Er absolvierte 1971 bis 1973 bei zwei Tageszeitungen Redaktionsvolontariate und studierte ab 1973 an der Universität Münster Publizistik, Politik und Soziologie.
Seit 1982 ist er freier Schriftsteller und Übersetzer. Er veröffentlicht vor allem phantastische Romane und Erzählungen sowie Comics. Unter dem vorwiegend von Wolfgang Hohlbein benutzten Pseudonym Henry Wolf verfasste er einige Romanhefte für die Reihe Gespenster-Krimi (in der Unterserie Raven), die später unter seinem eigenen Namen mehrere Neuausgaben erfuhren. Außerdem schrieb er – teilweise ebenfalls unter Pseudonym – als Gastautor für Serien wie Vampira, Damona King, Die UFO-Akten, Die Terranauten, Erde 2000, Fantasy – Götter, Krieger und Dämonen, und übersetzte Texte von Philip K. Dick, Orson Scott Card und John Schneider (das Stück My Werewolf für das Theater im Pumpenhaus, Münster).
1980 gab er dem damals noch unbekannten Autoren Wolfgang Hohlbein den Rat, sich als Heftroman-Autor beim Bastei-Verlag (für die Heftreihe Professor Zamorra) zu bewerben, was zu Wolfgang Hohlbeins erster professioneller Veröffentlichung führte.
In den Jahren 1978 und 1979 war er Redakteur des Magazins Science-Fiction-Baustelle und von 1986 bis 1991 Mitherausgeber des Informationsdienstes science fiction media. 2001 war Burgdorf Regieassistent bei der Loco-Mosquito-Produktion Fight Club - Das Ende vom Anfang und 2002 Mit-Organisator der Patrick Wildermann-/Loco-Mosquito-Werkschau RadikalRomanzen im Theater im Pumpenhaus, Münster.
Heute lebt er in Münster und ist, nachdem er sich für mehr als 15 Jahre aus dem literarischen Leben zurückgezogen hatte, seit 2013 wieder schriftstellerisch aktiv.
Als Apex im November 2018 meinen erstmals 1981 erschienenen Roman Delta Omicron wieder neu veröffentlichte, holte ich ein paar alte Aktenordner aus dem Keller und fing an, darin zu blättern. Delta Omicron war nämlich nicht der erste Roman, den ich über die Experimentalstation Test schrieb, sondern der vierte. Es war nicht einmal der erste Roman mit Michael Manninghouse als Hauptfigur.
Zwei der Romane (in einem davon tritt Michael Manninghouse in einer kleinen Nebenrolle auf) funktionieren aus heutiger Sicht überhaupt nicht mehr; eine Überarbeitung bis zur Veröffentlichungsreife würde sich deshalb nicht lohnen, aber immerhin waren sie wichtige Zwischenschritte auf dem Weg hin zu Delta Omicron, weil ich in ihnen jene Welt der Experimentalstation Test entwickelt habe, auf die ich später bequem als Hintergrund zurückgreifen konnte. Der dritte ist der Roman, den Sie gerade in der Hand halten (oder den Sie, im Falle, daß Sie ein E-Book lesen, soeben auf dem Bildschirm ihres Readers betrachten). Geschrieben wurde er unmittelbar vor Delta Omicron, und der junge Heißsporn Michael Manninghouse spielt darin seine erste Hauptrolle.
Warum ich ihn nicht schon damals veröffentlicht habe, fragen Sie? Weil er nicht funktionierte! Oder, um es mit einer technischen Metapher auszudrücken: weil er unrund lief. Irgend etwas daran gefiel mir nicht, und ich verfügte damals noch nicht über genügend Erfahrung als Schriftsteller, um herauszufinden, was das war, denn immerhin war ich ja erst 24 Jahre alt, als ich ihn 1977 schrieb. Nun aber, als ich den Roman nach langen Jahrzehnten wieder zur Hand nahm, sah ich auf den ersten Blick, welche Teile ich umschreiben und welche Szenen ich hinzufügen mußte, um aus Jenseits der Universen einen funktionierenden Roman zu machen. Das Ergebnis sehen Sie heute vor sich.
Jenseits der Universen ist also (wie man heute wohl sagt) das Prequel zu Delta Omicron. Folglich kann man es problemlos lesen, auch wenn man Delta Omicron nicht kennt – es spielt ja davor, nicht danach – aber wenn man Delta Omicron schon gelesen hat, wird man sozusagen retrospektiv bereits vertrauten Handlungsträgern begegnen. Neben Michael Manninghouse sind dies vor allem Professor Jeremias Cornelius (»Jerry«) Vogel, der Leiter des Stabilisierungsstabes der Experimentalstation Test, und General Lucas-344570-ZM, der Kommandant der Station. Aber auch eine Reihe neuer Personen werden Sie in Jenseits der Universen kennenlernen – und zwar menschliche ebenso wie nichtmenschliche.
Begleiten Sie also Mike Manninghouse auf seiner spannenden und alles andere als ungefährlichen Reise in eine Welt jenseits der Universen. Wenn Sie dabei ebenso viel Vergnügen empfinden würden wie ich bei der Überarbeitung des Romans, würde mich das wirklich sehr freuen. Denn dann hätte sich meine Arbeit gelohnt.
- Karl-Ulrich Burgdorf
»...und so ist es mir nun eine besondere Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen.
Wie Sie aus den Schulungskursen wissen, an denen Sie in den letzten Wochen teilgenommen haben, sind Sie nach TEST beordert worden, um dazu beizutragen, diese größte und modernste Experimentalstation unseres Imperiums gegen Bedrohungen von innen und außen abzusichern. Das mag auf den ersten Blick recht einfach aussehen, aber in der Praxis ergeben sich leider nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten.
Die Besatzung der EXPERIMENTALSTATION TEST besteht aus mehr als 150 000 Personen, von denen rund hunderttausend weit verstreut auf den zehn Hauptasteroiden und den zahllosen Meßstationen auf kleineren Asteroiden leben und arbeiten; die restlichen 50 000 bilden die Besatzung der Außenflotte von TEST. Eine Übersicht kann bei diesen Verhältnissen unmöglich bewahrt werden.
Nehmen Sie zum Beispiel die zivilen Arbeiter und Angestellten! Allein diese Gruppe umfaßt rund 50 000 Menschen aller Altersklassen – 50 000 Individuen mit grundverschiedenen, ja teilweise konträr entgegengesetzten Aufgaben, Interessen und Meinungen, die sich untereinander selbstverständlich nicht alle kennen können. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich zwei beliebige Personen aus dieser Gruppe im Laufe von zehn Jahren in TEST treffen und miteinander sprechen, liegt nach Berechnungen des Hauptcomputers, der alle besonderen Gegebenheiten der Station in seine Berechnungen einbezogen hat, bei zwei Prozent.
Diese Wahrscheinlichkeit ist bei den 35 000 Angehörigen des militärischen Personals schon erheblich größer. Ihr Maximum aber erreicht sie natürlich bei den etwa 18 000 Wissenschaftlern, die im Zuge ihrer Forschungsarbeiten ja häufig untereinander Kontakt pflegen müssen. Doch selbst dieses Maximum liegt bei nur 43 Prozent!
Über die besonderen Gegebenheiten an Bord der vielen Hundert Schiffe unserer Außenflotte möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen. Zwar werden einige von Ihnen sicherlich eines Tages auch auf einem dieser Schiffe eingesetzt werden, aber vorläufig wird sich Ihr Aufgabenbereich ausschließlich auf das Innere der Station selbst beschränken.
Es gibt natürlich noch viele weitere, von mir nicht erwähnte Faktoren, die die Soziologie der Experimentalstation so verwickelt machen. 1200 Psychologen, Psychiater, Soziologen und Militärs arbeiten daher im sogenannten ›Stabilisierungsstab‹ unter Leitung von Professor Jeremias Cornelius Vogel ständig daran, größere Krisen und Unruhen vorauszuberechnen und auftretende Aggressionen und Ängste in harmlosere Bahnen zu lenken. Sie werden beobachten, daß Sportarten wie Boxen, Schießen, Ringen und Fechten beachtlichen Zulauf haben. Die Gründe lassen sich leicht einsehen. Aber darüber wird Ihnen Professor Vogel gleich noch mehr erzählen. Schon jetzt möchte ich Sie aber darauf hinweisen, daß Sie die Arbeit des Stabilisierungsstabes am besten dadurch unterstützen können, daß Sie Ihren eigenen Aufgaben so ruhig und unauffällig wie möglich nachgehen. Durch unbedachtes Verhalten zusätzliche Unruhe zu stiften gehört definitiv nicht zu den Aufgaben eines Leutnants der Abwehr!
Meine Damen und Herren! Diese eben von mir skizzierte, so gefährlich instabile Situation erfährt eine weitere Verschärfung durch die Tätigkeit feindlicher Agenten in unserer Station. Sie sind – wie ich Ihnen hoffentlich durch meine Ausführungen zu Bewußtsein gebracht habe – nur unter größten Schwierigkeiten zu entlarven. Und ihre Zahl ist erschreckend hoch: Ein Prozent aller Bewohner von TEST sind nach Berechnungen des Computers Agenten – 1000 Feinde, die sich bisher unerkannt unter uns bewegen. Diese Agenten arbeiten entweder für einen jener von Menschen besiedelten Planeten, die sich vom terranischen Imperium losgesagt haben, oder aber – so unglaublich dies auch klingen mag – für eine der zwölf bisher von uns entdeckten nichtmenschlichen Rassen, die im Bereich der bekannten Galaxis interstellare Raumfahrt betreiben. Die Motive dieser zuletzt erwähnten Verräter an der Menschheit mögen im ersten Augenblick schwer verständlich sein, denn die Idee, sich als Mensch in den Dienst einer außerirdischen Rasse zu stellen, erscheint Ihnen genau wie mir zunächst einmal völlig abwegig. Geld ist dabei natürlich immer eine starke Motivation, aber bisweilen treten auch ideologische Motive hinzu, die psychologisch auf eine Form von rassischem Selbsthaß hindeuten könnten. Auch auf dieses Thema wird Professor Vogel gleich noch näher eingehen.
Bedenken Sie: Theoretisch stehen auch zwei aus Ihrer Mitte auf der Seite derer, die unsere Forschungsergebnisse stehlen oder unserer Station in anderer Weise schaden wollen. Wahrscheinlich sind es sogar noch mehr, da die Zahl der Agenten unter Offizieren und führenden Wissenschaftlern besonders groß ist.
Es wird nun Ihre Aufgabe als neue Mitglieder der TEST-Spionageabwehr sein, die Zahl der Spione und Saboteure zu verringern. Nur so kann es unserem Imperium gelingen, auf wissenschaftlichem – und damit auch auf militärischem – Gebiet seinen knappen Vorsprung vor unseren zahlreichen Feinden überall in der bekannten und unbekannten Galaxis zu halten und, wenn möglich, weiter auszubauen. Ihre Tätigkeit dient somit unmittelbar dem Frieden, denn welche Macht würde es wagen, unser friedliebendes und trotzdem starkes Imperium in eine kriegerische Auseinandersetzung zu verwickeln?«
Aus einer Ansprache von General Lucas-344570-ZM, dem militärischen Oberbefehlshaber der EXPERIMENTALSTATION TEST, vor zweihundert neu berufenen Sicherheitsoffizieren, gehalten am 19. Oktober 2545, vom Zentralcomputer der Station als ›nicht öffentlich‹ klassifiziert.
Major Larissa Cross, Kommandantin des Imperiumraumschiffes DEIMOS, nahm gerade in der Messe ihr Frühstück zu sich, als ein durchdringender Glockenton die bevorstehende Transition ankündigte.
Ohne besondere Hast stellte Larissa ihren Trinkbecher in die dafür vorgesehene Halterung, lehnte sich weit in den Kontursitz zurück und betätigte den Knopf, der die Sicherheitsgurte automatisch ausfahren ließ. Dann wartete sie.
Drei langgezogene Gongschläge ertönten. Noch eine Minute bis zur Transition!
Larissa dachte an ihren ersten Offizier, Olga Tschernikova. Olga würde jetzt in der Zentrale des 120 Meter durchmessenden Kugelkreuzers die letzten Überprüfungen vornehmen – Routineüberprüfungen, denn Sprünge durch den Hyperraum gehörten seit fast einem halben Jahrtausend zum normalen Alltag einer Raumschiffsbesatzung. Wenn man sich trotzdem noch bei jedem Hypersprung anschnallte, so geschah dies weniger wegen der Transition selbst, sondern hauptsächlich deswegen, weil niemand voraussagen konnte, ob nicht nach dem Wiedereintritt in den Einsteinraum plötzliche Steuermanöver erforderlich waren. Oft genug war es vorgekommen, daß Raumschiffe zu nahe bei Planeten oder anderen kosmischen Objekten rematerialisierten, so daß ein sofortiges Ausweichen unvermeidlich wurde. Die Andruckabsorber neutralisierten in einem solchen Fall zwar einen Großteil der auftretenden Kräfte, aber bei besonders drastischen Kursänderungen kamen doch gelegentlich ein paar G durch, und wer dann nicht angeschnallt war, machte womöglich unliebsame Bekanntschaft mit Boden, Decke oder Wänden.
Der Funktionscheck in der Zentrale schien ohne Komplikationen beendet worden zu sein, denn jetzt übertrug das bordinterne Lautsprechersystem die sehr menschlich klingende Stimme des Bordcomputers, der seinen Countdown bei minus zehn Sekunden begann. Zu Beginn des ersten Fluges der DEIMOS – lag das wirklich schon drei Jahre zurück? – hatte die Ursprungsbesatzung des Schiffes einstimmig beschlossen, den Computer ›Sophia‹ zu taufen, und dabei war es bis heute geblieben. Außerdem hatte man ihm eine weibliche Altstimme verliehen, was jeden Countdown und auch jede andere Wortmeldung des Computers zu einem angenehmen Klangerlebnis machte.
Auch diesmal zauberte Sophias Stimme wieder ein Lächeln auf Larissa Cross' Gesicht. Am Ende der zehn Sekunden schien die Messe für einen winzigen Augenblick vor ihren Augen zu verschwimmen. Nach einer unmeßbaren Zeitspanne war das Bild jedoch sofort wieder stabil; die Transition war also offenbar erfolgreich verlaufen.
Doch Larissa schnallte sich noch nicht wieder los. Sie mußte wie alle anderen Besatzungsmitglieder auf das Freigabesignal warten, das die Zentralebesatzung erst dann auslösen würde, wenn man sich sicher war, daß keine gefährlichen Manöver durchgeführt werden mußten.
Aus langjähriger Erfahrung wußte Larissa, was jetzt in der Zentrale geschah. Die mächtigen Ortungsgeräte des Kugelkreuzers lieferten eine schier unüberschaubare Menge von Daten, die jedoch dank des Bordcomputers in Sekundenbruchteilen vollständig ausgewertet werden konnten. Sobald Sophia festgestellt hatte, daß der Raum in unmittelbarer Nähe des Schiffes frei von größeren Objekten war und daher keine unmittelbare Gefahr für das Schiff und seine Besatzung bestand, würde eine Signallampe am Pult der Pilotin aufleuchten. Olga Tschernikova würde dann den Signalgeber auslösen.
Und genau das geschah in diesem Moment.
Mit einem zufriedenen Seufzen ließ Larissa Cross die Haltegurte zurückgleiten und nahm den Trinkbecher wieder aus der Halterung. In aller Ruhe beendete sie ihre Mahlzeit, trank den letzten Rest des Synthese-Kaffees aus und machte sich dann auf den Weg in die Zentrale.
Der zentrale Antigravschacht trug sie mit mäßiger Geschwindigkeit fünf Stockwerke höher. Mehrere Besatzungsmitglieder, die jetzt, zum Zeitpunkt des Schichtwechsels, auf dem Weg zu ihren Stationen waren, grüßten die Kommandantin respektvoll, aber nicht mit übertriebener militärischer Exaktheit. Sie wußten, daß Larissa Cross auf solche angedrillten Äußerlichkeiten keinen Wert legte. Das Klima an Bord der DEIMOS war eher kollegial als militärisch streng, und gerade das trug nach Ansicht aller Beteiligten dazu bei, Schiff und Besatzung wie eine gut geölte Maschine funktionieren zu lassen. Sogar der gute Jun-Ho, dachte Larissa, hat sich inzwischen daran gewöhnt. Tja, unter der richtigen Führung werden sogar Sicherheitsoffiziere manchmal doch noch zu ganz brauchbaren Menschen...
Auf der Ebene angekommen, auf der sich die Zentrale befand, schwang Larissa sich aus dem Antigravschacht – eine Bewegung, die sie dank langjähriger Erfahrung mit beiläufiger Eleganz ausführte – und stand jetzt in einem breiten Gang, an dessen rechter Wand ein Kontrollautomat installiert war. Larissa hielt ihre ID vor das Kameraauge. Der Automat überprüfte die ID, und die Laserschranke vor dem Schott zur Zentrale erlosch.
Die Zentrale bot ein Bild emsiger Betriebsamkeit.
Für einen kurzen Augenblick blieb Larissa im Schott stehen und ließ ihre Blicke durch den Raum schweifen. Obwohl sie die DEIMOS schon seit drei Jahren kommandierte, war sie immer wieder fasziniert von der funktionalen Schönheit, die die Zentrale in Momenten höchster Alarmbereitschaft ausstrahlte. Leise Stimmen vereinigten sich mit dem Summen computerisierter Kontrollgeräte zu einer monotonen Hintergrundmusik. Und über allem leuchtete der aktivierte Hauptbildschirm, der dreidimensional den Weltraum in Flugrichtung des Schiffes zeigte: eine unendliche Schwärze, nur unterbrochen von den ruhigen Lichtpunkten, die die Sterne waren.
Jetzt allerdings zeigte der Hauptbildschirm fast nur Schwärze. Man befand sich nahezu am Rande der Galaxis, und die Hauptmasse der galaktischen Sonnen lag hinter dem Heck der DEIMOS.
Larissa versorgte sich noch rasch mit einem neuen Becher Synthesekaffee, bevor sie quer durch die Zentrale zu ihrem Platz ging. Der zweite Offizier, Duane Fisher, sah sie kommen und erhob sich aus dem wuchtigen Kontursessel.
»Alles in Ordnung«, meldete er wenig vorschriftsmäßig. »Wir sind hundertprozentig genau im Zielgebiet gelandet.«
»Was auch nicht anders zu erwarten war«, kommentierte Olga Tschernikova, die im Sessel des zweiten Piloten saß. »Und, mit Verlaub gesagt, dieses Zielgebiet ist eine ziemlich trübsinnige Gegend, wenn man den ersten Auswertungen unserer lieben Sophia Glauben schenken darf.«
Larissa lachte und ließ sich in dem Sessel nieder, den Duane Fisher für sie freigemacht hatte. »Gut«, sagte sie. »Ich sehe, daß ich keine Gewissensbisse wegen des ausgedehnten Frühstücks haben muß. Interessante Daten, Olga?«
Während dieser Worte überprüfte sie routiniert die Funktionsfähigkeit ihres holografischen Arbeitspultes. Eine solche Funktionskontrolle war Vorschrift, und man kannte das Ergebnis natürlich immer schon im voraus. Schließlich hatte der zweite Offizier gerade noch an diesem Pult gesessen und von hier aus die Geschicke des Kreuzers gelenkt«
»Soll ich noch ein bißchen dranbleiben?« fragte Olga.
»Wenn du möchtest.«
Olga nahm einige Schaltungen vor. Sie war im Moment erste Pilotin des Schiffes; Larissa hatte die Funktion des Copiloten übernommen, war aber jederzeit in der Lage, die Steuerung der DEIMOSauf ihr Pult zu legen, falls Olga durch irgendwelche Umstände nicht mehr in der Lage sein sollte, den Kreuzer sicher zu lenken.
»Dieser besonders helle Punkt«, sagte Olga und wies auf den Hauptbildschirm, »ist die Sonne des Systems. Ein offenbar sehr alter roter Zwergstern. Wir sind noch zu weit entfernt, um wirklich exakte Daten zu haben, und es wird auch noch einige Zeit dauern, bis wir näher an die Sonne herankommen. Ich bin auf zwanzig Prozent Licht runtergegangen, als ich die erste Computerauswertung bekam. Der Stern hat nämlich offenbar keine Planeten, dafür aber... ach, da geht's ja schon los!«
Der große Bildschirm glühte plötzlich auf. Automatisch schaltete der Computer Filter vor die Objektive an der Außenhülle der DEIMOS. Das grelle Glühen verblaßte zu einem milchigen Schimmer.
»Staubwolken«, erläuterte Olga. »Die Staubkonzentration ist innerhalb des ganzen Systems unerwartet hoch, und an einigen Stellen gibt es Verdichtungen, die ich lieber nicht mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durchfliegen möchte. Das dürfte selbst den van-Huylsmann'schen Schirmfeldgenerator vor einige Probleme stellen. Deshalb die niedrige Geschwindigkeit.«
»Na, über dieses Phänomen werden sichunsere Wissenschaftler aber freuen«, bemerkte Larissa trocken. »Planeten haben wir schon bis zum Exzeß erforscht, aber solche Staubwolken sind immer noch eine relativ undurchsichtige Angelegenheit...« Als ihr der Doppelsinn ihrer Worte aufging, mußte sie lachen.
»Läuft auf TEST nicht gerade ein größeres Programm zur Untersuchung kosmischer Staubwolken?« erkundigte sich Olga.
TEST war die Operationsbasis der DEIMOS – die größte Experimentalstation des terranischen Imperiums. TEST befand sich dreihundert Lichtjahre von der Erde entfernt im System der roten Sonne Tau Eridani. Als ein Scoutschiff des Imperiums im Jahre 2511 dieses System erstmals angeflogen hatte, war es als völlig uninteressant und nutzlos klassifiziert worden, denn um die Sonne kreisten nur eine Unzahl von Felsbrocken unterschiedlichster Größe, von denen keiner es wert war, als Planet bezeichnet zuwerden. Sechzehn Jahre später jedochwar Tau Eridani plötzlich in den Blickpunkt des allgemeinen Interesses geraten. Ein Sonderstab der Militäradministratur hatte in langjähriger Arbeit ein Konzept für eine gigantische Experimentalstation entworfen, und die Computer von Terra HQ waren zu dem Schluß gekommen, daß sich Tau Eridani am besten zur Verwirklichung dieses Modells eignete. Die zehn größten Asteroiden – genannt TEST EINS bis TEST ZEHN – waren mit ungeheurem Kostenaufwand zunächst in ihren Bahnen stabilisiert und dann fast völlig ausgehöhlt worden. Jetzt, im Jahre 2546, hatten sie sich in Raumstationen vorher nie gekannten Ausmaßes verwandelt, in denen unter Kontrolle der terranischen Militäradministratur umfangreiche Forschungsprogramme abgewickelt wurden. Nach und nach waren auch einige der kleineren Trabanten von Tau Eridani ausgebaut worden ― einige als riesige Laborkomplexe für besonders gefährliche Experimente, andere als Wachstationen, die die EXPERIMENTALSTATION TEST vor etwaigen Bedrohungen aus dem All schützen sollten.
Integraler Bestandteil des TEST-Konzepts war die sogenannte Außenflotte, zu der mittlerweile fast fünfhundert Forschungsraumer gehörten, die von der Imperiumsflotte zur Verfügung gestellt worden waren – unter anderem auch die DEIMOS. Diese Schiffe erforschten systematisch die Galaxis und lieferten eine unglaubliche Datenmenge, die auf TEST, dem ›Gehirn‹ der Außenflotte, systematisch aufgearbeitet wurde.
Die DEIMOS war vor vier Wochen von TEST aus gestartet, um drei Sonnensysteme am Rande der Galaxis anzufliegen. Da diese Systeme noch nie zuvor von terranischen Raumfahrzeugen besucht worden waren, sprach manim Fachjargon von einer ›Ersterkundung‹. Solche Ersterkundungen wurden stets mit äußerster Akribie durchgeführt; so hatte das Wissenschaftlerteam, das sich an Bord der DEIMOS befand und fast die Hälfte der knapp zweihundert Besatzungsmitglieder stellte, nicht weniger als vier Wochen auf das erste angeflogene System verwandt. Insgesamt sollte die Expedition der DEIMOS ein Vierteljahr dauern.
Larissa hatte Olgas Frage zum Anlaß genommen, eine Verbindung zur wissenschaftlichen Abteilung herzustellen. In einem holografischen Bildschirm vor ihr erschien das Gesicht des Teamleiters der Wissenschaftler, Professor Chup Riemer. Er arbeitete schon seit dem ersten Experimentaleinsatz der DEIMOS an Bord des Kreuzers und war damit neben Larissa Cross und Olga Tschernikova eines der dienstältesten Mitglieder der Besatzung. Er und seine Mitarbeiter unterstanden zwar nominell der Kommandantin, aber bei normalen Forschungsflügen war das Verhältnis eher umgekehrt: Die Kommandantin erfüllte alle Wünsche und Anforderungen der Wissenschaftler, solange damit keine Gefährdung des Schiffes verbunden war.
»Hallo, Chup«, sagte Larissa und tippte grüßend mit der Spitze des rechten Zeigefingers an eine nicht vorhandene Dienstmütze. »Bei uns ist gerade die Frage aufgetaucht, ob momentan in TEST ein Vorrangprogramm zur Untersuchung kosmischer Staubwolken läuft.«
»Das ist der Fall«, entgegnete Riemer ein wenig steif. Anscheinend war er gerade aus einer Arbeit herausgerissen worden, die höchste Konzentration verlangte. »Und die ersten Daten der sofort nach der Transition ausgeschleusten Sonden sind so bemerkenswert, daß wir vielleicht den Vorschlag unterbreiten werden, den Aufenthalt in diesem System über die geplante Zeit hinaus auszudehnen. Wir wollten allerdings damit warten, bis wir Genaueres wissen.«
»Olga nannte das hier vorhin eine ziemlich trübsinnige Gegend«, lächelte Larissa.
Riemer runzelte die Stirn. »Trübsinnig?« fragte er mit leichter Ironie. »Na ja, Planeten und damit fremde Rassen gibt'shier wohl kaum zu entdecken, und damit dürfte das System tatsächlich für abenteuerlustige erste Offiziere ein bißchen öde sein. Ich befürchte, Olga wird sich niemals dazu überwinden können, wissenschaftliche Forschungen als ein Abenteuer anzusehen. – So, war's das? Ich würde jetzt gerne an meine Auswertungen zurückkehren. Wir sind gerade dabei, die Sonden gleichmäßig über das System zu verteilen. Im Moment befinden wir uns nämlich nicht gerade in der interessantesten Region des Systems. Näher der Sonne zu wird der Staub noch erheblich dichter. Bin gespannt, ob wir Molekülketten finden, die man als Vorstufe zu lebendiger Substanz betrachten kann. So etwas soll es in solchen Staubwolken nämlich geben. Bis daraus allerdings die von Olga so sehr herbeigesehnten Aliens werden, dürfte es noch ein paar Milliarden Jahre dauern.«
»Auch keine klitzekleinen?« warf Olga von der Seite her ein.
»Auch keine klitzekleinen, Olga-Schatz. Und jetzt muß ich wirklich wieder an die Arbeit. Im Moment versuche ich gerade herauszufinden, ob die Staubwolke tatsächlich zu diesem roten Zwerg gehört oder ob er eine Irrläufer-Sonne ist, die bloß zufällig durch die Wolke hindurchfliegt. Und sie, wenn ich so sagen darf, dabei ganz schön dezimiert, denn riesige Mengen des Staubs werden ununterbrochen in die Sonne hineingestrudelt. Deshalb auch die Verdichtung der Staubmassen weiter innen.«
»Klingt interessant«, meinte Larissa. »Dann also frohes Schaffen.« Damit unterbrach sie die Verbindung.