Kaira Saltiem und der Seher des Kaisers - Uwe Wagner - E-Book

Kaira Saltiem und der Seher des Kaisers E-Book

Uwe Wagner

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Beschreibung

Rom. Die ewige Stadt. Vor allem beim Wandeln in den Ruinen des Forum Romanum wird der Wunsch übermächtig, all dies in seiner Blütezeit zu erleben. Kurzerhand beschließen Kaira und Ulf unerkannt im Strom der Vergangenheit abzutauchen. Doch noch ehe sie alle Vorbereitungen dafür abschließen können, wird ihr kühner Plan unerwartet durchkreuzt. Fern jeder Absicht stehen sie plötzlich inmitten der großen Politik vor Beginn unserer Zeitrechnung. Sie wagen es kaum zu hoffen, um wenigstens mit heiler Haut dem drohenden Unheil zu entrinnen. Doch damit nicht genug. Denn die Schatten der Vergangenheit holen auch Kaira letztendlich ein. Voller Entsetzen muss sie feststellen, dass ein längst besiegt geglaubter Dämon neu erwacht und ihre Welt in den Grundfesten erschüttert. Wird es ihr dennoch gelingen ihre Zukunft mit Ulf zu retten?

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Inhalt

Prolog

Vorbereitungen

Doppel

Verwirrung

Spurensuche

Streich

Prolog

Antiochia – 699 a. u. c. 1

In voller Rüstung tritt Marcus Antonius im ehemaligen Thronsaal des Palastes von Antiochia vor Aulus Gabinius – seines Zeichens Prokonsul und Herrscher über die Provinz Syria – und hebt den rechten Arm zum römischen Gruß. „Salve, Aulus Gabinius.“

„Salve, Marcus Antonius“, erwidert der Prokonsul den Gruß seines Reiterführers, der ihm schon seit seiner Übernahme des höchsten Amtes in dieser Provinz zur Seite steht.

Zwar hatte Gnaeus Pompeius Magnus das Reich der Seleukiden, das von Seleukos I. Nikator, dem ehemaligen Feldherrn Alexander des Großen, gegründet worden war, schon nun vor acht Jahren endgültig zerschlagen und als Provinz Syria ins Imperium Romanum eingegliedert, aber erst seit seiner Amtszeit erlebte die Provinz und vor allem die alte Hauptstadt Antiochia eine wahre Blütezeit. Sie schickt sich nun an, den Rang als zweitgrößte Stadt im Imperium Romanum sogar noch auszubauen.

Nicht nur die Früchte des umliegenden Landes sind es, die den Reichtum der Provinz seit vielen Jahren begründen, sondern vor allem die Waren aus fernen Ländern, die hier in der Stadt zuallererst feilgeboten werden. Besonders begehrt und zugleich verrufen sind noch immer die hauchzarten Stoffe aus dem Land der Serer2. Diese Stoffe sind es, nach denen inzwischen sogar die Handelsroute in jenes ferne Land benannt worden ist.

Doch weder Gabinius noch seinem Reiterführer Antonius ist es bislang vergönnt gewesen, einem jener Serer zu begegnen, deren Äußeres sich angeblich erheblich von allen anderen Völkern unterscheide, mit denen die glorreiche römische Armee bislang die Schwerter gekreuzt hat.

„Ihr habt mich rufen lassen, Prokonsul.“ Es ist eine Feststellung und keine Frage, denn hier, an der Grenze zum Reich der Parther gibt es keinerlei Zweifel an militärischer Disziplin.

„Ganz recht“, bestätigt Gabinius knapp. „Steht bequem“, fordert er seinen Reiterführer auf, der daraufhin seine straffe Haltung ein wenig entspannt und seinen Helm abnimmt.

„Wie Ihr wisst, ist Gnaeus Pompeius Magnus, der Rom diese Provinz und auch diese prächtigen Mauern“, er weist auf die üppig im griechischen Stil ausgeschmückten Wände, „beschert hat, in Rom zum Konsul ernannt worden ist.“

„Ja, die Botschaft hat mich erreicht.“

„Und Euch sagt auch der Name Ptolemaios etwas, Ptolemaios XII, um genau zu sein.“

Antonius blickt seinen Vorgesetzten irritiert an. „Selbstverständlich. Er ist Nachfahre jenes Generals des großen Makedoniers Alexander, der Ägypten als Reichsteil erhielt und dort die nach ihm benannte Dynastie gründete.“

„Ihr enttäuscht mich nicht“, stellt Gabinius zufrieden fest. „Was noch?“

„Er wurde vor fast vier Jahren von Berenike, seiner eigenen Tochter, aus Alexandria vertrieben und versucht seitdem Rom dazu zu bewegen ihm militärisch beizustehen, damit er seinen Thron wiedererlangt.“

„Ich sehe schon, Marcus Antonius, Ihr seid der Geschichte der Hellenen bis zum heutigen Tag gut unterrichtet. – Nun, er wird uns in Kürze einen Besuch abstatten.“

„Ptolemaios? Uns?“ Marcus war nun doch verwirrt.

„Nun, das ist nicht ungewöhnlich, war diese Stadt doch in seiner Jugend noch das Zentrum der Seleukiden und dieser Palast auch einem Pharao würdig. Unter der Herrschaft Roms erstrahlt der Glanz nun noch heller.“

„Ja, aber dennoch ist es nicht Rom.“

„Gewiss nicht, Marcus. Aber mir kam zu Ohren, dass Pompeius seinem Ansinnen nicht so ablehnend gegenübersteht wie der Senat und so erwarte ich, dass er nun hier jene militärische Macht sucht, um sein Reich zurückzuerobern.“

„Diese Schlachten fürchte ich nicht, stehen die Ägypter den Parthern in allen Kriegskünsten nach.“

„Das habe ich auch nie bezweifelt. Aber darum geht es auch gar nicht.“

„Nicht?“

„Nein“, erwidert Gabinius ein wenig ärgerlich. „Ihr sollt nur zugegen sein, um zu bezeugen, dass ich das Begehren auf Rechtsbruch zurückweisen werde.“

„Wenn das alles ist…“, gibt sich Marcus Antonius enttäuscht.

Doch Gabinius ignoriert dies geflissentlicht und fährt fort: „Lasst euch nicht von seinem Auftreten blenden. Er wird mit großen Hofstaat erscheinen, mit allen Beratern, Gespielinnen, Lustknaben, Sklavinnen und natürlich seiner berühmten Garde.“

„Die meinen Reitern nicht einmal als Übungsgegner gereicht“, spöttelt Antonius.

„Seid nicht so leichtfertig… Oh, das Signal. Kommt an meine Seite.“ Ein mehrfacher Klang der Fanfaren ist zu hören und schon geben die Wachen am Tor den Weg frei für eine wahre Prozession, die dennoch nur einem Schatten der legendären Pracht der Pharaonen gleicht.

Nach den weitschweifenden einleitenden Worten – eine Eigenart des Orients, die von der Dynastie des Ptolemaios übernommen worden war und die sich inzwischen auch in Rom verbreitet – kommt der verstoßene Pharao endlich zum Kern seines Anliegens. Mit feierlichen Worten lässt er einen seiner Untergebenen eine Pergamentrolle übergeben. Mit unbewegter Miene nimmt Aulus Gabinius das Pergament aus den Händen des sich demütig verbeugenden Boten und gibt es – noch immer seinen Blick auf den Pharao gerichtet – einem Schreiber, damit er es laut verliest, damit alle Anwesenden, allen voran sein Reiterführer, Zeugen dieses ungewöhnlichen Staatsaktes werden.

Doch Marcus Antonius ist wie hypnotisiert. Wie gebannt ist sein Blick auf eine Stelle im Raum fixiert und für ihn ist das alles, was in der Welt für ihn noch existiert. Denn seine ganze Aufmerksamkeit ist von einem zauberhaften Wesen in der Begleitung des Pharao gefesselt. Es ist eine der jungen Frauen, die den Herrscher umgeben, eine von so erhabener, atemberaubender, ja göttlicher Schönheit, dass es ihm nicht nur die Sprache verschlägt, sondern auch alle Sinne verwirrt. Wie gebannt nimmt er ihren Stolz und ihre Haltung, die majestätische Souveränität ausstrahlt, wahr und kann den Blick nicht mehr von ihr wenden.

Erst eine unsanfte Berührung reißt ihn jäh aus seiner Bewunderung. „Marcus Antonius“, zischt Gabinius mit verhaltener Wut. „Auch die Mädchen sind Teil seiner Bestechung. Seht euch vor.“

Für kurze Zeit gelingt es Marcus tatsächlich dem vorgetragenen Wunsch und Vorschlag des Pharao zu lauschen. Doch schon im nächsten Moment sind sein Blick und all seine Aufmerksamkeit wieder von jener göttlichen Anmut in Person gefangen.

Dann plötzlich, ein Fanfarenstoß. Wie die Glieder eines großen Organismus ziehen sich der Pharao und seine Begleitung wieder zurück. Was ist geschehen? Die Ratlosigkeit ist jedoch nichts im Vergleich zum Schmerz, den Marcus ob der Trennung von jenem bezaubernden Wesen empfindet. Die Hoffnung, es möge noch ein Gelage folgen, bei dem er sich der Schönheit würde nähern können, ist mit einem Mal zerschlagen. Dieses Verhalten ist ihm unerklärlich. Er blickt seinen Vorgesetzten fragend an. Ganz offensichtlich ist auch der irritiert, wenn nicht sogar ein wenig verärgert, denn immerhin ließe sich das Verhalten des Pharao auch so auslegen, als habe er nicht um Hilfe gebeten, sondern einem ihm zugeordneten Untergebenen einen knappen Befehl erteilt. Einem Bürger Roms? Einem Prokonsul? – Niemand, außer einem römischen Diktator, hat dieses Recht.

Plötzlich trifft Marcus die Erkenntnis wie der Schlag einer Keule. Wenn Aulus Gabinius das Verhalten tatsächlich als Beleidigung auffassen sollte, gibt es auf absehbare Zeit keine Chance mehr, sich der Schönheit zu nähern, geschweige denn ihrer habhaft zu werden. Er muss handeln, und zwar sofort. Er muss Gabinius dazu bewegen, das Angebot des Pharao anzunehmen und – sofort wird ihm warm ums Herz – wenn er in den dann zu erwartenden Schlachten siegreich ist, wird der Pharao ihm diese Schönheit zum Geschenk machen. Daher zeigt er sich nun berechtigterweise ungeduldig.

„Zehntausend Talente?“, kann sich Marcus Antonius nicht länger zurückhalten, kaum dass sich die schweren Torflügel des alten Palastes, hinter der großen Schar der Besucher geschlossen haben.

„So waren seine Worte“, bestätigt Gabinius scheinbar ungerührt.

„Das ist unermesslicher Reichtum!“ Seine Stimme überschlägt sich fast.

„Das ist wohl wahr, Marcus Antonius und deswegen auch für einen Pharao Ägyptens schwer aufzubringen.“

„Nein“, widerspricht Antonius vehement und ist insgeheim froh, dass seine Befürchtungen, Gabinius hätte das Verhalten des Pharao als Beleidigung aufgefasst, nicht zutreffen. „Noch viel mehr hat er springen lassen, um die Senatoren in Rom auf seine Seite zu ziehen.“

„Ja, davon hörte ich“, bestätigt Gabinius nachdenklich. „Und doch übersteigt dies seine Möglichkeiten, denn sogar das reiche Ägypten bräuchte zwei Jahre, um diese Summe aufzubringen.“

„Aber…“

„Nein, Marcus“, fällt er ihm ins Wort, „es ist nicht recht, denn der Senat hat sich klar und eindeutig gegen eine Unterstützung von Ptolemaios ausgesprochen. Daher käme die Annahme der Summe – und natürlich die zu erbringende Gegenleistung – einem Akt der Rebellion gleich.“

„Rebellion? – Wir haben doch die Zustimmung von Pompeius, der erneut zum Konsul gewählt worden ist.“

„Ganz richtig“, erwidert Gabinius unbeeindruckt. „Er ist zum Konsul, nicht aber zum Diktator ernannt worden. Deshalb hat er kein Recht sich über den Beschluss des Senats hinwegzusetzen. – Außerdem ist der Ausgang ungewiss, denn die Armee Ägyptens weiß sehr wohl in der Schlacht zu bestehen. Sie steht nicht nur in der Tradition des alten Reiches, sondern auch des Feldherrn Ptolemaios, einer der Weggefährten des großen Alexander von Makedonien.“

„Auch sie sind verweichlicht, wie es die übrigen Nachfahren des großen Eroberers des Perserreiches waren. – Lasst mir freie Hand und ich werde Euch das Tor nach Ägypten aufstoßen.“

„Wohl kaum. Der Zugang führt über den Nil und der ist gut bewacht, denn ein jedes Heer müsste an der Festung Sile bei Pelusium vorbei und für eine Anlandung haben wir nicht genügend Schiffe.“

„Wie Ihr wisst habe ich einige Jahre in Macedonia3 verbracht, zu der auch das alte Achaea4 gehört. Dort habe ich die alten Befestigungen und den Aufbau der Städte studiert.“ Gabinius deutet an, etwas einzuwenden, aber Marcus Antonius gibt ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er seinen Gedanken noch zu Ende führen möchte. „Pelusium mag zwar die erste Stadt hinter der Grenze Ägyptens sein, aber sie ist dennoch eine makedonische Stadt.“

„Mag sein. Na und?“ Gabinius ist nicht überzeugt und weiß auch noch nicht so recht, worauf sein Reiterführer letztendlich hinaus will.

„Außerdem stellen die Judäer die Hauptstreitmacht in der Stadt und die werden sich sogar eher gegen die Ägypter wenden, als gegen uns kämpfen. Mit meinen Reitern werde ich einfach über sie hinwegfegen und der Sieg ist unser.“

„Hmm…“ Gabinius sieht Marcus grübelnd an. „Fast könnte ich glauben, dass Euch das viele Gold blind für die Gefahren macht.“

„Nein. Ich versichere Euch, dass ich kein einziges Talent für mich fordern werde.“

„Was ist es dann, was Euch antreibt? Ruhm und Ehre in der Schlacht könnt Ihr doch eher im Kampf gegen die Parther erwerben.“

„Allein die Schönheit und Anmut sind es.“

„Oh! – Verstehe.“ Ein Lächeln umspielt seine Lippen.

„Ja. Sie ist von so unglaublicher Schönheit und… und mein Herz steht in Flammen. Ihr Herz will, nein, ich muss es gewinnen.“

„Das allein wird nicht reichen, denn der Pharao wird sie Euch nicht geben, selbst wenn er dann wieder zur Macht gelangt.“

„So muss ich auch ihn durch meine Taten überzeugen, denn ich werde nicht eher ruhen, bis dieses anmutige Geschöpf mein ist.

Sie will ich zum Weib nehmen.“

„Marcus.“ Er klingt auf einmal beunruhigt, fast besorgt. „Mir scheint Ihr seid es, der blind ist. Wisst Ihr denn nicht wer dieses wahrhaftig zauberhafte Wesen in seinem Gefolge war?“ Doch Marcus sieht ihn nur verständnislos an und Gabinius meint ein Flackern von Eifersucht in Antonius‘ Augen zu erkennen. „Es ist seine Tochter. Es ist Kleopatra VII und selbst einem Pompeius oder Caesar wird er sie nicht zur Frau geben.“

***

1 55 v. Chr.

2 Chinesen

3 Römische Provinz in Nord-Griechenland

4 Spätere römische Provinz im griechischen Kernland

Vorbereitungen

Breman / Rom – 2773 a. u. c.5

„Was hältst du von Rom?“, hatte Ulf während ihres Telefonats gefragt und es war noch kein halbes Jahr her. „Und nur wir beide“, hatte er schelmisch hinzugefügt.

Damals hatten sie bereits seit Tagen überlegt, wie sie in diesem Jahr die Sommerferien verbringen wollten. Diesmal sollte es auf jeden Fall fernab ihrer Elternhäuser sein. Die Zeit im Gasthof von Ulfs Eltern hatte Kaira zwar noch gut in Erinnerung, aber sie wusste auch, dass es zwangsläufig mit irgendeiner Art von Mithilfe verbunden sein würde, schon deshalb, weil sie Ulf es nicht alleine übernehmen lassen wollte. Und wieder in Bremen zu bleiben, wie im vergangenen Jahr? Nein, darauf verspürte sie überhaupt keine Lust. Denn das hieße stets und ständig die Nachfragen ihrer Eltern zu beantworten, wo sie gewesen seien und was sie gemacht hätten? – Selbst wenn sie nun bereits siebzehn war und im kommenden Jahr volljährig wurde, da machte sie sich nichts vor, wäre diese Überwachung – und wie sollte sie es anders nennen? – einfach unerträglich.

„Ist es da im Sommer nicht zu heiß?“, hatte Kaira nur gefragt, jedoch im Stillen gehofft, dass Ulf entgegnete, dass es ihm nichts ausmache. – Rom! Die ewige Stadt. – Und dann dort mit Ulf allein! – Da war doch alles andere Nebensache.

Noch jetzt, Monate später, sind sie gleich wieder da, die Schmetterlinge im Bauch, sobald sie sich dieses Telefonat ins Gedächtnis ruft. Auch ihre Vorfreude ist noch genauso überwältigend, wenn sie nicht sogar noch zugenommen hat. Sofort läuft wieder eine warme Woge durch ihren ganzen Körper. Zugleich verspürt sie wieder den Stich der Sehnsucht, jenes unbändige Verlangen, sich endlich wieder in seine Arme zu werfen und sich unzähligen Küssen hinzugeben.

„Najaaa…“, hatte Ulf zögerlich begonnen. „Wenn es ständig warm ist, so wie im Sommer, also in dem, als wir in der Burg waren, dann komme ich damit schon klar. – Und was ist mit dir?“, hatte er dann schnell noch gefragt, da ihm in den Sinn gekommen war, dass es ihr vielleicht nicht behagte.

„Nö.“ Kurz und knapp war ihre Antwort gewesen, weil die Vorfreude ihr ganz einfach die Kehle zugeschnürt und sie keine weiteren Worte herausgebracht hatte.

„Gut. Dann also Rom.“ Seine Stimme hatte so geschäftsmäßig geklungen, dass Kaira ein wenig irritiert gewesen war. Doch dann hatte er ein „Wow!“ nachfolgen lassen, in dem er alle kribbelnden Erwartungen zusammengefasst hatte, die sie damals und, ja, auch jetzt noch verspürte.

Und nun war es soweit. Der Flugbegleiter hatte sie, kurz nachdem die Maschine auf der Landebahn des Flughafens Fiumicino, der den schönen Beinamen Leonardo da Vinci führt, aufgesetzt hatte, mit einem enthusiastischen, „Benvenuto a Roma!“, in der berühmten Stadt willkommen geheißen.

Gleich danach, entgegen der ausdrücklichen Aufforderung, noch angeschnallt sitzen zu bleiben, bis die Maschine zum Stillstand gekommen sei, öffneten die ersten Fluggäste bereits ihre Sicherheitsgurte, standen auf und begannen in den Staufächern oberhalb der Sitzreihen zu kramen. Obwohl Kaira diese Unsitte hasste, verstärkte sie dennoch ihr Reisefieber. Jetzt konnte auch sie es kaum noch abwarten, endlich ihren Fuß auf römischen Boden zu setzen.

„Die haben’s aber eilig“, hört sie Ulf im Sitz neben ihr leise knurren. Er hatte ihr den Platz am Fenster überlassen und den Sitz am Gang gewählt. Ihr war das ganz recht und Ulf hatte sich dem guten Gefühl hingeben können, so jederzeit schnell die Toilette aufsuchen zu können. Auf ihre Frage, ob er vielleicht unter Flugangst leide, hatte er nur geantwortet: „Nee, aber wusstest du, dass die Landung eine echt kritische Phase ist, bei dem die meisten Unglücke passieren?“

Mit einem prüfenden Blick stellt Kaira nun fest, dass er auch jetzt noch ein wenig blass aussieht. Aber immerhin scheint er seine Sprache wiedergefunden zu haben, denn seitdem sie in Bremen an Bord gegangen waren, hatte er kaum etwas gesagt und selbst auf ihre Fragen nur recht einsilbig geantwortet.

„Ich wär‘ am liebsten auch schon draußen“, seufzt sie.

„Aber schneller geht’s so auch nicht.“ Er blickt durch das kleine Fenster an ihrer Seite. „Na immerhin sieht’s so aus, als kämen wir direkt an einen Finger. – Eigentlich schade“, fährt er fort ohne auf ihre Reaktion zu achten, „beim Bustransfer wären unsere Supereiligen nämlich dann die letzten gewesen.“

„Heh! Bist du etwa neidisch?“, foppt sie ihn und lacht.

„Ach was“, schnaubt er verächtlich. „Ich kann diese Hektik einfach nicht haben. Und gleich sehen wir die sowieso wieder, wenn sie auf ihr Gepäck warten.“

„Stimmt.“ Wie ermattet lässt sie sich zurück in ihren Sitz fallen.

„Da müssen wir ja auch noch hin.“ Einen Moment lang sagt keiner von ihnen ein Wort. Doch das Kribbeln lässt ihr keine Ruhe. „Wie unser Zimmer wohl aussieht?“, fragt sie sich eher selbst und stellt sich bereits vor, wie sie in Ulfs Arme gekuschelt einschläft. Zwar hatten sie das Angebot ihres Vaters angenommen, den Differenzbetrag zwischen den Kosten für die Hotelzimmer und der Unterkunft in einer Jugendherberge zu übernehmen, aber sie hatten es wohl irgendwie versäumt, ihm auf die Nase zu binden, dass sie anstatt zweier Einzelzimmer nur ein Doppelzimmer gebucht hatten.

„Das wird schon okay sein“, geht er auf ihre Frage ein. „Aber zu viel würde ich nicht erwarten. Ist ja kein Fünfsterne… Oh, es geht los.“ Mit einem Kopfnicken weist er Kaira darauf hin, dass weiter vorne Bewegung auszumachen ist. Offenbar wurde die Tür geöffnet und die ersten Fluggäste verlassen mit schnellen Schritten die Maschine.

Umgehend setzt eine allgemeine Geschäftigkeit ein, denn nun wollen alle zugleich an die Gepäckfächer. Auch Ulf steht auf und angelt ihre Jacken aus dem Fach. „Bevor die noch jemand gebrauchen kann", sagt er grinsend, als er Kairas Jacke an sie weiterreicht. „Aber ich glaube wir werden die bestimmt erst wieder anziehen, wenn wir zurückfliegen.“

„Glaube ich auch“, stimmt sie ihm verträumt lächelnd zu und verstaut die Jacke in ihrem Handgepäckrucksack.

Warum zittern ihre Hände auf einmal? Kann Reisefieber wirklich solche Symptome entwickeln? Auch das Kribbeln im Bauch wird langsam unerträglich. Auf einmal ist sie völlig entnervt von den vielen Leuten, die sich nun alle vor ihnen in den Gang drängen. Sie will endlich hier raus. Jetzt!

Doch dann geht es plötzlich richtig schnell. Sobald sie in Bewegung sind, rauschen sie an den Sitzreihen vorbei, geplagt von der Befürchtung, doch etwas vergessen zu haben. Das fröhllich trällernde „Arrivederci“ der besonders freundlich lächelnden Stewardess am Ausgang erwidert Ulf mit einem ebenso strahlenden Lächeln, was Kaira – das muss sie zugeben – gar nicht so recht ist. Immerhin glaubt sie in diesem Blick der bildhübschen jungen Frau, ein Archetyp einer Italienerin, mehr zu sehen als professionelle Freundlichkeit einem Kunden gegenüber. Eifersucht brandet in ihr auf und daher fällt ihr demonstratives „Tschüss“ etwas schroff aus, was das zauberhafte, fast ein wenig verliebt wirkende Strahlen der uniformierten Rivalin in sich zusammenfallen lässt.

Ulf scheint von alle dem nichts mitbekommen zu haben, denn er schreitet mächtig aus, so dass Kaira tatsächlich Mühe hat, um mit ihm Schritt zu halten.

„Warum rennst du auf einmal so?“, murrt sie, als sie ihn endlich eingeholt hat.

„Ich? – Ähhh… – Sorry.“ Sofort verlangsamt er sein Tempo. „Ich weiß auch nicht. Irgendwie tut die Bewegung jetzt echt gut. Außerdem“, er weist mit einem Kopfnicken voraus, „haben wir da vorne schon den nächsten Stau an der Passkontrolle.“

„Nicht für uns“, grinst Kaira. „Schon mal was von Schengenland gehört?“

„Hmm, ja. Stimmt. Da haben die Briten ja nie dazugehört.“

„Wie kommst du denn jetzt gerade auf die?“, wundert sich Kaira.

„Ich war mal in England und da gab es ganz normale Passkontrollen.“

„Naja. Jetzt wohl sowieso.“

„Jepp. – Ah, wir sind durch. Na, geht doch. – Und da geht’s zur Gepäckausgabe.“

„Wo? – Ach da. War ja klar, nach unten. Na denn los.“ Diesmal ist sie es, die vorausläuft und flink wie ein Wiesel die Treppe hinabsaust.

„Ach, auf einmal zack-zack. Aber sich eben beschweren“, protestiert Ulf und hastet hinter ihr her. Doch Kaira reagiert nicht. Sie hält unbeirrt auf das ausgewiesene Band Nummer drei zu, wo sich bereits einige andere Fluggäste eingefunden haben, die Blicke fest auf die wenigen vom vorherigen Flug verbliebenen Gepäckstücke gerichtet, die gemächlich ihre Runden drehen und nun von Bediensteten des Flughafens auf einen Wagen verstaut werden.

„Und da haben wir ja unsere guten alten Bekannten wieder“, spöttelt Ulf als sie das Gepäckband erreichen.

„Ist das schon unser Gepäck?“ Kaira reckt sich, um einen besseren Überblick zu bekommen.

„Nee, das scheint noch von anderen Flügen zu sein. Die räumen nur ab, um Platz zu schaffen.“

„Du meinst, die Leute holen ihre Koffer gar nicht ab?“

„Keine Ahnung. – Vielleicht sollten die gleich in eine andere Maschine umgeladen werden“. Er zuckt mit den Schultern und bemerkt Kairas skeptischen Blick. „Außerdem würd’s mich echt nicht wundern.“

„Häh? Wieso das denn?“

„Na, was glaubst du, was die alles bei uns im Gasthof liegen lassen und dann noch nicht einmal mehr nachfragen.“

„Merken die gar nicht, dass sie was vergessen haben oder ist denen das egal?“

Wieder zuckt Ulf mit den Achseln. „Manchmal glaube ich, dass beides stimmt. Jedenfalls machen sich meine Alten jetzt keinen Stress mehr damit. Das kommt einfach auf den Speicher über dem alten Stall und irgendwann geht’s ans Rote Kreuz.“

„Und wenn da was Wertvolles dabei ist?“

„Oh ja. Dann ist das natürlich anders. Dann hängen die sofort am Telefon und gehen meinen Alten ständig auf die Nerven.“

„Würd‘ ich aber auch… Oh da kommen die ersten Taschen.“ Wie vom Band magisch angezogen, drängen sich plötzlich alle dicht ums Band und tatsächlich angeln die ersten Fluggäste bereits einige Bündel, Koffer und unförmige Taschen herunter.

Ulfs Triumph ist fast vollkommen als sie ihr Gepäck tatsächlich vor jenen anderen erhalten, die es in der Maschine besonders eilig hatten. Schadenfroh grinsend wirft er ihnen einen letzten Blick zu und betritt dann zusammen mit Kaira die Flughafenhalle. Sofort lässt er seinen Blick schweifen, um nach dem Shuttle-Service des Hotels Ausschau zu halten. Auch wenn Kaira ein wenig spöttisch gelächelt hatte, so hatte Ulf doch darauf gedrungen diesen Dienst in Anspruch zu nehmen. Immerhin wusste er, weshalb auch seine Eltern ihren Gästen diesen Service anbieten.

„Außerdem hat mir mal einer unserer Gäste gesteckt, dass besser ist als mit der Bimmelbahn und billiger als ein Taxi, da man den Fahrern nicht immer trauen kann“, hatte er zur Begründung angeführt.

„Da!“, ruft Kaira aufgeregt, als sie jemanden mit einem Pappschild entdeckt, auf das mit groben Lettern der Name Bomer gekritzelt worden ist.

Offenbar sind sie heute die einzigen Gäste, die am Flughafen erwartet werden, denn sobald sie sich zu erkennen gegeben haben, bedeutet der recht mürrisch wirkende Mittvierziger ihnen ihm zu folgen. Er wartet auch gar nicht ab, sondern schreitet sofort mächtig aus. Mit dem Gepäck im Schlepptau haben sie einige Mühe mit dem Tempo mitzuhalten, vor allem als sie aus dem kühlen Flughafengebäude in die sengende Hitze hinaustreten und zum Parkplatz hasten. Immerhin brauchen sie ihr Gepäck nicht selbst im Kofferraum zu verstauen.

Schweigend und mit stoischer Ruhe lenkt der Fahrer den Kleinbus durch das römische Verkehrsgewühl und entspricht so gar nicht dem Stereotyp, das Kaira sich von einem heißblütigen Italiener am Steuer eines Fahrzeugs gemacht hat. Allerdings sieht sie keinerlei Grund für irgendeine Beschwerde.

Dann sind sie endlich da. Kaira bemerkt es erst als sie in eine Hotelauffahrt einbiegen. Daher ist es zu spät, um einen Blick auf die Fassade zu erhaschen. Aber der Eingang wirkt gediegen und die Lobby des Hotels vermittelt ihr den Eindruck in der großen Welt des Glamours angekommen zu sein. Glänzender Marmor, Teppiche, üppige Ledersessel, gedämpftes Licht und eine Atmosphäre wie in der First-Class der Titanic. Jedenfalls kommt es Kaira so vor, als sie ihre Schritte in Richtung Anmeldung lenken.

Dort werden sie von einer eher unscheinbaren jungen Frau in der Livree einer Concierge freundlich empfangen. Doch im nächsten Moment meint Kaira, dass ihr Herz für einen Moment mit dem Schlagen aussetzt, denn die Concierge begrüßt sie als Signore e Signora Bomer. Sie muss sich ordentlich zusammenreißen, um sich nichts anmerken zu lassen und folgt dann mit unbewegter Miene dem jungen Mann, der ihre Koffer zu ihrem Zimmer bringt.

„Wie hast du uns angemeldet?“, platzt es aus ihr heraus, als der Gepäckträger endlich ihr Zimmer verlassen hat und die Tür ins Schloss gefallen ist. Doch Ulf grinst nur schelmisch. „Habe ich das richtig verstanden, Herr und Frau Bomer?“

„Uups“, sagt Ulf nur, zuckt mit den Achseln und sein Grinsen wird noch breiter.

„Meinst du nicht, dass ich gefragt werden möchte, bevor ich deinen Namen annehme? Und wieso überhaupt deinen Namen? Warum sind wir nicht Herr und Frau Saltiem?“, gibt sie sich betont grimmig.

„Nun“, erwidert Ulf gedehnt, „zum einen sind wir in einem sehr traditionellen Land, quasi fast beim Papst auf dem Schoß, und zum anderen habe ich dich gefragt und du hast sogar zugestimmt.“

„Du hast was?!“, platzt es aus ihr heraus. „Wann? Wo?“

„Letztes Jahr… Oh, özür6, wie dein Bruder oberlehrerhaft zu sagen pflegt, natürlich vergangenes Jahr, als wir bei dir im Zimmer waren7. Also in dem anderen Zimmer meine ich. Als du meine Klamotten in die Waschmaschine...“

„Jaja, ich weiß schon“, unterbricht sie ihn und die Röte, die ihr auf einmal in die Wangen schießt ist verräterisch. Zeigt sie ihm deutlich, dass sie sich sehr wohl daran erinnert. Tatsächlich ist ihr das Bild, wie er da vor ihr kniet, sofort wieder gegenwärtig. „Stimmt“, muss sie kleinlaut zugeben. „Aber das war doch…“

„Was?“, hält er scharf dagegen. „Etwa ein Scherz?“

„Das, äh…“, gerät sie ins Stottern.

„Mag sein, dass wir da ordentlich geflachst haben, aber dieses für immer und der Kuss danach, also nachdem du ja gesagt hast, das hat sich alles verdammt echt und wirklich gut angefühlt.“

„Ich weiß“, gibt sie kleinlaut zu. „Das war es wirklich und es tut mir…“ Sie stockt, atmet tief ein und setzt dann neu mit kräftiger Stimme an. „Das war eben nur ein echter Schock, aber ein verflixt guter. Das war echt wow!“

„Na siehst du“, schmeichelt Ulf und zieht sie in seine Arme.

„Allerdings gehe ich davon aus, dass du den Namen Saltiem auf jeden Fall behalten wirst. Aber hier hat’s mir, ehrlich gesagt, richtig in den Fingern gejuckt und“, er grinst breit, „wie’s aussieht, hat’s ja auch geklappt.“ Bevor sie etwas erwidern kann küsst er sie leidenschaftlich, was sie umgehend erwidert.

„Weißt du, was wir da gerade gemacht haben?“, fragt sie atemlos nach einer gefühlten Ewigkeit.

„Klaro. Geküsst.“

Sie zuckt ein wenig zurück, bemerkt dann aber sein schelmisches Lächeln. „Oh ja, das haben wir“, geht sie dann darauf ein. „Und was noch?“

„Hmm… Die Sache mit dem Namen geklärt?“

„Ach du!“ Spielerisch boxt sie ihn vor die Brust. „Wir haben uns gerade das getan, was mein Bruder einfach behauptet hat, wir haben uns wirklich verlobt.“

„Bitte?“ Auf einmal ist er ganz ernst. „Äh…“

„Ja“, insistiert sie. „Verlobt. Die Ehe versprochen. – Es sei denn, es war doch nur ein Scherz für di…“

„Nein“, unterbricht er sie vehement. „Mit dir durchs Leben gehen, ist mein voller Ernst.“

„Siehst du, meiner auch. Also sind wir uns einig und – tatatataaa – verlobt.“

„Wow!“, ist alles, was er herausbringen kann.

„Geht mir auch so. Aber es fühlt sich trotzdem irgendwie richtig gut an.“

„Ja schon, aber müssten wir uns für so was nicht besser kennenlernen?“

„Bekommt da jemand auf einmal kalte Füße?“, feixt sie. „Willst du es vielleicht doch nicht?

„Nein. Ich meine doch. – Äh… Also nein, keine kalten Füße und doch, ich will es. – Was ich meine ist doch, dass wir uns mehr Zeit… Ach Mist. Jetzt rede ich schon wie mein Alter.“

„Wir kennen uns jetzt seit zwei Jahren…“

„In den Ferien“, fällt er ihr ins Wort.

„Und in, na, besonderen Situationen, wo wir uns gegenseitig geholfen haben.“

„Meist hast du mir aus der Patsche geholfen.“

„Ohne dich hätte ich es aber auch nicht hinbekommen.“ Sie hält inne und betrachtet ihn mit kritischem Blick. „Eines verstehe ich aber nicht.“

„Was?“

„Du warst immer Feuer und Flamme und plötzlich suchst du nach irgendwas, was auch immer dagegen spricht. Warum?“

„Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich wirklich für immer mit dir zusammen sein will. Am liebsten will ich sogar, dass das auch sofort anfängt.“ Er seufzt und hebt hilflos seine Arme.

„Vielleicht habe ich nur Angst, dass es nur ein schöner Traum ist, ich gleich aufwache und alles vorbei ist.“

„Ging mir bisher genauso“, gibt sie unumwunden zu und wundert sich über den Mut, genau dies zu tun. „Aber jetzt passt für mich wirklich alles zusammen.“

„Und genau darauf habe ich immer gehofft und Angst gehabt, dass du mir irgendwann sagst, dass wir nur gute Freunde sind und…“

„Sind wir auch, aber“, sie sieht in direkt an, „da ist noch mehr.“

Für einen Moment hält sie inne, atmet tief durch und dann sagen sie beide zugleich: „Ich liebe dich.“ Sofort können sie nicht anders als zu lachen und versinken darauf in einen innigen Kuss.

***

Rom – 708 a. u. c.8

„Ah, das ist unser Rom.“ Genüsslich, seine Arme ausgestreckt, so als wolle er seine Liebste empfangen, atmet Marcus die angenehm frische Morgenluft ein. Seine Toga, die von einer leichten Brise erfasst wird, hat er bereits ein wenig zurückgeschlagen, um die letzten Momente der Kühle zu genießen. Noch lässt sich die Hitze des Tages nur erahnen, aber viele Patrizier ziehen es bereits vor im Schatten der mächtigen Bauten zu bleiben. Bereits zu dieser Stunde ist die Luft dort geschwängert von den unzähligen Ausdünstungen des großen Forums dieser Stadt, einer Stadt, die sich anschickt das Zentrum der antiken Welt zu werden.

Marcus Iunius Brutus Caepio, von seinen Freunden stets nur kurz Brutus genannt, lässt seinen Blick schweifen. Hier, am Eingangsportal des Concordiatempels, im Schatten der mächtigen Säulen, bietet sich seiner Ansicht nach der beste Überblick über das Forum Romanum.

Bis hinüber zum Tempel der Vesta und zur Regia, dem alten Königspalast, sind alle Bauten, die den großen Platz rund um den Lacus Curtius säumen, in ihrer majestätischen Pracht zu bewundern. Die einzige Ausnahme bildet die eher bescheiden anmutende Quelle der Wassernymphe Iuturna am gegenüberliegenden Ende. Sie ist durch den mächtigen Tempel, der den Dioskuren Castor und Pollux, den Zwillingssöhnen des Zeus und der Leda, geweiht ist, seit fast einer Ewigkeit den Blicken des Betrachters entzogen.

Noch länger trutzt ein Gebäude bereits allen Wandlungen der Zeiten. Es befindet sich gleich linker Hand, am Fuß der vor ihm hinabführenden Stufen. Erbaut von König Ancus Marcius, noch bevor das zweite Jahrhundert seit Gründung der Stadt vollendet war, diente es seit jeher als Staatsgefängnis, in dem schon viele berühmte Feinde des Staates die letzten Jahre ihres Lebens verbracht hatten. Seit der Schlacht von Alesia im Jahr DCCII a. u. c.9, war der legendäre Vercingetorix, Oberbefehlshaber und Einiger der Gallier, hier eingekerkert gewesen. Allerdings gehörte nun auch diese Periode der Vergangenheit an. Denn erst vor kurzem war dieser berüchtigte König der Gallier hingerichtet worden, gleich nachdem Caesar ihn bei seinem vierfachen Triumph noch einmal durch die Stadt hatte führen lassen.

Auf der rechten Seite, gleich hinter dem Saturntempel, der die Staatskasse beherbergt, herrscht bereits um diese Zeit geschäftiges Treiben in den Kolonnaden der Tabernae Veteres, wo Metzger, Buchhändler und Geldwechsler ihre Waren und Dienste feilbieten. Auch gegenüber, in den Ladenzeilen Tabernae Novae, ist die übliche Geschäftigkeit auszumachen. Allerdings sind es hier nicht nur Patrizier, sondern auch Plebejer und ausgewählte Sklaven, die Dinge des täglichen Bedarfs erwerben.

Nirgendwo sonst ist deutlicher sichtbar, welcher Wandel sich Rom vollzieht. Stehen die Tabernae noch als Symbol für das alte Forum, dem Marktplatz der Händler, so befindet sich gleich daneben, quasi eingerahmt vom Concordiatempel, dem Carcer Tullianus, den beiden Tabernae und der Curia Cornelia, die für die niedergebrannte Curia Hostilia als Sitz des Senats errichtet worden war, das Herz der Res Publica Romana, das Comitium. Auf diesem kreisförmig, in Form eines kleinen Amphitheaters angelegten Platz werden traditionell die gesetzgebenden Vollversammlungen der Republik abgehalten.

Aus seiner erhöhten Position kann Marcus diesen geschichtsträchtigen Ort gut überblicken. Direkt im Vordergrund befindet sich die Plattform Graecostatis. Ursprünglich für die griechischen Gesandten errichtet, wird sie inzwischen auch von anderen Botschaftern als Besuchertribüne genutzt. Etwas weiter, entgegen dem Uhrzeigersinn, erhebt sich eine geschwungene Tribüne, von der aus sich die Redner an die Versammelten wenden. Weil Konsul Gauius Maenius vor fast dreihundert Jahren die Rammsporne der im Latinerkrieg erbeuteten Feindschiffe hatte anbringen lassen, wird diese Rednerplattform nun traditionell Rostra10 genannt.

Weitere Rammsporne, insgesamt sechs an der Zahl, schmücken die links daneben weit aufragende Siegessäule Columna Rostrata. Sie war zu Ehren von Gaius Duilius errichtet worden, nachdem dieser Konsul im Jahre 494 a. u. c.11, im Ersten Römisch-Punischen Krieg, die karthagische Flotte in der Seeschlacht bei Mylae an der Nordküste Siziliens besiegt hatte. Heute scheint dieses Denkmal eher das bedeutende Rund des Comitium abzuschirmen. Denn gleich dahinter führt die Straße Argilentum vom Forum in fast gerader Linie zum berüchtigten Stadtviertel Subura und trennt damit zugleich die Erhabene Curia Cornelia vom Forum Piscarium, dem großen Fischmarkt.

„Ja, unser Rom“, pflichtet ihm sein gleichaltriger Schwager Gaius Cassius Longinus bei. „Aber nicht mehr lange, wenn es nach unserem Helden und Bezwinger von Gallien geht, der jetzt tatsächlich zum Diktator ernannt worden ist.“

„Dabei ist er doch schon seit siebzehn Jahren unser Pontifex Maximus.“

„Und nun kommen noch zehn Jahre als Diktator hinzu. Das sind zwanzig Amtszeiten eines Konsuls.“

„So viele Jahre wird er nicht brauchen, um unsere geliebte Res Publica zu vernichten“, knurrt Decimus Iunius Brutus Albinus verdrießlich, der just in diesem Moment zu den beiden aufschließt und sie dazu bringt ihren Blick vom Forum auf ihn zu richten. „Und glaubt mir, er wird sie zu nutzen wissen. Auch hier wird uns Caesar sein veni vedi vici entgegenschleudern. Um an das Vermögen Sullas zu kommen, haben ihm zwei Jahre Ehe mit dessen Enkelin Pompeia ausgereicht.“

„Decimus, wer außer dir, sollte es besser wissen“, geht Longinus gleich darauf ein. „Immerhin bist du lange Jahre sein engster Vertrauter gewesen und wer weiß, vielleicht bist du es ja noch immer.“

„Was…?!“, schickt sich der Angesprochene sogleich an aufzubrausen.

Doch Marcus schreitet sofort ein, indem er sich zwischen sie drängt. „Haltet ein, Freunde“, fordert er sie energisch auf. „Wie soll unsere Sache Erfolg haben, wenn wir uns schon entzweien?“

„Nicht entzweien“, verteidigt sich Longinus, „sondern nur Vorsicht walten lassen. Brutus, auch wenn du, so wie ich, bereits vierzig Lenze zählst, so bist du noch immer so leichtgläubig wie ein Ephebe12.“

„Wenn du auch mein Schwager bist“, zischt Brutus wutentbrannt, „so gibt dir das noch lange nicht das Recht…“

„Was willst du nun damit erreichen, Gaius?“ So wie Decimus die Frage stellt, ist sie eher eine Anklage. „Erst beleidigst du mich ob meiner Absichten und nun deinen eigenen Schwager. Wie soll unsere Sache Erfolg haben, wenn sogar wir uns selbst nicht mehr das notwendige Vertrauen entgegenbringen?“

„Vertrauen?“ Longinus kann seinen Hohn kaum verbergen. „Es gibt kein Vertrauen. – Nur Blut ist dicker als Wasser. Das wisst ihr genau.“

„Richtig. Und deshalb sollten wir uns lieber auf jene konzentrieren, auf die das zutrifft“, lässt sich Decimus nicht beirren, auch wenn er es als versteckten Versuch Longinus‘ deuten muss, Brutus wieder auf seine Seite zu ziehen.

„Aha. Und wen hast du da im Sinn?“, fragt der auch sogleich in deutlich versöhnlichem Ton.

„Gaius Octavius zum Beispiel. – Caesar ist nicht nur sein Großonkel, sondern auch – und das nicht erst als er Octavius am Triumphzug hat teilnehmen lassen – sein Ziehvater.“

„Da ist allerdings was dran“, muss Decimus zugeben. „Familie hat Caesar immer sehr viel bedeutet.“

„Mag sein.“ Brutus ist noch nicht wirklich überzeugt.

„Immerhin hat er ihn schon ins Kollegium der Pontifices aufnehmen und zum Praefectus Urbi13 ernennen lassen“, kann sich Longinus nicht zurückhalten einzuwerfen.

„Außerdem hat seine Schwester Iulia lange Jahre die Erziehung des Octavius übernommen. Es sollte mich nicht wundern, wenn Caesar ihn noch adoptiert“, spinnt diesmal Decimus den Gedanken weiter

„Wohl gesprochen“, stimmt Longinus zu.

„Wozu sollte er, wenn die Verwandtschaft schon gegeben ist?“

Brutus‘ Stimme lässt einen deutlichen Unterton von Spott erkennen. „Außerdem hat ihm die Königin… diese Hure aus Alexandria doch jüngst einen Sohn beschert.“

„Nun, Schwager, da muss ich dir wirklich recht geben“, lenkt Longinus scheinbar ein. „Aber es ist ein gutes Beispiel, auf das ich abhebe“, nimmt er den Faden gleich wieder auf. „Denn dieser kleine Caesarion ist nach unserem Recht ein Nichts. Er ist unehelich und von einer Ausländerin geboren. Außerdem hat Caesar ihn noch nicht einmal als seinen Sohn anerkannt.“

„Aber auch nicht abgelehnt“, hält Brutus unbeirrt dagegen.

„Warum sollte er?“, provoziert Decimus. „Alle Aufmerksamkeit richtet sich nun erst recht darauf und so kann er Octavius, quasi zur Klarstellung der Verhältnisse und zur Beruhigung der öffentlichen Meinung, nach allen Regeln zu seinem Erben machen, indem er ihn auch im Mannesalter noch adoptiert. – Da kommt er übrigens…“ Mit einer kaum merklichen Kopfbewegung weist Decimus in Richtung Forum.

Zwischen dem Rundtempel der Vesta und dem Dioskurentempel hat Gaius Octavius das Forum betreten. In Begleitung seiner beiden Vertrauten, Marcus Vipsanius Agrippa und Quintus Salvidienus Rufus Salvius, nähert er sich nun in gerader Linie dem Comitium.

„Kommt mit“, fordert Decimus seine beiden Begleiter auf. „Ohne Mühe können wir sie noch vor dem Erreichen der Rostra abfangen.“

„Wozu?“, protestiert Brutus, jedoch folgt er ihm und seinem Schwager nach kurzem Zögern die Treppe hinab.

„Wenn ich es recht einschätze, möchte Decimus nur ein wenig auf den Busch klopfen“, mutmaßt Longinus ohne innezuhalten. „Octavius ist noch jung und der Triumph wird seine Zunge lösen“, ergänzt er seine Vermutung.

Decimus geht nicht näher darauf ein und schreitet mächtig aus. Schon bald begrüßt er Ocatavius wie einen alten Freund. „Einen wunderschönen guten Morgen, Gaius Octavius. Und auch Euch, werte Herren, Marcus Agrippa und Quintus Salvius.“

Die Angesprochenen verlangsamen ihre Schritte und bleiben dann etwa auf halber Strecke zwischen der Rostra und dem Monument des Lacus Curtius auf der Forumsmitte stehen, um Decimus und dessen beiden Begleiter zu begrüßen.

„Guten Morgen“, erwidert Octavius den Gruß und macht keinen Hehl aus seiner Verwunderung. „Decimus Iunius Brutus Albinus. Wie lange ist es her, dass wir uns begegneten? Und doch habt Ihr Euch meiner erinnert.“

„Zu viel der Ehre“, wehrt Decimus bescheiden ab. „Erblickte ich Euch doch jüngst im Gefolge Caesars, unseres Pontifex Maximus und großen Feldherren, an dessen Seite ich die Ehre hatte lange Jahre zu dienen.“

„Ja, in der Tat“, grübelt Octavius. „Wäre es nicht an Euch gewesen, wenn nicht an seiner Seite, dann doch im Gefolge am großen Triumphzug teilzunehmen?“ Da Decimus bescheiden abwinkt, fühlt er sich befleißigt zu spekulieren. „Oder habt Ihr, wie auch Marcus Antonius, die Zeit genutzt, um nach Griechenland zu reisen?“

„Nein, nein. Das überlasse ich ihm, wie auch sich nach den griechischen Schönheiten – oder sollte ich sagen, den makedonischen? – zu verzehren“, kann er es nicht lassen, die kleine Spitze auf die, vielen nicht verborgen gebliebene, Schwärmerei des Marcus Antonius für Kleopatra anzubringen. „Nein, ich selbst habe mich der Politik unserer Res Publica14 zugewandt.“ Mit einer einladenden Geste weist er auf seine beiden Begleiter.

„Darf ich Euch meine beiden Mitstreiter im Sinne unserer öffentlichen Sache vorstellen? – Gaius Cassius Longinus und sein Schwager Marcus Iunius Brutus Caepio.“

„Iunius Brutus?“, gibt sich Otavius erstaunt. „Seid Ihr verwandt?“

„Der Name ließe es vermuten. Doch ist es nur der Name. – Aber wie ich hörte, gibt es da nun jemanden, einen jüngsten Spross in Eurer Familie, von dem behauptet wird, er sei der Sohn Eures Großonkels, unseres Pontifex Maximus.“

„Gerüchte“, wiegelt Octavius ab, bevor Salvius in seinem Ungestüm etwas erwidern kann. „Nun hoffe ich, dass in unserer Res Publica nicht Gerüchte die Grundlage unserer Zukunft bilden.“

„Keineswegs“, beeilt sich Decimus zu entgegnen, damit Longinus sich nicht echauffiert. „Im Felde habe ich gelernt, dass es besser ist auch Gerüchten nachzugehen, um sich den Rücken frei zu halten. – Aber wie ich hörte, will Caesar Euch Letzteres in Hispanien alsbald auch ermöglichen.“

„Das sollte inzwischen wohlbekannt sein und es hat damit keine Eile.“

„Naja, die Zeit ist auf Eurer Seite, denn wie ich hörte, will unser Pontifex Maximus das Jahr verlängern.“

„Die drei unterlassenen Schaltmonate werden endlich eingefügt“, erklärt Octavius sichtlich gelangweilt.

„Jaja und dann der Kalender an… ja, an welchen Kalender angelehnt? An den ägyptischen oder war es der makedonische?“ Ein süffisantes Lächeln umspielt Decimus‘ Lippen, aber Octavius zuckt nur desinteressiert mit den Achseln. „Vielleicht ist das ja nur der Auftakt, um unsere Gesetze zu ändern, damit der Spross Euch doch noch das Erbe streitig machen kann.“

„Sobald ich es herausgefunden habe, lasse ich es Euch wissen.“

„Oh. Ihr seid selbst in die Studien der Kalendarien eingebunden?“

„Nein, aber meine Freunde und ich werden uns zu den makedonischen Legionen nach Apollonia begeben, um uns für den Kampf gegen die Parther zu wappnen.“

„So zieht es Euch doch in die Nähe von Makedonien. So gebt Acht, Euch nicht mit Marcus Antonius einen Nebenbuhler einzuhandeln, wenn Ihr Euch den makedonischen Schönheiten hingebt.“ Sein Lächeln wird breiter. „Oder seid Ihr gar der Vater des jüngsten ägyptischen Prinzen und es ist letztendlich der Grund, weshalb Caesar…“

„Mitnichten!“, fällt ihm Octavius zornig ins Wort. „Wer auch immer dem Liebreiz der Nachfahrin Ptolemaios erlegen sein soll, ich war es gewiss nicht.“

Decimus hebt abwehrend die Hände und tritt einen Schritt zurück. „Verzeiht mir. Ich vergaß, dass euch und die Königin, der Pharao mit makedonischen Wurzeln, Jahre trennen und sie fast im Alter Eurer Mutter sein könnte. – Nun, so habt Ihr wenigstens einen Bruder gewonnen, sollte Caesar Euch doch noch eines Tages adoptieren.“

„Wenn es das ist, was unsere Res Publica derzeit beschäftigt“, kann sich Agrippa nun nicht länger zurückhalten, „so war es an der Zeit, dass ein Mann wie Caesar zum Diktator berufen wird, um unsere Sache wieder voranzubringen.“

„Für mich hört sich das an wie eine neue Verschwörung“, erwidert Longinus ungestüm, „fast so wie damals bei Lucius Catilina und seinen Verschwörern gegen die Republik. Das wird den alten Fuchs Cicero sicherlich brennend interessieren.“

Octavius hält seinen Freund zurück und antwortet an seiner statt: „Das glaube ich gern, vor allem, weil offenbar zu viele Republikaner, wie die Waschweiber, nur dem Klatsch und Tratsch nachjagen, anstatt sich um das Wohl unseres Staates zu sorgen.“

„Was wisst Ihr schon davon“, knurrt Longinus bevor Decimus ihn daran hindern kann.

„Nur so viel, dass ich den Ring der äußeren Feinde sehe und auch jene, die unseren Staat seit ewigen Zeiten im Bürgerkrieg gefangen halten. Da ist die Ernennung Caesars zum Diktator der große Befreiungsschlag, um endlich zu inneren Frieden und Reichtum zu gelangen.“

„Aber nicht in einer Diktatur“, entfährt es Brutus, wofür er sich einen strafenden Blick seines Schwagers einhandelt.

„Oh.“ Nun ist es Octavius, der süffisant lächelt. „Haben wir es eher hier mit einer Verschwörung zu tun? Ist es das, ja?“

„Das haben wir gar nicht nötig“, reißt Decimus das Heft des Handelns wieder an sich. „Als Republikaner ist es nur unsere Pflicht dem Senatus Populusque Romanus15 wieder Geltung zu verschaffen, und zwar als freie Bürger Roms auf dem Boden unseres römischen Rechts. Das, junger Freund, solltet Ihr wissen.

Vor allem, wenn Ihr so leichtfertig die Abschaffung unserer Republik fordert. Und das ist auch der Grund, weshalb wir den großen Rhetoriker und ehemaligen Consul Cicero an unserer Seite sehen, der nicht nur von mir als Gewissen unserer Res Publica genannt wird.“

Octavius wirkt plötzlich sichtlich entspannter. „Nun, dann sind wir ja einer Meinung. Denn da wir alle für die Erhaltung der Republik kämpfen, jeder auf seine Weise, werden wir sie retten.

– Doch nun lasst uns zum Comitium hinübergehen, damit wir selbst Zeuge der Vorgänge werden.“ Mit einer Geste deutet er an, dass er Decimus und seinen Begleitern den Vortritt lassen möchte.

„Oh, wir wollen Euch nicht aufhalten, aber wir folgen Euch später nach.“ Damit gibt er die Geste zurück. Longinus und Brutus imitieren die Geste, wenn auch mit hämischen Grinsen.

Octavius lässt sich nichts anmerken. „Wie es Euch beliebt“, gibt er nur knapp zur Antwort und setzt seinen Weg fort, gefolgt von Agrippa und Salvius, die sich nur stumm mit einem Kopfnicken verabschieden.

„Er ist ein harter Brocken und gewitzter als ich erwartet habe“, knurrt Decimus, gleich nachdem sie wieder unter sich sind.

„Weder kann er zugeben, dass eine Adoption ansteht, noch…“

„Vielleicht weiß er wirklich nichts davon“, unterbricht Longinus ihn rüde. „Der Bengel ist so aalglatt…“ Er schnaubt verächtlich. „Trotzdem sollten wir uns vor ihm wirklich in Acht nehmen.“

„Ach was“, wiegelt Decimus ab. „Alles nur Gehabe. Aber in einem Punkt hast du recht. Er hat keine Ahnung, was Caesar wirklich im Schilde führt.“

„Na, ich weiß nicht“, wagt Brutus einzuwerfen.

„Doch!“, beharrt Decimus. „Er ist einfach zu jung und zu naiv, um zu verstehen, was hier vor sich geht. Aber vielleicht haben wir die Saat gelegt.“ Da die beiden Verschwägerten ihn nur fragend ansehen, erläutert er überlegen lächelnd: „Ich bin mir sicher, dass er nun alles unternehmen wird, um sich diesen kleinen Bastard Caesarion vom Leibe zu halten.“

***

Rom – 2773 a. u. c.

Geräusche. Lärm. Ungewohnt und fremd. Geräusche einer Großstadt. Doch ganz anders als in Bremen. Das Fremdartige bleibt, auch als Kaira die Augen aufschlägt. Stuck an der Decke und eine fast altertümliche Lampe. Das ist nicht ihr Zimmer.

Dann kommt die Erinnerung zurück. Rom! Sie ist in Rom. Sie ist mit Ulf in Rom!

Eng an ihn gekuschelt, ihren Kopf auf seiner Brust gebettet, kann sie seine regelmäßigen Atemzüge spüren. Und jetzt registriert sie auch, dass das einzige und altbekannte Geräusch das beruhigende Pochen seines Herzschlages ist. Wohlige Wärme durchflutet sie. Gleich darauf, sobald ihre Erinnerungen an die vergangene Nacht in den Sinn kommen, überrollt sie eine unglaubliche Woge des Glücksgefühls.

Sofort fährt ihr der Schreck in die Glieder. Ob sie jemand gehört hat? Wissen die anderen hier im Hotel, was sich da abgespielt hat? Werden sie sich die Mäuler zerreißen oder im Frühstückssaal die Köpfe zusammenstecken, um wissend zu grinsen und leise zu tuscheln?

Doch dann fällt ihr wieder ein, dass sie als Ehepaar Bomer gemeldet sind und augenblicklich ist das Glücksgefühl wieder da. Signore e Signora Bomer hatte die Concierge gesagt, Herr und Frau Bomer. Wieso kann sich das nur so unglaublich gut anfühlen? Ihr Name ist und würde immer Saltiem sein, da gab es doch gar keinen Zweifel und doch… Sie kann nicht anders als Ulf einen stürmischen Kuss zu geben, was ihn natürlich augenblicklich aus seinen Träumen reißt.

Für einen kurzen Moment ist auch er desorientiert, aber dann wird ihm die Situation bewusst und er strahlt vor Glück als sei in seinem Innern die Sonne aufgegangen. „Guten Morgen mein Schatz“, sagt er mit noch leicht kratziger Stimme.

Sie küsst ihn erneut. „Guten Morgen mein Schatz“, erwidert sie und ihre Augen funkeln vor Glück.

Plötzlich grinst er schelmisch. „Guten Morgen Frau Bomer“, neckt er sie und erntet sofort einige kleine Boxhiebe und ein Kitzeln.

„Saltiem heißt das“, sagt sie dabei und hört erst auf ihn zu kitzeln als er sich theatralisch ergibt und die Hände hebt.

„Ich weiß, aber solange wir hier sind…“

„Nö“, fährt sie ihm in die Parade.

„Kannst du mir nicht wenigstens für die paar Tage…?“

„Nö.“

„Es fühlt sich aber so unglaublich, so saugut an.“

„Ach. Und was ist mit mir?“, protestiert sie übertrieben gekränkt.

„Also gestern hatte ich den Eindruck, dass es dir schon gefällt, oder wie war das mit dem Verlobtsein?“

„Eben. Und nicht Frau Bomer. – Das ist deine Mutter.“

Unwillkürlich zuckt er zusammen und blickt sie entsetzt an.

Dann bemerkt er die feinen Grübchen, die sich um ihre Mundwinkel bilden. Er weiß, dass sie immer dann entstehen, wenn sie sich kaum beherrschen kann ein Lachen zu unterdrücken. „Ach ja?“, geht er nun in die Offensive. „Dann wird’s aber Zeit, dass hier mal was klargestellt wird.“ Doch anstatt es näher auszuführen, ist es nun an ihm sie zu kitzeln bis sie aus dem Bett flüchtet.

„Heh! Was soll das?“, protestiert er. „Das gilt nicht.“

„Doch!“, hält sie entschieden dagegen. „Außerdem müssen wir sowieso aufstehen.“

„Wieso das denn?“

„In einer Stunde gibt’s kein Frühstück mehr und ich hab‘ echt Hunger. – Außerdem kommt gleich das Zimmermädchen und du willst doch wohl bestimmt nicht, dass sie uns dabei zusieht, oder?“ Sie bemerkt sein süffisantes Grinsen. „Ulf!“, weist sie ihn entrüstet zurecht. „Ich glaub’s ja wohl nicht.“

„Wieso? Was ist denn?“, gibt er sich unschuldig. „Ich hab‘ doch gar nichts gesagt.“

„Ha. Das glaubst du.“ Damit dreht sie sich um und geht ins Bad.

„Du kannst ja ruhig liegen bleiben, aber ich will von Rom mehr sehen als das Hotel.“

Sofort kreisen seine Gedanken wieder um all die besonderen Orte, die er sich vorgenommen hat zu besuchen, allen voran das Forum Romanum. Fast reflexhaft springt er aus dem Bett und jetzt kann es ihm kaum noch schnell genug gehen.

Selbst beim Frühstück ist er vor Vorfreude so aufgeregt, dass er kaum etwas herunterbringt und ungeduldig darauf wartet, bis Kaira sich durch die Früchte probiert und ihre kleinen Ciabatta-Brötchen gegessen hat. Zu ihrer Beruhigung hat sie festgestellt, dass niemand sie anstarrt oder tuschelt. Alles scheint seinen normalen Gang zu gehen und das junge Ehepaar Bomer, sofern überhaupt jemand von Ulfs Mummenschanz weiß, unterscheidet sich kaum von den übrigen Gästen, die mehr oder minder nur mit sich selbst beschäftigt sind.

Das ändert sich auch nicht als sie endlich das Forum Romanum erreichen. Hier stehen sie erst einmal in einer Schlange an der Kasse an, bevor sie, wie unzählige Touristen aus aller Welt, auf den von Stahlgeländern gesäumten Wegen von einem Trümmerstück zum nächsten schlendern. Die verbliebenen Säulen einiger der Tempel beflügeln die Phantasie zwar deutlich mehr, lassen aber von dem einstigen Glanz des Ortes nicht mehr viel erahnen.

Die Sonne entfaltet derweil ihre ganze Kraft und sie können nachvollziehen, weshalb bereits die Römer früherer Epochen viel unternommen haben, um für Beschattung zu sorgen. Allerdings gibt es hier auf dem Gelände keinen Fleck, außer jenen hinter Mauerresten, die allerdings abgesperrt sind, der den sengenden Sonnenstrahlen entzogen wäre.

„Puh, ist das heiß“, stöhnt Kaira und Ulf sieht sie verwundert an.

„Was ist?“, fragt sie ihn daraufhin irritiert.

„Ich hab‘ immer gedacht, dass du das gut abkannst.“

„Wieso das denn?“

Er zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht weil du so… so…“

„Nun sag schon“, fordert sie ihn argwöhnisch auf.

„Ach, ich weiß nicht. Du siehst eben so aus, als wär‘ das für dich kein Problem. So wie bei deiner Mam.“

„Es geht eben nichts über ein gepflegtes Vorurteil, ja?“

„Sorry“, murmelt er verzagt und wird ein wenig rot. „Dabei war ich die ganze Zeit sogar neidisch darauf.“

„Echt jetzt?“, erwidert sie verblüfft.

„Klar. Außerdem ist es auch das, was dich…“ Er holt tief Luft und seufzt: „Was ich an dir liebe.“

„Oh danke.“ Sie lächelt ihm verzückt zu. „Soll ich dir mal was verraten?“

„Hmm… Was denn?“

„Genauso geht es meinem Dad bei meiner Mam.“

„Kann ich mir gut vorstellen“, gibt er grinsend zu. „Der steht eben auch voll auf den, äh, südländischen Typ.“

„Hab‘ ich gemerkt“, merkt sie kühl und ein wenig schnippisch an.

„Äh, wie meinst du das denn jetzt?“

„Na im Flugzeug.“

„Im Flugzeug?“ Er blickt sie verwirrt an.

„U-ulf, ich hab’s gesehen.“

„Was…“ Plötzlich spiegelt sich Erkenntnis in seinen Zügen.

„Meinst du etwa die Stewardess?“

„Genau. Die am Ausgang.“

„Aber…“ Er stutzt und betrachtet sie skeptisch. „Moment mal. Bist du etwa eifersüchtig?“

Einem ersten Impuls folgend, will sie das vehement abstreiten. Doch dann sagt sie frei heraus: „Ja, zumindest in dem Moment war das einfach da.“

„Aber die hat doch nur…“

„Geflirtet, was das Zeug hält, um dich gehörig um den Finger zu wickeln.“

„Echt jetzt?“ Er scheint amüsiert und ein wenig geschmeichelt zu sein. Kaira hat sogar den Eindruck, dass er Gefallen an dem Gedanken findet.

„Ulf!“, reißt sie ihn in aller Strenge aus seinem Tagtraum. „Darf ich dich daran erinnern, dass wir nun verlobt sind und du mich sogar als deine Frau ausgegeben hast?“

„Oh Mann. Du bist ja wirklich eifersüchtig“, staunt er.

„Ja-a und wenn du mit dem Mist nicht gleich aufhörst, werd‘ ich auch noch sauer.“

„Schon gut. Schon gut“, rudert er zurück. „Beruhigt es dich wenn ich dir sage, dass sie einfach nur nett war?“

„Nett?“ Mehr Skepsis ließe sich in einem Wort kaum zum Ausdruck bringen. „Du meinst, sie war unglaublich hübsch, sexy…“

„Nein“, lacht er. „Das heißt, ja, sie war ganz hübsch, aber mehr auch nicht“, fügt er hastig hinzu, da er bemerkt, dass sie kurz davor zu sein scheint ihm tatsächlich eine Szene zu machen.

„Was soll das denn nun heißen?“

„Ach Kaira“, stöhnt er. „Es soll heißen…“ Er überlegt krampfhaft, wie er es so in Worte packen kann, ohne gleich den nächsten Flächenbrand auszulösen. „Es gibt Millionen hübscher Frauen, da brauchst du nur im Kiosk auf die Cover der Zeitschriften zu gucken.“

„Uuund?“

„Nichts und.“

„Hmm…“

„Okay, blöder Spruch, aber langsam fällt mir echt nichts mehr ein.“ Sie blickt ihn skeptisch an und er fährt fort: „Meine Alten sagen immer, Appetit holen geht, aber gegessen wird zu Hause. – Hilft das?“

Einen Augenblick lang sieht sie ihn weiter streng an. Dann breitet sich mehr und mehr ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie beugt sich zu ihm vor und gibt ihm einen dicken Kuss. „Ja“, sagt sie dann. „Wenn du das so siehst und dich daran hältst ist das okay.“

„Großes Ehrenwort. Da kann kommen was will und welche auch immer.“

„Nanana. Große Worte und eine echte Herausforderung ans Schicksal.“ Dabei zwinkert sie ihm verschwörerisch zu.

„Wie meinst du das denn?“

„Oooch, ich sag‘ nur Malinche.“

„Heh! Das ist unfair“, protestiert er.

„So?“

„Ja. – Schließlich waren wir da, äh, noch nicht verlobt.“

„Hmm… Hattest du mir nicht vorher diese berühmte Frage gestellt?“

Er überlegt kurz und wird tatsächlich ein wenig bleich. „Dann nochmals danke für deine Hilfe“, murmelt er zerknirscht. „War mir echt ’ne Lehre.“ Dann blitzt es kurz in seinen Augen. „Und wie war das mit dir und Cortez?“, hält er nun vehement dagegen und sie zuckt tatsächlich zusammen.

„Äh…“

„Na?“, hakt er nach.

„Okay, eins zu eins“, gibt sie zerknirscht zu.

Er grummelt etwas Unverständliches und sieht dann, dass sie tatsächlich reumütig ist. „Also, können wir den Scheiß jetzt lassen?“, grollt er und sieht ihr direkt in die Augen. „Ich liebe dich“, beteuert er mit allem Ernst. „Und wenn wieder mal eine da ist, die krumm kommt und ich das nicht gleich merke, dann gib mir gleich ’nen Tritt. Okay?“

„Okay“, stimmt sie zu und seufzt. „Du mir dann aber auch.“

„Klaro“, grinst er und bevor sie protestieren kann, wechselt er schnell das Thema. „Was meinst du, wäre das nicht echt geil, wenn wir das hier“, er weist mit ausladender Geste auf das Trümmerfeld des Forum Romanum, „live sehen könnten? Also, ich meine zu der Zeit damals.“

„Hmm… Hätte was.“

„Super. Wann geht’s los?“

„Mal langsam, mit den jungen Pferden“, bremst sie seinen Elan.

„Glaubst du, wir können da einfach so auftauchen?“ Dabei zeigt sie an sich und dann an ihm herab. „Jeans war damals bestimmt nicht angesagt, oder?“

„Najaaa…“

„Außerdem“, sie lächelt verschmitzt, „wie gut ist dein Latein?“

„Äh… Also, ich hatte auch schon mal ’ne Zwei.“

„Wow!“, spöttelt sie. „Und wie gut kannst du dich auf Latein unterhalten?“

„Unterhalten?“ Alles woran er sich erinnert sind Übersetzungen von alten Texten. Unterhaltungen, so wie im Englischunterricht, daran kann er sich nicht erinnern.

„Aha. – Danke, das ist Antwort genug. – Wie also willst du reagieren, wenn dich dann hier auf dem Forum einer anquatscht, vielleicht sogar noch auf Hebräisch, Medisch, Thrakisch oder Griechisch?“

„Äh…“ Er kratzt sich verlegen am Kopf. „Ich glaube ich brauche so’n Babelfisch.“ Da sie ihn irritiert ansieht, ergänzt er: „So wie in Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams.“

„Ach so, das meinst du. – Hmm…“, grübelt sie.

„Was heißt hier hmm?“

„Das gibt es zwar tatsächlich schon längst, aber per Internet, aber das war damals…“

„Wahrscheinlich nicht auf dem Handy zu empfangen“, scherzt er jovial.

„Genau.“

„Also müssen wir warten, bis es das irgendwann einmal off-line gibt“, schlussfolgert er.

„Im Prinzip ja“, stimmt sie nachdenklich zu. „Es sei denn…“

„Was?“

„Ich hab‘ da so eine Idee“, gibt sie verschmitzt zurück und sieht sich um. „Aber dafür sollten wir woandershin gehen.“

„Wieso das denn?“

„Willst du nun so einen Babelfisch haben oder nicht?“

„Äh… Gibt’s den denn wirklich?“

„Klar.“

„Echt? Wo?“, fragt Ulf verblüfft.

„Wenn, dann wahrscheinlich in Neu-Singapur.“

„Neu-Singapur?“

„Das größere Singapur. Das ist in der Zukunft so was wie Silicon Valley, Broadway und Hong Kong in einem.“

„Häh? Wieso größer? Haben die Landgewinnung gemacht wie die Ostfriesen?“

„Nicht nur“, erwidert sie mit zustimmendem Kopfnicken. „Später haben – oder aus unserer Sicht werden – die beiden Supermächte, das sind dann China und die Arabische Union, durchsetzen, dass Indonesien und Malaysia einige Inseln an Singapur abtreten und sogar dafür sorgen, dass weiteres Land aufgeschüttet wird.“

Ulf starrt sie entgeistert an. „Du warst schon mal da, ja? – Hört sich jedenfalls so an.“

„Ja, aber nur ’n paarmal.“

„Ich glaub’s nicht“, stöhnt er entsetzt.

„Na was? Die Zukunft finde ich eben spannender als die Vergangenheit.“

„Aber…“ Er sucht nach Worten. „Aber ist das nicht wie mogeln?

Ich meine, wenn dir da was nicht gefällt, kommst du einfach zurück und dann machst du eben was anderes und – schwupp – alles in Butter.“

„Nein“, hält sie entschieden dagegen. „Bestimmt nicht.“ Ihre Augen funkeln vor Zorn. „Außerdem könnten wir das ja auch, indem wir einfach in die Vergangenheit springen und was korrigieren. – Und das haben wir wirklich schon gemacht.“

„So?“

„Gleich am Anfang als wir uns kennengelernt haben. Schon vergessen? – An der Zugbrücke bei der Burg, damit uns dieser Ganove nicht findet16.“

„Stimmt“, muss er kleinlaut zugeben.

„Also, willst du nun den Babelfisch?“, wiederholt sie ihre Frage.

„Wenn wir den in der Zukunft einfach so abstauben können…“

„Abwarten“, erwidert sie kryptisch und tippt ihm lächelnd auf die Brust. „So, und jetzt komm mit.“

***

Rom – 708 a. u. c.

„Welch ein Geschwätz im Comitium.“ Octavius gibt sich keine Mühe seine Abneigung gegen die Mitglieder des Senats zu verbergen. Seiner Ansicht nach sind es entweder verweichlichte alte Männer oder aber missratene Kreaturen, die im politischen Geplänkel ihren Lebensinhalt sehen, ohne jedoch etwas zu tun, um die Republik voranzubringen.

„Was willst du erwarten?“, stimmt Salvius gleich ein, der ihn bis zur Pforte des Palastes von Caesar begleitet hat. „Viele von ihnen haben Rom nie in den Schlachten gedient und selbst ihr beträchtliches Vermögen nur geerbt.“ Er lässt seinen Blick taxierend über die Palastmauern wandern. „Selbst du wirst eines Tages zu den glücklichen Erben gehören.“

„Nein.“

„Nein?“ Salvius blickt seinen Freund auffordernd an.

„Wie du weißt, habe ich inzwischen mein eigenes Vermögen geschaffen…“, erklärt Octavius.

„Wohl wahr“, unterbricht Salvius ihn grübelnd.

„Und außerdem hat das Schandmaul Decimus in dieser Angelegenheit gar nicht so unrecht, denn sollte Caesar diesen jungen Ptolemaios tatsächlich als seinen Sohn anerkennen…“

„Der von vielen bereits Caesarion gerufen wird“, unterbricht ihn Salvius rüde.

„Mag sein“, antwortet Octavius ausweichend. „Aber das ist nur auf das Hintertreiben Kleopatras zurückzuführen.“ Er kann einen Seufzer nicht unterdrücken. „Jedenfalls wäre es dann selbst nach römischen Recht für mich äußerst schwierig mein Recht durchzusetzen.“

„Was willst du tun?“

„Nichts.“

„Nichts?“

„Genau“, bekräftigt Octavius. „Alles, was ich unternähme, würde sich gegen mich richten. – Nein, ich muss Geduld haben.“

„Und wenn Caesar dich doch noch adoptiert?“

Octavius zuckt gleichgültig mit den Achseln. „Wenn, ja wenn…“

„Du könntest aber auch behaupten, es sei dein eigener Spross.“

„Nie und nimmer!“, lacht Octavius und wird dann wieder ernst.

„Nein, mein lieber Freund. Das nähme mir niemand ab, zumal ich zum besagten Zeitpunkt nachweislich nicht in der Nähe war.“ Wieder entschlüpft ihm ein Seufzer. „Außerdem steht sie mehr auf ältere Männer.“

„Oh! Höre ich da etwa ein bedauern?“, feixt Salvius. Doch sein Freund verzieht keine Miene. „Mir scheint, sie macht da keinerlei Unterschiede.“

„Nun, der Verweis auf Marcus Antonius war insofern schwerlich von der Hand zu weisen“, hält Octavius beharrlich dagegen.

„So viele Jahre älter als wir ist er nicht und es sollte mich wundern, wenn sie nicht den einen oder anderen Jüngling…“

„Schweig!“, fährt Octavius ihn wütend an.

Salvius zuckt erschrocken zurück. Doch sofort umspielt ein süffisantes Lächeln seine Lippen. „Oh-oh! – Dann steht es ja schlimmer um dich als ich es für möglich gehalten hätte.“ Er beugt sich vor und sieht seinen Freund prüfend, ja ein wenig herausfordernd an. „Nun sag‘ schon. Bist du ihr etwa verfallen?“

„Nein“, entgegnet Octavius, was aber selbst in seinen Ohren nicht sehr überzeugend klingt.

„Sieh dich vor“, beschwört ihn Salvius. „Nichts nährt den Zorn und die Rache eines Mannes, der sich um sein Weib betrogen fühlt, auch wenn er Gaius Iulius Caesar ist.“

„Ich weiß“, seufzt Octavius. „Deshalb kann ich es auch kaum erwarten, bis es nach Hispanien geht.“

„Unerfüllte Liebe hat so manchen Feldherrn zu Heldentaten beflügelt“, philosophiert Salvius. „So wirst du es am Ende ihr zu verdanken haben, wenn du selbst mal in die Rolle des Diktators schlüpfst.“

„Wieder ein wenn“, knurrt Octavius. „Sprechen wir lieber von den schönen Dingen. Willst du nicht doch mit hereinkommen und den neuen guten Wein kosten?“

„Heute leider nicht. Sonst gern“, wehrt Salvius ab. „Vielleicht morgen?“

„Gut. Dann morgen“, entgegnet Octavius und die beiden verabschieden sich auf ihre besondere Weise mit einer Umarmung.