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Rafael oder Adrian? Adrian oder Rafael? Oder vielleicht doch alle beide?
Vier Wochen Auszeit auf Mallorca, mehr will Alex überhaupt nicht. Nur einfach eine Auszeit, um ihre gescheiterte Beziehung zu Stefan zu verarbeiten. Doch gleich in den ersten Tagen auf der Insel läuft ihr Rafael über den Weg. Er ist ein typischer Insel- Macho, der nichts weiter von sich preis gibt, aber Alex von der ersten Sekunde an umhaut. Er ist so heiß, das der Asphalt unter seinen Füßen zu schmelzen droht und ihr allererster One- Night- Stand.
Doch auch Adrian, ein deutscher Auswanderer, hat es in sich. Er ist ebenso umwerfend wie Rafael, aber dennoch das ganze Gegenteil - bodenständig, verlässlich, ein Fels in der Brandung und auch er ist mehr als nur interessiert an der schönen, blonden Ärztin aus Deutschland.
Alex ist hin- und hergerissen zwischen dem ‚Bad Boy‘ Rafael und dem ‚Nice Guy‘ Adrian. Ihr Entschluss, es mit beiden aufzunehmen, scheitert in der ersten Runde, denn auf Adrians Herz erhebt eine andere Anspruch und auch Rafael ist nicht so frei, wie es scheint …
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Anna Graf
Liebesurlaub
Ein Mallorca- Liebesroman
Das vorliegende Buch ist ein Produkt meiner Fantasie.Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufälliger Art und nicht beabsichtigt.Die Mallorca- Kenner unter meinen Lesern mögen mir verzeihen, wenn ich ein paar örtliche Gegebenheiten zu meinen Gunsten abgewandelt habe.
Impressum
V.i.S.d.P.
Anna Graf
c/o Autorencentrum.de
Ein Projekt der BlueCat Publishing GbR
Gneisenaustr. 64
10961 Berlin
E-Mail: [email protected]
Tel.: 030 / 61671496
Copyright © Anna Graf, 2014
Coverfotos:
© konradbak - Fotolia.com
© Anna Graf
Covergestaltung: Anna Graf
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten.
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Dreizehn
Vierzehn
Fünfzehn
Epilog
In eigener Sache
Sie war allein unterwegs, auf einer der kurvenreichen Straßen über dem Meer und gratulierte sich selbst zu ihrer Wahl. Das schneeweiße Cabrio, das sie vorgestern aus einer verrückten Laune heraus am Flughafen gemietet hatte, meisterte die gewundene Straße, die von Deià hinüber nach Sóller führte, spielend. Es war früher Morgen, die Luft noch kühl und der Fahrtwind zauste an ihrem langen, blonden Haar. Alex war frei, endlich mal wieder richtig frei.
Ein bisschen kam sie sich vor wie in einem dieser Fünfziger- Jahre- Filme, in denen rassige Blondinen in noch rassigeren Cabrios neben ‚richtigen Männern‘ mit großen Sonnenbrillen sitzen und irgendwo am Mittelmeer mit Lichtgeschwindigkeit die Serpentinen herunterbrettern. Allerdings gab es einen nicht zu vernachlässigenden Unterschied - sie saß allein im Auto, den ‚richtigen Mann‘ hatte sie vor drei Monaten in die Wüste geschickt und ehrlich gesagt, war sie froh, ihre Ruhe zu haben.
Die Straße war um diese Zeit noch leer und wechselte von stark kurvig in eine längere, halbwegs gerade Strecke. Mit einem grellen Schrei und lautem Lachen trat Alex das Gaspedal durch und der Wagen gehorchte, als sei er mit ihr verwachsen. Sie flog, über ihr der Himmel, unter ihr das Meer, das Gefühl war einfach traumhaft.
Dann allerdings bohrte sich das Heulen einer Sirene bis in ihre hinterste Hirnwindung und zerstörte das Romantik- Feeling. Na super, ein Wagen der Policía Local hatte sich hinter sie gesetzt und der Typ darin signalisierte ihr wild gestikulierend, an die Seite zu fahren. Sie wechselte mit dem rechten Fuß widerstrebend vom Gas auf die Bremse und fuhr in eine der schmalen Haltebuchten, die in den Felsen gehauen war. Von hier oben hatte man eine fantastische Aussicht über die Bucht. Sehnsüchtig ließ sie ihren Blick schweifen, entdeckte ein einsames, weißes Segel am Horizont und wandte mit einem leisen Seufzer ihre Aufmerksamkeit dem Mann zu, der aus dem Polizeiauto stieg.
Er war in Zivil, hatte es nicht eilig, er schlenderte gemächlich heran und blieb vor ihrem Wagen stehen. Alex hielt den Atem an bei seinem Anblick und betete inständig, dass er den Sabber nicht bemerkte, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach in ihren Mundwinkeln sammelte. Der Typ war heiß, heißer als heiß, der Asphalt unter seinen Füßen sollte lieber aufpassen, dass er nicht schmolz!
Bisher hatte sie nur einheimische Männer gesehen, die im wahrsten Sinne des Wortes mit ihr auf Augenhöhe waren, aber dieses Exemplar hier war sehr, sehr groß. Das Erste, was sich ihr einbrannte, waren stahlblaue Augen in einem leicht gebräunten Gesicht, die in krassem Gegensatz zu seinen dunklen, fast schwarzen Haaren standen. Mit dem zweiten Blick registrierte sie breite Schultern, schmale Hüften und eine muskulöse Brust, die das T- Shirt unter der offenen Lederjacke spannte.
Dann drang eine tiefe, sexy Stimme an ihr Ohr und sie verstand natürlich kein Wort, wie auch. Über Hallo, guten Abend, Bitte und Danke ging ihr Spanisch nicht hinaus und hier auf der Insel sprach man zudem noch eine völlig andere Sprache. Obwohl sie sich lebhaft vorstellen konnte, was ihr bevorstand, mimte sie Unschuld und hoffte darauf, dass das Knöllchen, das ihr blühte nicht zu derb ausfiel. Ihre Urlaubskasse war eh schon mehr als strapaziert und konnte keine Sonderausgaben mehr verkraften. Also sah sie ihn bedauernd von unten her an, zuckte mit den Achseln und sagte:
„Ich verstehe Sie leider nicht.“.
Mallorca war wirklich das siebzehnte Bundesland, denn der Traumprinz vor ihr wechselte problemlos ins Deutsche.
„Sie sind viel zu schnell gefahren! Wollen Sie sich umbringen? Diese Straße ist gefährlich!“Alex strich ihr Haar glatt, dann stieg sie aus und lehnte sich an den Kotflügel. Sie beschloss kurzerhand, nicht zu antworten und sah ihn nur herausfordernd an.
„Sind Sie hier im Urlaub?“, er sprach fließend Deutsch, gefärbt von einem wirklich hinreißenden, kleinen Akzent. „In welchem Hotel wohnen Sie?“
„Kein Hotel, ich habe ein Ferienhaus, Villa Elena in Deià“, antwortete sie. „Ist das von Belang?“
Er ging nicht weiter darauf ein und fragte nach ihrem Führerschein. Sie war an diesem Morgen ohne großen Ballast losgefahren, der Führerschein steckte einfach in der Hosentasche. Sie kramte ihn heraus und förderte dabei ein noch eingeschweißtes Kondom zu Tage, das sie gestern Abend prophylaktisch eingesteckt, aber natürlich nicht gebraucht hatte. Das verflixte Ding fiel zu Boden und landete, wie sollte es auch anders sein bei ihrem Glück, direkt vor seinen Füßen.
Sie bückten sich gleichzeitig danach, aber er war schneller.
„Man sollte für alle Eventualitäten gerüstet sein“, sagte er grinsend und musterte sie intensiv. „Man weiß ja nie …“
Sie hätte vor Scham im Boden versinken können. Gestern Abend hatte sie sich nach langem Zögern durchgerungen, in Sóller allein eine Diskothek zu gehen. Wozu war sie schließlich auf der Partyinsel, wenn sie nicht selbige machte? Warum sie vorher am Automaten ein paar Kondome gezogen hatte, wusste sie selbst nicht. Nach einer Stunde in dem Laden war sie gegangen - allein. Die Männer in der Disco waren zu laut, zu aufdringlich, zu betrunken und eine ganze Ecke zu alt für sie. Das Ganze war eine Schnapsidee gewesen.
Der Polizisten- Adonis behielt das Kondom in der Hand und griff nach ihrem Führerschein.
„Alexandra Baumann“, wie er das aussprach! Fast verführerisch klang ihr Allerweltsname aus seinem Mund. „Woher kommen Sie?“
„Ist das irgendwie von Belang?“ fragte sie zum zweiten Mal. Er stellte eindeutig die falschen Fragen und Alex sagte ungeduldig:
„Könnten wir das vielleicht beschleunigen? Brummen Sie mir doch einfach eine Strafe auf, ich würde gern weiterfahren.“
Das hier wurde langsam eigenartig. Sie sah zu ihm auf und hielt seinem durchdringenden Blick stand. Er war absolut umwerfend, ihn umgab eine Aura von Verwegenheit, Abenteuer und … Sex? Trotz der morgendlichen Kühle schien es um ihn herum vor Hitze zu flimmern und Alex spürte, wie die Luft zu knistern begann. Sie hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um seine breite Brust zu berühren. Eine heiße Welle durchströmte sie und versetzte ihren Körper in Aufruhr. Wie es wohl wäre mit so einem Mann … mit diesem Mann?
„Ich bin nicht im Dienst, also belasse ich es bei einer Ermahnung“, sagte er und trat, ein siegessicheres Lächeln im Gesicht, sehr nah an sie heran. Alex konnte sein frisches Aftershave riechen, einen Hauch von Leder und … ihn?
Er gab den Führerschein zurück, berührte dabei wie unabsichtlich ihre Hand und sie bemerkte erschrocken, dass sie zitterte, als sie zugriff.
„Fahren Sie vorsichtig, das ist ein Wagen, den ein Mann fahren sollte, es wäre schade um ihn“, er griff an Alex vorbei und öffnete ihr die Wagentür. Sie starrte ihn entgeistert an und wusste im ersten Moment nicht, was sie sagen sollte. Dann siegte die Wut.
„Wie war das gerade? Wollen Sie damit sagen, dass eine Frau nicht hinters Steuer gehört?“, fauchte sie und bohrte ihm den ausgestreckten Zeigefinger in die Brust. „Schade um den Wagen? Typisch spanischer Macho! Um mich ist es also nicht schade? Sie blöder …“
Weiter kam sie nicht, er lachte heiser auf, dann zog er mit einer Hand ihrem Kopf zu sich heran und presste seinen Mund auf ihren. Vor Schreck versteifte sie sich, doch dann spürte sie seine Zunge, die sich zwischen ihre Lippen schob und ohne weiter nachzudenken, öffnete sie den Mund. Er küsste wild und leidenschaftlich und ehe Alex registrierte, was sie tat, legten sich ihre Hände wie von selbst um seinen Hals und ihr Körper presste sich an seinen. Es war ewig her, dass sie so geküsst worden war, überhaupt … Stefan hatte sie niemals so geküsst.
Mit dem Gedanken an Stefan setzte ihr Denkvermögen wieder ein und sie riss sich von ihm los. Reflexartig versetzte sie ihm eine schallende Ohrfeige, sprang in den Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen und natürlich wieder viel zu schnell davon. Im Rückspiegel sah sie ihn dastehen, groß, breitbeinig und dominant, ein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht. Was für ein arroganter Arsch!
Dann wurde sie mit einem Schlag panisch. Sie hatte einen Polizisten geohrfeigt! Konnte sie dafür festgenommen werden? Schrieb er sie jetzt zur Fahndung aus wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt? Wie wurde das in Spanien gehandhabt, sie hatte schon die tollsten Stories über die spanische Polizei gehört.
Obwohl, wie bezeichnete man das, was er gerade mit ihr gemacht hatte? Ein wehmütiger Seufzer entfuhr ihr. Alex wusste genau, wie man das bezeichnete, man nannte es fantastisch küssen und dieser Mann war einfach …, ein wollüstiger Schauer lief ihr den Rücken hinab.
Vielleicht sollte sie das Land lieber so schnell wie möglich wieder verlassen, ehe sie ihren Urlaub hinter Gittern verbringen musste! Allerdings war sie gerade mal zwei Tage auf der Insel, hatte ein wirklich wundervolles Ferienhaus gemietet und hätte sich eigentlich pudelwohl fühlen müssen. Doch sie hatte noch nie allein Urlaub gemacht und fühlte sich in dem viel zu großen Haus einfach furchtbar einsam.
Ihr Start hier war wirklich unglücklich. Gestern der unbeschreiblich klägliche Versuch, sich ins Nachtleben zu stürzen und jetzt dieser ‚kleine Zusammenstoß’ mit Mister Obermacho. Hoffentlich hatte das kein Nachspiel.
Siedendheiß fiel ihr ein, dass er das Kondom behalten hatte. Wie peinlich das alles war, sicher dachte er, sie sei eine dieser Touristinnen, die nur für ein heißes Abenteuer auf die Insel gekommen war und hatte sie deshalb geküsst. Woher sollte er wissen, dass sie nichts als Ruhe und Frieden suchte und Abstand von ihrer Trennung von Stefan.
Mochte der Bulle glücklich werden mit dem Kondom, er brauchte es garantiert dringender als sie. So wie er aussah, legte er alle paar Tage eine andere Tussi flach.
Der Blick aufs Navi sagte ihr, dass sie gleich in Sóller ankommen würde. Sie folgte der Empfehlung ihrer besten Freundin Katie, die ihr aufgetragen hatte, unbedingt in ‚Adrians Café’ zu frühstücken. Im Handschuhfach hatte sie die neuste CD von Katies Band ‚Katie and the Bad Guys’ und ein kleines Fotoalbum deponiert, dass sie Adrian, einem Deutschen, der schon seit einigen Jahren auf Mallorca lebte, geben sollte: Erinnerungen an zwei wilde Wochen im letzten Herbst, in denen Katie mit ihren Jungs hier auf Tour gewesen war und die ‚Adrians Café’ zu ihrer Stammkneipe erkoren hatten.
Das Navi lotste sie sicher durch die engen Straßen des Ortes. Es war kurz nach neun Uhr, um diese Zeit fand sich sogar noch problemlos ein Parkplatz gleich vor dem Café. Als Alex den Laden betrat, war sie offensichtlich der erste Gast an diesem Morgen.
Hinter der Theke stand ein großer Mann, der schwarze Jeans, ein weites, mittelalterlich anmutendes Leinenhemd mit gefältelten Ärmeln, eine abgewetzte Lederweste und ein buntes Piratenkopftuch trug. Er hantierte an der Espressomaschine und als er sich umdrehte, erwartete sie mindestens einen dicken, goldenen Ohrring und eine Augenklappe. Stattdessen sah sie in das freundliche, gut geschnittene Gesicht eines Enddreißigers mit warmen, braunen Augen, einer markanten Adlernase und einem gepflegten Dreitagebart.
‚Hier muss irgendwo ein Nest sein‘, dachte sie überrascht, denn binnen kurzem stand sie schon dem zweiten, ziemlich scharfen Typen gegenüber.
„Hola“, sagte er lächelnd. „Tut mir sehr leid, aber wir öffnen erst in einer Stunde.“
„Oh“, erst jetzt wurde ihr wieder bewusst, wie früh es eigentlich noch war.
„Mir tut es leid, ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Aber Sie sind nicht zufällig Adrian Steingräber?“
„Doch, bin ich“, antwortete er und ihr fiel auf, dass der Mund unter der Adlernase mit ziemlich sinnlichen Lippen gesegnet war. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Ich bin Alex Baumann, eine Freundin von Katie Jensen, aus Deutschland.“
Sein Gesicht hellte sich auf, als der Name fiel.
„Hallo Alex, schön dich kennenzulernen“, er reichte ihr die Hand über den Tresen. Alex ergriff sie und er legte die andere Hand auch noch darauf. Sie spürte seinen festen Händedruck und komischerweise störte sie die Vertraulichkeit nicht. Er behielt einfach ihre Hand in seinen und fragte:
„Wie geht es Katie und der verrückten Bande?“
„Sehr gut“, antwortete Alex. „Sie treiben sich in der Welt herum, wie immer. Sie sind gerade in Finnland auf Tour, sie sind unglaublich gefragt dort. Katie hat mir etwas mitgegeben für dich, deswegen bin ich hier.“
Sie befreite ihre Hand aus den seinen und reichte ihre Mitbringsel über die Theke. Adrian blätterte lachend durch das Fotoalbum.
„Oh je, das waren harte Wochen. Katie und die Jungs waren fast jede Nacht hier und wir haben gefeiert bis in die frühen Morgenstunden. Ich bin ja einiges gewohnt als Gastwirt, aber nach ein paar Tagen wusste ich nicht mehr, ob ich leben oder lieber sterben sollte.“
„Ich kenne das, die haben ein Durchhaltevermögen, das ihresgleichen sucht.“, Alex verdrehte die Augen. „Da können Normalsterbliche nicht mithalten.“
„Du bist also keine Musikerin?“, fragte Adrian.
„Um Himmels Willen, nein, ich bin Assistenzärztin in Berlin. Katie und ich sind zusammen zur Schule gegangen.“
„Hey, dann muss ich alle meine Wehwehchen zusammensuchen, solange du hier bist“, Adrian zwinkerte ihr zu.
„Kein Problem“, erwiderte sie und versuchte, streng aus der Wäsche zu gucken. „Ich habe meine Skalpelle dabei, ich schneide einfach alles heraus, was hinüber ist.“
„Da bleibt am Ende nichts mehr übrig von mir“, Adrian lachte. „Dann vertagen wir das lieber.“
„Aber es ist wirklich kein Problem“, sie wurde ernst. „Meine Mittel sind hier zwar sehr begrenzt, aber wenn ich dir irgendwie helfen kann, werde ich das natürlich machen so gut es geht.“
„Das war ein Scherz“, Adrian lehnte sich über die Theke. „Genieß du mal deinen Urlaub, an mir ist zum Glück alles noch heil. Hast du schon gefrühstückt?“
„Ehrlich gesagt, bin ich deswegen hier, aber wenn du noch geschlossen hast, komme ich später noch mal wieder.“
„Nichts da“, Adrian kam hinter der Theke hervor und schloss die Eingangstür ab. „Komm mit nach hinten, du kannst mit mir frühstücken … wenn du möchtest.“
Alex überlegte nicht lange.
„Das wäre toll … aber nur, wenn es keine Umstände macht.“
Adrian hatte etwas an sich, dass sie sofort Vertrauen zu ihm fassen ließ. Er war einer dieser Menschen, die in sich ruhten, ein Fels in der Brandung, den nichts so schnell aus der Bahn warf.
„Es macht keine Umstände, komm mit.“
Er öffnete eine schmale Tür an der Stirnseite, schob sie hinaus ins Freie und Alex wusste jetzt, warum Katie sie hierher geschickt hatte. Urplötzlich befand sie sich in einer vollkommen anderen Welt, in einem Innenhof, der von hohen, mit dichten Weinranken bewachsenen Mauern umschlossen wurde. Mittendrin standen ein Zitronen- und ein Orangenbaum und weitere Weinstöcke, die sich an alten, gusseisernen Laternen empor rankten. Die Weinranken verschmolzen mit den Baumkronen, alles zusammen bildete ein dichtes Blätterdach, welches dem Hof etwas Magisches gab. In einer Ecke plätscherte ein Brunnen vor sich hin, das Wasser bildete ein schmales Rinnsal, welches von einer steinernen Rinne durch den gesamten Hof geleitet wurde. Hier war es sicher selbst in der größten Hitze noch erträglich.
Die Tische und Stühle im Hof waren bunt durcheinandergewürfelt. Kein Teil passte zum anderen, aber genau das machte einen weiteren Teil der Atmosphäre dieses Ortes aus.
„Mein Gott, ist das schön hier“, stieß Alex überrascht hervor und drehte sich einmal um sich selbst. „Davon hat mir Katie überhaupt nichts gesagt.“
„Vielleicht wollte sie dich überraschen? Sie hat oft stundenlang hier gesessen und geschrieben. Der Hof hat sie inspiriert.“
„Das kann ich mir vorstellen.“
„Setz dich, wohin du willst“, sagte Adrian. „Was möchtest du? Rührei mit Schinken und Toast oder lieber etwas Süßes? Oder beides zusammen?“
„Beides wäre schön. Und Kaffee, viel Kaffee, ich bin schon seit sechs Uhr auf.“
„Ihr Wunsch ist mir Befehl!“
„Kann ich helfen?“, rief sie ihm nach.
„Bleib schön, wo du bist“, kam es zurück. „Es ist mir ein Freude, dir Frühstück zu machen.“
Wenn Stefan das nur jemals zu ihr gesagt hätte! Ihre Beziehung zu Dr. Stefan Kraus war vor drei Monaten in die Brüche gegangen. Was so verheißungsvoll begonnen hatte, endete nach knapp zwei Jahren in einem Desaster. Sie hatten sich bei der Arbeit kennengelernt, er arbeitete als Anästhesist im gleichen Krankenhaus wie Alex. Er hatte lange um sie geworben und als sie dann endlich zusammen waren, schien es für eine Weile die perfekte Beziehung zu sein. Doch dann kehrte der Alltag ein und sie bekam langsam, aber sicher das Gefühl, dass er sie immer mehr ausnutzte. Er erkannte nicht an, was sie Tag für Tag im Krankenhaus leistete, ihre Arbeit als Assistenzärztin zählte für ihn nicht, obwohl seine eigene Assistenzzeit gar nicht so lange zurücklag und er noch genau wissen musste, wie hart es war.
Manchmal kam es ihr vor, als hätte er nur eine billige Haushälterin gesucht, aber Alex war nicht der Typ Frau, die einem Mann bedingungslos zu Diensten war und sich ihm unterordnete. Sie wollte eine Beziehung auf Augenhöhe und die bot ihr Stefan nicht. Also zog sie die Konsequenzen und trennte sich von ihm.
Sie war dabei, die Geschichte zu verarbeiten, deshalb hatte sie sich kurzerhand eine Auszeit vom Krankenhaus erbeten. Alex hatte massenweise Überstunden und noch Urlaubstage aus dem vergangenen Jahr, also bat sie bei ihrem Chef um gut Wetter und Einsehen und mietete für vier Wochen das Haus in Deià. Es war wundervoll und eigentlich unerschwinglich, aber für die Vorsaison hatte sie einen Sonderpreis bekommen. Jetzt, Anfang Mai, war es ziemlich still dort oben. Für die großen Touristenströme war es noch zu früh und sie hoffte, hier das Kapitel Dr. Stefan Kraus endgültig abschließen zu können.
Adrian kam zurück und schleppte ein übergroßes Tablett, das mit allen möglichen Leckereien beladen war. Er stellte Croissants, mallorquinische Ensaimadas, hausgemachte Marmelade und Honig auf den Tisch. Es gab eine große Kanne Kaffee und frisch gepressten Orangensaft. Die Orangen dafür kamen von seinen eigenen Bäumen, wie er extra betonte. Zum Schluss holte er die Rühreier und stellte ihr einen dampfenden Teller vor die Nase.
„Guten Appetit, Alex.“
Sie bedankte sich artig und langte zu, mittlerweile war sie wirklich sehr hungrig. Beim Essen erzählte Adrian ein wenig von sich, er hatte im vergangenen Jahr eine Finca mit einem alten, halb zusammengefallenen Steinhaus gekauft und war dabei, es wieder aufzubauen. Für den Übergang wohnte er in einem alten Zirkuswagen, den er schon in Deutschland besessen und hierher geholt hatte. Zur Finca gehörten ein paar Hektar Land mit Orangen- und Olivenbäumen, er besaß sogar eine kleine Schafherde und war am Überlegen, ob er die Landwirtschaft nicht professionell betreiben sollte.
„Allerdings müsste ich dann entweder das Café aufgeben oder einen Geschäftsführer einstellen.“
„Würde es dir nicht schwerfallen, dich hiervon zu trennen?“, fragte Alex neugierig und wies auf den Hof.
„Doch, natürlich. Das Café war so eine Art Flucht“, sagte er. „Weißt du, eigentlich bin ich Architekt, ich habe Deutschland vor fünf Jahren verlassen, weil ich den Druck nicht mehr wollte. Ich war erst Anfang dreißig, aber schon ausgebrannt, einfach nur noch leer. Der ständige Kampf ums Überleben, die übergroße Konkurrenz, ich habe gearbeitet wie ein Verrückter, hatte das Gefühl, mich ständig im Kreis zu drehen und wofür? Dann bekam ich über einen Bekannten einen Auftrag drüben in Andratx, dort habe ich für einen wirklich stinkreichen Typen ein Haus entworfen und den Bau beaufsichtigt und bin noch eine Weile hiergeblieben. Das mit dem Café hat sich mehr oder weniger zufällig ergeben, ich habe, ohne viel nachzudenken, zugegriffen und es nie bereut. Ab und zu übernehme ich Aufträge für Umbauten und Restaurierungen, nichts Großes, aber es reicht, um als Architekt nicht einzurosten. Aber jetzt ist es für mich an der Zeit, den nächsten Schritt zu machen. Ein guter Freund, der auch Landwirt ist, berät mich dabei.
„So etwa habe ich immer bewundert. Zur rechten Zeit loszulassen und etwas Neues zu machen, das möchte ich auch können.“
„Du kannst es“, sagte Adrian. „Glaub mir, wenn du spürst, dass der Zeitpunkt gekommen ist, kannst du es. Nicht jeder ist dazu fähig, nicht jeder hat genug Mut, aber du schon.“
„Du kennst mich doch überhaupt nicht, wie kannst du das wissen?“
„Ich weiß es, du hast es doch bereits getan“, er lächelte und sah ihr in die Augen. Alex schüttelte irritiert den Kopf.
„Was weißt du von mir?“, fragte sie aufgebracht. „Hat Katie dich auf mich angesetzt? Hat sie mit dir über mich gesprochen?“
„Hey, beruhige dich, Alex“, Adrian griff über den Tisch und nahm ihre Hand. „Ich hatte mit Katie seit Monaten keinen Kontakt mehr. Du bist hergekommen, um Abstand von etwas zu gewinnen, das spüre ich. Ich denke, du hast eine schmerzhafte Trennung hinter dir und suchst hier Abstand.“
„Bist du Hellseher oder was?“, sie ging instinktiv auf Distanz und zog ihre Hand weg.
„Dazu muss man kein Hellseher sein“, Adrian stupste ihr ganz leicht mit dem Finger auf die Nase. „Das sieht man dir an der Nasenspitze an.“
„Langsam wirst du mir unheimlich“, sagte Alex, doch dann lächelte sie. „Du hast recht, mit allem, was du gesagt hast. Es ist mir nur noch nie passiert, dass mich ein Mensch, den ich eben erst kennengelernt habe, bis auf den Grund durchschaut hat.“
„Ich habe dich nicht bis auf den Grund durchschaut, keine Sorge. Aber ich erkenne, wenn es jemandem nicht sonderlich gut geht und du siehst nicht wirklich glücklich aus.“
„Vielleicht hilft es mir ja, hier zu sein“, sie zerknüllte ihre Serviette zu einem festen Ball. „Ich habe vier lange Wochen, um wieder zu mir zu finden.“
„Wenn du reden möchtest … du bist jederzeit willkommen.“
„Ich danke dir, Adrian“, jetzt griff sie von sich aus zu seiner Hand. „Ich werde ganz sicher wiederkommen, schon allein wegen dieses Hofes.“
„Du kannst auch gern meinetwegen wiederkommen“, Adrian zwinkerte ihr zu. „Ich hätte nichts dagegen.“
Alex lehnte sich zurück und betrachtete ihn. Sie mochte ihn, er war ihr sofort sympathisch gewesen. Aber war das eben ein Flirtversuch? Interessierte er sich für sie? Ach was, wahrscheinlich wollte er einfach nur freundlich sein.
„Ich sollte jetzt gehen“, sagte sie, um ihre Unsicherheit zu verbergen und stand auf. „Du musst das Café öffnen, es ist gleich zehn.“
„Du kannst gern bleiben, du störst mich ganz sicher nicht.“
„Danke, aber lieber nicht. Was bekommst du für das Frühstück?“
„Willst du mich beleidigen, Alex?“, er stand jetzt ebenfalls auf, kam zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Komm einfach wieder, wenn dir danach ist, ich würde mich sehr freuen.“
Verlegen senkte sie den Blick.
„Ehrlich gesagt, verunsicherst du mich ein wenig“, sagte sie. „Ich habe das Gefühl, du weißt ganz genau, was in mir vorgeht und das beunruhigt mich.“
Die Hand wechselte von der Schulter unter ihr Kinn und hob es hoch, so dass sie ihm in die Augen sehen musste.
„Glaub mir, mich beunruhigt das auch.“ Er lächelte und erstaunt bemerkte sie einen Anflug von Unsicherheit auch bei ihm. „Wie erreiche ich dich? Das heißt, natürlich nur, wenn du möchtest, dass ich …“
„Villa Elena in Deià, warte, ich schreibe dir meine Handynummer auf.“
„Den riesen Kasten hast du gemietet, ganz allein?“
„Mir war nicht bewusst, wie groß es ist, aber es ist wunderschön.“
„Ja, das ist es wirklich.“
Natürlich wusste er genau, wie schön es dort war, denn er hatte die Sanierung geleitet und den Garten entworfen, aber um nicht als absoluter Angeber dazustehen, verriet er ihr das lieber nicht.
Er begleitete sie zur Tür, vor der bereits Leute darauf warteten, dass er öffnete und gab ihr eine Karte vom Café, auf die er außerdem noch seine Handynummer geschrieben hatte.
„Ruf mich an, wenn du Gesellschaft brauchst.“
„Das werde ich, danke Adrian.“
Sie ließ einen ziemlich erstaunten und leicht irritierten Adrian zurück. Alex hatte Eindruck auf ihn gemacht, sie hatte sein Innerstes berührt und das war schon ziemlich lange keiner Frau mehr gelungen.
Alex beschloss, nicht sofort wieder nach Deià zurückzufahren. Der Tag war noch jung und sie wollte so viel wie möglich von der Insel sehen. Von Sóller aus fuhr sie Richtung Norden über eine gewundene Serpentinenstraße, machte Halt in Fornalutx, dem schönsten Dorf der Insel, wie man ihr gesagt hatte. Und wirklich, dieser Ort war zauberhaft. Er lag inmitten üppiger Orangenplantagen, die Bäume waren übervoll mit reifen Orangen und gerade aufgeblühten Blüten und versprachen eine Orangenernte bis weit in den Sommer hinein.
Enge verwinkelte Gassen führten bergan, die Häuser aus grob behauenem Naturstein waren von ihren Bewohnern liebevoll mit üppigen Blumen und Grünpflanzen in Terrakottatöpfen geschmückt worden. Als sie durch die Gassen streifte, wurde sie von einem alten Mann angesprochen, der auf einem kleinen Hocker vor seinem Haus saß und ihr eine frisch aufgeschnittene Orange entgegen hielt. Sie konnte nicht wiederstehen, biss in die Frucht und merkte im selben Moment, dass ihr der Saft übers Kinn lief. Lachend suchte sie nach einem Taschentuch, ehe ihr die Bescherung aufs Shirt tropfte, dann kaufte sie dem Mann einen großen Beutel frisch gepflückter Orangen ab und trug ihre Beute glücklich durch den Ort.
Unterhalb der wuchtigen Pfarrkirche gab es ein kleines Restaurant, in dem sie Pause machte und sich frisch gepressten Orangensaft bestellte. Alex, die seit Kindheit eine Vorliebe für Orangen in jeglicher Ausführung hatte, war im Apfelsinenparadies gelandet!
Viel war nicht los im Ort, wahrscheinlich war es noch zu früh im Jahr für großen Touristentrubel. Böse war sie nicht darüber, wenigstens konnte man in Ruhe herumlaufen, ohne sich durch Busladungen von Menschen kämpfen zu müssen.
An den Tischen rundum saßen entweder Rentnerpaare oder ältere Männer in Fahrradmontur.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Sie sah hoch und verkniff sich gerade noch ein Grinsen. Der Mann, der mit einem Glas Saft in der Hand vor ihr stand, sah putzig aus. Sie musterte ihn fast zwanghaft, er musste mindestens sechzig sein, trug ein hautenges, türkisfarbenes Trikot, das seinen recht beträchtlichen Leibesumfang wunderbar betonte, über ebenso knallengen schwarzen Radlerhosen, in die zu allem Übel an den Seiten pinkfarbene Streifen eingearbeitet waren. Zwischen seinen Beinen zeichnete sich überdeutlich das ab, was sie um nichts auf der Welt näher betrachten wollte.
Fast verschämt wandte sie den Blick ab und sagte:
„Bitte, gern.“
Der Mann redete wie ein Wasserfall, erzählte von den Touren, die er bereits hinter sich hatte und von denen, die er noch machen wollte und gab mächtig an. Alex hörte höflich lächelnd zu, nickte ab und an und trank ihren Saft schneller aus, als sie es geplant hatte. Bereits nach kurzer Zeit wollte sie nichts mehr als flüchten, der Kerl ging ihr furchtbar auf die Nerven.
Sie stürzte also ihren Saft hinunter und beschloss, selbst zum Tresen zu gehen und die Rechnung zu bezahlen und gerade, als sie aufstehen wollte, kam tatsächlich eine umständliche Einladung zum Essen über seine Lippen.
Drei Baggerversuche an einem Tag, sie übertraf sich selbst! Allerdings war das Qualitätsgefälle enorm. Von ‚heißer als die Polizei erlaubt‘ über ‚den Mann, der mehr als einen zweiten Blick wert ist‘, war sie bei einer übergewichtigen Nervensäge gelandet, die zu Hause sicher schon Enkelkinder hatte.
„Ich werde meinen Mann fragen, ob wir es einrichten können“, flötete sie geistesgegenwärtig und sah, wie dem armen Kerl enttäuscht die Kinnlade herunterklappte. Schließlich zuckte er mit den Schultern.
„Fragen kann man ja mal“, sagte er und sie schnappte ihre Orangen.
„Natürlich kann man das, aber ich muss jetzt leider weiter. Es war nett, Sie kennenzulernen.“
Langsam schlenderte sie zum Auto, fuhr weiter und fand die Serpentinen hinunter nach Sa Calobra. Eine solche Straße war sie nie zuvor gefahren. Wahrhaft atemberaubend enge Kurven wanden sich durch eine bizarr geformte Berglandschaft hinunter zum Meer. Diesmal fuhr Alex ganz langsam, um so viel wie möglich davon aufnehmen zu können. Die Straße war an manchen Stellen so schmal, dass sie betete, nicht auf Gegenverkehr zu stoßen.
Heil unten angekommen, stellte sie das Auto ab und machte sich auf die Suche nach der berühmten Schlucht, dem Torrent de Pareis, über den sie von Bekannten schon so viel gehört hatte. Ein Stück des Weges führte durch einen Fußgängertunnel, der ihr am Ende einen wahrhaft grandiosen Anblick bot. Zu beiden Seiten der Schlucht stieg bizarr erodiertes Karstgestein in den Himmel, zu ihren Füßen lag eine von Sand- und Kiesbänken durchzogene, kaum Wasser führende Flusslandschaft, die sich zum Meer für wenige Meter öffnete und einen von steilen Klippen umrahmten Strand bildete.
Alex setzte sich auf einen großen Stein und genoss den Anblick. Hier war sie ganz allein und unter den hohen Felsen fühlte sie sich plötzlich völlig einsam. Sie saß hier an einem der schönsten Orte, an dem sie je gewesen war und konnte das mit niemandem teilen.
Sie lief ein Stück landeinwärts in die Schlucht hinein, bis es nicht mehr weiterging. Das Gelände wurde unwegsamer und Alex war definitiv nicht richtig gekleidet für eine solche Tour. Sich allein in die raue Wildnis zu wagen, schien auch nicht angebracht. Schweren Herzens machte sie sich auf den Rückweg und fuhr zurück in ihr Haus nach Deià.
Deià war herrlich. Hoch oben über dem Meer gelegen, über sich nur noch den Gipfel des Teix, verliebte sie sich auf den ersten Blick in diesen Ort. Sie wusste, dass hier schon immer Künstler ansässig waren und wohl auch einige Promis ein Domizil gefunden hatten, aber das interessierte sie weniger. Alex wunderte sich über die beträchtliche Anzahl von Galerien in dem kleinen Ort, in dem, soweit sie wusste, nicht einmal achthundert Menschen lebten. Die Künstlerdichte musste hier wirklich enorm hoch sein.
Gleich nach ihrer Ankunft war sie durch die steilen Gassen gelaufen und hatte den Blumenschmuck und die Majolikakeramiken an den alten Häusern bewundert.
Am ersten Abend setzte sie sich in eins der schönen Restaurants und stieß mit sich selbst auf ihren Urlaub an. Doch gleich darauf setzte Frust ein. Was sollte sie bloß vier Wochen mutterseelenallein hier anfangen? Auch wenn man es nicht glaubte, aber Alex schloss nicht so schnell Bekanntschaften. Sie hatte noch nie leicht auf Leute zugehen können. Im Krankenhaus fiel ihr das nicht schwer, aber das war etwas anderes, da war sie eine Autorität, jemand, bei dem die Leute Rat und Hilfe suchten. Im Privatleben tat sie sich schwer damit. Sie hatte ihre Freundin Katie immer dafür bewundert, wie sie unter wildfremden Menschen binnen kürzester Zeit Anschluss fand.
Alex kostete es jedes Mal Überwindung, allein in eine Bar zu gehen, deshalb machte sie das auch äußerst selten und nach der gestrigen Pleite in der Diskothek war sie sicher, dass sie dieses Experiment nicht wiederholen würde. Heute jedenfalls würde sie zu Hause bleiben, in aller Ruhe ein Glas Wein trinken, die Aussicht von ihrer Terrasse und den paradiesischen Garten, der sich hinter dem Haus befand, genießen … und zeitig schlafen gehen, sie hatte so viel Schlaf nachzuholen.
Unentschlossen stand sie vor dem Weinregal in der Küche. Die Besitzer des Ferienhauses betrieben ein Weingut auf der Insel und hatten in der Hoffnung, sie anzufüttern, verschiedene Kostproben hinterlassen. Schließlich griff sie nach der erstbesten Flasche und suchte nach einem Korkenzieher, als es laut an der Haustür klopfte. Alex zuckte erschrocken zusammen, sofort fiel ihr der Polizist ein, den sie am Morgen geohrfeigt hatte. Wurde sie jetzt verhaftet? Quatsch, sie schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war das nur der Verwalter, der ihr noch irgendetwas sagen wollte.
Schwungvoll öffnete sie die Tür und prallte sofort wieder zurück. An einer der steinernen Säulen des Vordachs lehnte tatsächlich der Bulle von heute früh. Allerdings hatte es nicht den Anschein, als sei er dienstlich hier. Er sah noch besser aus, als sie ihn in Erinnerung hatte, seine stahlblauen Augen packten sie und ließen sie nicht wieder los.
Ihr Körper machte sich selbständig, sie verspürte ein sehnsuchtsvolles Ziehen im Unterleib und konnte nichts dagegen tun. Was hatte dieser Mistkerl nur an sich, dass sie so auf ihn reagierte?
Wie angewurzelt stand sie in der Tür, starrte ihn an und brachte kein Wort heraus. Alex war nicht auf Besuch gefasst gewesen und ihr wurde peinlich bewusst, dass sie nur ein dünnes Shirt über ihrer nackten Haut trug und sich ihre Brustwarzen bei seinem bloßen Anblick sofort aufgerichtet hatten. Er erfasste mit einem Blick, was er bei ihr auslöste, stieß sich von der Säule ab und kam auf sie zu. Auch Alex war klar, dass er genau wusste, wie er auf sie wirkte. Kurz vor ihr blieb er stehen und zog etwas aus seiner Jackentasche. Als sie sah, dass er das verlorene Kondom in der Hand hielt, stieg ihr vor Scham das Blut in den Kopf und sie hoffte, nicht auch noch knallrot geworden zu sein,
„Buenas noches”, die tiefe Stimme von Señor super Sexy durchdrang sie bis ins Mark. „Ich wollte das hier zurückbringen.“
„Ich … ähh“, Alex schämte sich so, dass sie tatsächlich stotterte. Verflixt, was sollte sie bloß sagen, ohne sich endgültig unmöglich zu machen. Er nahm ihr die Entscheidung ab, er machte einen weiteren Schritt auf sie zu und stand jetzt direkt vor ihr, so nahe, dass sie die Wärme spürte, die von ihm ausging und sie wieder den überwältigenden Geruch in der Nase hatte, den sie bereits kannte. Sie trat einen Stück zurück, um Abstand zwischen sich und ihn zu bringen, doch er folgte ihr sofort. Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich nicht.
„Bitte gehen Sie wieder“, krächzte sie heiser. „Mein Mann ist …“
„… nicht da“, vollendete er den Satz und ließ ein hinreißendes Lächeln aufblitzen. „Ich bin bei der Polizei, ich weiß alles.