John Sinclair Gespensterkrimi Collection 1 - Horror-Serie - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Gespensterkrimi Collection 1 - Horror-Serie E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

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Fünf gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band

Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.

Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern aus den Jahren 1973 - 1978, die in der Reihe Gespenster-Krimi erschienen sind und erlebe mit, wie die Serie Kultstatus erreichte.


Dieser Sammelband enthält die Folgen 1 - 5 der John Sinclair Gespensterkrimis:

1 Die Nacht des Hexers

2 Mörder aus dem Totenreich

3 Dr. Satanos

4 Das Leichenhaus der Lady L

5 Sakuro, der Dämon


Tausende Fans können nicht irren - über 320 Seiten Horrorspaß garantiert!

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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 638

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Coverillustration: Vincente Ballestar ISBN 978-3-7325-6671-6

Jason Dark

John Sinclair Gespensterkrimi Collection 1 - Horror-Serie

Inhalt

Jason DarkJohn Sinclair Gespensterkrimi - Folge 01Endlich als E-Book: Die Folgen der Kult-Serie John Sinclair aus den Jahren 1973 - 1978, die in der Reihe Gespenster-Krimi erschienen sind! Die Nacht des Hexers. Der geisteskranke Professor Ivan Orgow kauft in der kleinen Ortschaft Middlesbury das alte Schloss Manor Castle und führt im Keller wissenschaftliche Experimente mittels Schwarzer Magie durch. Als Tote in Form von Zombies auferstehen und Menschen getötet werden, bittet man Scotland Yard um Hilfe. John reist nach Schottland und versucht, Professor Orgow das Handwerk zu legen, doch dieser lässt eine Armee von Zombies in den Ort marschieren. John versammelt gerade noch rechtzeitig alle Einwohner in der Schule. Er ruft die Army zu Hilfe, diese vernichtet die Zombies mit Flammenwerfern. Professor Orgow stirbt und schwört John im Sterben Rache. John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.Jetzt lesen
John Sinclair Gespensterkrimi - Folge 02Endlich als E-Book: Die Folgen der Kult-Serie John Sinclair aus den Jahren 1973 - 1978, die in der Reihe Gespenster-Krimi erschienen sind! Mörder aus dem Totenreich. Viola Wayne ließ sich aufs Bett fallen. Dicker, klebriger Schweiß stand ihr auf der Stirn. Die Luft wurde ihr knapp. Hysterisch zerrte sie am Kragen ihres Kleides und bäumte sich wild auf. Ihr Blick fiel zufällig in den Spiegel neben dem Bett. Nein, das konnte nicht sein! Das war doch nicht ihr Gesicht! Es hatte sich total verändert. War grau und faltig geworden. Und dann ihr Körper. Er wurde kleiner und gedrungener, schrumpfte regelrecht zusammen. Plötzlich sah sie es. Das kalte blaue Feuer. Es schien im Zimmer zu schweben, schien sie zu erfassen und zu verschlingen. Eine widerliche Fratze schälte sich heraus. Eine Fratze ohne Körper, mit glühenden und stechenden Augen. Dann ertönte eine dröhnende Stimme: »Du bist dem Teufel verschworen! Du musst mir gehorchen, und ich befehle dir: Töte! Töte!« John Sinclair - der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung. Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit!Jetzt lesen
John Sinclair Gespensterkrimi - Folge 03Endlich als E-Book: Die Folgen der Kult-Serie John Sinclair aus den Jahren 1973 - 1978, die in der Reihe Gespenster-Krimi erschienen sind! Dr. Satanos. Mit zitternden Fingern schloss Mary Brown die Haustür auf und knipste das Licht an. Eines der Fenster knallte zu. Es stand offen und wurde durch den entstandenen Luftzug wieder in den Rahmen gestoßen. "Nanu", wunderte sich Mary, "sollte ich vergessen haben, das Fenster zu schließen? "Sie zuckte mit den Achseln und dachte nicht mehr weiter darüber nach. Die Tür zum Wohnraum war nur angelehnt. Mit der rechten Hand stieß Mary sie auf. Vom Flur fiel das Licht in den Raum, erhellte die Möbel, das Fenster und ... Mary Brown wurde starr vor Grauen. In dem schwachen Licht erkannte sie auf dem Tisch den Kopf ihres Mannes! John Sinclair - der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung. Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit!Jetzt lesen
John Sinclair Gespensterkrimi - Folge 04Endlich als E-Book: Die Folgen der Kult-Serie John Sinclair aus den Jahren 1973 - 1978, die in der Reihe Gespenster-Krimi erschienen sind! Das Leichenhaus der Lady L. Marquis Istvan Laduga bebte vor Wut, als er seine Frau mit einem Geliebten bei einem Schäferstündchen überrascht. Die Strafe, die er sich für seine Frau ausdenkt, ist grauenvoll: Er lässt sie in einem Leichenhaus auf seinem Besitz lebendig einmauern.Noch bevor der letzte Stein eingefügt wird, spricht die Lady einen schrecklichen Fluch aus. Und tatsächlich geschehen in den folgenden Jahren in der Umgebung des Schlosses unerklärliche, mysteriöse Dinge. Menschen verschwinden spurlos oder werden im angrenzenden Wald tot aufgefunden. Niemand wagt sich in die Nähe des Leichenhauses der Lady L. - der Weißen Frau, die sich nachts ihre Opfer sucht ... John Sinclair - der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit!Jetzt lesen
John Sinclair Gespensterkrimi - Folge 05Endlich als E-Book: Die Folgen der Kult-Serie John Sinclair aus den Jahren 1973 - 1978, die in der Reihe Gespenster-Krimi erschienen sind! Sakuro, der Dämon. "Wir alle, die wir hier versammelt sind, bedauern aus tiefstem Herzen den Tod unseres allseits geschätzten Earl Brandon. Möge er in Frieden ruhen." Der Redner steckte seinen Notizzettel ein, wischte sich mit einem blütenweißen Taschentuch theatralisch über die Augen und verließ das Pult, um in der ersten Reihe der Trauergäste Platz zu nehmen. In der geschmückten Trauerhalle war es nach diesen Worten totenstill. Nur eine ältere Frau schluchzte leise vor sich hin. Gleich würde von einem Tonband Trauermusik aufklingen und der schwere, mit Blumen und Kränzen geschmückte Sarg in die Verbrennungskammer gleiten. Vorn in der ersten Reihe saß Kenneth Brandon, der Sohn des Verstorbenen. Sein sonst sonnenbraunes Gesicht war nur noch eine starre Maske. Er hatte seine Augen fest auf den Sarg gerichtet. Plötzlich zerschnitt ein Schrei die Stille. Kaltes entsetzen machte sich unter der Trauergemeinde breit. Der Schrei war aus dem verschlossenen Sarg gekommen ... John Sinclair - der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung. Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit!Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Über die Serie

Über den Autor

Impressum

Die Nacht des Hexers

Vorschau

John Sinclair – Die Serie

John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.

Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.

Über den Autor

Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.

Die Nacht des Hexers

Mitternacht – der Friedhof des kleinen englischen Dorfes Middlesbury. Holpernd fährt ein rostzerfressener Lieferwagen durch die Nacht. Der geisteskranke Professor Orgow und zwei seiner Gesellen haben sich aufgemacht, einen Leichnam zu stehlen und ihn in die unterirdischen Labore eines alten Schlosses zu bringen. Denn Professor Orgow hat einen Weg gefunden, Tote als Zombies auferstehen zu lassen …

Wie ein unheilvoll drohender Schatten lag die Dunkelheit über dem Land. Nur ab und zu lugte der bleiche Mond durch die schweren Wolken. Dann geisterte sein fahles Licht auf den kleinen Friedhof und tauchte die alten, verwitterten Grabsteine in silbrigen Glanz.

Nebelschwaden umfingen wie Todesfinger die Erlen und Trauerweiden des Friedhofs.

Hinter dem Friedhof lag das Moor. Aufkommender Wind brachte den Geruch von Fäulnis und Verwesung mit. Einmal durchschnitt der überlaute Schrei eines Käuzchens die Totenstille.

Ein Mann, der den Ruf zufällig hörte, zuckte zusammen. »Der Totenvogel ruft. Das ist die Stunde des Hexers«, flüsterte er erschreckt und begann zu laufen.

Er rannte direkt zu dem kleinen Dorfgasthaus, riss die Tür auf und blieb schwer atmend an der rustikalen Theke stehen.

Es waren nur noch wenige Gäste im Raum, und allen lief ein Schauer über den Rücken, als der Neuankömmling von dem Schrei des Käuzchens berichtete.

»Bald werden die Toten wiederkommen«, sagte der Wirt mit rauer Stimme und spürte, wie ihm eine Gänsehaut über den Rücken rieselte.

Die anderen Gäste nickten beklommen. Sie fühlten, dass bereits ein unsichtbarer Gast unter ihnen weilte.

Das Grauen …

Mitternacht.

Fast im Schritttempo rumpelte ein uralter Lieferwagen über den holprigen Feldweg. In dem kleinen Führerhaus saßen drei Männer.

Der Mann am Lenkrad war Professor Ivan Orgow. Mit dunklen, tief in den Höhlen liegenden Augen starrte er in die Nacht, die nur vom Licht der beiden Scheinwerfer spärlich erhellt wurde.

Ivan Orgows Gedanken konzentrierten sich voll auf die vor ihm liegende Aufgabe. In seinen Augen flackerte es, als er daran dachte, welche Macht er besaß.

Er, Ivan Orgow, hatte Macht über die Toten. Eine grauenvolle, unheimliche Macht. Noch in dieser Nacht würde ein Toter ins Leben zurückkehren.

Die beiden Männer neben ihm konnten nicht mehr klar denken, waren nicht mehr Herr über sich selbst. Professor Orgow hatte sie hypnotisiert. Sie führten nur seine Befehle aus.

Der alte Lieferwagen hatte sein Ziel erreicht. Er stand jetzt vor dem alten, schmiedeeisernen Tor des Friedhofs.

Professor Orgow löschte die Scheinwerfer. Dann drückte er die Tür auf und sprang aus dem Wagen.

Der Nebel hatte zugenommen. Wie ein Panzer legte er sich auf die Brust und erschwerte das Atmen.

Professor Orgow winkte seinen beiden Gehilfen. Er holte einen Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete das primitive Schloss des Friedhoftors.

Es quietschte, als er das Tor aufschob.

Hintereinander huschten die drei Männer auf den Totenacker. Bald hatte sie der Nebel verschluckt. Nur der Lieferwagen stand verlassen an der rissigen Mauer.

Ivan Orgow kannte sich gut aus. Zielstrebig ging er auf das alte, aus dicken Steinen erbaute Trauerhaus zu, das gleichzeitig auch als Leichenhalle diente.

Auch für die schwere Holztür hatte der Professor einen Schlüssel. Er atmete tief durch, als er die Tür aufschloss. Eine seltsame Erregung hatte ihn gepackt. Es war die Erregung dicht vor einem entscheidenden Ereignis.

Orgow verharrte noch. Er konzentrierte seine Gedanken auf das Kommende. Dann drückte er gegen die schwere Tür. Knarrend schwang sie nach innen.

Orgow holte eine Taschenlampe aus der Seitentasche seines langen dunklen Mantels. Er tat einen Schritt in die Leichenhalle und knipste die Lampe an.

Der Lichtstrahl geisterte durch die kleine Halle. Er tastete sich über die Wände, die mit Buchsbaumzweigen geschmückt waren und deren Geruch der Professor wie Balsam aufsog.

Ivan Orgow ließ den Strahl der Lampe weiterwandern. Der kalte Marmorboden der Halle warf das Licht teilweise zurück und zauberte Reflexe auf das graue, eingefallene Gesicht des Professors.

Orgow ließ den Strahl der Lampe bis zur gegenüberliegenden Wand kreisen.

Und da stand das, was er suchte.

Ein Sarg!

Es war ein teurer Eichensarg. Er ruhte auf einem kleinen Podest und war mit Kränzen und Blumen geschmückt. Morgen sollte die Trauerfeier sein.

Die Augen des Professors irrlichterten, als er langsam auf den Sarg zuging. Seine freie linke Hand zuckte wie im Fieber. Orgow konnte seine Erregung kaum noch dämpfen.

Plötzlich warf er mit einer wilden, unkontrollierten Bewegung Blumen und Kränze zur Seite, stützte sich mit beiden Händen auf den Sargdeckel und keuchte schwer.

»Ich werde dich wiederholen«, murmelte er. »Aus dem Reich der Toten wirst du zurückkehren. Du wirst Unheil bringen über die Menschen, und ich werde befehlen. Ich habe die Kraft und die Macht, um alle zurückzuholen. Und dann werden die Toten sich rächen.«

Schweißgebadet richtete sich Orgow auf. In seinen Augen flackerte der nackte Wahnsinn.

Wie ein Vampir breitete er die Arme aus und lachte. Es war ein irres Lachen. Der Teufel selbst schien es ihm eingegeben zu haben.

Orgows Gehilfen standen wie Zinnsoldaten an der Tür. In ihren Gesichtern zuckte kein Muskel.

Es dauerte noch eine Weile, bis sich der Professor wieder beruhigt hatte. Dann wandte er sein hageres Gesicht den Männern zu.

»Kommt!«, flüsterte er rau. »Macht euch an die Arbeit!«

Wie zwei Marionetten setzten sich die beiden in Bewegung. Sie waren fast gleich groß und ungeheuer breit. Sie trugen schäbige Jacken, karierte Hemden und alte Cordhosen.

»Die Werkzeuge!« Orgow funkelte die Männer an.

Sie griffen in die Taschen und holten zwei Stemmeisen hervor. Diese klemmten sie unter die Verriegelung des Sargdeckels.

Schon nach kurzer Zeit brach das erste Schloss. Das Zweite hielt ebenfalls nicht lange.

»Hebt den Deckel ab!«

Die Männer gehorchten ihrem Herrn. Langsam hoben sie den schweren Sargdeckel.

Mit halb geöffnetem Mund und krallenartig ausgestreckten Händen wartete Professor Orgow. Die Taschenlampe in seiner Rechten zitterte.

Nur stückweise ruckte der Sargdeckel zur Seite. Aber schließlich hatten es die Männer geschafft.

Der Sarg war offen!

Ein schwerer Seufzer kam aus der Kehle des Professors, als er hineinblickte.

Ja, da lag sie.

Mary. Kaum zwanzig Jahre alt geworden. Gestorben vor drei Tagen an einem Herzversagen.

Noch im Tod sah das Mädchen wunderschön aus. Das schwarze lockige Haar umrahmte das bleiche Gesicht wie ein Vlies. Das Totenhemd war aus reiner Seide und die Innenverkleidung des Sargs aus dunkelrotem Samt.

Mary hatte die Hände über der Brust gefaltet. Sacht strich Professor Orgow mit seinen Knochenfingern darüber.

»Bald wirst du wieder leben, Mary«, flüsterte er. »Ich verspreche es dir. Aber erst musst du mit uns kommen. Wir bringen dich in das Schloss. Dort wirst du erlöst.«

Professor Orgows Gesicht zuckte und spiegelte seine innere Erregung wider.

»Was ist denn hier los?«, ertönte plötzlich eine Stimme von der Tür her.

Der Professor und seine beiden Gehilfen ruckten herum.

In der Halle stand ein alter Mann. Der Friedhofswärter. Er hielt ein Windlicht in der rechten Hand. Der flackernde Schein der Kerze brach sich an den Wänden und warf lange Schatten auf den Boden.

Langsam ging Professor Orgow auf den Friedhofswärter zu.

Der alte Mann wich zitternd zurück.

»Tötet ihn!«, schrie Orgow plötzlich. Seine knochige Hand schoss vor wie ein Pfeil.

Die beiden Gehilfen setzten sich in Bewegung. Noch immer hielten sie die Stemmeisen in der Hand.

Der alte Mann stand vor Schreck wie angewachsen. Er begriff die tödliche Gefahr einfach nicht.

Und dann war es zu spät.

Die beiden Männer rissen ihre Waffen hoch …

Der Wächter taumelte rückwärts – und stürzte zu Boden. Im Nu waren die Unheimlichen über ihm.

Als sie sich wieder aufrichteten, lag der alte Mann tot in einer Blutlache auf dem Boden. Sein Leben war genauso verlöscht wie die Kerze des Windlichts.

»Er hätte uns nicht stören dürfen«, sagte Professor Orgow dumpf. Dann wandte er sich wieder an seine beiden Gehilfen. »Hebt die Tote aus dem Sarg.«

Wie zwei Roboter kamen sie dem Befehl nach.

»Geht nicht zu rau mit ihr um«, flüsterte Orgow.

Sacht hoben die Mörder Mary hoch.

»Jetzt schnell zum Wagen«, flüsterte Orgow.

Die drei Männer verließen mit der Toten die Leichenhalle.

Mittlerweile war der Nebel noch dichter geworden. Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen.

Professor Orgow ging als Letzter.

Vor einer Familiengruft blieb er kurz stehen. Langsam streckte er die rechte Hand aus.

»Auch ihr werdet wiederkommen«, flüsterte er. »Ihr werdet eure Särge verlassen. Der Satan selbst wird euch ins Leben zurückholen. Schon bald werden sich überall die Gräber öffnen. Schon bald …«

Der Professor wandte sich ab. Leise vor sich hin murmelnd folgte er seinen Gehilfen.

Sie hatten den Lieferwagen schon erreicht und waren gerade dabei, das tote Mädchen auf die Ladefläche zu hieven.

Der Professor setzte sich wieder hinter das Steuer. Als er den Motor anließ, glühte in seinen Augen ein satanisches Feuer …

Das Schloss hieß Manor Castle und war vor über fünfhundert Jahren erbaut worden. Wie eine düstere Drohung stand es zwischen den vom Wind blank gefegten Klippen und Felsen.

Die abergläubischen Bewohner der umliegenden Küstendörfer mieden das Schloss. Seit Jahrhunderten ging schon das Gerücht um, dass es auf Manor Castle spuken solle.

Professor Orgow hatte das Schloss vor fast zwei Jahren zu einem Spottpreis erworben. Er hatte sich im Keller ein Labor eingerichtet und beschäftigte sich dort ausschließlich mit seinen Forschungen.

Der Lieferwagen ächzte und rappelte, als er sich den schmalen Weg zum Schloss hinaufquälte. Der Nebel hatte sich etwas verzogen, und so war die Sicht relativ gut.

Das uralte Eingangstor stand offen. Knarrend schwang es im leichten Wind. Der große Innenhof war mit unebenem Kopfsteinpflaster bedeckt. Unkraut wucherte zwischen den Ritzen.

Blubbernd stoppte der Wagen. Orgow löschte die Scheinwerfer. Dann stieg er aus dem Wagen.

Totale Finsternis hatte sich über das Schloss gelegt. Wind war plötzlich aufgekommen. Er pfiff und heulte, trieb schwere Wolken vor sich her und verfing sich in den Ecken und Türmen des Schlosses.

Professor Orgow knipste wieder die Taschenlampe an. Mit hastigen Schritten näherte er sich der Eingangstür. Unruhe hatte ihn gepackt. Er schien die große Stunde nicht erwarten zu können.

Seine beiden Gehilfen hatten inzwischen das tote Mädchen vom Laderaum geholt. Gemeinsam trugen sie Marys Leichnam in das Innere des Schlosses.

Orgow hatte inzwischen drei dicke Wachskerzen, die in schweren Haltern an den Wänden hingen, angezündet.

Ihr flackernder Schein erhellte eine große Halle, in der ein langer Tisch und etliche Stühle standen. Auch der untere Teil einer großen Treppe war zu erkennen.

»Legt die Tote vorsichtig auf den Tisch und geht nach oben«, sagte Professor Orgow.

Die beiden Männer gehorchten.

Dann ging Orgow auf die Tote zu. Mit seinen knochigen Gichtfingern streichelte er ihr Haar.

»Ja, du bist schön«, flüsterte er. »Deine Schönheit soll noch lange erhalten bleiben.«

Orgow fasste die Tote mit einer Hand unter die Kniekehlen und mit der anderen unter den Rücken.

Leicht hob er Mary an. Man hätte diesem Mann so viel Kraft gar nicht zugetraut.

Langsam, Schritt für Schritt, ging er mit der Leiche auf eine bestimmte Stelle an der holzgetäfelten Wand zu.

Es war ein gespenstisches Bild. Die Arme der Toten baumelten zu beiden Seiten des Körpers herab, und ihr Kopf mit dem langen schwarzen Haar war weit in den Nacken gefallen.

Ivan Orgow ging ein wenig in die Knie und zog eine der schweren Kerzen aus der Halterung.

Dann trat er mit dem Fuß gegen eine bestimmte Stelle an der Holzwand.

Eine Geheimtür schwang knarrend nach innen.

Orgow blickte auf eine Steintreppe, die nach unten führte. Der flackernde Kerzenschein schreckte ein paar Fledermäuse auf, die wild flatternd davonstoben.

Stufe für Stufe ging Professor Orgow mit der Toten die Treppe hinunter. Er nahm sie mit in sein Reich.

Es war das Reich des Teufels, der Finsternis. Das Reich der Toten …

Jahrhundertealter, muffiger Geruch lastete drückend in dem Kellergewölbe. Die verbrauchte Luft drohte fast die Kerze zu ersticken.

Nach genau neunzehn Stufen hatte Professor Orgow sein Ziel erreicht.

Der flackernde Kerzenschein erhellte ein Labor. Gläser mit farbigen Flüssigkeiten standen auf alten, wurmstichigen Tischen, und in der Luft lag ein süßlicher Duft.

Leichengeruch …

Vorsichtig legte Professor Orgow die Tote auf einen großen steinernen Tisch. Behutsam faltete er ihr die Hände wieder über der Brust.

»Bald wirst du leben«, flüsterte Orgow und wandte sich langsam um.

Seine Hand mit der Kerze zitterte, als er auf einen schmalen Durchlass an der Stirnseite des unheimlichen Labors zuging.

Orgow betrat ein Verlies.

Der Geruch von Fäulnis und Verwesung wurde stärker …

Die Kerze erhellte ein grausiges Bild. Drei Leichen lagen in einer Ecke. Sie waren bereits verwest. Ihre kahlen Totenschädel leuchteten geisterhaft im Licht der Kerze.

Doch der Kerzenschein erhellte auch noch etwas anderes.

Einen offenen Sarkophag!

Eine Frau lag darin. Fast noch ein Mädchen. Ihre Hände lagen eng an dem zerbrechlich wirkenden Körper.

Orgow trat näher, leuchtete das Mädchen an, murmelte Worte in einer fremden Sprache. Dann klemmte er die Kerze in eine Felsspalte und führte mit beiden Händen kreisende Bewegungen über dem Kopf der Frau aus.

Plötzlich öffnete das Mädchen die Augen.

Orgow wich zurück.

»Ja, komm nur«, flüsterte er, »komm heraus aus deinem Sarg. Lara, hörst du mich?«

Lara richtete sich auf. Aus tiefen dunklen Augen starrte sie den Professor an.

Orgow nahm wieder die Kerze. »Steh auf. Es ist so weit. Du sollst sie zurückholen. Sie wartet darauf.«

Mit marionettenhaften Bewegungen verließ das Mädchen den Sarkophag. Schritt für Schritt folgte sie dem Professor in das Labor.

Orgow hatte die Kerze in eine Halterung an der Wand gesteckt. Mit bebenden Fingern goss er eine sirupartige rote Flüssigkeit in einen Becher.

Und diesen Becher reichte er Lara.

»Trink! Der Saft wird dir Kräfte geben über Leben und Tod. Du allein kannst sie zurückholen. Nur du allein. Trink!«

Lara fasste den Becher mit beiden Händen. Hastig führte sie ihn zum Mund und trank in langen, gierigen Schlucken.

»Ja, so ist es gut«, lobte Orgow sie und presste sich mit dem Rücken gegen die kalte Felswand.

Zuerst tat sich gar nichts bei Lara. Doch plötzlich schien sie zu wachsen. Ihr eingefallenes Gesicht glühte, blühte auf, in den dunklen Augen tanzten Lichter, und ein grauenvoller Schrei drang aus der Kehle des Mädchens.

Orgow atmete schwer. Seine Augen zuckten wie im Fieber. Er wusste, Lara hatte es geschafft. Endlich.

»Hol sie zurück, Lara! Hol die Tote wieder zurück!«, schrie Orgow wild auf. »Sieh mich an! Du musst mir jetzt gehorchen. Ich bin dein Meister! Hol sie zurück, Lara! Jetzt!«

Und Lara, das Medium, gehorchte.

Plötzlich stand sie neben der toten Mary. Ihre Hände strichen über den starren Körper. Während dieser Gesten murmelte sie unverständliche Worte.

Laras Worte wurden lauter, hektischer. Ihr ganzer Körper zuckte wie im Rausch.

Gebannt starrte Professor Orgow auf sein Medium. Er wusste, sie würde es schaffen.

Laras schmächtiger Körper schien von Stromstößen geschüttelt zu werden. Unkontrolliert warf sie die Arme hin und her. Ein letzter, verzweifelter Schrei, dann brach Lara zusammen.

Professor Orgow sprang nach vorn, kümmerte sich aber nicht um sein Medium, sondern sah nur die tote Mary.

Seine blutleeren Lippen zuckten wild. Und dann …

Ein irrer Schrei drang aus der Kehle des Professors.

Die Tote – sie hatte sich bewegt!

Orgows Herz raste. Plötzlich wurde ihm schwarz vor Augen. Das alles war zu viel für den alten Mann. Orgow sank zu Boden. Ein Schüttelfrost überkam ihn.

Der Professor sah nicht mehr, was sich weiter abspielte. Er konnte das Grauen nicht aufhalten …

Mary war wieder lebendig!

Wie in Zeitlupe öffnete sie die Augen, bewegte den Arm, seufzte schwer. Irgendeine Kraft trieb sie hoch.

Mary setzte sich auf. Sie konnte nicht denken, nicht fühlen. Nur die unbekannte Macht trieb sie an.

Ihre Füße berührten den Boden. Doch sie spürte nicht die Kälte der Steine.

Mary begann zu gehen, mit halb ausgestreckten Händen. Zielsicher steuerte sie die Treppe an, nahm die Stufen wie in Trance.

Seltsam abgehackt waren ihre Bewegungen. Trotz der Dunkelheit fand sie sich in der Halle zurecht, als wäre sie schon immer hier gewesen.

Die Tür!

Orgow hatte sie offen gelassen.

Mary trat ins Freie. Der kalte Wind pfiff durch ihr Totenhemd. Doch die lebende Tote spürte es nicht.

Staksig ging Mary über den Innenhof des Schlosses. An einem scharfen Stein riss sie sich den Fuß auf.

Kein Blut floss aus der Wunde!

Mary stolperte weiter. Der unbekannte Zwang trieb sie vorwärts. Der Wind bauschte ihr Totenhemd auf.

Plötzlich stöhnte Mary auf. Sie konnte mit einem Mal wieder denken. Doch die Gedanken waren grausam.

Du musst töten, flüsterte eine Stimme. Töten … töten …

Der Satan hatte von Mary Besitz ergriffen.

Marys Schritte wurden schneller. Sie eilte den Schlossweg hinunter.

Ja, auf einmal kannte sie ihr Ziel. Nicht weit von hier, da musste sie hin. Dort lag das Dorf. Ein großes Haus, Menschen wohnten darin. Wer waren diese Menschen?

Marys Gedanken zerflossen.

Menschen töten … Menschen töten …

Mary rannte. Immer stärker wurde der Drang. Sie spürte, dass sie ihr Ziel bald erreicht hatte.

Die ersten Häuser …

Mary blieb stehen. Sie interessierte nur ein bestimmtes Haus. Und sie wusste, wo es lag.

Mary ging weiter. Die Dorfstraße lag verlassen vor ihr. Nirgends brannte Licht.

Dort, hinter dem Fenster eines Hauses sah Mary einen hellen Schein.

Und dieses Haus war ihr Ziel …

Das Ehepaar Winston konnte nicht einschlafen. Morgen würde die Beerdigung ihrer ältesten Tochter sein. Dieses Ereignis warf seine traurigen Schatten voraus.

Mrs. Winston lag auf der Couch. Unruhig warf sie sich hin und her. Immer wieder fuhr sie erschreckt hoch. Sie konnte den Tod ihrer Tochter einfach nicht überwinden.

Mr. Winston saß am Tisch und starrte ins Leere. Jedes Mal, wenn sich seine Frau bewegte, zuckte er zusammen. Er war in den letzten Tagen um Jahre gealtert. Sie alle hatten sehr an Mary gehangen. Auch Jack und Jenny, die Zwillinge, die oben schliefen. Sie hatten das Ereignis am besten überstanden, vielleicht auch gar nicht richtig mitbekommen.

»Wie spät ist es?«, fragte Caroline Winston ihren Mann.

»Was?« Ronald Winston fuhr zusammen.

Die Frau wiederholte ihre Frage.

Ronald Winston sah aus rot umränderten Augen auf seine Armbanduhr. »Schon bald zwei Uhr morgens.«

»Mein Gott«, flüsterte seine Frau. »Du musst doch auch schlafen, Ron.«

»Nein. Ich kann nicht.«

»Bitte, versuche es wenigstens.«

»Nein.« Ronald Winston schüttelte demonstrativ den Kopf.

Seine Frau seufzte schwer. Sie ließ sich wieder auf die Couch zurücksinken. Mit leeren Augen starrte sie die Decke an. Ein dicker Kloß saß ihr im Hals. Aber weinen konnte Mrs. Winston nicht mehr. Sie hatte in der letzten Zeit schon zu viele Tränen vergossen.

Ronald Winston stand auf.

»Wo willst du hin?«, fragte seine Frau.

»Ich hole mir etwas zu trinken.«

Ronald Winston verschwand in Richtung Küche.

Caroline war allein in dem großen Wohnzimmer. Schwer lastete die Stille über dem Raum. Monoton klang das Ticken einer alten Wanduhr. Die Winstons hatten sich an das Geräusch gewöhnt. Sie hörten es schon gar nicht mehr.

Ein Kratzen an der Haustür schreckte Caroline Winston auf.

»Bist du es, Ron?« Im gleichen Moment kam ihr zum Bewusstsein, dass ihr Mann ja in der Küche am anderen Ende des Hauses war.

Jetzt klopfte es gegen die Haustür. Es waren wuchtige Schläge.

Caroline Winston runzelte die Stirn. Wer mochte das sein? Um diese Zeit …

Wieder klopfte es. Diesmal noch stärker.

Caroline Winston stand auf. Angst umklammerte ihr Herz.

»Ronald!«, rief sie. »Es hat geklopft!«

»Dann mach doch auf«, gab ihr Mann lautstark zurück. »Ich kann im Moment nicht.«

Mit unsicheren Schritten ging Caroline Winston zur Haustür.

Wieder dröhnte es gegen das Holz.

»Ja, ja. Ich komme schon.« Ihre Stimme klang leicht ärgerlich.

Caroline Winston musste die Tür erst aufschließen. Hastig drehte sie den Schlüssel im Schloss. Wie immer klemmte die Haustür ein wenig.

»Müsste auch mal ge …«

Die weiteren Worte blieben Caroline Winston buchstäblich im Hals stecken, als sie erkannte, wer draußen stand.

»Mary, nein, das ist doch. Neiiiiin …!«

Ihre tote Tochter stand vor ihr!

Aufschreiend taumelte Caroline Winston zurück.

Im gleichen Moment betrat die tote Mary schon das Haus.

Ronald Winston hatte den Schrei seiner Frau gehört.

»Was ist?«, brüllte er.

Caroline Winston gab keine Antwort. Ihr Körper zuckte wie unter Krämpfen.

Sie spürte nicht, wie sich zwei kalte Totenhände um ihren Hals legten und erbarmungslos zudrückten. Das Letzte, was aus Carolines Mund kam, war ein Röcheln. Dann wurde sie schlaff.

Mary richtete sich auf. Das Haar hing ihr wirr in die Stirn. Die Hände hatte sie krallenartig vorgestreckt. Ihr Gesicht war teigig aufgedunsen. Verwesungsgeruch ging von ihr aus.

Schwere Schritte näherten sich dem Flur.

»Caroline, was ist denn los?« Ronald Winston kam hastig angelaufen.

Im gleichen Augenblick betrat Mary die Treppe, die nach oben führte.

Und oben schliefen die Zwillinge …

Ronald Winston sah seine Frau vor der offenen Haustür liegen.

»Caroline!« Winstons Schrei klang eher wie ein Stöhnen. Er warf sich neben seiner Frau zu Boden. Berührte ihr Gesicht. »Caroline, bitte. Gib doch Antwort, bitte!«

Aber Mrs. Winston konnte keine Antwort mehr geben. Sie war tot. Als ihr Mann es merkte, brach er zusammen.

Währenddessen hatte die »Tote« das Kinderzimmer im ersten Stock erreicht.

Die plötzliche Helligkeit schreckte die Zwillinge aus ihren Träumen.

»Bist du es, Mum?«, fragte Jack verschlafen und richtete sich auf.

Er blinzelte in das helle Licht, rieb sich die Augen und sprang plötzlich in seinem Bettchen hoch.

»Mary«, rief er freudig und streckte die kleinen Arme aus.

Die Tote kam an sein Bett. Ging wie eine Puppe, staksig, marionettenhaft …

»Jenny, wach auf, Mary ist gekommen.« Der fünfjährige Jack sprang in seinem Bett umher.

Jetzt hatte die Tote das Kind erreicht. Ihre Krallenhände näherten sich dem Hals des Kleinen.

»Trag mich nach unten, liebe Mary, ja?« Erwartungsvoll blickte Jack seine große Schwester an.

Da schlossen sich ihre Hände um die Kehle des Jungen. Gnadenlos drückten sie zu …

Jenny war inzwischen vollkommen wach. Es dauerte Sekunden, bis sie begriff, was geschah. Sie sah Marys entsetzliches Gesicht, sah die strampelnden Beine ihres Bruders und schrie, schrie, schrie …

Dieser Schrei machte Ronald Winston mobil.

»Die Kinder«, flüsterte er tonlos und hetzte die Treppe hoch.

Als er in das Kinderzimmer stürzte, dachte er, sein Verstand würde aussetzen. Er sah zwar das Geschehen, begriff es aber nicht.

Er sah seine tote Tochter, wie sie sich über Jacks Bett gebeugt hatte und ihre Hände die Kehle des Kleinen umklammerten.

Ronald Winston handelte rein instinktiv.

Mit einem gewaltigen Satz warf er sich vor und schlug mit der geballten Faust gegen Marys Rücken. Ihm war, als hätte er in einen Teig geschlagen.

Aber Mary ließ Jack los. Sie wandte sich dem neuen Angreifer zu.

Als Ronald Winston in das Gesicht seiner Tochter blickte, verlor er fast den Verstand.

Aus bleicher, aufgedunsener Haut leuchteten ihm zwei blutige Augen entgegen. Lange, spitze Fingernägel näherten sich seinem Hals.

Ronald Winston sah seinen kleinen Sohn blutend im Bett liegen und wusste, dass er zu spät gekommen war. Doch ein Gedanke fraß sich in sein Hirn.

Du musst dieses Untier töten!

Winston warf sich herum. Gerade noch rechtzeitig, denn Marys spitze Fingernägel zischten nur haarscharf an seinem Hals vorbei.

Die Tote taumelte und fiel gegen die Türfüllung. Doch sie fing sich schnell und ging ihrem Vater nach, der wie von Furien gehetzt die Treppe hinunterstürzte.

Mit wenigen Sätzen erreichte Winston die Küche.

Das Beil! Es lag schon seit drei Tagen in der Küche. Er hatte es in den Keller bringen wollen, hatte es aber in der Aufregung der letzten Tage völlig vergessen.

Das Beil stand hinter dem Schrank. Ronald Winston packte es mit beiden Fäusten.

Knarrend schwang die Küchentür auf.

Sie kam.

Wie eine Puppe ging Mary ruckartig auf Ronald Winston zu.

Der Mann hatte das Beil über den Kopf gehoben. Sein Verstand arbeitete plötzlich wieder klar.

Noch immer hielt Mary die Hände ausgestreckt.

Ronald Winston wusste genau, was er tat. Er war kein Mörder. Mary war tot!

Er schlug zu, und die Schneide des Beils grub sich in den Schädel der Toten!

Winston stolperte zurück.

Aus schreckgeweiteten Augen beobachtete er, was nun geschah.

Die Tote sank mit einem kaum zu beschreibenden Laut zu Boden.

Ihre Augen wurden auf einmal übergroß. Fast flehend sahen sie den Mann an.

Ronald Winston zitterte.

Die Tote schrumpfte plötzlich zusammen, löste sich auf, wurde zu Staub. Verbrannter Geruch lag in der Luft.

Ronald Winston fasste sich an die schweißnasse Stirn. Seine Lippen formten unverständliche Worte. Er konnte nicht begreifen, was er eben gesehen hatte. Nur ein Haufen Asche war von der Toten übrig geblieben.

Ronald Winston torkelte durch die Küche. Er warf das Beil in die Ecke.

In der Tür stand die kleine Jenny.

»Jacky. Er blutet so«, sagte sie stockend und weinte.

Professor Orgow wachte auf wie aus einem Traum. An dem steinernen Tisch zog er sich mühsam hoch. Die schlechte Luft machte ihm auf einmal schwer zu schaffen.

Orgow taumelte.

Nach einigen Minuten hatte er sich wieder erholt. Sein Blick fiel auf den Tisch.

Er war leer!

Mary. Sie war verschwunden.

Professor Orgow zitterte. Er ahnte, dass dieses Verschwinden grauenhafte Folgen haben würde.

Lara! Und wo war Lara, das Medium?

Orgow torkelte in den kleinen Raum. Ein Glück, Lara lag in ihrem Sarkophag. Sie war von selbst wieder hineingeklettert.

Professor Orgow verlor keine Zeit. So schnell es ging, rannte er nach oben.

Als er das Heulen des Windes vernahm, wusste er, dass Mary durch die offenstehende Tür verschwunden war.

In einer ersten, impulsiven Reaktion wollte Orgow nach draußen stürzen. Doch dann überlegte er.

Nein, warum sollte er Mary suchen? Es würde nur Verdacht erregen. Und das war schlecht. Man würde ihm auf die Schliche kommen. Dabei hatte er noch so viel vor. Niemand wusste bisher, dass er es gewesen war, der die Tote aus der Leichenhalle geholt hatte. Und der alte Friedhofswärter konnte nicht mehr reden. Die Polizei würde sich die Köpfe zerbrechen. Aber auf ihn würde niemand kommen. Außerdem war Konstabler Jones, der Dorfpolizist, ein ziemlicher Trottel. Er konnte höchstens einen Hühnerdiebstahl aufklären. Mehr nicht.

Beruhigt schloss Professor Orgow die Eingangstür. Was er jetzt brauchte, war Schlaf. Er musste sich ausruhen, denn große Aufgaben warteten …

»Und das soll ich Ihnen glauben, Mr. Winston?«, fragte Konstabler Jones zweifelnd.

Ronald Winston schluchzte auf. »Es ist die Wahrheit. Wirklich. Ich kann Ihnen nichts anderes sagen. Ich habe meine Frau und meinen Sohn nicht umgebracht. Es war meine tote Tochter. Das schwöre ich, so wahr ich hier stehe.«

Der Konstabler tippte sich an die Stirn. »Ich habe Sie immer für einen normalen Menschen gehalten, Mr. Winston. Aber was Sie mir jetzt unter die Weste jubeln wollen, nimmt Ihnen kein vernünftiger Mensch ab.«

Ronald Winston ließ sich erschöpft auf einen Küchenstuhl sinken. Mit zitternder Hand deutete er auf das Häufchen Asche. »Das ist von meiner Tochter übrig geblieben.«

Konstabler Jones winkte ab. Er hielt sich selbst für einen Realisten, hatte sich immer von den Spinnereien der Dorfbewohner ferngehalten. Für ihn war der Fall klar. Ronald Winston hatte in einem plötzlichen Anfall seine Frau und seinen Sohn erwürgt.

»Sie bleiben vorläufig hier in der Küche«, sagte Konstabler Jones und verließ den Raum.

Winston nickte schwach. Aus dunklen Augen sah er dem Beamten nach.

Die beiden Leichen waren inzwischen weggebracht worden. Man wollte sie bis zum Eintreffen der Mordkommission in dem Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr aufbahren.

Konstabler Jones zündete sich eine selbst gedrehte Zigarette an. Genussvoll sog er den Rauch ein. Je mehr er über den Fall nachdachte, umso unsicherer wurde er. Verdammt, er kannte Ronald Winston schon einige Jahre, und um einen Mord zu begehen, dazu war der Mann bestimmt nicht fähig. Doch wer konnte schon in die Seele eines Menschen blicken?

Trotzdem, eine Chance wollte Jones dem unglücklichen Mann geben. Der Beamte ging wieder zurück in die Küche.

Ronald Winston hockte immer noch wie ein Häufchen Elend auf dem Stuhl. Mit gläsernen Augen starrte er auf die Asche.

»Das war sie«, flüsterte er kaum hörbar. »Das war Mary, meine Tochter. Ich musste sie erschlagen. Mit dem Beil …«

Konstabler Jones bekam eine Gänsehaut bei dem Worten. Unwillkürlich starrte er das schwere Werkzeug in der Ecke an. Aber er entdeckte keine Blutspritzer daran.

Fängst du auch schon an zu spinnen?, dachte er.

Der Beamte gab sich einen Ruck. Er legte seine riesige Pranke auf Winstons Schulter und sagte: »Kommen Sie mit, Winston.«

Ronald Winston hatte seine Worte gar nicht verstanden. »Wo ist Jenny?«

»Sie ist in guter Obhut. Bei Schwester Elisabeth.«

Winston nickte automatisch. »Wie spät ist es?«

»Sechs Uhr morgens.«

»Mein Gott. Schon so spät. Ich muss mich beeilen. Heute ist Marys Beerdigung. Ich …«

Ronald Winston war ganz verwirrt. Der Schock hatte ihn zu sehr getroffen.

Mit einer verzweifelten Geste griff er sich an den Kopf. »Wo ist meine Frau?«

Konstabler Jones atmete tief aus. Dieser Mann hatte den Verstand verloren. Er warf alles durcheinander.

Winston sah den Beamten aus großen Augen an. »Ich habe meine Frau nicht umgebracht, nein. Ich war es nicht. Sie müssen mir glauben.«

Jones wischte sich den Schweiß von der Stirn. Teufel noch mal, das war eine verfluchte Situation. »Bitte, kommen Sie mit, Mr. Winston.«

»Wohin denn?«

»Zum Friedhof. Dort können wir ja sehen, ob Sie recht haben.«

»Wieso?«

»Das erkläre ich Ihnen dann.«

Eine Minute später traten die beiden Männer hinaus in die kühle Morgenluft. Im Osten wurde es allmählich hell.

Neugierige Dorfbewohner hatten sich vor Winstons Haus versammelt. Das Geschehen hatte sich in Windeseile herumgesprochen. Kalte, mitleidlose Augen starrten Ronald Winston an. Ein Mann spuckte ihm vor die Füße und sagte: »Mörder!«

Winston zuckte zusammen.

Konstabler Jones stellte sich breibeinig vor die schweigende Menge. Er wurde in diesem Dorf geachtet. Mit seinem quadratischen Schädel, dem wilden Blondhaar, dem sichelförmigen Schnurrbart und seiner gewaltigen Leibesfülle wirkte er wie der Prototyp einer Respektsperson. Die Uniform tat ihr Übriges.

»Geht nach Hause, Leute«, rief er mit Stentorstimme. »Hier gibt es nichts zu sehen. Los, verschwindet!«

Und tatsächlich, die Menge löste sich auf.

Konstabler Jones grinste zufrieden. Er wandte sich wieder an Ronald Winston. »Gehen wir.«

Bis zum Friedhof mussten sie etwa zehn Minuten laufen. Ronald Winston sagte während der Zeit kein einziges Wort. Er hatte den Blick gesenkt und schlurfte neben dem Beamten her.

Der Konstabler runzelte die Stirn, als er das offene Friedhofstor betrachtete. Hatte der alte Kinny vergessen abzuschließen? Wahrscheinlich war er wieder einmal betrunken gewesen.

Konstabler Jones zuckte die Achseln und betrat das Friedhofsgelände.

Ronald Winston folgte ihm. Allerdings nur zögernd. Er schien vor irgendetwas Angst zu haben.

»Nun kommen Sie schon, Mr. Winston«, drängte der Beamte. »Ich habe noch zu arbeiten. Schließlich tue ich Ihnen den Gefallen, dass ich überhaupt den weiten Weg mache und nachschaue.«

Die beiden Männer gingen über die schachbrettartig angelegten Wege zwischen den Gräberreihen auf die Leichenhalle zu.

Der Geruch von brackigem Wasser und verfaulten Pflanzen lag in der Luft.

Totengeruch.

Konstabler Jones räusperte sich. Ein unangenehmes Gefühl hatte ihn beschlichen. Mittlerweile war es heller geworden.

Jones’ Augen wurden schmal, als er die im Wind schwingende Tür der Leichenhalle sah.

Da ist was passiert, dachte der Beamte und ging unwillkürlich schneller.

Das Blut stockte ihm in den Adern, als er fast über den toten Kinny stolperte.

»Mein Gott, das ist doch …«

Weiter kam Jones nicht. Ronald Winston, der dem Beamten über die Schulter sah, schrie gellend auf.

Er raste wie irrsinnig an dem Konstabler vorbei und warf sich neben dem Eichensarg auf die Knie. »Sie ist weg«, stammelte er. »Sie ist weg!«

Konstabler Jones kniff die Augen zusammen, um sie an das Dämmerlicht in der Leichenhalle zu gewöhnen. Ein eisiger Finger schien über seinen Rücken zu streichen.

Langsam näherte er sich dem Sarg.

»Tatsächlich«, flüsterte er rau. »Mary ist nicht mehr da.«

Ronald Winston war zusammengebrochen.

Konstabler Jones überwand den Schrecken nur langsam. Minutenlang stand er reglos da.

Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er dachte an ein Rundschreiben, das er vor einigen Tagen bekommen hatte. Darin hatte es geheißen, dass drei Leichen aus den Dörfern der näheren Umgebung gestohlen worden waren. Man hatte sie bisher nicht gefunden. Mary war also die vierte Leiche? Aber wer stahl die Toten? Und was bezweckte dieser Jemand damit? Oder waren es mehrere Personen? Bestimmt hatte der alte Kinny sie überrascht.

Konstabler Jones’ Gesicht wurde nachdenklich. Auf einmal kam ihm die Geschichte, die Winston erzählt hatte, gar nicht mehr so fantastisch vor. Vielleicht hatte er wirklich seine Tochter gesehen …

Jones schüttelte den Kopf. Nein, nein, das war unmöglich. Mary war schließlich tot. Oder hatten die Leichendiebe Winston seine tote Tochter gezeigt, und er war deshalb durchgedreht? Quatsch, auch unwahrscheinlich. Er hätte doch deswegen seine Frau nicht umzubringen brauchen. Jones überlegte hin und her, doch er kam zu keinem Ergebnis.

»Das ist drei Nummern zu hoch für mich«, murmelte er und legte Ronald Winston die Hand auf die Schulter. »Kommen Sie.«

Automatisch stand Winston auf. Mit gesenktem Kopf ging er neben dem Konstabler zurück ins Dorf.

Die Mordkommission kam zwei Stunden später. Die Beamten hörten sich die Geschichte an und taten nur das Nötigste. Am späten Nachmittag waren sie verschwunden.

Konstabler Jones spukte der Fall immer wieder im Kopf herum. Die Beamten hatten Ronald Winston mitgenommen. Einer ihrer Inspektoren sollte ihn verhören.

Konstabler Jones traute der Polizei hier auf dem Lande nicht viel zu. Und deshalb raffte er sich in den späten Abendstunden auf und schrie einen sieben Seiten langen Brief an Scotland Yard …

Vier Leichen verschwunden!

So lautete die Schlagzeile der »Carlisle News«, einem Provinzblättchen mit Boulevardaufmachung.

Ann Baxter, Journalistin aus London und auf Urlaubsfahrt in Schottland, legte die Zeitung kopfschüttelnd auf den Beifahrersitz. Was die Kollegen sich hier oben wieder ausdachten! Die glaubten wohl noch an Gespenster.

Als Ann aus der Ausfahrt der kleinen Tankstelle bog, gab sie Vollgas. Laut röhrte der Motor ihres knallroten MG auf.

Die Landstraße war relativ gut ausgebaut, und Ann konnte ihren Flitzer ordentlich kitzeln.

»Wird Zeit, dass du dir ein Hotel suchst«, murmelte sie im Selbstgespräch und trat das Gaspedal noch fester durch. Der nächste Ort, das wusste sie von der Straßenkarte, hieß Middlesbury. Dort wollte Ann Baxter übernachten.

Die hügelige und waldreiche schottische Landschaft übte einen eigenartigen Reiz auf Ann aus. Sie fühlte sich irgendwie frei, gelöst von der Schwere des Alltags.

Ich werde einen herrlichen Urlaub verbringen, dachte Ann …

Ein Hinweisschild huschte vorbei: Middlesbury – 2 Meilen

Wenig später fuhr der Wagen in die Ortschaft ein. Es war ein gemütliches Nest mit freundlichen Häusern und einer breiten Hauptstraße. Ann Baxter fiel allerdings auf, dass nur wenige Menschen auf der Straße zu sehen waren.

Parkplatznot gab es keine. Ann Baxter stellte ihren roten Flitzer vor einem Gasthaus ab.

»Paddy’s Inn« stand mit roter Farbe über dem Eingang.

Ann wand sich aus dem MG, nahm ihren leichten Koffer, stellte ihn auf den Gehsteig und schloss den Wagen ab.

Während sie sich wieder aufrichtete, schweifte ihr Blick zufällig in Richtung Norden.

Jetzt, kurz vor der Dämmerung, war die Luft besonders klar. Deshalb konnte Ann Baxter auch das düstere Schloss sehen, das hoch oben zwischen den Felsen stand.

Ob es da spukt?, fragte sich Ann und bekam unwillkürlich eine Gänsehaut. Quatsch, schimpfte sie im gleichen Moment und lachte sich selbst aus.

Kopfschüttelnd betrat sie das Gasthaus.

Ann gelangte in einen dunklen Raum, in dem ein langer, blank gescheuerter Holztresen stand und eine Anzahl Tische. Die Stühle waren ebenfalls aus Holz und ungepolstert. Gäste befanden sich keine in der Wirtschaft.

»Hallo«, rief Ann Baxter. »Kundschaft.«

Niemand antwortete.

Ann runzelte die Stirn.

»Ist hier denn niemand?« Diesmal klang ihre Stimme schon lauter.

Schlurfende Schritte näherten sich. Aus einer Tür neben der langen Theke trat ein älterer Mann.

Ann stellte den Koffer auf den Boden und stemmte die Arme in die Hüften. »Das wurde aber auch Zeit, Mister. Sagen Sie, wollen Sie nichts verdienen?«

Der Mann sah sie überrascht an. Er war klein, hatte eine Glatze und dichte, buschige Augenbrauen. Seine Nase wirkte wie eine Knolle.

»Was wollen Sie denn hier?«, fragte er mit nahezu lächerlich hoher Stimme.

Ann Baxter schüttelte den Kopf. »Etwas essen, etwas trinken und übernachten natürlich. Ist das für Sie so ungewöhnlich? Ich denke, das hier ist ein Gasthaus.«

»Sicher«, lächelte der Alte. »Sicher. Entschuldigen Sie, Miss. Aber wir sind es nicht gewohnt, dass Fremde kommen. Und dazu noch eine Frau. Ich werde Ihnen sofort ein Zimmer herrichten lassen.«

»Gut«, sagte Ann. »Doch vorher bringen Sie mir etwas zu trinken. Einen Fruchtsaft, wenn’s geht.«

»Sicher, Miss. Sicher«, dienerte der Wirt.

Ann bekam ihren Fruchtsaft und setzte sich an einen der Tische. Sie bestellte auch noch etwas zu essen. Rührei mit Schinken und Brot.

Die junge Journalistin hatte ihren Platz gut gewählt. Sie saß direkt neben dem Fenster und konnte die Straße beobachten.

Langsam machte sich die Dämmerung breit. Ihre Schatten lagen bereits über dem Dorf.

Ann Baxter wunderte sich immer mehr, dass sie keinen Menschen auf der Straße sah. Es betrat auch kein Gast das Lokal.

»Komisch«, meinte Ann.

»Ihr Essen, Miss.«

Fast unhörbar war der Wirt an Anns Tisch getreten.

Sie dankte mit freundlichem Kopfnicken und ließ es sich schmecken.

Als der Wirt nach einer viertel Stunde abräumen wollte, hielt Ann ihn zurück.

»Sagen Sie, Mister …«

»McDuff. Paddy McDuff.«

»Also, gut, Mr. McDuff. Was ist hier los?«

»Wieso? Ich verstehe Sie nicht, Miss.«

»Ich will mich genauer ausdrücken: Weshalb sieht man hier keine Menschen? Warum sind die Straßen so leer? Und hier in der Gaststube, kein Betrieb. Ich verstehe das nicht.«

»Das werden Sie auch nicht verstehen«, sagte der Wirt hastig und wollte gehen.

»Moment.« Ann fasste den Mann am Jackenärmel. »Ich will das jetzt wissen.«

Der Wirt sah sie nachdenklich an. Dann nahm er Platz. »Gut. Ich werde es Ihnen sagen, Miss … Die Toten sind wieder zurückgekommen.« Den letzten Satz flüsterte er nur noch.

»Was sagen Sie da?«

Das Gesicht des Wirtes verschloss sich. »Ich wusste, dass Sie es nicht glauben würden.«

»Doch, doch. Ich glaube Ihnen ja«, versuchte Ann den Mann zu beschwichtigen. »Aber es kam im Moment zu überraschend für mich. Mich interessiert die Geschichte sogar sehr. Tun Sie mir einen Gefallen, erzählen Sie.«

Die Wandleuchten, die inzwischen brannten, legten dunkle Schatten auf das Gesicht des alten Mannes. Es herrschte fast absolute Stille. Ann Baxter fröstelte plötzlich. Sie fand die Atmosphäre beklemmend.

Der Wirt nickte. »Ich werde Ihnen die Geschichte erzählen, Miss. Aber es ist keine gute Story. Hören Sie zu.«

Und der alte Mann berichtete. Erzählte von der Familie Winston, deren tote Tochter zurückgekommen war und so schrecklich gemordet hatte.

Ann Baxter, der kühlen, realistisch denkenden Journalistin aus London, lief ein Schauer nach dem anderen über den Rücken. Sie hatte schon viele Spukgeschichten gehört, aber wie der alte Mann seine Erzählung brachte, das grenzte schon bald an Wahrheit.

Nach seinen Worten war es einen Augenblick still.

Dann setzte Ann ein etwas verklemmtes Lächeln auf und fragte: »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Mr. McDuff?«

»Doch. Mein voller Ernst, Miss …?«

»Baxter. Ann Baxter. Entschuldigen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe.«

»Es hat sich alles so zugetragen«, fuhr der alte Mann fort. »Und es werden noch mehr Tote kommen. Glauben Sie mir, Miss Baxter.«

Ann wusste nicht, was sie von der Geschichte halten sollte. Sie dachte an die Zeitung, die auf dem Beifahrersitz ihres Wagens lag. Vier Leichen waren verschwunden, hieß es in der Schlagzeile.

Ann war viel zu sehr Reporterin, um sich nicht für diese Geschichte zu interessieren.

»Ich bleibe, Mr. McDuff. Ich nehme das Zimmer für eine Woche.«

Der Wirt nickte. »Ich will mich ja nicht in Ihre Angelegenheiten mischen, Miss Baxter. Aber hängt Ihr Bleiben etwa mit den Geschehnissen zusammen, die hier passiert sind?«

»Genau, Mr. McDuff. Ich möchte diese Toten, die hier herumgeistern sollen, mal kennenlernen.«

Der alte Mann sah Ann Baxter ernst an. »Ich würde an Ihrer Stelle weiterfahren, Miss.«

»Nein, nein, mein Lieber. Das kommt gar nicht infrage. Vielleicht kann ich noch mithelfen, den Mord an dem Friedhofswärter aufzuklären. Ich habe mich schon immer für Kriminalistik interessiert.«

»Sie müssen es wissen, Miss.«

Ann Baxter legte eine Hand auf McDuffs Arm. »Und nun erzählen Sie mir mal, wie ich am besten zu diesem Schloss komme.«

Der Wirt zuckte wie elektrisiert zurück. »Um Gottes willen. Dieses Schloss ist verflucht. Niemand der Dorfbewohner traut sich dort hinauf.«

»Ich wohne ja nicht hier«, lächelte Ann. »Übrigens, wem gehört das Schloss eigentlich?«

Der Wirt rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. »Wir wissen es selbst nicht. Ein Fremder hat das Schloss gekauft. Er ist noch nie zu uns ins Dorf gekommen. Nur einmal im Monat bringt ein Wagen aus der Kreisstadt Lebensmittel hin. Ein paar Leute haben mit dem Fahrer gesprochen. Aber der konnte uns auch nicht viel sagen. Er durfte nur in den Hof fahren und die Sachen abladen. Wir wollen auch gar nicht mehr wissen.«

»Aber ich«, sagte Ann Baxter und erhob sich.

Der Wirt warnte sie noch einmal. »Kehren Sie um, Miss Baxter. Fahren Sie woanders hin. Aber bleiben Sie nicht hier, und stellen Sie keine Nachforschungen an. Es ist in Ihrem eigenen Interesse.«

»Keine Bange, Mr. McDuff. So leicht bin ich nicht einzuschüchtern. Gute Nacht.«

Ann Baxter ging auf ihr Zimmer und legte sich sofort ins Bett. Doch einschlafen konnte sie nicht. Immer wieder spukten ihr die eindringlichen Worte des alten Mannes im Kopf herum …

Scotland Yard!

Eine Polizeiorganisation, in der sich Tradition und Fortschritt paarten.

Wie eine Dolchspitze ragte das neue Gebäude New Scotland Yard in den trüben Himmel.

Inspektor John Sinclair, blond, blauäugig und knapp einsneunzig groß, saß gerade in der Kantine beim Mittagessen, als über den Lautsprecher die Durchsage kam, er solle sich sofort bei seinem Chef melden.

John ließ seufzend sein Roastbeef liegen, zwinkerte der hübschen Serviererin zu und enterte den Fahrstuhl, der ihn in den zehnten Stock brachte.

Superintendent Powell saß wie ein Pavian hinter seinem Schreibtisch und blickte den eintretenden Inspektor durch seine dicken Brillengläser scharf an. Powell litt unter Asthma und verabscheute Alkohol. Solche Menschen musste es auch geben. Trotz allem war er der geborene Taktiker und Organisator.

»Setzen Sie sich und lesen Sie diesen Brief, John«, sagte Powell und reichte dem Inspektor einige eng beschriebene Schreibmaschinenseiten.

John Sinclair las den Brief aufmerksam. Nach etwa zwanzig Minuten legte er die Blätter auf den Schreibtisch.

»Nun?«, fragte Superintendent Powell. »Wie ist Ihre Meinung?«

John grinste etwas verunglückt. »Normalerweise würde ich sagen, dieser Konstabler Jones hat eine etwas zu blühende Fantasie. Aber wie die Dinge liegen – ich meine die verschwundenen Leichen –, muss an der Sache wirklich etwas dran sein.«

»Eben«, erwiderte sein Vorgesetzter. »Sie, John, werden sich mit diesem Fall beschäftigen. Sie sind genau der richtige Mann.«

»Meinen Sie wirklich, dass meine Reise nach Middlesbury Erfolg verspricht, Sir?«

»Ja«, antwortete Powell und erhob sich. »Sie fahren am besten schon heute. Und passen Sie auf, John. Ich habe ein komisches Gefühl. Möchte meinen besten Mann nicht verlieren. Alles Gute!«

Die beiden Männer reichten sich die Hand.

John fuhr zuerst ins Archiv. Dort roch es wie immer nach verstaubten Akten und Bohnerwachs. Konstabler Jones’ Brief hatte er eingesteckt. John las noch einmal den Namen des Schlosses nach, das in dem Schreiben erwähnt wurde.

»Manor Castle«, murmelte der Archivar und kratzte sich an seinem kahlen Hinterkopf. »Werden wir gleich haben.«

Brummend verschwand er im Hintergrund der riesigen Archivhalle. Schon drei Minuten später war er wieder zurück, in der Hand einen Schnellhefter.

Er blies den Staub weg und reichte ihn John. »Ich habe mal reingeguckt. Scheint ein Spukschloss zu sein, Sir«, meinte er und schüttelte sich leicht.

»Ich liebe Geister«, grinste John und verschwand.

In seinem nüchtern eingerichteten Büro sah er den Schnellhefter durch.

Der Inhalt bestand zum Teil aus Zeitungsartikeln und alten Urkunden. Viele der Blätter waren schon vergilbt. Zuerst überflog John die Geschichte des Schlosses nur flüchtig. Doch auf den letzten Seiten wurde es interessant. Dort stand, dass ein gewisser Professor Orgow das Schloss vor zwei Jahren für nur zehntausend Pfund erworben hatte. Orgow kam aus Rumänien, lebte aber schon lange in England und beschäftigte sich, wie es in den Akten hieß, mit wissenschaftlichen Problemen der Magie. Seine Kollegen hielten ihn für einen Spinner und hatten jegliche Verbindung zu ihm abgebrochen. Studenten der Universität, an der er einst seine Vorlesungen gehalten hatte, hatten ihm den Beinamen »der Hexer« gegeben. Er schien bei seinen Forschungen tatsächlich beachtliche Erfolge erzielt zu haben, jedoch waren diese Erfolge nie anerkannt worden. Ja, man hatte ihn sogar ausgelacht. Anscheinend verbittert und von glühendem Hass gegen die Menschen erfüllt, hatte er sich auf das unheimliche Schloss zurückgezogen, die richtige Kulisse für seine geheimnisvollen Experimente. Was er aber dort genau trieb, war aus den Akten nicht zu ersehen.

Nachdenklich klappte Sinclair den Hefter wieder zu. Er hielt diesen Professor Orgow keineswegs für einen so großen Spinner. Ja, er war sogar überzeugt, dass der Beiname »Hexer« bei diesem offensichtlich wahnsinnigen Wissenschaftler durchaus gerechtfertigt war. Wenn der Mann auch ziemlich skurril wirkte, wusste John doch, dass gerade diese Leute unerwartete Fähigkeiten an den Tag legten, mit denen sie ihre Umwelt verblüfften oder sogar in Angst und Schrecken stürzten. Wahrscheinlich war das hier auch der Fall. Alles deutete jedenfalls darauf hin.

John klemmte sich den Hefter unter den Arm, stieg in seinen silbergrauen Bentley, den einzigen Luxus, den er sich leistete, fuhr nach Hause, packte kurzerhand einen Koffer und dampfte eine halbe Stunde später ab in Richtung Norden. Nach Schottland.

Er übernachtete noch zwischendurch und traf am nächsten Morgen in Middlesbury ein.

Das Nest machte einen verschlafenen Eindruck. Ganz im Gegensatz zu der jungen Frau, die John über den Weg lief, als er nach einem Hotel Ausschau hielt.

John stoppte, ließ die Seitenscheibe heruntersurren und erkundigte sich freundlich nach einem Hotel.

Sie runzelte die Stirn, als sie den Bentley sah. »Haben Sie sich nicht verfahren, Mister?«

»Keineswegs«, lächelte John. »Ich möchte hier Urlaub machen.«

»Ein Mann Ihrer Gehaltsklasse fährt doch in den Süden oder fliegt auf die Bahamas. Aber einen Urlaub hier in Schottland …«

»Geschmackssache«, meinte John. »Darf ich denn fragen, warum Sie hier sind, Miss …?«

»Baxter. Ann Baxter«, stellte sie sich vor. »Ich mache hier ebenfalls Urlaub.«

Und plötzlich lachten sie beide.

»Sie können hier in Paddy’s Inn übernachten«, erklärte Ann. »Ich wohne auch dort. Nehmen Sie mich am besten mit. Ich habe meinen Morgenspaziergang gerade beendet und freue mich auf das Frühstück.«

»Aber mit Vergnügen, Miss Baxter«, erwiderte John und öffnete die Wagentür. »Ich heiße übrigens John Sinclair und interessiere mich für alte Schlösser und Burgen. Ich handle praktisch mit diesen Sachen.«

»Also doch nicht auf Urlaub hier«, stellte Ann fest.

»Wie man’s nimmt.«

»Ich bin Reporterin, Mr. Sinclair«, sagte Ann während der kurzen Fahrt zum Hotel. »Ich bin hier, um mal einfach auszuspannen. Ewig die Hetze in den Redaktionen. Das hält auf die Dauer ja kein Pferd aus.«

John lächelte. Er glaubte Ann Baxter nicht. Rein gefühlsmäßig. Sie gehörte einfach nicht zu den Typen, die sich im Urlaub in die Einöde verkriechen.

John stoppte den Bentley vor Paddy’s Inn. Als die beiden ausstiegen, steckten Dorfbewohner, die sich auf der Straße aufhielten, flüsternd die Köpfe zusammen.

John kümmerte sich nicht darum, sondern betrat mit Ann die Gaststube, erledigte bei dem Wirt die Formalitäten und bestellte ebenfalls ein Frühstück.

Sie hatten kaum den ersten Bissen hinuntergeschluckt, als ein Mann keuchend in den Gastraum stürzte.

»Paddy!«, schrie er. »Paddy!«

»Was ist denn, Buck?«, fragte der Wirt brummig.

Der Mann musste erst einmal Atem holen, ehe er weitersprechen konnte.

»Er hat sich erhängt«, japste der Mann.

»Wer?«

»Ronald Winston. Ja, er hat sich in seiner Zelle erhängt, Paddy. Ich sage dir, die Familie Winston ist verflucht.« Die letzten Worte flüsterte der Mann nur noch.

John Sinclair sah, dass Ann Baxter erschauerte. Was wusste sie von dieser Familie Winston?

John ließ das Besteck sinken.

Er wandte sich an die wie erstarrt dasitzende Ann Baxter. »Wer war dieser Ronald Winston?«

»Ein Dorfbewohner.«

John Sinclair sah Ann skeptisch an. »Sie wissen aber gut Bescheid, Miss Baxter. Sie scheinen schon länger hier in der Gegend zu sein.«

Anns Haltung wurde ablehnend. »Wieso interessiert Sie das?«

John lächelte. »Ich habe Sie beobachtet, Miss Baxter. Der Tod dieses Mannes hat Sie sehr getroffen. Sie sind sichtlich zusammengezuckt. Ich frage mich ernstlich, ob Sie hier nur Ihren Urlaub verbringen. Oder ob etwas ganz anderes dahintersteckt.«

»Das bilden Sie sich nur ein«, erwiderte Ann Baxter schnippisch. Sie erhob sich. »Good bye, Mr. Sinclair.«

John wollte sie noch zurückhalten, überlegte es sich aber anders. Buck, der die Todesnachricht überbracht hatte, kippte bereits den dritten Whisky.

John gesellte sich zu ihm an den Tresen. Der Wirt war im Augenblick nicht zu sehen.

»Hier geschehen wohl seltsame Dinge«, sagte John.

Buck nickte heftig. »Das kann man wohl sagen, Mister. Die Dinge sind nicht nur seltsam, sondern unheimlich.«

»Wieso?«

Buck beugte sich vor. »Die Toten kehren zurück«, raunte er.

»Das gibt es doch nicht.«

»Doch. Mary Winston, die vor drei Tagen beerdigt werden sollte, ist zurückgekehrt und hat ihre Mutter und ihren kleinen Bruder ermordet. Und dann noch der alte Friedhofswärter. Ihn haben die Toten in der Leichenhalle umgebracht. Ich habe es von einem Bekannten gehört.«

John schüttelte den Kopf. »Das glaube ich Ihnen nicht.«

»Doch, es waren die Toten. Noch nicht einmal Fingerabdrücke hat die Mordkommission gefunden. Das hat mir Konstabler Jones selbst gesagt.«

»Die Mörder könnten Handschuhe getragen haben.«,

»Nein«, erklärte Buck entschieden. »Es waren die Toten, glauben Sie mir. Der Unheimliche selbst holt sie zurück.«

»Und wer ist dieser Unheimliche?«, fragte John amüsiert.

»Der Professor auf dem Schloss«, flüsterte Buck ängstlich. »Er ist ein Hexer, sagen die Leute. Niemand wagt, sein Schloss zu betreten.«

John lachte laut auf. »Das sind doch Schauermärchen.«

In diesem Augenblick kam der Wirt zurück. Er rief Buck zu, er solle ihm mal im Keller helfen.

John Sinclair ging.

Draußen war es klar. Die Luft roch frisch. Eine fahle Herbstsonne leuchtete am Himmel.

John Sinclair spazierte bis zum Ende des Dorfes. Sein Blick schweifte über das Land und blieb an dem düsteren Schloss oben auf dem Felsen hängen.

Er beobachtete Manor Castle eine ganze Weile. Dann beschloss er, diesem seltsamen Gemäuer in der Nacht einen Besuch abzustatten.

Dann ging er wieder zurück und erkundigte sich bei einem Dorfbewohner nach der Polizeistation.

Seltsamerweise lag das kleine Haus in einer Nebenstraße. Die schwere Eingangstür war offen.

John Sinclair gelangte sofort in das Dienstzimmer. Ein Aktenschrank, ein Bild der Queen, zwei Stühle und ein alter Schreibtisch stellten die Einrichtung dar.

Hinter dem Schreibtisch saß ein Bär von einem Mann, der sich bei Johns Eintritt erhob.

»Ich bin Konstabler Jones«, sagte er. »Was kann ich für Sie tun, Mister …«

»Ich heiße John Sinclair. Inspektor Sinclair, Scotland Yard.«

»Oh.« Der Konstabler nahm unwillkürlich Haltung an.

»Nur keinen Wirbel«, bat John und setzte sich lächelnd auf einen der harten Bürostühle.

Jones nahm ebenfalls wieder Platz.

»Wir haben Ihren Brief erhalten«, begann John, »und ihn mit Interesse gelesen. Deshalb bin ich hier, Konstabler. Ich schlage vor, Sie erzählen mir noch einmal alles ganz genau.«

Konstabler Jones nickte eifrig und begann mit seinem Bericht. John hörte aufmerksam zu. Er unterbrach Jones mit keinem Wort.

Als Jones geendet hatte, nickte John. »Ich hätte noch einige Fragen, Konstabler.«

»Bitte, Sir.«

»Hat die Mordkommission die Asche der Toten untersucht?«

Jones bekam einen roten Kopf.

»Nein«, gab er zu. »Als ich in das Haus zurückkam, um das Beweismaterial zu sichern, war es verschwunden.«

»Wieso?«

»Nachbarn waren aus lauter Neugierde in die Küche eingedrungen«, sagte der Konstabler. »Danach war die Asche weg. Hinterher wollte es keiner gewesen sein.«

»Schade«, sagte John. »Aber weiter. Haben Sie schon die Berichte der Mordkommission aus Carlisle?«

»Nein, Sir. Die Kollegen sagen, sie wären im Moment überlastet. Es ist in letzter Zeit so viel passiert. Außer Mary Winston sind ja noch andere Leichen verschwunden. Und sämtliche Fälle werden von den Kollegen aus Carlisle bearbeitet.«

»Aber diese anderen Leichen sind nicht wieder aufgetaucht«, vermutete John.

»Stimmt. Wir haben wenigstens nichts davon gehört.«

»Sie reden so, als würden Sie selbst an die Rückkehr der Toten glauben«, sagte John.

Der Konstabler rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Fast«, gab er schließlich zu. »Hier geschehen wirklich Dinge, die unbegreiflich sind. Wissen Sie, Sir, ich bin hier groß geworden. Die Bewohner in diesem Landstrich glauben eben an das Übernatürliche.«

»Noch ist nichts bewiesen.«

»Trotzdem, Sir. Ich habe das Gefühl, es wird noch Schreckliches über uns kommen.«

»Bange machen gilt nicht«, sagte John. »Ich werde mir das Schloss auf jeden Fall mal aus der Nähe ansehen. Und zwar heute Nacht.«

Der Konstabler schluckte. »Ist das nicht zu gefährlich? Ich meine … Ich fürchte … Sie könnten in den Tod laufen, Sir.«

»Das ist mein Risiko. Sollte ich jedoch wider Erwarten bis zum nächsten Tag nicht zurück sein, alarmieren Sie Scotland Yard. So, nun hätte ich noch eine andere Frage. Wer ist diese Ann Baxter? Ich habe die Dame vorhin kennengelernt.«

»Sie ist eine Journalistin«, antwortete Jones.

»Das hat sie mir auch gesagt. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass sie hier mehr machen will als nur Urlaub. Der Selbstmord dieses Mr. Winston ist ihr sehr an die Nerven gegangen.«

Der Konstabler zuckte die Achseln. »So genau habe ich mich auch nicht mit der Lady beschäftigt. Sie war mal bei mir und hat sich nach dem Schloss und seinem Besitzer erkundigt. Allerdings ziemlich intensiv, muss ich sagen. Sie hat auch im Dorf herumgefragt, und natürlich werden ihr die Bewohner von den unheimlichen Vorgängen hier in Middlesbury erzählt haben.«

Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür zu der kleinen Polizeistation, und Ann Baxter stürmte in den Raum.

»Konstabler, ich …«

Sie stutzte, als sie John auf dem Stuhl sitzen sah.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie verwundert. »Wegen dieses Mannes wollte ich mit Ihnen sprechen, Konstabler.«