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Der Tipp kam von Myxin, dem Magier. "Wenn du Destero, den Dämonenhenker, finden willst, musst du das Grab in der Hölle suchen."
"Mehr nicht?", fragte ich sarkastisch.
"Nein."
Ich machte mich auf den Weg. Es wurde eine Odyssee des Schreckens, denn vor dem Grab lagen die Kammern der 1000 Qualen. Jede einzelne musste ich durchqueren, und mit jeder Kammer steigerte sich der Schrecken ...
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Seitenzahl: 172
Cover
Impressum
Das Grab in der Hölle
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Teri Virbickis
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1606-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts. Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung. Als Oberinspektor bei Scotland Yard tritt er Woche für Woche gegen Zombies, Werwölfe, Vampire und andere Höllenwesen an und begeistert weltweit eine treue Fangemeinde.
Mit der John Sinclair Sonder-Edition werden die Taschenbücher, die der Bastei Verlag in Ergänzung zu der Heftromanserie ab 1981 veröffentlichte, endlich wieder zugänglich. Die Romane, in denen es John vor allem mit so bekannten Gegnern wie Asmodina, Dr. Tod oder der Mordliga zu tun bekommt, erscheinen in chronologischer Reihenfolge alle zwei Wochen.
Lesen Sie in diesem Band:
Das Grab in der Hölle
von Jason Dark
Er bot ein Bild des Schreckens!
Eine dunkelrote Kapuze verdeckte seinen Kopf. Zwei Schlitze waren auf Höhe der Augen in den Stoff geschnitten. Sein Oberkörper, muskulös und sehnig, war nackt. Die Haut schimmerte braun, als wäre sie ununterbrochen Sonnenstrahlen ausgesetzt. Doch in der Welt, aus der er kam, gab es keine Sonne, dort herrschte das absolute Grauen, das Chaos.
Seine Füße steckten in Schaftstiefeln, die bis zu den Schienbeinen reichten. Eine enge Hose schmiegte sich um seine Beine. Sie wurde von einem breiten Gürtel gehalten, an dem sich auch die lange Scheide befand.
Hier verwahrte er das Wichtigste überhaupt, sein Wahrzeichen, seine Waffe: Das Schwert.
Denn die Gestalt mit der Kapuze war eine Symbolfigur im Reich des Schreckens – sie war Destero, der Dämonenhenker!
***
Er stand auf der breiten Kuppe eines Berges. Ein heißer Wind wehte ihm entgegen und spielte mit dem Stoff der Kapuze. Über ihm spannte sich ein gewaltiger, rotviolett glosender Himmel, wie es ihn auf der Erde nicht gab.
Er blickte hinunter ins Tal und sah dort die gespenstischen Nebel wallen, als würden gewaltige Hände den Dunst aufwühlen und durcheinanderquirlen.
Manchmal, wenn die Sicht etwas freier war, dann fiel sein Blick auf die riesigen Steine, die wie die abgebrochenen Zahnstummel eines Riesen wirkten. Einst waren sie schwarz gewesen, doch jetzt glühten auch sie in einem dunklen Rot, durch das die violette Farbe schimmerte.
Er fühlte sich als Herrscher, als Sieger. Bisher hatte es keiner geschafft, ihn in die Knie zu zwingen. Kein Dämon und kein Mensch. Er hatte sie besiegt – und getötet.
Bis auf einen. John Sinclair!
Dieser Mann war zu seinem Todfeind geworden. Schon mehrere Male waren Destero und Sinclair aufeinandergetroffen. Der Kampf hatte immer unentschieden geendet. Das wurmte Destero. Er wollte Sinclair, er musste ihn haben.
Aber da gab es ein Hindernis. Asmodina, die Tochter des Teufels. Sie hielt ihn immer zurück. Sie wollte nicht, dass er blind in die Falle tappte. Er sollte nach einem raffinierten Plan vorgehen, der Sinclair zu Fall brachte.
Asmodina wollte ihn ausklügeln. Sie hatte sich lange zurückgezogen und darüber nachgedacht. Nun war es so weit. Der Plan stand. Und Destero wollte ihn hören.
Langsam stieg er den Berg hinab. Seine Schritte waren gleichmäßig, ein wuchtiger Dämon, übergroß und brandgefährlich. Er war sich seines Wertes bewusst, er hatte keine Angst, denn nicht nur Asmodina stand hinter ihm, sondern auch Maddox, der unheimliche Richter, der die Urteile sprach, die Destero anschließend vollstreckte. Sein Schwert tötete die Versager unter den Dämonen, damit deren Seelen in die ewige Verdammnis eingehen konnten.
So schrieben es die Schwarzen Gesetze vor, so war es bestimmt.
Staub wallte auf, als Destero den Berg hinab schritt. Braunes Geröll rollte unter seinen Füßen weg, verschwand im Nebel und blieb irgendwo unten liegen.
Auch Destero tauchte schon bald in den Nebel ein. Nun war er nur als Schatten zu erkennen, doch zielsicher fand er seinen Weg. Er kannte sich in diesem Tal, dem Vorhof zur Hölle, aus, in dem die Kammern der Tausend Qualen lagen.
Wer das Tal durchschreiten wollte, musste erst durch diese Kammern. Das hatte noch niemand überlebt. Erst recht kein Mensch. Manchmal machten sie sich einen Spaß und holten Menschen von der Erde, um sie durch die schrecklichen Kammern zu jagen.
Es waren derer drei. Zwei hatte noch niemand geschafft. In der zweiten waren die meisten gescheitert und jämmerlich ums Leben gekommen.
Neben den hohen Steinen wirkte selbst eine Gestalt wie Destero klein. Ihr Alter war kaum zu zählen. Seit Tausenden von Jahren standen sie bereits in diesem Reich, als stumme, drohende Wächter vor den schrecklichen Kammern.
Destero bog scharf nach links ab, gelangte auf ein kleines Plateau und erreichte eine Höhle, deren Eingang verschlossen war. Dahinter lag das große Geheimnis verwahrt, das Rätsel, das John Sinclair die endgültige Vernichtung bringen sollte. Destero fiel es schwer, die Höhle nicht zu betreten, aber er hielt sich zurück, denn er dachte an Asmodinas Anweisungen.
»Du möchtest wohl gern, nicht?«, erklang hinter ihm eine Frauenstimme.
Destero drehte sich um. Asmodina stand vor ihm.
Feuerrot leuchtete ihr Haar. Sie war eine schöne Frau mit einem ebenmäßigen Gesicht und schräg stehenden Augen, die jedoch die Kälte des Weltalls ausstrahlten. Ihr Mund zeigte zwei grausame Linien um die Winkel, und aus der glatten Stirn wuchs links und rechts ein Horn. Das Zeichen des Teufels!
Asmodina trug ein nachtschwarzes dünnes Gewand und hatte sich um den Hals eine Kette aus Gebeinen gehängt, die bei jeder etwas heftigeren Bewegung gegeneinander klirrten.
»Es würde mich reizen, dort hineinzugehen«, gab der Dämonenhenker zu und nickte.
»Später«, sagte die Teufelstochter. Sie gehörte zu den wenigen, die Desteros Gesicht kannten. Sie wusste, welch ein grauenhafter Schädel sich unter der Kapuze verbarg. Eine Ausgeburt des Schreckens, aber sie sagte nichts.
»Wird er kommen?«, fragte Destero.
»Ich habe alles in die Wege geleitet«, erklärte die Teufelstochter.
»Wie?«
Da lachte die Frau kalt auf. »Ich werde dir nichts sagen, Destero. Gar nichts. Aber ich verspreche dir, dass du es sein wirst, der John Sinclair töten darf.«
Destero hob die Schultern. So ganz war er noch nicht überzeugt. Bisher hatte er es nicht geschafft, John Sinclair zu töten.
»Du glaubst mir nicht«, stellte Asmodina fest.
»Nein.«
»Dann sieh her.« Sie hob die rechte Hand und schnippte mit ihren langen Fingern.
Ein Zeichen für ihre Dienerinnen. Es waren die Todesengel. Fabelwesen, Frauen mit Flügeln, die Asmodina zur Seite standen und schützten.
Zwei Todesengel flogen heran. Sie sahen aus wie immer. Sie trugen schwarze Oberteile und lange, schwarze Hosen. Zwischen Oberteil und Hose befand sich ein freier Streifen Haut.
Die ebenfalls rothaarigen Todesengel stellten die Kiste ab und flogen wieder davon.
Destero starrte darauf. »Was ist das?«, klang es dumpf unter seiner Kapuze hervor.
»Öffne sie.«
Der Dämonenhenker trat vor, bückte sich und hob den Deckel der Kiste an. Mit einem Schrei auf den Lippen prallte er zurück. Seine Hand klatschte auf den Schwertgriff, denn der Inhalt der Kiste hatte ihn überrascht und geschockt zugleich.
Darin lag ein Mensch. Ein männliches Wesen. John Sinclair!
***
»Du!«, keuchte Destero. »Du … du hast ihn schon!«
»Ja, ich habe ihn!«
»Und jetzt?« Der Dämonenhenker stand halb geduckt da, die Hand lag noch immer auf dem Schwertgriff.
»Hol ihn aus der Kiste.«
»Du erlaubst es mir?« Er steckte noch immer voller Zweifel.
»Warum nicht?«
»Aber die Kammern. Er sollte doch …«
»Hol ihn, und nimm ihn dir!«
Da zögerte Destero nicht mehr. Er griff in die Kiste und hob den Mann wie eine Puppe hoch. Dabei lachte er wild, als er sah, dass er sich nicht rührte.
Asmodina aber deutete auf einen flachen Stein, der kniehoch aus dem braunen Untergrund ragte. »Dort kannst du ihn hinrichten«, erklärte sie.
Das ließ Destero sich nicht zweimal sagen. Er schaffte Sinclair an den Ort und legte ihn so hin, dass sein Kopf über den Stein hinwegragte. Sinclair lag auf dem Rücken, Destero riss sein Schwert aus der Scheide und holte weit aus.
»Darauf habe ich lange gewartet!«, rief er und ließ das Schwert nach unten sausen.
Die Klinge pfiff durch die Luft – und sie trennte mit einem sauberen Schnitt den Kopf vom Rumpf des Mannes.
Triumphierend brüllte Destero auf. Dann jedoch erstickte der Freudenruf in einem Ächzen.
Der Kopf fiel auf die Erde und rollte Asmodina genau vor die Füße, aber kein Tropfen Blut war aus der Wunde gequollen. Destero hatte keinen Menschen geköpft, sondern eine Puppe.
Asmodina hatte sich einen grausamen Spaß mit Destero erlaubt und lachte laut. »Ich wollte sehen, ob du gut reagierst. Du hast deine Probe bestanden. Beim nächsten Mal ist Sinclair echt!«
***
Er wurde als Kampf der Giganten angekündigt. Als die Show des Jahres. Die Gegner: Nick Spiro auf der einen und die Walze aus Wales auf der anderen Seite.
Niemand wusste den Namen der Walze, vielleicht noch nicht mal er selbst. Er wurde auf jeden Fall als Walze von Wales bezeichnet und hatte unter diesem Kampfnamen noch keine einzige Niederlage durch Knock-out hinnehmen müssen. Und jetzt traf die Walze auf Nick Spiro.
Spiro – dieser Name ließ das Herz eines jeden Boxfreundes höherschlagen. Spiro kam aus den Slums des Hafenviertels. Seine Mutter kam aus Jamaica. Den Vater hatte Spiro kaum gekannt. Als er drei Jahre alt war, hatte ein Unglücksfall seinen Vater dahingerafft.
Nick war mit seinen vier Geschwistern bei seiner Mutter aufgewachsen und hatte gelernt, sich durchzusetzen. Denn wer sich nicht durchsetzte, den fraßen bald die Geier, wie es so schön hieß.
Nick hatte gelernt, seine Fäuste zu gebrauchen. Irgendwie war er ein Naturtalent. Er hatte Kinder verhauen, die älter waren, und als Jugendlicher war er der King der Straße gewesen. Niemand hatte sich in seine Nähe getraut.
Im Bewusstsein seiner Größe hatte er sich aber auch überschätzt und sich mit dem Gesetz angelegt. Man hatte ihn als Einbrecher gestellt. Da hatte Spiro zum ersten Mal eine Niederlage hinnehmen müssen, denn der Beamte hatte keine Gnade gekannt. Er hatte ihm den Gummiknüppel in den Nacken geschlagen, und Spiro war zu Boden gegangen. Er hatte vor dem Polizisten gekniet, und diese Szene hatte er nie vergessen. Er hatte hochgeblickt und in das grinsende Gesicht des Mannes geblickt. Da hatte er sich geschworen, sich nie mehr schnappen zu lassen.
Nun, die Sache war letztendlich glimpflich abgelaufen. Man kannte seine Mutter, die putzte nämlich im Polizeirevier, und der Dienststellenleiter hatte Nick Spiro ins Gewissen geredet, während die Mutter daneben gesessen und geheult hatte.
Dann hatte der Mann die bedeutungsvollen Worte gesagt: »Wieso bist du eigentlich noch hier? Ich habe dich doch mal kämpfen gesehen. Du bist ein Riesentalent, mein Junge. Ich habe früher auch mal geboxt. Wenn du willst, kannst du bei uns trainieren.«
»Bei euch Bullen?«
»Aber klar.«
Nick hatte schließlich zugestimmt. Und nicht nur das. Plötzlich hatte ihm das Leben gefallen. Er hatte die Kameradschaft bei der Polizei kennengelernt. Es gab dort keine Standesunterschiede, und der dunkelhäutige Nick Spiro wurde als Kollege akzeptiert.
Plötzlich hatte sein Entschluss festgestanden. »Ich gehe zur Polizei, Mum«, hatte er zu seiner Mutter gesagt.
Die Frau hatte geweint. Ein alter Traum war in Erfüllung gegangen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Elena Spiro hatte das Zweite Gesicht.
Sie hatte oft Erscheinungen, sah in die Zukunft und hatte auch ihren Sohn gesehen. In einer Polizeiuniform. Jetzt war es tatsächlich eingetreten. Elena Spiro hatte ihrem Sohn erzählt, was sie gesehen hatte. So ganz hatte Nick ja nie glauben wollen, dass seine Mutter diese Begabung hatte, doch mittlerweile war er davon überzeugt.
Auch für ihn sollte es noch einige Überraschungen geben. Seine Karriere als Boxer war steil nach oben verlaufen. Nebenbei hatte er für die Prüfungen gebüffelt und war wirklich ein guter Polizist geworden.
Man war stolz auf ihn. Besonders die Polizisten unterstützten Nick. Wenn er kämpfte, war es Ehrensache, dass seine dienstfreien Kollegen am Ring saßen.
Spiro hatte sich langsam hochgeboxt und war dabei Amateur geblieben. Dann war etwas geschehen, das sein Leben grundlegend verändert hatte. Spiro hatte gegen einen Mann aus Mexiko gekämpft, der Stahlfäuste hatte. Dabei hatte sich Nick ein volles Pfund gefangen und war k. o. gegangen!
Er war ausgezählt worden, und war erst nach einer halben Stunde wieder voll da gewesen. Aber diese Zeitspanne hatte es in sich gehabt. Nick Spiro war nicht nur bewusstlos gewesen, er hatte auch eine schreckliche Vision gehabt.
Er hatte sich selbst auf der Trage liegen sehen, und sein Geist hatte sich vom Körper gelöst. Er war gewandert und dabei auf eine Welt getroffen, die so völlig anders war als die Erde.
Sein Geist hatte über einer urwelthaften, trostlosen Landschaft geschwebt. Riesige Gebirge, schreckliche Monstren, turmhohe Steine, gefährliche Sümpfe, Schrecken und Chaos.
Zum ersten Mal war Spiro mit der Welt der Dämonen konfrontiert worden. Er hatte das Grauen erlebt, all die Schrecken, und er war auf eine Gestalt getroffen, die ihn mit einem Schwert hatte köpfen wollen.
Spiro hatte sich nicht wehren können. Die Klinge war herabgesaust, und er hatte seinen Kopf verloren. Genau in dem Augenblick, als er erwacht war.
In den ersten Minuten redete er von der Welt, aber niemand hörte ihm richtig zu. Man schob es darauf zurück, dass er eben zu lange bewusstlos gewesen war.
Nick hatte mit seiner Mutter darüber gesprochen.
Die hatte Verständnis und sagte: »Du hast es also auch geerbt, mein Junge. Du gehörst zu den wenigen, die einen Blick in die Hölle oder in den Vorhof der Hölle geworfen haben. Deshalb bist du dazu ausersehen, die Hölle zu bekämpfen.«
Seitdem hatte sich der Traum wiederholt. Jedes Mal war Nick völlig hilflos gewesen, er hatte sich nicht gegen den Maskierten wehren können. Er hatte seine Träume allerdings für sich behalten.
Dann war der Tag gekommen, an dem sich viel ändern sollte. Spiro hatte sich wirklich zu einem guten Polizisten entwickelt, und es blieb nicht aus, dass sich seine Leistungen herumsprachen. Scotland Yard war aufmerksam geworden. Man hatte ihn in der Kriminalabteilung haben wollen.
Natürlich hatte Nick Ja gesagt. Und so hatte er mehr über den Aufbau und die Organisation des Yards erfahren. Und er hatte auch von einer Abteilung gehört, die sich mit Fällen beschäftigte, wo normale Mittel versagten. Übersinnliche, okkulte Dinge, Fälle, die es an sich nicht geben durfte, und die es trotzdem gab.
Ein Name war gefallen: John Sinclair. Er war Oberinspektor bei Scotland Yard.
Nick hatte aus verständlichen Gründen gezögert, sich mit John Sinclair in Verbindung zu setzen, er hatte sich nicht lächerlich machen wollen. Den Anstoß hatte schließlich ein wilder Traum gegeben, der in seiner Grausamkeit einmalig war. Der Henker war aber nicht bei ihm erschienen, sondern bei seiner Mutter. Und er hatte Elena Spiro geköpft.
Jetzt hatte Nick nichts mehr gehalten. Er hatte sich mit dem Oberinspektor in Verbindung gesetzt und einen Termin mit ihm vereinbart.
Spiro und Sinclair wollten sich an dem Freitagabend nach dem Kampf gegen die Walze aus Wales zusammensetzen, um über das Problem zu reden. Nick hatte für diesen Tag sämtliche anderen Termine abgesagt.
Jetzt war es so weit. Der Kampf stand bevor. Doch Nick konnte nur an seinen Traum denken. Er wirkte nervös. Das merkte sein Trainer und Manager, als er Nick die Bandagen um die Hände wickelte.
»Hast du Angst?«
Nick sah den wesentlich kleineren Mann überrascht an. »Wie kommst du denn darauf?«
»Du machst mir einen nervösen Eindruck.«
»Unsinn, Herb. Das scheint nur so.«
Herb schüttelte den Kopf. Das Licht in der Kabine ließ seine Glatze wie eine polierte Platte wirken. »Ich sehe es dir doch an, mein Junge. Aber jeder hat mal eine schwache Minute. Nur gegen die Walze aus Wales darfst du sie nicht haben. Du musst dich konzentrieren, Nick. Das ist einer deiner wichtigsten Kämpfe. Hast du mich verstanden?«
»Klar.«
»Nichts ist klar.« Herb trat zurück und deutete auf die Liege. »Wir haben noch eine Viertelstunde Zeit. Leg dich solange hin.«
Nick schüttelte den Kopf. »Ich will nicht.« Er hüpfte stattdessen herum und boxte ins Leere. Blitzschnell kamen seine Schläge, auch die Beinarbeit war perfekt. Dabei hatte er eine brettharte Linke, die so manchen Gegner erschüttert hatte.
Sorgenschwer setzte sich Herb auf den Stuhl. Er kannte seinen Schützling lange genug. Mit Nick stimmte etwas nicht.
»Hängt es vielleicht mit dem Treffen zusammen?«, fragte er.
Nick ließ die Fäuste sinken. »Welches Treffen meinst du?«
»Nach dem Kampf triffst du doch diesen Sinclair.«
»Ach so. Nein, damit hängt es nicht … ach, hör doch auf. Du willst mir da was einreden.«
»Du hast es ja zugegeben, Nick.«
»Nichts habe ich zugegeben. Gar nichts.« Die Stimme des Boxers klang wütend.
Herb sah den fünfundzwanzigjährigen Mann ernst an. Er sah einen Modellathleten vor sich. Nick war breit in den Schultern und hatte schmale Hüften. Auf seinem Kopf wuchs dichtes schwarzes Kraushaar. Er hatte dunkle Augen, eine kräftige Nase und ein energisches Kinn. An seinem Körper befand sich kein Gramm Fett zu viel, und die weiblichen Fans liefen ihm scharenweise nach. Nick machte sich jedoch nichts daraus, er fühlte sich einfach noch zu jung zum Heiraten.
Die Männer schwiegen.
Dann wurde geklopft. Reporter waren es nicht. Nick hatte darum gebeten, keinen in die Kabine zu lassen.
Da betrat der Ringrichter die Kabine und nahm die Handschuhkontrolle vor. Er nickte zufrieden, dann zog Nick Spiro die schweren Dinger an. Sie waren ebenso rot wie seine Hose, die einen weißen Gürtel hatte.
»Sie wissen ja Bescheid, Nick«, sagte der Ringrichter.
Spiro nickte. Er kannte den Mann. Lou Corner war früher selbst ein guter Boxer gewesen. Er hatte immer sehr fair gekämpft und griff auch als Ringrichter scharf durch. Nie ließ er sich auf irgendwelche unfaire Attacken ein.
»Ich muss noch zu Ihrem Gegner, Nick. Viel Glück für Sie.«
»Danke, Lou.«
Als der Ringrichter die Tür hinter sich geschlossen hatte, schlug Herb seinen Schützling auf die Schulter. »Dann lass dich mal nicht bange machen, altes Haus. Nimm die Walze, wie sie kommt. Du bist besser, du bist schneller, mein Junge. Immer daran denken. Die Walze aus Wales kämpft nur mit Kraft, aber du hast die Technik.«
»Klar.« Spiro hielt den Kopf gesenkt und presste die Lippen zusammen.
Herb ging zur Tür und öffnete sie. Sofort brandete der Lärm in den Raum. Im Gang hatten sich zahlreiche Fotografen und Reporter versammelt. Es herrschte die übliche Hektik, jeder wollte einen Blick auf die Kämpfer werfen, noch ein paar Worte vor dem Kampf mitbekommen, einige Aufnahmen schießen.
Nick Spiro verließ die Kabine. Sofort wurde er angesprochen und war im Nu von der Pressemeute umringt. Man zog und zerrte an seinem Mantel, die Fragen schlugen Nick nur so entgegen.
»Wann schlägst du ihn zu Boden? In der ersten Runde oder erst in der letzten?«
»Mach es gnädig, Nick.«
»Gib der Walze Zunder.«
Spiro hörte die Worte, aber er nahm sie nicht bewusst auf. Mit gesenktem Kopf schritt er durch den Gang und betrat die Arena, wo ihn tosender Beifall und grelle Pfiffe empfingen.
Nick Spiro jedoch, der sich noch nie vor einem Kampf gefürchtet hatte, wäre am liebsten in ein Mauseloch gekrochen und hätte sich sofort versteckt.
***
Wir hatten einen Platz dicht am Ring. Da Nick Spiro mich hatte sprechen wollen, war es mir möglich gewesen, ihm noch zwei weitere Karten zu entlocken.
Links neben mir saß Suko, rechts von mir Bill Conolly. Beide Männer waren Fans von Spiro und hatten sich riesig gefreut, als ich ihnen die Karte vor die Nase gehalten hatte.
»Das wird ein Kampf!« Bill jubelte jetzt schon und rieb sich die Hände.
Auch Suko freute sich auf den Kampf, denn er war für diese Sportart immer zu haben.
Während wir auf den ersten Gongschlag warteten, hatten sich die drei Frauen zu einem Essen verabredet. In Mayfair hatte ein neues Lokal eröffnet, das schweizerische Spezialitäten anbot. Jane Collins, Sheila und Shao wollten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen und nahmen einige Dickmacher zu sich.
Ich war natürlich gespannt, was Spiro von mir wollte, fremd war er mir nicht. Als einer der Unsrigen war er selbstverständlich der Favorit, dem wir immer die Daumen drückten, wenn er im Ring stand. Persönlich hatte ich ihn bisher noch nicht kennengelernt.
Um uns herum tobte die Menge. Es hatte einige Vorkämpfe gegeben, und die Zuschauer waren jetzt in der richtigen Stimmung. Vier große Fernsehkameras waren an strategisch günstigen Stellen verteilt, um einen optimalen Eindruck zu liefern. Das Stimmengewirr der Menschen erfüllte die Halle als stetiges Brausen.
Viel Prominenz war versammelt. Der Polizeichef hatte ebenso seinen Weg gefunden wie einige Kommunalpolitiker. Ich sah aber auch die Größen der Unterwelt mit ihren schmuckbehängten Damen. Da saß zum Beispiel Logan Costello, ein großer Mafiaboss im Kreise seiner Leibwächter.
Indirekt war ich mit ihm einige Male aneinandergeraten, und er machte mich auch noch heute für den Tod seines Bruders verantwortlich, obwohl dieser sich selbst umgebracht hatte. Costello hatte mich zwar bemerkt, mich jedoch mit keinem Blick gewürdigt.
Auch Bill hatte den Mafioso erkannt. »Irgendwann kriegen wir ihn«, knirschte er. »Und dann kann er sich warm anziehen.«
Ich nickte.