Kaiser Max von Mexiko - Karl May - E-Book

Kaiser Max von Mexiko E-Book

Karl May

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Beschreibung

Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde (später auch: Das Waldröschen oder die Verfolgung rund um die Erde) ist der erste von fünf Kolportageromanen von Karl May, erschienen zwischen zwischen 1882 und 1884 in 109 Fortsetzungen. Dies ist Band 6, Teil 2.

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Kaiser Max von Mexiko

Karl May

Inhalt:

Karl May – Biografie und Bibliografie

Kaiser Max von Mexiko

1. Kapitel.

2. Kapitel.

3. Kapitel.

4. Kapitel.

5. Kapitel.

6. Kapitel.

7. Kapitel.

8. Kapitel.

9. Kapitel.

10. Kapitel.

11. Kapitel.

12. Kapitel.

13. Kapitel.

14. Kapitel.

15. Kapitel.

16. Kapitel.

17. Kapitel.

18. Kapitel.

19. Kapitel.

20. Kapitel.

21. Kapitel.

22. Kapitel.

23. Kapitel.

24. Kapitel.

25. Kapitel.

26. Kapitel.

27. Kapitel.

28. Kapitel.

29. Kapitel.

30. Kapitel.

31. Kapitel.

32. Kapitel.

33. Kapitel.

Kaiser Max von Mexiko, Karl May

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849609610

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Cover Design: © Can Stock Photo Inc. / javarman

Karl May – Biografie und Bibliografie

Am 25. Februar 1842 wird Karl May wird als fünftes Kind des Webers Heinrich May und dessen Ehefrau Wilhelmine (geb. Weise) in Ernstthal (Sachsen) geboren. Obwohl er kurz nach seiner Geburt erblindet wird er im Alter von 5 Jahren von der Krankheit geheilt. Bereits mit 14 Jahren beginnt er eine Ausbildung zum Volksschullehrer, die er 1861 besteht. Noch im gleichen Jahr verliert May seinen Arbeitsplatz als Lehrer wegen wiederholten Diebstahls. Ab 1863 wird es ihm verboten zu unterrichten.

Von 1865 bis 1869 wird May immer wieder straffällig und muss von 1870 bis 1874 ins Gefängnis. Danach beginnt May zu schreiben und in "Der Deutsche Hausschatz" erscheinen erste Erzählungen: "Reiseabenteuer in Kurdistan", "Die Todeskaravane" oder "Stambul". Seine Romane erfahren immer mehr Zuspruch und 1893 erscheint die Winnetou-Reihe. Bis 1898 veröffentlicht May über 30 Bände mit immer steigender Auflage.

Erst 1899 unternimmt May erstmals eine Reise in den Orient, 1908 sieht er zum ersten Mal die Vereinigten Staaten. Alles was er geschrieben hatte war pure Fiktion! Er stirbt am 30. März 1912 an einem Herzschlag.

Zu seinen wichtigsten Werken zählen Durch die Wüste und Harem (1892) ,Durchs wilde Kurdistan (1892), Von Bagdad nach Stambul (1892), In den Schluchten des Balkan (1892), Durch das Land der Skipetaren (1892), Der Schut (1892), Winnetou I (1893), Winnetou II (1893), Winnetou III (1893), Orangen und Datteln (1893), Am Stillen Ozean (1894), Am Rio de la Plata (1894), In den Cordilleren (1894),  Old Surehand I (1894), Old Surehand II (1895), Im Lande des Mahdi I (1896), Im Lande des Mahdi II (1896), Im Lande des Mahdi III (1896), Old Surehand III (1897), Satan und Ischariot I (1896) ,Satan und Ischariot II (1897), Satan und Ischariot III (1897), Auf fremden Pfaden (1897), „Weihnacht!“ (1897), Im Reiche des silbernen Löwen I (1898), Im Reiche des silbernen Löwen II (1898), Am Jenseits (1899), Der Sohn des Bärenjägers (1887), Der Geist des Llano estakato (1888), Der blaurote Methusalem (1888), Die Sklavenkarawane (1889/90), Der Schatz im Silbersee (1890/91), Das Vermächtnis des Inka (1891/92), Der Ölprinz (1893/94) und Der schwarze Mustang (1896/97).

Kaiser Max von Mexiko

1. Kapitel.

Es war einige Tage später, da erzitterte die Ebene, die sich nördlich von Santa Katharina ausbreitete, unter dem Hufschlag galoppierender Pferde.

Eine Anzahl von dreihundert Reitern sprengte im Galopp über die freie, von kurzem, dünnem Gras bewachsene Prärie. Sie waren verschieden gekleidet und verschieden bewaffnet, schienen aber eine zusammengehörige Truppe zu bilden.

An der Spitze ritten drei Männer, zwei ältere und ein jüngerer. In dem älteren erkennen wir Pablo Cortejo, der jüngere war Josefa, seine Tochter, in Männertracht gekleidet und auch nach Männerart im Sattel sitzend. Es schien ihr dies nicht leicht zu werden, wie man aus ihrer unsicheren Haltung ersah. Der dritte war nicht ganz so alt wie Cortejo, hatte aber ebensoviel Erfahrung wie dieser. Sein Gesicht war nicht nur kein Zutrauen erweckendes, sondern geradezu ein häßliches und abschreckendes. Er war bewaffnet bis an den Hals und hatte ganz das Aussehen eines Mannes, mit dem nicht ungestraft verkehrt werden kann. Gerade jetzt schien sein Gesicht einen noch finstereren Ausdruck zu besitzen als gewöhnlich. Seine stechenden Augen musterten den Horizont und kehrten immer wieder mit einem unbefriedigten Blick auf die nächste Umgebung zurück.

Endlich stieß er einen lauten, gotteslästerlichen Fluch aus und fügte hinzu:

»Wann hat endlich dieser verdammte Ritt ein Ende, Señor Cortejo?« – »Geduldet Euch nur noch kurze Zeit«, antwortete dieser. »Wir werden sogleich links einbiegen und absitzen können.« – »Wo? Ich sehe doch die Hazienda nicht!« – »Blickt da scharf nach links hinüber! Seht Ihr den dunklen Streifen?« – »Ja. Was ist das?« – »Ein Wald.« – »Ein Wald? So meint Ihr, daß wir in einem Wald absitzen sollen?« – »Ja.« – »Warum?« – »Um uns auszuruhen und zugleich einen Kundschafter auszusenden.« – »Ihr seid wohl nicht recht bei Sinnen, ich bin kein Mann, der sich gern im Wald herumdrückt. Wozu einen Kundschafter, he?« – »Aus Vorsicht. Wir müssen erst sehen, wie es auf der Hazienda steht.« – »Das sehe ich nicht ein. Wozu diese lange Einleitung? Wir sind fast dreihundert Mann und brauchen nichts zu fürchten. Wir reiten einfach vor die Hazienda, dringen ein, töten, was sich uns widersetzt und sind dann die Herren des Ortes. Ich habe Euch meine Leute zugeführt, um in Eurem Dienst gute Beute zu machen, nicht aber, um uns in den Wäldern herumzudrücken.« – »Wer sagt Euch denn, daß Ihr das letztere tun sollt?« – »Ihr soeben.« – »So habt Ihr mich ganz verkehrt verstanden. Es handelt sich nur um einen kurzen Aufenthalt, nicht aber um ein längeres Bleiben im Wald.« – »Auch dieser kurze Aufenthalt ist unnötig.« – »Meint Ihr? Wie nun, wenn sich Franzosen auf der Hazienda befinden?« – »Alle Teufel, das ist wahr! Die kriechen überall herum. Aber ich denke, die Hacienda del Erina liegt so sehr einsam. Was wollen die Franzosen dort?« – »Ja, sie liegt einsam, aber doch immer auf dem großen Reitweg nach Coahuila. Da ist es sehr leicht denkbar, daß der Feind sich ihrer bemächtigt hat, um ein Etappenkommando hineinzulegen.« – »Dieses würde wohl nicht sehr stark sein.« – »Das steht allerdings zu erwarten; aber es ist zugleich höchst wahrscheinlich, daß in diesem Fall der Feind die Hazienda befestigt haben wird.« – »Hm, Ihr mögt recht haben. Senden wir also einen Boten ab, der Erkundigungen einzieht; aber wir wollen scharf reiten, damit wir rasch den Wald erreichen.«

Der vor den Reitern liegende Streifen trat deutlicher hervor und ließ sich schließlich als ein Forst erkennen, auf den die Pferde zuflogen. Es war derselbe Wald, in dem die früher erzählten Ereignisse geschehen waren. Als er erreicht wurde, drangen die Reiter ein Stück in denselben ein und ließen die Pferde unter Aufsicht weiden. Sie selbst lagerten sich auf dem Boden und zogen Lebensmittel hervor, die sie bei sich führten.

Die drei, die vorhin an der Spitze des Zuges geritten waren, saßen beieinander.

»Jetzt sucht einmal einen Mann heraus, auf den wir uns verlassen können«, sagte Cortejo. »Er muß Gewandtheit und Schlauheit besitzen.« – »Da kann ich den ersten besten nehmen. Meine Kerle sind alle gescheit. Vorher aber gilt es, uns klarzuwerden über das, was ich haben soll.« – »Ich denke, darüber sind wir bereits im klaren? Ihr bekommt ja Euren Sold.« – »Sold und Beute habe ich verlangt. Den Sold habt Ihr ehrlich bezahlt, die Beute aber hat bisher auf sich warten lassen. Wie steht es in dieser Beziehung auf del Erina?« – »Ganz gut für Euch. Ihr könnt alles nehmen, nur eins will ich für mich, und zwar die Kaufakten über die Besitzung.« – »Alle Teufel, Ihr seid kein dummer Kerl. Mit diesen Akten kommt ja wohl die ganze Besitzung in Eure Hände. Nun, mir und den Meinigen würde sie doch keinen Nutzen bringen. Die Gebäude können wir auch nicht in die Tasche stecken, aber von dem, was sich darin befindet, wird für Euch wohl nicht viel bleiben.« – »Das ist mir gleich, wenn ich nur die Kaufakten bekomme.« – »Und wie ist es mit den Bewohnern? Geben wir ihnen eine Kugel?« – »Das macht ganz, wie Ihr wollt.« – »Besser ist es, sie sind tot, dann können sie nicht mehr reden.« – »Meinetwegen! Zwei Personen aber müßt Ihr mir überlassen, den Haziendero Pedro Arbellez und eine alte Frau namens Hermoyes.« – »Was wollt Ihr denn mit ihnen?« – »Ich habe ein ganz besonderes Hühnchen mit ihnen zu rupfen.« – »So rupft nur zu, ich will Euch nicht im Weg stehen. Im Gegenteil, wo es sich um eine alte Frau handelt, bleibe ich gern so weit wie möglich entfernt. Wie weit ist es von hier bis nach der Hazienda?« – »In einer kleinen Stunde ist sie zu erreichen.« – »Wird man den Mann aufnehmen, den ich hinschicke?« – »Jedenfalls, wenn er sich nicht etwa vor den Franzosen fürchtet.« – »Das wird ihm nicht einfallen. Als was aber soll er sich ausgeben? Etwa für einen Vaquero, der in die Dienste des Haziendero treten will?« – »Nein, Pedro Arbellez ist ein Anhänger von Juarez, dem er es zu verdanken hat, daß ihm auch noch die Hacienda Vandaqua zugefallen ist. Der Mann mag sich für einen Boten ausgeben, der zu Juarez will.« – »Ah, nach El Paso del Norte?« – »Ja.« – »Von wem soll er denn gesandt sein?« – »Von einem der bekannten Anhänger des Juarez, vielleicht vom General Porfirio Diaz, der der berühmteste Parteigänger des Indianers ist.« – »Gut. Was aber dann weiter?« – »Der Mann wird als Bote des Generals das Vertrauen des Haziendero erringen und alles erfahren. Er wird hören, in welcher Weise die Franzosen, falls welche da sind, überrumpelt werden können. Um Mitternacht mag er also die Hazienda verlassen und vom Tor aus in ganz schnurgerader Richtung vorwärts schreiten. Da wird er uns finden, und wir können tun, was den Umständen nach das beste ist.« – »Dieser Plan ist nicht übel; ich werde gehen, um jemanden auszuwählen.«

Der Sprecher erhob sich und entfernte sich. Josefa hatte sich bisher schweigsam verhalten, jetzt sagte sie:

»Dieser Mann gefällt mir je länger, desto weniger. Dir auch, Vater?« – »Du hast recht. Er spielt den Anführer, der ich doch bin.« – »Man muß sich seiner entledigen.« – »Habe keine Sorge, Kind. Er wird mich nicht lange mehr mit seiner Dreistigkeit ärgern. Erst muß ich den Engländer haben, dann brauche ich den Kerl nicht mehr. Er verdirbt mir auch die Leute, die ich vorher bei mir hatte.« – »So glaubst du wirklich, daß wir den Engländer erwischen werden?« – »Ganz gewiß. Meine Nachrichten sind zu sicher.« – »Welch eine Wonne! Diese stolze Amy soll vor mir niederknien und mich weinend um Gnade bitten; ich aber werde sie mit Füßen treten. Diese Brut muß vernichtet werden. Was jedoch tun wir mit Pedro Arbellez?« – »Er muß die Kaufurkunde herausgeben und wird dann unschädlich gemacht.« – »Tot?« fragte Josefa, indem ihre Eulenaugen funkelten. – »Ja. Nur dann sind wir seines Schweigens sicher.« – »Und diese Marie Hermoyes?« – »Auch sie muß sterben. Sie ist zu tief in unser Geheimnis eingedrungen, als daß wir sie leben lassen könnten.« – »Du hast recht, Vater. Sterben müssen sie, aber nur nicht gleich.« – »Warum nicht?« – »Ist ein rascher Tod eine Strafe für sie? Können wir uns keine größere Genugtuung bieten? Können wir uns nicht an ihren Qualen weiden?« – »Ich nicht, du aber kannst es.« – »Warum du nicht?« – »Weil ich die Hazienda sofort verlasse, um nach dem Rio Grande zu reiten und Lindsay zu suchen. Ich lasse auf del Erina eine Besatzung zurück. Es werden sich auch diejenigen hinzufinden, die von meinen Agenten angeworben wurden. Du bleibst dann in der Hazienda zurück und vertrittst meine Stelle, bis ich wiederkomme. Ich hoffe, daß wir in kurzer Zeit genug Leute haben werden, um losbrechen zu können. Wenn ich die Franzosen angreife und als der Retter Mexikos auftrete, werden mir Tausende zuströmen.« – »Ja, Vater, du der Retter und ich die Retterin. Ich werde von ganz Mexiko verehrt und angebetet werden, denn ich werde mir eine Fahne machen und eine Rüstung kaufen, um mich wie die Jungfrau von Orleans an die Spitze der Armee zu stellen und in den blutigen Kampf zu ziehen.« – »Mädchen, bist du toll? Da wirst du ja erschossen!« – »Fällt mir nicht ein. Wenn das Schießen beginnt, geht man auf die Seite.«

Vater und Tochter konnten dieses höchst interessante Gespräch leider nicht fortsetzen, denn der Mexikaner kehrte zurück, nahm wieder bei ihnen Platz und benachrichtigte sie, daß der Bote, den er nach der Hacienda del Erina bestimmt habe, bereits abgeritten sei.

2. Kapitel.

Die uns so wohlbekannte Hazienda hatte gegenwärtig noch ganz dasselbe Aussehen wie in früheren Jahren, bot aber heute einen nicht ganz friedlichen Anblick dar.

An einer jeden Ecke war eine Art Verschanzung aufgeworfen, auf der ein französischer Posten Wache hielt, und im Hof lagen eine ziemliche Anzahl Soldaten herum, die unter dem Befehl des Hauptmannes dazu bestimmt waren, die Hazienda zu beschützen.

Dieser Hauptmann saß droben in dem Speisesaal, den wir auch bereits kennen, und unterhielt sich mit dem Haziendero und dessen Freundin Marie Hermoyes.

Der Haziendero lag müde in einer Hängematte. Er war, seit er sein Kind verloren hatte, fürchterlich gealtert. Sein Haar war lang und schneeweiß, ja, es hatte fast den durchsichtigen Schein des Eises. Seine Gestalt war eingetrocknet und zusammengebogen. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der weit über hundert Jahre zählte.

Auch die alte Marie war ergraut, aber sie erschien weit rüstiger als ihr Herr.

Der Hauptmann war ein nicht zu alter Mann, aber ein Dutzendmensch, nicht gut und nicht böse, nicht klug und auch nicht dumm. Soeben hatte ihn ein Soldat verlassen, der ein versiegeltes Schreiben, das von einem Kavalleristen gebracht worden war, überreicht hatte.

»Verzeihung, daß ich öffne!« sagte er zu Arbellez. »Dienst geht allem vor.«

Damit machte der Hauptmann den Brief auf. Während er las, nahm sein Gesicht einen höchst gespannten Ausdruck an. Er legte endlich das Schreiben wieder zusammen, steckte es zu sich und sagte:

»Da erhalte ich eine Nachricht, die mir ebenso lieb wie unlieb ist.«

Arbellez blickte ihn an, ohne ihn durch eine Frage zum Sprechen aufzufordern. Er hatte während der Anwesenheit der Franzosen sich sehr wohl gehütet zu zeigen oder ahnen zu lassen, daß er ein Freund des Vaterlandes, ein Anhänger von Juarez sei.

»Ich weiß«, fuhr der Franzose fort, »daß Sie uns nicht feindlich gesinnt sind, und darum darf ich Ihnen sagen, um was es sich handelt. Sie wissen wohl, wie weit unsere Truppen das Land besetzt haben?« – »Bis Chihuahua«, antwortete der Haziendero mit einem unterdrückten Seufzer. – »Ja. Wir haben ein Bündnis mit den Komantschen geschlossen, die bereit sind, als irreguläre Kavallerie unserer Sache zu dienen. Nun haben Sie vielleicht gehört, daß der Expräsident Juarez bis an die äußerste Grenze des Landes geflohen ist?« – »Ja, bis El Paso del Norte.« – »Ihn auch von dort zu vertreiben, war unsere Aufgabe. Er mußte entweder gefangen oder hinüber nach Nordamerika getrieben werden. Das ist nun geschehen.« – »Ah, wirklich?« fragte Arbellez rasch. »Er ist – gefangen?« – »Nein, leider nicht.« – »Also vertrieben?« – »Ja. Paso del Norte befindet sich in unserem Besitz, wie mir hier gemeldet wird. Außerdem kennen Sie vielleicht ein Fort, das am Puercosfluß liegt und Guadeloupe heißt?« – »Ja, ich kenne es«, antwortete der Haziendero, noch aufmerksamer werdend. – »Auch dieses ist in unsere Hände gefallen.« – »Ich gratuliere, Señor.« – »Ich danke, Monsieur. Es befindet sich also die Nordgrenze ganz in unseren Händen. Wir haben da, wie ich gelesen habe, mehrere Siege erfochten. Paso del Norte und Guadeloupe sind unser. In einer Schlucht, die Teufelsschlucht genannt, haben wir einen Trupp von fast tausend Jägern und feindlichen Apachen aufgerieben, und endlich ist uns auch ein General der Union, ein gewisser Hannert, in die Hände gefallen, der Juarez Geld bringen sollte.«

Der Haziendero hatte Mühe, seinen Schreck zu verbergen.

»So haben Sie das Geld?« fragte er. – »Natürlich.« – »War es viel?« – »Man schreibt mir, daß es viele Millionen seien.« – »So gratuliere ich abermals, Señor Capitano.« – »Ich danke, Monsieur! Es steht ja gar nicht anders zu erwarten, als daß wir überall siegen müssen. Unsere glorreiche Armee hat an allen Orten der Erde ihre Schule erhalten. Wir haben in Afrika, Asien und Amerika gesiegt; Europa zittert vor uns; ein Juarez und ein Haufen wilder Apachen wird von uns einfach niedergetreten und zermalmt.«

Da trat ein Unteroffizier ein, der einen einfach und harmlos aussehenden Mann geführt brachte, und meldete:

»Mein Kapitän, dieser Mann ist soeben angekommen; er gab vor, mit dem Besitzer sprechen zu wollen.«

Während dieser Meldung war das Auge des Hauptmanns auf den Unteroffizier gerichtet. Dadurch gewann der Fremde Zeit, dem Haziendero einen unbemerkten Wink zu geben. Arbellez verstand diesen Wink allerdings nicht, aber er sagte sich, daß den Mann eine Absicht, die den Franzosen verborgen bleiben solle, herbeiführte, und beschloß, sich danach zu verhalten.

Der Offizier wandte sich an den Mann:

»Wir sind hier auf Etappe und dürfen also nicht jeden frei passieren lassen. Wer bist du?« – »Ich bin ein armer Vaquero, Señor«, antwortete der Gefragte. – »Woher?« – »Aus der Gegend von Castannola.« – »Was willst du hier?« – »Mein Herr hat Unglück gehabt Einige seiner besten Herden sind ihm mit den Büffeln davongegangen, und er braucht nun nicht mehr so viele Hirten als vorher. Er hat eine Anzahl derselben entlassen, und ich bin leider auch dabei. Ich kenne Señor Arbellez als einen Mann, der gut bezahlt und seine Leute gut behandelt; darum kam ich her, um zu fragen, ob ich nicht bei ihm in Dienst treten kann.« – »Hast du eine Legitimation, einen Entlassungsschein?«

Ein eigentümliches Lächeln ging über das Gesicht des Mannes, aber er antwortete bescheiden:

»Señor, das mag in Frankreich so gehalten werden, in Mexiko aber fragt man nicht nach solchen Dingen. Wollte ich ein Zeugnis verlangen, so würde ich ausgelacht« – »Ja, ich habe mich leider nicht nach Euren Gebräuchen, sondern nach meiner Instruktion zu richten. Ich darf hier nur solche Leute zulassen, die sich legitimieren können.«

Da legte sich der Haziendero ins Mittel. Er kannte zwar den Mann nicht sagte aber doch:

»Señor, bei diesem Mann ist eine Legitimation unnötig. Ich garantiere für ihn.« – »So kennen Sie ihn?« – »Ja.« – »Das ist etwas anderes, Señor. Kennen Sie auch seinen Namen?«

Der Haziendero beschloß, den ersten besten Namen zu nennen.

»Natürlich!« antwortete er. »Dieser Vaquero heißt Pablo Rebando. Sein Bruder hat bei mir in Dienst gestanden, und ich bin sehr mit ihm zufrieden gewesen.« – »So haben Sie vielleicht die Absicht ihn zu engagieren, Monsieur?« – »Allerdings.« – »Gut ich gebe Ihnen meine Erlaubnis dazu und werde seinen Namen in die Hausstandsliste, die ich über die Hazienda zu führen habe, eintragen.« – »Ich danke, Monsieur, und bitte um Verzeihung, daß ich Ihnen so viel Mühe bereite.« – »Ah, wenn man weiter keine Mühe hätte«, erwiderte der Offizier, indem er sich zum Gehen erhob, »so wäre es sehr bequem und leicht, Etappenkommandant zu sein. Was ich Ihnen noch sagen muß, ist daß ich vielleicht recht bald Abschied von Ihnen zu nehmen habe.« – »Das würde mir unendlich leid tun, Señor!« zwang sich Arbellez zu sagen. – »Es scheinen Truppenzusammenziehungen bevorzustehen, vielleicht eines großen, kräftigen Vorstoßes wegen. Es wurde mir in dem Brief der Befehl, mich bereitzuhalten.« – »Ist dies bald zu erwarten, Señor?« – »Heute und morgen noch nicht. Es vergehen ja Tage, ehe so ein Befehl aus Chihuahua oder Coahuila hier anlangen kann. Adieu jetzt, Señor!«

Der Offizier ging. Es war ihm gar nicht eingefallen, daß der große Truppenvorstoß und seine eigene Marschbereitschaft mit den erfochtenen Siegen, von denen er erzählt hatte, nicht in Einklang zu bringen seien.

Jetzt befanden sich Arbellez und Marie Hermoyes mit dem angeblichen Vaquero allein.

»Nun, mein Freund, ich hoffe, daß du mit mir zufrieden bist«, sagte der Haziendero zu ihm. »Ich habe deinetwegen eine Unwahrheit gesagt, was ich sonst niemals tue.« – »Ich danke Euch, Señor«, antwortete der Mann. »Ich denke, diese kleine Unwahrheit rechtfertigen zu können. Es war mir nicht gleichgültig, zu sehen, daß Eure Hazienda von den Franzosen besetzt ist.« – »Du wußtest das nicht?« – »Nein. Und als ich es erfuhr, glaubte ich doch nicht, von den Franzosen förmlich verhört zu werden. Eine Legitimation, ein Zeugnis in Mexiko. Es ist unerhört.« Der Mann lachte herzlich, und Arbellez stimmte ein. – »Nun sage mir aber auch, wer du bist«, meinte der letztere. – »Mein Name ist Armandos, Señor. Ich komme aus Oaxaca.« – »Aus Oaxaca? Ah, wo jetzt der helle Aufstand herrscht?« – »Ja. Ihr habt doch von General Porfirio Diaz gehört?« – »Viel, sehr viel, mein Freund. Er ist der tüchtigste und bravste General, den es jemals in Mexiko gegeben hat, und ein ehrlicher Mann dazu, was leider eine Seltenheit ist.« – »Nun, so wißt Ihr vielleicht auch, daß Diaz die Fahne gegen Frankreich erhoben hat.« – »Ich weiß es. Wie man erzählt, ist er siegreich gewesen?« – »Ja. Diaz hat überhaupt noch nie ein Treffen verloren. Er faßt die Franzosen im Süden des Landes an und wünscht nun, daß Juarez im Norden losbreche.« – »Wenn Gott nur geben wollte, daß dies möglich ist.« – »Warum sollte dies nicht möglich sein? Diaz hat mir wichtige Depeschen anvertraut, die ich dem Präsidenten bringen soll.« – »Ah, so bist du ein Bote des Generals?« fragte Arbellez erstaunt. – »Ja, Señor. Ich komme aus dem Süden und bin in einer Tour bis hierhergeritten.« – »Mann, das ist ein Meisterstück!« – »Da habt Ihr recht. Es war nicht wenig Schlauheit und Vorsicht nötig, um unentdeckt durch die von den Feinden besetzten Provinzen zu kommen. Ich bin vor Anstrengung halbtot und bedarf einen oder zwei Tage der Ruhe. Ihr wurdet mir als ein guter und treuer Patriot geschildert, und so beschloß ich, Euch um Gastfreundschaft anzusprechen.« – »Daran hast du sehr recht getan. Du bist mir willkommen, und ich denke, daß für dich und deine Depeschen nichts zu befürchten ist, trotzdem du bei mir mitten unter den Franzosen bist. Soll ich dir die Depeschen verwahren?« – »O nein, Señor. Das ist nicht notwendig. Sie sind bei mir so gut versteckt, daß sie niemand finden wird. Ich danke Euch sehr für euren guten Willen.« – »Es war gut gemeint; wo gedenkst du Juarez zu treffen?« – »In El Paso del Norte.« – »Dort ist er nicht mehr.« – »Wo sonst?« – »Ich weiß es nicht. Der Capitano hat vorhin die Nachricht erhalten, daß der Präsident aus El Paso vertrieben worden ist« – »Durch wen, Señor?« – »Durch die Franzosen.« – »Der Teufel soll sie holen. Nun wird meine Aufgabe doppelt schwer.« – »Das ist sehr richtig, lieber Freund. Willst du erfahren, wo Juarez sich befindet?« – »Ich muß nach El Paso und hoffe, es dort zu hören.« – »Dies ist aber sehr gefährlich für dich.« – »Ich bin die Gefahr gewöhnt, Señor.« – »Das will ich glauben. Wärst du furchtsam, so hätte Diaz dir nicht eine so sehr wichtige Angelegenheit anvertraut. Bist du gut beritten?« – »So leidlich, aber mein Pferd ist durch den weiten Ritt sehr heruntergekommen.« – »Nimm dir aus meiner Herde ein besseres.« – »Ich danke Euch, Señor, und werde euer Verhalten gegen Juarez zu rühmen wissen. Wollt Ihr mir sagen, wo ich mich hier aufzuhalten habe?« – »Das kommt ganz auf dich an. Bist du wirklich nur ein Vaquero?« – »Hm! Ich mußte mich für einen solchen ausgeben.« – »Gut, so mußt du dich auch in dieser Rolle zeigen. Ich habe dich in Dienst genommen, du wirst also bei meinen Vaqueros sein. Sie liegen entweder in einem Raum des Erdgeschosses oder draußen vor dem Haus.« – »Wird man mich ungehindert heraus- und hineinpassieren lassen?« – »Jedenfalls. Da du als Vaquero auftrittst, darf ich dich auch nicht bedienen lassen. Für Speise und Trank werden deine Kollegen sorgen. Hast du sonst noch einen Wunsch, so brauchst du ihn mir nur mitzuteilen.« – »Ich danke Euch, Señor. Ich brauche nichts als Ruhe und ein besseres Pferd. Beides habt Ihr mir bereits gewährt; ich bin zufrieden.«

Er zog sich zurück. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sagte Marie Hermoyes:

»Wißt Ihr, Señor, daß Ihr Euch da in eine gefährliche Sache eingelassen habt?« – »Gefährlich? Wieso?« – »Wenn nun die Franzosen entdecken, daß der Mann ein Bote von Diaz ist?« – »Das wäre sehr zu beklagen; aber was sollte es mir schaden?« – »Ihr habt ja gesagt daß Ihr ihn und seinen Bruder kennt« – »Das ist wahr. Aber ich sehe da noch keine Gefahr voraus. Kann ich denn wissen, daß dieser Mann, der in meine Dienste treten will, sozusagen ein Spion ist?« – »Hm. Habt Ihr ihn Euch richtig betrachtet?« – Ja.« – »Wie gefiel er Euch?« – »Wie er mir gefiel? Oh, ich bin kein Frauenzimmer, Señora«, lachte Arbellez.

Marie Hermoyes zuckte lächelnd die Achseln, fuhr aber in besorgtem Ton fort:

»So ist es natürlich nicht gemeint. Habt Ihr sein Auge betrachtet? Sein Blick war nicht gut, gar nicht gut.« – »Inwiefern?« – »So unstet.« – »Hm, ja. Sein Auge war sehr unruhig, es fuhr im Zimmer herum, als ob er etwas suche und doch nicht finden könne; das habe ich allerdings auch bemerkt.« – »Er hatte ein falsches, treuloses Auge. Ich könnte ihm kein Vertrauen schenken.« – »Das ist auch gar nicht nötig. Er ist ein Bote; er ruht sich bei uns aus und wird wieder gehen. Ob er einen guten oder bösen Charakter hat, das geht uns nichts an.«

Damit war die Sache abgemacht. Der gute Arbellez ahnte nicht, wie sehr Marie Hermoyes mit ihrem Mißtrauen recht hatte. Er sollte es leider erfahren.

Der Vaquero, der sich Armandos genannt hatte, gesellte sich unterdessen zu den Rinderhirten, die ihren Aufenthalt im Erdgeschoß hatten. Er erhielt zu essen und zu trinken und erfuhr im Laufe des Gesprächs alles, was er zu wissen beabsichtigte.

Später verließ er das Haus und begab sich hinaus auf das Feld, wo andere Hirten nach ihrer Gewohnheit am Feuer saßen. Hier vervollständigte er seine Erkundigungen, so daß er am Abend genügend orientiert war.

Nun streckte er sich in das Gras, wickelte sich in seine Decke und tat, als ob er schlafe. Niemand kümmerte sich um ihn, und das war ihm recht.

3. Kapitel.

So kam Mitternacht heran. Die Vaqueros schliefen, und Armandos konnte sich entfernen, ohne daß sein Gehen auffiel. Er schlug, um von den französischen Posten nicht bemerkt zu werden, einen Bogen, bis er sich dem Eingang gegenüber befand, und schritt dann in schnurgerader Richtung in die Nacht hinein.

Er war noch gar nicht weit gegangen, so bemerkte er eine dunkle Masse vor sich.

»Halt. Wer da?« fragte halblaut eine Stimme.

Die dunkle Masse bestand aus den Leuten, die er suchte.

»Ich bin es«, antwortete er. – »Endlich.«

Dieses letztere Wort kam von Cortejo, der in der Nähe hielt und jetzt mit seiner Tochter und dem Mexikaner, der heute an seiner Seite geritten war, näher trat.

»Wie steht es?« fragte er. – »Schlecht und gut zu gleicher Zeit«, antwortete der Mann. – »Warum schlecht?« – »Weil die Hazienda von den Franzosen besetzt ist« – »Alle Teufel, das ist höchst unangenehm. Ich habe also recht gehabt. Sind es viele?« – »Ich habe gegen dreißig Mann gezählt« – »Dann ist es ja gar nicht so schlimm. Wer ist ihr Anführer?« – »Ein Capitano, der durchaus nicht wie ein großer Held aussieht.« – »Ich werde mit ihm fertig werden. Aber hast du nicht gehört, warum man auf den Gedanken gekommen ist, gerade die Hazienda zu besetzen?« – »Sie ist Etappenstation.« – »Das ist nicht gut. Es ist so, wie ich dachte. Die Hazienda liegt am großen Reitweg nach Coahuila. Wenn wir sie wegnehmen, werden wir bald wieder Besuch erhalten und uns tüchtig herumzuschlagen haben.«

Da meinte der mexikanische Anführer, der bisher geschwiegen hatte:

»Das müssen wir mit in den Kauf nehmen. Die Sache hat auch ihr Gutes. Indem wir diese Etappe fortnehmen, zerreißen wir die Verbindungslinie des Feindes. Das ist ein großer Vorteil für uns.« – »Recht habt Ihr. Es ist nur notwendig, eine so starke Besatzung in die Hazienda zu legen, daß diese uns nicht wieder genommen werden kann. Sie soll ja den Punkt bilden, von dem meine Operationen ausgehen. Wird sie gut bewacht?« – »Sehr nachlässig«, antwortete der Spion. »Es sind an den vier Ecken Schanzen aufgeworfen; auf jeder steht ein Posten; das ist alles.« – »Und die anderen?« – »Die liegen im Hof und schlafen.« – »Der Capitano auch?« – »Nein; der bewohnt ein Zimmer im Gebäude.« – »Kennst du es?« – »Nein. Ich wollte nicht unvorsichtig fragen. Der Kerl kann uns ja nicht entwischen.« – »Und wie steht es mit den Vaqueros?« – »Einige schlafen im Erdgeschoß und einige im Freien.« – »Hast du mit dem Haziendero selbst gesprochen?« – »Ja. Er ist ein sehr einfältiger Mensch; er glaubte alles, was ich ihm sagte. Übrigens brauchen wir uns vor seiner Tapferkeit nicht zu fürchten. Er ist krank und schwach, er sieht aus, als ob der Tod bereits hinter ihm stehe.« – »Wir werden keine schwere Arbeit haben«, meinte der Anführer. »Wir lassen die Pferde einstweilen zurück und schleichen uns vor. Die vier Posten werden mit dem Messer erstochen, daß sie keinen Lärm machen können, und dann geht es über die anderen her, alles möglichst ruhig mit dem Messer. Aber wie steht es mit den Vaqueros? Töten wir sie auch?« – »Natürlich!« meinte Josefa. – »Eigentlich ist es nicht nötig«, versetzte Cortejo. »Ich werde Besitzer der Hazienda und brauche diese Leute zum Schutz der Herden.« – »So lassen wir sie meinetwegen leben«, meinte der Mexikaner. »Wir brauchen nicht gerade zum bloßen Vergnügen zu morden. Die Hauptsache ist, daß wir Beute machen, und da bleibt es natürlich bei unserer Abmachung, daß alles uns gehört, was sich in dem Gebäude befindet.« – »Den Haziendero und Marie Hermoyes ausgenommen«, sagte Josefa. – »Zugestanden! Laßt uns also beginnen.«

Einige Minuten später rückten die Leute gegen die Hazienda vor. Diese wurde umzingelt, und dann begannen die Mexikaner, die Planken vorsichtig zu übersteigen. Es sollte ihnen dies aber nicht so ganz unbemerkt gelingen.

Eben stand einer der Posten auf der Erhöhung und blickte in das beinahe undurchdringliche Dunkel hinaus, da war es ihm, als ob er ein unbestimmtes, eigentümliches Geräusch vernehme. Sehen konnte er bei dieser Finsternis nichts, daher legte er sich auf die Erde und horchte. Das Geräusch wurde jetzt stärker und bestimmter; es war ganz nahe, es klang wie Schritte vieler Menschen, und – da knackte es auch gerade vor ihm an den Planken.

»Halte-là. Qui vive?« rief er laut. »Halt, wer da?«

Er blieb vorsichtig am Boden liegen, hielt aber sein Gewehr schußbereit und lauschte auf eine Antwort. Es erfolgte keine. Einige Sekunden lang war alles still; dann war das Knacken der Planke von neuem zu hören.

»Wer da?« fragte er abermals. »Antwort, oder ich schieße!«

Da sah er gerade vor sich einen Kopf über der Planke erscheinen. Ein Mensch wollte hereinklettern. Rasch richtete er sein Gewehr empor und drückte ab.

Der Schuß knallte laut durch die Nacht. Die Soldaten, durch ihn alarmiert, sprangen von ihren primitiven Lagern auf und griffen zu den Waffen, aber bereits zu spät, denn als der Schuß erschollen war, rief draußen eine laute Stimme:

»Zum Teufel! Wie dumm! Aber hinein, vorwärts!«

Es war der mexikanische Anführer. Seine Leute gehorchten. Kaum hatten sie den Ruf gehört, so sprangen sie von allen Seiten über die Planken und fielen über die Franzosen her, die trotz der Dunkelheit leicht von den eigenen Leuten zu unterscheiden waren. Einige vergebliche Schüsse krachten; Flüche erschollen; ein Todesschrei ertönte hier und da; dann war es still.

An einigen Fenstern der Hazienda wurde es licht. Eins derselben wurde geöffnet. Der Kapitän, vom Schlaf aufgeschreckt, hatte schnell Licht angebrannt und blickte herab. Sein Kopf war im Schein des Lichtes deutlich zu sehen.

»Was gibt es da unten? Warum wird geschossen?« rief er herab. – »Um deinen Kopf zu sehen, Tölpel!« rief der Mexikaner von unten hinauf.

Bei diesen Worten zielte er empor und drückte ab. Seine Kugel fuhr dem Offizier mitten durch den Kopf. Es lebte kein einziger Franzose mehr.

Die Vaqueros, die im Erdgeschoß lagen, hatten sich beim ersten Schuß erhoben und sofort einige Kienspäne angebrannt. Sie eilten hinaus; aber bereits an der Tür trat ihnen Cortejo entgegen und sagte:

Zurück! Wir sind Freunde!« – »O Dios! Señor Cortejo!« rief ein alter Hirte, der ihn kannte. – »Ja, ich bin es. Wir haben die Franzosen niedergemacht Ich hoffe, ihr seid gute Mexikaner und haltet euch zu uns. Wo ist Arbellez?« – »In seinem Schlafzimmer jedenfalls.« – »Gib mir den Span!«

Der Alte ließ sich den langen, brennenden Span aus der Hand nehmen. Als er sah, wer hinter Cortejo folgte, rief er überrascht

»Señorita Josefa! Welch ein Wunder!«

Das Mädchen beachtete sein Erstaunen gar nicht. Sie folgte ihrem Vater nach oben.

Pedro Arbellez war natürlich von dem Schießen erwacht Er sprang aus dem Bett und brannte Licht an. Es ertönten mehrere Schüsse; es handelte sich also um ein ernstes Ereignis. Er warf sich, so schnell es ging, in seine Kleider und wollte seine Stube verlassen, als Marie Hermoyes eintrat

»Oh, Señor, was mag los sein?« fragte sie beängstigt – »Ich weiß nicht«, antwortete er. – »Das ist ja ein Kampf! Hört Ihr die Rufe?« – »Ein Kampf? Mit wem sollten die Franzosen kämpfen? Wer sollte die Hazienda überfallen? Es wird sich um ein Mißverständnis handeln.« – »Oh, dann wäre das Schießen bereits aus. Hörtet Ihr diesen Schrei? Mein Gott!« – »Santa Madonna, das war ein Todesschrei!« – »Jetzt wieder einer und noch einer!« – »Man kommt jetzt die Treppe empor. Wer mag es sein?«

Der Haziendero wollte hinaus, aber die Tür wurde bereits vorher geöffnet. Zwei Personen standen unter derselben, von einem Kienspan beleuchtet.

»Cortejo!« rief Arbellez erschrocken. – »Josefa!« rief Marie Hermoyes.

Sie hatte das Mädchen trotz der Verkleidung sofort erkannt.

Cortejo hatte ein gespanntes Pistol in der Hand, seine Tochter ebenfalls. Hinter ihnen wurden die finsteren Gestalten seiner Mexikaner sichtbar.

»Ja, ich bin es«, sagte er, eintretend und die Tür hinter sich und Josefa verschließend. – »Mein Gott, was wollt Ihr?« fragte Arbellez. – »Das werdet Ihr sogleich sehen. Setzen wir uns.« – »Ja, setzen wir uns!« fügte Josefa hinzu, indem sie auf einem Stuhl Platz nahm und mit ihren runden, kalten Eulenaugen die beiden erschrockenen Leute triumphierend betrachtete. »Wer soll das Verhör führen, Vater?« – »Ah, du willst dir einen Spaß machen«, sagte er. »Gut, sprich du!«

Damit lehnte Cortejo sich in eine Hängematte und warf den brennenden Span zu Boden. Dieser war hier unnütz, da ja ein Licht brannte. Während er mit der Pistole spielte, ruhte sein Auge mit dem Ausdruck des Hohnes und des Hasses auf Arbellez und Marie.

Seine Tochter setzte inzwischen den Hahn ihrer Pistole in Ruhe und sagte zu dem Haziendero:

»Ihr fragt, was wir hier wollen? Gericht halten wollen wir!« – »Gericht?« fragte er. »Über wen?« – »Über Euch und diese da.«

Bei diesen Worten zeigte Josefa auf Marie Hermoyes.

»Ihr scherzt, Señorita«, meinte Arbellez. »Wir haben Euch ja nichts getan. Ich bin erstaunt, Euch hier zu sehen, Señor Cortejo. Wollt Ihr nicht die Güte haben, mir Euer Erscheinen auf meiner Hazienda zu erklären?« – »Diese Erklärung werde ich Euch an Stelle meines Vaters geben«, erwiderte Josefa. »Habt Ihr in jüngster Zeit von uns gehört?« – Ja«, antwortete der Haziendero. »Darf ich es jedoch sagen? Ich habe es nicht geglaubt.« – »Sagt es! Ich befehle es Euch!«

Der Alte trat einen Schritt zurück und erwiderte:

»Ihr sprecht vom Befehlen? Jedenfalls bin ich es, der hier zu befehlen hat!« – »Da irrt Ihr Euch sehr«, antwortete Josefa stolz. »Ich bin jetzt Herrin der Hacienda del Erina, um welche Ihr uns betrügen wolltet!« – »Wenn Ihr in diesem Ton sprecht, werde ich meine Vaqueros rufen!« – »Ruft sie!« sagte Josefa höhnisch.

Arbellez trat wirklich an die Tür. Aber als er sie öffnete, blickten ihm die wilden Gesichter einiger Mexikaner entgegen, die von Cortejo den Befehl erhalten hatten, sich hierher zu postieren. Er fuhr erschrocken zurück:

»Wer ist das? Was wollen diese Leute?« – »Das ist meine Ehrengarde«, antwortete Josefa. »Ich will Euch sagen, daß wir mit dreihundert Mann die Hazienda überfallen haben. Die Franzosen sind getötet, und Ihr befindet Euch in meiner Hand.« – »Ich? In Eurer Hand? Ihr irrt Euch, Señorita. Ihr mögt die Franzosen überfallen und töten; ich aber bin ein freier Mexikaner, dem Ihr nichts anhaben könnt!« – »Ihr seid es, der sich irrt. Ihr seid kein freier Mexikaner, sondern unser Gefangener. Merkt Euch das! Beantwortet mir meine Frage von vorhin: Was ist es, was Ihr in jüngster Zeit von uns gehört habt?«

Pedro Arbellez konnte sich nur schwer in die Situation finden, sie war ihm fast unbegreiflich. Er sollte der Gefangene dieser beiden Leute sein? Früher hätte er sich zur Wehr gesetzt, jetzt aber war er alt, schwach und krank, es fehlte ihm die Energie der jüngeren Jahre; er sah die Waffen, die sich in den Händen der beiden befanden, er hörte ein wüstes Schreien, Rufen und Jauchzen, das jetzt durch die Räume der Hazienda erschallte, und das vermehrte seine Bestürzung.

»Antwortet!« gebot Josefa.

Und als Arbellez nicht sofort gehorchte, spannte sie den Hahn ihrer Pistole.

»Oh, Señor, redet, gebt Antwort! Ihr werdet sonst erschossen!« bat Marie Hermoyes. – »Ja, wenn Ihr beide mir nicht unbedingt gehorcht, werdet Ihr ohne Barmherzigkeit erschossen«, drohte Josefa, die sich in der Rolle eines Räuberhauptmanns ganz behaglich fühlte. »Also, was habt Ihr gehört?« – »Daß Señor Cortejo Präsident werden will«, antwortete Arbellez. – »Präsident? Pah! König will er werden! Ganz Mexiko soll ihm und mir gehören! Diese Hazienda wird von uns zuerst besetzt, denn sie ist unser Eigentum.« – »Sie ist das meinige!« – »Ihr lügt!« – »Ich habe sie gekauft!« – »Beweist es!« – »Ich habe es bereits bewiesen, ich besitze das Dokument des Kaufes.« – »Dieses Dokument ist gefälscht Ihr habt die Hazienda nicht gekauft Ihr habt sie vielmehr geschenkt erhalten, und die Kaufakten sind nur zum Schein ausgestellt worden.« – »Selbst wenn Ihr das Richtige erraten hättet, wäre die Hazienda mein Eigentum. Und selbst wenn mein Recht ein nichtiges wäre, fiele die Hazienda an den Grafen Rodriganda zurück, aber nicht an Euch.« – »Pah! Was dem Grafen gehört, gehört auch uns! Ihr versteht das freilich nicht!« – »Oh, ich verstehe und begreife das schon!« entgegnete Arbellez.

Der Zorn hatte ihn erfaßt, er begann daher mutiger zu werden.

»Ihr begreift es? Wirklich?« höhnt sie. »Wie unendlich klug von Euch!« – »Ja, ich begreife es«, antwortete er. »Ich kenne Eure volle Schlechtigkeit, ich durchschaue den ganzen, ungeheuren Schwindel.« – »So seid doch so gut, es uns mitzuteilen«, lachte Josefa boshaft. – »Der untergeschobene Graf Alfonzo ist ein Cortejo; darum glaubt Ihr, was den Rodrigandas gehört, gehöre auch Euch. Oder wollt Ihr leugnen?« – »Leugnen? Euch gegenüber? Ihr seid nicht bei Sinnen. Was ein Verrückter sagt, braucht weder bestätigt, noch geleugnet zu werden. Also Ihr habt die Hazienda wirklich gekauft, mein teurer Señor Arbellez?« – »Ja.« – »Ihr habt ein Dokument darüber?« – »Ja.« – »Wo?« – »Es ist gut aufgehoben.« – »Ich frage, wo!« – »Das ist lediglich meine Sache, nicht die Eurige.« – »Ihr irrt Euch abermals. Ich bin gekommen, das Dokument von Euch zu fordern.« – »Ah, Ihr wollt das Papier in Eure Gewalt bringen und mich dadurch um mein Eigentum betrügen? Das wird Euch nicht gelingen!« – »Ich werde Euch zwingen.« – »Versucht es.«

Da wurden Josefas Eulenaugen größer, und ihre Züge zeigten einen unaussprechlichen Haß. Sie sagte:

»Bringt mich nicht in Zorn, Alter! Eure Strafe würde fürchterlich sein. Ich verlange das Dokument. Wo habt Ihr es?« – »Ich wiederhole, daß Ihr es nicht erhaltet.« – »Ich werde es suchen.« – »Ihr werdet es nicht finden.« – »Ich stürze das ganze Haus danach um.« – »Es befindet sich nicht im Haus. Euer Suchen wird vergeblich sein.«

Da sprang Josefa vom Stuhl auf, ballte die Faust und zischte Arbellez entgegen:

»Ah, Ihr habt es nicht hier auf der Hazienda? Wo sonst?« – »Es liegt mit meinem Testament in sicheren Händen. Bemüht Euch nicht.«

Josefas Zorn wuchs, ihre Augen sprühten Blitze.

»Ein Testament habt Ihr gemacht? Ah, ist das wahr?« – Ja«, antwortete er. – »Und Ihr habt einen Erben eingesetzt, dem die Hazienda gehören soll?« – »Die Hazienda und alles, was dazugehört.« – »Wer ist es?« – »Testamentsgeheimnisse pflegt man nicht auszuplaudern, Señorita.«

Da stampfte Josefa mit dem Fuß auf und rief:

»Ich befehle Euch aber, es zu sagen.« – »Ihr habt mir nichts zu befehlen.« – »Das wird sich finden. Wenn Ihr mir nicht freiwillig antwortet, so werde ich Euch zum Reden zu zwingen wissen.«

Arbellez' ganze Energie war erwacht Er antwortete verächtlich:

»Ihr seid nicht die Person, die mich zu etwas zwingen könnte.« – »Nicht? Ah, Ihr glaubt wohl gar nicht daß sich die Hazienda in unserer Gewalt befindet?« – »Ich glaube es. Ich muß es ja, denn ich höre das Freudengeheul Eurer wüsten Bande, die bereits zu plündern beginnt« – »Hört Ihr es? Hört Ihr es wirklich? Ja, unsere Burschen sind nicht faul. Alles, alles, was sie finden, gehört ihnen, nur Pedro Arbellez und Marie Hermoyes sind unser Eigentum; diese beiden haben wir uns ausbedungen. Glaubt nicht, daß Ihr uns entfliehen oder entgehen könnt!« – »Ich weiß es. Wir befinden uns in der Gewalt zweier Teufel.« – »Zweier Teufel, ja, das ist der richtige Ausdruck. Ihr sollt sehen, wie es ist, wenn der Teufel mit einem umgeht Ich frage Euch zum letzten Mal, ob Ihr mir sagen wollt, wo sich das Kaufdokument befindet.« – »Ihr erfahrt es nicht.« – »Auch nicht, wer Euer Erbe ist?« – »Nein.« – »Ich werde Euch in den tiefsten Keller stecken.« – »Tut es!« – »Ich werde Euch foltern und auf alle Weise peinigen und quälen!« – »Versucht es! Gott wird uns schützen.« – »Gott wird sich um Euch nicht bekümmern. Ihr werdet verhungern müssen, langsam verhungern.« – »Ich fürchte den Tod nicht!« – »Oh, mein Alter, du sollst ihn fürchten lernen. Dein Tod wird ein schrecklicher sein. Ich werde dich peitschen lassen. Du sollst alle Qualen erleiden, die es nur geben kann!« – »Es wird sich ein Rächer finden!« – »Glaube das nicht. Wer will es wagen, sich an der Tochter des Königs von Mexiko zu vergreifen oder zu rächen!« – »Noch ist Euer Vater nicht König. Er wird es niemals werden!« – »Wurm, der du bist! Du bleibst also bei deiner Halsstarrigkeit?« – »Ja. Ich bin ein alter Mann. Ihr habt mir mein einziges Kind geraubt Ihr habt mit satanischer List das Glück ganzer Familien untergraben. Wenn Ihr mich zu Tode martert, wird Euer Gewissen nicht schwerer werden, aber ich verfluche Euch, und mein Fluch wird Euch treffen, wenn Ihr es nicht denkt!«

Josefa stieß ein höhnisches, aber gezwungenes Lachen aus.

»Ja, du bist ein alter Mann«, sagte sie, »du bist altersschwach, du weißt nicht mehr, was du redest. Aber wenn ich dir den Rücken zerfleischen lasse, so wirst du wenigstens das noch reden können, was ich von dir hören will. Mit dir bin ich nun fertig. Jetzt zu der anderen.«

4. Kapitel.

Die alte, brave Marie Hermoyes hatte inzwischen mit Zittern und Beben dieser Unterredung zugehört. Sie kannte dieses Mädchen, sie wußte, was von Josefa zu erwarten war, die vor keiner Grausamkeit zurückschreckte. Jetzt kam die Reihe an sie. Sie erwartete mit Angst, was man ihr sagen werde.

»Warum bist du von Mexiko fortgegangen?« fragte Josefa. – »Ich wollte nach der Hazienda«, antwortete Marie. »Señor Arbellez war mein Freund.« – »Ah, in Mexiko hattest du keine Freunde? Hattest du denn nicht uns?«

Die Alte schlug verlegen die Augen nieder. Konnte sie sagen, daß sie durch die Angst von Mexiko vertrieben worden war? Aber Josefa kam ihr zu Hilfe:

»Du hattest Angst vor uns? Nicht wahr?«

Marie schwieg. Josefa aber fuhr fort:

»Du hattest recht, Alte. Wärst du in Mexiko geblieben, so lebtest du heute nicht mehr. Mexiko ist ein schlimmer, ungesunder Ort für Leute, die sich in die Geheimnisse anderer drängen. Es war klug, daß du flohst. Aber mit wem bist du gegangen?« – »Mit zwei Indianern.« – »Mit Indianern? Da hast du gute Gesellschaft gehabt. Doch das geht mich alles jetzt nichts an. Für heute habe ich einige Fragen für dich. Beantwortest du sie mir der Wahrheit gemäß, so wird dein Schicksal wenigstens kein so grausames sein, wie dasjenige dieses halsstarrigen Alten. Hast du gewußt, daß er ein Testament gemacht hat?« – »Ja«, antwortete Marie. – »Hat er mit dir darüber gesprochen?« – »Ja.« – »Weißt du, wer der Erbe wird?« – »Nein.«

Dieses »Nein« war in einem auffallend unsicheren Ton gesprochen, der Josefa auffiel. Darum fuhr sie die Alte an:

»Lüge nicht! Weißt du, wem er die Hazienda vermacht hat?« – »Ja«, antwortete jetzt die Gefragte zögernd. »Einer Verwandten.« – »Er hat noch Verwandte? Das habe ich gar nicht gewußt. Wo sind diese Verwandten?« – »Ganz im Norden des Landes.«

Marie Hermoyes blickte bei jeder ihrer Antworten Arbellez an. Er tat nicht, als höre er, was sie sagte.

»Im Norden?« wiederholte Josefa. »Wo?« – »In Fort Guadeloupe.« – »Das kenne ich nicht. Wo liegt das?« – »Am Rio Puercos.« – »Ah, dort oben. Weißt du, wer diese Verwandten sind?« – »Es ist ein Kaufmann, er heißt Pirnero.« – »Pirnero, den Namen wird man sich merken müssen. Und dieser Pirnero soll die Hazienda erben?« – »Er nicht, sondern seine Tochter.« – »Was du sagst! Er hat also eine Tochter, oder gar mehrere?« – »Nur eine einzige, namens Resedilla.« – »Ein schöner, poetischer Name. Man wird dafür sorgen, daß diese Resedilla auch Poetisches erlebt Weiß sie denn, daß sie Erbin werden soll?« – »Ja.« – »So ist sie hier gewesen?« – »Nein. Señor Arbellez bat vor kurzer Zeit einen Boten, einen Vaquero, zu ihr geschickt« – »Wirklich? Vor kurzer Zeit erst? So ist der Mann wohl noch gar nicht zurück?« – »Nein.« – »Das ist gut. Man wird ihn erwarten müssen. Welche Botschaft hatte er denn auszurichten?«

Marie blickte verlegen zu Arbellez hinüber. Dieser bemerkte es und sagte:

»Antwortet nur immer zu. Was Ihr wißt, mögt Ihr ruhig sagen. Ihr sollt meinetwegen nicht auch gepeinigt werden, Señora.« – »Du hast es gehört, also antworte!« drängte Josefa. – »Der Vaquero hat Señorita Resedilla zu bitten, nach der Hazienda zu kommen.«

Da machte Josefa eine triumphierende Miene.

»Ah, die Erbin kommt nach del Erina?« fragte sie rasch. – »Ja.« – »So soll sie würdig empfangen werden. Ich werde ihr zu dieser Erbschaft gratulieren. Warst du dabei, als Arbellez sein Testament machte? Wo hat er es getan?« – »Hier in diesem Zimmer.« – »Und wer war dabei?« – »Drei Señores, die geritten kamen und zwei Tage hier verweilten.« – »Woher waren sie?« – »Ich weiß es nicht« – »Lüge nicht Alte!« – »Señorita, ich kann es mit dem heiligsten Eid beschwören, daß ich es nicht weiß.« – »Hat Arbellez nicht davon gesprochen?« – »Nein.« – »Und du hast nicht danach gefragt?« – »Nein. Sie waren so vornehm, ich getraute mir nicht sie zu fragen.« – »Aber ihre Namen hast du doch gehört?« – »Nein.« – »Ihr müßt sie doch gerufen oder genannt haben!« – »Der eine wurde Señor Mandatario genannt.« – »Und die anderen?« – »Der erste war der Señor Advocatore und der andere der Señor Secretario.« – »So habt Ihr alle drei nur nach ihrem Stand benannt. Hat vielleicht einer von ihnen das Testament mitgenommen?« – »Ja, der Señor Mandatario.« – »Woher weißt du das?« – »Als er Abschied nahm, sagte er zur Señor Arbellez, daß das Testament ganz sicher liege.« – »Es könnte doch einer der Dienstboten oder Vaqueros ihn gekannt haben?« – »Keiner hat ihn gekannt« – »Er ist auch nicht wieder hier gewesen?« – »Nein.«

Cortejo hatte sich bisher behaglich in seiner Hängematte geschaukelt und den stillen Zuhörer gespielt, jetzt begann auch er, sich zu beteiligen.

»Laß das, Josefa«, sagte er. »Auf diese Weise wirst du nichts erfahren. Dieses Weib weiß nichts, aber Arbellez wird reden müssen. Wir sperren ihn in den Keller und geben ihm nichts zu essen und zu trinken. Hunger und Durst tun weh, sie werden ihn schon zum Sprechen bringen. Er wird uns sagen, wo sich die Kaufakten befinden, er wird uns sogar die schriftliche Bescheinigung aufsetzen, daß diese Akten uns ausgehändigt werden sollen.« – »Und damit willst du warten, bis ihn der Hunger oder der Durst zwingt?« fragte sie. – »Ja. Oder weißt du etwas Besseres?« – »Gewiß. Ich hoffe, daß du mich tun läßt, was ich will, Vater!« – »Erst muß ich wissen, was es ist.« – »Du sollst es erfahren. Zuerst aber noch eine Frage an den da.«

Josefa wandte sich abermals zu Arbellez:

»Hat der Mandatario wirklich Euer Testament?« – »Ja.« – »Woher ist er, und wo wohnt er?« – »Das werdet Ihr nicht erfahren. Mein Unglück hat mich vorsichtig gemacht, ich ahnte, daß es noch nicht zu Ende sei, und bat daher jene drei Señores, keinem Menschen wissen zu lassen, wer sie seien. Sie haben diesen Wunsch erfüllt.« – »So ist es wohl auch dieser Mandatario, der die Kaufakten aufbewahrt?« – »Das werde ich Euch nicht sagen.« – »In zehn Minuten werde ich es dennoch wissen, denn ich werde Euch jetzt so lange prügeln lassen, bis Ihr redet. Ich frage Euch also zum letzten Mal!« – »Laßt mich alten Mann schlagen! Ihr seid eine Furie, ein nichtswürdiges Geschöpf, das nicht wert ist, von der Sonne beschienen zu werden.« – »Hörst du es, Vater?« fragte Josefa ergrimmt. »Er soll Hiebe haben.« – »Das hat ja noch Zeit, Josefa. Wir wollen es vorher mit dem Hunger versuchen.« – »Nein, Vater. Hierein lasse ich mir nicht reden. Du mußt mir meinen Willen lassen. Was man sogleich erfahren kann, soll man nicht erst später hören wollen.«

Damit schritt Josefa zur Tür, öffnete sie und ließ zwei Mexikaner eintreten.

»Dieser Mann hier soll Schläge bekommen«, sagte sie. »Ihr werdet das besorgen.«

Die beiden Männer blickten einander an, dann fragte der eine:

»Wo soll es geschehen?« – »Gleich hier im Zimmer.« – »Wie viele Hiebe?« – »Ihr schlagt so lange zu, bis ich Euch aufzuhören gebiete.« – »Gut. Aber, Señorita, Ihr werdet zugeben, daß wir Eure Diener nicht sind.«

Ihre Brauen zogen sich zusammen.

»Was sonst?« fragte sie barsch. – »Wir haben versprochen, für Eure Sache zu kämpfen, aber zu solchen Diensten haben wir uns keineswegs verpflichtet Das ist das Amt eines Dienstboten oder Henkers.« – »So werde ich es Euch bezahlen.« – »Das läßt sich eher hören. Wieviel bietet Ihr uns, Señorita?« – Jeder erhält ein Goldstück.« – »Das ist genug. Aber Ihr vergeßt noch ein weiteres: Ihr habt uns aufgefordert da vor der Tür zu stehen und für Euch bereit zu sein. Unterdessen plündern die anderen das Haus, wir aber erhalten nichts von dem, was sie sich nehmen.« – »Ihr meint daß ich Euch zu entschädigen habe?« – »Ja, das meinen wir.« – »Ich werde es tun. Wenn Ihr mir gehorcht so sollt Ihr nicht zu kurz kommen.« – »Wieviel werden wir erhalten, Señorita?« – »Ich werde erst sehen, welche Beute die anderen machen. Ihr werdet mit mir zufrieden sein. Glaubt Ihr, daß Stöcke im Haus zu finden sind?«

Der Sprecher nickte listig, zwinkerte mit den Augen und zeigte nach den Fenstern.

»Seht die Rollos, Señorita«, sagte er. »Ich glaube, es sind Rohrstäbe, die darin stecken. Man könnte sie sehr gut gebrauchen.« – »Und Stricke zum Binden?« – »Oh, wir haben ja unsere Lassos!« – »Gut so könnt Ihr beginnen!«

Da trat Marie Hermoyes näher, faltete die Hände und bat mit Tränen in den Augen:

»Um Gottes willen, tut es nicht, Señorita! Ihr werdet ihn töten!« – »Packe dich, Alte!«

Josefa stieß die Dienerin von sich. Aber Marie machte noch einen Versuch.

»Bedenkt wie treu ich Euch gedient habe. Ich habe Euch auf den Armen getragen, gepflegt und gewartet so lange Ihr ein Kind waret. Vielleicht hätte ich es verdient daß Ihr mir eine solche Bitte erfüllt.« – »Mir treu gedient? Geflohen bist du! Schweige, denn sonst erhältst du ebenso deine Prügel wie er.« – »Aber, Señorita, Ihr könnt doch nicht ernstlich wollen, daß ...« – »Still!« rief, Marie unterbrechend, das unweibliche Mädchen. »Sagst du noch ein Wort, so lasse ich dich schlagen, bis das Blut kommt!« Und zu den beiden Mexikanern gewandt fuhr Josefa fort »Bindet der Alten den Mund zu, daß sie nicht schreien kann. Ich vermute, daß sie jammern wird, wenn er die Hiebe erhält.« – »Wollen wir sie nicht lieber hinwegschaffen lassen?« fragte Cortejo. – »Nein. Sie soll zusehen. Das hat sie ja mehr als reichlich verdient.« – »So will wenigstens ich fortgehen. Laßt es mich wissen, wenn Ihr fertig seid!«

Cortejo verließ das Zimmer.

Die beiden Mexikaner aber banden Marie Hermoyes an Händen und Füßen und befestigten ihr auch ein Tuch um den Mund. Sie ließ es geschehen, ohne sich zu wehren, da sie sah, daß ein jeder Widerstand vergeblich sei und die Sache nur verschlimmern werde.

Jetzt traten die zwei Henker zu Pedro Arbellez.

»Willst du beichten?« fragte Josefa, sich nochmals an ihn wendend. – »Nie, selbst wenn ich sterben sollte!« antwortete er. – »Ich werde dich totprügeln lassen, Mensch!« drohte sie. – »Tut es meinetwegen. Aber meine Hazienda erhaltet Ihr nicht; die bleibt meiner Erbin.« – »So beginnt! Aber ja keine Schonung!«

Auf diesen Befehl bemächtigten sich die beiden Mexikaner des Hazienderos. Er wurde entblößt, gebunden und zu Boden geworfen. Dann zogen sie die Stöcke aus den Rollos, um die Exekution zu beginnen.

Einer stand hüben und der andere drüben neben Arbellez, der regungslos am Boden lag. Er hatte sich in sein Schicksal ergeben und versuchte keinen Widerstand.

»Vorwärts!« befahl Josefa.

Der erste Streich fiel. Pedro zuckte zusammen. Der zweite Hieb folgte, und es entstand sofort ein blutiger Striemen. Pedro gab keinen Laut von sich.

So folgte Schlag auf Schlag. Das Blut floß über die Diele hin. Marie Hermoyes war gezwungen, zuzusehen. Sie konnte sich unter ihren Fesseln nicht bewegen, aber man sah ihr die fürchterliche Qual an, die sie empfand.

Josefa zählte die Schläge. Ihre Augen leuchteten in grimmigem Entzücken. Es war kein Zweifel, die Exekution verursachte ihr ungeheures Vergnügen.

Arbellez bewegte sich nicht. Da hielt der eine Mexikaner inne und sagte:

»Der Alte tut ja nicht dergleichen. Ich glaube, er ist tot.« – »Oder wenigstens ohne Besinnung«, fügte der andere hinzu. – »Seht nach!« gebot Josefa.

Die beiden Buben drehten den Alten mit dem Gesicht nach oben. Seine Augen waren geschlossen, vor seinem Mund stand blutiger Schaum.

»Er hat genug!« sagte der eine. – »Ist er tot?« fragte Josefa. – »Wollen einmal sehen.«

Der Mexikaner bückte sich und untersuchte den Haziendero.

»Tot ist er noch nicht«, sagte er dann. »Es ist noch Atem in ihm.« – »So können wir später die Hiebe wiederholen, wenn er bei seinem Schweigen verharrt. Ihr habt Eure Sache gut gemacht. Hier ist Euer Lohn.«

Josefa zog eine seidene Börse und nahm zwei Goldstücke daraus.

»Danke, Señorita!« sagte der Sprecher. »Was tun wir mit ihm?« – »Wir schließen ihn ein.« – »Wo?« – »Es wird wohl im Keller einen Platz geben, wo man ihn sicher halten kann.« – »Und diese alte Frau hier?« – »Oh, die schließen wir zu ihm. Sie mögen beide hungern, bis ihnen der Atem ausgeht« – »So wartet ein wenig, Señorita. Ich werde gehen und einmal im Keller nachsehen, ob dort ein geeigneter Ort vorhanden ist«

Der Mann ging und kehrte bereits nach kurzer Zeit zurück. »Es ist da unten ein Verschluß, in dem zur Not drei Menschen stecken könnten«, meldete er. »Sollen wir sie hinunterschaffen?« – »Ist der Ort sicher?« – »Ja.« – »Die Tür gut und fest?« – »Mit Eisenblech beschlagen und zwei große Riegel davor.« – »Ein Fenster?« – »Nein. Es gibt nur ein kleines Luftloch, nicht größer als eine Kinderhand. Flucht ist absolute Unmöglichkeit.« – »So faßt an, ich werde mitgehen.«

Der eine nahm nun Arbellez und der andere Marie Hermoyes auf die Arme, und Josefa folgte. So begaben sie sich mitten durch das plündernde Gesindel nach dem Keller, wo das unmenschliche Mädchen das bezeichnete Loch untersuchte und es für wie geschaffen zu ihren Zwecken erklärte.

»Werft sie hinein!« gebot es dann. »Den Schlüssel nehme ich zu mir.« – »Lassen wir ihnen die Fesseln?« fragte der eine Mexikaner. – »Ja. Das ist sicherer für mich und doppelte Qual für sie.«

Jetzt raffte Marie sich auf. Das, was sie hatte ansehen müssen, hob sie über jede Furcht hinweg. Sie trat vor Josefa hin und sagte: