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In manchen Tagen ist echt der Wurm drin, aber das Ding, das in diesem Samstag steckte, war kein einfacher Wurm. Nein, das war eine Schlange, ein mittlerer Python, mindestens.
Sarah Bennetts so gut wie Ex- Mann spielt seit zwei Jahren die männliche Hauptrolle in ‚Gefährliche Gefühle‘ … dieser Endlos- Serie, die seit über zehn Jahren Abend für Abend zur besten Sendezeit im Fernsehen läuft. Wenn dieser Samstag zu Ende geht wird es Sarah vorkommen, als hätte man das abstruseste seiner Drehbücher ins wahre Leben übertragen.
Oder ist es etwa nicht schräg, ungewollt eine berühmte Schauspielerin zu belauschen, die es an ihrem Hochzeitstag hemmungslos im Gebüsch treibt, doch der, von dem sie sich besteigen lässt, ist nicht ihr frisch Angetrauter?
Was macht man, wenn einem ein abgedankter Fußballer aus heiterem Himmel die Einrichtung zertrümmert?
Wie reagiert man, wenn der Ex plötzlich wieder im ehemals gemeinsamen Ehebett liegt? Sexy und verführerisch mit Handschellen ans Bettgitter gefesselt … aber mausetot?
Und als ob das alles noch nicht genug wäre, entpuppt sich der Kommissar, der den Mord aufklären soll, als der feuchte Traum Sarahs jungfräulicher Nächte, als der Mann, mit dem sie eine mühsam verdrängte Vergangenheit verbindet.
Und spätestens jetzt möchte sie am liebsten die Beine unter den Arm nehmen und flüchten, denn obwohl sie sich keiner Schuld bewusst ist, führen alle Spuren des Mordes zu ihr …
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Anna Graf
MORDSmäßig verliebt
Ein ziemlich krimineller Liebesroman
Das vorliegende Buch ist ein Produkt meiner Fantasie.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufälliger Art und nicht beabsichtigt.
Auch die im Buch genannten Orte und Institutionen sind, bis auf die Stadt Berlin selbst, rein fiktiv und nicht existent.
Impressum
V.i.S.d.P.
Anna Graf
c/o Autorencentrum.de
Ein Projekt der BlueCat Publishing GbR
Gneisenaustr. 64
10961 Berlin
E-Mail: [email protected]
Tel.: 030 / 61671496
Copyright © Anna Graf, Januar 2015
Coverfotos © merydolla - Fotolia.com; © gile68 - Fotolia.com
Covergestaltung von Anna Graf
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten.
Einleitung
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Epilog
In eigener Sache
In manchen Tagen ist echt der Wurm drin, aber das Ding, das in diesem Samstag steckte, war kein einfacher Wurm. Nein, das war eine Schlange, ein mittlerer Python, mindestens.
Sarah Bennetts so gut wie Ex- Mann spielt seit zwei Jahren die männliche Hauptrolle in ‚Gefährliche Gefühle‘ … dieser Endlos- Serie, die seit über zehn Jahren Abend für Abend zur besten Sendezeit im Fernsehen läuft. Wenn dieser Samstag zu Ende geht wird es Sarah vorkommen, als hätte man das abstruseste seiner Drehbücher ins wahre Leben übertragen.
Oder ist es etwa nicht schräg, ungewollt eine berühmte Schauspielerin zu belauschen, die es an ihrem Hochzeitstag hemmungslos im Gebüsch treibt, doch der, von dem sie sich besteigen lässt, ist nicht ihr frisch Angetrauter?
Was macht man, wenn einem ein abgedankter Fußballer aus heiterem Himmel die Einrichtung zertrümmert?
Wie reagiert man, wenn der Ex plötzlich wieder im ehemals gemeinsamen Ehebett liegt? Sexy und verführerisch mit Handschellen ans Bettgitter gefesselt … aber mausetot?
Und als ob das allen noch nicht genug wäre, entpuppt sich der Kommissar, der den Mord aufklären soll, als der feuchte Traum Sarahs jungfräulicher Nächte, als der Mann mit dem sie eine mühsam verdrängte Vergangenheit verbindet.
Und spätestens jetzt möchte sie am liebsten die Beine unter den Arm nehmen und flüchten, denn obwohl sie sich keiner Schuld bewusst ist, führen alle Spuren des Mordes zu ihr …
Melisande Fromm war ein Star, ein Soap-Opera-Superstar. Sie musste inzwischen gut fünfzig Jahre alt sein, aber Körper und Gesicht der Schauspielerin waren dank Botox und den Errungenschaften der Schönheitschirurgie auf maximal Mitte dreißig getrimmt. Eben diese Melisande Fromm hatte heute zum vierten Mal geheiratet und war dabei ihrem Beuteschema treugeblieben.
Bei ihrem frisch gebackenen Ehemann handelte es sich um Patrick Jennings, den gerade zurückgetretenen Superstürmer der Nationalelf, mehrfachem Fußballer des Jahres und wenn man der einschlägigen Presse glauben konnte, war er gut fünfzehn Jahre jünger als Melisande. Er hatte es geschafft, sein Geld bereits während seiner aktiven Zeit zu verpulvern. Es wurde von Edelnutten, dicken Autos und vor allem von langen Nächten in diversen Spielkasinos gemunkelt, in denen er seine verdienten Millionen auf den Kopf gehauen hatte. Wie gewonnen, so zerronnen.
Melisande, die in den letzten Jahren ein kleines Vermögen mit ihren Fernsehserien, Werbung und einer eigenen Kosmetiklinie verdient hatte, würde schon dafür sorgen, dass er seinen anspruchsvollen Lebensstil beibehalten konnte. Damit war beiden gedient, er war versorgt, sie konnte sich mit einem weiteren, jungen Trophäenmann schmücken und beide zusammen sicherten ganzen Scharen von Paparazzi ihren Lebensunterhalt.
Aber nicht, dass Sie denken, hier geht es um irgendwelche Promis und ihre Affären! Um Himmels willen, nein! Die Heldin unserer Geschichte ist keine Geringere als Sarah Bennett, ja … genau … die Sarah Bennett!
Kennen Sie nicht? Na hallo … Bildungslücke? Sarah Bennett, den hellen, aufstrebenden Stern am Kochhimmel kennen Sie nicht? Die gesamte Berliner Schickeria riss sich seit kurzem darum, von ihr bekocht zu werden. Sie war auf dem besten Wege, die erste Sterneköchin in der brandenburgischen Pampa zu werden und dafür arbeitete sie wie eine Verrückte.
Seit einem Jahr besaß sie den ‚Himmelshof‘, ein romantisches, abgelegenes Landhotel im Berliner Speckgürtel, das sie mit Hilfe ihres besten Freundes Julius Frick führte.
Ihrem Fast- Ex- Mann John hatte sie es zu verdanken, dass Melisande Fromm und Patrick Jennings ihre Hochzeit, die in der Klatschpresse als ‚Hochzeit des Jahres‘ gehandelt wurde, bei ihr gebucht hatten. Im Hotel herrschte Hochbetrieb. Sarahs Arbeitstag hatte um sechs Uhr morgens begonnen, jetzt war es bald Mitternacht und sie kroch vor Erschöpfung fast auf dem Zahnfleisch. Doch trotz der Müdigkeit war sie mehr als zufrieden. Die Gäste hatten das exquisite Fünf- Gänge- Menü ohne zu murren ratzeputz verschlungen und in den höchsten Tönen gelobt, die Band, die Julian engagiert hatte, rockte ordentlich und alles schien in bester Ordnung.
Sarah sah endlich Licht am Ende des Tunnels. In etwa einer Stunde würde sie draußen ein Mitternachtsbuffet aufbauen und dann war der nicht enden wollende Arbeitstag hoffentlich vorbei. Die Vorbereitungen für das Buffet waren so gut wie abgeschlossen und sie konnte sich zum ersten Mal an diesem Tag eine kleine Pause gönnen.
Mit einer Schale ordinärer Gulaschsuppe vom Personalessen verzog sie sich hinaus in den Garten. Nach dem heißen Julitag waren die Temperaturen auf angenehme zwanzig Grad gesunken und Sarah atmete die frische Luft begierig ein. Sie setzte sich zum Essen auf die halb im Gebüsch versteckte Bank, die selten jemand von den Gästen entdeckte und die die Angestellten mieden, weil sie wussten, dass die Chefin sauer wurde, wenn sie besetzt war. Sarah hatte heute zwischen Unmassen von Nahrungsmitteln schon mehrmals den Hunger übergangen und musste sich bremsen, die Suppe nicht in sich hineinzuschlingen.
Zwischen zwei Löffeln hörte sie Stimmen und seufzte … Ruhe vorbei.
Ein Mann und eine Frau taumelten eng umschlungen durch die Dunkelheit und waren schwer miteinander beschäftigt. Ihr Weg endete an einem dicken Baum, der Mann lehnte sich an und die Frau ging kichernd vor ihm in die Knie. Sarah konnte die beiden nur schemenhaft erkennen, dieser Teil des Gartens war so gut wie nicht beleuchtet. Drüben ging es umgehend zur Sache, ein Reißverschluss ratschte auf und der Mann begann ungeniert zu stöhnen. Der Kopf der Frau wippte eine Weile auf und ab, der Typ stieß ein unbeschreibliches Grunzen aus und sagte gepresst:
„Ooooooh Goooooott, Sandy, ich kann gleich nicht mehr …“
Darauf folgte ein unverwechselbares, heiseres Lachen und Sarah blieb fast der Löffel im Hals stecken. Sandy? War das etwa Melisande Fromm da am Baum? Der Mann ließ die Hose jetzt komplett runter und sein weißer Hintern leuchtete in der Dunkelheit wie ein zweiter Mond.
„Na los“, kommandierte er. „Dreh dich um, ja … genauso …“
Der Hunger nagte immer noch heftig in Sarahs Eingeweiden, aber schließlich siegte die Neugier. Sie stellte die Suppenschüssel ab und pirschte sich vorsichtig näher heran. Unter ihr knackten dünne Äste, doch die beiden da drüben waren so miteinander beschäftigt, dass sie nicht mitbekamen, dass sie, keine fünf Meter entfernt, versteckt hinter einen Busch, Publikum hatten. Die Gesichter konnte Sarah im Dunklen zwar nach wie vor nicht erkennen, aber dafür das Kleid der holden Braut.
Melisande Fromm, die witzigerweise selbst bei ihr vierten Hochzeit noch in jungfräuliches Weiß gekleidet war, hatte, wie es aussah, ihre Hochzeitsnacht vorverlegt. Nur war Melisande garantiert nicht mehr jungfräulich und der Typ, mit dem sie es trieb, nicht ihr frisch angetrauter Ehemann, denn den hatte Sarah vor ein paar Minuten noch sternhagelvoll an der Bar stehen sehen.
Melisande hatte einen Fuß auf einen Stein gestellt und sich gegen den Baum gelehnt. Die Hand des Mannes fuhr unter ihren Rock, raffte ihn nach oben und verschwand zwischen ihren Schenkeln.
„Hmmmmm … jaaaaa, genau da … du bist so gut, fester, Baby“, die dunkle Stimme der Schauspielerin klang durch die warme Nacht.
Wie auf Stichwort kam der Mond hinter der dicken Wolke, in der er sich versteckt hatte, hervor und leuchtete die Szenerie hervorragend aus. Der Mann zog seine Finger zwischen Melisandes Beinen hervor und steckte sie in ihren Mund. Die Schauspielerin saugte gierig daran, dann küsste sie ihn wild und leidenschaftlich und drückte ihn schließlich hinunter. Er hockte sich vor sie und obwohl sein Kopf die Sicht versperrte, wusste Sarah, was er tat, denn sein genüssliches Schmatzen war laut genug. Melisande dankte ihm seinen Einsatz mit atemlosen Seufzern, mit einer Hand hielt sie ihren Rock oben, die andere wühlte in seinem Haar und ihr Becken wölbte sich ihm entgegen.
Sarah verharrte bewegungslos im Gebüsch, halb entzückt, halb entsetzt über sich selbst. Wie konnte sie bloß … wozu hatte sie sich hinreißen lassen! War sie schon so notgeil, dass sie den Voyeur spielen musste? Obendrein verselbständigte sich ihr Körper und reagierte heftig auf den Porno, der da vor ihr ablief.
Seit ihrer Trennung von John hatte sie keinen Mann mehr an sich herangelassen. Aber davon abgesehen ging die Wahrscheinlichkeit, einen kennenzulernen, sowieso gegen null, denn sie kam so gut wie nie aus ihrer Küche heraus. Ein gutes Jahr lebte sie bereits enthaltsam, wenn man das fleißige, aber leider nur batteriegetriebene Helferlein aus dem Nachtschränkchen mal außen vor ließ. Doch selbst dafür war sie in der letzten Zeit viel zu müde. Um es kurz zu fassen – bei Sarah herrschte sexueller Notstand und was hier gerade live vor ihren Augen passierte, ließ glühende Hitze in ihre empfindlichsten Körperteile fahren.
Melisandes Atmung wurde immer kürzer und flacher. Der Mann vor ihr schien sein Bestes zu geben, doch sie stieß ihn ungeduldig von sich. Sie drehte sich um, spreizte die Beine weit auseinander und beugte sich nach vorn. Sarah hielt sich erschrocken eine Hand vor die Augen, denn sie hatte nun wirklich nicht beabsichtigt, vollen Einblick in Melisande Fromms weit geöffnete und im Mondlicht feucht glänzende Muschi zu bekommen.
Es war ein bisschen wie im Kino, wo man in einer besonders gruseligen Szene erst die Augen zukneift und dann trotzdem wieder hinsehen muss. Auch Sarah ging es so. Natürlich spitzte sie zwischen den Fingern hervor und sah, wie der Mann seinen voll ausgefahrenen und recht beachtlichen Penis in die Hand nahm und mit der Kuppe ein paarmal an Melisandes offener Spalte hoch und runter strich. Schließlich stieß er rücksichtslos und ziemlich heftig zu und sie schrie auf. Er verharrte einen Moment reglos, griff um sie, wühlte ihre Brüste aus dem offenherzigen Dekolleté und knetete sie grob. Doch Melisande schien es zu gefallen, denn sie stöhnte:
„Fester, kneif mich … ja ... genau so …“
Der Mann bewegte sich jetzt in ihr, erst quälend langsam, dann immer schneller. Sein wildes Stöhnen vermischte sich mit ihren heiseren Schreien, dazu klatschte rhythmisch Fleisch auf Fleisch. Die Hände auf ihre prallen, weißen Hinterbacken gestützt, stieß er wie ein Wahnsinniger in sie hinein. Das dort drüben war kein Liebesakt, was Sarah beobachtete, war eine animalische Fickerei. Trotzdem spürte sie das wohlbekannte, nach Erlösung drängende Pulsieren zwischen ihren Beinen und hätte am liebsten eine Hand dazwischen gesteckt. Doch leider war das in ihrer gegenwärtigen Situation glattweg ausgeschlossen. Sie trug die volle Kochmontur und hockte in einer derart unmöglichen Stellung im Gebüsch, dass ihr bereits die Beine einschliefen. Doch sie konnte einfach den Blick nicht abwenden. Wie gebannt starrte sie auf die zuckenden Leiber und lauschte den immer höher und spitzer werdenden Tönen, die Melisande von sich gab. Entweder hatte es der Typ wirklich irre gut drauf, oder aber Melisande protzte mit ihren Schauspielkünsten und machte ihm was vor. Vielleicht hatte sie ja früher auch Pornos gedreht und wusste, was von ihr erwartet wurde.
Sarah schaute nicht weg, auch wenn sie es hätte tun sollen. Im Gegenteil, sie beneidete Melisande in diesem Moment total. Naja, sie wollte natürlich nicht diesen Kerl da, sie wusste ja nicht mal, wer der Glückliche war. Aber im Moment hätte sie alles für einen so heftigen Orgasmus gegeben, wie ihn Melisande gerade zu erleben schien und der ihren schmalen Körper konvulsivisch erzittern ließ.
Der Mann, der es ihr besorgte, musste ein Stehvermögen wie ein Pferd haben. Er hielt einen Moment inne und das Stöhn- Grunzen erklang von neuem. Nochmal ertrug Sarah das nicht. Leise und vorsichtig kroch sie zurück, aber die beiden waren so bei der Sache, dass sie wahrscheinlich nicht mal auf eine durchrennende Elefantenherde reagiert hätten.
Drinnen machte sie sich auf die Suche nach Julian Frick, der für das Management des Hotels zuständig war. Sie fand ihn im Küchengang, wo er prüfend in den Saal spähte, in dem jetzt zu fortgeschrittener Stunde ungefähr hundertfünfzig Personen feierten. Allerdings waren das nicht irgendwelche Personen. Nein, sie hatten die Creme de la Creme der ‚C- Prominenz‘ vor sich, die lautstark und ausgelassen Party machte und sich mit steigendem Alkoholspiegel zunehmend daneben benahm.
Die Gesellschaft war illuster. Jede Menge Schauspieler waren da, so gut wie alle Kollegen aus Melisandes Serie. Ein paar von ihnen kannte Sarah von Partys, die sie ab und zu mit John besucht hatte. Aber nicht nur Schauspieler, auch Pornosternchen und Möchtegernmodels tummelten sich neben drittklassigen Schlagersängern, dazwischen blitzte es immer wieder mal auf. Die Klatschjournaille samt Fotografen war im Dauereinsatz, Melisande und Patrick waren öffentliche Menschen und hatten ihre Hochzeit gegen jede Menge Bares an die Klatschpresse verscherbelt.
„Die Braut ist draußen im Garten und dreimal darfst du raten, was sie da macht“, sagte Sarah zu Julian und streckte ihren verspannten Rücken. Julian fragte nicht lange und massierte ihr die Schultern. Er war wirklich ein Engel. Sie ließ locker, genoss wohlig stöhnend die kräftig knetenden Finger an ihrer Nackenmuskulatur und schloss die Augen.
„Tanzt sie nackt um den Springbrunnen?“, Julian lachte. „Vergebliche Mühe, alle Fotografen sind hier drin, also fällt das flach. Na sag schon, was macht sie?“
„Sie vögelt rum und ich war live dabei. Ich hab ihretwegen meinen Gulasch stehen lassen“, antwortete Sarah.
Julian prustete los.
„Verständlich, irgendwie muss sie ja ihre Hochzeitsnacht haben. Sieh dir den Jennings an, der ist so voll, der kriegt heute garantiert keinen mehr hoch.“
„Nicht so laut, Julian“, sie schlug ihm leicht gegen den Arm. „Wenn das jemand hört, sind wir geliefert.“
„Oder wir kriegen eine Extraprämie für die Insiderinformationen“, entgegnete er lachend. „Da draußen sind bestimmt zwanzig Klatschreporter und Fotografen zugange. Du hast das nicht mitbekommen, weil du nicht aus der Küche rausgekommen bist, aber vorhin waren auch zwei Fernsehteams da.“
„Wow!“, das waren mal gute Nachrichten. Sarah vergaß Melisandes Fehltritt und drückte Julian vor Freude. „Also werden wir in den nächsten Tagen in allen gängigen Boulevardmagazinen über die Fernsehschirme flimmern und in allen Klatsch- und Glamourblättchen erscheinen. Das ist Spitze und ein ganzes Stück billiger, als Werbung in Zeitschriften zu schalten.“
„Du sagst es“, Julians Augen blitzten und Sarah sah den Taschenrechner in seinem Kopf arbeiten. „Wenn diese Hochzeitsfeier ein Erfolg wird, haben wir es geschafft, dann werden uns die Leute in Zukunft die Bude noch mehr einrennen.“
Sarah grinste und sagte:
„Unter diesen Umständen kann ich sogar damit leben, dass John hier ist.“
Auch wenn John die Fäden für diese Feier gezogen hatte, war es immer noch gewöhnungsbedürftig für sie, ihn unter den Gästen zu wissen, zumal er die unvermeidliche Sissi mitgebracht hatte.
Sarahs so gut wie Ex- Mann Jonathan ‚John‘ Bennett war ebenfalls Schauspieler und seit knapp zwei Jahren der Serienpartner von Melisande Fromm. Er spielte Doktor Janson, ihren intriganten Lover, war aufgrund des fiesen Charakters, den er darstellte, unglaublich beliebt bei den weiblichen Fans und nach vielen Jahren Erfolglosigkeit endlich auf dem aufsteigenden Karriereast. Es war wohl wirklich so, dass die meisten Frauen insgeheim auf miese Kerle standen.
Leider war John privat nicht halb so aufregend wie in seiner Serienrolle, wenn man von seiner Vorliebe für hochdotierte Pokerturniere und billige Blondinen absah. Von der Pokerleidenschaft wusste Sarah, sie hatte sie sogar mal kurz mit ihm geteilt, doch Sissi Kübler mit dem exorbitanten Silikonbusen wollte sie auf gar keinen Fall mit ihm teilen.
Sissi war nicht unbedingt die hellste Leuchte in der Lichterkette des Lebens. Sarah hatte sie auf einer Party mit Johns Kollegen kennengelernt, sie gehörte kurz zum Team, nachdem sie für ein paar Folgen als Stripperin besetzt worden war. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit schlüpfrigen Bildchen in diversen Herrenmagazinen und hatte auch schon den einen oder anderen Erotikstreifen gedreht. So richtig Porno war sie nicht … noch nicht, aber was nicht war, konnte immer noch werden und diesbezüglich war Sarah bester Hoffnung für sie.
Aber nie im Leben hätte sie damit gerechnet, dass sie ein paar Wochen später John und Sissi im Flur ihres Hauses erwischen würde. Sarah war einen Tag früher von einer Weiterbildung zurückgekommen und hatte extra nicht angerufen, weil sie ihren Mann mit verruchten, neuen Dessous überraschen wollte, die sie unterwegs gekauft hatte.
Es war wie bei einer Live- Schalte in Johns Fernsehserie:
Ehefrau betritt das Haus und bleibt wie erstarrt in der offenen Haustür stehen, denn das Erste, das sie erblickt, ist der nackte Hintern ihres Mannes, der die scharfe Tussi, die eigentlich nur eine unwichtige Nebenrolle spielt, in die Ecke geklemmt hat.
Scharfe- Nebenrollen- Tussi hat ihre langen Beine, die natürlich in schneeweißen Seidenstrümpfen und knallroten, irrsinnig hohen High Heels stecken, um Ehemanns Hüften geschlungen und quiekt in den höchsten Tönen.
Ehemann hat eine Hand unter ihrem üppigen Hintern, mit der anderen stützt er sich an der Wand ab und stößt in Scharfe- Nebenrollen-Tussi, als wolle er sie mit aller Gewalt an die Wand nageln.
Tja, oder so ähnlich … jedenfalls waren die beiden so sehr miteinander beschäftigt, dass sie Sarah erst bemerkten, als sie die Haustür mit einem gewaltigen Krach ins Schloss fallen ließ.
An diesem Tag staunte sie über sich selbst. Sie wuchs über sich hinaus, denn sie blieb ruhig, beängstigend ruhig. Sie weinte nicht, sie schrie auch nicht hysterisch durch die Gegend. Nein, sie tat nichts von alldem, sie ging vollkommen gleichmütig nach oben ins Schlafzimmer und beförderte innerhalb weniger Minuten Johns gesamte Garderobe und das Bettzeug durchs Fenster in den Vorgarten. Ehe sich die beiden unten im Flur sortiert hatten, war sie damit fertig, stellte sich auf den Treppenabsatz und sah hinunter. Wahrscheinlich wirkte sie in diesem Moment schlimmer als Norman Bates aus ‚Psycho‘, denn John brachte sich und die blonde Pornotussi ohne ein Wort nach draußen in Sicherheit.
Sarah beobachtete provokatorisch aus dem offenen Schlafzimmerfenster, wie Sissi und er sein Zeug in Windeseile in seinen Wagen stopften und wegfuhren. Erst danach erlaubte sie sich, heulend zusammenzubrechen.
Das alles war vor einem knappen Jahr passiert und seitdem hatte John die liebe Sissi samt ihren Silikontitten an der Backe, er wohnte sogar bei ihr. Natürlich stand er einen Tag später vollkommen zerknirscht zu Hause auf der Matte, natürlich wollte er zu Sarah zurück und vielleicht hätte sie ihm den Ausrutscher sogar irgendwann vergeben. Aber dann erfuhr sie über drei Ecken, dass er sie gleich zu Anfang seiner Serienkarriere mit Melisande Fromm betrogen hatte und auch sonst nicht sonderlich zurückhaltend war, was die Kolleginnen vom Filmset betraf.
Logisch, dass sie ihn nie wieder sehen wollte und die Scheidung einreichte. Das Thema John war durch bei ihr, obwohl er das offensichtlich nicht begriff, in den unpassendsten Momenten aufkreuzte und ihr auf den Wecker fiel. Obwohl, in den letzten Wochen hatte man sich wieder etwas angenähert, rein freundschaftlich natürlich. Jedenfalls sah Sarah es so, obgleich sie hätte wetten können, dass John darüber ganz anderer Meinung war. Ein kleiner Wink hätte genügt und er wäre sofort zu ihr zurückgekehrt.
Sarah öffnete die Tür ein bisschen weiter und sah John an der Bar stehen, mit einem gut gefüllten Drink in der Hand. Sissi redete auf ihn ein, gestikulierte wie eine Wilde und hing sich an seinen Hals, doch John stieß sie weg und ließ sie stehen.
Julian hatte die Szene mitverfolgt.
„Was ist denn da los?“, fragte er neugierig. „Trouble in Paradise? Hat er endlich genug von ihr?“
„Nicht, dass mich das interessieren würde“, antwortete Sarah schnippisch und schloss die Tür.
„Na komm!“, Julian stupste sie in die Seite. „Ich muss dich doch nicht daran erinnern, wie ich euch beide letzte Woche in deinem Büro erwischt habe?“
Sie verdrehte die Augen. Klar, dass er ihr das irgendwann mal aufs Butterbrot schmieren würde. Nach einem ziemlich harten Tag hatte Sarah für die Küchencrew einen ausgegeben und die Fete war ein kleines bisschen ausgeartet. Kurz gesagt, sie war sturzbetrunken und John mal wieder ungebeten dazugekommen. Er hatte sie in ihr Büro verfolgt und die Situation schamlos ausgenutzt. Glücklicherweise war Julian in die wilde Knutsch- Fummelei geplatzt und hatte ihr den Hintern gerettet. Wieder was mit John anzufangen hätte sie sich niemals verzeihen können.
„Das Mitternachtsbuffet muss raus“, sagte Sarah patzig. „Und du solltest auch wieder an die Arbeit gehen.“
„Jawollja, zu Befehl, General!“, Julian knallte die Hacken zusammen, salutierte und sie lachte los. Er schaffte es immer, sie zum Lachen zu bringen.
Die beiden waren noch nicht richtig an der Küchentür, als es im Saal mörderisch krachte. Julian und Sarah warfen sich einen kurzen Blick zu, drehten sich auf dem Absatz um und rannten zurück. Entgeistert starrten sie auf die Szenerie, die sich ihnen darbot. Vor einer Minute noch war da draußen alles noch Friede, Freude, Eierkuchen gewesen doch jetzt stand Patrick Jennings rot vor Wut auf dem Bartresen und hatte einen Stuhl in das gut gefüllte Getränkeregal geschmissen. Das war natürlich zusammengekracht und der Spiegel dahinter ebenfalls.
Klaus, der Barkeeper, war geistesgegenwärtig in Deckung gegangen, jedenfalls sah Sarah ihn nicht. Dieser Vollidiot von Fußballer hatte die Bar anscheinend mit einem Tor verwechselt und Alkohol im Wert von über tausend Euro zerschossen.
Sarah spürte Julians festen Griff um ihren Oberarm, er hielt sie zurück, denn sie war drauf und dran, sich fluchend ins Getümmel zu stürzen.
„Bleib bloß hier“, befahl er und ging selbst hinaus. Natürlich blieb sie nicht, sie lief hinter Julian her, doch sie kamen gar nicht bis zur Bar.
Wie auf Kommando hatten sich sämtliche Pressetypen auf das willkommene Ereignis gestürzt, fotografierten wie die Verrückten und kreisten Jennings so ein, dass niemand mehr zu ihm vordringen konnte. Sein Bruder und ein anderer Mann hatten es schließlich geschafft, sich durch die Meute zu drängen und versuchten, den außer Rand und Band geratenen Bräutigam vom Tresen zu ziehen. Der allerdings hatte sich mit einer leeren Champagnerflasche bewaffnet und schlug wild damit um sich. Dann ließ er zu allem Übel auch noch die Hose herunter und stieß seinen Unterleib mit heftigen, ziemlich unzweideutigen Bewegungen vor und zurück.
„Wo‘s die v‘dammte Schlaaaaaampe, ich maaaaaachse feddich“, grölte er und holte schwankend mit der Flasche zu einem neuen Schlag aus.
Sarah war überhaupt kein gehässiger Mensch, aber in diesem Moment wünschte sie sich, er würde herunterfallen und sich das Genick brechen. Die ‚Schlaaaaaampe‘ kam gerade mit dem Besitzer des opulenten Schwanzes, den Sarah vorhin bewundern durfte, in den Saal zurück, einem breitschultrigen Modeltypen, der noch jünger als ihr Ehemann war. Man sah ihr den letzten Orgasmus an dem selbstzufriedenen Lächeln an, dass sie vor sich hertrug. Allerdings fror das postwendend im Gesicht der frischgebackenen Frau Jennings fest, als sie ihren Göttergatten erblickte. Mit einem unterdrückten Wutschrei stürmte sie Richtung Bar, bahnte sich einen Weg durch die Pressemeute und scheuchte die Fotografen mit weit ausgebreiteten Armen auseinander.
„Leg die Flasche weg und komm sofort da runter, Patrick!“, zischte sie leise, aber bestimmt und Patrick Jennings erstarrte in der Bewegung. Es war nicht zu fassen. Dieser Schrank von einem Mann zog wie ein kleiner Junge, der Schimpfe von Mutti bekam, den Kopf zwischen die Schultern, stellte vorsichtig die leere Flasche ab und zog die Hosen hoch. Dann stieg er umständlich vom Tresen. Er ging vor Melisande auf die Knie, umfing ihren Unterleib mit seinen Armen und begann, jämmerlich zu schluchzen. Das war Fremdschämen pur. Die ganze Situation war dermaßen peinlich, dass man nicht mehr hinsehen konnte.
Melisande allerdings machte das Beste aus der Sache. Sie lächelte verständnisheischend in die Kameras und tätschelte seinen Kopf.
„Du versaust mir mein Kleid, Liebling“, säuselte sie schließlich und winkte seinen Bruder heran.
„Bring ihn nach oben ins Bett.“
Sie hatte alles im Griff, der Bräutigam wurde ‚abgeführt‘ und verschwand für den Rest der Nacht. Sarah schnaubte verächtlich. Was für eine Jammergestalt! Und was für vertane Liebesmüh, die Zimmermädchen hatten sich unglaublich ins Zeug gelegt, um die Hochzeitssuite angemessen herzurichten. Alles für die Katz!
Melisande hatte wohl entschieden, dass die Presse genug zu fressen bekommen hatte, die Damen und Herren wurden aus dem Saal hinauskomplimentiert und Julian ging mit grimmigem Gesicht mit Melisandes Manager in sein Büro, um über die Schadensregulierung zu sprechen.
Der Alkoholgeruch, der aus den zerbrochenen Flaschen drang, hatte sich inzwischen im ganzen Saal ausgebreitet, kurz, es stank zum Himmel, doch die Hochzeitsgäste schienen überhaupt keinen Anstoß daran zu nehmen und wollten weiterfeiern. Ihnen war völlig gleichgültig, dass die Bar in Trümmern lag, sie machten ungeniert weiter und dachten überhaupt nicht daran, das Feld zu räumen.
Sarah erteilte Anweisung, eine provisorische Bar auf der Terrasse aufzubauen, sie hatten genug Alkohol im Keller, um noch ein paar Stuhlattacken verschmerzen zu können. Danach verzog sie sich in den Nebenraum, um dem mittlerweile leicht verspäteten Mitternachtsbuffet den letzten Schliff zu verpassen.
‚Wir werden in die Geschichte eingehen als das Hotel, in dem Melisande Fromms Ehe beendet war, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat‘, dachte sie, während sie noch einmal prüfend über ihr Werk sah.
„Perfekt“, sagte sie laut und verschränkte zufrieden die Arme.
„Perfekt, aber Perlen vor die Säue“, Norbert Fischer, der Souschef und ihre rechte Hand, stand plötzlich hinter ihr. „Die sind doch alle schon jenseits von Gut und Böse da draußen, die merken überhaupt nicht mehr, was sie in sich reinstopfen.“
„Na, wie redest du über unsere Gäste!“, missbilligend schüttelte sie den Kopf, obwohl sie gerade eben dasselbe gedacht hatte. Sie öffnete die Tür und gab das Buffet frei.
Die Gäste fielen hungrig darüber her, als hätten es den ganzen Tag noch nichts zu essen gegeben. Sarah wartete noch einen Moment auf eventuelle Sonderwünsche, doch als nichts mehr kam, machte sie sich vom Acker. Feierabend … der Rest der Nacht lag in Julians Hand.
Sie hatte es nicht weit nach Hause, Sarah wohnte im Nachbarort, in Tossendorf. Dort gab es ganze dreißig Häuser und jede Menge Sand. Sie war dort aufgewachsen und als ihre Eltern vor ein paar Jahren bei einem Unfall ums Leben kamen, konnte sie John recht schnell dazu überreden, aus Berlin weg und in ihr altes Elternhaus zu ziehen. Sie liebten es beide, auf dem Land zu leben, nach Berlin war es nicht weit und John konnte nach Drehschluss bequem nach Hause kommen. Naja, das war einmal …
Am Dimmritzer See, der sich zwischen den beiden Ortschaften befand, machte sie Halt. Sie war zwar todmüde, doch sie wusste, was passieren würde, wenn sie jetzt sofort ins Bett ging. Nach dem ganzen Theater war sie viel zu aufgeputscht, um schlafen zu können. Hier am See, an ihrem Lieblingsplatz, konnte sie herunterfahren und versuchen, nicht mehr an den Schaden im Hotel zu denken. Den ersetzte die Versicherung und hoffentlich übernahm die auch den Verdienstausfall für die Zeit der Renovierung.
Plötzlich musste sie an John denken. In letzter Zeit kam er immer öfter im Hotel vorbei, um einfach nur mal zu reden, wie er es ausdrückte. Sarah wollte nicht mit ihm reden, eigentlich wollte sie ihn überhaupt nicht sehen, ließ sich aber doch meistens breitschlagen. Er hätte die anderen Frauen aufgegeben, beteuerte er ständig. Sarah fragte ihn jedes Mal, wieso er bei Sissi blieb. Seine Standardantwort war, er hätte nichts mehr mit ihr, würde nur noch einfach so bei ihr wohnen und er würde dort abwarten, bis er nach Hause kommen könnte. Na darauf konnte er lange warten, John war schon immer berüchtigt gewesen für seine verquere Logik.
Am Anfang war Sarah noch schadenfroh, sie wusste, dass er mit Sissi auf Dauer nichts anfangen konnte. Sarah war niemand, der einen anderen Menschen als dumm bezeichnete. Sissi war halt einfach gestrickt und sicher auch ganz lieb und gab bestimmt ihr Bestes, um John glücklich zu machen. Wahrscheinlich war Sissi auch immer da, wenn er sie brauchte.
Sarah hingegen war kompliziert und leicht aufbrausend und obendrein ein kleines Alphatierchen. Sie gab gern den Ton an. Durch ihren Job hatte sie seit Jahren die unmöglichsten Dienste, doch als sie das Hotel kaufte, erreichte ihre Freizeit den absoluten Nullpunkt. Wenn sie spät nachts heim kam, fiel sie ins Bett und war zu nichts mehr zu gebrauchen. Eigentlich musste sie sich nicht wundern, dass sich John anderweitig verlustierte. Sie war ja nie da.
Andererseits hatte sie ihm während der ganzen Jahre finanziell den Rücken freigehalten, damit er seinen Traum, ein berühmter Schauspieler zu werden, leben konnte. Und wie hatte er es ihr gedankt, als es soweit war?
Halb vier Uhr morgens, es wurde schon hell … Sarah musste dringend nach Hause und versuchen, ein wenig zu schlafen. Es war Sonntag und das Hotelrestaurant zur Mittagszeit so gut wie ausgebucht. Es lag mal wieder ein arbeitsreicher Tag vor ihr. Hätte sie in diesem Moment gewusst, was sie zu Hause erwartet, wäre sie stehenden Fußes ausgewandert!
Im Haus roch es komisch, als sie in den Flur kam. Sarah hatte berufsbedingt eine gute Nase und in der kleinen Diele roch es definitiv anders, als gewohnt. Prüfend sah sie sich um und entdeckte schließlich eins ihrer guten Tranchiermesser auf dem flachen Bauernschrank, den sie als Flurkommode benutzte.
Sie stierte das Messer an. Wie zum Teufel kam das da hin? Wer hatte sich an ihren Messern zu schaffen gemacht?
Wundern Sie sich über diese Frage?
Naja, Messer sind für jeden halbwegs ambitionierten Koch so etwas wie Heiligtümer. Sarahs Messer waren Sonderanfertigungen aus Japan, ein Geschenk von John, nachdem er seine erste, fette Gage bekommen hatte und sie waren teuer. Sündhaft teuer sogar und Sarah drohte gnadenlos jedem mit Folter, der es wagte, sie anzufassen.
Sie nahm das lange, schmale Messer in die Hand und sah kopfschüttelnd auf die blitzende Klinge. Wie um alles in der Welt kam das Ding hierher? Sie hatte es schon ewig nicht mehr in der Hand gehabt, sie konnte sich nicht mal daran erinnern, wann sie überhaupt zum letzten Mal zu Hause gekocht hatte. Seit sie das Hotel übernommen hatte, kam sie fast nur noch zum Schlafen her.
Beginnende Alzheimer? Mit dreiunddreißig? Sarah brachte das Messer in die Küche, hing es liebevoll an seinen angestammten Platz an der Wand und goss sich einen kleinen Scotch ein. Vielleicht würde der beim Einschlafen helfen.
Vier Uhr morgens, sie stöhnte frustriert und schlurfte mit dem Glas in der Hand hinauf ins Schlafzimmer.
Auf der Treppe stieg ihr wieder der eigenartige Geruch in die Nase, der sich, je höher sie kam, verstärkte. Sarah fiel auf, dass im Halbdunkel des Flurs unter der Schlafzimmertür ein Lichtschein zu sehen war. Hatte sie gestern Morgen in der Eile vergessen, das Licht auszumachen? Aber es war Juli und sehr früh hell, sie hatte das Licht also gar nicht erst angeschaltet. Schon wieder Alzheimer?
Beklommen öffnete sie die Tür und prallte zurück. Das war doch der Ausbund an Frechheit! John hatte es sich im Bett bequem gemacht. Oder auch nicht … wie man es nahm. Er hatte sich recht hindrapiert, nackt, die Bettdecke bis in die Mitte der Brust gezogen, eine schwarze Augenbinde tragend und die Hände mit Handschellen am schmiedeeisernen Bettgitter befestigt. John schien eingeschlafen zu sein, denn er reagierte nicht auf Sarahs nicht gerade leises Eintreten. Seit wann roch er eigentlich so eigenartig?
In ihr brodelte es. Was erlaubte sich dieser Mistkerl? Nicht genug, dass er ihr ständig völlig ‚zufällig‘ über den Weg lief, wie konnte er es wagen, einfach hier einzudringen und sich in ihr Bett zu legen. Und diese Handschellen! Sarah und John hatten während ihrer Ehe so einige Spielereien ausprobiert, sich auch gegenseitig gefesselt, allerdings mit weichen Tüchern. Handschellen hatten nie auch nur zur Diskussion gestanden.
Jetzt lag er hier wie hingegossen und sie musste sich eingestehen, dass sie ihn immer noch sehr sexy fand. John hatte immer gut auf sich geachtet und an seinem Körper befand sich, obwohl er stramm auf die Vierzig zuging, kein überflüssiges Gramm Fett. Wollte er sie auf diese Art um Vergebung bitten? Sollte das hier etwa eine Aufforderung an Sarah sein, ihn für seine Vergehen zu bestrafen? Na dem würde sie was husten! Sie lief zum Bett, stellte ihr Glas auf den Nachttisch und stupste ihn an.
„Hey, wach auf John, bist du jetzt vollkommen durchgeknallt? Nur weil ich dich im Suff geküsst habe, musst du nicht denken, dass du hier einfach so aufkreuzen kannst.“
Keine Reaktion. Kurz schoss ihr die Frage durch den Kopf, wie er es geschafft hatte, sich mit beiden Händen ans Bett zu fesseln, doch der Ärger siegte. Sie war hundekaputt, wollte ins Bett und John sollte einfach nur verschwinden. Sarah rüttelte grob an seiner Schulter und sein Kopf fiel schlaff nach vorn. Er hing jetzt wie ein nasser Sack in den Handschellen und bewegte sich nicht, na super, er war zu allem Übel wohl auch noch völlig betrunken!
„John?“, sie rüttelte wieder an ihm, riss ihm schließlich voller Wut die Bettdecke weg und erstarrte in der Bewegung. Mitten in seiner Brust war ein Loch, aus dem ein dünnes Rinnsal Blut über seinen Bauch hinuntergelaufen und in der Matratze versickert war. Sarah riss ihm schwarze Augenbinde ab, doch seine Augen waren geschlossen. Reflexartig versuchte sie, an seinem Hals einen Puls zu finden, doch da war nichts.
Vorsichtig lehnte sie ihn zurück ans Bettgitter. Wenn das Blut nicht gewesen wäre, hätte man denken können, dass er schlief. Er sah absolut friedlich aus, es schien, als lächle er sogar ein wenig.
Nur ganz langsam registrierte ihr Gehirn, was los war. John war tot, lag mit einem Loch in der Brust angekettet in ihrem Bett und in diesem Moment überfiel sie blankes Entsetzen. Sie ging neben dem Bett in die Knie und versuchte, tief durchzuatmen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis die Rädchen in ihrem Kopf wieder zu rattern begannen. Sarah erhob sich mühsam und lief langsam, auf wackligen Beinen die Treppe hinunter zum Telefon. Mit zitternden Händen wählte sie den Notruf und hörte sich wie von fern dabei zu, wie sie einen Mord meldete.
Ein Mord! Hier in Tossendorf, in einem Kaff, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten, ausgerechnet in ihrem Haus. Vor allem - John war kein Niemand mehr und auch Sarah selbst hatte in der letzten Zeit einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Das hier würde für unheimlichen Wirbel sorgen, die Presse würde Amok laufen.
Es wollte nicht in ihren Kopf, John war tot, dieser verdammte, elende Mistkerl, mit dem sie acht Jahre ihres Lebens verbracht und den sie einmal sehr geliebt hatte und für den trotz allem immer noch ein kleines Eckchen in ihrem Herzen reserviert geblieben war.
Eine Stunde später war vor und im Haus die Hölle los. Innen tobten sich Spurensicherung und Gerichtsmedizin aus, draußen versammelten sich langsam, aber sicher Presse und Fernsehen. Unglaublich, wie schnell der Mord an John durchgesickert war.
Sarah hatte sich halb paralysiert in der Küche in eine Ecke verkrochen und starrte Löcher in die Luft, als eine große, blonde, mehr als nur gutaussehende Frau hereinkam. Sie musste etwa in Sarahs Alter sein, besaß eine Figur wie aus dem Katalog für Supermodels und die entsprechende kühle Arroganz. Unvermittelt stand sie in der Küche, angelte sich einen Stuhl und setzte sich.
„Sie sind Frau Bennett, nehme ich an?“, ihre Stimme war klar und scharf und bewirkte, dass Sarah aus ihrer Lethargie schreckte und sich gerade hinsetzte.
„Ja, das bin ich, Sarah Bennett“, antwortete sie und räusperte sich mehrmals, denn ihre Stimme gehorchte ihr irgendwie nicht.
„Ich bin Polizeikommissarin Romy Hasenberg“, sie reichte Sarah die Hand und musterte sie prüfend. „Wie geht es Ihnen? Brauchen Sie einen Arzt?“
Diese Frau war ein Bulle? Unglaublich. Unter anderen Umständen hätte man sie als potentielle Siegerkanditatin zu ‚Germanys next Topmodel‘ schicken können. Sarah schüttelte den Kopf und rieb sich die Schläfen.
„Nein, keinen Arzt, es geht schon …“
Ihre Stimme versagte ganz, sie räusperte sich noch ein paarmal und wunderte sich plötzlich über sich selbst. Wieso weinte sie eigentlich nicht? Jede normale Frau würde in einer solchen Situation zusammenbrechen und Rotz und Wasser heulen, wieso also sie nicht?
Romy Hasenberg klappte ein Notizbuch auf und zückte einen Stift.
„Bitte schildern Sie mir genau, was passiert ist, als Sie nach Hause kamen, auch Kleinigkeiten, die Ihnen vielleicht unbedeutend erscheinen.“
Also erzählte sie, von dem komischen Geruch und dem Messer, das am falschen Platz lag. Die Kommissarin horchte auf und fragte dazwischen:
„Wo ist dieses Messer jetzt, Frau Bennett?“
„Dort drüben, an der Wand, das Schmale, ganz rechts“, Sarah wies auf die Leiste über der Arbeitsfläche, an der ihre Schätze fein säuberlich aufgereiht hingen. Die Hasenberg bellte eine Anweisung aus der Tür.
„Was machen Sie da?“, rief Sarah empört, als ein Uniformierter kam und die Messer in Plastiktüten packte. „Sehen Sie sich doch vor, die Messer sind ziemlich wertvoll!“
Sie sprang auf, doch die Hasenberg stand plötzlich vor ihr und drückte sie auf den Stuhl zurück.
„Das sind Beweismittel, bitte beruhigen Sie sich“, die Stimme der Kommissarin knallte ihr scharf ins Gesicht. „Sie bekommen sie zurück, wenn der Fall abgeschlossen ist. Bitte fahren Sie jetzt fort.“
Sarah schilderte also, wie sie nach Hause gekommen war und schließlich John gefunden hatte. Ab und zu unterbrach die Hasenberg, hakte nach, machte Notizen, aber die meiste Zeit hörte sie nur zu. Als Sarah schließlich dachte, das Ganze sei überstanden, begann die Fragerei erst richtig.
„Sie sagten, er wäre ihr Ex- Mann? Wohnt er noch hier?“
„Wir leben getrennt seit einem knappen Jahr, die Scheidung läuft noch. John wohnt bei seiner neuen Freundin in Berlin.“
„Und die Dame heißt wie? Haben Sie die Adresse?“
„Sissi Kübler“, Sarah gab ihr alle Angaben, die sie brauchte.
„Sissi … wer wird es ihr sagen?“, fragte sie.
„Das übernehmen wir schon, mit Frau Kübler werde ich selbst sprechen. Was ist mit seiner Familie, seinen Eltern?“
„Johns Eltern leben in Melbourne, seine Mutter ist Deutsche, aber sein Vater stammt von dort. Der Familie gehören ein paar Raffinerien. John war hier an der Schauspielschule, dann hat er mich kennengelernt und ist dageblieben. Wir hatten nie viel Kontakt zu den Bennetts, sie hielten ihn für …“, Sarah stockte und holte tief Luft.
„Sie hielten ihn für?“, wiederholte die Hasenberg ungeduldig.
„Sie hielten ihn für einen Versager weil er nicht den Weg einschlagen wollte, den sie für ihn vorgesehen hatten. Oh Gott, seine Eltern, ich muss sie anrufen … ich …“
„Nicht jetzt“, die Hasenberg schüttelte den Kopf.
„Frau Bennett, was denken Sie, wie ist Ihr Mann hier hereingekommen, wenn er doch nicht mehr hier wohnte?“, ihre hellblauen Eisaugen saugten sich an Sarah fest. „Sie sagten, dass Sie keine Anzeichen eines Einbruchs entdeckt haben.“
„Keine Ahnung, er muss wohl noch einen Hausschlüssel besitzen. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob er ihn überhaupt zurückgegeben hat.“
„Wieso sind Sie erst um diese Zeit nach Hause gekommen?“
„Wir hatten eine große Hochzeit im Hotel, John und Sissi waren auch da, als Gäste“, auf den fragenden Blick der Hasenberg fügte sie hinzu:
„Ich bin Eigentümerin des ‚Himmelshofs‘ in Dimmritz, wir hatten eine Promihochzeit und John ist …“, sie schluckte und verbesserte sich, „ … war ein Kollege der Braut.“
Von ihm in der Vergangenheit zu sprechen, war eigenartig. Wie sollte man sich bloß daran gewöhnen?
„Wann haben sie ihn zum letzten Mal gesehen?“
Sarah musste nicht überlegen.
„Das war gegen Mitternacht, er hat sich mit Sissi gestritten und ist rausgerannt. Ja, das war kurz bevor Patrick Jennings unsere Bar zerlegt hat.“
Ein überraschtes Grinsen huschte über die Lippen der Hasenberg. Der eiskalte Engel zeigte eine menschliche Regung, na sowas.
„Patrick Jennings? Der Fußballer? Die Hochzeit haben Sie ausgerichtet?“
Doch ehe Sarah darauf eingehen konnte, war ihr Gesicht wieder ausdruckslos.
„Ich brauche eine vollständige Gästeliste. Bitte erzählen Sie mir, was auf der Hochzeit vorgefallen ist. Was war da los?“
Während Sarahs Schilderung klopfte plötzlich eine kleine Frau an die Türfüllung.
„Könnte ich Sie kurz sprechen, Frau Hasenberg?“
Die Kommissarin entschuldigte sich und ging hinaus auf den Flur. Sie sprach so leise mit der Frau, dass Sarah nicht verstand, was sie sagte. Als sie wieder hereinkam, fragte sie ohne Umschweife:
„Wo waren Sie zwischen ein und drei Uhr heute Morgen, Frau Bennett?“
„Hat man ihn da … ich meine … ist es da passiert?“
„Beantworten Sie bitte einfach meine Frage.“
„Ich war so gegen ein Uhr mit meiner Arbeit fertig und habe das Hotel vielleicht eine halbe Stunde später verlassen.“
„Haben Sie Zeugen dafür?“
„Meine Kollegen natürlich, ich habe mich von ihnen verabschiedet, als ich weg bin.“
„Und was haben sie dann gemacht?“
„Ich bin zum Dimmritzer See gefahren, zum Abschalten.“
„Mitten in der Nacht? Ganz allein?“
Die Kommissarin sah Sarah ungläubig mit zusammengekniffenen Augen an.
„Ich mache das ziemlich oft. Ich komme meist erst nachts aus dem Hotel und ich schlafe nicht gut, wenn ich nicht noch ein wenig abschalten kann. Also fahre ich zum See.“
„Ich finde das äußerst ungewöhnlich, Frau Bennett. Eine Frau nachts ganz allein in der Wildnis, haben Sie keine Angst?“
„Ich bitte Sie, wir sind in Tossendorf, wovor sollte ich hier Angst haben? Vor der Nachbarskuh vielleicht, die kurz vorbeigeschaut hat?“
„Also kann ihre Aussage außer der Kuh niemand bestätigen“, die Hasenberg durchbohrte Sarah mit einem durchdringenden Blick, unter dem ihr glatt fröstelte. Die Temperatur im Raum schien plötzlich um ein paar Grad gesunken zu sein. Schlagartig wurde Sarah klar, wie absurd das alles klang und ein Blick in das Gesicht ihres Gegenübers bestätigte ihr, dass sie auf Schneekönigins Liste der potentiellen Mörder ganz oben stand.
„Sie denken doch nicht, dass ich …“, plötzlich war Sarah speiübel. Bittere Galle stieg ihren Hals hoch, sie würgte und sprang auf. Nichts wie raus hier, sofort. Sie ignorierte den Protest der Hasenberg, stolperte hinaus auf die Terrasse und kotzte in hohem Bogen in ihre heißgeliebten Rosen.
Verdammt, war ihr schwindlig, alles drehte sich. Trauer, lähmende Müdigkeit und das Entsetzen über das, was sie gerade erlebt hatte, schlug über ihr zu wie ein Sargdeckel. Sie stützte sich an der Hauswand ab, versuchte, ruhig zu atmen und die aufsteigende Panik zu unterdrücken. John war ermordet worden und die Schneekönigin da drin hielt Sarah für die Mörderin. Ein Kichern stahl sich in ihre Kehle und sie merkte, dass sie kurz vor einem hysterischen Anfall stand. Ihr war sehr danach, einfach mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen, doch sie unterdrückten den Impuls und presste die Stirn fest gegen den rauen Putz. Das durfte doch alles nicht wahr sein!
Sarahs Knie knickten weg, sie rutschte Richtung Boden, doch wie aus dem Nichts tauchten zwei Arme auf, umschlangen sie, hielten sie und drückten sie gegen eine feste, breite Brust. Schlaff wie ein nasser Sack hing sie in den Armen eines Fremden. Ihre Nase streifte seinen Hals und sie nahm einen feinen Geruch wahr, der in ihr eine diffuse Erinnerung wachrief. Sarah fühlte sich warm und geborgen und hätte das angenehme Gefühl gern noch länger ausgekostet, doch dann wurde ihr die Unmöglichkeit der Situation bewusst. Sie riss sich zusammen, straffte sich und die großen, warmen Hände lagen plötzlich auf ihren Schultern. Sie schoben sie ein Stück zurück und Sarahs Blick landete in braunen Dackelaugen, die sie besorgt ansahen.
„Geht’s wieder?“, fragte der Mann und sie bekam postwendend wieder zittrige Knie. Diese Stimme, dunkel, rau und ein bisschen verrucht, Sarah hätte sie unter tausenden wiedererkannt.
„Tom Zillbach, ach du Sch …!“, entfuhr es ihr entgeistert und sofort blitzte ein lange verdrängtes Bild auf. Ihre beste Freundin Conny, rücklings auf dem Küchentisch ihrer WG liegend und spitze Schreie von sich gebend, Tom, wie er mit heruntergelassener Hose vor ihr stand, Connys Füße auf seinen Schultern festhielt und sie hingebungsvoll vögelte. Sarah sah sich selbst in der Tür stehen und fassungslos auf seinen süßen, kleinen Knackarsch starren, diesen hinreißenden Körperteil, von dem sie seit langem träumte. Tom gab genau die Art Töne von sich, die sie ihm nur zu gern selbst entlockt hätte. Aber wenn man eine Freundin wie Conny hatte, war von vornherein klar, wer die wirklich heißen Typen bekam und das war definitiv nicht Sarah.
Sie befreite sich aus den Händen, die immer noch ihre Schultern festhielten und zog ihre Klamotten zurecht. In Toms Augen leuchteten riesige Fragezeichen, sie wanderten über Sarahs Gesicht, ohne ein Zeichen des Erkennens zu zeigen und sie war sich ziemlich sicher, dass in seinem Kopf in diesem Moment eine endlose Liste Frauen herunterratterte, mit denen er irgendwann mal geschlafen hatte.
‚Vergiss es‘, hatte sie schon auf der Zunge und schluckte es gerade noch so hinunter. Es war deprimierend genug, dass er sie nicht erkannte, aber was hatte sie erwartet. Damals war Sarah froh gewesen, dass er sich überhaupt ihren Vornamen gemerkt hatte. Tom war der Typ, auf den alle Frauen abfuhren und Conny war sein Gegenstück. Die Welt kreiste ausnahmslos um die beiden und Sarah war nur die lästige Freundin gewesen, die man notgedrungen überall mit hin schleppte, um bei Conny nicht in Ungnade zu fallen.
„Sarah Menz … früher jedenfalls mal …“, half sie ihm auf die Sprünge und sofort verzog sich sein Mund zu einem unverbindlichen Lächeln. Sie verdrehte die Augen, soweit sie sich erinnern konnte, hatte er damals weitaus besser geschauspielert.
„Ja klar … Sarah“, sagte er und an seinem Tonfall merkte sie, dass er immer noch nicht wusste, wer sie war. Was zum Teufel machte er überhaupt hier? Gehörte er etwa zur Polizei?
„Vergiss es“, sagte Sarah, aber diesmal laut. Sie drehte sich weg und marschierte tapfer Richtung Küche, um sich der Schneekönigin wieder zum Fraß vorzuwerfen. Aber Tom Zillbach ließ man nicht so einfach stehen, nein, das ging gar nicht. Er schnappte Sarahs Arm, hielt sie fest und bedachte sie mit einem geradezu entwaffnenden Blick. Es funktionierte immer noch, unter diesen Augen schmolz sie dahin, wie früher schon.
„Nicht so schnell, Sarah, früher mal Menz. Ok, ich gebe zu, ich habe keine blasse Ahnung, wer du bist, aber da du mich offensichtlich kennst und wir per du sind … Waren wir mal, ich meine …“
„Schon Scheiße, wenn man irgendwann die Übersicht verliert“, unterbrach sie ihn abfällig und schüttelte seine Hand ab.
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