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Eine Hochzeit in einem niedersächsischen Dorf mit allem, was dazugehört. Die Gäste tauschen Gehässigkeiten und Tratsch aus und natürlich wird reichlich getrunken. Nicht lange schnacken, Kopf in den Nacken! Doch am nächsten Morgen liegt einer von ihnen tot im Dorfteich. Drei Einstiche einer Mistforke zieren seine Brust. Schnell wird die Außenseiterin des Dorfs verdächtigt, aber auch die Braut hätte Grund genug, sich an Jan, dem Dorf-Gigolo, zu rächen.
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Seitenzahl: 73
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Susanne Mischke, 1960 imAllgäu geboren, »schreibtrichtig schön gemein« (Brigitte).Sie veröffentlichte bislang elf Romane,zahlreiche Erzählungenund zwei Drehbücher.1996 wechselte sie mit dem RomanMordskind ins Krimigenre.Für Wer nicht hörenwill, muss fühlen erhielt sie2001 den Frauenkrimipreis »Agathe«.Zuletzt erschienLiebeslänglich (Piper Verlag).Mehr zur Autorin unter www.susanne-mischke.de
Susanne Mischke
Krimi * Nautilus
KALIBER .64
Edition NautilusVerlag Lutz SchulenburgSchützenstraße 49 aD-22761 Hamburgwww.edition-nautilus.deAlle Rechte vorbehaltenDie Krimireihe»Kaliber .64« wirdherausgegeben vonVolker Albers© Edition Nautilus 2006Umschlaggestaltung:Maja Bechert, Hamburgwww.majabechert.deOriginalveröffentlichungErstausgabe Januar 2007Print · ISBN 978-3-89401-542-8eBook · ISBN 978-3-86438-005-1 (ePub)
Hermine schläft. Bilder und Düfte eines rosaroten Traums lassen ihre blonden Wimpern flattern. Es ist heiß. Ihr Puls geht flach, der Atem rasselnd. Der Knall durchdringt ihre Ohrmuschel, ein Stromschlag jagt durch ihre Nervenbahnen. Der schwere Leib bäumt sich auf, die Beine treten ins Leere. Sie röchelt, aber die stickige Luft erreicht ihre Lungen nicht, kein Sauerstoff dringt mehr ins Gehirn vor. Der Herzschlag, eben noch ein holpriger Galopp, setzt aus, die wässrigblauen Augen quellen hervor. Dann schwinden ihr die Sinne. Das Rückgrat krümmt sich noch einmal, zuckt in Agonie, bis auch das aufhört.
Die Schreie der anderen, ihre Totenklage, hört Hermine nicht mehr.
Der Schuss fällt in der Morgendämmerung. Sofort ist Lina hellwach. Steif aufgerichtet sitzt sie in ihrem Bett, die Decke ans Kinn gezogen. Wieder ein Schuss, dumpf und dröhnend, schweres Geschütz. Ihre Füße gleiten in die Pantoffeln, sie wankt zum Schrank, zerrt das gute Kleid vom Bügel und streift es über das Nachthemd. Die Knöpfe bleiben offen, dafür ist keine Zeit. Das Geld! Mit der ganzen Kraft ihrer Arme stemmt sie die Matratze hoch. Der Umschlag ist weg. Wieder fällt ein Schuss, das Zimmer bebt. Geld hin oder her, jetzt heißt es fliehen, das nackte Leben retten. Aber warum hat man sie eingeschlossen, jetzt, wo der Feind vor dem Dorf steht, nein, schon da ist. Mein Gott, man weiß doch, was diese Bestien Frauen und Kindern antun!
»Heide!« Von Panik erfüllt rüttelt sie an der Türklinke. »Heide, versteck dich im Stall!« Ihre Stimme gellt durch das Zimmer und klingt fremd in den eigenen Ohren. Ein weiterer Schuss lässt Schranktür und Fenster zittern.
»Heide, flieh! Nimm die Flinte mit und schieß jeden gottverdammten Russen über den Haufen, jeden, hörst du!« Die knochigen Fäuste hämmern gegen die Tür. »Hier bin ich! Nehmt mich, ihr Bestien. Kommt schon her, ihr feiges Gesindel!«
Ein Schlüssel schabt im Schloss. Sie weicht zurück, sieht sich um. Einen will sie mit ins Grab nehmen, wenigstens einen! Aber es ist nichts zur Hand, kein Schürhaken, kein Stock, keine Pfanne. Nur eine Wasserflasche, aber die ist aus Plastik.
Wieder ein Schuss.
Die Tür geht auf. Hände greifen nach ihren Schultern und schütteln sie.
»Ganz ruhig, es ist nichts passiert.«
»Heide, du musst dich verstecken, schnell, die Russen …«
»Tante Lina, ich bin es, die Katharina. Und das sind nicht die Russen. Es sind diese Idioten vom Dorf, die da herumballern. Heute ist Tommsens Hochzeit.«
Linas Augen werden groß. »Kati…?«
»Geh wieder ins Bett, Tante Lina, es wird gleich aufhören. Ich muss nach den Schweinen sehen. Mein Gott, die armen Viecher …«
Rapsduft liegt wie eine schwere Decke über dem Dorf. Keine Wolke trübt den blassblauen Himmel. Es ist viel zu heiß für Ende Mai. Die Menschen, die sich unter den Kastanienbäumen versammelt haben, stöhnen. Schminke zerfließt, Schweißperlen sammeln sich auf Glatzen und Oberlippen.
Aus dem Inneren der Kirche dringen gedämpfte Orgelklänge nach draußen. Der Wind frischt auf. Er trägt die Töne über den Rasen bis in die Baumkronen, bläht die Röcke der Blumenmädchen, zerzaust die Frisuren der Damen und kühlt die verschwitzten Nacken der Feuerwehrmänner. So willkommen der Luftzug ist, so führt er doch leider auch eine würzige Brise mit sich.
»Muss die Lenzen ausgerechnet jetzt die Stalllüftung anmachen?«, schimpft der Ortsbrandmeister.
»Warum ist die eigentlich nicht hier?«, fragt Thea Sand.
»Die muss doch immer aus der Reihe tanzen«, bemerkt Annegret Mohr, die hagere Metzgersfrau.
Tanzen. Tanzen ist das Stichwort, das Thea in Unruhe versetzt. Ihre achtköpfige Gymnastikgruppe wird nachher, zwischen Kaffee und Abendessen, auf der Saalbühne des Goldenen Hirschen den Bananentanz vorführen. Hoffentlich, fleht Thea zum Himmel, hoffentlich bleiben die Damen dieses Mal lange genug nüchtern. Bei der letzten Aufführung, anlässlich der goldenen Hochzeit des Altbürgermeisters, gab es einen Bänderriss und viel Gelächter.
Heute heiratet Holger Tommsen, der Sohn des größten Bauern. Endlich, wie viele hinter vorgehaltener Hand tuscheln. Es gilt, das frisch getraute Paar zu betrachten und hochleben zu lassen. Und während vor dem Altar Braut und Bräutigam ihre Schwüre leisten, stöhnt man draußen über die Hitze, scharrt ungeduldig mit den Füßen und beneidet die, die im Kühlen sitzen. Nur wenige Dorfbewohner haben hinter den dicken Mauern der kleinen Kirche Platz gefunden. Die Verwandtschaft der beiden Brautleute hat fast alle Bänke besetzt.
»Meinem Karl verbrennt es garantiert die Platte.« Hertha Kotte, die Bäuerin des zweitgrößten Hofes am Ort, fächelt sich mit ihrem Strohhut Luft zu. Der Schweinedunst hat sich verzogen und dem erstickend süßen Duft Platz gemacht, den die Rapsfelder verströmen. Wie hingeworfene Teppiche liegen sie rund um das Dorf, grellgelbe Vierecke zwischen dem satten Grün des noch jungen Korns.
»Die Kati Lenzen denkt doch nicht an andere. Die lebt nur für ihre Schweine«, behauptet Rosemarie Lemke, die Frau des Bürgermeisters.
»Aber dass sie die verrückte Alte nicht ins Heim gibt, muss man ihr hoch anrechnen«, findet Hertha.
»Hört auf zu gackern, ihr Hühner«, tönt die sonore Stimme des Ortsbrandmeisters Karl Kotte aus der Reihe des Feuerwehrspaliers. Stramm stehen sie da, mit roten Köpfen, die Backen rasiert, die Schuhe poliert.
»Es geht los.«
Das Portal wird aufgestoßen, Menschen quellen ins Freie, Hochrufe werden laut. Die kleinen Mädchen schleudern Reis und Blüten auf das Brautpaar. Holger, stattlich und stolz, grüßt seine Kameraden von der Feuerwehr mit einem saloppen Winken. Die Braut hängt schwer an seinem Arm. Wild läuten die Glocken vom Kirchturm.
»Ach, irgendwie sind doch alle Bräute ganz hübsch«, seufzt Rosemarie.
»Hübsch muss eine Bäuerin nicht sein. Arbeiten muss sie können«, brummt die Metzgersfrau Annegret, die beim Anblick der rosigen Braut unweigerlich daran erinnert wird, dass ihr Ernst heute früh acht Spanferkel küchenfertig an den Goldenen Hirschen geliefert hat.
»Er ist ja auch nicht mehr der allerjüngste Bräutigam«, stichelt Thea Sand, selbst frisch geschieden. »Mit vierunddreißig…«
»Den alten Tommsens hat doch nie eine gepasst.« Bei diesen Worten reibt Hertha Kotte den Daumen gegen die anderen Finger ihrer rechten Hand. Ihre Finger sind rot und dick, der Ehering sitzt tief im Fleisch. Ihr Thomas ist mit dreißig ebenfalls noch ledig. Für Bauernsöhne ist es nicht einfach, eine passende Frau zu finden. So eine dahergelaufene Polin oder Russin kommt ihr jedenfalls nicht auf den Hof.
»Das Land, das ist es. Deswegen hat der alte Tommsen der Sache gehörig nachgeholfen, wetten?« Niemand widerspricht Herthas Vermutungen. Außerdem gehen die Tommsens gerade an ihnen vorbei. Knut Tommsen in feierlichem Schwarz, das Doppelkinn vom Kragen eingeschnürt, Erika großgeblümt und mit zementiertem Dauerwellenhügel. Ihnen folgen die Wernickes – ein grauhaariges, zusammengeschnurrtes Paar, dessen knorzige Mickrigkeit ihre große, stämmige Tochter geradezu elefantös erscheinen lässt.
»Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen«, murmelt Annegret.
»Ich sag da nur: Fahne drüber und für Deutschland!«, dröhnt eine Männerstimme hinter ihnen.
»Jan! Reiß dich gefälligst zusammen«, zischt Rosemarie Lemke.
Jan Lemke trägt ein weißes Kunstblumensträußchen am Revers und grinst.
»Bring du erst mal selbst eine an, bevor du solche Reden schwingst«, entgegnet Thea und tippt mit ihrem rot lackierten Fingernagel gegen seine Uniformjacke. Sie spannt ein bisschen um die Goldknöpfe herum.
»Ich werde nur durch den Tod aus dem Club der Junggesellen ausscheiden!«, verkündet Jan.
»Jawoll!«, tönen seine Freunde Thomas Kotte und Markus Sand im Chor und nicken dazu wie die Wackeldackel.
Thea tippt sich nur an die Stirn, sie hat keine Lust, sich jetzt mit ihrem Sohn zu streiten. Markus ist vierundzwanzig, da ist noch Zeit.
Auch Jans Mutter Rosemarie verdreht lediglich die Augen und zupft nervös am gewagten Ausschnitt ihres kleinen Schwarzen. Sie kennt die Einstellung ihres Sohnes zu Frauen – mitnehmen, was geht, aber sich nicht binden. Einzig für Kati Lenzen hätte er wohl eine Ausnahme gemacht. Aber die hat ihren Jan nur wie ein Spielzeug benutzt, Schlampe, die! Die Abfuhr hat ihn seinerzeit schwer getroffen, auch wenn er sich nichts hat anmerken lassen. Aber eine Mutter spürt so etwas.
»Komm, Jan, die sägen, das sehen wir uns an.« Thomas und Markus ziehen ihren Anführer am Arm davon.