Julia Collection Band 189 - Jennifer Lewis - E-Book

Julia Collection Band 189 E-Book

Jennifer Lewis

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Beschreibung

Drei sexy Märchenprinzen versprechen ihren Traumfrauen ein Königreich – und halten ihr Versprechen! MINISERIE VON JENNIFER LEWIS EIN KÖNIGREICH FÜR DIE LEIDENSCHAFT Als der König stirbt, soll Lani als seine Witwe dessen Bruder heiraten. Doch ihre Ehe war die Hölle, und das Leben an der Seite des Thronerben wird kaum besser sein – zumal AJ wieder als Filmregisseur in L.A. arbeiten will. Trotzdem fühlt sich Lani unglaublich zu ihm hingezogen … KÖNIGREICH DER SÜSSEN VERSUCHUNG König Jake ist unschlüssig, was er tun soll. Seine Assistentin hat das Gedächtnis verloren und glaubt, sie wäre seine Freundin. Wenn er sie heiraten würde, hätten die Spekulationen um die zukünftige Königin Ruthenias ein Ende! Doch was ist, wenn sie ihr Gedächtnis wiedererlangt? EIN KÖNIGREICH FÜR EINEN KUSS! König Vasco lädt Stella auf sein romantisches Schloss ein, um sie leidenschaftlich zu verführen. Doch in seinen Armen plagen sie Zweifel: Ist der König wirklich in unendlichem Verlangen zu ihr entbrannt? Oder will er sie nur an seiner Seite, weil sie zufällig die Mutter seines Sohnes ist?

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Seitenzahl: 621

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Jennifer Lewis

JULIA COLLECTION BAND 189

IMPRESSUM

JULIA COLLECTION erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage in der Reihe JULIA COLLECTION, Band 189 09/2023

© 2011 by Jennifer Lewis Originaltitel: „The Prince’s Pregnant Bride“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Roswitha Enright Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1710

© 2011 by Jennifer Lewis Originaltitel: „At His Majesty’s Convenience“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Roswitha Enright Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1713

© 2011 by Jennifer Lewis Originaltitel: „Claiming His Royal Heir“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Roswitha Enright Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1715

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751519441

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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Ein Königreich für die Leidenschaft

1. KAPITEL

„Was? Wie kommst du auf die Idee, dass ich sie heiraten muss?“ AJ Rahia versuchte die Stimme zu dämpfen und sah sich kurz um. Nur wenige Meter entfernt von ihm stand die Frau, von der die Rede war. Wie alle Gäste, die zu dieser Trauerfeier gekommen waren, war sie schlicht und elegant gekleidet.

Traurig lächelnd ergriff AJs Mutter seine Hand. „Das ist deine Pflicht, mein Sohn. Wenn der König stirbt, muss einer seiner Brüder die Nachfolge antreten und die königliche Witwe heiraten.“

Plötzlich hatte AJ das Gefühl, als rückten die Wände des alten Palastes näher an ihn heran. „Das ist doch lächerlich. Schließlich leben wir im einundzwanzigsten Jahrhundert. Außerdem bin ich absolut sicher, dass sie mich genauso wenig heiraten will wie ich sie.“ Er zwang sich, sich nicht nach der hübschen jungen Witwe umzudrehen, die er seit ihrer Hochzeit fünf Jahre zuvor nicht mehr gesehen hatte.

Während die Mutter ihm liebevoll die Hand drückte, sagte sie leise, wenn auch nachdrücklich: „Sie ist sanft und schön.“

„Aber Mutter!“

„Und ich habe keinen anderen Sohn außer dir.“

Wieder empfand AJ dieses unbestimmte Schuldgefühl – wie jedes Mal, wenn er nach Rahiri zurückkehrte. Nach seiner Geburt, die offenbar sehr schwer gewesen war, hatte seine Mutter keine Kinder mehr bekommen können. Dass er das Rückflugticket nach Los Angeles bereits in der Tasche hatte, hatte er der Mutter bisher verschwiegen, und sogleich meldete sich sein schlechtes Gewissen. Eigentlich war er nur zur Trauerfeier gekommen, wenn man diese Veranstaltung überhaupt eine Trauerfeier nennen konnte, fand sie doch ohne den Leichnam statt.

„Bestimmt wird sie erst mal trauern und nicht an eine erneute Heirat denken.“ Zärtlich legte er der Mutter den Arm um die Schultern. „Und danach findest du sicher den richtigen Mann für sie.“

„Einen König kann man nicht suchen.“ Eindringlich sah die Mutter ihn an. „Zum König wird man geboren.“

„Aber ich wurde nicht als König geboren. Sondern um Actionfilme zu drehen, was ausgesprochen gut bezahlt wird.“

Doch seine Mutter winkte nur ab. „Ja, ja, aber für diesen Kinderkram bist du doch allmählich wirklich zu alt. Komm nach Hause, mein Sohn. Hier gehörst du hin, und wir brauchen dich.“

Die Last drückte immer mehr auf AJs Schultern. „Um das Land zu regieren? Kein Interesse. Was ist mit Cousin Ainu? Er hält sich doch für eine erstklassige Führungspersönlichkeit und wird die Aufgabe bestimmt mit großer Begeisterung übernehmen.“

Allmählich wurde seine Mutter ungehalten. „Seit Menschengedenken haben die Rahias das Land Rahiri regiert. Diese Tradition muss unbedingt aufrechterhalten werden.“

„Aber manchmal wirkt sich ein Wechsel sehr positiv aus.“ Leider klang das nicht ganz so überzeugend, wie AJ gehofft hatte. „Neue Besen kehren gut, und das Alte …“ Entsetzt sah er, wie der Mutter die Tränen in die kohlschwarzen Augen traten. „Entschuldige, das war sehr unsensibel von mir“, stieß er schnell hervor. „Natürlich wollte ich damit nicht sagen, dass Vanus Tod …“

Etwas Positives ist? Allerdings war das sein erster Gedanke gewesen, als er vom Tod seines Bruders gehört hatte. Andererseits wurde jetzt von ihm erwartet, dass er in dessen Fußstapfen trat – sehr schmale Fußstapfen wohlgemerkt, denn der Bruder hatte immer nur die teuersten Designerschuhe getragen –, und das war alles andere als positiv.

„Ich weiß, mein Kind. Du bist sehr direkt und musst das sagen, was dir gerade durch den Kopf geht. Du warst schon immer so: schwer zu bändigen und ein freier Geist …“

„Und vollkommen ungeeignet, König zu sein.“ Ganz so wild, wie man immer sagte, war er als Kind nicht gewesen. Aber dieser Ruf hing ihm an, und das war in der jetzigen Situation vielleicht von Vorteil.

„Komm, sprich mit Lani.“ Seine Mutter blieb eisern. Sie packte den Sohn mit festem Griff und zog ihn mit sich, bis sie vor der jungen Witwe standen. „Lani, du erinnerst dich doch noch an AJ? Vanus jüngeren Bruder?“

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Lani ihn an, dann senkte sie schnell den Blick und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. „Ja … ja, natürlich. Schön, dich wiederzusehen.“

Sie wusste, was auf sie zukam, und war entsetzt.

Als AJ ihre Hand in seine nahm, spürte er, dass sie zitterte. Schmal und aufrecht stand Lani vor ihm und sah ihn an. Wie es die Tradition vorschrieb, trug sie ein langes blaues Trauergewand, das Haar fiel ihr glatt über den Rücken. An ihre goldbraunen Augen konnte er sich noch gut erinnern, nicht aber an den gequälten Ausdruck, der darin lag. „Es tut mir so leid …“, sagte er leise und wandte den Blick ab, wie es die Höflichkeit erforderte. Außerdem war es für sein Seelenleben besser, denn Lani Rahia war eine ausgesprochene Schönheit.

Ihren ebenmäßigen Gesichtszügen war anzusehen, dass sie rahirische und amerikanische Vorfahren hatte. Die helle, klare Haut bot einen reizvollen Kontrast zu dem schweren dunkelbraunen Haar, das in der Sonne bisweilen kupfergolden schimmerte. Dass sein Bruder – oder war es vielleicht eher die Mutter gewesen? – sie zu seiner Königin gemacht hatte, obgleich sie aus bescheidenen Verhältnissen kam, konnte AJ nur zu gut verstehen.

Dennoch hatte er keineswegs die Absicht, den Platz seines Bruders einzunehmen und ihr König zu werden.

Ohne dass es Lani bewusst war, entzog sie AJ die Hand und strich sich nervös über die Hüfte. Wenn sie daran dachte, dass diese kurze Berührung erst der Beginn von ganz anderen Intimitäten war, wurde ihr elend. Denn ihr war klar, was man von ihr erwartete. Sie sollte den jüngeren Bruder ihres verschwundenen Mannes heiraten.

Immerhin war er höflich genug, sie nicht direkt anzusehen, wie es für Amerikaner sonst üblich war. Zwar war er kein Amerikaner, aber er hatte die ganze Zeit, die sie mit seinem Bruder verheiratet gewesen war, in Los Angeles gelebt. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er größer als sein Bruder war und auch kräftiger gebaut. Eigentlich sah er doch ganz freundlich aus. Aber sie wusste nur zu gut, wie leicht das Äußere täuschen konnte.

„Vanus plötzliches Verschwinden muss ein furchtbarer Schock für dich gewesen sein.“ AJs tiefe Stimme riss Lani aus ihren Gedanken. Verwirrt blickte sie ihn an.

Doch dann fasste sie sich. „Ja, schrecklich. Er war spätnachts noch mal rausgegangen, um über Verschiedenes nachzudenken, wie er sagte. Und ist nicht zurückgekehrt.“ Zitternd vor Angst hatte sie im Bett gelegen und auf seine Rückkehr gewartet. Denn er wolle „noch den Job beenden“, hatte er gedroht und sie dabei kalt angesehen. Und sie hatte steif vor Schrecken die Minuten und dann die Stunden gezählt, aber er war nicht zurückgekommen. Erst als die Vögel in der Morgendämmerung angefangen hatten zu singen, hatte sie sich langsam aus ihrer Erstarrung gelöst.

„Es muss schlimm sein, nicht zu wissen, was eigentlich passiert ist.“ AJs Stimme klang weich vor Mitgefühl, was Lani seltsam berührte. AJ … was war das überhaupt für ein Name?! Da er von allen nur AJ genannt wurde, hatte sie keine Ahnung, wie er wirklich hieß.

„Wir wissen immer noch nicht, was passiert ist.“ Ihre Schwiegermutter tupfte sich die Augen trocken. „Aber nach drei Monaten …“, sie schniefte leise, „nach drei Monaten muss ein Nachfolger ernannt werden.“

Lani überlief es eiskalt. Nur zu genau wusste sie, was das bedeutete. Nach rahirischer Tradition musste der Nachfolger sie heiraten. Ursprünglich hatte dadurch verhindert werden sollen, dass zwischen den Kindern des verstorbenen Königs und seinen Geschwistern ein Streit um die Thronfolge entbrannte. Aber Lani hatte keine Kinder.

„Drei Monate … da haben wir ja noch einen Monat Zeit“, meinte AJ. „Und wenn der König keine Geschwister hat, wer erbt dann den Thron?“

Wieder betupfte seine Mutter sich die Augen. „Das hat es noch nie gegeben. Die Familie Rahia ist dafür bekannt, sehr fruchtbar zu sein. Wenigstens meistens.“ Aufschluchzend drückte sie sich das Taschentuch an die Lippen.

„Aber Mom, nun beruhige dich doch.“ AJ legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie kurz an sich. „Wir finden eine Lösung, ganz bestimmt.“ Bei seiner zärtlichen Geste wurde Lani ganz warm ums Herz.

Unter Tränen lächelnd, sah die Mutter ihn an. „Danke, mein Sohn. Aber willst du nicht mit Lani auf die Terrasse gehen? Sie kann sicher eine kleine Verschnaufpause gebrauchen. Erst die Trauerfeier und dann die vielen Leute …“

AJ sah seine zierliche Schwägerin an, und ihr wurde der Mund trocken. Lieber wäre sie der Trauergemeinde weiter ausgeliefert gewesen als mit ihm, ihrem zukünftigen Mann, allein zu sein. Doch als AJ ihr den Arm bot und sagte: „Wie ist es, möchtest du …?“, hatte sie keine andere Wahl. Sie legte ihm die Hand auf den Arm, der kräftig und muskulös und nicht so sehnig und hart war wie der ihres Mannes, und nickte zögernd.

„Gut. Dann entschuldige uns bitte, Mutter.“

„Aber selbstverständlich.“ Priia strahlte. Alles lief nach Plan.

Während Lani mit AJ den Saal durchquerte, versuchte sie, eine neutrale Miene aufzusetzen. Erwarteten all diese Menschen tatsächlich, dass sie den Mann an ihrer Seite heiratete? Sahen sie schon den künftigen König vor sich, während der alte gerade erst gestorben war? Das heißt, vielleicht war er gar nicht tot. Schließlich war sein Leichnam nie gefunden worden. Oder sein Boot.

„Ich muss mich für meine Mutter entschuldigen“, murmelte AJ, als sie in den weiten kühlen Gang traten und ihre Schritte auf den weißen Marmorfliesen widerhallten. Behutsam löste er Lanis Arm von seinem.

Was ging in ihm vor? Leicht verwirrt sah sie ihn an. „Sie hat sicher nur die besten Absichten.“

„Meinst du denn, dass das wirklich das Beste ist?“ Fragend richtete er die braunen Augen auf sie.

„Ich weiß es nicht“, stieß sie leise hervor. „In diesen Dingen habe ich keine Erfahrung.“ Und einem rahirischen Prinzen gegenüber würde sie es nicht wagen, die Richtigkeit dieser alten Tradition anzuzweifeln. Denn wenn er seinem Bruder ähnelte, würde er sie sofort streng zurechtweisen.

„Aber du bist doch eine erwachsene Frau mit einer eigenen Meinung. Findest du es normal, jemanden zu heiraten, den du nicht kennst?“

„Vanu habe ich auch nur dreimal gesehen, bevor ich ihn geheiratet habe“, sagte sie, rot vor Verlegenheit.

„Dann hat meine Mutter das Ganze arrangiert, oder?“

„Ja.“ Am liebsten wäre Lani davongerannt und hätte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Sie war den Tränen nahe. Aber nicht, weil ihr Mann nicht mehr da und aller Wahrscheinlichkeit nach tot war. Sondern weil sie eine trostlose Zukunft vor sich hatte. Entweder musste sie jemanden heiraten, den sie nicht kannte und deshalb auch nicht liebte. Oder sie fiel bei Hofe in Ungnade, weil sie sich der Tradition verweigerte. Schnell wandte sie das Gesicht ab, weil sie spürte, dass sie die Tränen nicht länger zurückhalten konnte.

„Nun wein doch nicht, Lani, bitte. Komm, wir setzen uns auf die Terrasse. Die frische Luft wird uns guttun.“

Kurz warf Lani ihm einen Blick zu. Wie meinte er das? An frischer Luft mangelte es nun wirklich nicht, denn der breite Gang war zum Garten hin nur durch offene Arkaden getrennt. Aber selbst die frische Luft empfand Lani als bedrückend. Wahrscheinlich wegen der Erwartungen, die darin hingen und die sie als Last empfand.

Da AJ über einen Meter achtzig groß war, reichte Lani ihm kaum bis zur Schulter. Und wegen des langen Gewandes hatte sie Schwierigkeiten, mit ihm Schritt zu halten. Als er das bemerkte, blieb er stehen. In dem dunklen Anzug und bei den tropischen Temperaturen muss ihm doch warm sein, dachte sie und fragte leise und mit gesenktem Blick: „Möchtest du etwas Kaltes trinken?“

„Nein, danke. Lani, bitte, glaub mir, ich habe wirklich nichts gegen dich. Du bist ein sehr nettes Mädchen. Aber ich bin in den Staaten zu Hause. Ich bin Regisseur und …“

„Ich weiß“, warf sie eifrig ein. „Deine Mutter ist sehr stolz auf dich. Mindestens einmal im Monat sieht sie sich die ganze Drachenjäger-Serie an.“

„Was? Davon hat sie noch nie etwas gesagt.“

„Doch. Sie ist dein größter Fan.“ Unwillkürlich musste Lani lächeln, als sie AJs Verblüffung bemerkte.

„Das ist wirklich eine Überraschung. Fast genauso groß wie die, dass ich dich heiraten soll.“

„Ich weiß.“ Betreten blickte Lani zu Boden. Sollte sie sich dafür entschuldigen? Aber es war doch wirklich nicht ihre Schuld. Und vielleicht würde er sie missverstehen. Auch wenn er seinem Bruder nicht ähnlich sah, so konnte er doch den gleichen bösen Charakter haben. Und auf sie losgehen, wenn sie es nicht erwartete.

„Tut mir leid, ich hätte nicht davon anfangen sollen“, sagte er schnell, als er ihre Befangenheit bemerkte. „Es ist nur alles so unsinnig. Außerdem habe ich am Dienstag ein wichtiges Treffen mit einem Geldgeber in Los Angeles.“

Dann hatte er wirklich nicht vor, hierzubleiben und sie zu heiraten? Bei diesem Gedanken wurde Lani leichter ums Herz. Dass er sie nicht wollte, sollte sie eigentlich als Beleidigung auffassen. Aber sie war nur erleichtert. An die wahre Liebe glaubte sie sowieso nicht mehr, und die eine Ehe reichte ihr vollkommen.

Von der Terrasse aus hatte man einen atemberaubenden Blick über das bewaldete Haialia-Tal. Unter einer Palme standen zwei bequeme Sessel, und AJ und Lani setzten sich.

„Was ist deiner Meinung nach mit Vanu passiert?“, wollte AJ von ihr wissen.

„An dem Morgen fehlte im königlichen Jachthafen ein kleines Segelboot, mit dem er manchmal rausgefahren ist. Manche sind davon überzeugt, dass Vanu mit dem Boot unterwegs war. In der Nacht herrschte ein ziemlich starker Sturm.“ Wie oft hatten sie in den letzten beiden Monaten Bilder von Vanu verfolgt, wie er gegen die Wellen ankämpfte.

„Möglich ist aber auch, dass sich das Boot einfach losgerissen hat. So etwas ist schon häufiger passiert. Der Hafen ist nicht gut gesichert.“

„Das ist wahr. Aber die Insel ist nicht sehr groß, und man hätte Vanu finden müssen. Er hat sie bestimmt verlassen. Und da die Flugzeuge alle da sind, kann er nur das Boot genommen haben.“

„Aber warum?“ Fragend sah AJ sie an.

Kurz zuckte sie mit den schmalen Schultern. Ja, warum? Doch spielte das jetzt noch eine Rolle? Ihre Ehe war vorbei, und keiner brauchte zu erfahren, dass das Leben mit Vanu die Hölle auf Erden gewesen war. Das zumindest war sie ihrer Schwiegermutter schuldig, die alles dafür getan hatte, damit sie sich am Hof wohlfühlte, und die ihren ältesten Sohn geliebt, ja, vergöttert hatte. „Wahrscheinlich war er ruhelos. Und konnte nicht schlafen.“ Gedankenverloren blickte sie in die Ferne, wo der Tropennebel in den Bäumen hing. „Er ist oft nachts noch im Garten spazieren gegangen. Er brauchte wohl nicht viel Schlaf.“

„So war er auch schon als Kind. Manchmal hatte ich den Eindruck, er schläft überhaupt nicht.“

Das stieß er so düster hervor, dass Lani ihn erstaunt ansah. Die Brauen zusammengezogen, starrte AJ vor sich hin. Kein Wunder, dachte sie, er trauert um Vanu, den älteren Bruder, den er nie mehr wiedersehen wird. Äußerlich ähneln sich die beiden Brüder wirklich nicht, fiel ihr dabei auf. Vanus scharf geschnittenes Gesicht mit den schmalen Lippen und den stechenden Augen war das krasse Gegenteil von AJs freundlichen Zügen, den warmen braunen Augen und dem wohlgeformten Mund.

Sie hatte Vanu nicht aus Liebe geheiratet. Alle hatten gemeint, sie müsse es tun, es sei ihre große Chance, die sie als Tochter einer Wäscherin nicht ausschlagen dürfe. Damals hatte sie nicht gewusst, wie sie sich darüber hinwegsetzen sollte.

„Und wie geht es meiner Mutter?“, fragte er jetzt leise. „Wie erträgt sie den Verlust?“

„Nur schwer. Sie weint viel, und das sieht ihr überhaupt nicht ähnlich.“

„Ja, es muss schrecklich sein, ein Kind zu verlieren. Immerhin hat sie noch dich. Ich weiß, dass sie sehr an dir hängt.“

Lani lächelte traurig. „Sie war so nett zu mir. Alle waren nett zu mir.“ Nur Vanu nicht.

„Wenn ich nun wieder nach Los Angeles zurückkehre, wirst du wohl als Königin regieren, oder?“

„Ich?“ Lani fuhr hoch und sah ihn erschrocken an. „In meinen Adern fließt doch kein königliches Blut.“

„Das nicht. Aber durch die Heirat mit Vanu bist du nun mal die Königin. Hast du das nicht gewusst?“, fügte er lächelnd hinzu.

„Doch. Aber im Grunde bin ich doch nur ein einfaches Mädchen vom Land.“

„Wieso? Bist du nicht in New Jersey geboren?“

„Ja. Aber als ich sieben war, haben meine Eltern sich scheiden lassen, und meine Mutter ist mit mir wieder in ihre Heimat Rahiri gezogen.“

„Dennoch wirkst du sehr viel gebildeter als das übliche Mädchen vom Land.“

Nachdenklich sah AJ sie an, und Lani überlief es heiß.

„Es gibt hier gute Schulen, dafür hat dein Vater gesorgt. Viele unserer Lehrer haben im Ausland studiert.“

„Ist dein amerikanischer Vater nicht sogar Professor?“ Er beugte sich weiter vor, sodass Lani seinen herben männlichen Duft wahrnahm.

Wieder wurde sie rot. Was sollte diese Fragerei? „Ja, er ist Geologe. Und er hat meine Studienpläne immer unterstützt. Ich hatte angefangen, Geschichte zu studieren, brach das Studium aber ab, als ich Vanu geheiratet habe.“ Vanu war immer ärgerlich geworden, wenn er sie mit einem Buch erwischte. Ein so hübscher Kopf, hatte er gemeint, solle nicht mit solchen Sachen vollgestopft werden.

„Dann fang doch wieder an, wenn du Lust dazu hast.“ AJ lachte kurz auf. „Ich für meinen Teil bin fürs Pauken völlig ungeeignet. Das Filmset ist meine Welt.“

„Dann bist du glücklich in Los Angeles?“

„Absolut. Ich habe nie Sehnsucht nach Rahiri.“

„Aber deine Mom hat Sehnsucht nach dir.“

„Ich weiß. Deshalb besucht sie mich auch so oft, scheinbar, weil sie dringend shoppen muss.“ Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Aber ich freue mich über ihre Besuche und habe den Eindruck, sie allein hält bereits die Wirtschaft in Schwung.“

„Ist dies dein erster Besuch hier? Ich meine, seit der Hochzeit?“

„Ja. Vielleicht sollte ich deshalb ein schlechtes Gewissen haben. Aber ich passe hier nicht mehr her und hatte in den letzten Jahren auch sehr viel zu tun.“ Langsam lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

Auch in dem dunklen Anzug ist zu sehen, wie muskulös er ist, ging es Lani durch den Kopf. Eigentlich seltsam, dass er in den letzten Jahren nie wieder hier war. Und trotzdem erwartete man von ihm, dass er den Thron übernahm? Das war sehr unwahrscheinlich. Also brauchte sie auch nicht zu befürchten, ihn heiraten zu müssen. Erleichtert atmete sie aus. Je eher er wieder abreiste, desto besser.

„Obwohl es hier wirklich wunderschön ist“, fügte er langsam hinzu und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Immer noch hing der Nebel in den hohen tropischen Bäumen, und darüber erhob sich der strahlend blaue Himmel. „Ich hatte ganz vergessen, wie schön.“

So schnell gab Priia Rahia nicht auf. Auch während der nächsten Tage versuchte sie immer wieder, AJ zum Bleiben zu bewegen. „Hier, mein Junge, nimm doch noch von diesen Makronen. Die hast du doch immer so gern gegessen.“ Damit hielt sie ihm einen Teller mit Keksen unter die Nase.

„Danke, Mom“, wehrte er lächelnd ab. „In den letzten drei Tagen habe ich viel zu viel gegessen. Habe ich dir übrigens schon gesagt, dass mein Flug morgen früh um sechs geht?“

„Nein!“ Entsetzt sah sie ihn an. „Den musst du verschieben! Du hast doch kaum Zeit mit Lani verbracht.“

Kurz sah er sich um. Lani war nirgends zu sehen. „Wieso? Ich war viele Stunden mit ihr zusammen. Sie ist wirklich sehr süß.“

„Und wenn du König bist, wird sie dir eine gute Königin sein.“ Entschlossen verschränkte Priia die Arme vor der Brust, sodass die goldenen Armreifen klimperten.

„Das wird nicht geschehen.“

„Doch. Das ist die einzige Lösung.“ Energisch sah sie ihn an. „Auch wenn die Umstände tragisch sind, ihr seid füreinander bestimmt.“

„Irrtum, meine Bestimmung liegt ganz woanders. In drei Wochen muss ich mit dem vierten Teil von Höllenmonster beginnen und danach mit dem fünften Teil vom Drachenjäger, sofern die Finanzierung steht.“

„Ach was! Vierter Teil, fünfter Teil, die sind doch vollkommen unwichtig, wenn es schon so viele gibt. Aber es gibt nur ein Rahiri, und du bist unser zukünftiger König.“

„Aber meine Leute verlassen sich auf mich. Es steht viel auf dem Spiel.“

„Eben. Wir verlassen uns auch auf dich. Ich rechne mit dir.“

Was für eine vertrackte Situation. AJ seufzte leise. Bisher hatte hier niemand auf ihn gebaut, denn er war nicht der Thronerbe gewesen. Plötzlich war alles anders, nur er war noch der, der er immer schon gewesen war.

Plötzlich beugte sich seine Mutter vor, legte ihm die Hand auf den Arm und sah den Sohn beschwörend an. „Da kommt Lani. Sag ihr nicht, dass du abreisen willst. Du darfst nicht weg!“

Unwirsch schüttelte er die Hand ab. „Oh, doch. Aber das heißt nicht, dass ich nicht nett zu ihr sein werde.“ Freundlich lächelte er der jungen Witwe zu, die in ihrem bestickten, langen goldfarbenen Kleid einfach entzückend aussah. Die goldenen Ohrringe glänzten in dem dunklen Haar, und ein großer Rubin schmückte den zierlichen Hals. Das Opferlamm. Wieso war sie nur bereit, sich auf die Forderungen seiner Mutter einzulassen? Hatte sie keinen eigenen Willen? Wollte sie nicht selbst bestimmen, wer ihr zukünftiger Mann sein würde? „Hallo, Lani.“

„Guten Tag, AJ.“ Respektvoll neigte sie kurz den Kopf.

Diese, wie er empfand, demütige Geste regte ihn schon wieder auf. Er liebte selbstbewusste Frauen. „Komm.“ Ohne ihre Zustimmung abzuwarten, hakte er sich bei ihr unter und zog sie mit sich. Bei der Berührung überlief ihn ein kurzes Prickeln, aber er achtete nicht weiter darauf. Unterwürfige Frauen wie Lani waren nicht sein Fall, basta. Er führte sie in einen geräumigen Innenhof, der von Palmen gesäumt war. „Du bist einfach zu nett, Lani.“

„Ich … äh …“

Ihr Stottern regte ihn nur noch mehr auf. „Was ist nur los mit dir? Kannst du nicht mal einen zusammenhängenden Satz sagen?“

Erschreckt starrte sie ihn mit ihren goldbraunen Augen an. Hatte sie etwa Angst vor ihm? „Entschuldige …“ Sie biss sich auf die volle rosa Unterlippe, und dass sein Körper darauf unmissverständlich reagierte, ärgerte AJ. Zugegeben, sie war wunderschön, aber das bedeutete schließlich nicht, dass sie auch eine gute Ehefrau abgeben würde.

Als sie den Kopf senkte, verdeckte das schimmernde Haar ihr Gesicht, und unwillkürlich regte diese Bewegung AJs Fantasie an. Wie es sich wohl anfühlte, wenn er die Hände durch ihr Haar gleiten ließ? Oder wenn es ihm über die Brust strich, während sie nackt über ihm kniete und ihn verlangend ansah? Blödsinn, das würde nie geschehen … Wütend auf sich selbst, wandte er sich ab. „Ich reise übrigens morgen ab. Dann bist du wieder ganz auf dich gestellt, Schwägerin.“

„Was?“

Das klang fast wie ein Schrei, und AJ drehte sich hastig um. „Du hast genau verstanden, was ich gesagt habe. Schluss mit dieser Farce. Wir haben nichts gemein, du und ich. Und ich denke nicht daran, unser beider Leben auf dem Altar der rahirischen Traditionen zu opfern.“

Dass sie auch darauf nichts zu sagen wusste, sondern ihn nur fassungslos ansah, wunderte AJ nicht. Allerdings wurde sie jetzt rot und stieß schließlich hervor: „Du magst mich nicht.“

Sofort hatte er ein schlechtes Gewissen, denn das Ganze war ja nicht ihre Schuld. Sie hatte sich nur so verhalten, wie sie meinte, sich als wohlerzogene Rahirianerin verhalten zu müssen. Nur Pech, dass er wohlerzogene Rahirianerinnen nicht ausstehen konnte. Frauen, die bereit waren, ihr eigenes Leben aufzugeben, um sich ganz ihrem Mann zu widmen und ihm zu dienen, waren ihm zuwider. „Du bist einfach zu lieb und nett“, wiederholte er leise.

„Ich bin überhaupt nicht nett“, brach es so plötzlich aus ihr heraus, dass er sie erstaunt ansah. „Ich gebe mir zwar Mühe, aber …“ Wieder fehlten ihr die Worte.

Die geröteten Wangen könnten leicht den Eindruck erwecken, dass sie sexuell erregt ist, ging ihm durch den Kopf, als er sie betrachtete. Und ihre leicht geöffneten vollen Lippen scheinen sich nach einem Kuss zu verzehren. Und das Funkeln ihrer Augen? Könnte das nicht als Sehnsucht missverstanden werden? Er begehrte diese Frau mit jeder Faser seines Körpers, wollte sie besitzen, und das machte ihn nur umso wütender.

Warum sagte sie nicht ehrlich, was sie empfand? War sie nicht fähig, eine unmissverständliche Reaktion zu zeigen? Je länger er darüber nachdachte, desto drängender wurde das Bedürfnis, sie herauszufordern. Schließlich ließ er sie mit dem ganzen Schlamassel sitzen und lieferte sie der Verachtung der königlichen Familie und des Volkes aus. Warum zeigte sie ihm nicht, dass sie wütend war und stieß ihn zurück?

Und wenn er …? Er trat dicht vor sie hin, riss sie in die Arme und drückte ihr die Lippen auf den Mund. Sekundenlang erstarrte Lani, dann schmiegte sie sich an ihn und schlang ihm die Arme um den Hals. Ohne zu zögern, öffnete sie die Lippen, ließ ihn ein und erwiderte den Kuss voller Leidenschaft, während sie sich ihm entgegendrängte und leise stöhnte.

AJ wusste kaum, wie ihm geschah. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Wilde Leidenschaft übermannte ihn, der schnelle Herzschlag dröhnte ihm in den Ohren, und er war mehr als bereit für sie.

2. KAPITEL

AJ löste sich als Erster. Und sofort legte Lani sich die Finger auf die heißen Lippen. Sie traute sich kaum, ihn anzusehen, zwang sich jedoch dazu. Schockiert starrte AJ sie an.

Was war passiert? Er hatte angefangen, sie zu küssen, daran erinnerte sie sich genau, aber warum hatte sie dann jetzt den Eindruck, dass er den Kuss bereute? Lanis Lippen prickelten noch immer, und sie spürte, wie ihre harten Brustwarzen gegen den glatten Stoff drückten. Hatte sie sich wirklich an diesen Mann, der sie nicht wollte, gedrängt und ihn wie von Sinnen geküsst? Wie peinlich! Blieb aber immer noch die Frage, warum er sie geküsst hatte. Aus einer Art von Pflichtbewusstsein heraus? Weil man das von ihm erwartete? Sie wusste es nicht, wusste nur, dass ihre leidenschaftliche Reaktion auf seinen Kuss rein gar nichts mit Pflichtbewusstsein zu tun gehabt hatte …

War sie verrückt geworden? Ihr war heiß vor Erregung und Verlangen – Empfindungen, die sie bisher nicht gekannt hatte. Schnell senkte sie den Kopf. O Gott, und AJ hatte sie geradezu wegstoßen müssen, weil sie sich so fest an ihn geklammert hatte … wenige Tage nach der Beerdigung ihres Ehemannes. Oder wie auch immer man eine Trauerfeier ohne Leichnam nennen wollte.

Sie hatte sich wirklich unmöglich benommen. Sollte sie sich bei AJ entschuldigen? Aber warum eigentlich? Schließlich hatte er sie zuerst geküsst, und was dann folgte, war irgendwie auch seine Schuld. Allerdings hätte er es wohl nie für möglich gehalten, dass sie derart auf ihn reagieren würde. Hatte er nicht immer gesagt, sie sei einfach zu nett und lieb? Nun wusste er es besser. Zögernd hob sie den Kopf und sah AJ an, der sich verlegen das dichte schwarze Haar zurückstrich. Dabei öffnete er den Mund, als wolle er etwas sagen, doch er schwieg.

Es tut mir leid … Noch immer lagen ihr diese Worte auf der Zunge, doch sie sprach sie nicht aus. Warum auch? Sie brauchte sich nicht bei AJ zu entschuldigen. Wie ihr verstorbener Mann waren mächtige Männer daran gewöhnt, sich einfach nehmen zu können, was sie wollten, rücksichtslos und ohne nachzudenken. Genau aus diesem Grund wollte sie nie wieder heiraten, schon gar nicht jemanden aus der rahirischen Königsfamilie.

Sie raffte ihr Kleid, drehte sich um und lief in den Palast.

AJ blickte ihr hinterher, bis sie unter dem Torbogen verschwunden war. Ohne ein Wort hatte er sie gehen lassen. Was hätte er auch sagen sollen? Ihm fehlten die Worte, ja, er konnte nicht einmal klar denken. Wenn seine Mutter wüsste, dass Lani und er sich eben leidenschaftlich geküsst hatten, wäre sie wahrscheinlich außer sich vor Begeisterung.

Frustriert schob er die Hände in die Hosentaschen. Mit Lanis Reaktion konnte er überhaupt nichts anfangen. Warum hatte sie nicht versucht, ihn zurückzustoßen, zu beschimpfen oder sogar zu ohrfeigen? Er hatte gehofft, dass sie ihn nach diesem Kuss hassen würde und auf keinen Fall heiraten wollte. Dann wäre er aus dem Schneider gewesen. Stattdessen schien sie seine Liebkosungen sogar genossen zu haben.

Vielleicht hatte sie aber auch nur so getan. Als Ehefrau eines Königs, zumal dieser König auch noch Vanu hieß, hatte sie bestimmt oft ihre Gefühle verbergen und etwas vortäuschen müssen, was sie gar nicht empfand. Dennoch … wie sie sich an ihn, AJ, geschmiegt, ihn umarmt hatte, wie sie seinen Kuss erwidert und dabei auch noch leise gestöhnt hatte, das war nicht gespielt gewesen. Zumindest hatte es auf ihn eine ungeheure Wirkung gehabt. Die Anzughose hatte seine Erregung kaum verbergen können, seine Körpertemperatur war sicher um ein paar Grad gestiegen, und nur mit Mühe hatte er sich zurückhalten können, ihr nicht das kostbare Kleid vom Leib zu reißen. Alles hätte er mit ihr machen wollen …

Verdammt, wie kam er nur auf eine solche Idee? Immerhin war sie die Witwe seines Bruders. Es wurde Zeit, dass er nach Los Angeles zurückkehrte, sein normales Leben wieder aufnahm, wo so etwas nicht passierte. Sicher, er hatte reichlich Frauen gehabt, aber so war er noch nie geküsst worden. Wie Lani wohl im Bett ist? schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Offenbar war sie total anders, als er sie eingeschätzt hatte.

An diesem Abend saß AJ bei dem Festbankett, das zu Ehren des Verstorbenen gegeben wurde, nur drei Plätze von Lani entfernt. In dem dunkelblauen Gewand und mit der schweren Goldkette, die mehr zu wiegen schien als sie selbst, sah sie ganz so aus wie eine trauernde königliche Witwe. Wann immer er in ihre Richtung sah, presste sie die Lippen aufeinander, als wolle sie sich daran hindern, irgendetwas preiszugeben. Als der Nachtisch serviert wurde, war AJ fest entschlossen, Lani auf das, was am Nachmittag geschehen war, anzusprechen.

Doch er kam nicht mehr dazu, denn sie hatte bereits den Raum verlassen. Einer der Diener hatte sie wohl auf ihr Zimmer begleitet. Stirnrunzelnd wandte er sich an seine Mutter, die ihm schräg gegenübersaß. „Was ist denn los? Warum ist Lani schon gegangen?“

Priia tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab. „Sie fühlt sich wohl nicht besonders gut. Die Arme leidet sehr unter Vanus Tod. Seit er verschwunden ist, hat sie immer wieder das Bett hüten müssen.“ Lächelnd legte sie ihm die Hand auf den Arm. „Ich bin so froh, dass du dir Gedanken um sie machst. Sie ist so ein liebes Mädchen.“

„Äh … ja, das ist sie wohl.“

„Vielleicht kannst du nach dem Dinner mal nach ihr sehen. Nur um sie zu fragen, wie es ihr geht.“

„Okay, mach ich.“ Ob Lani so hingebungsvoll auf den Kuss reagiert hatte, weil sie traurig und einsam war? Hatte sie in ihm vielleicht sogar seinen Bruder gesehen? Und hatte sie das Ganze so mitgenommen, dass sie sich zurückziehen musste? So oder so, er wollte es genauer wissen.

Lani schlug die Schlafzimmertür hinter sich zu und lehnte sich aufatmend dagegen. Endlich war sie allein. Im Königspalast war ständig jemand um sie herum, sodass sie kaum eine Minute für sich hatte. Plötzlich begann sich alles um sie zu drehen, und sie hielt sich an der Tür fest, um den Schwindel zu bekämpfen. Fühlte sie sich so schlecht, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte?

Oder steckte etwas anderes dahinter?

Lani verhielt sich ganz still und lauschte. Nur die Grillen waren zu hören.

Jetzt oder nie, ging es ihr durch den Kopf. Alle Palastbewohner waren auf dem Bankett. Selbst Lanis Schwiegermutter, die sie Tag und Nacht beäugte, wurde bei Tisch festgehalten, da sie Gäste zu bewirten hatte.

Entschlossen stieß Lani sich von der Tür ab und ging in das angrenzende Badezimmer. Vanu hatte es sehr kostbar ausstatten lassen, denn er hatte es geliebt, sich von Lani den Rücken massieren zu lassen, während er ein Bad nahm. Kaum zu glauben, dass sie ihm nie wieder zu Diensten sein musste. Wieder quälte sie das Gewissen, weil sie so schlecht von ihm dachte.

Schnell ging sie in den kleinen Umkleideraum, wo sie ihre persönlichen Sachen aufbewahrte. Tief unten aus dem Schrank zog sie eine Schachtel heraus. Sie öffnete sie und warf kurz einen Blick über die Schulter, bevor sie die Gebrauchsanweisung herauszog. Wieder wurde ihr übel, und sie musste sich gegen die Wand lehnen, um nicht umzukippen. Dann holte sie tief Luft. Sie musste endlich Gewissheit haben.

Halte den Stift in den Urinstrahl. Dann lege ihn auf eine ebene Oberfläche. Nach einer halben Minute steht das Ergebnis fest. Ein Pluszeichen bedeutet positiv, ein Minuszeichen negativ. Mit bebenden Fingern folgte Lani den Anweisungen, dann ging sie nervös im Bad auf und ab. Seltsam, in der ersten Zeit ihrer Ehe hatte sie sich sehnlichst ein Kind gewünscht. Zu gern hätte sie ein kleines Baby in den Armen gehalten – ihr Baby.

Als Vanu sich dann als der Mann entpuppt hatte, der er wirklich war – grausam und hartherzig –, hatte sie geradezu Angst davor gehabt, schwanger zu werden. Denn einen solch brutalen Vater hatte sie ihrem Kind nicht zumuten wollen.

Das war nicht einmal schwer gewesen, denn Vanu hatte nur selten mit ihr schlafen wollen. Zwei Jahre lang waren sie nicht intim gewesen. Erst in der letzten Nacht, bevor er verschwand, hatte er sie gewaltsam genommen, nachdem sie ihm gesagt hatte, was sie von ihm hielt und wie sehr sie ihn verachtete. Bei dem Gedanken daran traten ihr die Tränen in die Augen.

Die halbe Minute war vergangen, aber sie wagte nicht, nachzusehen. Wenn das Ergebnis negativ war, dann hatte sie vielleicht die Möglichkeit, wieder ein ganz normales Leben zu führen. Wenn sie jedoch schwanger war, dann war sie als Mutter des zukünftigen Königs für den Rest ihres Lebens an den Palast gefesselt. Anfangs war sie gar nicht auf die Idee gekommen, sie könne schwanger sein. Denn Vanu hatte sie so oft mit den Vorwürfen, sie sei frigide und unfruchtbar, gequält, dass sie schließlich beinahe selbst daran geglaubt hatte.

Die ersten Anfälle von Übelkeit hatte sie mit ihren Schuldgefühlen erklärt, die sie auch nachts kaum schlafen ließen. Denn wenn sie Vanu keine Szene gemacht hätte, wäre er in der besagten Nacht nicht davongelaufen. Doch mit der Zeit hatten sich auch noch andere Symptome eingestellt. Lani war launisch, häufig geradezu deprimiert, ihre Brüste waren empfindlich, und um die Taille herum nahm sie ein wenig zu. Da wusste sie, dass diese Veränderungen nichts mit den Schuldgefühlen zu tun hatten, die sie quälten, und die Stimmungsschwankungen nichts mit dem Verlust ihres Ehemannes. Wenn sie ehrlich war, trauerte sie eh nicht um Vanu.

Schließlich atmete sie tief durch, griff nach dem Test und starrte mehrere Sekunden lang auf ein Pluszeichen. Sie war schwanger. Stöhnend lehnte sie sich gegen die Wand. Was nun?

Jemand klopfte energisch gegen die Tür, und Lani fuhr zusammen. Schnell versteckte sie den Test unter einem Stapel Handtücher und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Wer ist da?“

„AJ.“

„Mir … mir geht es nicht so gut.“

„Ich weiß. Deshalb bin ich ja hier.“

Warum das denn? Lani runzelte die Stirn. „Danke, aber mir geht es schon wieder besser.“

„Lass mich rein. Bitte. Nur einen Moment.“

Sollte sie ihn reinlassen? AJ arbeitete zwar als Regisseur in Hollywood, aber er war auch der legitime Thronfolger. Sie konnte ihn nicht einfach zurückweisen. Kurz blickte sie in den Spiegel und kniff sich in die Wangen, bis sie sich leicht röteten. Dann glättete sie sich schnell das Haar und lief zur Tür.

Ungeduldig ging AJ vor der Tür auf und ab. Wenn Lani sich nicht wohlfühlte, hatte sie sicher keine Lust, irgendjemanden zu sehen, am allerwenigsten ihn. Es war schon schlimm genug, dass er ihr zukünftiger Ehemann sein sollte, der mehr als deutlich gemacht hatte, dass er diese Rolle nicht annehmen wollte. Der Kuss und ihre Reaktion darauf machten alles noch viel komplizierter. Wenn Lani ihn empört zurückgewiesen hätte, gäbe es keine Probleme, aber so … Dennoch, er musste sie sehen, sonst würde er nachts kein Auge zutun.

Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, sodass er nur die Hälfte von Lanis Gesicht sehen konnte. „Was ist mit dir? Hast du geweint?“, wollte er wissen. Und als sie die Lippen aufeinanderpresste und den Kopf schüttelte, fuhr er fort: „Aber du darfst weinen. Schließlich hast du gerade deinen Mann verloren.“

Sie nickte. „Ich weiß.“ Wieder quollen Tränen unter ihren dunklen Wimpern hervor. „Entschuldige. Aber diese Woche war einfach zu viel für mich.“

„Das glaube ich gern. Du musst vollkommen erschöpft sein.“ Obwohl das nicht ihre Reaktion auf den Kuss erklärte … „Ich wollte mich für mein Verhalten entschuldigen. Ich hätte dich nicht küssen dürfen.“ Eigentlich hatte er sich nicht entschuldigen wollen, aber als er ihr in das blasse, verweinte Gesicht geblickt hatte, hatte er einfach nicht anders gekonnt. Auch jetzt noch sah sie atemberaubend sexy aus. Die vollen rosa Lippen, das glänzende Haar, das ihr über die Schultern fiel … Verdammt, warum erregte ihn bereits dieser Anblick? So durfte man sich doch einer trauernden Witwe gegenüber nicht benehmen, selbst wenn man ihr nächster Ehemann werden sollte.

„Danke“, flüsterte sie kaum hörbar. „Eigentlich brauchst du dich ja nicht zu entschuldigen, weil wir irgendwann sogar heiraten sollen. Aber es kam so überraschend.“

„Für mich auch.“ Unwillkürlich musste er grinsen. „Ich hatte nicht mit einer solchen Reaktion gerechnet.“

„Ich weiß auch nicht, wie es dazu kommen konnte.“ Errötend schlug sie die Augen nieder. „Es war einfach alles zu viel in der letzten Zeit. Ich bin vollkommen durcheinander.“

„Und ich habe geglaubt, es hätte etwas mit mir zu tun.“ Vorsichtig legte er ihr die Hand auf den Arm, was nicht einfach war, weil Lani die Tür immer noch bis auf einen Spalt geschlossen hielt. „Bitte, sei nicht böse. Was ich in Bezug auf meine Abreise gesagt habe, entspricht der Wahrheit. Also brauchst du keine Angst zu haben, dass ich mich in Vanus Bett breitmache. Ich wollte, dass du wütend auf mich bist, und das bedauere ich jetzt.“

„Ich bin nicht wütend.“

„Du bist wirklich ein liebes Mädchen.“

„Tatsächlich?“ Kurz sah sie ihm in die Augen.

Hatte sie gezwinkert? Erneut überfiel ihn die Lust, sie zu küssen. „Wie geht es dir? Bist du krank?“ Plötzlich war ihm wieder eingefallen, weshalb er eigentlich gekommen war. Oder hatte er sich unbewusst einen zweiten Kuss erhofft?

„Nein, eigentlich nicht.“ Dennoch wirkte sie sehr nervös, beinahe wie in Panik. Immer wieder blickte sie über AJs Schulter in den Arkadengang, als erwarte sie irgendetwas Schreckliches. „Mir fehlt nichts, wirklich nicht. Ich bin nur müde.“

Schon wollte sie die Tür schließen, als AJ schnell den Fuß dazwischenschob. „Kann ich dir was zu essen bringen?“

„Danke, nein. Ich habe keinen Hunger. Immerhin habe ich fast alles aufgegessen.“

„Vielleicht ein Glas Wein zur Entspannung?“

„Oh, nein“, wehrte sie entschieden ab.

„Vielleicht möchtest du dich aussprechen? Manchmal ist es sehr anstrengend, ein Mitglied der königlichen Familie zu sein. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Man wird pausenlos beobachtet und muss sich ständig zusammennehmen.“

Sie nickte kaum wahrnehmbar und blickte ihm wieder ängstlich über die Schulter. Diesmal drehte er sich um, aber auch er konnte nichts entdecken. Nur die Sterne funkelten am nachtschwarzen Himmel.

„Da ist keiner“, sagte er sanft. „Wir sind allein. Aber ich weiß nicht, ob du dich dabei wohlfühlst.“ Er lächelte vorsichtig, um ihr Mut zu machen, denn er war davon überzeugt, dass sie etwas auf dem Herzen hatte.

Für einen kurzen Moment schien es, als würde sie sich ihm anvertrauen wollen, doch dann senkte sie wieder den Kopf und schwieg beharrlich weiter. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah sie AJ erneut an. „Danke, dass du gekommen bist, um nach mir zu sehen. Es geht mir so weit gut, ich bin nur müde. Es war ein anstrengender Tag. Und dann möchte ich mich noch für mein Verhalten von vorhin entschuldigen. Ich weiß auch nicht, was plötzlich über mich gekommen ist.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Was auch immer es war, es war sehr schön.“ Wieder lächelte er, als wolle er ihr Mut machen. Es war mehr als offensichtlich, dass sie Hilfe brauchte. Und noch etwas anderes spürte er: die Sehnsucht, sie zu küssen.

Schnell beugte er sich vor und verschloss ihre Lippen mit seinem Mund. Doch diesmal stieß sie ihn zurück und knallte die Tür zu. AJ stolperte ein paar Schritte zurück und rieb sich die Stirn. „Idiot!“, sagte er laut. Was hatte er sich bloß dabei gedacht?! Doch irgendetwas hatte diese Frau an sich, das ihn so unvernünftig handeln ließ.

Lani rannte ins Bad zurück, schlug die Tür zu und schloss sie ab. Das war immer ihre Rettung gewesen, wenn Vanu sie mit seinen Grausamkeiten verfolgt hatte. Und jetzt versteckte sie sich vor seinem Bruder. Wie seltsam. Hatte sie auch vor ihm Angst? Oder war es etwas anderes, das sie fliehen ließ?

Immer noch spürte sie seine Lippen, auch wenn er sie nur sekundenlang berührt hatte. Ihr war, als habe er ihr sein Brandzeichen aufgedrückt. Wenn sie nicht sofort die Tür geschlossen hätte, wäre sie ihm in die Arme gesunken. Ja, sie war geflohen, aber nicht aus Angst. Wie gern hätte sie sich ihm anvertraut. Wie sehr sehnte sie sich nach ein Paar starker Arme, die sie umschlossen und trösteten, statt ihr wehzutun.

Zitternd ließ sie sich auf dem Badewannenrand nieder. In den letzten Jahren hatte sie viel ertragen müssen. Auch wenn Vanu selten handgreiflich geworden war, hatte er sie häufig durch seine zynischen und brutalen Äußerungen verletzt, und unter seinen Worten war sie oft wie unter einem Peitschenhieb zusammengezuckt. Wie anders war da sein Bruder. Warmherzig und gelassen, freundlich und ohne Vorurteile. Wie es wohl sein würde, mit jemandem zusammen zu sein, der seinen Mitmenschen stets positiv begegnete?

Leider würde sie das nie erfahren. Denn AJ würde nach Los Angeles zurückkehren. Dort hatte er ein ausgefülltes Leben. Was konnte Rahiri ihm da schon bedeuten, diese Insel mitten im Pazifischen Ozean? Das war nicht mehr sein Zuhause. Kurz empfand Lani so etwas wie Neid. Sicher hatte es sehr viel Mut erfordert, sein altes Leben hinter sich zu lassen, vor allem als Mitglied einer königlichen Familie.

In den letzten Wochen hatte sie nicht nur davon geträumt, sondern auch ernsthaft darüber nachgedacht, in Zukunft ein normales Leben zu führen. Wie es wohl wäre, den Vater in New Jersey zu besuchen und die beiden Halbschwestern wiederzusehen, die jetzt schon auf die Highschool gingen? Einfach mal wieder zu shoppen gehen und über etwas Albernes unbeschwert lachen zu können … Doch nach dem, was sie vorhin herausgefunden hatte, würden das wohl Wunschträume bleiben …

Vorsichtig zog sie den Schwangerschaftstest unter dem Stapel Handtücher hervor, wo sie ihn zuvor versteckt hatte. Das Pluszeichen leuchtete noch immer wie ein Mahnmal. Sie war tatsächlich schwanger. Ihr Schicksal war besiegelt, es gab kein Entrinnen. In wenigen Monaten würde sie den nächsten Thronfolger von Rahiri zur Welt bringen.

Nachdem Lani sich fast die ganze Nacht schlaflos im Bett hin und her gewälzt hatte, fragte sie ihre Schwiegermutter am nächsten Morgen beim Frühstück, ob sie sie unter vier Augen sprechen könne.

„Aber Lani, du siehst ja schrecklich aus! Wir alle haben Vanu geliebt, aber es wird Zeit, dass du dich wieder dem Leben zuwendest.“ Priia Rahia legte frische Papaya und Ananas auf einen Teller und reichte ihn Lani. „Hier, das frische Obst wird dir guttun. Und natürlich kannst du mich allein sprechen.“

Sosehr Lani ihre Schwiegermutter auch liebte, war ihr doch oft nur zu deutlich bewusst, was hinter Priias Stirn vor sich ging. Sicher dachte sie, die Schwiegertochter wolle mit ihr über eine mögliche Zukunft mit AJ sprechen. Von wegen. Offenbar merkte Priia, dass Lani wirklich etwas auf dem Herzen hatte, denn sie stand plötzlich auf. „Komm, nimm dein Frühstück mit. Wir können uns in meinem Arbeitszimmer unterhalten.“

Während sie den Flur hinuntergingen, musste Lani wieder daran denken, wie bewundernswert tüchtig und zupackend die Schwiegermutter doch immer wirkte. Das schwarze Haar trug sie kurz, und das traditionelle Gewand kleidete ihre aufrechte, wenn auch etwas füllige Gestalt sehr gut. Außerdem strahlte sie eine Ruhe und Herzenswärme aus, die Lani in den letzten Jahren sehr gutgetan hatte.

Als sie das helle Arbeitszimmer erreichten, zitterten Lani die Knie, und sie ließ sich auf Priias Aufforderung hin sofort in einen kleinen Sessel fallen. Beunruhigt sah die Schwiegermutter sie an. „Was ist mit dir, Liebes? Du siehst so blass aus.“

„Mit geht es gut.“ Sie starrte auf den Teller mit Obst und hatte das Gefühl, nie wieder etwas essen zu können. „Ich … ich bin nicht krank. Mir ist nur ein wenig übel, weil … weil ich schwanger bin.“

Jetzt verlor selbst Priia die Fassung und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. „Was? Habe ich richtig gehört? Du erwartest ein Kind?“

Lani nickte. „Ich bin ziemlich sicher. Zuerst habe ich gedacht, die Übelkeit hätte mit Vanus Verschwinden zu tun, mit dem Stress der letzten Wochen. Aber jetzt …“ Sie senkte den Blick und legte sich eine Hand auf den noch flachen Bauch.

„Ein Baby!“ Priia strahlte. „Wie schön!“

„Ja …“

„Ein Lichtstrahl in der Finsternis! Es ist ein Wunder!“

Die überschwängliche Freude ihrer Schwiegermutter konnte Lani nicht teilen, und beinahe hatte sie deshalb ein schlechtes Gewissen. Ein Baby war immer eine große Sache in Rahiri, und sie sollte darüber eigentlich glücklich sein. Wenn der Vater nur nicht so ein sadistisches Ekel gewesen wäre …

„Das müssen wir feiern! Wir geben eine Party! Endlich wieder etwas, worauf wir uns freuen können nach den traurigen Tagen und Wochen.“ Priia war außer sich vor Glück. „Ein Baby! Vanus Kind, das die Tradition hier im Palast fortsetzen wird.“

Genau davor hatte Lani Angst, aber wahrscheinlich war das nicht fair. Denn warum sollte sich das Kind zu einem Ebenbild des Vaters entwickeln? Die übrigen Mitglieder der königlichen Familie waren freundlich und warmherzig. Auch Lanis Schwiegervater, den sie nicht mehr kennengelernt hatte, war ihr von allen als sehr gütig beschrieben worden.

„Ach, und die süßen kleinen Babysachen!“ Entzückt schlug Priia die Hände zusammen. „Ich muss mich sofort darum kümmern.“ Liebevoll strich sie Lani über die Wange. „Ob der Kleine wohl deine wunderschöne goldbraune Haut erben wird? Vielleicht wird es auch ein Mädchen? Genau werden wir das ja erst wissen, wenn …“ Plötzlich griff sie nach Lanis Arm. „In der wievielten Woche bist du denn?“

„So genau weiß ich das nicht.“ Lani wollte nicht auf die Nacht von Vanus Verschwinden zu sprechen kommen, obwohl sie sicher in dieser Nacht schwanger geworden war. „In der achten, vielleicht auch neunten, vermute ich. Man kann vielleicht gerade etwas sehen.“

„Lass dich anschauen!“ Schnell nahm Priia Lani den Obstteller vom Schoß, ergriff sie bei den Händen und zog sie hoch. Vorsichtig legte sie ihr die Hand auf den Bauch. „Ich kann noch kaum etwas fühlen, aber damals bei meinen Jungs hat es auch ziemlich lange gedauert. Bei der Geburt sind unsere Babys normalerweise ziemlich klein, aber sie wachsen zu großen, kräftigen Männern heran.“ Sie lächelte stolz.

Lani bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln, aber es fiel kläglich aus.

„Du machst dir Sorgen? Ach, mein Kind …“ Priia zog Lani liebevoll in die Arme. „Es ist sicher nicht leicht, ein Baby zu erwarten, wenn man bereits Witwe ist. Das Kind wird dich immer an den Mann erinnern, den du verloren hast.“

Ja, leider.

„Aber du musst es positiv sehen. Er lebt doch in dem Kind weiter!“

Um Himmels willen, nein!

„Allerdings wird dadurch die Sache mit AJ etwas schwierig. Kein Mann zieht gern das Kind eines anderen auf, auch wenn es der eigene Bruder ist.“

„Ich glaube nicht, dass AJ mich heiraten will“, warf Lani leise ein.

„Sein Verhalten darfst du nicht persönlich nehmen. Das hat nur mit Hollywood und seinen Aufgaben dort zu tun. Aber er weiß, dass es seine Pflicht ist, nach Rahiri zurückzukehren.“ Plötzlich schlug sie sich mit der Hand auf den Mund. „Du liebe Zeit, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Laut Gesetz ist das Baby als Nachkomme des regierenden Königs der nächste Thronfolger und nicht AJ.“

Priia wandte sich zum Fenster um und starrte hinaus. „Und ich möchte doch so gern, dass AJ wieder nach Hause kommt“, stieß sie schließlich leise hervor. „Er war immer eifersüchtig auf Vanu, die beiden haben sich überhaupt nicht verstanden. Aber sicher ist er jetzt reifer geworden, und ich wäre so froh, wenn wenigstens dieser letzte Sohn in meiner Nähe wäre. Und bestimmt ist er ein sehr guter Ehemann.“

Lani schwieg. Kurz dachte sie an die Berührung seiner Lippen, an den Kuss … und spürte, wie sie rot wurde. Sie hatte keine Ahnung, was für eine Art Ehemann AJ sein würde, und sie hatte auch keine Lust, es herauszufinden. Vanu als Ehemann hatte ihr vollauf genügt. So eine Erfahrung wollte sie kein zweites Mal machen.

Plötzlich drehte Priia sich um. „Ich weiß, was wir machen. Sag nicht, dass du schwanger bist. Erwähn das Baby mit keiner Silbe.“

„AJ gegenüber?“

„Sag niemandem was.“ Sie ergriff Lani bei den Handgelenken und blickte ihr verschwörerisch in die Augen. „Zumindest nicht, bevor du nicht mit AJ verheiratet bist. Wenn man es dann herausfindet, wird jeder glauben, es sei von AJ.“

Das gefiel Lani überhaupt nicht. „Aber ich bin doch wahrscheinlich schon am Anfang des dritten Monats.“

„Du kannst doch immer noch behaupten, es sei eine Frühgeburt. Wir Rahias haben immer kleine Babys. Selbst AJ hat damals nur knapp sechs Pfund gewogen. Die Wahrheit wird keiner herausfinden.“

„Und AJ soll auch später nichts erfahren?“

„Warum denn? Es ist besser, wenn er davon ausgeht, es sei sein Kind.“ Priia lächelte siegesgewiss. „Manchmal machen wir unsere Männer glücklicher, wenn wir unsere Geheimnisse für uns behalten. Das erleichtert vieles.“

Energisch schüttelte Lani den Kopf. „Ich hasse Betrug. Und wenn AJ mich nun gar nicht heiraten will?“

„Er will. Verlass dich auf mich.“

3. KAPITEL

Um sechs Uhr am nächsten Morgen startete das Flugzeug Richtung Los Angeles. Aber AJ war nicht an Bord.

„Ich danke dir von Herzen, mein Kind.“ Tränen schimmerten ihr in den Augen, als Priia lächelnd ihren Sohn umarmte. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel es mir bedeutet, dich in meiner Nähe zu haben. Du hilfst mir, den Verlust von Vanu zu ertragen.“

AJ nickte. Gegen weibliche Tränen war er schon immer machtlos gewesen. Er hoffte, dass seine Mutter sich in den folgenden Tagen so weit beruhigen würde, dass er Rahiri verlassen konnte. Etwas ungehalten wehrte er ab, als Priia ihm Obst auffüllen wollte. „Ich habe keinen Hunger.“

Am anderen Ende des langen schweren Holztisches saß Lani und stocherte auf ihrem Teller herum. Nur verstohlen warf AJ ihr hin und wieder einen Blick zu. Nachdem sie ihm die Tür vor der Nase zugeknallt hatte, hatte er nicht wieder mit ihr gesprochen. Was er möglichst auch vermied, denn sie hatte eine beunruhigende Wirkung auf ihn.

Als Priia in die Hände klatschte, sodass ihre goldenen Armreifen klirrten, schreckte er aus seinen Gedanken auf. „Wir veranstalten ein Fest!“ Auch Lani sah die Schwiegermutter fassungslos an.

„Findest du das nicht unpassend? So kurz nach den Trauerfeierlichkeiten?“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Danach ist Lani sicher nicht zumute.“

„Aber es ist wichtig, den Menschen zu zeigen, dass das Leben weitergeht. Dass es immer wieder einen neuen Anfang gibt.“ Priia strahlte den Sohn an.

AJ fühlte sich äußerst unbehaglich. Neuer Anfang, das war doch sicher auf ihn gemünzt. „Aber ich kann nicht sehr viel länger bleiben, Mom. Ich habe einen Besprechungstermin mit dem Drehbuchautor meines neuen Films und ein paar anderen Leuten.“

„Das könnt ihr doch in einer Telefonkonferenz erledigen. Das Büro des Haushofmeisters ist mit allem eingerichtet, was du dazu brauchst.“

„Nein, das geht nicht.“

„Aber natürlich geht das. Und Lani und ich können dir assistieren, nicht wahr, Lani?“ Priia warf der Schwiegertochter ihr strahlendstes Lächeln zu.

„Äh … ja, ich meine, vielleicht. Es ist nicht so, dass mir deine Filme nicht gefallen.“ Lani wusste nicht, was sie so schnell antworten sollte.

„So?“ Überrascht hob er die Augenbrauen. „Was magst du denn lieber, die Sex- oder die Gewaltszenen?“

So leicht ließ sie sich nicht provozieren. „In deinen Filmen gibt es kaum Gewalt und Sex. Aber du deutest beides an, arbeitest unterschwellig mit der Erwartung des Publikums, und das hält die Spannung aufrecht und fesselt die Zuschauer. Hinterher sind sie fest davon überzeugt, all das gesehen zu haben, worauf du nur angespielt hast, ohne es wirklich zu zeigen. Das ist ausgesprochen clever.“

Entgeistert starrte AJ Lani an. „Dann hast du dir die Filme tatsächlich angeschaut?“

„Aber sicher, mein Junge“, warf Priia ein. „Deshalb haben wir uns doch das Heimkino angeschafft.“

Schon lange hatte Lani sich nicht mehr so wohlgefühlt. Es tat gut, AJ zu verblüffen. Sie lächelte ihn an, und dieses Lächeln traf ihn direkt ins Herz.

Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

„Wusstest du nicht, dass wir deine größten Fans sind?“ Priia tätschelte ihm die Hand. „Und das Fest findet am kommenden Sonnabend statt.“

„So bald? Lässt sich das denn so schnell organisieren?“

„Selbstverständlich. Kein Mensch wird eine Einladung in den Palast ablehnen. Und unsere Leute schaffen das spielend.“

„Wenn du meinst, Mom.“ AJ zwinkerte ihr kurz zu. „Du bist schon so eine … Aber wenn dir ein Fest guttut, sollst du es haben.“

„Und du bist da.“

„Ja“, bestätigte er seufzend. Wie hätte er seiner Mutter, die gerade ihren ältesten Sohn verloren hatte, auch etwas abschlagen können? „Aber erwarte nicht, dass ich eine Rede halte.“

„In Ordnung. Aber ein paar Blumen könntet ihr aus dem Palastgarten holen, Lani und du. Damit könnten wir den Ballsaal dekorieren.“

AJ runzelte die Stirn. Was sollte das jetzt wieder? Offenbar hatte seine Mutter ihre Kuppelversuche noch nicht aufgegeben. „Die Blumen sind im Garten doch viel besser aufgehoben.“

„Unsinn. Manchen Pflanzen bekommt es sogar besser, wenn man sie von Zeit zu Zeit stutzt. Nicht wahr, Lani?“

„Einigen schon. Ich hole mal eben die Gartenscheren und ein paar Wasserkrüge.“ Dabei sah sie AJ nicht an.

Befriedigt lächelte Priia ihren Sohn an. „Pass gut auf Lani auf. Sie soll sich nicht überanstrengen.“

Überrascht blickte er Lani hinterher. Sie würde doch wohl noch selbst entscheiden können, was sie sich zumuten konnte. Wahrscheinlich hoffte seine Mutter, dass Lani sich von ihm die Hänge hinauftragen ließ oder ihn um Hilfe beim Überqueren von Pfützen bat. Darauf würde er sich nicht einlassen. Sie zu berühren war ihm viel zu gefährlich.

Lani kam mit zwei Metallkannen zurück, die AJ ihr abnahm. Sie selbst hatte sich eine Gartenschere in die Tasche ihres Alltagsgewands gesteckt. Wie üblich hatte es nachts geregnet, auf den Blättern glitzerten die Wassertropfen. Ein schmaler Pfad führte in Richtung Orchideengarten. Wie es üblich war, hatte Lani die Sandalen ausgezogen und ging barfuß. AJ hatte seine schweren Sneaker anbehalten und ärgerte sich. Denn sie waren im Nu durchnässt. „Ich habe ganz vergessen, wie feucht es hier ist“, bemerkte er missmutig.

„Deshalb nennt man es auch Regenwald.“ Belustigt sah Lani ihn von der Seite her an, und ihre goldbraunen Augen funkelten.

„Ich würde matschig dazu sagen.“ Er hatte schnell den Blick abgewandt. „Da ist mir das Klima in Los Angeles lieber. Sonnig und trocken.“

„Und dazu der dekorative Smogschleier“, ergänzte Lani lachend und schritt schnell voran.

Hübsche Füße hat sie. „Genau. Wer will schon dauernd die Berge sehen können. Halt mal, hier ist eine Blume!“ Er wies auf eine zierliche Blüte, die aus dichtem Blattwerk hervorlugte.

Lani war stehen geblieben und ging jetzt auf AJ zu. „Ja, wunderschön. Aber diese Blüte gehört zu einer sehr seltenen Orchideenart, die nur alle vier Jahre blüht. Die sollten wir wohl lieber stehen lassen und hier bewundern. Sie wäre im Ballsaal sicher sehr unglücklich.“

„Ich frage mich sowieso, wer überhaupt in diesem Ballsaal glücklich sein könnte. Eine Schnapsidee, diese Party. Wie schafft Mom es nur immer, dass alle nach ihrer Nase tanzen?“

„In alles, was sie macht, steckt sie sehr viel Energie. Außerdem ist sie eine sehr liebevolle Frau.“

„Ja, sie liebt es besonders, wenn alles so läuft, wie sie es will.“

„Sie hat mich immer wie eine Tochter behandelt.“

„Du bist doch auch ihre Tochter, zumindest ihre Schwiegertochter.“

„Meine Mutter hat eine Wäscherei, und mein Vater ist Amerikaner. Ich gehöre also kaum zur Aristokratie von Rahiri. Priia hätte sich mir gegenüber auch ganz anders verhalten können.“

„Na und?“ AJ zuckte mit den Schultern. „Snobismus liegt uns eigentlich nicht. Dir fällt das wahrscheinlich auf, weil du jahrelang in New Jersey gewohnt hast. War es merkwürdig, plötzlich hier in Rahiri zu leben? Muss doch eine ziemliche Umstellung gewesen sein.“

„Schon.“ Sie lachte. „Mein Fahrrad hätte ich gern gehabt. Und mir fehlt meine Freundin Kathy. Außerdem habe ich die Strände und die vielen Vögel geliebt. Und anfangs habe ich mich sehr nach meinem Vater gesehnt.“

„Sind deine Eltern geschieden?“

„Ja. Meine Mutter konnte sich nie an das amerikanische Leben gewöhnen. Sie weigerte sich, Autofahren zu lernen, und hasste die überfüllten Einkaufzentren. Deshalb hat sie immer nur beim Krämer an der Ecke eingekauft.“

„Aber da ist doch alles viel teurer.“

„Kann sein. Ihr hat es nicht gefallen, wie die Amerikanerinnen sich kleiden, also trug sie die traditionellen Gewänder. Auch das Haar wollte sie sich nicht abschneiden lassen. Anfangs hat mein Vater das ja noch exotisch und süß gefunden. Aber nach einiger Zeit hatte er es satt und drängte sie, sich endlich auf das Leben in Amerika einzustellen. Aber sie konnte es nicht. Sie ist sehr zurückhaltend, geradezu scheu.“ Sie lachte leise. „Ich glaube sowieso, meine Mutter hat meinen Vater nur geheiratet, weil sie nicht wusste, wie sie ablehnen sollte.“

„Vielleicht war es auch Liebe auf den ersten Blick.“

„Ja, vielleicht auch das.“ Lani ging wieder voraus und bog dann in einen grünen Tunnel ein, den der dichte Bewuchs geschaffen hatte. „Aber nach acht Jahren war wohl nicht mehr viel übrig von der Liebe, und mein Vater hat sie wieder nach Hause geschickt.“

AJ musste sich bücken, um den feuchten Blättern auszuweichen. „War es bei dir und Vanu auch Liebe auf den ersten Blick?“ Als er sah, wie sie leicht zusammenzuckte, fügte er schnell hinzu: „Entschuldige, es ist wahrscheinlich schmerzhaft für dich, jetzt darüber nachzudenken.“

„Ist schon okay. Nein, bei uns war es anders. Vanu hat mich auf dem Markt gesehen. Ich gefiel ihm, und deine Mutter hat schnell herausgefunden, wer ich war und wo ich wohnte. Sie lud mich in den Palast ein, es war alles sehr formell. Der Heiratsantrag wurde uns dann schriftlich überbracht, von einem der Diener des Hauses.“

„Hört sich nicht sehr romantisch an.“

„War es auch nicht. Zu dem Zeitpunkt kannte ich deinen Bruder so gut wie gar nicht. Wir hatten uns vielleicht fünf Minuten lang unterhalten.“

„Warum hast du dann seinen Antrag angenommen?“

Kurz hob sie die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Alle sagten, ich solle es tun. Den Antrag abzulehnen kam irgendwie überhaupt nicht infrage. Meine Mutter hätte mir das nie verziehen, und das hätte ich nicht ertragen.“

„Kann ich verstehen. Na ja, diesmal kannst du ganz beruhigt sein. Nicht mal meine Mutter kann uns zwingen zu heiraten.“ Als sie weiterging, ohne etwas zu erwidern, wurde er unruhig. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Nein, nein. Im Gegenteil. Ich bewundere deine Unabhängigkeit.“

„Auch du kannst dich unabhängig machen, wenn du willst.“