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10 gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 250 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - über 640 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 11 - 20.
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Seitenzahl: 1433
Jason Dark
John Sinclair Großband 2 - Horror-Serie
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Der Schwarze Tod war erschienen! Er kam als Dämon zur Erde und führte die Kräfte der Hölle an. In jede Gestalt konnte er sich verwandeln und war nicht zu fassen. John Sinclair hatte ihm den Kampf erklärt. Doch der dämonische Zauber ergriff auch ihn. Kann John Sinclair sich aus den Fängen seines Erzfeindes befreien?
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
Es war ein schreckliches Bild!
Aus dem Nebel einer unwirtlichen Landschaft schälte sich eine makabre Gestalt. Sie wuchs von Sekunde zu Sekunde, wurde himmelhoch und verdrängte den feurigen Nebel, der sie umschwebte.
Die Gestalt war ein Dämon. Sie trug eine schwarze, enganliegende Jacke und Hosen in der gleichen Farbe. Aus dem Halsausschnitt ragte ein grässlicher Totenschädel. Pechschwarz und mit riesigen weißen Augen, in denen die Kälte des Pols zu schimmern schien.
Dieser Unheimliche war kein Geringerer als der Schwarze Tod. Mein Erzfeind Nummer eins …
Ich sah das schreckliche Bild, wollte es vor meinen Augen wegwischen. Es ging nicht.
Jetzt öffnete sie ihren Rachen. Weit sah ich hinein, wie in einen Schlund der Hölle. Ein lautloses Lachen schüttelte den Knochenmann. Sein rechter skelettierter Arm fuhr vor, zeigte auf einen Gegenstand, nahm ihn dann in die Höhe und präsentierte ihn meinen Blicken.
Es war ein Sarg!
Mit Buchstaben darauf, die sich zu einem Wort aneinanderreihten, zu einem Namen …
Urplötzlich war das Bild verschwunden. Nichts blieb mehr. Nur eine gähnende schwarze Leere.
Ich erwachte, riss die Augen auf, schnappte nach Luft wie jemand, der im letzten Augenblick dem Tod durch Ertrinken entronnen ist. Mein Herz hämmerte, in meinem Kopf rauschte es. Ich fühlte mich wie nach einem Vollrausch.
Der Albtraum hatte mich fertiggemacht.
Ich drehte den Kopf. Durch das Schlafzimmerfenster sickerte schwacher Lichtschein. Draußen war Vollmond. Die Zeit der Geister, Feen und Dämonen.
Der Druck wollte einfach nicht weichen. Ich drehte mich zur Seite, fühlte unter mir das Bettlaken. Es war nass, durchgeschwitzt. Ich musste im Traum Höllenängste ausgestanden haben.
Ich lag also in meinem Bett. Wo auch sonst? Ich hatte mich früh am Abend niedergelegt. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen. Ich wollte richtig ausschlafen. Und dann kam dieser verdammte Traum.
Der Schwarze Tod war mir erschienen!
Gütiger Himmel, wenn ich daran dachte! Der Schwarze Tod war ein Dämon, ein Abbild des Grauens, ein Magier, ein Teufel – und Asmodis’rechte Hand. Wahrhaftig, die Kräfte der Hölle machten ihre Heerscharen mobil, und der Schwarze Tod führte sie an.
Es war eine Person, die niemand zu fassen bekam. Sie hatte mir den Kampf erklärt. Deutlich erinnerte ich mich an das Haus im Spessart, an dieses Albtraumschloss. Dort war ich ihm zum ersten Mal begegnet, und dort hatte er mir seine Macht bewiesen, hatte mit mir gespielt. Und ich war machtlos, einfach unfähig, ihn zu besiegen.1
Eine bedrückende Vorstellung, die bei mir in Depressionen mündete. Ich wusste, dass etwas Unbeschreibliches auf die Menschheit zukam. Die Frage war nur – was?
Meine Freunde und ich mussten diesen Dämon aufhalten. Aber wie?
Ich stieg aus dem Bett, knipste die Nachttischleuchte an. Der warme Schein beruhigte meine Nerven nicht. Im Gegenteil, ich kam mir unsagbar allein gelassen vor, obwohl Suko, mein chinesischer Freund, nur ein Appartement weiter wohnte. Ich spielte mit dem Gedanken, ihn zu wecken, ließ es aber bleiben. Es reichte, wenn ich aufgerüttelt worden war. Ich wollte Suko nicht um seine verdiente Nachtruhe bringen.
Ich verließ das Schlafzimmer und ging in die kleine Küche. Im Dunkeln zündete ich mir eine Zigarette an, setzte mich neben das Fenster und blies den Rauch gegen die Scheibe. In meinem Mund machte sich ein pelziger Geschmack breit. Ich bekämpfte ihn mit Orangensaft und Eis. Die Würfel klingelten gegeneinander.
Meine Gedanken kehrten immer wieder zu dem Schwarzen Tod zurück. Sein Alter war nicht zu erfassen. Seit Jahrhunderten geisterte er durch die Geschichte, war verantwortlich für Kriege und Seuchen und holte in unserer modernen, technisch hoch entwickelten Welt zu einem neuen, seinem größten Schlag aus.
Ich stäubte die Asche ab und nahm hin und wieder einen Schluck. Meine Blicke glitten durch das Fenster über die Millionenstadt an der Themse hinweg. Ich sah die Lichter der Tower Bridge, den schlanken, angestrahlten Turm von Big Ben und die dunkle Fläche des Hyde Parks, in dem tagsüber das Leben überschäumte.
Sollten all diese Schönheiten dieser Stadt einmal zerstört werden? Sollten die Apokalyptischen Reiter als Sendboten des Teufels über diese Stadt herfallen?
Ich spürte, wie sich der Widerstand in mir regte, wie der alte Kampfeswille emporloderte und aus dem Bürger John Sinclair wieder der Geisterjäger wurde.
Nein, ich würde alles in meiner Macht Stehende versuchen, um diesem grausamen Treiben Einhalt zu gebieten.
Plötzlich wurde meine Gedankenkette unterbrochen. Etwas Seltsames erreichte mein Ohr. Ich konzentrierte mich, doch die Töne blieben.
Ja, es war Musik, was ich vernahm.
Geigenspiel …
Schmelzend, schluchzend, weinend. Von unsagbarem Leid erzählte die Melodie. Im nächsten Augenblick verbreitete sie himmelhochjauchzende Freude. Phantastisch gespielt, wunderbar anzuhören. Der Geiger musste ein Meister seines Fachs sein.
Ich begann, mich auf das Spiel zu konzentrieren, und versuchte, den unbekannten Künstler zu lokalisieren. Es gelang mir nicht. Das Geigenspiel schien von überallher zu kommen. Von oben, von unten, von links, von rechts.
Ich lauschte. Das Spiel war von einer dämonischen Faszination. Es nahm mich gefangen, zog mich in seinen Bann, wie vor wenigen Stunden noch der Traum.
Traum?
Abermals dachte ich an den Schwarzen Tod und erinnerte mich, dass er jede beliebige Gestalt annehmen konnte. Warum nicht die eines Geigenspielers?
Unsinn – jetzt sah ich wirklich schon Gespenster. Nein, der Virtuose musste irgendwo im Haus sitzen und spielen.
Aber zu dieser Stunde?
Ich lauschte weiter der Melodie. Er spielte ein Stück, das ich nicht kannte. Irgendetwas Klassisches vermutlich.
Die Minuten verrannen, während ich entzückt dem Geigenspiel lauschte. Es drang in meine Seele ein, schien sie aus dem Körper lösen zu wollen, um mit ihr in die Unendlichkeit zu entfliehen.
Ich vergaß die Umwelt, die Wohnung, meinen Traum. Ich vergaß mich selbst.
Es war ein Fehler.
Ich achtete nicht auf die beiden roten Punkte am nachtschwarzen Himmel, die rasend schnell näher kamen, immer größer wurden und plötzlich dicht vor dem Fenster schwebten.
Mein Blick fraß sich in die glühenden Augen. Ich sah die schillernde rote Farbe, die mich an Blut erinnerte.
Blut …
Da spürte ich die Gefahr. Mein tausendfach geschulter Instinkt ließ mich handeln.
Ich warf mich vom Stuhl.
Im gleichen Atemzug noch zersplitterte über mir die Fensterscheibe. Es gab ein klirrendes Geräusch, als das Thermophenglas zerknallte. Die Scherben wirbelten über mich hinweg ins Zimmer, und ihnen folgte ein Untier.
Ich hörte Flügelschlagen, vernahm ein krächzendes Geräusch, das mir durch Mark und Bein drang und schlug mit den Armen um mich.
Ich traf etwas Weiches, Nachgiebiges, bekam einigermaßen Luft, sprang hoch und kam auf die Füße.
Meine Hand schlug auf den Lichtschalter. Die Helligkeit blendete mich im ersten Moment, ich sah aber, was mich angegriffen hatte.
Eine Eule!
Eine riesige Eule mit blutroten Augen und einem langen, gekrümmten Schnabel. Ihre beiden Schwingen reichten von einer Wand zur anderen.
Die Eule hockte auf dem Tisch. Das Glas war zu Boden gefallen und zerbrochen. Der Orangensaft hatte eine gelblich schimmernde Lache unter dem Stuhl gebildet.
Ich kam nicht mehr dazu, die Flucht zu ergreifen und meine Waffe zu holen, denn die Eule griff an.
Sie war schnell wie der Blitz.
Gerade noch gelang es mir, die Arme hochzureißen und mein Gesicht zu schützen, da hackten die Krallen schon gegen meine Brust.
Ich kämpfte verbissen, bekam den Hals des Tieres zu packen, drehte ihn herum, und schaffte es, die Eule wegzustoßen und zu Boden zu schmettern.
Sie flatterte wild mit den Flügeln. Federn flogen wie Schneeflocken umher, doch verletzt war sie nicht.
In Bruchteilen von Sekunden wurde mir bewusst, dass ich es hier nicht mit einem normalen Tier zu tun hatte. Nein, diese Bluteule war ein Dämon.
Ein Dämon, der mich töten wollte.
Ich sprang zur Tür, riss sie wuchtig auf und stürzte in die kleine Diele. Noch im Fallen drosch ich die Tür mit dem rechten Fuß wieder zu. Ein klatschendes Geräusch zeigte mir an, dass die Eule gegen das Holz geprallt war.
Ich durfte keine Sekunde mehr verlieren, jagte in den Living-room, riss dort die Schublade einer kleinen Kommode auf und hielt im nächsten Atemzug meine Beretta in der Hand.
Die Pistole war mit geweihten Silberkugeln geladen, eine Waffe, die für fast jeden Dämon tödlich wirkte. Wenigstens für Horrorwesen der unteren und mittleren Kategorie.
Die Bluteule tobte in der Küche. Ein hartes, pochendes Geräusch war zu hören, als sie mit ihrem Schnabel gegen die Tür hämmerte. Dieses verdammte Biest kämpfte verbissen.
Ich auch.
In meiner Wohnung brannte jetzt überall Licht. Auch in der Diele, durch die ich mich zur Küchentür zurückschlich.
Die Eule musste eine ungeheuere Kraft besitzen. Sie hämmerte von innen so stark gegen das Türblatt, dass der Boden erzitterte. Zögernd tastete sich meine linke Hand in Richtung Klinke, während ich in der rechten die Beretta hielt.
Alles musste blitzschnell gehen. Ich durfte mich auf keine Kompromisse einlassen.
Die Tür aufreißen, zielen, schießen, treffen …
Ich griff an, befolgte meinen Vorsatz in der gleichen Reihenfolge. Die Tür ging nach innen auf. Durch meine überraschende Attacke wurde die Eule gegen einen Schrank gedrückt. Ich huschte durch den Türspalt, befand mich im nächsten Augenblick im Rücken des dämonischen Tieres, ließ die rechte Hand mit der Waffe vorschnellen und feuerte.
Trocken bellte die Beretta auf. Ihr Druck jagte die geweihten Silberkugeln aus dem Lauf und in den Körper der Eule. -
Grässlich kreischte sie auf, schlug wild mit den Flügeln, sodass ich zurückweichen musste.
Dumpf klatschte das dämonische Tier zu Boden. Es zuckte ein paar Mal und blieb dann liegen.
Still … tot …
Doch dann geschah etwas Seltsames. Die Eule begann sich zu verwandeln. Die Federn fielen ab, als würde eine unsichtbare Hand sie ausreißen. Die Haut des Tieres kam zum Vorschein. Aus den Poren stieg weißer Dampf zur Decke auf.
Durch die zerborstene Scheibe pfiff der Wind. Die Schwaden wurden in meine Richtung gedrückt, reizten mich zum Husten. Tränen traten in meine Augen, und hätte ich nicht so dicht am Fenster gestanden, wären meine Lungen vielleicht geplatzt.
So aber verflüchtigte sich der Qualm.
Zurück blieb …
Ich stutzte, hielt den Atem an, schüttelte den Kopf, schloss die Augen, öffnete sie wieder, doch das Bild blieb.
Vor mir lag nicht die tote Eule.
Auf dem Boden ruhte – ein junges Mädchen!
*
Ich war mit einem Schritt bei ihr, ging neben ihr in die Knie und fühlte den Puls.
Kein Ausschlag. Nichts. Das Mädchen war tot.
Jetzt kamen die Vorwürfe. Ich hätte sie nicht zu töten brauchen, hätte versuchen müssen, die Eule auf eine andere Art zu besiegen. Aber wer konnte vorher wissen, dass diese mordgierige Eule in Wirklichkeit ein junges Mädchen war?
Seltsam drückend kam mir die Stille in der Wohnung vor. Auch das Geigenspiel war nicht mehr zu hören. Ob es etwas mit dem Tod des Mädchens zu tun hatte?
Fast kam es mir so vor.
Das Girl lag auf der Seite, hatte das rechte Bein angewinkelt. Es war nackt. Ich drehte es behutsam auf den Rücken. Das lange blonde Haar umrahmte das Gesicht wie ein goldenes Vlies. Die Lippen waren halb geöffnet. Die Nase war klein und zierlich. Sie wurde von winzigen Sommersprossen umrahmt. Über den schönen blauen Augen lag jetzt die Starre des Todes.
Dicht unterhalb der linken Brust befanden sich die beiden Einschusslöcher. Kein Tropfen Blut war aus den Wunden gequollen, nicht einmal schwarzes Dämonenblut befand sich in ihrem Körper.
Ich hatte sie noch nie im Leben gesehen. Minutenlang starrte ich auf die Tote und merkte, wie sich eine innere Leere in meinem Körper breitmachte.
Es gibt Typen, denen macht es nichts aus, wenn sie einen anderen Menschen erschossen haben. Ich gehöre nicht dazu.
Irgendwann stand ich auf. Wir hatten Anfang März, und durch das zerbrochene Küchenfenster pfiff ein scharfer Wind. Er bauschte meine Schlafanzugjacke auf und jagte einen kalten Schauer über meinen Rücken. Schon einmal hatte mir ein Glaser eine neue Scheibe in das Küchenfenster einsetzen müssen. Es war schon einige Zeit her, und ich hatte mir damals geschworen, Rollos vor die Scheiben montieren zu lassen. Aber wie das so ist, meistens gerät solch ein Vorsatz dann in Vergessenheit.
Ich ging zurück in mein Schlafzimmer und zog mich an. Dabei ließ ich mir das Geschehen noch einmal durch den Kopf gehen. Ich wusste nicht, was die Mächte der Finsternis mit dem Angriff auf meine Person bezweckten. Eines war jedoch sicher, der geheimnisvolle Schwarze Tod plante eine große Sache.
Ich zog Hose, Rollkragenpullover und Jacke über. Anschließend schlüpfte ich in die Slipper.
Mir fiel Suko ein. Mein chinesischer Kampfgefährte hatte sich nicht gemeldet. Er hatte einen unerhört leichten Schlaf und hätte den Krach der zersplitternden Scheibe hören müssen.
Da stimmte etwas nicht.
Suko besaß einen Schlüssel zu meiner Wohnung, wie ich von seiner. Ich nahm den Zweitschlüssel und lief auf den Flur, der verlassen vor mir lag.
Die halbrunden Lampen an der Decke spendeten trübes Licht.
Mit zitternden Fingern schob ich den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn herum.
Ich stürmte in die Wohnung.
»Suko,?«
Keine Antwort. Alles war ruhig. Ich machte Licht, wandte mich nach links, dem Schlafzimmer zu.
Ich stieß die Tür auf. Ein Druck auf den Lichtschalter. Es wurde hell.
Tief sog ich den Atem ein. Ich sah den Schrank, den Spiegel an der Wand – und das Bett.
Es war leer.
Von Suko fehlte jede Spur.
Hinter mir ein Geräusch. Ich wirbelte herum, riss die Beretta aus dem Hosenbund und ließ die Waffe gleich wieder sinken.
Vor mir stand Suko. Aber wie sah er aus!
Erschöpft, die Kleidung zerfetzt, das Gesicht geschwollen. Die Haut schillerte grün und blau. Ich sah blutige Stellen an seinem Körper und bemerkte, dass Suko Mühe hatte, Luft zu bekommen.
»Mein Gott, was ist geschehen?«
Suko wankte. Er biss die Zähne aufeinander, hielt sich am Türrahmen fest.
Ich stützte ihn. »Rede. Was war los?«
Sukos Atem pfiff. »Gib mir erst einen Schluck Wasser.« Seine Stimme war kaum zu verstehen.
Ich führte den Chinesen in den Living-room. Dort ließ Suko sich in einen Korbsessel fallen. Das einzige Möbelstück, dass nicht umgestürzt war. Sonst sah er in dem Raum aus wie auf einem Schlachtfeld.
Suko lief der Schweiß in dicken Tropfen über das Gesicht. Er musste einen mörderischen Kampf hinter sich haben. Ich kannte ihn jetzt lange genug, um zu wissen, dass Suko so leicht nichts umwarf. Wenn er fightete, war er wie ein Wirbelsturm. Und wenn ihm jemand so zusetzte, dann musste der Gegner schon übermächtig sein.
Ich reichte ihm das Wasserglas. Suko trank in langen, gierigen Zügen und sah mich dabei über den Rand des Glases hinweg an.
Auch ich war verletzt. Die Krallen dieser Eule hatten mir vor der Brust die Schlafanzugjacke aufgerissen und dabei auch die Haut nicht verschont. Ich wollte später die brennenden Wunden mit Jod versorgen.
Suko gab mir das Glas zurück. Dann begann er zu berichten. Seine Stimme klang jetzt klarer. »Ich habe geschlafen, bis mich dieses verdammte Geigenspiel aufgeweckt hat. Aber ich konnte nicht aufstehen, John. Etwas hielt mich im Bett fest, würgte meine Kehle. Du kennst mich. Ich bin kein Angsthase, aber da bin ich doch in Panik geraten.«
»Was hat dich gewürgt?«, fragte ich.
Suko – ein Kerl mit der Figur eines Preisringers und keinem Gramm Fett zu viel am Körper – blickte mich ratlos an. »Ich weiß es nicht, John. Ich konnte nur tasten. Das muss eine Schlange oder etwas Ähnliches gewesen sein.«
Mein Blick muss wohl ziemlich ungläubig gewesen sein, denn Suko nickte heftig. »Es war wirklich so ein Ungetüm, John.«
»Aber wie soll es in die Wohnung gekommen sein?«
»Keine Ahnung. Ich war ja nur froh, als ich das verdammte Biest vom Hals hatte. Selten habe ich mich so elend gefühlt, das kannst du mir glauben. Ich dachte, das Ungeheuer bricht mir sämtliche Knochen. Teufel auch.«
»Und in meinem Apartment liegt ein totes Mädchen«, fügte ich Suko den nächsten Schock hinzu.
Diesmal schaute er ungläubig.
Ich begann zu berichten. Beide waren wir der Meinung, dass dieses Geigenspiel etwas mit den unheimlichen Vorgängen zu tun hatte.
»Fragt sich nur, wer hier im Haus Geige spielt«, meinte Suko. »Denn als ich mich befreit hatte, war von dem Untier auch nichts mehr zu sehen. Ich bin danach benommen durch die Wohnung getorkelt. Da kommt was auf uns zu, John.«
Ich lachte bitter. »Wem sagst du das?«
Suko stützte sich hoch. »Und jetzt?«, fragte er.
Ich steuerte Sukos Telefon an. »Ich werde erst einmal zusehen, dass die Leiche aus meiner Wohnung abgeholt wird. Und dann müssen wir uns um diesen Geigenspieler kümmern. Anschließend geben wir den Takt an, nach dem er zu spielen hat.«
Ich war damals noch ziemlich optimistisch. Aber irgendjemand hat mal gesagt, dass Optimisten auch Narren sind. Nur hatte ich daran nicht gedacht …
*
Es gibt Momente, in denen ich mich über meine Sondervollmacht freue. Dieser, vom Innenminister ausgestellte Ausweis, erlaubt es mir, die Bürokratie auszuschalten. Wenn ich es für nötig halte, dass schnell gehandelt werden muss, dann genügt das.
In dieser Nacht hatte ich wieder solch einen Fall. Eine Leiche in meiner Wohnung. Normalerweise würde dieser Umstand einen Fragenkomplex heraufbeschwören, aber bei mir genügte ein Anruf. Die Leiche wurde abgeholt und ins Schauhaus von Scotland Yard zur Obduktion gebracht.
Dann wählte ich eine zweite Nummer.
Powell, der alte Griesgram, schien nachts sein Telefon mit ins Bett zu nehmen, denn er meldete sich schon nach dem zweiten Klingeln. Als er meine Stimme vernahm, klang seine noch wacher. Powell wusste schließlich, dass ich nicht aus lauter Jux mitten in der Nacht anrief.
Ich berichtete in Stichworten.
Powell hörte geduldig zu und sagte dann zum Schluss. »Ich komme. Wir treffen uns im Leichenschauhaus.
Das hatte ich auch vorgehabt. Suko wollte nicht mitfahren. Er blieb in meiner Wohnung und hielt Wache. Man konnte nie wissen, was meine geheimnisvollen Gegner noch alles in petto hatten.
Mit dem Lift sauste ich hinunter in die Tiefgarage. Dort stand in der für mich reservierten Parkbox mein Prunkstück.
Der silbermetallicfarbene Bentley.
Dieser Wagen hatte schon oft den Neid zahlreicher Kollegen hervorgerufen, aber irgendein Hobby muss der Mensch nun mal haben. Und bei mir ist es eben der Bentley.
Menschenleer präsentierte sich die Tiefgarage. Die kahlen Wände warfen meine Schritte als hallendes Echo zurück. Ich setzte mich in meinen Wagen, schnallte mich an, steckte den Zündschlüssel ins Schloss und drehte ihn herum.
Der Motor kam sofort, brummte wie eine zufriedene Katze.
Ich ließ die Scheinwerfer aufleuchten. Die langen Lichtspeere stachen durch das Halbdunkel der Garage.
Da sah ich die Gestalt.
Sie stand etwa drei Schritte vor dem Bentley, etwas seitlich versetzt, trug einen langen Mantel, einen Schlapphut und hatte sich eine Geige gegen den Hals geklemmt. Den Bogen hielt der Geiger in der rechten Hand, hob ihn jetzt an und ließ ihn über die Saiten des Instrumentes streifen.
Im nächsten Augenblick hörte ich das Spiel. Die Töne schwollen an, schienen von unsichtbaren Händen durch die Garage getragen zu werden und schmerzten in meinen Ohren.
Sekundenlang saß ich wie betäubt. Dann schlug ich auf die Halterung des Gurts, ließ ihn hochrollen, klinkte die Tür auf und sprang aus dem Wagen.
Der Geiger spielte noch immer.
Grell und disharmonisch kam mir die Musik vor. Sie stach in meinen Ohren, durchtoste mein Gehirn.
Unter dem Schlapphut sah ich ein weißes Oval, aber keine Nase. Augen und Mund waren ebenfalls nicht zu erkennen.
Ich wollte mich auf den unheimlichen Geiger stürzen, doch ich kam nur bis zum rechten Kotflügel. Plötzlich hatte ich das Gefühl, von einer Wand gestoppt zu werden. Ich warf in einer hilflosen Bewegung die Arme hoch, brach in die Knie und spürte schmerzhaft den harten Beton an meinen Kniescheiben.
Und noch immer spielte der Geiger.
Seine Musik war wilder geworden, noch schrecklicher. Sie schien meinen Schädel sprengen zu wollen.
Der Kopf sank mir auf die Brust. Es bereitete mir unendliche Mühe, den rechten Arm zu heben.
Ich musste unbedingt an meine Waffe kommen.
Meine rechte Hand blieb im Jackettausschnitt hängen. Die Finger waren plötzlich wie gelähmt. Ich brachte die Hand nicht mehr weiter, sosehr ich mich auch anstrengte.
Schweiß lag kalt und wie eine zweite Haut auf meiner Stirn. Keuchend sog ich den Atem ein. Ich ließ die rechte Hand fahren, stützte den Arm auf den kalten Boden. Das Gelenk knickte weg. Flach fiel ich hin. Dicht vor meinen Augen schimmerte eine Öllache.
Mühsam hob ich den Kopf. Diese verdammte Musik machte mich noch halb wahnsinnig. Dann gerieten zwei Schuhspitzen in mein Blickfeld.
Der Geiger kam näher …
Hilflos lag ich auf dem Boden. Er konnte mich zertreten wie einen Wurm. Aber er tat es nicht. Er wechselte sein Spiel. Die schrille, dämonische Melodie wurde überlagert von harmonischen Tönen, die meinen Ohren seltsam guttaten.
Es waren Lockungen, regelrechte Lokkungen, und ich musste ihnen folgen.
Der Geiger entfernte sich. Er ging zurück, Schritt für Schritt.
Ich kroch ihm nach, rutschte über den Boden, wollte nicht, dass die Melodie leiser wurde oder womöglich völlig verklang. Es schien, als hinge an diesem Geigenspiel mein Leben.
Zoll für Zoll kroch ich weiter, glitt durch die Öllache. Sie verschmierte mein Jackett. Ein Knopf sprang ab. Aber was waren das für Nebensächlichkeiten gegenüber dem süßen, verträumten und lockenden Geigenspiel.
Ich musste dem dämonischen Spieler einfach folgen. Es gab nur noch diesen brennenden Wunsch in mir.
Und wenn er mich in die Hölle lockte …
Der Geiger wandte sich nach links. Schattenhaft sah ich seine Gestalt, blickte wie durch einen Schleier. Er ging den breiten Gang zwischen den parkenden Wagen hinunter und näherte sich der Auffahrtsrampe.
Oh wie herrlich lebendig war diese Musik. Sie lullte mich ein, war mir ganz nah …
Aber da hörte ich ein anderes Geräusch.
Ein Brummen. Es störte das Spiel, drang in meine Gehirnzellen ein. Ich verfluchte diese fremden Töne, die immer lauter statt leiser wurden.
Etwas kreischte.
Reifen …?
Helligkeit! Blendend, grausam. Meine Augen schmerzten. Etwas raste auf mich und den Geiger zu. Ein Ungeheuer – ein Wagen.
Dröhnend hallte ein Hupsignal durch die Garage. Sonnen explodierten vor meinen Augen.
Quietschen, Kreischen – Stille!
Vorbei. Aus.
Doch ich lebte. Ich hörte meinen Atem und ein dumpfes sattes Geräusch, das entsteht, wenn eine Autotür zugeschlagen wird.
Schritte. Dann eine Stimme. Wütend, aber auch erleichtert zugleich. »Sind Sie wahnsinnig? Kriechen hier auf dem Boden herum! Beinahe hätte ich Sie überfahren!«
Ich hob den Blick. Sah eine braune Hose, mit scharf gebügelten Falten. Jemand zog mich an der Schulter herum. »Nein, betrunken sind Sie nicht.«
Doch! Ich war betrunken. Trunken von dem Geigenspiel, das immer noch in meinem Kopf nachhallte.
Aber wo war der Spieler?
Ich versuchte, mich hochzustemmen. Es gelang mir nur unvollkommen. Ich fühlte mich zerschlagen, wie durch den Wolf gedreht. Der unbekannte Autofahrer half mir. Dicht vor meinen Augen sah ich die breiten Gummistoßstange eines Volvos. Mein Gott, das war verflixt knapp gewesen. Der Fahrer hatte wirklich erst im letzten Augenblick bremsen können.
Ich lehnte mich an den Kühlergrill. Tief holte ich Luft. Sie schmeckte nach Abgasen und Öl. »Den Geigenspieler!«, krächzte ich, »haben Sie den Geigenspieler nicht gesehen?«
Der Mann schüttelte den Kopf. Er sah mich an, als hätte er einen Irren vor sich. Ich an seiner Stelle hätte sicherlich nicht anders gehandelt.
»Von wem sprechen Sie, Mister?«
Ich winkte ab. »Sorry, schon gut.« Mein unbekannter Helfer trug einen nachtblauen Smoking. »Kann ich irgendwas für Sie tun? Wohnen Sie in dem Apartmentblock?«
»Ja.«
»Soll ich Sie in Ihre Wohnung begleiten?«
»Nein, danke. Es geht schon. Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, Mister. Wenn Sie nicht so rasch reagiert hätten …« Ich ließ die letzten Worte unausgesprochen.
»Sie haben auch gar nichts gehört«, erwiderte er. »Sie lagen auf dem Boden wie tot. Aber was erzählten Sie von diesem Geigenspieler? Gesehen habe ich keinen.«
Ich winkte ab. »Vergessen Sie’s. Und vielen Dank noch einmal. Mein Name ist übrigens John Sinclair.«
»Und ich heiße Morton Fanwick. Wenn Sie mal Hilfe brauche, ich wohne im vierten Stock. Stehe jederzeit zu Diensten.«
»Wieso das?«
»Ich bin Privatdetektiv, Spezialist in Sachen Ehescheidung und seit drei Wochen in London. Die ersten heißen Fälle habe ich schon hinter mir.«
»Na, dann viel Glück.«
Fanwick lachte. »Viel Glück ist gut. Das wünsche ich Ihnen. Bei den meisten Menschen fängt es ja mit weißen Mäusen an, aber bei Ihnen mit einem Geigenspieler.«
»Bin eben sehr musikalisch«, erwiderte ich bissig.
Lachend stieg Fanwick in seinen Volvo. Ich konnte ihm seinen Spott gar nicht mal verübeln. Früher hätte ich auch so reagiert, doch seit ich mit dem Übersinnlichen auf Du und Du stehe, hat sich für mich vieles geändert. Ich halte in dieser Welt gar nichts für unmöglich. Dieses Wort habe ich aus meinem Gedächtnis gestrichen.
Noch ziemlich wacklig in den Knien steuerte ich den Fahrstuhl an. Ich fühlte mich wie gerädert.
Suko machte ein Gesicht, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank. »Was ist dir denn passiert?«, fragte er erstaunt. »Hast du den Boden geküsst?«
»So ungefähr.« Ich schloss die Tür und berichtete. Sukos Gesicht wurde immer ernster.
»Verdammt noch mal«, sagte er, »was kommt da noch alles auf uns zu?«
Ich hob die Schultern.
Eine Dusche brachte mich wieder auf Vordermann. Ich wechselte die Kleidung, fuhr hinunter in die Tiefgarage und konnte unbehindert losfahren.
In der Obduktion des Yard erwartete mich Powell mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. »An Zeiten können Sie sich nachts wohl auch nicht halten, wie?«
Ich grinste ihn an. »Sorry, Sir, aber es gab Dinge, die mich aufhielten.« Ich warf einen Blick auf den Arzt neben Powell. »Kann ich Sie allein sprechen, Chef?«
Der Arzt verschwand. Zum zweiten Mal berichtete ich von dem Vorfall in der Tiefgarage. Powells Gesicht wurde käsig. »O verflucht!«, stöhnte er. »Ich habe das Gefühl, Ihre Dämonenfreunde haben zu einem Sturmangriff geblasen.«
Da konnte ich dem Superintendenten nicht gut widersprechen.
»Aber jetzt sehen wir uns erst einmal die Tote an«, schlug ich vor, »vielleicht finden wir irgendeinen Hinweis.«
Der Arzt wurde hinzugerufen.
Es gibt nur wenige Dinge, die ich hasse. Dazu gehören mieses Essen und der Anblick von Schauhäusern oder Obduktionsräumen.
Unser Obduktionraum war modern eingerichtet bis in den letzten Winkel. Trotzdem konnte er den Eindruck des Unheimlichen, des Abstoßenden nicht mildern.
In der Mitte des Raumes hing eine riesige kreisrunde Lampe. Mehrere starke Strahler warfen ihr Licht auf die Bahre mit der Leiche.
»Es ist sehr seltsam«, dozierte der Arzt. »Ich habe schon zahlreiche Leichen untersucht, aber aus diesem jungen Mädchen werde ich einfach nicht schlau. Die Tote ist völlig anders.«
»Blutleer?«, fragte ich.
»Nein!«
»Das verstehe ich nicht.«
»Sehen Sie, Mr. Sinclair.« Er deutete auf die beiden Einschusslöcher. »Es ist kein Blut aus dem Körper gequollen, aber das ging auch nicht. Das Blut dieses Mädchens ist verdickt, sieht aus wie Gelee, eingefroren, was weiß ich noch alles …«
»Haben Sie eine Probe davon untersucht?« Die Frage stellte Superintendent Powell.
»Ja.«
»Und?«
Der Arzt nahm seine Hornbrille ab und putzte gedankenverloren die Gläser. »Die Analyse des Blutes ist völlig normal verlaufen. Die Anzahlen der roten und der weißen Blutkörperchen sind im Verhältnis zueinander so gelagert wie bei einem normalen Menschen. Auch die Prozentzahlen der Spurenelemente und Salze stimmen. Was zu einer Verdickung des Blutes geführt hat, weiß ich nicht. Es ist mir ein Rätsel. Ich habe schon verflixt viel gesehen und erlebt, aber so etwas ist noch nicht vorgekommen.«
Ich rieb mir nachdenklich das Kinn. Superintendent Powell stand neben mir und starrte auf die Tote, als wollte er sie wieder zum Leben erwecken.
»Sie ist aber tot«, murmelte Powell.
Der Arzt nickte heftig. »Vom medizinischen Standpunkt ja. Alle Lebensfunktionen sind eingestellt.«
Von der Seite her blickte ich meinen Vorgesetzten an. Er sah grau aus im Gesicht. Aber vielleicht machte das auch nur das kalte Neonlicht. Die Augen hinter den dicken Brillengläsern wirkten verwaschen. Die Lippen hatte er fest zusammengepresst.
Powell trug ebenso wie ich eine ungeheuere Verantwortung. Nur litt er mehr darunter. Unter Umständen kam es daher, dass er mehr Zeit zum Nachdenken hatte, während ich im direkten Einsatz an der »Front« mir keine großen Gedanken machen konnte.
»Da ist noch etwas Seltsames«, sagte der Arzt. »Wir haben kleine Proben unter den Fingernägeln der Toten weggekratzt und untersucht. Und in dieser Substanz fanden wir Blattgrün oder Chlorophyll, dieses Enzym, das sich auch in den Pflanzen befindet und das mithilft, Zucker in Stärke zu verwandeln.«
Jetzt wusste ich gar nichts mehr. Die Gedanken rotierten nur noch so in meinem Kopf.
Der Teufelsgeiger, der Angriff der Bluteule, die Tote, das verdickte Blut. Und Blattgrün unter den Fingernägeln. Welches Rätsel hatte man uns hier vorgesetzt?
Powell übernahm die Initiative. »Hören Sie zu, Doc«, sagte er. »Sie werden die Tote unter Verschluss halten. Ich will nicht, dass jemand an sie herankommt. Erklären Sie diese Leiche meinetwegen zum Staatsgeheimnis. Nur Oberinspektor Sinclair und ich haben Zutritt.«
»Natürlich, Sir«, entgegnete der Arzt. »Ich werde alles veranlassen. Sie können sich auf mich verlassen.«
»Danke sehr.«
Wir verließen den Raum. Im Flur zündete ich mir eine Zigarette an.
»Wissen Sie schon, wie es weitergehen soll?«, fragte Superintendent Powell.
Ich blies den Rauch gegen die Decke. »Nein«, erwiderte ich offen. »Ich weiß nur eines.«
»Das wäre?«
»Dass ich dem Glaser Bescheid geben muss, damit er eine neue Fensterscheibe einsetzt.«
»Witzbold«, knurrte Powell.
*
Die Party ging nun schon in die sechste Stunde. Und noch immer war die Stimmung großartig. Vielleicht resultierte es auch daher, dass sich die Gesellschaft um das geheizte Hallenbad gruppierte und einige Girls unbedingt textilfrei schwimmen wollten.
Natürlich konnten die Männer sich da nicht lumpen lassen. Dinnerjacketts und Hosen flatterten wie Fahnen zu Boden, und aus den Lautsprechern der Stereoanlage dröhnte der Hit der beiden Spanierinnen: Sorry, I’m a Lady.
Jane Collins beteiligte sich nicht an dem allgemeinen Spektakel. Sie fand es an der Zeit, sich still und heimlich aus dem Staub zu machen. Aber dagegen hatte ihr Schatten etwas. Schatten deshalb, weil der Knabe seit zwei Stunden nicht von der Seite der blondhaarigen, äußerst attraktiven Privatdetektivin wich.
Angeblich war er vom Film. Wer’s glaubte, war selbst schuld. Jane glaubte es nicht.
Sie saß in einem Rohrstuhl am Rand des Pools, hielt ein gefülltes Glas in der Hand und betrachtete amüsiert das Treiben in dem blaugekachelten Schwimmbecken.
»Na, hätten Sie nicht Lust auf eine kleine Abkühlung?«
Da war er wieder, der Schatten. Hatte sich nur eben ein neues Glas geholt. Der Wodka-Orange schwappte fast über. Der Knabe beugte sich vor, und sein alkoholisierter Atem streifte Janes Gesicht.
Der Mann hieß Mark. Mark Ranger. Ein Name für die Leinwand. Und er sah unverschämt gut aus. Braungebrannt. Schwarzes, modisch geschnittenes Haar, herrliche Zähne, schmale Lippen und dunkelblaue Augen. Selten bei einem Mann. Die weiße Smokingjacke saß wie angegossen. Er schien damit auf die Welt gekommen zu sein.
Mark Ranger, der Frauenheld, Liebling aller Betthäschen.
Jane Collins war kein Betthäschen, sondern Londons beste Privatdetektivin. Äußerst erfolgreich in ihrem Job, allem Neuen aufgeschlossen – und John Sinclairs beste Freundin. Sie hatte Seite an Seite mit dem Geisterjäger gekämpft und wusste genau wie John, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gab, als mancher dachte.
Zu dieser Party war sie durch Zufall gekommen. Sie hatte dem Gastgeber in einer Erpressungssache geholfen. Mr. Holleroy, ein Strumpffabrikant, war von seinem eigenen Sohn erpresst worden. Jane hatte das schnell herausbekommen. Sie bekam nicht nur einen gut gefütterten Scheck, sondern auch eine Einladung zu Holleroys Party. Jane hatte sie angenommen und traf auf Mark Ranger.
Der wollte sie unbedingt noch ins Bett bekommen.
Er hatte mit Jane getanzt, geflirtet und alle Register gezogen. Jane blieb hart. Und langsam machte ihr das Spiel Spaß. Sie wollte den Knaben noch ein bisschen hinhalten, reizen.
Was ihr beileibe nicht schwerfiel. Jane Collins gehörte zu den Frauen, die auch bei siebzigjährigen Männern noch Herzklopfen auslösten. Sie hatte eine Figur, an der alles stimmte. Sowohl oben als auch unten. Dazu fiel das lange ährenfarbene Haar bis auf die Schultern, der weich geschwungene Mund, die herrlichen Augen, und das Lächeln, das jeden in seinen Bann zog, falls er nicht aus Stein war.
Mark Ranger war schon längst geschmolzen. Er setzte sich neben Jane auf einen kleinen gepolsterten Hocker, nahm einen Schluck und wiederholte seine Frage.
Die Detektivin wandte ihm ihr Gesicht zu. »Ach wissen Sie, Mark, ich bin gar nicht so heiß, dass ich eine Abkühlung benötige.«
Ranger verdrehte die Augen. »Aber ich …«
Jetzt ritt Jane Collins der Teufel. Sie stand auf, zog auch Mark Ranger hoch, der sich schon etwas ausrechnete, und dann gab Jane ihm einen kleinen Stoß.
Die Wirkung war im wahrsten Sinne des Wortes einschlagend.
Mark Ranger verlor das Gleichgewicht, ruderte noch mit den Armen, übergoss sich dabei selbst mit Wodka und klatschte in den Pool.
Die Szene war nicht unbeobachtet geblieben. Die Gesellschaft im Wasser hatte Marks Sprung mit großem Hallo verfolgt. Sofort schwammen drei Girls auf ihn zu, hinderten ihn daran, den Rand des Pools zu erreichen.
Mark tauchte unter, kam prustend wieder hoch, doch die Puppen blieben an ihm. Im Wasser begannen sie an seiner Kleidung zu zerren und zogen ihn kurzerhand aus.
Jane Collins stand am Rand des Bekkens und lachte. Jetzt war der gute Mark erst einmal beschäftigt. Drei Girls waren ein bisschen viel, auch für ihn.
Mr. Holleroy schlenderte auf Jane zu. »Dem haben Sie es aber gegeben«, meinte er grinsend. »Und dabei denkt er immer, er ist unwiderstehlich.«
Die Detektivin lachte silberhell. »Manchmal kann man sich täuschen.« Sie schaute in den Pool. Mark Ranger trug nur noch seine Unterhose. Und auch daran begannen die Mädchenhände zu zerren.
»Woher kennen Sie Mr. Ranger eigentlich?« , fragte Jane.
Holleroy lächelte schief. »Er ist mein Prokurist. Verkaufsleiter in unserer Firma. Bei seinem Aussehen bringt der die Strumpfhosen an den Mann oder die Frau wie immer er es will. Ranger ist Spitze.«
»Und bekommt sicherlich ein Spitzengehalt«, vermutete Jane.
»Worauf Sie sich verlassen können, Miss Collins.«
Mark Ranger war nicht nur ein Frauenheld, sondern auch ein guter Schwimmer. Er tauchte unter den »angreifenden« Girls hinweg, drückte einen der männlichen Partygäste unter Wasser und erreichte mit zwei kräftigen Schwimmstößen den Rand. Schwungvoll zog er sich hoch.
Mark Ranger und Jane Collins waren durch die Länge des Pools getrennt. Der Blick, mit dem Ranger die Detektivin bedachte, sprach Bände.
Holleroy lachte. »Der gute Mark ist nicht mehr gut auf Sie zu sprechen«, bemerkte er.
Jane hob die Schultern und leerte ihr Glas. »Ich kann nun mal die unwiderstehlichen Typen nicht ausstehen. Für mich wird es aber auch Zeit, Mr. Holleroy.«
»Jetzt geht es doch erst richtig los«, protestierte der Fabrikant. Er war ein Mann von sechzig Jahren, etwas untersetzt und trug ein Toupet.
»Wenn die Feier am schönsten ist, soll man sie verlassen«, erwiderte Jane. »Ich danke Ihnen für die Einladung. Es war nett.«
»Warten Sie, ich bringe Sie noch zur Tür.«
Gemeinsam mit Holleroy stieg sie die freischwebende Treppe hoch. Die Garderobe befand sich im Erdgeschoss. Ein Bediensteter lief ihnen über den Weg. Er trug ein Tablett mit bis zum Rand gefüllten Champagnerkelchen.
»Noch einen Abschiedsschluck?«, fragte Holleroy.
Jane lächelte. »Nein, danke.« Holleroy reichte ihren Mantel. »Ich muss noch Auto fahren.«
Jane warf den leichten Wollmantel nur über ihre Schultern. Darunter trug sie eine weiße Bluse mit einem weiten, schulterfreien Ausschnitt, einen bunten Zigeunerrock und wadenhohe Stiefel.
An der Tür bedankte sich Holleroy noch einmal für die geleistete Arbeit und wünschte ihr alles Gute.
Jane schritt die große Freitreppe des Hauses hinunter. Über der Tür brannten Lampen. Die Wagen der Gäste standen auf dem mit Kies bestreuten Parkplatz vor dem Haus.
Ein breiter Weg führte zum Tor des Grundstücks. Mächtige Ulmen säumten ihn.
Jane hatte die Treppe gerade hinter sich gelassen, da löste sich aus dem Schatten der Hausmauer ein Mann.
Mark Ranger!
»Ich meine, Sie sollten nicht so einfach verschwinden«, sagte er und versperrte Jane Collins den Weg.
Breitbeinig stand er da, trug einen Pullover und eine helle Cordhose. Sein Haar glänzte nass und hing unordentlich in die Stirn.
Auf seine Lippen hatte sich ein triumphierendes Hab-ich-dich-endlich-Grinsen gelegt.
Janes Collins Wagen stand als letzter in der Reihe und war kaum zu sehen zwischen den Prunkschlitten der übrigen Partygäste. Die Detektivin fuhr einen uralten VW-Käfer. Der Motor jedoch hatte einige PS mehr zu bieten, als bei einem Normalfahrzeug dieser Klasse. Und auch sonst war der Wagen tipptopp. Jane hatte ihn von einem Automechaniker frisieren lassen. Der junge, tüchtige Mann schwärmte für die Detektivin wie manch ein Teenager für einen Rocksänger.
»Lassen Sie mich vorbei«, sagte Jane in freundlichem Ton.
Mark Ranger schüttelte den Kopf. »Ist nicht drin, Puppe. Du hast deinen Spaß mit mir gehabt, jetzt will ich auf meine Kosten kommen. Ich lasse mich nicht fertigmachen, merk dir das.«
»Und ich möchte nicht, dass wir uns duzen«, erwiderte Jane frostig.
»Hab dich nicht so, Süße.« Ranger fletschte die Zähne wie ein Wolf. Dann fasste er nach Janes Schulter.
Das heißt, er wollte es. Doch die Detektivin hatte schon andere Gegner aufs Kreuz gelegt, als diesen Schaumacher. Sie fing das Gelenk ab, drehte es herum und trat Mark Ranger die Beine unter dem Körper weg.
Schnaufend landete der große Frauenheld auf dem Boden. Jane Collins war bei dieser Aktion nicht einmal der Mantel von den Schultern gerutscht.
Der Weg war frei. Nicht einmal übermäßig schnell ging Jane zu ihrem Wagen. Hinter ihr rappelte sich Ranger wieder hoch. Er kochte. Noch nie hatte ihn jemand so aufs Kreuz gelegt. Und dazu noch eine Frau. Nein, das dürstete förmlich nach Vergeltung.
Jane erreichte ihren VW. Sie schaffte es aber nicht mehr, die Tür aufzuschließen, denn Mark Ranger hetzte wie ein wildgewordener Büffel auf sie zu.
Jane Collins fuhr herum.
Der Frauentyp stoppte. Er atmete heftig und hatte die Hände zu Fäusten geballt.
Kalt blickte Jane Collins ihn an. »Reicht Ihnen die Abfuhr nicht?«, fragte sie.
»Okay, Süße, du hast mich überrumpelt. Das passiert mir einmal, aber kein zweites Mal. Ich …«
Was er wollte, blieb unausgesprochen, denn plötzlich wurden beide gestört.
Durch Geigenspiel.
Es drang aus dem Park, der vor dem Haus wie eine dunkle Insel lag. Nachtschwarz und voller unheimlicher Geräusche. Da rauschte der Wind, da knackte Holz, oder es raschelte in den Büschen.
Und jetzt noch das Spiel.
»Haben Sie die Musik bestellt?«, erkundigte sich Jane spöttisch.
Mark Ranger schüttelte den Kopf. »Seltsam«, sagte er, stand gebannt auf dem Fleck und lauschte. Innerhalb von Sekunden hatte sich bei ihm eine Wandlung vollzogen.
Auch Jane Collins wurde von der Faszination des Spiels gepackt. Die traurig klingende Melodie riss sie auf seltsame Weise mit und lockte sie zugleich an.
Wie auf ein geheimes Kommando hin gingen Mark Ranger und Jane Collins los.
Schritt für Schritt, nebeneinander … Ihre Schuhe knickten taufeuchtes Gras. Sie gingen quer über den Rasen, schritten dicht an Büschen vorbei, deren sperrige Zweige Jane den Mantel von den Schultern streiften.
Niemand von ihnen sprach ein Wort. Eben noch Gegner, waren sie sich jetzt einig. Sie mussten diesen unheimlichen Geigenspieler einfach finden.
Das Spiel wurde lauter, kreiste sie regelrecht ein. Kam von allen Seiten und schien auch aus den Kronen der Bäume auf sie niederzuschwingen.
Nur von dem Spieler selbst sahen sie nichts.
Auf Mark Rangers Gesicht lag ein entrückter Ausdruck. Die Augäpfel waren etwas nach innen gedreht, seine Lippen zu einem Lächeln verzogen.
Ein Eichhörnchen huschte direkt vor ihren Schuhspitzen entlang. Sie sahen das Tier gar nicht.
Vielleicht in ihrem letzten Gehirnwinkel hatte Jane noch so etwas wie kühlen Verstand bewahrt. Eine leise Stimme sagte ihr, dass es bei diesem Geigenspiel nicht mit rechten Dingen zuging, doch der Drang, den geheinnisvollen Geiger zu finden, war stärker.
Die Lichter des Hauses blieben zurück. Dicke Baumstämme ließen der Helligkeit keine Chance, sich weiter auszubreiten. Janes Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Sie sah die Bäume mit ihren mächtigen Stämmen und den armdicken Ästen, das Buschwerk, in dem es geheimnisvoll zu rascheln schien und den am Himmel stehenden Mond, dessen silbrig fahles Licht an den ihn umgebenden Wolkenrändern zerfasert wurde.
Auf einmal ging Mark Ranger schneller.
Hatte er etwas entdeckt?
Vielleicht den Geiger?
Er begann zu laufen. »Ich komme!«, flüsterte er. »Ich komme …«
Jane Collins folgte ihm. Sie konnte gar nicht anders, hatte das Gefühl, als würden die Beine nicht mehr ihrem Willen gehorchen.
Und plötzlich sah sie den Geiger. Er trat hinter einem Baumstamm hervor. Ein überdurchschnittlich großer Mann mit einem Schlapphut auf dem Kopf und als Gesicht nur ein blasses Oval. Er trug dunkle Kleidung, hielt die Geige in der linken Hand, strich mit dem Bogen über die Saiten und wiegte seinen Körper im Takt der Musik.
Mark Ranger blieb stehen. »Meister«, hauchte er. »Meister.«
Der Geiger schien ihn nicht zu hören. Er spielte unbelastet weiter. Auch Jane Collins war stehen geblieben. Sie traute sich gar nicht mehr weiterzugehen. Irgendeine letzte Schwelle hinderte sie daran, auf den Spieler zuzugehen.
Dieser Mann war ihr unheimlich.
Und doch konnte sie sich der Faszination seines Spiels nicht entziehen. Sie musste einfach zuhören.
Auf einmal hob der Geiger den Kopf.
Jane Collins erschrak. Zwischen Hut und Mantelkragen befand sich eine helle flimmernde Fläche.
Kein Gesicht – nur …
Da brach das Spiel ab.
Eine Stimme. Flüsternd und doch drohend. »Dich wollte ich, Jane Collins. Du sollst die Blume in meinem Garten werden. In meinem Horror-Garten …« Er kicherte.
»Aber ihn will ich nicht.«
Ruckartig wandte er sich Mark Ranger zu. Seine rechte Hand führte eine blitzschnelle Bewegung aus, und im nächsten Augenblick zielte die Spitze des Bogens auf Mark Rangers Brust.
Sie durchdrang den Körper als wäre er aus Butter …
*
Für ein, zwei Sekunden blieb Mark Ranger stocksteif stehen. Sein Gesichtsausdruck – eben noch voll freudiger Überraschung – wechselte. Ungläubiges Entsetzen und Erstaunen machten sich breit.
Mit einem Ruck zog der dämonische Geigenspieler seinen Bogen wieder aus der Brust des Mannes.
Mark Ranger brach in die Knie. Er presste seine Hände gegen die getroffene Stelle und fiel schwer zu Boden. Auf der Seite blieb er liegen. Nicht ein Laut drang mehr über seine Lippen.
Jane Collins hatte dieser Vorgang geschockt. Dieser brutale Angriff riss sie aus ihrer Lethargie. Verflogen war die gefährliche Aura. Hart und gnadenlos präsentierte sich der Detektivin das Geschehen.
Einem Impuls folgend sprang sie den Geigenspieler an. Hämmerte ihm beide Handkanten gegen die Halsseiten – doch da war nichts, dass sie treffen konnten.
Die Handkanten schnitten durch das oval und trafen aufeinander. Jane hatte Mühe, einen Schmerzensschrei zu unterdrücken. Sie wich zurück, wollte nicht von dem Bogen getroffen werden. Doch der Teufelsgeiger hatte etwas anderes vor. Er wollte Jane Collins nicht töten, er brauchte sie noch.
Aus dem flimmernden Oval drangen plötzlich seltsame Laute. Pfeifend, zwitschernd.
Wie Vogelstimmen …
Ja, er lockte die Vögel, die schon längst schliefen. Sie kamen aus ihren Verstekken, aus Nestern, hüpften von Zweigen oder flogen flatternd aus den Büschen hervor.
Sie hatten nur ein Ziel.
Jane Collins!
Das Zwitschern, Pfeifen und Zirpen erfüllte die Luft. Die Vögel sammelten sich zu einem Schwarm. Spatzen, Raben und Dohlen. Wie Gewehrkugeln stießen sie auf Jane Collins nieder, angetrieben durch das Pfeifen des unheimlischen Geigenspielers.
Jane Collins überfiel die nackte Angst. Es machte ihr nichts aus mit einem Gangster fertig zu werden, aber der Attacke der Vögel hatte sie nichts entgegenzusetzen.
Ihr blieb nur noch eins.
Flucht!
Die Detektivin warf sich auf dem Absatz herum. Sie rannte, was ihre Beine hergaben, hetzte durch den Park, als säßen ihr tausend Teufel im Nacken.
Pfeilschnell stießen die Tiere auf sie nieder. Jane rannte nach rechts, nach links, schlug Haken wie ein Hase, warf sich durch die Büsche, keuchte und schnappte nach Luft.
Und doch hatte sie keine Chance.
Der Schwarm überholte sie, hüllte sie auf einmal ein wie eine Wolke. Spitze Schnäbel hackten auf sie ein, zerrten an der Kleidung, rissen die Haut auf, fügten ihr kleine, blutende Wunden bei.
Jane schrie, schlug um sich, warf sich zu Boden, presste ihr Gesicht in die feuchte Erde und merkte gar nicht, dass die Tiere schon längst von ihr abgelassen hatten.
Sie belauerten sie nur noch, flatterten wie Wächter über ihren Körper.
Kaum zu vernehmende Schritte näherten sich.
Der Teufelsgeiger kam. Er hatte sich sein Instrument unter den linken Arm geklemmt, bückte sich und zog Jane Collins mit der rechten Hand hoch.
Die Detektivin war mit ihren Nerven am Ende. Sie schluchzte. Tränenbäche rannen über ihre Wangen.
Dann vernahm sie eine Stimme dicht neben ihrem linken Ohr. »Dich habe ich, auch wenn mir der andere entwischt ist. Denke immer daran, der Schwarze Tod schläft nicht. Er ist überall. Überall …«
Der Geiger schleifte Jane mit. Die Schuhe hatte sie längst verloren, ihre Fußspitzen zogen Spuren in das feuchte Erdreich.
Der Geiger rannte auf den Ausgang zu. Das eiserne Gittertor stellte für ihn kein Hindernis da. Er hatte es schon vorher geöffnet.
Vor dem Haus parkten ein pechschwarzer Citroën DS 21. Der Geiger öffnete die hintere rechte Tür und stieß Jane Collins in den Fond. Er schlug die Tür wieder zu und schloss ab. Er selbst setzte sich hinter das Lenkrad, drückte einen Knopf, und im nächsten Augenblick schob sich eine dicke Glasscheibe zwischen Fahrersitz und Rückbank. Ein weiterer Knopfdruck. Aus einer Düse schoss ein farbloses Gas. Nur das leise Zischen war zu hören.
Erst jetzt kam Jane Collins wieder richtig zu sich. Sie setzte sich auf, merkte in den ersten Sekunden nicht, wo sie war. Als sie sich ihrer Situation bewusst wurde und den Rücken des Fahrers sah, da war es schon zu spät.
Das Gas wirkte bereits.
Jane spürte die Müdigkeit und hatte das Gefühl, Blei in den Knochen zu haben. Sie kroch über den Sitz auf die Tür zu. Die Finger tasteten nach dem Riegel, fanden ihn, konnten ihn jedoch nicht mehr bewegen.
Die Tür war verriegelt.
In einem letzten Impuls warf Jane ihren Körper hoch, trommelte gegen die Scheibe, doch nach zwei Schlägen rutschten ihre Hände ab. Bewusstlos fiel Jane Collins um. Das Gas hatte seine Wirkung voll entfacht.
Der unheimliche Geigenspieler jedoch fuhr ruhig weiter. Kein Autofahrer, der dem Citroen begegnete, merkte, dass hinter dem Steuer der schwarzen Limousine ein Mann ohne Gesicht saß …
*
An Schlaf war in dieser Nacht natürlich nicht mehr zu denken. Ich blieb im Büro.
Zuerst rief ich bei mir zu Hause an. Suko meldete sich sofort.
»Alles klar«, sagte er. »Nur in der Küche ist es etwas kalt. Sonst hat aber niemand versucht, uns zur Hölle zu schicken.«
»Ist ja beruhigend«, erwiderte ich.
»Wie lange soll ich denn hier noch die Stellung halten?«, wollte Suko wissen.
»Bis ich es dir sage.«
»Wünsche hast du.«
»Ja, man hat’s nicht leicht.« Ich legte wieder auf. Dann dachte ich den Fall noch einmal durch. Ließ die vergangenen Ereignisse vor meinem geistigen Augen Revue passieren, und mir fiel auch mein Traum wieder ein.
Deutlich sah ich den riesigen Schwarzen Tod vor mir, wie er den Sarg in der Hand hielt, auf dem mein Name stand. Ich brauchte wirklich kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass der Sarg für mich bestimmt war. Also hatte der Schwarze Tod mein Ableben schon vorprogrammiert.
Aber wer war der Geiger? War es unter Umständen der Schwarze Tod persönlich? Soviel ich wusste, konnte er jede beliebige Gestalt annehmen. Unter Umständen sogar die eines Tieres oder eines toten anorganischen Gegenstandes.
Ich muss ehrlich gestehen, dass mir bei dem Gedanken daran verdammt flau im Magen wurde.
Über dieses Gefühl half mir auch ein Scotland-Yard-Frühstück aus der Kantine nicht hinweg. Zum Glück kam meine Sekretärin, Glenda Perkins, eine halbe Stunde vor Dienstantritt. Ihr Kaffee war ebenso berühmt wie ihre Rundungen.
Auch an diesem Morgen sah sie wieder richtig zum Anbeißen aus. Das schwarze Haar trug sie zu Korkenzieherlocken gedreht, der knallrote Rollkragenpulli saß äußerst knapp, und ein schwarzer Cordrock umschmeichelte die perfekt gewachsenen Beine.
Glenda wäre die glücklichste Frau auf der Welt gewesen, wenn sie mich zum Standesamt hätte schleppen können. Die Kleine war bis über beide Ohren in mich verknallt.
Ich gebe zu, sie war ein Mädchen, nach dem sich viele die Finger leckten, nur – Liebe im Büro ist nicht mein Fall. Das führt meistens zu Komplikationen.
Aber Glenda gab nicht auf.
Ihre Augen strahlten mich an. »Hat man Sie aus dem Bett geworfen, Mr. Sinclair?«
Ich schenkte ihr ein Lächeln. »So ungefähr. Tun Sie mir einen Gefallen, Glenda.«
Ihr Blick wurde erwartungsvoll. Sie atmete tief ein, und ich sah, wie sich der Pullover noch weiter spannte.
»Kochen Sie mir bitte eine Tasse Kaffee!«
Sie schluckte. »Natürlich, sofort, Mr. Sinclair.« Sie drehte sich um und ging zur Tür, vergaß aber nicht, ihre Hüften gekonnt zu schwingen.
Ich lächelte. Nach Glendas Kaffee leckten sich auf der Etage alle die Lippen.
Ich bekam ihn schnell. Mit Zucker, ohne Milch. Ganz nach meinem Geschmack.
»Ich tippe dann den Bericht für Superintendent Powell«, sagte Glenda.
»Tun Sie das.«
Glenda ging wieder. Nachdenklich rührte ich den Kaffee um. Immer wieder entstand das Bild des Geigers vor meinem geistigen Auge. Ich wurde da einfach nicht schlau daraus.
Mein Gott, wer spielte schon so Geige? Ich kannte keinen. Die Künstler, die mir ein Begriff waren, lebten alle längst nicht mehr.
Paganini, zum Beispiel. Ihn nannte man den Teufelsgeiger. Angeblich sollte er mit dem Satan im Bunde gestanden haben. Ob dieser Geiger unter Umständen auch …
Ich beschloss, der Spur nachzugehen. Aber wer konnte mir Auskunft geben? Ein Musiklexikon ließ ich mir von Glenda besorgen. Dort fand ich zwar viele Namen, aber die meisten Musiker waren tot.
So vergingen zwei Stunden. Irgendwann kam Glenda wieder in mein Büro. den fertig getippten Bericht brachte sie mit.
»Haben Sie Probleme, Mr. Sinclair?«
»Ja. Ich suche einen Geiger. Aber einen lebenden.«
»Oh, da gibt es viele.«
»Das weiß ich auch. Aber ich suche einen, dessen Spiel berühmt ist, der die Leute mit seiner Musik in Trance versetzen kann, wie damals Paganini.«
»Da gibt es doch einen«, erwiderte Glenda.
»Sagen Sie bloß. Und wer ist es?«
»Zarcadi. Professor Zarcadi. Stand in allen Musikzeitschriften. Haben Sie das nicht gelesen?«
»Nein, ich lese nur die Tageszeitung. Aber setzen Sie sich doch, und erzählen Sie mir etwas über diesen Zarcadi.«
Glenda glühte vor Aufregung. Sie wusste, welch einen Job ich hatte und war glücklich, dass sie mir einmal behilflich sein konnte.
»Zarcadi ist ein Mann, der die Menschen durch sein Spiel in Trance versetzen kann. Die Zeitungen schrieben, er sei aufgetaucht wie ein Komet am Himmel. Allerdings gibt er nur Privatkonzerte, und seine Verehrer zahlen hohe Eintrittspreise.«
»Sie sind eine Wucht, Glenda«, rief ich. »Jetzt brauchen Sie mir nur noch zu sagen, wo ich diesen Saitenquäler finden kann.«