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Mit über 250 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
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Dieser Sammelband enthält die Folgen 31 - 40.
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Seitenzahl: 1411
Jason Dark
John Sinclair Großband 4 - Horror-Serie
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
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Schweiß perlte auf meiner Stirn, als ich mich in meinem Gefängnis umsah.Die Eiserne Jungfrau stand inmitten weiterer Folterinstrumente. Alle Geräte waren intakt.Ich musste auf dem schnellsten Wege raus, wenn ich mein Ende nicht am lebendigen Leibe erfahren wollte. Aber wie? Ich setzte mich auf die Streckbank und dachte nach.Da ertönte eine grausige Stimme neben mir. „Nimm mit mir den Teufelstrank um Mitternacht.“ Vielleicht war das mein einziger Ausweg …
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen RomanheftausgabeBastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG© 2015 by Bastei Lübbe AG, KölnVerlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian MarzinVerantwortlich für den InhaltE-Book-Produktion:Jouve
ISBN 978-3-8387-2785-1
www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.dewww.bastei.de
Schweiß stand mir auf der Stirn, als ich mich in meinem Gefängnis umsah.
Die Eiserne Jungfrau stand inmitten weiterer Folter-Instrumente. Alle Geräte waren intakt.
Ich musste auf dem schnellsten Wege raus, wollte ich mein Ende nicht bei lebendigem Leibe erleben. Aber wie? Ich setzte mich auf die Streckbank und dachte nach.
»Komm, Sinclair«, sprach mich ein Skelett an, »nimm mit mir den Teufelstrank um Mitternacht!«
Plötzlich splitterte das dicke Holz der Bohlentür. Späne flogen durch das Zimmer.
Der Graf von Besancon sprang auf. Automatisch legte sich seine Hand um den Degengriff, dann schüttelte der Mann den Kopf. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt noch zu verteidigen. Die anderen waren stärker.
Seine Leute hatten ihn schmählich im Stich gelassen und seinen Untergang eingeleitet.
Trotzdem war Besancon zuversichtlich, er hatte noch einen Trumpf in der Hinterhand, einen alles entscheidenden. Und das wussten die Häscher nicht.
»Verfluchter Schänder! gellte von draußen eine Stimme. »Gleich haben wir dich, gleich wirst du für das büßen, was du unseren Frauen und Mädchen angetan hast. Du Teufel, du!«
Das dünne Lächeln auf dem Gesicht des Grafen verstärkte sich. Mit zwei, drei gleitenden Schritten glitt er auf die Schiebetür zu, zog die beiden Hälften auseinander und verschwand in dem dahinterliegenden blauen Salon.
Die blicklosen Augen eines Toten starrten ihn an. Jean, sein Diener, war für ihn in den Tod gegangen. Er starb durch einen Lanzenstich. Jean hatte es gerade noch geschafft, den Grafen zu warnen, dann war er gestorben.
Der Graf von Besancon sprang über die Leiche hinweg. Im Nebenzimmer ging die Tür endgültig zu Bruch. Sie splitterte aus dem Rahmen, und der Pöbel stürmte in den Raum.
Die Männer schrien und drohten. Waffen klirrten. Jemand brüllte: »Wirstecken das verdammte Schloss an. Und dann rösten wir den Schinder!«
Der ›Schinder‹ aber war schneller. Schließlich kannte er sich in seinem Schloss aus. Durch eine Geheimtür erreichte er eine kleine Kammer, bückte sich und zog die Klappe einer Falltür hoch.
Muffige Luft schlug ihm entgegen. Der Gang, durch den er seinen Häschern entkommen konnte, war nur ihm bekannt. Er endete in der Folterkammer, wo Hunderte von unschuldigen Menschen ihr Leben ausgehaucht hatten.
Wendelartig führte die Treppe in die Tiefe. Licht brauchte der Graf nicht. Er hielt sich an einem eisernen Handlauf fest und fand seinen Weg.
Es war ihm klar, dass sie ihn irgendwann einmal finden würden. Dann war es für ihn und seine Häscher zu spät.
Der Graf erreichte die Folterkammer. Hier zündete er eine Pechfackel an.
Er war sich seiner Sache sicher!
Der Graf zog die Fackel aus der Halterung und schwenkte sie im Kreis. Geisterhaft strich der Schein über die Folterinstrumente. Über eine Streckbank, über Zangen und Daumenschrauben, riss eine Eiserne Jungfrau aus der Dunkelheit und ein rechteckiges Kohlebecken. Ferner schwere Ketten, rostige Eisenhaken und ein Rad.
Doch all die Instrumente interessierten den Grafen nicht. Er suchte etwas anderes.
Unter einer Ansammlung von Tauen versteckt stand die alte Holzkiste. Der Graf zog sie mit einer Hand hervor, stellte dann die Fackel ab und öffnete die Kiste.
Staub wallte auf, als der Deckel auf der anderen Seite zu Boden knallte.
In der Kiste lag eine Flasche. Das Glas schimmerte dunkelgrün, und als der Graf die Flasche anhob, sah er, dass sie zur Hälfte mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt war.
Der Graf drehte die Flasche. Zäh wie Sirup rann die Flüssigkeit an der Glaswand entlang. Der Korken in der Öffnung schaute so weit hervor, dass der Graf ihn mit einem Ruck herausziehen konnte.
Seine Gedanken eilten dabei weit zurück, bis zu dem Tag, als man ihm die Flasche geschenkt hatte.
Auf einem Jagdausflug hatte er sich damals verirrt und war einem einsamen Reiter begegnet. Mit Schaudern dachte der Graf an diese Begegnung.
Der Reiter war kein Mensch gewesen, sondern ein Skelett. Mit schwarzem Schädel und einem dunklen Umhang. Er saß auf einem Rappen, aus dessen Nüstern Feuerlanzen fauchten.
Der Graf von Besancon fürchtete sich, doch der unheimliche Reiter stellte nur die Frage, ob der Graf reich und mächtig werden wollte.
Besancon nickte.
Da stellte sich der Unheimliche vor. Er nannte sich der Schwarze Tod und war die rechte Hand des Teufels.
»Der Satan sucht Diener. Er will sie fürstlich belohnen, wenn sie das tun, was er von ihnen verlangt«, erklärte der Reiter.
Besancon erklärte sich einverstanden. Zum Schluss bekam er die Flasche überreicht. Die Worte brannten noch in seinem Gedächtnis, als wäre es erst gestern gewesen.
»Wenn du das Elixier der Hölle mit deinem Blut vermischst, wird dir dieser Trank das ewige Leben geben. Nutze es in der Stunde der Gefahr, und dir wird nichts passieren.«
Mit zitternden Händen nahm der Graf die Flasche entgegen, während der Schwarze Tod davonritt, im Bewusstsein, wieder etwas Teuflisches geleistet zu haben.
Besancon fand den Weg zum Schloss zurück. Plötzlich war alles ganz einfach.
Von diesem Tag an begann sein Aufstieg. Er gewann Kriege und vergrößerte sein Territorium. Die Schatzkisten quollen fast über. Aber gleichzeitig begann sein menschlicher Untergang. Gefühle wurden ihm fremd. Er konnte nur noch hassen, verlor die innere Zufriedenheit und frönte dem Laster und dem Bösen.
Es gab einen Aufstand in seinem Reich, den er jedoch blutig erstickte. Zwei Jahre später fanden sich abermals mutige Männer, die ihn stürzen wollten. Während sein Heer in einen Grenzkrieg verwickelt war, stürmten die Männer aus den Dörfern und Städten das Schloss, überwältigten die Wachen und wollten nun den Grafen töten.
Wenn er ihnen in die Finger fiel, würde ihre Rache grausam sein. Soweit wollte Besancon es nicht kommen lassen.
Jetzt musste sich zeigen, ob der Unheimliche damals gelogen hatte oder nicht.
Die Stunde der Entscheidung war da.
Besancon ging nach dem bekannten Ritual vor. Siebenmal schüttelte er die Flüssigkeit in der Flasche. Da wurde der Sirup dünnflüssiger. Woraus das Elixier bestand, wusste Besancon nicht. Es war ihm auch egal.
Die Zeit verrann.
Sicherlich durchsuchten die Häscher bereits das Schloss. Bestimmt würden sie auch die versteckte Tür finden und dann in dieses Verlies eindringen. Bis dahin musste Besancon es geschafft haben.
Er griff an seinen Gürtel und zog sein Messer. Es besaß eine breite Klinge. Sie war höllisch scharf und wurde von ihm eigentlich nur dazu verwendet, um Tiere abzuhäuten. Diesmal jedoch sollte sie einen anderen Zweck erfüllen.
Er schaute die Klinge noch einmal an, bog den linken Arm durch und führte dann einen Kreuzschnitt an der Innenseite des Arms in Höhe des Ellbogens durch.
Das Blut rann aus der Wunde. Er hatte eine Ader getroffen, verzog schmerzhaft das Gesicht und presste die Flaschenöffnung dort gegen den Arm, wo das Blut aus der Wunde rann.
Sein Lebenssaft rann in die Flasche, vermischte sich mit dem geheimnisvollen Elixier. Neue, magische Verbindungen wurden eingegangen. Die Flüssigkeit warf Blasen, schäumte hoch bis zur Flaschenöffnung.
Der Graf ließ nicht locker. Es rann so lange Blut in die Flasche, bis diese gefüllt war. Dann erst war Besancon beruhigt. Er nahm den Korken und presste ihn auf die Öffnung. Mit der linken Hand hielt er die Weinflasche hoch.
Sie sah wie jede andere aus. Sogar das Etikett stimmte. Aber nur er wusste, wie brisant der Inhalt war. Der Graf stellte die Flasche zur Seite. Er fühlte sich nicht sehr wohl. Der Blutverlust hatte ihn doch geschwächt. Ihm wurde schwindlig. Mühsam stemmte er sich hoch.
Dann hörte er die Stimmen.
Der Pöbel hatte ihn.
Besancon verzog das Gesicht. Es wurde eine böse Grimasse daraus. Mit einer heftigen Bewegung riss er den Degen hervor. Doch er kam nicht mehr dazu, einige Männer mit auf die lange Reise zu nehmen.
Mit einem Baumstamm brachen sie die Tür aus dem Rahmen, und dann stürmte der Mob in das Verlies.
Waffen blitzten. Lanzen, Dolche und Schwerter wurden geschwungen. Der Graf blickte in die verzerrten Gesichter. Ihn sprang das nackte Entsetzen an. Einer seiner Todfeinde stand plötzlich dicht vor ihm. Er hielt ein altes Schwert in der Hand.
Dann schlug er zu.
Der Graf brach zusammen. Er war schon tot, als er den Boden berührte, und hörte das Siegesgebrüll der Meute nicht mehr.
Die Männer waren im Taumel. Ihren Peiniger hatten sie erledigt. Sie schleiften die Leiche aus der Folterkammer, doch die Flasche in der Ecke übersahen sie.
Die Folgen sollten schrecklich sein …
*
Über Aufträge konnte sich Jane Collins eigentlich nicht beklagen. Durch ihre im Beruf erzielten Erfolge war sie zu einer der begehrtesten Privatdetektivinnen Londons geworden. Inzwischen musste sie viele Aufträge aus Zeitmangel ablehnen.
Zahlreiche reiche Klienten wollten nicht nur, dass Jane für sie den Auftrag erledigte. Sie glaubten, mit ihrem Geld die Detektivin gleich mitkaufen zu können. Doch da hatten sie sich geschnitten. Jane Collins trennte Beruf von Privatleben strikt.
Sie hatte schon viel erlebt, doch der Auftrag, der ihr nun angeboten worden war, ließ sich in seiner Originalität kaum übertreffen. Jane Collins sollte einen reichen Industriellen zu einer Auktion begleiten.
Und zwar nach Christie’s, in das berühmteste Auktionshaus der Welt. Jane hatte die Räume noch nie von innen gesehen, und deshalb reizte sie der Ausflug besonders.
Es wurden keine alten Möbel versteigert, sondern Wein. Kostbare, uralte Weinflaschen aus den besten europäischen Lagern. Kenner zahlten dafür ein Vermögen. Auch Janes Klient, Sir Randolph Norfolk, wollte sich seine Sammlerleidenschaft etwas kosten lassen.
Sein Geld verdiente er mit Schnell-Imbissen und Snackbars. Als Schaschlik-König von England hatte ihn bereits die Presse tituliert. Dabei verkaufte er auch Hamburgers, Pommes frites, kleine Steaks, Hähnchenschenkel und vieles mehr. Alles zu vernünftigen Preisen, die auch ein Normalverbraucher zahlen konnte. Dass bei diesem Geschäft etwas hängenblieb, verriet Norfolks Schloss in der Grafschaft Essex. Dort lebte und residierte er wie ein französischer Monarch aus dem achtzehnten Jahrhundert. Seine Diener liefen noch in der entsprechenden Kleidung herum, trugen Perücken und hatten ein altertümliches Gehabe an sich.
Doch das störte Jane nicht. Sie wusste von Norfolks Leben nur aus Presseberichten.
Für neunzehn Uhr hatte sich ihr Klient angesagt. Dreißig Minuten zuvor stand Jane noch vor dem Spiegel und legte letzte Hand an ihr Make-up.
Sie hatte es eigentlich nicht nötig, sich zu schminken. Jane Collins war nicht nur die erfolgreichste, sondern auch die hübscheste Privatdetektivin Londons. Das ährenblonde Haar berührte die Schultern. Über den blaugrauen Augen besaßen die Wimpern genau den richtigen Schwung. Der Mund unter der schmalen Nase war voll und lud zum Küssen ein. Nur mit ihrer Figur war Jane Collins persönlich in den letzten zwei Tagen nicht mehr zufrieden.
Sie hatte ein wenig zugenommen. Es stand ihr zwar ausgezeichnet, aber Jane nahm sich doch vor, die kleinen Pfunde wieder abzuhungern. Das war eine Sache von drei, vier Tagen.
Für die Auktion schlüpfte sie in ein schlichtes schwarzes Kleid mit modischem Überwurf. Das Kleid war raffiniert geschnitten und der Ausschnitt so angefertigt, dass Männer wohl etwas ahnen, aber nichts sehen konnten.
Da die Oktoberabende bereits ziemlich kühl waren, wählte Jane als wärmende Kleidung ein kleines Nerzcape, das sie sich erst vor Kurzem gekauft hatte. Auch dieser Abend sollte ihr zweihundert Pfund bringen, nebst Spesen natürlich.
Und irgendwie freute sich Jane auf den Job. Christie’s war eine andere Welt. Wer dort verkehrte, gehörte zur High Society.
Jane sollte ihren Klienten nur bewachen. Ein Leibwächter war Sir Randolph zu auffällig. Vielleicht wollte er sich auch nur einmal mit einer schönen Frau zeigen. Das wusste wahrscheinlich nur er selbst.
Längst war es draußen dunkel geworden. Jane betrat den Living-room und schaute aus dem Apartmentfenster. Die Fahrzeuge unten auf der Straße fuhren Stoßstange an Stoßstange. Ihre Lichter wirkten wie große, helle Augen. Die Reklamen der Geschäfte spiegelten sich auf dem Autolack wider.
Jane nahm in einem bequemen Sessel Platz, streckte die Beine aus und trank einen Wermut. Dabei rauchte sie eine Zigarette.
Pünktlich um neunzehn Uhr schellte es. Durch die Sprechanlage erfuhr Jane Collins, dass ihr Klient unten stand.
»Ich komme sofort, Sir«, sagte die Detektivin.
Vor dem Haus erwartete sie der Chauffeur. Der Mann war in eine rote Livree gekleidet, hielt die Mütze in der linken Hand und öffnete mit der rechten die Fondtür eines dunkelblauen Rolls-Roye.
Jane nahm in der Luxuskarosse Platz.
Sir Randolph Norfolk schaute sie zwei Sekunden an und beugte dann den Kopf zu einem Handkuss.
»Wenn ich Ihnen sage, dass ich noch nie in so zauberhafter Begleitung gefahren bin, halten Sie das sicherlich für übertrieben, meine Gnädigste.«
Jane Collins lächelte nur.
Er war Junggeselle, das heißt, zwei Ehen hatte er hinter sich. Und mit zweiundfünfzig Jahren überlegt es sich ein Mann, ob er zum drittenmal heiraten soll.
Sir Randolph Norfolk trug einen perfekt sitzenden dunkelblauen Nadelstreifenanzug, eine silbern schimmernde Krawatte dazu, an die eine kostbare Perle geheftet war. Sein schmales Gesicht war sonnenbraun, das schlohweiße Haar hatte er nach hinten gekämmt.
Der Rolls fuhr an. Jane merkte es kaum. Die Klimaanlage arbeitete hervorragend, und auch die Bar im Wagen war gut bestückt, wie Jane sehen konnte.
»Möchten Sie etwas trinken, Miss Collins?«
»Nein, danke.«
Sir Randolph lachte. »Bei Christie’s ist die Luft sehr trocken, Miss Collins.«
»Dann ein Tonic water.«
»Bitte sehr.«
Jane bekam das Glas. Das bittersüße Getränk perlte auf ihren Lippen. Während sie trank, schaute Sir Randolph sie unentwegt an.
»Wir werden hinterher noch speisen gehen«, sagte er.
»Wenn es nicht zu lange dauert.«
»Aber nein. Es werden nur wenige Flaschen Wein versteigert. Das geht meistens sehr schnell über die Bühne.«
»Wollen Sie alle Flaschen ersteigern?«, fragte die Detektivin.
»Wo denken Sie hin. Nein, ich bin an nur einer Flasche interessiert. Der Wein ist über zweihundert Jahre alt und stammt von dem Gut Besancon. Vor wenigen Jahren erst hat man die Flasche entdeckt. Die Franzosen wollten aus dem Schloss im Elsaß eine Jugendherberge machen. Bei Aufräumungsarbeiten ist der Wein dann gefunden worden. Zum Glück hatte der Mann, der die Flasche entdeckte, Ahnung. Er gab sie sofort weiter. Christie’s hat sie dann irgendwie erworben und will sie nun versteigern.«
»Was ist denn so Besonderes an der Flasche?«, erkundigte sich Jane.
Jetzt lächelte der Millionär. »Wie ich hörte, ist auf der Rückseite der Flasche ein Spruch in das Glas geritzt worden, der den Wein als Elixier des Teufels bezeichnet. Der Satan selbst soll ihn erfunden haben. Das ist natürlich Unsinn, aber da ich originelle Sachen sammle, möchte ich auch diese Flasche besitzen.«
Jane wurde hellhörig. »Der Satan, sagten Sie?«
»Ja. Aber den Unsinn dürfen Sie nicht glauben, Miss Collins.«
Da war er bei Jane an der falschen Adresse. Für die meisten Menschen existierten die Mächte des Bösen nicht, aber Jane hatte bereits genug Schreckliches aus der Dämonenwelt erlebt, um solche Sprüche nicht einfach abzutun. Sie würde sich zumindest mit den Hintergründen beschäftigen.
»Mehr wissen Sie nicht darüber?«
»Nein.«
»Kann man diesen Wein denn noch trinken? Ich meine, er ist sehr alt. Vielleicht hat die Chemie Ihnen einen Streich gespielt und die Flüssigkeit schon längst umgewandelt.«
»Das ist möglich.« Sir Randolph schaute Jane wieder an. »Aber ich werde den Wein probieren.«
»Ja. Dann können Sie mir hinterher verraten, ob er wirklich noch schmeckt.«
Sir Randolph schüttelte den Kopf. »Nein, Jane, ich werde es Ihnen nicht verraten. Sie sollen mit mir zusammen den Wein kosten. Ist das ein Vorschlag?« Die Detektivin überlegte. Einerseits hatte sie es sich zum Prinzip gemacht, nie auf private Wünsche ihrer Klienten einzugehen, andererseits würde sie wohl nie mehr die Möglichkeit bekommen, einen Schluck von einem zweihundert Jahre alten Wein zu probieren.
»Ich bin einverstanden, Sir«, sagte sie.
»Na wunderbar.« Randolph Norfolk lächelte. Er strich über sein Kinn, und Jane sah den Brillant an seinem kleinen Finger der rechten Hand blitzen.
Allein der Ring musste ein Vermögen gekostet haben. Eigentlich hätte ich das Honorar verdoppeln sollen, dachte Jane. Dann schalt sie sich eine Närrin. Sie war auf dem besten Wege, neidisch zu werden. Aber Neid und Missgunst verachtete sie. Deshalb strich sie den Gedanken auch rasch aus ihrem Gedächtnis.
Sie erreichten das Auktionshaus. Christie’s war weltberühmt durch seine Versteigerungen geworden und hatte eine Tradition, die schon sprichwörtlich war.
Der Chauffeur öffnete die Türen. Jane Collins stieg als Erste aus. Der Widerschein einer Laterne spiegelte sich auf dem Asphalt und streifte auch Janes Kleid. Dabei ließ er es aussehen, wie mit Gold umwebt.
Sir Randolph war ein Kavalier der alten Schule. Er ging um den Wagen herum und reichte Jane Collins galant den Arm. Dann führte er sie auf den Eingang zu, der von einem Bediensteten offen gehalten wurde.
Jane gingen die Worte ihres Klienten nicht aus dem Sinn. Immer wieder dachte sie über den Spruch nach, und plötzlich fasste sie einen Entschluss.
»Sie entschuldigen mich für einen Moment, Sir Randolph?«
Der Millionär machte ein erstauntes Gesicht. »Natürlich, aber …«
»Bin gleich wieder zurück.« Den Satz sagte Jane schon im Laufen.
Sie hatte die zahlreichen Telefonzellen entdeckt, die als Nischen in die mahagonigetäfelte Wand eingelassen worden waren. Nur zwei Zellen waren besetzt.
Die Nummer, die Jane wählte, kannte sie im Schlaf. Sie warf Geld in den Schlitz und drehte die Wählscheibe.
*
Das Messer befand sich nur noch eine Fingerbreite vom Hals des Mannes entfernt. Der Indianer, der die Klinge in der rechten Hand hielt, grinste verzerrt. Er redete unentwegt in seiner Muttersprache, weidete sich dabei an der Angst des Weißen und würde jeden Moment zustoßen.
Da klingelte das Telefon!
Das Geräusch riss mich aus meinen schönsten Fernsehträumen. Ich stellte den Ton leiser, schwang meine langen Beine vom Sitzkissen und schlurfte auf Strümpfen zum Apparat.
»Sinclair!«
»John.«
Die Stimme kannte ich. Sie gehörte Jane Collins, meinem großen Schwarm. Blond, blauäugig, eine Traumfigur, wunderbar weiche Lippen und eine Figur, die nicht nur Männer zwischen zwanzig und sechzig in helle Aufregung versetzte.
»Sag nur, du bist einsam, Darling!«
»Nein, John. Hör zu, ich habe nicht viel Zeit, denn gleich beginnt die Auktion. Ich wollte dich nur über folgende Tatsachen unterrichten.«
Knapp, aber präzise erzählte Jane das, was ihr wichtig erschien. Sie sprach von der Flasche Wein und dem seltsamen Spruch, der in das Glas eingeritzt worden war.
»Hast du die Flasche denn schon gesehen?«, wollte ich wissen.
»Nein.«
»Dann sind es nur Vermutungen?«
»Natürlich.«
»Okay, und was habe ich mit der Sache zu tun?«
»Du sollst dir die Flasche nur einmal ansehen.«
»Wann? Morgen?«
»Nein. Heute Abend noch.«
Ich lachte. »Du bist lustig, Jane. Bestimmt wird sich Sir Randolph bedanken, wenn ein Wildfremder in sein Schloss stürmt. Ich müsste außerdem nach Essex fahren …«
Jane unterbrach mich. »Nein, John. Sir Randolph besitzt in Chelsea eine Stadtwohnung. Notiere dir bitte die Adresse.«
Ich tat es.
»Und kommst du auch?«, hakte die Detektivin nach.
Erst einmal gähnte ich und sagte dann: »Okay, wann?«
»Versuche es mal gegen dreiundzwanzig Uhr. Dann sind wir bestimmt wieder zurück.«
Ich gewann der Sache eine heitere Note ab. »Ich glaube, du brauchst mich als Alibi, um unbeschadet und mit Anstand aus der Wohnung des Knaben zu kommen. Ich sage dir …«
Weiterzusprechen brauchte ich nicht. Jane Collins hatte aufgelegt. Jetzt war sie beleidigt. Und ich hatte etwas gutzumachen. Also nahm ich mir vor hinzufahren.
*
Die Stille in dem kleinen Auktionsaal war fast andächtig zu nennen. Etwa zwanzig Menschen hatten sich versammelt und warteten auf die Angebote. Die Interessenten saßen auf gepolsterten Stühlen, schaute in Kataloge oder machten Gesichter, die mehr als unbeteiligt wirkten. Dabei fieberten sie innerlich vor Spannung.
Jane Collins und ihr reicher Klient saßen in der ersten Reihe. Der Auktionator stand hinter seinem Pult. Er war ein Mann in mittleren Jahren, trug einen dunklen Oberlippenbart und konnte seine Blicke kaum von der hübschen Jane Collins lösen.
Kein Wunder.
Die Decke war ziemlich hoch. Drei Kronleuchter hingen verteilt im Raum und spendeten brillantes Licht. Es brach sich auf dem Schmuck einiger Damen.
Durch eine Seitentür betrat ein Diener den Saal. Auf beiden Händen trug er ein Tablett, und darauf stand eine Flasche Wein. Der Knabe wirkte wie aus einem Werbefilm herbeigezaubert, und Jane hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken.
Sir Randolph Norfolk stieß Jane leicht an. »Das ist die Flasche«, flüsterte er. Seine Stimme klang erregt.
Der Diener stellte die Flasche ab.
»Ladies und Gentlemen«, begann der Auktionator, »kommen wir zum ersten Angebot dieses Abends.« Er berichtete zuvor, welch eine Geschichte die Flasche hinter sich hatte, doch auf die Schrift an der Rückseite ging er nicht ein.
Die Öffentlichkeit war bei dieser Auktion im kleinen Kreis ausgeladen worden. Das hatten sich die Interessenten verbeten. Der Geldadel wollte unter sich sein.
Es ging bereits los.
»Das Mindestangebot für dieses edle Getränk liegt bei zweitausend Pfund«, sagte der Auktionator. »Ich bitte um Angebote.«
Jetzt flogen die Summen.
Zu Janes Erstaunen hielt sich Sir Randolph Norfolk zurück. Er notierte nur hin und wieder einige Zahlen.
Dann stand der Preis auf achttausend Pfund. Für Jane schon eine ungeheure Summe.
»Achttausend Pfund«, sagte der Auktionator. »Zum Ersten, zum …«
»Neuntausend!« Jetzt mischte Sir Randolph mit.
Raunen glitt durch den kleinen Saal.
Der Auktionator lächelte, warf Jane einen raschen Blick zu und blieb weiter am Ball.
»Sie haben es gehört. Neuntausend Pfund sind geboten worden. Neuntausend zum Ersten …«
»Zehntausend!«
Das war der Mann, der bisher geboten hatte. Zwischen ihm und Sir Randolph begann der ›Kampf‹ zu toben. Die anderen stiegen aus.
Der Mann saß in der zweitletzten Reihe, ganz rechts außen. Jane sah sein dunkles Haar und darunter ein sonnenbraunes Gesicht. Der Bieter war noch nicht sehr alt. Knapp vierzig vielleicht, und er sprach mit einem leicht fremdländischen Akzent.
Bei fünfzehntausend Pfund zeigte selbst der Auktionator eine Reaktion. Mit einem blütenweißen Taschentuch musste er sich den Schweiß von der Stirn wischen.
Und Sir Randolph ging noch höher. »Sechzehntausend!«, rief er triumphierend.
Sein Gegner hielt mit.
Bei achtzehntausend Pfund jedoch passte er.
Der Auktionator atmete auf. »Achtzehntausend zum Ersten, zum Zweiten und – zum Dritten!«
Der Hammer knallte auf den Tisch. Sir Randolph Norfolk hatte gewonnen. Aufatmend ließ er sich zurückfallen. »Das wäre geschafft«, sagte er und stand auf.
Jane erhob sich ebenfalls. Zahlreiche Blicke begleiteten sie auf dem Weg zur Tür. Sir Randolph verschwand in einem kleinen Büro, um die Summe zu begleichen.
Als er nach wenigen Minuten zurückkam, trug er eine Ledertasche. »Darin ist sie«, sagte er stolz und lächelte Jane Collins zu.
»Dann wäre mein Job ja beendet«, sagte die Detektivin.
»Fast. Haben Sie vergessen …?«
»Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihr Gespräch störe, doch ich möchte dem Mann gratulieren, der es geschafft hat, die Flasche Wein zu ersteigern.«
Jane und ihr Klient drehten sich um. Vor ihnen stand der Franzose, der mitgeboten hatte. Er lächelte, doch dieses Lächeln konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie nervös er war. Unter seiner Gesichtshaut zuckte es, die Lippen waren fest aufeinandergepresst, und in den dunklen Augen flackerte das Unbehagen.
Sir Randolph war von diesem Besuch nicht sehr begeistert und gab sich auch ziemlich reserviert. »Sie wünschen, Sir?«
»Wie gesagt, ich wollte Ihnen nur gratulieren, Sie aber auch gleichzeitig warnen.«
»Wovor?«
»Vor dem Wein. Ich wollte ihn ersteigern, da er sich in unserem Familienbesitz befand. Leider sind meine finanziellen Mittel begrenzt, sodass ich das edle Stück nicht erwerben konnte.«
Ärgerlich wischte Sir Randolph mit der Hand durch die Luft. »Wer sind Sie überhaupt, dass Sie mich hier so einfach ansprechen?«
»Mein Name ist Gerard de Besancon. Einer meiner Vorfahren hat diesen Wein hergestellt.«
»Warum haben Sie ihn dann nicht schon früher in Ihren Besitz genommen?« , fragte Sir Randolph.
»Ich war lange Zeit im Ausland und kam leider zu spät zurück. Sie kennen vielleicht die Geschichte der Flasche?«
Sir Randolph schaute Jane an, als wollte er sagen, da steht ein Verrückter vor uns. Dann erwiderte er: »Nein, ich kenne die Geschichte nicht und möchte sie auch nicht kennenlernen.«
»Das sollten Sie aber.«
»Tut mir leid. Ich habe keine Zeit.« Abrupt wandte sich der Engländer zur Seite. »Kommen Sie, Jane!«
Jane ging mit. Ihr Gesicht hatte einen nachdenklichen Ausdruck angenommen.
»Ich flehe Sie an. Trinken Sie den Wein auf gar keinen Fall!«, rief Besancon ihnen noch nach.
»Schwätzer!«, brummte Sir Randolph. »Oder was meinen Sie, Jane? So darf ich Sie doch nennen?«
»Ja, natürlich. Also wenn ich ehrlich sein soll, dann gefällt mir die Geschichte gar nicht. Der Mann ist bestimmt kein Spinner. Er hat ernst und überzeugend geredet.«
»Ja, so überzeugend, dass er mir den Appetit verdorben hat. Aber trotzdem, wir werden noch essen gehen.«
Der Chauffeur hielt bereits die Tür auf. Als sie im Wagen saßen, sagte Sir Randolph. »Und nach dem Dinner lade ich Sie in meine Stadtwohnung ein, um den Wein einmal zu kosten.«
»Wollen Sie wirklich die Flasche öffnen?«
»Warum nicht? Mir kam es nur auf die originelle Flasche an. Von Weinen halte ich nicht viel. Ich trinke lieber Whisky.«
»Und für eine Flasche geben Sie solch eine Summe aus?«, fragte Jane Collins.
»Nennen Sie es den Spleen eines Millionärs«, erwiderte Sir Randolph Norfolk. »Und jetzt lassen Sie uns nicht mehr davon reden. Vor uns liegen wesentlich schönere Stunden.
Jane Collins ließ sich von dem Optimismus des Mannes nicht anstecken. Sie hatte eine komische Vorahnung und war froh, dass sie mich angerufen hatte.
Als der schwere Wagen abfuhr, stand Gerard de Besancon vor dem Eingangsportal und starrte ihm nach. Langsam formten seine Lippen einen Satz. »Sie werden den Tag noch verfluchen«, flüsterte er und machte dann abrupt kehrt …
*
Im Kamin brannte das Feuer. Die Flammenzungen leckten gierig über die armlangen Holzscheite. Knisternd und prasselnd sprang die Rinde weg. Funken sprühten und verschwanden im Kamin.
Vor dem Kamin standen die beiden Schaukelstühle. Zwischen ihnen befand sich ein Tisch. Er war mit zwei noch leeren, hochstieligen, kostbaren Gläsern dekoriert, die so fein geschliffen waren, dass Jane Collins Angst hatte, sie hochzunehmen.
Und daraus sollte sie trinken.
Der Widerschein des Feuers brach sich blitzend auf dem Glas. Die geschliffenen Kanten und Ecken funkelten. Sie stachen am äußeren Rand des Glases hervor wie kleine Diamantsplitter.
Der Abend war wirklich gemütlich gewesen. Sir Randolph Norfolk hatte Jane Collins in ein stilvolles, fantastisches Restaurant geführt, das sie bisher noch nicht gekannt hatte und eigentlich nur Eingeweihten zugänglich war.
Französische Küche. Jane verdrehte im Nachhinein noch die Augen, wenn sie daran dachte. Auch der Champagner hatte es in sich gehabt. Es war keines der Gurgelwasser gewesen, die am nächsten Morgen Sodbrennen hervorrufen.
Jane hatte ein wenig gezögert, als Sir Randolph sie zu sich nach Hause einlud. Aber das gehörte zum guten Ton. Außerdem hatte die Detektivin noch einen Trumpf in der Hinterhand.
Zweiundzwanzig Uhr war durch. Vor fünf Minuten hatte die Wanduhr zum letztenmal geschlagen. Sir Randolph wollte nur noch sein Personal nach Hause schicken, um sich dann seinem Gast widmen zu können.
Er kam zurück. Auf dem flachen rechten Handteller trug er ein Tablett, auf dem die Flasche Wein stand. Sir Randolph hatte sie bereits geöffnet. Lächelnd stellte er das Tablett auf den kleinen Tisch, holte noch eine Kerze und steckte den Docht an.
Ruhig brannte die Flamme. Die Kerze verbreitete einen eigentümlichen Wachsgeruch, der Jane Collins jedoch angenehm in die Nase stieg. Sir Randolph war ein aufmerksamer Gastgeber. Er wickelte ein blütenweißes Tuch um die untere Flaschenhälfte und goss sich eine Fingerbreite des kostbaren Getränks ins Glas.
»Darf ich?«, fragte er.
Jane Collins nickte. Sie konnte eine innere Spannung nicht verleugnen. Zwar war sie neugierig darauf, den Wein zu kosten, aber gleichzeitig brannte auch die Warnung in ihrem Hirn, dies nicht zu tun. Sie suchte nach dem Grund. Vielleicht war der Wein mit irgendeinem Zusatz versehen? Einem Rauschmittel? Jane beschloss, nur einen kleinen Schluck zu probieren.
Wie Öl rann das edle Getränk in Janes Glas. Der Wein hatte eine dunkelrote Farbe, die Jane an Blut erinnerte.
Sie schluckte.
Sir Randolph drehte die Flasche so, dass kein Tropfen verlorenging. Dann schenkte er sein Glas voll.
Er nahm Platz, hob das langstielige Glas an, schaute über den Rand hinweg Jane Collins an, lächelte und sagte: »Cheerio. Auf die schönste Frau, die jemals vor diesem Kamin gesessen hat.«
Die Detektivin lachte perlend. »Sie sind ein Schmeichler, Sir Randolph.«
»Nein, nur Realist.« Er hob sein Glas noch einmal an und führte es dann an die Lippen.
Auch Jane trank. Sie schaute auf die Oberfläche des Weins und hatte für einen Augenblick das Gefühl, in einen blutroten Strudel zu blicken, in dem monsterhafte Figuren hin- und hertanzten. Sie lächelte über sich selbst, kostete erst mit den Lippen und trank einen kleinen Schluck.
Der Wein war angenehm temperiert. Jane schmeckte und kaute ihn, ließ ihn von einen Mundwinkel in den anderen fließen, merkte die Süße des Getränks und hatte plötzlich das Gefühl, den Mund voll Blut zu haben. Hastig stellte Jane das Glas weg. Allen Rücksichtsnahmen auf den Gastgeber zum Trotz wollte sie den Wein ausspeien, doch da rann er bereits die Kehle hinunter.
Scharf sog Jane Collins die Luft ein. Vom Magen her spürte sie ein Gefühl der Wärme in sich hochsteigen. Es breitete sich in ihrem gesamten Körper aus, heizte sie regelrecht von innen auf und gab ihr das Gefühl, in einer Sauna zu sitzen.
Schwer drehte sie den Kopf. Sie stellte dabei das Glas ab und schaute Sir Randolph an.
Ihr Gastgeber fühlte sich anscheinend auch nicht wohl. Er hatte seinen Krawattenknoten, soweit es ging, gelockert, den Kopf dabei zurückgelegt und atmete tief und fest ein.
Jane wollte ihn etwas fragen, doch kein Ton drang über ihre Lippen. Schwindel packte sie. Das Feuer im Kamin drehte sich vor ihren Augen, wurde zu einem rasenden Wirbel. Sie kam sich vor wie auf einem Schiff bei hohem Seegang, tauchte vor und dann wieder zurück. Heiß stieg es ihr vom Magen her hoch, in der Kehle spürte sie ein Würgen.
Luft! Luft! Alles in ihr schrie danach.
Sir Randolph Norfolk saß nicht mehr in seinem Sessel. Er war zu Boden gefallen und stöhnte jämmerlich.
Der Millionär hatte die doppelte Menge getrunken, es ging ihm dementsprechend schlechter. Er wälzte sich auf dem Teppich herum, aus seinem Mund drangen erstickt klingende Laute.
Jane wollte dem Mann helfen, obwohl sie selbst mit dem Tode rang. Sie stützte sich an den Sessellehnen hoch. Wieder packte sie der Schwindel. Er trieb Jane Collins nach vorn, und für einen Moment sah es so aus, als würde sie in den Kamin mit den brennenden Holzscheiten fallen. Dann hatte sich Jane gefangen. Sie schritt um den Stuhl herum und ging wie eine alte Frau auf den am Boden liegenden Sir Randolph Norfolk zu.
Der Mann befand sich in einem schlechten Zustand. Er rang verzweifelt nach Luft, fetzte mit beiden Händen den Kragen auseinander und riss dabei die Hemdknöpfe ab.
Jane Collins taumelte auf ihn zu. Mit jedem Schritt ging es ihr schlechter. Sie wollte dem Mann die Hand reichen, um ihn hochzuziehen, doch sie bekam das Übergewicht und fiel.
Dicht neben Sir Randolph blieb sie liegen.
Ihre Gesichter waren nur eine Handbreite voneinander entfernt. Dick perlte der Schweiß auf der Haut. In Sir Randolphs Augen lag ein fiebriger Glanz.
Er versuchte zu sprechen. Musste zweimal ansetzen, um verständliche Worte hervorzubringen.
»Wir … wir … hätten auf ihn hören sollen. Nicht … nicht trinken. Teufelszeug …«
Jane wollte etwas erwidern, doch die Stimme versagte. Sie sah Sir Randolph wie durch einen tänzelnden Schleier. Mühsam wälzte sie sich zur Seite, richtete ihren Blick auf die Tür.
Obwohl sie nur wenige Schritte entfernt war, kam ihr die Distanz doch ungeheuer weit vor. Sie wollte auf die Tür zukriechen, denn dicht daneben stand auf einem kleinen Tischchen das Telefon.
Kraftlos fiel Jane Collins zurück. Dann kamen die Wellen der Ohnmacht. Sie überschwemmten Jane und löschten ihr Bewusstsein aus.
Lange war sie nicht ohnmächtig. Als sie erwachte, war noch alles genau wie zuvor. Die Wanduhr tickte monoton, und Sir Randolph lag neben ihr.
Jane Collins fühlte sich wieder besser. Sie blieb noch ein paar Sekunden liegen, stemmte sich dann auf die Knie und rollte Sir Randolph an der Schulter zurück.
Schwer fiel der Mann auf den Rücken. Gleichzeitig traf Jane Collins der Schock.
Sir Randolph Norfolk hatte kein Gesicht mehr! Statt dessen starrte Jane ein fahler bleicher Totenschädel an!
Die Detektivin wurde vom Grauen geschüttelt. Jetzt sah sie auch, dass Sir Randolphs Hände aus bleichen Skelettknochen bestanden, ebenso wie sein Hals und seine Arme. Letzteres bemerkte Jane, als sie den Jackettärmel hochschob.
Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihr hoch. Wenn Sir Randolph in ein Schreckgespenst verwandelt worden war, und das nur, weil er von dem Wein gekostet hatte, dann …
Jane hob ihre rechte Hand. Sie traute sich kaum, ihr Gesicht anzufassen, spreizte die Finger, gab sich einen Ruck und fühlte nach.
Jane Collins’tastende Fingerkuppen berührten keine weiche Haut mehr, sondern die bleichen Knochen einer Skelettfratze!
*
Von den Pantoffeln schlüpfte ich in die Slipper und zog anschließend den Rollkragenpullover über den Kopf. Ehe ich meine Wildlederjacke überstreifte, dachte ich daran, die mit geweihten Silberkugeln geladene Beretta mitzunehmen.
Ich ließ es bleiben. Auf der Fahrt nach Chelsea würde mir schon kein Monster begegnen.
So glaubte ich ahnungsloser Tor.
Gegen dreiundzwanzig Uhr dreißig verließ ich die Wohnung. Suko, der sein Apartment nebenan hatte, war nicht eingeweiht. Ich wollte ihn mit solch einem Kram nicht belästigen.
Es war stiller geworden in London. Über die breite Kings Road fuhr ich meinem Ziel entgegen.
Der Bentley lief wie ein Uhrwerk. BBC brachte flotte Tanzrhythmen. Der Himmel über London war bewölkt. Bis vor wenigen Tagen hatten wir noch fast sommerliche Temperaturen gehabt. Direkt außergewöhnlich für Oktober, doch jetzt kündigte sich der Herbst mit aller Macht an. Die Blätter verloren das saftige Grün, wurden gelb, braun und orange. Nach dem ersten Nachtfrost würden sie abfallen wie reifes Obst.
Ich war froh, dass ich in diesen Tagen keinen heißen Fall am Hals hatte, so konnte ich liegen gebliebene Sachen aufarbeiten und kam auch dazu, pünktlich Feierabend zu machen.
Ich kannte die Ecke, in der Sir Randolph Norfolk wohnte. Vor eineinhalb Jahren hatte ich dort einen Fall zu lösen.
Ich bog in die Oakley Street ein, fuhr dann durch einige Nebenstraßen und erreichte mein Ziel.
Das Haus lag versteckt in einem Park. Kastanienbäume säumten die Fassade. Sie wechselten sich ab mit wuchtigen Ahornbäumen. Im ersten Stock brannte Licht. Ich sah es schwach durch die Vorhänge schimmern. Das kleine Gartentor war nicht abgeschlossen. Ich durchschritt es und betrat den Weg, der direkt zum Eingang führte. Meine Schuhe wühlten im Laub und schleuderten es hoch. Rechts sah ich eine Rasenfläche, und links von mir wuchsen mannshohe Büsche.
Der Eingang befand sich an der linken Seite des Hauses. Eine schmiedeeiserne Laterne brannte darüber. Ihr Schein fiel auf drei wuchtige Steinstufen, die zur Tür hoch führten.
Nicht im entferntesten rechnete ich mit einer Gefahr. Doch die kam. Die Gestalt musste im Gebüsch gelauert haben. Hinter meinem Rücken tauchte sie auf. Ich spürte, wie heißer Atem meinen Nacken streifte, zog instinktiv den Kopf ein, drehte mich dabei etwas zur Seite und konnte dem Hieb doch nicht entgehen.
Er traf meine linke Schulter.
Ohne es zu wollen, schrie ich auf, sank in die Knie und fiel vor der Stufe zu Boden.
Weit riss ich die Augen auf, entdeckte den Schatten über mir, sah, wie er den Arm hochhielt, und trat instinktiv mit dem rechten Fuß zu.
Der Schatten flog zurück, fluchte. Ich erkannte, dass er wild mit den Armen ruderte und sich dabei an den Zweigen der Büsche festzuhalten versuchte.
Ich stemmte mich hoch. Gefühllos hing mein linker Arm herab. Da kam der Kerl wieder.
Er war unheimlich schnell und hielt etwas Großes, Dunkles in seiner rechten Faust. Damit schlug er auch zu. Es gelang mir nur halb, den Hieb abzuwehren. Er durchbrach meine Deckung, und dann traf etwas Weiches meinen Schädel.
Sandsack oder Boxhandschuh.
Weiter konnte ich nicht mehr denken, denn der Hieb löschte auf der Stelle mein Bewusstsein aus.
Ich hatte wieder einmal Sendepause.
*
Jane Collins schrie nicht, stöhnte nicht und sagte auch nichts. Das blanke Entsetzen hatte sie gelähmt. Wie festgeleimt klebten ihre Finger am Gesicht, das gar keins mehr war.
Nur noch ein knöcherner Schädel.
Aber Jane war sonst völlig normal. Sie sah, fühlte und bewegte sich wie immer. Nur hatte dieser verdammte Teufelstrank ein Monster aus ihr gemacht.
Ihre Hand wanderte weiter. Sie fühlte das seidige Haar zwischen den Fingern. Es hatte sich nicht verändert. Wie ein Schleier umwehte es den hässlichen Schädel.
Jane dachte daran, dass ich bald eintreffen würde. Der Gedanke ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie hatte Angst, dass ich die Situation nicht richtig begriff, sie für ein Monster hielt und tötete.
Die Detektivin begann zu weinen. Die Tränen rollten über die blanken Knochen. Jane spürte es nicht.
Neben ihr hatte sich Sir Randolph aufgerichtet. Auch ihm war bewusst geworden, in welch einem Zustand er sich befand. Er zitterte vor Angst und Grauen. Dann wandte er Jane seinen Schädel zu.
»Sie … Sie auch?«
Die Detektivin nickte.
»Der Wein«, flüsterte Sir Randolph. »Wir hätten ihn nicht trinken dürfen. Nein …« Er vergrub seinen Schädel in den knöchernen Händen. Jane sah, dass seine Schultern bebten.
Sie fragte sich, was sie jetzt machen sollten. Sir Randolph Norfolk hatte den gleichen Gedanken.
»Was … was sollen wir tun?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber wir können nicht hierbleiben. Wir müssen uns verstecken. Wenn man uns sieht, dann ist es …«
»Still!«, rief Jane Collins. Sie hatte Schritte gehört. Ob John jetzt kommt? dachte sie.
Die Schritte näherten sich der Tür. Nicht schleichend oder zögernd, sondern zielstrebig.
Die Klinke bewegte sich nach unten. Zoll für Zoll glitt sie tiefer. Jane und Sir Randolph hielten den Atem an.
»Wenn der uns jetzt sieht«, wisperte der Mann, »dann …«
Er sprach nicht mehr weiter, denn im gleichen Augenblick wurde die Tür aufgedrückt.
Ein Mann stand im Zimmer. Seine Gestalt hob sich dunkel im Türrechteck ab. Der Widerschein des Kaminfeuers glitt über seine untere Körperhälfte.
Der Mann war nicht John Sinclair. Das sah Jane Collins sofort. Aber sie kannte ihn, hatte vor Kurzem noch mit ihm gesprochen. Der Eindringling war kein geringerer als Gerard de Besancon!
Er schien auch nicht überrascht zu sein, Jane Collins und ihren Gastgeber in diesem Zustand vorzufinden, denn als er näher kam, kräuselten sich seine Lippen zu einem wissenden Lächeln.
»Ich hatte Sie gewarnt«, sagte er.
»Dann … dann sind Sie an allem schuld«, ächzte Sir Randolph.
»Wieso ich?« Der Mann blieb stehen.
»Weil Sie das hätten verhindern können!«
»Das wollte ich auch, aber gegen Ihren Dickkopf kommt man nicht an. Und es tut mir nicht einmal leid.« Gerard de Besancon trat an den Tisch und nahm die Flasche an sich. Gelassen drückte er den Korken auf die Öffnung. Dann ließ er die Flasche in seiner Innentasche verschwinden.
»Was haben Sie damit vor?«, keuchte Sir Randolph.
»Ich werde das Vermächtnis meines Vorfahren erfüllen.«
»Und das wäre?«
De Besancon winkte ab. »Das werde ich Ihnen nicht unter die Nase reiben. Sie habe ich nur gewarnt. Das sollte reichen. Wie Sie aus diesem Dilemma herauskommen, das ist Ihre Sache. Mir genügt es, wenn ich die Flasche habe.«
Zum ersten Mal mischte sich Jane Collins in das Gespräch. Mit leiser Stimme sagte sie: »Ich gebe zu, dass Sie gewonnen haben, Monsieur. Aber bitte, nennen Sie uns einen Weg, damit wir wieder zu normalen Menschen werden.«
»Wie käme ich dazu?« Der Mann lachte.
»Ihnen kann es doch egal sein, wie wir herumlaufen. Ob mit oder ohne Totenschädel. Bitte, Monsieur, denken Sie einmal menschlich.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Es ist mir aber nicht egal, Mademoiselle.« Er deutete dorthin, wo die Flasche steckte. »Dieser Trank ist ein Gebräu der Hölle und hat eine ähnliche Wirkung wie Heroin. Wer einmal davon gekostet hat, kommt nicht mehr los. Daran sollten Sie denken. Es wird die Zeit kommen, da gieren Sie nach diesem Getränk, da werden Sie sich nicht mehr wiedererkennen und für einen Schluck von diesem Wein alles tun.«
Jane holte tief Luft. »Sie sind … Sie sind eine Bestie!«
De Besancon lachte. »Na und? Was stört mich Ihre Meinung, wenn ich durch den Trank Herrscher über Tausende von Menschen werden kann. Was ich in der Hand halte, ist das Konzentrat. Ich werde es verdünnen und in Flaschen füllen. Hunderte, nein, Tausende von Menschen geraten dann in meine Abhängigkeit, wie Sie. Schon bald werden Sie süchtig danach sein und auf mein Schloss zu kommen. Ich warte dort. Der Keim des Bösen ist gesät, und die Frucht wird aufgehen.«
Jane musste sich beherrschen, um diesem Mann nicht an die Kehle zu springen. »Wird der Totenschädel für immer bleiben?« , schrie sie.
»Was regen Sie sich auf?«, konterte de Besancon. »Ob mit oder ohne Totenschädel. Sie sind in meiner Gewalt.«
Da drehte Sir Randolph durch. Er fuhr vom Boden hoch, schrie dabei und stürzte auf de Besancon zu.
Der Franzose drehte sich blitzschnell, ließ Sir Randolph ins Leere laufen und trat ihm wuchtig die Beine weg.
Der Hausherr fiel gegen den Tisch, riss ihn mit um und blieb auf dem Möbel liegen.
Dann war Jane an der Reihe. Hastig zog sie an der Teppichbrücke, auf der de Besancon stand.
Der Franzose bekam das Übergewicht und fiel. Dumpf prallte er auf den Rücken.
Sofort setzte Jane nach.
Doch mitten in der Bewegung verharrte sie. Mit einer traumhaft sicheren Bewegung hatte der Mann eine Pistole gezogen und ließ die Detektivin in die Mündung schauen.
»So nicht, Mademoiselle! Gehen Sie zur Seite. Normalerweise hätte ich geschossen, aber ich brauche Sie noch. Los, machen Sie schon!«
Jane gehorchte. De Besancon stand auf, ohne die Detektivin aus den Augen zu lassen. Rückwärts bewegte er sich auf die Tür zu. »Ich erwarte Sie auf meinem Schloss«, sagte er spöttisch, schlüpfte durch den Türspalt und knallte die Tür einen Atemzug später zu. Jane hörte, wie er einen Schlüssel zweimal herumdrehte und ihn dann aus dem Schloss zog.
Ein, zwei Atemzüge lang blieb die Detektivin auf dem Fleck stehen, dann lief sie hinüber zu Sir Randolph Norfolk.
Der Mann lag über der hochgekippten Tischplatte. Seine Jackettärmel waren nach oben gerutscht. Der Widerschein des Kaminfeuers zuckte über die bleichen Knochen. Norfolks Kleidung schlotterte um seinen skelettierten Körper. Die Hose wurde von den Trägern gehalten.
Der Mann war nicht bewusstlos, aber schwer angeschlagen. Jane half ihm aufzustehen. Sie zog ihn zu einem Sessel, in den sich Sir Randolph schwer hineinfallen ließ.
»Ist er weg?«, fragte er.
»Ja, und er hat den Wein mitgenommen.«
»O mein Gott.« Mit der knöchernen Hand fasste sich Sir Randolph an den Schädel. »Womit haben wir das verdient? Wie ist so etwas überhaupt möglich?«
»Ich weiß es auch nicht«, antwortete Jane. »Aber wir werden es bestimmt bald erfahren.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Sir Randolph. »Wir können uns doch nicht in unserem Zustand auf die Straße wagen. Die Leute würden Zeter und Mordio schreien und uns für was weiß ich halten. Sie würden die Polizei anrufen und …«
»Auf jeden Fall müssen wir hier weg«, sagte Jane.
»Und wohin?«
»Auf Ihr Schloss in Essex!«
»Nein, das geht nicht!« Der Mann sprang auf. »Mein Personal, wenn das uns so sieht …«
»Es gibt aber keine andere Möglichkeit. Wenn wir jetzt fahren, schaffen wir es noch in der Dunkelheit.«
Sir Randolph überlegte. Dann nickte er und sagte: »Ich glaube, Sie haben recht, Miss Collins. Kommen Sie.« Er stand auf und ging zur Tür.
»Die ist verschlossen«, sagte Jane.
»Macht nichts. Ein Ersatzschlüssel liegt oben auf dem Kaminsims.«
Jane fand ihn an der angegebenen Stelle und schloss die Zimmertür auf. Im Haus war es still. Sie schlichen über den breiten Gang und erreichten die Treppe, die nach unten führte.
Jane hoffte inständig, dass ich nicht kommen würde. Oder erst dann, wenn sie weg waren. Sie nahm sich vor, mir telefonisch alles zu erklären.
Noch war alles ruhig im Haus. Jane hörte nur ihre und Sir Randolphs Atemzüge.
Der Millionär machte Licht im Flur. Mehrere Wandlampen verbreiteten ihren milden Schein.
Jane kam an einem Spiegel vorbei. Wie es ihr in Fleisch und Blut übergegangen war, warf sie einen Blick nach links, um sich im Spiegel zu betrachten.
Sie erschrak bis ins Mark.
Ein bleicher Totenschädel starrte ihr entgegen. Das sollte sie sein? Jane konnte einen heftigen Schrei kaum unterdrücken. Sie war zu einem Monster geworden, wie es im Buche stand. Ihr Körper aber war unversehrt geblieben.
Es war schrecklich …
Jane atmete tief durch und wandte den Blick ab. Sie begann wieder zu weinen, und sie fragte sich, ob sie je wieder die alte Jane Collins werden würde.
Sir Randolph war schon vorausgegangen. Auf halber Treppe blieb er stehen und drehte sich um. »Kommen Sie, Jane. Beeilen Sie sich. Bis zu meinem Schloss haben wir fünfundsiebzig Meilen zu fahren.« Er ging weiter. »Nur gut, dass ich den Chauffeur nach Hause geschickt habe«, murmelte er dann.
Jane folgte ihm. Zum Schloss zu fahren und sich dort vor den Blicken der Menschheit zu verbergen, darin sah die Detektivin im Augenblick die einzig richtige Lösung.
Sir Randolph wartete bereits unten in der Diele. Er deutete auf die Haustür. »Da, sie ist offen. Jetzt ist mir auch klar, wieso der Kerl reingekommen ist.« Er ging nach draußen, während Jane Collins die letzten Treppenstufen hinter sich brachte.
Ein Schrei!
Sir Randolph Norfolk hatte ihn ausgestoßen. Im nächsten Augenblick stand er wieder in der Diele. Seinem Gebaren nach zu urteilen, war er ziemlich aufgeregt.
»Was ist?«, rief Jane. Sie lief auf den Mann zu.
Sir Randolph Norfolk deutete zum Ausgang hin. »Dort … dort auf den Stufen … Da liegt jemand …«
»Was?«
Jane Collins lief an dem Mann vorbei nach draußen. Und sie sah mich auf der untersten Stufe liegen.
»John!« Der Name war nur ein Hauch, aber Sir Randolph verstand ihn.
»Sie kennen ihn?«
»Ja, es ist – John Sinclair, ein guter Freund von mir.«
»Aber wieso kommt er …?«
Janes Finger umspannten den linken Oberarmknochen des Mannes. »Das erkläre ich Ihnen später, Sir Randolph. Wir müssen jetzt weg.«
»Aber wenn der Mann tot ist?«
Jane schüttelte den Kopf. »Ist er nicht. Nur bewusstlos. Normalerweise hätte ich ihm ja …« Sie brach ab, weil Tränen ihre Stimme erstickten. Dann sprang sie schnell über mich hinweg und lief rasch durch den Vorgarten.
»So warten Sie doch, Jane«, rief Sir Randolph und rannte hinter der Detektivin her.
*
Mein Kopf brummte wie ein Kreisel, und direkt unter der Schädeldecke schienen tausend kleine Bergleute zu hämmern.
Ich fühlte mich verdammt unwohl.
Von irgendwoher vernahm ich Geräusche, vermochte sie aber nicht einzuordnen. Am liebsten wäre ich liegen geblieben, aber etwas drückte von unten her scharf gegen meinen Bauch.
Ich bewegte meine Hand, tastete, fühlte rauen Stein unter den Fingern und spürte auch dann die Treppenkante, auf der ich lag. Die Erinnerung setzte ein. Ich war auf das Haus zugegangen, hatte die Tür erreicht, und dann war irgendein Kerl aus dem Gebüsch gesprungen und hatte mir etwas über den Schädel geschlagen.
Aus, vorbei.
Mist! Ich fluchte innerlich, öffnete die Augen und hörte plötzlich Stimmen an meine Ohren dringen. Sie schienen von sehr weit her zu kommen, aber ich unterschied deutlich eine Frauen- und eine Männerstimme. Und die Frauenstimme kam mir bekannt vor.
Irgendwo in meinem Gehirnwinkel klickte es.
Jane! Himmel, die Stimme gehörte Jane Collins. Jetzt war mir klar, weshalb ich hergekommen war. Ich stützte mich auf, doch meine Arme knickten weg.
Dann sprang jemand über mich hinweg. Im nächsten Augenblick hörte ich die Männerstimme. »So warten Sie doch, Jane!«
Der Satz elektrisierte mich. Plötzlich erwachte ich aus meiner Lethargie. Wie weggeblasen war die Erinnerung an das Vergangene. Ich kam hoch und zog mich auf die Beine.
Jane hatte schon längst den Vorgarten durchquert und befand sich auf der Straße. Ihr langes blondes Haar flatterte wie eine Fahne. Noch im Garten befand sich der Mann, doch es gab keinen Zweifel, dass er den gleichen Weg nehmen würde wie Jane Collins.
»Bleiben Sie stehen!«, rief ich.
Er rannte weiter.
Ich nahm die Verfolgung auf. Wankte dabei hin und her wie ein vollgefressener Seelöwe. In meinem Schädel explodierten kleine Sonnen, doch ich biss die Zähne zusammen und machte weiter.
Warum lief Jane vor mir davon? Verdammt, sie wusste doch, dass ich sie abholen wollte! Was war geschehen?
Ich erreichte das kleine Tor. Drehte den Kopf nach links und bekam gerade noch mit, wie ein schwerer Rolls-Royce aus einer Parklücke scherte, hart vorangetrieben wurde und an mir vorbeipreschte.
Für Bruchteile von Sekunden erhaschte ich einen Blick ins Innere des Wagens.
Hinter dem Steuer saß ein lebendes Skelett.
Und auf dem Beifahrersitz ebenfalls ein solches Monster. Dazu mit langen blonden Haaren.
Jane?
Ich wischte mir über die Augen, glaubte an eine Täuschung, und als ich wieder hinsah, war der Rolls längst verschwunden. Jetzt eine Verfolgung aufzunehmen, hätte keinen Sinn gehabt. Bis ich meinen Bentley erreichte, ging viel zu viel Zeit verloren. Außerdem fühlte ich mich nicht so in Form, um jetzt noch an nächtlichen Rennen teilzunehmen.
Vor Wut hätte ich losschreien können.
Ich betrat das Haus, durchsuchte die Zimmer und gelangte auch in den Raum, in dem Jane und Sir Randolph sich aufgehalten hatten. Ich sah den umgestürzten Tisch, die zerbrochenen Weingläser. All dies deutete auf einen Kampf hin, der sich in dem Raum zugetragen haben musste.
Aber wer hatte hier gegen wen gekämpft?
Ich verschob die Lösung des Rätsels auf später. Erst einmal musste ich mich um Jane Collins kümmern. Um sicher zu sein, dass ich mich auch nicht getäuscht hatte, rief ich vom Autotelefon aus ihre Nummer an.
Achtmal klingelte es durch. Niemand hob ab.
Dann war Jane also doch die Person gewesen, die auf dem Beifahrersitz gehockt hatte.
Mit einem Totenschädel!
Eine Gänsehaut rann mir über den Rücken, als ich daran dachte. Hart presste ich die Lippen zusammen. Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht mit einem neuen Fall.
Aber wer war der Mann, der mich niedergeschlagen hatte? Ich hatte von ihm nichts erkennen können. Alles war zu schnell gegangen. Im Handschuhfach suchte ich nach einer Kopfschmerztablette. Sie schmeckte wie Galle.