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Von null auf drei Männer in wenigen Tagen … neugierig, wie‘s geht?
Wenn Sie Caro danach fragen würden, bekämen Sie folgende Antworten:
Kaufen Sie sich einen sündhaft teuren Sportwagen und fahren Sie ihn sofort zu Schrott.
Lassen Sie sich scheiden und beobachten Sie aus sicherer Entfernung, wie Ihr Ex an der Seite seiner viel zu jungen, neuen Gespielin baden geht.
Verlieren Sie nie den Glauben daran, dass Ihre sexy Jugendsünden Sie eines Tages einholen werden.
Schaffen Sie sich unbedingt ein rothaariges Temperamentsbündel von Schwester an, die Ihr Leben auf Trab hält, ihre eigenen kleinen Geheimnisse aber auf keinen Fall preisgibt.
Was das jetzt alles mit Männern zu tun hat? Nun, lassen Sie es sich von Caro erzählen!
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Anna Graf
(K)ein flotter Dreier
Liebesroman
Das vorliegende Buch ist ein Produkt meiner Fantasie.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufälliger Art und nicht beabsichtigt.
Impressum
V.i.S.d.P.
Anna Graf
c/o Autorencentrum.de
Ein Projekt der BlueCat Publishing GbR
Gneisenaustr. 64
10961 Berlin
E-Mail: [email protected]
Tel.: 030 / 61671496
Coverbilder:© underdogstudios - Fotolia.com
© gile68 - Fotolia.com
Covergestaltung von Anna Graf
Copyright © Anna Graf, 2014
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten.
Inhaltsverzeichnis
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
Epilog
In eigener Sache
Krakau, 31.12.1999
Wieso ich in der Milleniumnacht ausgerechnet in dieser Kneipe landete, konnte ich mir später nie erklären. War es Zufall oder Schicksal? Ich wusste es nicht, aber letztlich war das auch egal.
Ich war aus der Pension, in der ich die letzten zwei Tage gewohnt hatte, geflohen und lief ziellos durch die hell erleuchteten Straßen Krakaus. Um mich herum brodelte es. Unglaublich viele Menschen waren auf der Straße und feierten das kommende Jahrtausend. Wildfremde Leute umarmten mich, luden mich zum Trinken ein und zogen mich mit sich. Es hätte so schön sein können, doch mir war nach allem, nur nicht nach Feiern. Mühsam schlängelte ich mich durch die Menge und lief in eine Seitenstraße. Hier konnte ich weinen, ohne dass es jemandem auffiel. Verzweifelt lehnte ich mich gegen eine Mauer. Was sollte ich nur tun, in die Pension würde ich auf keinen Fall zurückgehen.
Silvester in Krakau war mein Weihnachtsgeschenk für Marco gewesen. Wir hatten uns vor zwei Jahren am Silvesterabend kennengelernt und waren seither unzertrennlich. Unseren zweiten Jahrestag wollte ich mit der Jahrtausendwende verbinden und weil Marco eine Zeit in Krakau studiert und mir viel von dieser faszinierenden Stadt erzählt hatte, buchte ich kurz entschlossen ein Zimmer in einer kleinen Pension unweit des Stadtzentrums.
Ich hatte nicht viel Geld zu dieser Zeit, um mich während des Studiums über Wasser zu halten, jobbte ich in der Küche der Uniklinik. Um die Reise bezahlen zu können, hatte ich Extraschichten eingelegt. Meine Vorfreude erhielt einen ersten Dämpfer, als Marco meinte, Silvester nur zu zweit zu feiern, wäre doch langweilig. Und ehe ich mich versah, war aus unserer romantischen Reise zu zweit ein Kurzurlaub mit Marcos bestem Freund Björn, dessen Freundin Hanna und Hannas Schwester Daniela geworden.
Herrje, Daniela … sie war eine dieser Frauen, die sofort im Mittelpunkt standen und neben denen man sich vorkam, wie ein hässliches Entlein. Blond, vollbusig, Wespentaille und ein ordentlicher Hintern - sie wusste genau, wie sie auf Männer wirkte und sie reizte diese Wirkung aus bis zum Letzten. Ich war Luft für sie, aber auf Marco fuhr sie sofort ab, das war nicht zu übersehen. Sie klebte förmlich an ihm - und Marco? Der genoss die Aufmerksamkeit, die sie ihm entgegenbrachte natürlich in vollen Zügen.
Wir waren noch nicht ganz in Krakau angekommen, als ich mich bereits als fünftes Rad am Wagen fühlte. Marco wiegelte ab, sagte mir, ich würde übertreiben und sollte uns den Urlaub nicht durch meine dummen Eifersüchteleien verderben. Ich ließ mich einlullen, warum auch nicht. Ich liebte Marco schließlich und vertraute ihm – leider …
Den Silvestertag verbrachten wir alle gemeinsam in der Stadt, wir gingen auf Entdeckungsreise, besichtigten den Wawel, die Marienkirche und bewunderten die Altstadt. Ich versuchte, Daniela so gut es ging zu ignorieren, zwischen Marco und mir war schließlich alles in Ordnung, also wozu sollte ich mir Sorgen machen.
Am späten Nachmittag war ich pflastermüde und beschloss, für ein Weilchen in die Pension zurückzugehen, um mich auszuruhen. Der Rest der Bande war nicht totzukriegen. Sie beschlossen, die Silvesterfeier mit einer Kneipentour zum Warmwerden einzuläuten, doch ich klinkte mich aus. Marco küsste mich, als ich mich verabschiedete und raunte mir verführerisch ins Ohr, dass er mich in spätestens zwei Stunden wecken käme und ich im Bett auf ihn warten solle.
Die zwei Stunden vergingen, ich hatte ein kleines Nickerchen gemacht, fühlte mich wieder frisch und zu jeder Schandtat bereit, doch Marco kam nicht. Plötzlich war ich nervös. In mir keimte ein furchtbarer Verdacht auf. War es ein Fehler gewesen, Marco allein zu lassen mit dieser männermordenden Schlampe Daniela? Kurz mit mir und meinem Stolz kämpfend lief ich hinüber zu ihrem Zimmer. Es erübrigte sich, an der Tür zu lauschen, denn ich hörte Danielas Lustschreie bis auf den Gang hinaus.
Ohne weiter darüber nachzudenken, drückte ich die Türklinke hinunter. Ich wollte es einfach wissen. Das Miststück hatte nicht abgeschlossen, als hätte sie gewollt, dass ich sie in flagranti erwische. Ich stand also im Raum und sah Daniela, die nackt auf meinem Freund saß und ihn ritt wie der Teufel. Marco bäumte sich unter ihr, er hatte nicht mal mitbekommen, dass ich plötzlich im Zimmer stand.Daniela wandte mir ihr von Ekstase verzerrtes Gesicht zu, grinste mich schamlos an und besaß tatsächlich die Frechheit, mir zuzuzwinkern und den Daumen zu heben. Ich hatte genug gesehen und ergriff die Flucht. Hier konnte ich auf gar keinen Fall bleiben, ich holte Jacke und Handtasche aus meinem Zimmer und rannte Hals über Kopf auf die Straße hinaus.
Und nun stand ich mutterseelenallein in einer mir vollkommen fremden Stadt und wusste nicht, wo ich die Nacht verbringen sollte. Es war eisig, langsam drang mir die Kälte bis in die Knochen, also setzte ich mich wieder in Bewegung. Dann sah ich die hell erleuchteten Fenster einer Eckkneipe, nahm kurzentschlossen all meinen Mut zusammen. Hier draußen würde ich mir über kurz oder lang den Tod holen, dort drin war es sicher schön warm und sicher gab es ein Eckchen, in das ich mich verkriechen konnte.
Ich öffnete die Tür, schlüpfte durch einen dicken, schwarzen Vorhang, den man zum Schutz vor der Kälte angebracht hatte und stand unvermittelt in einer der miesesten Kaschemmen, die ich je gesehen hatte. Hier schien sich alles versammelt zu haben, was an diesem Abend keine Heimat hatte. Die Luft war zum Schneiden dick. Männer mit zerfurchten Gesichtern und abgetragenen Jacken saßen an fleckigen Tischen, rauchten und tranken. Einige von ihnen sahen wie Obdachlose aus. Im Raum waberte eine unbeschreibliche Wolke aus Zigarettenqualm, ungewaschener Kleidung, Knoblauch und Schweiß.
Als ich so plötzlich da stand, verstummten die Gespräche schlagartig, die Männer verdrehten neugierig die Hälse und musterten mich. Ich drehte mich auf dem Absatz und wollte schnell wieder hinausgehen, doch einer der Männer, die direkt neben der Tür saßen, fasste mich am Arm und zeigte auf einen freien Stuhl. Er redete in schnellem Polnisch auf mich ein, doch natürlich verstand ich kein Wort. Ich schüttelte den Kopf, murmelte ein leises „Entschuldigung“ und versuchte, meinen Arm freizubekommen. Der Mann packte jetzt fester zu, zog mich auf den Stuhl und schob mir ein Glas zu. Dabei hörte er nicht auf, auf mich einzureden.
„Bitte“, versuchte ich es noch einmal, nun etwas lauter. „Bitte lassen Sie mich los, ich verstehe Sie nicht.“
Der Mann grinste und entblößte dabei eine riesige Zahnlücke.
„Trauriges Mädchen“, sagte er auf Deutsch. „Trink Wodka, dann wird besser.“
Er hielt mir das Glas vors Gesicht und ich ergab mich einfach. Ich griff gegen jede Vernunft nach dem Glas, hielt die Luft an und kippte das Gesöff in einem Zug hinunter. Der billige Fusel brannte so stark, dass ich eine Hustenattacke bekam und mir Tränen in die Augen stiegen. Die Männer um mich herum lachten und riefen:
„Szczęśliwego nowego Roku.“
So viel verstand ich, ‚gutes neues Jahr’ hieß das. Ach verdammt, mittlerweile war mir alles egal. Ich versuchte, mich zu entspannen und blieb einfach sitzen. Das flüssige Feuer des Wodkas rann wohltuend warm durch meinen Körper und ich überlegte, ob mich ein zweiter davon von den Beinen fegen würde.
Doch dann sah ich ihn und alles veränderte sich. In einer Ecke neben der schmuddeligen Theke lehnte ein Mann an der Wand und starrte mich an. Er wirkte zwischen den abgerissenen Männern genauso fehl am Platze wie ich selbst und ich fragte mich, was er hier verloren hatte.
Sein Blick hielt mich fest und auch ich konnte nicht anders, als immer wieder zu ihm zu sehen. Er stand reglos da, hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt und ließ mich nicht aus den Augen. Er musste ein wenig älter als ich sein, ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Sein Gesicht war faszinierend, schmal und fein gezeichnet. Dunkles, leicht gelocktes Haar fiel ihm bis auf die Schultern und er hatte die ungewöhnlichsten blauen Augen, die ich je gesehen hatte.
Ich bekam weiche Knie, als er sich nach einer Weile aus der Ecke löste und langsam, ohne den Blickkontakt zu lösen, herüber kam. Er legte einen Geldschein auf den Tisch und sagte etwas in die Runde, worauf die Männer lauthals losgrölten und pfiffen.
Der Unbekannte reichte mir die Hand und ich ergriff sie, ohne zu zögern. Die Berührung hatte etwas Magisches, sie löste ein gespanntes Kribbeln aus, welches sich langsam über meinen Arm im ganzen Körper ausbreitete. Was war das denn? War er ein Hexenmeister? Ohne ein Wort zog er mich vom Stuhl und führte mich aus dem Lokal. Wie hypnotisiert folgte ich ihm nach draußen.
Die kalte Luft traf mich wie ein Keulenschlag und plötzlich konnte ich wieder klar denken. Fast gewaltsam riss ich meine Hand aus seiner.
„Vielen Dank, aber ich muss jetzt wirklich gehen.“
War das wirklich meine Stimme, so klein und unsicher?
Zu meiner Überraschung antwortete er in akzentfreiem Deutsch:
„Wo wohnst du? Ich bringe dich ein Stück, sonst verläufst du dich wieder.“
Verwirrt schüttelte ich den Kopf.
„Bist du Pole oder Deutscher? Was hast du denen da drin grad gesagt?“
Er grinste breit und ich sah ebenmäßige, weiße Zähne in der Dunkelheit aufblitzen.
„Ich bin Pole durch meine Mutter und Deutscher durch meinen Vater. Ich habe ihnen gesagt, dass du zu mir gehörst und ich dich noch vor dem Feuerwerk nach Hause ins Bett bringen werde.“
Was für eine Frechheit! Ich spürte, dass ich rot wurde und war heilfroh, dass meine Reaktion in der Dunkelheit vor ihm verborgen blieb.
„Was machst du hier überhaupt?“, er ließ nicht locker. „Wie kommt jemand wie du in diese Gegend? Wieso feierst du nicht mit den anderen Touristen Silvester im Zentrum?“
„Und was machst du hier?“, gab ich zurück. „Du siehst auch nicht so aus, als würdest du hierher gehören.“
„Ich bin genau da, wo ich sein will“, sagte er, streckte die Hand aus und strich mir zärtlich über die Wange.
Ich schmiegte mich instinktiv in seine Hand und schrak dann zurück. Was war hier los? Plötzlich hatte ich einen dicken Kloß im Hals. Das war Neuland für mich, ich wusste nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Einerseits war mir hundeelend wegen Marcos Betrug, andererseits stand ich hier mit diesem faszinierenden Fremden, der mich völlig in seinen Bann zog und verlor mich im Sog seiner Augen. Ohne zu reden standen wir einfach nur da und sahen uns an.
Widerwillig zwang ich mich in die Wirklichkeit zurück. Um uns herum war es laut geworden. Selbst hier, in dieser heruntergekommenen Gegend, füllte sich die Straße langsam mit Menschen, es ging auf Mitternacht zu.
„Also, wohin soll ich dich bringen?“, fragte der Fremde erneut.
„Nirgendwohin“, antwortete ich so leise, dass ich mich selbst kaum hören konnte. „Ich kann nicht zurückgehen.“
„Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?“ Er legte eine Hand auf meine Schulter und sah mir wieder in die Augen.
Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die Tränen wegzublinzeln, die mir schon wieder in den Augen standen.
„Liebeskummer?“, er ließ einfach nicht locker.
„Der Mistkerl hat mich betrogen“, schleuderte ich ihm trotzig entgegen und erschrocken über mich selbst hielt ich mir die Hand vor den Mund.
„Er ist ein Idiot“, antwortete der Fremde. Er überlegte, dann hielt er mir seine Hand entgegen.
„Es ist gleich Mitternacht“, sagte er und lächelte. „Komm mit, ich weiß, wohin wir gehen.“
Ich zögerte, aber nur kurz. Ich hätte nicht sagen können warum, aber instinktiv vertraute ich ihm, legte meine Hand in seine und ließ mich mitziehen. Hand in Hand liefen wir hinunter zum Fluss, er führte mich zu einem Anleger, der ein Stück in die Weichsel hineinragte. Von hier hatte man einen herrlichen Blick auf den Wawelhügel, der sich, hell erleuchtet, aus der Dunkelheit erhob. Hier war es ruhig, wir waren allein. Ich lehnte mich gegen das wacklige Geländer des Stegs und sah hinüber zu der alten Königsresidenz. Mir war wieder kalt und ich zitterte leicht. Er bemerkte es, stellte sich hinter mich und zog mich dicht an sich heran. An ihn gelehnt wurde mir wärmer und ich zog seine Arme fester um meine Schultern. Ich versuchte herauszufinden, was das alles bedeutete, doch ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, wieso ich mich hier an diesem Ort, mit einem mir vollkommen unbekannten Mann fühlte, als wäre ich nach Hause gekommen.
„Es ist wunderschön hier“, sagte ich. „Diese Stelle hätte ich ohne dich nie entdeckt.“
„Ich sitze hier oft und male“, antwortete er.
„Du malst?“, das erstaunte mich tatsächlich, doch irgendwie passte es zu seiner Erscheinung.
„Ja, ich male, ich versuche es zumindest“, sagte er lächelnd und dann war es vorbei mit der Ruhe. Die Glocken der Kathedrale begannen zu läuten, überall knallte und krachte es und lautes Geschrei brandete auf. Es war Mitternacht, ein großes Feuerwerk erleuchtete die Stadt und entflammte den Fluss.
Mein geheimnisvoller Begleiter drehte mich zu sich um.
„Ein gutes neues Jahr“, sagte er leise.
Er legte beide Hände schützend auf meine Wangen und sah mich wieder mit diesen unglaublichen Augen an. Seine Berührung war so zärtlich, dass ich fast zerfloss. Als er mich schließlich küsste, wünschte ich mir, dass dieser Moment niemals enden würde. Ich fühlte mich unglaublich wohl bei ihm, vergrub mein Gesicht an seinem Hals und atmete seinen Geruch ein. Er schien mir so vertraut, als würde ich ihn schon immer kennen. Ich wühlte meine Hände in sein dichtes Haar, zog seinen Kopf zu mir und küsste ihn wieder, doch diesmal öffnete ich die Lippen und ließ ihn ein. Seine Küsse entfachten ein ungekanntes Feuer in mir, ließen mich Marco und Daniela vergessen und blendeten sogar den höllischen Silvesterlärm, der um uns herum tobte, aus.
Ich wusste jetzt, was ich wollte, ich sah zu ihm auf, versenkte meine Augen in seinen und flüsterte:
„Nimm mich mit nach Hause und bring mich ins Bett.“
„Bist du sicher?“ Seine Stimme klang rau.
„Absolut sicher…“
Er führte mich zu einem heruntergekommenen Haus unweit der Kneipe, in der wir uns gefunden hatten. Seine Wohnung lag im zweiten Stock und bestand aus einem großen Raum und einer winzigen Küche. Hinter einer dünnen Trennwand gab es ein Badezimmer, welches einen ziemlich provisorischen Eindruck machte.
Die Einrichtung war alt und abgewohnt, aber das Zimmer war aufgeräumt und sauber. An den Wänden lehnten Unmengen von Bildern und vor dem großen Fenster stand eine Staffelei.
„Wie heißt du?“, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf und legte ihm einen Finger auf den Mund. Er lächelte und seine blauen Augen strahlten. Dann zog er mir die dicke Jacke aus, half mir aus den Stiefeln, nahm mich auf den Arm und brachte mich ins Bett.
Nicht, dass ich allzu viele Vergleichsmöglichkeiten gehabt hätte, Marco war damals mein erster und einziger Lover gewesen. Er hatte einen italienischen Vater und war entsprechend temperamentvoll veranlagt. Im Bett war Marco wild und ungestüm und manchmal so schnell, dass ich selten auf meine Kosten kam. Aber ich war zu dieser Zeit auch noch sehr unerfahren und wusste es einfach nicht besser.
Mein schöner Unbekannter hingegen war vollkommen anders. Er legte mich aufs Bett und entkleidete mich quälend langsam, als wäre ich ein kostbares Geschenk und als hätten wir alle Zeit der Welt. Seine Zunge hinterließ eine brennende Spur auf meiner Haut, seine schlanken, feingliedrigen Finger berührten mich auf eine Art, wie ich sie bisher nicht gekannt hatte. Als er in mich eindrang, passte er sich meinem Rhythmus an und führte mich einen unglaublich lustvollen Weg entlang, an dessen Ende ich endlich wusste, warum zwei Menschen dieses Spiel miteinander spielten. Er zeigte mir in dieser Nacht, das Sex so viel mehr war, als nur seinen Schwanz in mich hineinzustecken und wild draufloszurammeln, wie Marco es zu tun pflegte.
Als ich später erwachte, hielt er mich in seinen Armen. Er hatte mich die ganze Nacht über festgehalten. Wieder überkam mich dieses warme Gefühl der Geborgenheit. Am liebsten wäre ich für immer so liegengeblieben, hier, in diesem schmalen Bett unter dem Fenster mit den Eisblumen. Ich war so glücklich an diesem Morgen!
Doch dann schlich sich das große ‚Aber …‘ in meinen Kopf. Was würde geschehen, wenn er erwachte? Würde alles so bleiben wie in dieser verzauberten Silvesternacht? Ich kannte ihn doch überhaupt nicht. Ja, es stimmte, ich hatte noch nie zuvor so empfunden. Er hatte Gefühle in mir geweckt, von denen ich nicht einmal ahnte, dass sie existierten. Ich haderte mit mir, ich wollte ihn nicht verlieren, aber leider war ich nie sonderlich mutig gewesen.
Mein blödes Pflichtbewusstsein behielt die Oberhand, die Angst vor der Ungewissheit siegte, ich musste zurück nach Hause, Marco zum Teufel schicken und mein Studium beenden.
‚Ich liebe dich, auch wenn ich nicht einmal deinen Namen kenne‘, dachte ich. ‚Ich würde so gern bei dir bleiben …‘
Tränen liefen mir über die Wangen, als ich mich vorsichtig aus seinen Armen löste. Er atmete tief ein und bewegte sich, wachte aber nicht auf. Als ich mich leise anzog, konnte ich kaum hinübersehen zum Bett, zu ihm, diesem wunderschönen Mann. Alles in mir sträubte sich dagegen, ihn zu verlassen. Dann aber ging ich doch noch einmal zu ihm und hauchte ihm einen Abschiedskuss auf die Wange.
„Ich bin Carolin“, flüsterte ich ihm ins Ohr. Dann floh ich aus der Wohnung, ehe ich es mir doch noch anders überlegte.
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Er erwachte vom Klappen der Wohnungstür, sprang auf und stürzte zum Fenster. Das alte Ding war verquollen und klemmte, schließlich riss er es mit einem so heftigen Ruck auf, dass die Glasscheiben fast aus den morschen Rahmen fielen. Er beugte sich weit hinaus in die eisigkalte Luft und sah sie aus dem Haus laufen.
„Carolin, warte“, rief er. Sie drehte sich um, ging ein Stück rückwärts und er sah, dass sie weinte. Dann bog sie um die nächste Ecke und war verschwunden.
„Carolin“, flüsterte er. War das wirklich ihr Name oder hatte er das nur geträumt?
Er würde sie nie wiedersehen.
Er würde sie immer lieben.
Berlin, Juni 2012
Der Autoverkäufer kam mit ausgebreiteten Armen und einem noch breiteren Lächeln im Gesicht auf mich zu. Im ersten Moment hatte ich Angst, dass er mich im Überschwang umarmt und ich meinen Kopf auf seine mit spärlichem Resthaar überkämmte Glatze legen müsste. Der Mann war einen guten Kopf kleiner als ich, er reichte mir höchstens bis zum Kinn. Glücklicherweise stoppte er einen halben Meter vor mir und faltete seine Hände vor der Brust, als wolle er beten.
„Meine liebe Frau Brendel, heute ist also der große Tag! Ich muss Sie wirklich zu Ihrer Entscheidung beglückwünschen“, säuselte er und wippte verzückt auf den Fußballen auf und ab. „Sie haben sich goldrichtig entschieden und werden den Kauf mit Sicherheit nicht bereuen.“
„Vielen Dank, Herr Gruber“, ich musste mir das Lachen verkneifen. Der Typ war ein wandelndes Autoverkäufer- Klischee. „Könnten wir jetzt vielleicht zum Geschäftlichen kommen, ich muss leider gleich weiter.“
„Aber natürlich, wenn Sie mir bitte folgen würden“, er nahm meinen Arm und führte mich in ein kleines Büro neben dem Verkaufsraum.
Ich war verrückt, mein erstes ordentliches Honorar für einen Sportwagen zu verprassen, aber von einem solchen Wagen hatte ich schon immer geträumt. Ich war die meiste Zeit wirklich total vernünftig und grundsolide, ich rauchte nicht und trank selten, aber ein Laster hatte ich doch, ich fuhr total auf schnelle Autos ab und liebte die Geschwindigkeit. Dementsprechend oft gab es teure „Erinnerungsfotos“ vom Amt und Clemens, mein Ex- Mann, drohte mehr als einmal, mir die Autoschlüssel wegzunehmen und mir stattdessen eine Monatskarte für die S- Bahn zu kaufen.
Clemens fuhr einen riesigen Geländewagen, den ich gelegentlich benutzte, für mich war es jedes Mal der pure Krampf, wenn ich das Schlachtschiff in eine Parklücke manövrieren musste.
Einen eigenen Wagen, nur für mich allein, hatte ich noch nie besessen, seit meiner Scheidung war ich wirklich nur S- Bahn gefahren. Ich konnte es immer noch nicht richtig fassen, dass ich jetzt tatsächlich den Kaufvertrag für einen schneeweißen Flitzer mit echten Ledersitzen unterschrieb.
Herr Gruber verstaute mein Vertragsexemplar und die Fahrzeugpapiere in einer silberfarbenen Mappe, legte die Autoschlüssel darauf und überreichte mir beides wie rituelle Gegenstände. Ob er das feierliche Grinsen extra bezahlt bekam?
„Hier sind Ihre Unterlagen und die Schlüssel, und bitte denken Sie an die erste Wartung in drei Monaten. Die ist für Sie natürlich gratis.“
Er lief flink wie ein Wiesel vor mir her und ich fragte mich, wie ein Mann bloß so trippeln konnte. Schwungvoll öffnete er die Fahrertür meines Wagens und ließ mich einsteigen.
Meine Finger glitten über die weichen, dunkelgrauen Ledersitze, befühlten die glänzenden Armaturen. Es roch edel nach Leder und Luxus. Als ich mich im Rückspiegel sah, bemerkte ich, dass ich lächelte wie ein volltrunkenes Mondkalb.
Ich sortierte meine Gesichtszüge, winkte dem Autoverkäufer noch einmal zu und fuhr vom Parkplatz.
Ich würde jetzt volltanken, einkaufen und nach Hause fahren, um mich umzuziehen. Dann hatte ich mich mit meiner Schwester Mary auf eine Spritztour mit dem neuen Auto verabredet. Mary war oberzickig, meistens ein ziemliches Miststück, aber gleichzeitig auch die beste Freundin, die ich jemals hatte. Ich freute mich auf sie und auf ihre bissigen Bemerkungen, wir unternahmen in letzter Zeit viel zu wenig miteinander.
Die Ampel sprang auf Grün und ich fuhr los. Dann dachte ich, die Welt stürzt ein, denn es krachte und schepperte, ein großes Etwas knallte auf meine nagelneue Motorhaube und segelte zu Boden. Ich trat mit aller Kraft auf die Bremse und der Wagen stand sofort. Hinter mir hupte jemand wie verrückt.
Zu Tode erschrocken stieß ich die Tür auf und lief nach vorn. Vor meinem Auto lag ein junger Mann neben einem total verbeulten Fahrrad. Ich kniete mich neben ihn und berührte ihn vorsichtig an der Schulter.
„Haben Sie sich verletzt, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, ich war so durcheinander, dass ich ihn anschrie.
Inzwischen kam der Fahrer aus dem Auto hinter mir dazu. Aus meiner hockenden Perspektive blickte ich gegen einen riesigen Bauch auf zwei dünnen Beinen, als ich aufstand sah ich, dass zu dem dicken Bauch ein ebenso dicker Hals und ein kleiner, vor Wut dunkelrot angelaufener Kopf gehörten.
„Der Blödmann ist bei Rot gefahren und ich wäre Ihnen fast hintendrauf gefahren“, brüllte er und seine Halsschlagader schwoll bedrohlich an.
„Sehen Sie sich doch bloß Ihr Auto an, man sollte diese Rowdys aus dem Verkehr ziehen.“
Der „Rowdy“ lag hilflos im Dreck, zitterte am ganzen Körper und flüsterte:
„Was ist denn bloß passiert, ich wollte doch nur schnell …“
Seine Stimme brach, er hatte Tränen in den Augen, und ich sah, dass er fast noch ein Kind war, im Höchstfall fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Aus seinen zerrissenen Jeans quoll Blut und es ragte etwas heraus, was verdächtig nach einem Stück Knochen aussah. Mir wurde ein bisschen übel und ich drehte schnell den Kopf weg.
Der rotköpfige Dickbauch kriegte sich überhaupt nicht wieder ein.
„Sehen Sie zu, dass Sie die Personalien kriegen von dem, sonst können Sie die Reparaturkosten für Ihr Auto selbst zahlen. Wenn der einmal weg ist, sehen Sie den nie wieder.“
Meine Schwester Mary bemängelte immer an mir, das ich ein harmoniesüchtiger Mensch sei, der sich viel zu viel gefallen ließ, aber jetzt hätte sie ihre wahre Freude an mir gehabt. Der Kerl ging mir einfach auf die Nerven. Ich drehte mich zu ihm und fauchte:
„Rufen Sie gefälligst einen Krankenwagen, der Junge ist schwer verletzt. Und dann hören Sie auf, so herumzubrüllen, Ihnen ist doch gar nichts passiert.“
Mittlerweile hatte sich eine kleine Menschentraube gebildet, alles glotzte, keiner half. Ich kam mir vor wie ausgestellt und hätte am liebsten alle angebrüllt. Ich lief schnell zum Kofferraum, suchte im Verbandkasten nach Brauchbarem und einer Wärmedecke und ging wieder zu dem Jungen.
Meinen ersten und einzigen Erste- Hilfe- Kurs hatte ich mit Achtzehn absolviert, als ich den Führerschein machte, und demzufolge hatte ich keinen blassen Schimmer mehr von erster Hilfe. Ich zog meine Kostümjacke aus, faltete sie zu einem Päckchen und legte sie dem Jungen unter den Kopf. Dann deckte ich mit unsicheren Händen die Wunde ab und legte die Decke über ihn. Der Junge zitterte jämmerlich und weinte jetzt richtig. Ich hockte mich wieder neben ihn und hielt seine Hand fest.
„Der Krankenwagen kommt gleich, die kriegen das ganz sicher wieder hin im Krankenhaus“, sagte ich betont zuversichtlich. „Wie heißt du eigentlich?“
„Bernhard … Bernhard Dresen. Einfach Benni.“
„Also Benni, ich bin Carolin. Halt noch ein bisschen durch, es kann nicht mehr lange dauern.“
Zum Glück kam der Krankenwagen schnell. Der dicke Mann hatte wohl auch die Polizei gerufen, jedenfalls traf fast zeitgleich mit dem Rettungswagen auch ein Streifenwagen mit lauter Sirene und Blaulicht ein.
Ich trat zur Seite und ließ die Rettungssanitäter arbeiten.
In der Zwischenzeit nahm die Polizei meine Personalien auf, ließ sich den Unfallhergang schildern und befragte den dicken Mann als Unfallzeugen.
Erschöpft lehnte ich mich an die zerbeulte Motorhaube meines Autos. Ich zitterte am ganzen Leib und mir war eiskalt, obwohl der Tag angenehm warm war.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen, oder haben Sie doch etwas abbekommen?“
Einer der Rettungssanitäter kam zu mir. Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, mir wird nur gerade richtig klar, was passiert ist, es geht gleich wieder.“
Ich sah zu dem Jungen, der auf einer Trage in den Rettungswagen geschoben wurde.
„Was geschieht jetzt mit ihm?“, fragte ich leise. „Ich mache mir solche Vorwürfe, dass ich ihn nicht habe kommen sehen.“
Der Sanitäter winkte ab.
„Machen Sie sich mal keine Sorgen, der wird wieder. Er hat eine offene Unterschenkelfraktur, das wird operiert und in ein paar Monaten wird er wieder völlig der Alte sein. Außerdem war er ja wohl selbst Schuld an dem Unfall.“
„Ich mache mir trotzdem Sorgen um ihn. Wohin bringen Sie ihn, kann ich nicht mitkommen?“
„Wir verfrachten ihn gleich in die Uniklinik, dort ist er in den besten Händen. Sie fahren jetzt aber lieber nach Hause und trinken einen Schnaps auf den Schrecken. Haben Sie jemanden, der sich um sie kümmert?“
Ich nickte und sah an mir herunter. Von meinem guten dunkelgrauen Kaschmirkostüm, welches ich extra zur Feier des Tages angezogen hatte, war nicht mehr viel übrig, die Jacke war hinüber, der Rock hatte Blut und jede Menge Straßendreck abbekommen. Meine sündhaft teuren Seidenstrümpfe waren vom Hinknien zerrissen, die konnte ich komplett entsorgen.
„Was ist mit seiner Familie, hat man seine Eltern erreicht?“
Der Sanitäter zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, darum kümmert sich die Polizei.“
„Dann komme ich mit ins Krankenhaus“, sagte ich entschlossen. „Er ist doch noch ein halbes Kind. Ich werde bei ihm bleiben, bis seine Familie kommt.“
„Sie müssen aber selbst hinfahren, im Rettungswagen können wir Sie leider nicht mitnehmen.“
„Ich werde hinter Ihnen herfahren.“
„Na dann“, sagte der Sanitäter und begutachtete im Weggehen mein Auto. „Hoffentlich sind die Leute gut versichert. Ihr Wagen hat ganz schön was abbekommen.“
„Den Wagen habe ich gerade mal seit einer halben Stunde.“
Er lachte auf, drehte sich um und ging hinüber zum Rettungswagen. Mir war eher zum Heulen, als ich mir die Bescherung zum ersten Mal richtig ansah. Auf der Motorhaube prangte eine riesige, hässliche Delle, der Kotflügel war eingedellt und der Lack … reden wir lieber nicht weiter drüber. Aber das war alles unwichtig, Hauptsache, Benni kam wieder in Ordnung.
Mir wurde jetzt erst klar, wie glimpflich dieser Unfall für ihn ausgegangen war. Der Junge hatte unheimliches Glück gehabt. Wenn ich nur ein bisschen mehr Gas gegeben hätte, etwas rüder angefahren wäre … ich verbat mir, weiter darüber nachzudenken.
Ich atmete ein paar Mal tief durch, setzte mich hinter das Steuer und fuhr mit meiner verbeulten Schönheit zur Uniklinik.
In der Notaufnahme wurden wir fürs Erste im Gang abgestellt und ich hielt wieder Bennis Hand. Der Junge hatte starke Schmerzmittel bekommen und jetzt warteten wir auf einen Arzt. Seit unserer Ankunft war eine gute halbe Stunde vergangen und wie es aussah, waren die Damen und Herren Doktoren noch eine Weile anderweitig beschäftigt.
„Weiß du, ob die Polizei deine Eltern erreicht hat?“, fragte ich.
„Die haben mit meinem Bruder telefoniert“, antwortete Benni. „Ich wohne bei meinem Bruder Robert.“
Sein Gesicht verkrampfte sich.
„Hast du Schmerzen, soll ich jemanden holen?“, riefe ich erschrocken und sah mich halb panisch auf dem leeren Gang um. Wo um Himmels Willen, bekam man hier bloß Hilfe her?
„Nein, nein, alles ok, bloß Robert wird stinksauer auf mich sein. Er wird aus der Haut fahren, weil ich schon wieder Mist gebaut habe.“
„Baust du oft Mist?“
Benni nickte und grinste für seinen Zustand schon wieder ziemlich frech.
„Naja, ziemlich oft. Als Sie mich über den Haufen gefahren haben, hätte ich eigentlich in der Schule sein müssen.“
„Und, was hattest du stattdessen vor?“
„Ich wollte in den Proberaum, zur Bandprobe. Wir wollen im Sommer auf der Metalfront spielen, da kann ich nicht den ganzen Tag mit Schule verplempern. Robert versteht das nicht, der ist so uncool. Der würde mich am liebsten in meinem Zimmer einsperren und ich müsste rund um die Uhr irgendwelches Zeug pauken.“
„Metalfront?“
Benni verdrehte die Augen.
„Das ist daaas Metal- Festival, aber woher sollte jemand wie Sie das auch wissen. Robert sagt, für solchen Mist soll ich nicht mein Leben vergeuden.“
„Tja, dann hast du jetzt wohl richtig Ärger am Hals. Wie alt ist denn dein Bruder?“, fragte ich und musste mir das Lachen verkneifen. Eigentlich hätte ich mich auf meine Berufung besinnen und ihm ordentlich die Leviten lesen müssen, schließlich war ich Lehrerin, aber er erinnerte mich unheimlich an meine Schwester. Mary hatte früher ständig die Schule geschwänzt und sich stattdessen mit ihrer Gitarre in die Fußgängerzone gesetzt, um Straßenmusik zu machen.
„Robert ist schon alt, er ist sechsunddreißig. Er spielt sich auf, als wäre er mein Vater.“
Ich sagte lieber nichts mehr. Ich war vor zwei Monaten vierunddreißig geworden, in Bennis Augen war ich mit Sicherheit eine angehende Großmutter.
Mein Handy klingelte und ich erschrak, als ich Marys Nummer auf dem Display sah. Meine Verabredung mit ihr hatte ich über den ganzen Geschehnissen komplett vergessen.
Ich ging zum Telefonieren lieber schnell nach draußen, soweit ich mich erinnern konnte, sah man Handygespräche im Krankenhaus nicht gern. Mary regte sich glücklicherweise nur kurz auf, versprach aber, zum Krankenhaus zu kommen und mit mir gemeinsam in die Werkstatt zu fahren.
Als ich auf den Gang zurückkam, hörte ich als erstes ein zorniges Knurren und gleich darauf eine tiefe Stimme wütend sagen:
„Warum steht mein Bruder in seinem Zustand auf dem Gang? Wieso kümmert man sich nicht um ihn?“
Eine der Krankenschwestern schien bei Benni zu sein, sie erwiderte etwas, aber ich konnte leider nicht verstehen, was sie sagte.
„Ich wünsche, dass hier umgehend ein Arzt erscheint, ein richtiger Arzt und kein Praktikant, sonst werden Sie mich kennenlernen.“
Die Stimme wurde immer lauter. Wenn das Bennis Bruder war, konnte ich mich auf was gefasst machen. Kurz fiel mir ein, wie derangiert ich aussehen musste, aber eigentlich war mir das piepegal. Vielleicht konnte ich mit dem Bruder fix ein paar Dinge klären, mich von Benni verabschieden und in der Eingangshalle auf Mary warten.
Ich drückte sie Schultern durch, setzte mein freundlichstes Lächeln auf und bog forsch um die Ecke. Bei Benni stand ein gut aussehender, breitschultriger Mann im dunkelblauen Anzug, mit militärisch kurzgeschnittenem, dunkelblondem Haar. Ich ging auf ihn zu und streckte ihm meine Hand entgegen.
„Guten Tag, ich bin Carolin Brendel, Sie müssen Bennis Bruder sein.“
Der Mann übersah meine Hand und fixierte mich aus graublauen Augen.
„Sind Sie Ärztin?“ Seine Stimme war schneidend. Noch ehe ich antworten konnte, hatte er mich von oben bis unten gemustert und blaffte:
„Nein, Sie sind ganz sicher keine Ärztin, Sie sind die Frau, die meinen Bruder überfahren hat.“
Mir gefror das Lächeln auf den Lippen. Ich wollte protestieren, doch er schnitt mir mit einer kurzen Handbewegung das Wort ab.
„Haben Sie Ihren Führerschein im Lotto gewonnen?“, schnauzte er mich an. „Mussten Sie sich während der Fahrt die Lippen nachziehen und die Haare toupieren, oder warum haben sie meinen Bruder so zugerichtet? Wenn ich mit Ihnen fertig bin, werden Sie froh sein, wenn man Sie noch Fahrrad fahren lässt.“
Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein, der Typ war komplett von der Rolle.
‚Auf Durchgang schalten und einfach ignorieren‘, befahl ich mir.
Ich legte Benni eine Hand auf den Arm und sagte:
„Ich werde jetzt lieber gehen.
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ISBN: 978-3-7394-4565-6