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Joe Burkers, der Einäugige ist ein Wildwest-Kurzroman von Karl May.
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Seitenzahl: 58
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Ein kleines Feuer brannte am Bighorn-Fluß und an ihm saß einsam ein Mann in Trapperkleidung. Lange, graue Haare fielen auf die breiten Schultern; seine reckenhafte Gestalt atmete Ruhe und Gelassenheit und nur sein feuriges Auge verriet, daß ihm nichts entgehen konnte, was um ihn her vorging.
Soeben hatte er seine Mahlzeit, die aus einigen gebratenen Fischen bestand, beendet und sein Kalumet in Brand gesteckt. Er tat noch etwas Holz in die Flamme, wickelte sich in seine Decke und legte sich nieder.
Es war ein stiller, abgelegener Ort. Der Fluß bildete hier eine seeartige Erweiterung mit mehreren tiefen, schmalen Buchten, an deren einer der Jäger gelandet war und sein Kanoe befestigt hatte. Schon wollte es dunkel werden, aber noch waren die ernsten, tiefen, schwermütigen Stimmen des Urwalds zu vernehmen.
Diese Stimmen wurden alle von dem großen Meister der Schöpfung in Moll gesetzt, wie ja auch die einfachen Gesänge der Naturvölker stets in Moll komponiert sind. Der einsame Mann lauschte der Abendhymne des Waldes, jenem leisen, aber sonoren Säuseln, das von tiefgestimmten Aeolsharfensaiten zu kommen scheint. Es umgibt und umklingt einen von allen Seiten; es kommt aus allen Richtungen, und doch kann man nicht sagen, wo es beginnt und wo seine Noten geschrieben stehen. Dazu erklang im leichten Rhythmus das kosende Plätschern und Glucksen der Wellen. Ein Eichkätzchen kam am Stamm einer Rüster herab, betrachtete den Fremdling mit seinen kleinen, neugierigen Aeuglein, und kehrte dann beruhigt in seinen Kober zurück. Zuweilen sprang in dem Schein, den das Feuer über das Wasser warf, ein Fisch empor und fiel mit lautem Klatschen wieder in sein Element zurück. Die brennenden Zweige prasselten in der Glut; eine Copperhead, zu den Kreuzottern gehörend, raschelte davon; sie hatte vielleicht ihre Sommerwohnung gerade in der Nähe des Feuers gehabt und machte sich jetzt aus dem Staub. Ein aus dem ersten Schlaf geweckter Käfer arbeitete sich mit fast unhörbarem Rascheln durch das abgefallene Laub; eine kleine Moskitenschar tanzte um den aufsteigenden Rauch einen bewegten Reigen und ließ dabei ein feines silbernes Klingen hören, das plötzlich durch das unstäte, heftige Summen eines großen, dicken Nachtfalters unterbrochen wurde, der mit tölpelhafter Rücksichtslosigkeit mitten unter sie hineinschoß, aber auch sofort seine Strafe erlitt: er versengte sich die Flügel und fiel in die Flamme. Gegenüber, auf der anderen Seite der schmalen Bucht, erhob ein Frosch seine Stimme; er mußte ein riesenhafter Kerl sein, denn sein Quaken war ein förmliches Brüllen zu nennen. Er schien sich über die Gegenwart des Trappers höchst beleidigt zu fühlen, denn er ließ nicht jenes kurze, tief befriedigte »Quak!« oder jenes langgezogene, glückselige »Qua–aaak!« hören, mit dem ein normal gestimmter Froschbariton sein breites Maul aus dem Wasser schiebt, sondern es war ein höchst ärgerliches Belfern, ein unwilliges, aller Rücksicht und Hochachtung bares Lärmen, was er vernehmen ließ, die reinste, ausgesprochenste Schimpferei, und – – – doch halt, was war das?
Der Frosch brach plötzlich ab, und es war zu hören, daß er in das Wasser zurückfuhr. Er war gestört worden; aber wodurch? Von wem?
Wer jahrelang und unter tausend Gefahren sich im »wilden Westen« aufgehalten hat, der weiß jeden, auch den kleinsten Laut der Natur zu beurteilen. Ein Zweig knickte drüben, ein dürrer, dünner Zweig, der auf dem Boden gelegen hatte; der Jäger hörte es deutlich, und so leise dieser Ton gewesen war, sagte er ihm doch, daß er von dem Fuß eines Menschen verursacht worden sei. Zerbricht ein Aestchen, ein Zweig in der Höhe, so hat dies wenig zu bedeuten, denn es ist vom Wind oder von einem Tier geschehen; knickt das Holz aber am Boden, so ist die Möglichkeit vorhanden, daß ein Mensch in der Nähe ist. Und ein alter Waldläufer weiß an dem Geräusch sehr genau zu entscheiden, ob der Zweig von dem biegsamen Fuß eines schleichenden Tieres oder dem weniger federnden Schritt eines Menschen zerbrochen wurde. Er weiß sogar durch langjährige Uebung zu bestimmen, ob das Geräusch durch den hartsohligen Stiefel eines Weißen oder den weichen nachgiebigen Mokassin eines Indianers hervorgebracht ist.
Der Mann da drüben jenseits der Bucht war sicherlich ein Indianer und dies konnte für den Trapper keineswegs ein beruhigender Gedanke sein. –
Wer gerecht denkt, darf das Verhalten der Weißen gegenüber den Roten nicht billigen. Auch der Indianer ist Mensch und steht im Besitz seiner Menschenrechte; es ist sündhaft, ihm die Daseinsberechtigung abzusprechen und die Mittel zum Leben nach und nach zu entziehen. Man halte im Vereinigten Staaten-Kongreß noch so schöne Reden; man sende dem sogenannten »Wilden« Agenten und alle möglichen anderen Sorten von »Zivilisatoren« – der Unparteiische aber wird die Rede von der Tat zu unterscheiden wissen.
Der Indianer befand sich ehedem im vollständigen Besitz des Landes; er war Herr des Bodens und seiner Erzeugnisse; er lebte auf ihm nach seiner eigenen Art und Weise und fühlte sich Wohl dabei. Keine einzige indianische Ueberlieferung spricht von einem solchen Blutvergießen, wie es kurz nach der Einwanderung der Weißen begann und bis in die jüngste Vergangenheit fortgesetzt wurde. Die ersten Weißen wurden fast wie Götter aufgenommen und geehrt, aber diese Götter zeigten bald sehr menschliche oder vielmehr unmenschliche Eigenschaften. In Mexiko und Peru wurden Fluren und Felder verwüstet, Städte und Dörfer zerstört und dadurch, daß man die Wasserleitungen in Ruinen legte, das Land in eine große Oede verwandelt; fieberhafte Goldgier, Verrat und maßlose Selbstsucht haben das Leben von Millionen friedlicher Menschen vernichtet und die Geschichte um die Fortentwicklung einer eigenartigen, wohlberechtigten Kulturform gebracht. Und in den Vereinigten Staaten? Der Indianer soll sterben, und er wird also sterben; es ist daher unnütz, zu philosophieren; aber man beurteile ihn nicht nach Berichten aus zehnter und zwölfter Hand, auch nicht nach seinen jeweiligen Feindseligkeiten, zu denen er immer wieder getrieben wird; man suche ihn auf, vertraue sich ihm an und lerne ihn kennen! Er ist enthaltsam, gerecht, wahr, treu und tapfer. Hat man ihn betrogen und getäuscht, so verurteile man ihn nicht, wenn er Gleiches mit Gleichem vergilt. Treibt man ihn, ohne ihm Wort zu halten, aus einer »Reservation« in die andere, so wundere man sich nicht, daß er sich nicht zum heimatlosen »Ewigen Juden« geboren fühlt, sondern das kleine, ihm zugesagte Stückchen desjenigen Landes verteidigt, das einst ihm ganz gehörte. Der Indianer liegt im Sterben, tausendfach verwundet und verletzt; sein Scheiden ist kein friedliches; sein Todeskampf ist vielmehr ein fürchterlicher. Das Feuerwasser, die Pocken und andere ähnliche Geschenke der Weißen haben seine Kräfte noch nicht zur Neige gebracht; er, der einstige Riese, ist noch stark genug, manchen Angreifenden im gewaltigen Todeskampf zu erdrücken. Sein hartes Sterbebett ist das Felsengebirge, in dessen Schluchten und Kanons die letzten Kämpfe stattfinden. Er weiß, daß die Pueblos, Zuni, Queres und alle, die sich ergeben haben, den langsamen, ehrlosen Tod des Verschmachtens, der Entartung gestorben sind oder noch sterben werden; er will sterben wie Held Roland, das Schwert in der Faust. Alle die sogenannten friedlichen Indianer verschwinden, nach und nach, ohne ihren Namen und das Gedächtnis einer männlichen Tat zu hinterlassen; aber die Komantschen und Apatschen im Süden und die Sioux im Norden werden, vertrieben aus ihren Savannen, sich in die Rocky Mountains zurückziehen und Schritt um Schritt im Blut ihrer Feinde waten, bis man den letzten von ihnen niederschlägt. Diese Kämpfe werden jahrhundertelang im Mund fernerer Generationen fortleben, und um jeden Schädel, den der Pflug oder der Spaten des Landmanns aus der Erde stößt, wird die Sage ihr Gewebe spinnen, und die Urenkel der Sieger, gerechter als ihre Ahnen, werden dem erschlagenen Indsman ihre Teilnahme widmen und vielleicht auch – die Folgen dieses Totschlags zu tragen haben.