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10 gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 250 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - über 640 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 91 - 100.
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Seitenzahl: 1350
Jason Dark
John Sinclair Großband 10 - Horror-Serie
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Das Satans Schloss thronte auf einem schroffen Felsen hoch über dem malerischen Loire-Tal. Es war keine prunkvoll eingerichtete Residenz, sondern ein spärlich möbliertes, hässliches Geisterschloss mit gigantischen Ausmaßen. Seine grauen Steinmauern wirkten unheimlich und abstoßend. Nur selten wagten sich Menschen in die Nähe dieses Furcht einflößenden Gesteinskolosses. Satans Gesandte konnten deshalb ungehindert ihre Aktionen vorbereiten. Da machte sich John Sinclair auf den Weg, die Herrschaft des Bösen zu brechen.
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen RomanheftausgabeBastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG© 2015 by Bastei Lübbe AG, KölnVerlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian MarzinVerantwortlich für den InhaltE-Book-Produktion:Jouve
ISBN 978-3-8387-2845-2
www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.dewww.bastei.de
Michelle Larane schlug die Augen auf und starrte entsetzt in die unheimliche Dunkelheit. Die Siebzehnjährige wagte nicht, sich zu bewegen.
Da waren sie wieder! Die Stimmen, die die Totenstille zerrissen und raunend den Namen des Mädchens riefen! »Michelle! Michelle! Komm zu uns, Michelle! Komm!« Wie in Trance erhob sie sich und ging ins Freie.
Bleich stand der Mond über dem dunklen Wald, als Michelle auf die Lichtung trat. Im nächsten Moment sah sie die Wesen, die sie gerufen hatten.
Aus ihrem weit aufgerissenen Mund brach ein grauenhafter Schrei!
Pierre Arambon setzte sich kerzengerade auf seiner Luftmatratze auf. Er war schweißgebadet. Ein entsetzlicher Albtraum hatte ihn geweckt, die Vision, seine Freundin Michelle habe grässlich geschrien.
»Michelle?«, fragte der junge Mann mit bebenden Lippen. Er streckte die Hand nach ihr aus, doch der Platz neben ihm auf der Luftmatratze war leer, der Schlafsack zur Seite geschoben. Sein Blick fiel auf den Eingang des Zeltes. Der Reißverschluss war aufgezogen.
»Michelle?«, stammelte Pierre verwirrt. Noch war er schlaftrunken und begriff nicht sofort, was sich in dem Zelt auf der einsamen Waldlichtung abgespielt hatte.
In diesem Moment gellte vor dem Zelt ein Schrei.
Pierre schnellte hoch. Er hatte gar nicht geträumt! Michelle schrie in Todesangst!
Mit einem Satz war Pierre im Freien und sah sich um. Der Mond beschien eine gespenstische Szene. Seine Freundin stand mitten auf der Lichtung, die Arme abwehrend von sich gestreckt, und starrte mit verzerrtem Gesicht auf Nebelstreifen, die langsam auf sie zutrieben.
»He, Chéri!«, rief Pierre Arambon erleichtert. Dem Neunzehnjährigen fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte schon gedacht, es wäre wirklich etwas gesc-+hehen! »Chéri, komm ins Zelt und …«
Der Rest des Satzes blieb ihm im Hals stecken. Ächzend wankte er.
Die Nebelfetzen nahmen Gestalt an. Schauderhafte Wesen krochen auf Michelle zu, Ungeheuer mit glühenden Augen und weit aufgerissenen Mäulern!
Schlagartig fielen Pierre die alten Geschichten über das Schloss ein. Château Brouillard sollte mit einem Fluch beladen sein. Er hatte nie daran geglaubt, doch in diesem Moment erblickte er das Schloss auf dem Hügel über den Baumwipfeln. Es war von einem unheimlichen rötlichen Schein umgeben.
Pierre spürte die Wellen des Bösen, die von diesem alten Gemäuer ausstrahlten. Und er erkannte endlich die tödliche Gefahr, in der seine Freundin schwebte.
Mit einem wilden Aufschrei warf er sich den Bestien entgegen. Er wollte Michelle retten, wollte sie gegen die Angreifer verteidigen, doch aus dem geballten Nebel schoss eine krallenbewehrte Pranke hervor. Sie traf ihn am Kinn.
Der Schlag schleuderte Pierre über die halbe Lichtung. Benommen blieb er liegen. Vergeblich versuchte er, sich wieder hochzustemmen. Seine Finger bohrten sich in den weichen Boden. Er hatte Erde und Grasfetzen im Mund und spuckte sie aus. Sein Atem pfiff aus den Lungen. Jeder Knochen fühlte sich an, als wäre er gebrochen.
Und dort drüben stand Michelle noch immer regungslos, von Grauen und Todesangst gelähmt. Sie konnte nicht einmal weglaufen, als sich von allen Seiten abscheuliche Dämonen auf sie stürzten, packten und zu Boden rissen.
»Nein!«, schrie Pierre Arambon gequält auf. »Lasst sie los!«
Er verlor fast den Verstand, als die Fabelwesen seine Freundin mit ihren scheußlichen Pranken hochrissen. Michelle schwebte jetzt über den deformierten Schädeln mit den glühenden Augen und den geifernden Mäulern. Wie eine aufgebahrte Leiche ruhte sie auf den schleimigen, schuppigen oder mit zottigem Fell bedeckten Händen der Dämonen.
Sie gab kein Lebenszeichen mehr von sich!
Trotz der Schmerzen kam Pierre Arambon auf die Beine. Er war hart im Nehmen, und bei den Fußballspielen am Wochenende mit seinen Vereinskameraden wurde er schon mal kräftig umgesäbelt, ohne dass er vom Platz getragen werden musste.
»Michelle!«, rief er noch einmal und überquerte humpelnd die Lichtung.
Die Dämonen trugen ihr Opfer davon, in den Wald hinein und zum Château Brouillard hinauf, dem roten Leuchten entgegen.
»Pierre!« Michelles Stimme drang schwach zwischen den Bäumen hervor. »Um Himmels willen, Pierre, hilf mir!«
»Ich komme!« Pierre verdoppelte seine Anstrengungen, doch es war vergeblich. Die Schauerwesen waren viel schneller als er, obwohl er den Berg hinaufhetzte, als wäre er bei einem Wettrennen. Er sah eben noch, wie sie durch das Portal in das Schloss glitten. Hinter ihnen schlug das schwere Holztor mit einem dumpfen Poltern zu.
Wie ein Verrückter riss Pierre Arambon an dem Klingelzug, bis sich nach einigen Minuten eine Klappe in dem Tor öffnete. Das hässlichste Gesicht, das Pierre je gesehen hatte, tauchte auf.
»Verschwinde!«, keifte der alte Mann. »Weg hier!«
»Michelle!«, keuchte Pierre. »Sie haben meine Freundin ins Schloss gebracht! Diese … diese Ungeheuer haben sie verschleppt!«
Der Alte stieß ein hohles Kichern aus. »Du hast zu viel Rotwein getrunken, Kleiner!«, rief er mit schriller Stimme. »Geh nach Hause und schlaf deinen Rausch aus! Außer dem Comte und mir ist niemand im Schloss!«
Er schlug die Klappe zu, und diesmal rührte sich nichts mehr im Schloss, als Pierre bis zur völligen Erschöpfung den Klingelzug betätigte.
Das rote Leuchten verschwand, und in dem jungen Mann breitete sich dumpfe Hoffnungslosigkeit aus. Er war bereits überzeugt, dass er Michelle nicht wiedersehen würde.
Die Geister von Château Brouillard hatten sie geholt, und die Geister gaben keines ihrer Opfer her.
Zumindest nicht lebend!
*
»Die Loire-Schlösser habe ich eigentlich anders in Erinnerung«, murmelte Jane Collins, die sich neben mir im Sitz des Bentley räkelte. »Lieblicher, irgendwie freundlicher, nicht so kalt und abweisend.«
Ich warf einen Blick durch die Windschutzscheibe. Jane, die hübscheste Privatdetektivin der Welt mit goldblonden Haaren, hatte wieder einmal recht. Mein silbergrauer Bentley rollte auf einer schmalen, gewundenen Straße durch einen düsteren, fast schwarzen Wald. Die alten Bäume standen zu beiden Seiten der Fahrbahn wie eine undurchdringliche Mauer.
Über allem thronte auf einem schroffen Felsen eine Burg, die wenig mit den prunkvollen Loire-Schlössern gemeinsam hatte. Trotzdem befanden sich Jane und ich im Loire-Tal in Frankreich, und zwar im hochoffiziellen Auftrag von Scotland Yard. Ich, Oberinspektor John Sinclair, wurde von meiner Dienststelle sozusagen an die französische Polizei ausgeliehen.
»Darling«, sagte ich zu Jane und streifte ihr besorgtes Gesicht mit einem schnellen Seitenblick. »Wir sind zu einem Geisterschloss und nicht zu einer Touristenattraktion unterwegs.«
»Erst mal abwarten, was an der Geschichte dran ist«, meinte Jane. » Vorläufig wissen wir nur, dass vor einer Woche ein junges Mädchen aus dieser Gegend verschwunden ist. Und dass ihr Freund behauptet, sie wäre von dämonischen Gestalten nach Château Brouillard verschleppt worden. Weißt du übrigens, dass ›brouillard‹ Nebel heißt?«
»Wie passend«, antwortete ich. Das Schloss hoch oben auf dem Felsen wirkte schon durch seine grauen Steinmauern unheimlich und abweisend. Noch dazu zogen Nebelschlieren um das Bauwerk aus dem vierzehnten Jahrhundert. Es ging zwar schon auf den Abend zu, doch der Augustabend war warm. Nebel durfte es trotz des dichten Waldes eigentlich gar nicht geben.
»Da vorne liegt Nouvatelle.« Jane deutete durch die Windschutzscheibe. Wir rollten soeben einen Hang hinunter. Vor uns lag eine Kleinstadt, die im Gegensatz zu dem Château freundlich und anziehend wirkte. »Wo Suko nur bleibt?«
Ich warf einen Blick in den Rückspiegel, doch mein chinesischer Freund auf seiner Harley war noch nicht zu sehen. »Du weißt doch, dass er seinen Feuerstuhl richtig ausfahren und genießen möchte«, meinte ich beruhigend. »Deshalb haben wir vereinbart, dass wir nicht aneinander kleben. Er wird schon kommen.«
Suko war ein leidenschaftlicher und ausgezeichneter Motorradfahrer. Ihm stieß nicht so leicht etwas zu. Es gab wirklich keinen Grund, sich um meinen Freund zu sorgen.
In dem kleinen Gendarmerieposten von Nouvatelle lernten wir Sergeant Frambon kennen, einen vierzigjährigen Mann mit einem schwarzen Schnurrbart, dessen Spitzen das Kinn berührten.
»Nichts Neues im Fall Michelle Larane«, sagte er, nachdem wir uns vorgestellt hatten. Dabei verschlang er Jane mit feurigen Blicken. Auch die übrigen Gendarmen starrten meine Begleiterin an. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. »Monsieur Sinclair, wir vermuten, dass die beiden jungen Leute Streit hatten und dass Michelle weglief. Vielleicht hat sie Pierre Arambon auch sitzen lassen und ist mit einem anderen losgezogen. Sie kennen doch diese jungen Leute von heute.«
»Eigentlich zähle ich mich auch noch zu den jungen Leuten«, bemerkte Jane lächelnd.
Der Sergeant lief rot an. »Pardon, Mademoiselle, ich meinte … ich wollte sagen …«
»Schon gut«, sagte ich grinsend. »Jedenfalls sind wir hier, um die Geschichte zu untersuchen. Wie kamen Sie eigentlich auf mich?«
Sergeant Frambon riss sich zusammen. Jane lenkte ihn sichtlich ab. »Das war die Idee des Grafen, Monsieur l’Inspecteur! Der Comte de Brouillard kannte Ihren Namen und wusste, dass Sie … dass Sie sich mit solchen Dingen beschäftigen.«
Es war klar, dass der Sergeant nicht an schwarze Magie, Dämonen und Sendboten der Hölle glaubte, doch das störte mich nicht.
»Im Yard hat man mir gesagt, dass wir auf dem Schloss wohnen werden«, sagte ich, weil wir hier offenbar nichts mehr erfuhren. »Können Sie mir sagen, wie ich fahren muss?«
»Wollen Sie wirklich mit dem Bentley fahren?« Frambon warf einen ungläubigen Blick aus dem Fenster auf meinen vor dem Gendarmerieposten parkenden Wagen. »Dann seien Sie vorsichtig, Monsieur Sinclair.«
Er beschrieb mir, wie ich die Zufahrt zu dem Schlossberg finden konnte, und blickte uns skeptisch nach.
Fünf Minuten später verstand ich seine Bedenken. Die Straße war aus dem Felsen herausgesprengt, geradeso breit, dass die Reifen noch Platz hatten, und völlig ungesichert.
»An solchen Tagen wünsche ich mir, in London in meinem Bett zu liegen«, stöhnte Jane.
Ich wollte sie beruhigen, obwohl mir der kalte Schweiß ausbrach und ich so vorsichtig Gas gab, als hätte ich ein rohes Ei unter dem Pedal liegen.
»So schlimm ist es doch auch nicht, Darling! Wir haben schon ganz andere Sachen geschafft.«
»Das sagst du so leicht«, erwiderte Jane mit bebender Stimme. »Du sitzt ja auch nicht am Abgrund. Warte auf die Talfahrt, dann wird dir anders.«
Ich warf einen Blick über die Felskante hinaus und schluckte. Tief unter uns erstreckten sich sanfte Hügel und schlängelte sich die Loire durch ihr weltberühmtes Tal.
Eine falsche Bewegung am Steuer, und wir schlossen unsanfte Bekanntschaft mit diesem Tal!
Fünf Minuten später hatten wir es hinter uns. Der Bentley rollte vor dem Portal von Château Brouillard aus.
»Das nächste Mal gehe ich zu Fuß!«, verkündete Jane.
»Willkommen auf Château Brouillard!« , rief eine schrille Stimme hinter uns.
Wir wirbelten herum und standen einem Mann gegenüber, bei dessen Anblick es mir eiskalt den Rücken hinunter lief.
*
Suko genoss es, auf seinem Feuerstuhl über die schnurgeraden, in sanften Wellenlinien auf und ab führenden französischen Chausseen zu jagen. Auf der schweren Maschine wirkte der massige Chinese noch wuchtiger, trug er doch schwarze Lederkluft, bis zu den Knien reichende feste Stiefel und einen ebenfalls schwarzen Sturzhelm, der den ganzen Kopf umschloss. Suko trug diese Ausrüstung nicht nur, weil er sich darin gefiel, sondern weil sie ihm auch auf seinem schnellen Feuerstuhl die nötige Sicherheit bot.
Suko hatte den Anschluss zu meinem Bentley verpasst, weil er einen kurzen Umweg über eine schmale Seitenstraße einschlug, die mitten durch die Hügel und Felder führte. Hier legte er sich tief in die engen Kurven, drehte auf den Geraden auf, dass der Motor unter ihm röhrte, und jagte in die nächste Kurve. Suko wusste, dass er immer noch rechtzeitig nach Château Brouillard gelangte.
Doch es kam anders. Er stutzte, weil für seinen Geschmack die Abenddämmerung zu schnell hereinbrach. Zwar tauchte die Hauptstraße an dieser Stelle in einen urwaldähnlichen, fast schwarzen Forst ein, hinter dem sich der Felsen mit dem Schloss erhob. Trotzdem erlosch das Tageslicht viel zu rasch.
Irritiert schaltete Suko den starken Scheinwerfer seiner Harley ein. Der grelle Lichtkegel stach in die Dunkelheit, doch gleich darauf schien er verschluckt zu werden. Das Licht wurde schwächer und schwächer, sodass Suko das Gefühl hatte, in einen endlosen Tunnel zu rasen.
Nebel!
Der massige Chinese bremste vorsichtig, doch die Maschine jagte weiter. Suko versuchte eine Notbremsung.
Ohne Erfolg!
Schweiß brach ihm aus. Ungebremst donnerte die Harley-Davidson in den Nebel hinein. Da half nicht einmal mehr, dass Suko die Zündung ausschaltete. Die Geschwindigkeit verringerte sich nicht.
Und im nächsten Moment waren sie da! Von allen Seiten sprangen scheußliche Gestalten aus dem Nebel und griffen den Chinesen an, Dämonen, die sich im Schutz der grauen Schlieren herangeschlichen und auf ihr Opfer gelauert hatten.
Ganz flach presste sich Suko auf das Motorrad, dass seine massige Gestalt mit der Maschine verschmolz. Es half ihm nichts.
Hageldicht prasselten die Schläge auf seinen breiten Rücken und seine Schultern. Es hörte sich an, als ginge ein Schauer faustgroßer Steine auf den Sturzhelm nieder.
Es krachte und knallte und dröhnte in dem engen Helm, dass Suko gepeinigt aufschrie. Er glaubte, seine Trommelfelle würden platzen und sein Kopf zerspringen.
Die Schläge betäubten ihn beinahe. Er konnte die Harley nicht mehr halten.
Die kraftvolle Maschine entglitt seiner Kontrolle und schoss seitlich über die Fahrbahn hinaus.
Das Vorderrad grub sich in den weichen, moderigen Waldboden. Das Hinterrad hob ab und drehte sich aufheulend leer durch.
Suko wurde wie von einem bockenden Hengst abgeworfen, flog durch die Luft, wirbelte geistesgegenwärtig herum und prallte auf den federnden Untergrund, wurde herumgeschleudert und überschlug sich mehrmals.
Reglos blieb er liegen, als die Dämonen heranschwebten. Lautlos umringten sie den Ohnmächtigen. Sie warteten, bis Suko sich stöhnend bewegte.
Gerade als sich der massige Chinese aufsetzen und den Helm abnehmen wollte, legten sich kalte, schleimige Hände auf seinen Hals, schoben sich unter den Helm und berührten seine Stirn.
Sein Schrei blieb in der Kehle stekken. Röchelnd sackte Suko auf den Waldboden zurück und lag da wie tot, als sich die Dämonen in Form von Nebelstreifen zurückzogen und auf Château Brouillard zutrieben.
*
Obwohl ich diesen Mann noch nie gesehen hatte, kam er mir so bekannt vor, als wäre er mir schon oft in verschiedenen Gestalten begegnet.
»John«, murmelte Jane und drängte sich näher an mich.
Man sollte Menschen nie nach ihrem Äußeren beurteilen. Trotzdem konnte ich mich nicht gegen das Grauen wehren, das in mir hochstieg.
Nichts schien an diesem offenbar schon uralten Mann zusammenzupassen. Arme und Beine waren verschieden lang, der Kopf war deformiert. Die Stirn floh unmittelbar oberhalb der Augenbrauen flach nach hinten und ging sofort in den kahlen Schädel über. Die zu großen Augen saßen in diesem merkwürdigen Kopf ganz oben und wurden nur durch die Augenbrauen von der Glatze getrennt. Die weißen, fleischigen Lippen schienen sich nicht mehr schließen zu können und gaben den Blick auf schief stehende, überlange Zähne frei.
Der Mann warf kreischend die Arme in die Luft, tanzte auf der Stelle und schrie immer wieder:
»Willkommen auf Château Brouillard! Willkommen …!«
»Schweig, Jacques!«, peitschte eine scharfe Stimme auf den Mann nieder.
Die in Lumpen gehüllte Gestalt zuckte heftig zusammen, wirbelte herum und rannte in grotesken Sprüngen durch das Portal in das Schloss hinein.
»Um Himmels willen, John, wer war das?«, fragte Jane schaudernd.
»Das war mein Diener Jacques«, antwortete an meiner Stelle dieselbe Stimme, die den Alten verscheucht hatte. Im nächsten Moment trat ein sehr gepflegter, grauhaariger Gentleman mit einem energischen, von zahlreichen Falten durchzogenen Gesicht aus dem Schloss.
»Verzeihen Sie den merkwürdigen Empfang«, sagte der Mann in gutem Englisch. »Jacques ist etwas seltsam, aber ich bringe es nicht über das Herz, ihn zu entlassen. Er könnte nirgends hingehen.«
»Comte de Brouillard?« Ich stellte mich und Jane vor. »Wir haben schon mit Sergeant Frambon gesprochen. Dieses Mädchen ist also nicht mehr aufgetaucht?«
Der Comte schüttelte den Kopf. »Leider nein! Frambon ist ein Dummkopf! Er glaubt, dass Michelle durchgebrannt ist. Aber ich glaube Pierre. Er hat behauptet, dass Geister seine Freundin hierher verschleppt haben. Ich studiere seit Jahren die Magie und vor allem die Dämonen in meinem Schloss. Bisher kam es nur zu harmlosen Zwischenfällen, doch nun muss etwas unternommen werden. Ich hatte von Ihnen gehört, Mr. Sinclair, und …«
»Ja, gut, darüber können wir später sprechen.« Ich sah ungeduldig in das Tal hinunter. Von hier oben konnte man die Straße überblicken, auf der wir gekommen waren. Sie blieb leer. »Sie haben dem Yard angeboten, uns auf dem Schloss wohnen zu lassen, Comte?«
»Ich zeige Ihnen sofort Ihre Zimmer«, bot Comte de Brouillard an, doch ich winkte ab.
»Suko müsste eigentlich längst hier sein«, sagte ich zu Jane. »Geh du schon hinein. Ich fahre noch einmal zurück.«
»Mit dem Bentley über diese Straße?« , rief Jane schaudernd.
»Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben«, meinte ich unbehaglich. »Oder haben Sie ein geeigneteres Fahrzeug, Comte?«
»Ich verlasse mein Schloss so gut wie nie, und wenn, dann zu Fuß«, antwortete unser Gastgeber.
Achselzuckend machte ich mich auf die Rückfahrt. Jane winkte mir noch zu, dann musste ich mich ganz auf die Straße konzentrieren.
Jane behielt recht. Diesmal saß ich direkt am Abgrund. Ich bin kein ängstlicher Typ und schlage mich auch mit einem Dutzend Vampiren, wenn es sein muss. Ich hatte auch schon die schlimmsten Situationen durchgestanden. Trotzdem bekam ich auf dieser Fahrt eine Gänsehaut nach der anderen. Nur im Schritttempo ließ ich den Bentley die steil abfallende, ungesicherte Straße hinunterrollen. So ging das nicht auf Dauer. Ich brauchte einen wendigeren Wagen, sonst brachen wir uns noch das Genick.
Zu Jane hatte ich nichts gesagt, aber inzwischen machte ich mir um Suko große Sorgen. Mein chinesischer Freund kam zwar in allen Lebenslagen zurecht, aber unverwundbar war er nicht. Er wusste, dass wir gleich nach unserer Ankunft mit der Arbeit beginnen wollten. Daher konnte ich mir kaum vorstellen, dass er noch eine private Spritztour unternahm. Es musste ihm etwas zugestoßen sein.
Die harmloseste Erklärung wäre eine Panne gewesen. Da wir gegen die Mächte der Hölle kämpften, gab es jedoch zahlreiche nicht so harmlose Gründe für seine Verspätung!
Schweißgebadet erreichte ich das Tal und beschleunigte. Der Motor des Bentley schnurrte unter der Kühlerhaube.
Sonst genoss ich es, diesen Wagen zu fahren. Er war der einzige Luxus, den ich mir leistete. An diesem Abend jedoch trieb mich die Sorge um Suko an. Es wurde bereits dunkel. Ich musste die Scheinwerfer einschalten, als ich in den Wald eintauchte. Die Straße verlief kilometerweit schnurgerade. Suko fuhr bestimmt mit Licht. Dennoch entdeckte ich keinen Scheinwerfer.
Beinahe wäre ich daran vorbeigefahren! Nur für einen Moment blitzte etwas neben der Straße auf. Die Scheinwerfer hatten eine blanke Metallfläche erfasst.
Ich rammte den Fuß auf die Bremse, dass die Reifen quietschend blockierten, fing den schleudernden Bentley auf der nebelfeuchten Straße ab und hebelte den Rückwärtsgang hinein.
Schon im Näherkommen schälten sich die Umrisse des Motorrades aus Gestrüpp und hüfthohen Farnen neben der Straße heraus. Mit einem Satz war ich im Freien und lief zu der umgestürzten Maschine hinüber.
Es war eine Harley.
Sukos Harley!
»Suko!«, schrie ich und legte die Hände als Schalltrichter an den Mund. »Suko!«
Suko … Suko … Suko … hallte es dumpf aus dem Wald zurück.
Plötzlich sah ich meinen Freund. Er lag verkrümmt unter einer der riesigen Fichten und reagierte nicht auf meine Rufe.
Eisige Furcht packte mich.
»Suko«, flüsterte ich und lief los.
*
»Es kommt Ihnen sicher seltsam vor, dass ich mit Jacques allein auf dem Schloss lebe«, sagte Comte de Brouillard mit einem charmanten Lächeln und nahm Jane Collins die Koffer ab.
»Nein, gar nicht«, antwortete sie, obwohl es ihr tatsächlich seltsam vorkam. Das Schloss war viel größer, als es von außen wirkte. Allein der Schlosshof überraschte Jane durch seine Ausmaße.
»Ich bewohne nur ein paar Räume«, fuhr der Comte mit seinen Erklärungen fort, während er die Halle betrat. »Ich bin sehr anspruchslos, weil ich mein Leben der Wissenschaft gewidmet habe.«
»Der Magie?«, fragte Jane und musterte die eisernen Ritterrüstungen, die ringsum an den Wänden aufgestellt waren.
»Der Magie und diesem Schloss, Miss Collins. Es füllt mein Leben aus.«
Die Zimmer, die für Jane und mich bereitgestellt waren, lagen im ersten Stock. Das bezog sich jedoch nur auf den Schlosshof. Als Jane aus dem Fenster blickte, schauderte sie. Direkt unter dem Fenster fiel der Felsen senkrecht ab. Vom Fensterbrett löste sich ein Steinchen. Es fiel und fiel, bis sie es nicht mehr sehen konnte. Jane schluckte.
»Sie wollen sicher allein sein, um sich von der anstrengenden Reise zu erholen, Miss Collins«, sagte Comte de Brouillard galant. »Sobald Mr. Sinclair zurück ist, können wir essen.«
Mit Unbehagen dachte Jane daran, dass der Diener Jacques sicherlich auch kochte und servierte, doch sie nickte dem Schlossherrn lächelnd zu. »Ja, vielen Dank! Ich bin überzeugt, dass wir alle Probleme lösen werden.«
Hinter dem Comte schloss sie ab und überprüfte die Verbindungstür zu meinem Zimmer. Sie war versperrt. Der Schlüssel steckte auf ihrer Seite. Erst jetzt räumte sie die Koffer aus und öffnete den Schrank. Während sie die Kleider aufhängte, ließ sie sich alles durch den Kopf gehen. Sie war ebenso wie Suko bereit gewesen, mich bei diesem Einsatz in Frankreich zu begleiten, obwohl sie und Suko mehr an einen Kurzurlaub glaubten. Bisher gab es keine Anzeichen, dass höllische Mächte am Werk waren.
Jane griff nach einem hellen, geblümten Sommerkleid, als ein Schatten auf den Koffer fiel. Für einen Moment blieb sie wie erstarrt stehen, dann wirbelte sie herum und wich mit einem lauten Aufschrei zurück.
Hinter ihr stand Jacques und grinste sie mit seinem schiefen, unproportionierten Gesicht an. Sein Mund öffnete sich, dass die langen gelben Zähne weit über die Lippen ragten.
Jacques reckte die Arme nach Jane und sprang auf sie zu.
Der erste Schreck war vorbei. Geistesgegenwärtig ließ sich Jane zu Boden fallen, rollte sich ab und kam hinter dem Diener wieder auf die Beine.
Jacques stürzte gegen das Bett, schnellte jedoch für sein Alter überraschend wendig zu Jane herum und schlug mit den ungleich großen Händen durch die Luft. Jane ging langsam rückwärts. Sie konnte in dem entstellten Gesicht nicht lesen. Aber die Augen dieses seltsamen Mannes erschienen ihr plötzlich nicht feindselig.
War alles vielleicht nur ein Missverständnis? Aber wie war er in dieses verschlossene Zimmer gelangt? Er war nicht vor ihr da gewesen!
»Jacques«, sagte Jane und blieb stehen. »Jacques, was wollen Sie von mir?«
Die unzähligen Falten verzogen sich zu einem abstoßenden Grinsen. »Weggehen!« , stieß er hervor. »Beide! Weggehen!«
Jane konnte ihn nichts mehr fragen, weil heftige Schläge an ihrer Tür ertönten.
»Miss Collins!«, schrie der Comte. »Miss Collins! Machen Sie sofort auf! Ist etwas passiert?«
Bestürzt stellte Jane die Veränderung fest, die mit dem alten Diener vor sich ging. Grauen verzerrte sein Gesicht. Er stand wie gelähmt da.
»Moment!«, rief sie und winkte Jacques zu, er solle sich hinter der Tür verstecken. Zitternd schlurfte der Alte in die tote Ecke. Jane schloss auf. »Ich bin nur über etwas erschrocken, Comte«, sagte sie zu dem Schlossherrn, der sie besorgt musterte. »Nicht weiter schlimm, ich …«
Comte de Brouillard betrat an ihr vorbei den Raum. »Ich hörte Ihre Schreie und dachte …!« Als er sich umdrehte, entdeckte er seinen Diener. Zorn flammte in seinen Augen auf. Er schrie Jacques in einer Sprache an, die Jane nicht verstand. Wie ein geprügelter Hund schlich der Diener aus dem Zimmer. »Verzeihen Sie, es wird nicht mehr vorkommen!«, sagte der Comte mühsam beherrscht zu Jane und eilte Jacques nach.
Verwirrt blickte sie den beiden Männern hinterher. Sie wurde aus keinem von ihnen schlau. Und sie wünschte sich, ich wäre schon zurück!
Die Nacht senkte sich bereits auf Château Brouillard und schloss es noch mehr von der Außenwelt ab. Jane kam sich wie der Köder in einer Falle vor. Sie begann zu ahnen, dass es nichts mit dem Urlaub in Frankreich wurde, von dem sie geträumt hatte.
*
»Suko!« Ich beugte mich über meinen Freund und hatte Angst davor, was ich zu sehen bekommen würde. Er musste sich mit dem Motorrad mehrmals überschlagen haben. »Suko!« Ich rüttelte ihn vorsichtig an der Schulter, doch er reagierte nicht.
Behutsam löste ich die Verschlüsse seines Helms und zog ihn über den Kopf herunter. Sukos Augen standen weit offen. Sie waren von Leben erfüllt und genau auf mich gerichtet.
Ich schaltete einen Moment zu spät, als ich den hasserfüllten Ausdruck in ihnen bemerkte. Ich hatte das schon einmal erlebt, als Suko in die Gewalt von Dämonen geraten war, die ihn gezwungen hatten, gegen mich zu kämpfen.
Er stand unter einem magischen Bann! Das hatte nichts mit seinem Unfall zu tun!
Im nächsten Augenblick schossen seine Fäuste wie Dampfhämmer hoch, trafen mich an der Brust und schleuderten mich zurück. Trotzdem war ich erleichtert. Ich hatte schon gefürchtet, er hätte sich das Genick gebrochen.
Suko schnellte wie eine Feder vom Boden hoch. Er setzte mir nach, doch ich ließ mich auf keinen Kampf ein. Wir waren nicht nur miteinander befreundet, sondern er griff mich auch nicht aus freien Stücken an.
Statt mich mit ihm zu schlagen, fasste ich blitzschnell unter mein Hemd und holte das an einer Silberkette hängende Kreuz hervor. Es war meine stärkste Waffe gegen das Böse, ein silbernes Kreuz, an dessen vier Endpunkten die Namen der Erzengel eingraviert waren.
In der hoch erhobenen Hand hielt ich Suko das Kreuz entgegen. Er prallte zurück, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt.
Gespannt wartete ich auf die Wirkung des Kreuzes. Er konnte mich nicht mehr angreifen, das stand schon fest. Ich wollte ihn aber nicht nur in die Flucht schlagen, sondern auch aus dem Bann lösen.
»Suko«, sagte ich leise. »He, Suko, komm zu dir!«
Er blinzelte plötzlich gegen das Licht meiner Scheinwerfer. Bisher hatte es ihn nicht gestört.
»Was ist denn?«, murmelte er. »Wo sind wir hier?« Er schirmte die Augen mit der Hand ab. »Mein Motorrad!«
Mit diesem Schrei sprang er zu seiner Harley, und ich ließ erleichtert das Kreuz wieder sinken. Suko hatte soeben eindeutig bewiesen, dass er wieder er selbst war.
»Wieso ist das passiert, John?«, rief er, wandte sich zu mir um und stutzte. »Wieso hältst du das Kreuz in der Hand? Ist … war wieder …?«
Er stockte, und ich schilderte ihm, wie ich ihn gefunden hatte. »Eigentlich müssten dir alle Knochen schmerzen«, schloss ich. »Du hast dich mit dem Feuerstuhl überschlagen.«
Er schüttelte benommen den Kopf. »Ich erinnere mich an gar nichts, John«, erklärte er. »An überhaupt nichts. Ich weiß nur noch, dass ich einen Umweg machte, weil ich das Motorrad ausfahren wollte. Danach reißt der Film.«
»Jemand hat dir einen unfreundlichen Empfang bereitet«, sagte ich. »Schwamm drüber! Sehen wir zu, dass wir das Motorrad flott bekommen.«
Doch Suko schüttelte betrübt den Kopf. »Das kann nur ein Mechaniker. Nicht einmal ich schaffe das.«
Ich fühlte ihm nach, wie ihm zu Mute war. Er hing an seiner Maschine noch mehr als ich an meinem Bentley. Wir fuhren nach Nouvatelle zum Gendarmerieposten. Sergeant Frambon versprach, das Motorrad bergen zu lassen. Er hatte Fragen zu dem Unfall, erhielt jedoch keine Antworten. Trotzdem stellte er uns einen geländegängigen Wagen zur Verfügung.
»Warum denn das?«, erkundigte sich Suko, als wir von dem Gendarmerieposten wegfuhren.
»Du wirst schon sehen«, gab ich zurück.
»Ich finde es gar nicht so schlimm«, stellte Suko auf der steilen Straße zum Château hinauf fest.
»Kein Wunder, ich sitze schon wieder auf der Seite des Abgrundes«, antwortete ich und schaffte nur ein mühsames Grinsen. »Der Bentley hat eine Rechtssteuerung, diese Karre hier eine Linkssteuerung.«
»Glück muss man eben haben«, sagte Suko und konnte bereits wieder lachen.
Ich warnte Suko vor Jacques, sodass er mit keiner Wimper zuckte, als uns der Diener das Portal öffnete und sich sofort zurückzog.
»Der Mann kommt mir merkwürdig bekannt vor«, stellte Suko verwirrt fest.
»Das haben Jane und ich auch gefunden«, sagte ich und streckte meiner Freundin die Hände entgegen.
Sie lief mir entgegen und berichtete sofort von dem Zwischenfall mit Jacques. Jane wurde blass, als sie hörte, was Suko zugestoßen war.
»Also hat dieser junge Mann aus Nouvatelle vermutlich die Wahrheit gesagt«, meinte sie seufzend. »Schade, und ich hatte mich auf einen Urlaub gefreut. Der Comte ist übrigens auch der Meinung, dass die Geister des Schlosses für das Verschwinden des Mädchens verantwortlich sind.«
Wir standen auf dem Schlosshof. Ich klopfte Suko auf die Schulter und legte meinen Arm um Jane. »Gehen wir hinein, ich habe Hunger«, forderte ich meine beiden Helfer auf. »Vor morgen früh können wir ohnedies kaum etwas unternehmen!«
Dafür unternahmen unsere Gegner etwas.
Als wir die Halle betraten, fiel hinter uns die massive Holztür krachend zu. Wie von Geisterhand bewegt, schoben sich die schweren eisernen Riegel vor.
Suko und ich sprangen hin und versuchten, sie wieder zu öffnen. Sie rührten sich jedoch nicht, als wären sie einbetoniert.
»John! Suko! Vorsicht!«, schrie Jane gellend.
Wir wirbelten herum. Für einen Moment stockte mir das Blut in den Adern.
Die Ritterrüstungen an den Wänden stiegen von ihren Podesten und griffen uns an.
*
Die erste Attacke der Geister von Château Brouillard!
»Jane, meinen Koffer!«, schrie ich, weil ich hoffte, sie könnte am ehesten die Halle verlassen. Jane stand direkt neben der Treppe, und in ihrer Nähe befand sich keine Ritterrüstung.
Suko und ich gingen in Kampfstellung. Es war ein unheimlicher Anblick, wie sich die leeren Rüstungen in Bewegung setzten. Die Halle war von dem Rasseln und Klappern der hohlen Wehren erfüllt. Jeder Schritt der seelenlosen Angreifer ließ den Boden erbeben.
»Halte dich dicht bei mir, John«, rief Suko mir in dem Lärm zu. »Dann können uns die Biester wenigstens nicht in den Rücken fallen!«
Ich kam zu keiner Antwort, weil das erste Blechding heran war. Aus den Augenwinkeln sah ich noch, wie Jane nach oben hetzte, um meinen Einsatzkoffer zu holen. Dann versetzte ich Suko einen harten Stoß.
Ich warf mich zur Seite, stolperte über Suko, der zu Boden gegangen war, und knallte unsanft auf die Steinplatten. Geistesgegenwärtig rollte ich mich ab.
Der Morgenstern pfiff durch die Luft, dass es in meinen Ohren sauste, und krachte auf die Steinplatten der Halle. Der Boden erzitterte, als zwei Platten zersprangen.
Suko schnellte hoch. Sein Fuß zuckte nach einem Gegner, traf und beulte die Rüstung ein. Der Eisenmann wankte und stolperte ein paar Schritte zurück, ließ sich jedoch nicht abschütteln.
Auch mein Gegner gab nicht auf. Der Schwung des missglückten Schlages trieb ihn zwar an mir vorbei, doch er drehte sich schwankend um und holte erneut aus.
Ich riss die Beretta. aus dem Halfter. Sie war mit geweihten Silberkugeln geladen, doch ich wusste nicht, ob sie gegen diese Angreifer helfen würden.
»Vorsicht, John!«, schrie Suko, packte mich am Arm und wirbelte mich herum.
Neben mir pfiff haarscharf ein schwerer Bihänder vorbei, ein Schwert fast so lang wie ich selbst. Funken sprühten auf, als die Klinge an meiner Stelle den Steinboden traf.
Mit einem Klirrlaut zersprang das Schwert. Die Trümmer flogen davon. Der Angreifer blieb jedoch gefährlich. Das restliche, gezackte Stück der Klinge war eine tödliche Waffe.
Ich riss die Beretta hoch und drückte ab. Die Silberkugel durchschlug die Brustpanzerung, wurde abgebremst und klapperte im Inneren der Rüstung herunter.
Wirkungslos!
»Das Kreuz, John!«, ächzte Suko. Er hielt den eisernen Arm einer leeren Rüstung gepackt und versuchte, ihn herunter zu drücken, damit das Scheusal nicht nach seinem Hals greifen konnte.
Er schaffte es nicht, den eisernen Arm auch nur einen Zoll weit zu bewegen, doch die Nahtstelle an der Schulter brach. Unbeeindruckt warf sich die Rüstung auf meinen Freund. Der zweite Arm schnellte vor.
Ich leerte das Magazin der Beretta in den eisernen Ritter, der Suko mit einem mörderischen Griff packte, und musste im nächsten Moment meinen Standort wechseln, weil mich die Konservendose mit dem Morgenstern angriff.
Trotzdem bekam Suko Luft. Der vereinten Kraft meiner restlichen Silberkugeln war die lädierte Rüstung nicht gewachsen. Klappernd sank sie in sich zusammen und löste sich in ihre Bestandteile auf, die über den Boden rollten.
Die anderen Angreifer trampelten darüber hinweg. Mit Schaudern sah ich, wie die Beinschienen und der Helm plattgetreten wurden. Suko und mir wäre es anstelle dieser Trümmerstücke auch nicht besser ergangen.
Wieder geriet mein Freund in Bedrängnis. Zwei dieser Büchsenmänner nahmen ihn in die Zange. Ihm blieb nur die Flucht in meine Richtung, doch die wurde von einer dritten Rüstung abgeschnitten.
Ich sprang vor und packte das herumliegende Bein der zerstörten Rüstung.
»Achtung!«, schrie ich und steckte die Beinschiene zwischen die stampfenden Eisensäulen des wandelnden Blechmannes.
Sukos Kopf zuckte herum. Er wirbelte nach links, während die Rüstung über das Hindernis stolperte und nach rechts stürzte. Suko entging den zupackenden Händen nur um Haaresbreite.
»Wo bleibt Jane?«, schrie er. »Lange können wir uns nicht mehr halten!«
Auch die zweite gestürzte Rüstung wurde von den anderen zerquetscht und zermalmt. Dennoch blieben zehn Gegner, gegen die wir uns nicht behaupten konnten.
»John!«
Janes Schrei gellte durch die Halle. Sie tauchte oben auf der Treppe auf und hielt meinen Koffer hoch.
»Halt die Ohren steif!«, rief ich Suko zu, entdeckte eine Lücke in der Reihe unserer Gegner und sprang hindurch.
Jane legte den Koffer griffbereit auf die Stufen, sodass ich nur noch mit fliegenden Fingern das Schloss öffnen musste. Trotz der Eile nahm ich mich in acht. Ein falscher Griff, und mein Einsatzkoffer hätte Betäubungsgas versprüht. Ein wirksamer Schutz gegen Unbefugte.
Der Deckel schwang zurück. In den mit rotem Samt ausgeschlagenen Fächern lagen meine Waffen gegen das Böse vor mir.
»Suko!«, schrie ich. Als er zu mir blickte, warf ich ihm die Dämonenpeitsche zu, die wir Myxin, dem Magier, abgenommen hatten.
Suko stieß einen heiseren Kampfschrei aus. Die Peitschenschnüre fuhren aus dem Griff heraus, beschrieben einen Kreis, und mit kraftvollen Schlägen hieb mein Freund auf die Rüstungen ein.
Wo die Schnüre trafen, kräuselte sich Rauch. Das Metall glühte. Endlich schmolz es durch, und die Rüstung zerfiel.
Es ging zu langsam, obwohl es wirkte. Hastig wählte ich meine Waffe. Der silberne Dolch konnte mir nicht helfen, wenn schon die Silberkugeln der Beretta versagten.
Statt dessen griff ich zu der magischen Kreide und zog mein Silberkreuz unter dem Hemd hervor. Bisher war ich in dem Kampfgetümmel nicht dazu gekommen.
Mit beidem ausgerüstet, stürzte ich mich wieder in die Schlacht. Die verbleibenden Rüstungen versuchten, Suko einzukesseln. Immer wieder fuhr seine Hand hoch, zuckte mit der Dämonenpeitsche nieder. Doch bis er die letzte Rüstung auf diese Weise zerstört hätte, wäre er bereits tot gewesen.
Das silberne Kreuz wirkte! Ein Eisenmann direkt vor mir ließ von Suko ab und taumelte zur Seite. Ehe er Zeit hatte, sich umzudrehen und mich anzugreifen, zeichnete ich mit der magischen Kreide auf seinen Rücken ein Symbol der Weißen Magie.
Er stockte, als habe jemand einen Motor abgestellt. Sukos Dämonenpeitsche zerfetzte die lahmgelegte Rüstung.
Schon wandte ich mich dem nächsten Gegner zu. Er war schneller als sein vernichteter Kampfgefährte und schlug nach mir.
Sukos Dämonenpeitsche rettete mich. Die aus magischer Energie bestehenden Schnüre trennten den Arm des Monsters ab. Das magische Symbol, mit der Kreide auf den Helm gemalt, löschte das unheilige Leben aus.
Neben mir klapperte eine leere Rüstung auf den Boden. Überrascht wirbelte ich herum, weil weder Suko noch ich die Bestie angegangen waren.
Jane hatte sich die Gnostische Gemme, diesen grünlich schimmernden Stein mit der sich in den Schwanz beißenden Schlange, aus meinem Koffer genommen und sie der Rüstung in den Rücken gepresst.
»John, fallen lassen!«, schrie Suko.
Ich ließ mich auf die Seite kippen. Janes Eingreifen hatte mich für einen Moment abgelenkt, sodass ich beinahe zwischen den Eisenhänden eines Feindes geendet hätte. Die Pranken prallten aufeinander und die Metallfinger verformten sich. Hätte mein Hals dazwischen gesteckt, hätte ich jetzt keine Sorgen mehr.
Jane kam mir zu Hilfe und vernichtete den Feind mit der Gnostischen Gemme.
Noch während sich dieser Eisenmann auflöste, tauchte hinter Jane wie aus dem Boden gewachsen die Rüstung mit dem Morgenstern auf. In der anderen Hand hielt sie das abgebrochene Schwert, dessen ehemaliger Besitzer inzwischen ausgeschaltet worden war.
»Suko, den Morgenstern!« Ich sprang zur Seite, damit Suko mit den Peitschenschnüren den Eisenhandschuh mit dem Morgenstern abtrennen konnte. Jane fuhr herum, doch ihre Hand mit der Gnostischen Gemme erreichte den Gegner nicht. Hell blitzte die gezackte Bruchkante des Schwertes auf.
Jane wollte ausweichen, stolperte jedoch über ein herumliegendes Trümmerstück. Aus dem Inneren des Helmes erscholl ein schauerlich triumphierendes Lachen.
Noch während Jane stürzte, unterlief ich das Schwert und presste die magische Kreide gegen das kalte Metall. Von der anderen Seite schlug Suko zu.
Ich fühlte, wie unter meiner Hand der Widerstand erlosch. Mit Donnergetöse stürzte der dämonische Gegner auf die Steinplatten.
»Dem ist das Lachen vergangen!«, rief Suko und sah sich mit funkelnden Augen nach weiteren Gegnern um.
Es gab jedoch keine mehr. Die Halle war von zerschlagenen Rüstungen übersät.
Ich konnte es kaum glauben. Als ich Jane auf die Beine half, zählte ich die herumliegenden Helme.
Es waren tatsächlich ein Dutzend. Wir hatten alle Gegner erledigt!
Jane lehnte sich zitternd gegen mich. »Eigentlich wollten wir nur etwas essen«, murmelte sie.
»Um alles in der Welt!« Comte de Brouillard erschien oben auf der Treppe. Sein Gesicht war bleich. »Entsetzlich! Ich konnte Ihnen nicht helfen! Ich war in meinem Zimmer eingeschlossen! Also hat sich die Prophezeiung doch erfüllt!«
»Welche Prophezeiung?«, erkundigte sich Suko und ließ die Schnüre wieder in dem Griff der Peitsche verschwinden.
»Dass die in den Rüstungen hausenden Seelen eines Tages zu einem neuen Leben erwachen werden«, erklärte der Graf. »Ich hätte es nicht für möglich gehalten! Sie haben es jedoch geschafft! Das sind wohl Ihre berühmten Waffen, Monsieur Sinclair!«
Aufgeregt beugte er sich über meinen Koffer und betrachtete mit glänzenden Augen die Waffen in den Fächern.
Ich trat rasch hinzu, ließ Gnostische Gemme und Magische Kreide im Koffer verschwinden und winkte ab, als Suko mir die Dämonenpeitsche zurückgeben wollte.
»Du kannst sie vielleicht noch brauchen«, erwiderte ich und übergab ihm auch meine Ersatzberetta mit der nötigen Munition. Ich selbst lud meine Waffe nach und schob sie in das Halfter zurück. Danach schloss ich rasch den Koffer.
Ich mochte es nicht, wenn Außenstehende sich zu sehr für meine kostbaren Waffen interessierten, und der Comte war für mich ein Außenstehender, auch wenn er mich gerufen hatte.
»Sie müssen sich nach einer anderen Zierde für Ihre Halle umsehen«, sagte ich trocken. »Aus diesen Rüstungen wird wohl nichts mehr.«
»Wie wäre es mit hübschen Bodenvasen?« , schlug Suko vor. »Aus chinesischem Porzellan. Die sind wenigstens nicht so hart, wenn sie zuschlagen, und die Modelle aus Hongkong kosten nicht besonders viel.«
Comte de Brouillard verzog seinen schmallippigen Mund zu einem säuerlichen Lächeln. Offenbar ging ihm der Verlust der wertvollen Rüstungen nahe.
»Ihren Humor möchte ich haben«, sagte er. »Sie sind soeben einem fürchterlichen Tod entronnen und können noch scherzen!«
»Das kommt nur von unserem leeren Magen«, warf Jane ein.
Der Comte verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und führte uns in das Speisezimmer. Kaum saßen wir an der Tafel, auf der zwei Dutzend Kerzen in silbernen Leuchtern flackerten, als Jacques lautlos auftauchte und servierte. Trotz seiner unförmigen Gestalt tat er es geschickt und rasch.
»Wo haben Sie eigentlich während des Kampfes gesteckt, Jacques?«, fragte ich in meinem besten Französisch, als er mir zur leichten Hühnersuppe Weißwein einschenkte.
Er reagierte nicht. Schon wollte ich meine Frage wiederholen, als der Comte abwinkte.
»Jacques ist taub. Er kann Sie nur verstehen, Monsieur l’Inspecteur, wenn er Sie ansieht.«
»Er liest von den Lippen ab?«, erkundigte sich Jane.
»Sehr richtig!« Der Comte scheuchte seinen Diener mit einer ungeduldigen Handbewegung aus dem Raum. »Ich wünsche Ihnen trotz des peinlichen Zwischenfalls einen guten Appetit!«
»Sie beneiden uns um unseren Humor, Comte«, sagte ich grinsend. »Und ich beneide Sie um Ihre Nerven. Einen solchen Angriff einen peinlichen Zwischenfall zu nennen, dazu gehört schon etwas.«
Comte de Brouillard zuckte nur gelassen die Schultern. »Die alten Prophezeiungen bezeichnen das Wiedererwachen der Rüstungen als den harmlosesten Vorfall in einer Kette nicht enden wollenden Schreckens.«
Suko setzte sein Weinglas hart auf der Tafel ab. »Und wann wird dieser Schrecken enden?«, fragte er heiser.
Comte de Brouillard lächelte abgeklärt. »Wenn sich im Château de Brouillard keine lebende Seele mehr aufhält, Monsieur«, antwortete er. »Mit einem Wort, wenn wir alle tot sind!«
»Mahlzeit«, sagte Jane. »Und Prost!«
*
Das Essen verlief sehr schweigsam. Erstens war es schon elf Uhr nachts, und wir langten wie hungrige Wölfe zu. Und zweitens wich der Comte aus, wenn ich das Gespräch auf die mysteriösen Prophezeiungen brachte. Er berief sich darauf, dass er sie größtenteils nicht verstanden hätte, weil sie in einer ihm unverständlichen Sprache und Schrift abgefasst wären.
»Sie können sie morgen aber gern sehen, Monsieur l’Inspecteur«, bot er an. »Meine Bibliothek steht zu Ihrer Verfügung!«
Mehr war aus dem französischen Schlossherrn nicht herauszubekommen. Ich verzichtete darauf, weiter in ihn zu dringen. Ich machte mir ohnedies am liebsten selbst ein Bild von einem Fall.
Zu unserer Überraschung war das Essen vorzüglich. Im besten französischen Restaurant in London hätten wir nicht besser speisen können. Nicht einmal Sheila Conolly, die eine hervorragende Köchin war, hätte es delikater gekonnt. Und das sollte das Hausfaktotum gemacht haben?
»Dieses Schloss steckt voller Überraschungen«, meinte Jane, als wir zu unseren Zimmern hinaufstiegen.
Suko hatte einen Raum neben unseren beiden bekommen. Es war beruhigend, dass wir alle so dicht beisammen blieben. Notfalls konnten wir einander beistehen. Deshalb schlossen wir auch die Verbindungstüren nicht ab.
Ich suchte in Janes Zimmer nach einer Geheimtür oder einem besonders raffiniert getarnten Versteck, konnte jedoch keine finden.
»Jacques war vermutlich doch schon im Raum, als du hereinkamst«, sagte ich beruhigend zu meiner Freundin. »Ich glaube nicht, dass er dich heute nacht noch einmal stören wird. Und wenn, dann rufst du ganz einfach.«
Jane schlang mir die Arme um den Hals, um mir einen Gutenachtkuss zu geben, und es war kein rein kollegialer Gruß.
Suko räusperte sich. »Dann bin ich ja wohl überflüssig«, sagte er grinsend und zog sich zurück.
»John!« Janes Augen bekamen jenes Glitzern, das ich nur zu gut bei ihr kannte. Ihre Lippen lächelten verführerisch. »Diese alten Schlösser sind so schrecklich kalt. Und unheimlich! Und Jacques schleicht auch überall herum …«
Sie stockte. Die romantische Stimmung, die uns überkommen hatte, barst wie ein zu Boden fallendes Glas. Vor dem Schloss dröhnte ein überdrehter Motor.
Ich lief ans Fenster, doch von hier aus konnte ich nichts sehen, da sich unter mir die schroffe Felswand befand.
»Komm, das sehen wir uns an!«, rief ich Jane zu.
Suko kam auch schon aus seinem Zimmer. Er hatte den Motor ebenfalls gehört. Wir waren gespannt, wer um Mitternacht dem Schloss einen Besuch abstattete.
Vom Korridor aus überblickten wir den freien Raum vor dem Portal. Diese Gegend hielt tatsächlich eine Menge Überraschungen für uns bereit. Auf einem Motorrad saß ein junger Mann. Wir sahen von ihm nur die Silhouette und für einen Moment auch das Gesicht, als er den Kopf drehte.
Weder Jacques noch der Comte kamen ans Tor. Der junge Mann sah sich ratlos nach allen Seiten um, bis sein Blick zu uns herauf fiel. Er zuckte heftig zusammen.
»Sind Sie die Engländer?«, rief er in einem stark gefärbten Französisch, dass ich ihn kaum verstand. »Monsieur Sinclair und seine Freunde?«
»Ist das ein Dialekt!«, murmelte Jane an meiner Seite.
»Ja, wir sind die Engländer!«, rief ich zurück. »Und wer sind Sie?«
Er stellte den Motor ab und schwang sich von seinem Motorrad. »Pierre Arambon!«, antwortete er.
Suko stieß einen überraschten Ruf aus. »Ich öffne das Tor«, sagte er und lief auch schon davon.
Ich hielt mich bereit, um sofort einzugreifen, falls Suko unterwegs attackiert wurde. Es passierte jedoch nichts, und schon eine Minute später war er unten am Tor. Gleich darauf erschien er mit Pierre Arambon bei uns.
Der junge Mann sah elend aus. Groß und sportlich, wirre blonde Haare, aber ein blasses, eingefallenes Gesicht und nervös zuckende Lippen. Ehe ich etwas sagen konnte, streckte er uns bittend die Hand entgegen.
»Sie werden Michelle finden, ja?«, fragte er ängstlich.
Er tat mir leid. Wenn seine Freundin tatsächlich von den Geistern des Château Brouillard verschleppt worden war, sah ich schwarz für das Mädchen. Dann bekam er seine Freundin nicht lebend wieder.
»Wir werden tun, was in unseren Kräften steht«, sagte ich deshalb vorsichtig. »Helfen Sie uns dabei!«
»Ich tue, was Sie verlangen!« Er ließ sich seufzend auf einen Stuhl sinken und stützte das Gesicht in beide Hände. »Ich habe diese scheußlichen Gestalten gesehen! Ich … ich kann sie nicht beschreiben. Grässlich! Ausgeburten der Hölle!«
Ich ließ mir von ihm genau schildern, wie es zu diesem Überfall gekommen war. Viel Licht in den Fall brachte seine Aussage allerdings nicht. Es schien nur sicher zu sein, dass Michelle in das Schloss verschleppt worden war.
»Und Jacques hat behauptet, hier wäre niemand gewesen?«, forschte Jane, als der Junge endlich schwieg.
Pierre nickte verstört. »Ich habe Jacques kein Wort geglaubt. Er muss alles mitbekommen haben. In Nouvatelle haben alle Angst vor diesem unheimlichen Mann.«
»Sagen Sie«, erkundigte ich mich, »sind in den letzten Jahren öfters Menschen aus Nouvatelle oder Umgebung verschwunden?«
Pierre brauchte nicht lange zu überlegen. »Mir ist kein einziger Fall bekannt.«
»Sergeant Frambon ist anderer Meinung als Sie!« Suko klopfte auf den Busch. »Er meint, dass Michelle durchgebrannt sein könnte. Oder dass Sie beide einen Streit hatten und sie daraufhin weglief.«
Pierre machte eine verächtliche Geste. »Der Sergeant ist ein Dummkopf und außerdem nicht gut auf mich zu sprechen. Wir mögen uns nicht. Kein besonderer Grund, aber es ist so.« Er holte tief Luft. »Außerdem – hätte er recht, warum würde ich dann eine so haarsträubende Geschichte erfinden?«
»Vielleicht, um Ihr Gesicht zu wahren«, schlug ich vor. »Damit Sie nicht ausgelacht werden, weil Ihnen Ihr Mädchen davongelaufen ist.«
Pierre zuckte nur die Schultern. »Das hätte ich einfacher haben können, Monsieur Sinclair. Ich hätte eben gesagt, dass ich Michelle aus dem Zelt gejagt habe. Nichts leichter als das. Es gab schließlich keine Zeugen auf der Lichtung.«
»Leuchtet mir ein!« Ich nickte dem jungen Mann zu. »Wir suchen Ihre Freundin, verlassen Sie sich darauf.«
Er sah mich traurig an. »Aber Sie haben nicht viel Hoffnung?«
Ich brachte keine Lüge über die Lippen. »Nein«, sagte ich ehrlich.
Er stand auf. Wie er mit hängenden Schultern zur Tür ging, wirkte er nicht wie ein Neunzehnjähriger, sondern wie ein Neunzigjähriger. Er tat mir leid, aber ich konnte ihm nicht helfen. Und ich bezweifelte, dass es ihn trösten würde, wenn er die Wahrheit über Michelle herausfand.
Er hatte die Tür noch nicht erreicht, als unten vor dem Schloss eine schrille Hupe ertönte.
»He, Pierre, wo steckst du?«, rief eine helle Frauenstimme.
Pierre riss es herum. Er starrte uns aus weit aufgerissenen Augen an.
»Das ist Michelle!«, brüllte er und stürmte aus dem Zimmer.
*
Pierre lief so schnell, dass er einen großen Vorsprung gewann. Ich hetzte hinter ihm her, doch er erreichte vor mir den Innenhof.
»Warten Sie, Pierre!«, schrie ich, aber genauso gut hätte ich mit der Burgmauer sprechen können. Er hatte die Stimme seiner Freundin gehört und kannte kein Halten mehr.
Ein ganzes Stück vor mir erreichte er das Portal, riss die Nebenpforte auf und prallte zurück. Ganz still stand er da, mit hängenden Armen, den Kopf etwas vorgereckt. Irgendetwas in ihm schien zu zerbrechen.
Ich holte ihn ein und blieb ebenfalls stehen. Ich kannte die drei jungen Leute vor dem Schloss nicht, aber ich wusste zumindest, dass das Mädchen Pierres Freundin war.
Nun konnte ich auch seine Betroffenheit verstehen. Das Mädchen saß nämlich auf dem Motorrad eines breitschultrigen Kerls, der Pierre spöttisch angrinste.
»Na, was ist?«, fragte Michelle herausfordernd. »Hat es dir die Sprache verschlagen, Kleiner? Da bin ich wieder!«
Pierre schüttelte nur stumm den Kopf.
»Hab dich nicht so!«, rief der zweite junge Mann, ebenfalls auf einem Motorrad, ebenfalls eine ziemlich verwegene Type. »Nur weil sie mit uns Spaß bekommen hat, brauchst du kein Gesicht bis zum Boden zu ziehen. Oder bist du ein spießiger Opa?«
Michelle lachte schrill zu dem reich geschmacklosen Witz.
Pierre drehte sich hilflos zu mir um. »Das ist nicht Michelle«, murmelte er so leise, dass nur ich ihn hören konnte.
»Nicht?«, flüsterte ich zurück. »Aber vorhin haben Sie doch gesagt …«
Er winkte ab. »Sie ist es, aber so hat sie sich nie benommen. Das ist nicht ihre Art! Das kann sie nicht sein!«
»Wir fahren ins Violon!«, rief Michelle Larane. »Kannst ja auch hinkommen, wenn du willst! Wenn du eingeschnappt bist, geh zum Teufel!«
Die Motoren donnerten los. Die beiden jungen Männer wendeten auf der Stelle und jagten in halsbrecherischem Tempo die schmale, lebensgefährliche Straße in das Tal hinunter.
»Bleiben Sie hier, Pierre!« Ich wollte Pierre Arambon aufhalten, doch er hörte nicht auf mich, schwang sich ebenfalls auf sein Motorrad und raste den Berg hinunter.
Als ich mich umdrehte, standen Jane und Suko neben mir.
»Du solltest den Jungen vielleicht nicht allein lassen, John«, sagte Jane kopfschüttelnd. »Ich glaube, er weiß nicht mehr, was er tut. Das Auftauchen seiner Freundin, noch dazu in Begleitung dieser beiden Typen, hat ihn ordentlich erschüttert.«
»Du hast recht«, stimmte ich zu. »Ich müsste nur noch wissen, was das Violon ist.«
»Eine Diskothek für junge Leute«, ertönte Comte de Brouillards Stimme. Der Graf trat aus dem tiefen Schatten des Hauptgebäudes. »Sie finden es an der Ausfallstraße von Nouvatelle nach Paris. Es hat eine große Leuchtreklame. Sie können es gar nicht verfehlen. Dort trifft sich die Jugend aus einem weiten Umkreis.«
Ich nickte dem Comte zu und bestieg den Geländewagen der Gendarmerie von Nouvatelle.
Auf meinen Einsatzkoffer verzichtete ich, da ich mich nur um die Probleme junger Leute kümmern und Streit schlichten wollte. Erst zu spät sollte ich einsehen, dass es ein Fehler war.
*
Mit dem Geländewagen kam ich nicht so rasch voran wie die Motorräder. Außerdem schienen Pierre, Michelle und die beiden fremden jungen Männer nicht viel vom Leben zu halten. Wenn die Straße eine Kurve machte, konnte ich tief unter mir die Lichter der Maschinen sehen.
Sie jagten wie die Verrückten in die Tiefe. »Wenn ich euer Vater wäre«, murmelte ich. Ich war wütend auf diese Irren. Wie konnte man sein Leben so leichtfertig aufs Spiel setzen?