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Karl Mays Abenteuerroman Kapitän Kaiman ist unbekannt, aber unter Kennern ein beliebtes Werk! Auszug: Dem Wagen, der vor dem Hause des Juweliers Thieme hielt, entstieg leichten Fußes ein hochgewachsener Mann. Der helle Schein der Schaufenster beleuchtete männlich-schöne, scharf geschnittene Züge; die fein gebogene Nase und der sorgfältig gepflegte schwarze Spitzbart ließen in ihm einen Franzosen oder Italiener vermuten. Während er die Ladenschwelle überschritt, rief er seinem Diener zu: »Marc, du fährst zurück zum Hotel und wartest dort meine Heimkehr ab!« »Gewiß, Herr Graf!« entgegnete Marc Letrier und wandte sich alsdann mit vergnügtem Lächeln an den Kutscher: »Mir soll's recht sein! Da kann ich einmal die Stelle des gnädigen Herrn einnehmen.« Er schwang sich in das Innere des Wagens und wollte sich soeben bequem auf dem Rücksitz niederlassen, als er zu seinem Erstaunen bemerkte, daß ihm schon jemand von der anderen Seite zuvorgekommen war. »Was fällt Ihnen denn ein?« fuhr er den Eindringling an. »Scheren Sie sich augenblicklich aus dem Wagen, sonst werde ich Ihnen den Weg zeigen!«
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Seitenzahl: 294
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Dem Wagen, der vor dem Hause des Juweliers Thieme hielt, entstieg leichten Fußes ein hochgewachsener Mann. Der helle Schein der Schaufenster beleuchtete männlich-schöne, scharf geschnittene Züge; die fein gebogene Nase und der sorgfältig gepflegte schwarze Spitzbart ließen in ihm einen Franzosen oder Italiener vermuten. Während er die Ladenschwelle überschritt, rief er seinem Diener zu: »Marc, du fährst zurück zum Hotel und wartest dort meine Heimkehr ab!«
»Gewiß, Herr Graf!« entgegnete Marc Letrier und wandte sich alsdann mit vergnügtem Lächeln an den Kutscher: »Mir soll's recht sein! Da kann ich einmal die Stelle des gnädigen Herrn einnehmen.«
Er schwang sich in das Innere des Wagens und wollte sich soeben bequem auf dem Rücksitz niederlassen, als er zu seinem Erstaunen bemerkte, daß ihm schon jemand von der anderen Seite zuvorgekommen war.
»Was fällt Ihnen denn ein?« fuhr er den Eindringling an. »Scheren Sie sich augenblicklich aus dem Wagen, sonst werde ich Ihnen den Weg zeigen!«
»Ah!«
Nur dieser eine Laut ließ sich als Antwort vernehmen; er klang sonderbar scharf und fauchend, grad als ob eine wilde Katze ihre geschmeidigen Glieder zum Sprung rüste. Marc mußte diesen drohenden Ton kennen, denn er wich in großer Bestürzung vom Wagenschlag zurück.
»Alle guten Geister! Seid Ihr's wirklich ...?«
Eine seltsame Beklemmung ließ ihn stocken.
»An Bord mit dir! Stoß ab, Marc Letrier!« zischte es kurz und gebieterisch.
Im nächsten Augenblick saß Marc auf dem Bock neben dem Kutscher. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Drinnen hatte sich der Fremde in die Kissen zurückgelehnt und verhielt sich schweigend, bis das Hotel erreicht war, in dem der Vicomte François de Brétigny seinen Aufenthalt genommen hatte. Ohne das Oeffnen des Wagens abzuwarten, sprang der Unbekannte zur Erde nieder, warf dem Diener des Grafen ein barsches »Herauf!« zu und trat in den Vorraum des Hotels, wo ihm ein Kellner entgegeneilte.
»Ist die Wohnung, die ich vorhin bestellte, instand?«
»Jawohl, gnädiger Herr! Ich bitte um die Erlaubnis, Sie führen zu dürfen.«
Oben angekommen bestellte sich der Fremde ein reichhaltiges Abendessen und fügte hinzu, daß Marc ihn bedienen werde.
Dieser hatte mit Verblüffung wahrgenommen, daß sich die Gemächer des Eindringlings neben denjenigen seines Herrn befanden und stand kleinlaut in der Nähe, bis ihn ein Wink heranrief. Während der Kellner sich entfernte, warf der geheimnisvolle Gast den Mantel ab und stellte sich mit verschränkten Armen vor Marc Letrier hin.
»Nun?«
Marc sah scheu in die herrisch flammenden Augen des anderen. Es war ein eigenartiges Paar, das sich hier gegenüberstand. Beide nur von Mittelgröße. Der Fremde schlank und geschmeidig, lebhaft in seinen Bewegungen, von gesunder und dennoch zarter Gesichtsfarbe, dabei völlig bartlos; Marc hingegen breiter, stämmiger, in seinen Gebärden bedächtiger, mit sonnenverbranntem Gesicht, kurzgehaltenem, dichtem Backenbart und ausrasiertem Kinn; sein Blick aber war flackernd und unruhig.
»Wie gefällt es dir an Land?«
Marc Letrier zuckte die Achsel. Er wußte nicht, welche Absicht hinter dieser Frage lag.
»Du konntest doch vorhin sprechen, als du den gnädigen Herrn spielen wolltest!«
»Mademoiselle Clairon, ich bin ...«
Eine gebieterische Handbewegung schnitt ihm die Rede ab.
»Mademoiselle Clairon ist zur See oder sonst irgendwo. Ich bin der Chevalier de Saccard, merke dir das! – Wie befindet sich dein Herr Vicomte?«
»Ich danke, der gnädige Herr sind wohlauf.«
»Das läßt sich denken! Der Herr Kapitän liegt ganz prächtig vor Anker, während die Mannschaft auf hoher Fahrt sich abarbeitet, daß die Rippen krachen. Ich werde ihn einmal zwischen die Taue nehmen, daß er die Kielmuscheln zu kosten bekommt. Jetzt will ich essen!«
Wortlos schlich Letrier zur Tür hinaus und bediente den Chevalier mit dem zuvorkommendsten Eifer. –
Indessen kehrte der Vicomte zurück; er fand Marc nicht in seiner Wohnung und zog die Glocke. Erst nach mehrmaligem Läuten erschien der Gerufene; er hatte ein gefülltes Auftragbrett in der Hand und sah sehr beschäftigt und verlegen aus.
»Marc, in neuerer Zeit vernachlässigst du mich ganz unverantwortlich! Wenn du so fortfährst, werden sich unsere Wege trennen müssen.«
Letrier setzte seine Last ab und trocknete sich den Schweiß von Stirn und Wangen:
»Herr Vicomte, ich habe nichts dagegen, gar nichts, wenn Sie mir den Abschied geben wollen. Denn wie die Sachen gegenwärtig hier stehen, ist ein verteufelt widriger Wind zu erwarten. Ich konnte nicht kommen, weil ich treppauf und treppab zu segeln habe wie ein Ebenholzschuner, hinter dem die englischen Teerjacken her sind!«
»Das war nicht notwendig, Marc. Du weißt ja, daß ich zu so später Stunde nur eine Wenigkeit zu essen pflege. Zieh mir die Stiefel aus und gib den Hausrock her!«
»Entschuldigung, gnädiger Herr, dazu hab' ich keine Zeit.«
»Keine Zeit?« staunte Brétigny. »Mensch, du bist wohl nicht recht bei Sinnen!«
»Was meine Sinne anbelangt, Herr Vicomte, so sind sie alle ganz prächtig unter Segel, obgleich es gar kein Wunder wäre, wenn mir der eine oder der andere über Bord gegangen wäre. Ihr Abendbrot, gnädiger Herr, hat mich nicht ermüdet. Aber ich habe noch einen andern zu bedienen!«
»Einen andern? Du, bedienen? Es wird mir wirklich Angst um deinen Verstand.«
»Mein Verstand ist gut, gnädiger Herr! Um ihn wird mir nicht angst, sondern um Sie! Denn der andre, oder vielmehr die andre ...«
Er wurde unterbrochen; eine Klingel ertönte.
»Da haben Sie es, Herr Vicomte! Sie klingelt, ich muß fort!«
Er ergriff das Auftragbrett und wollte eiligst das Zimmer verlassen. Brétigny hielt ihn zurück.
»Ja, was soll denn das heißen? Es wird doch nicht ...?«
»Jawohl ... ach so, ich habe es Ihnen noch gar nicht gesagt, daß sie da ist! Die ...«
Wieder wurde er unterbrochen.
»Marc!« ertönte eine helle, scharfe Stimme aus einer nahen, auf dem Flur geöffneten Tür.
Brétigny trat bei ihrem Klang erschreckt mehrere Schritte zurück.
»Bei allen Teufeln!« rief er erblassend. »Das ist ja ... oder trügen mich meine Sinne ... das ist keine andre als Clairon!«
»Freilich ist es die Miss Admiral, gnä...«
Er konnte nicht weiter sprechen. Ein gewaltiger Faustschlag schleuderte ihn beiseite.
»So, das ist für die Miss Admiral, wenn du dir den Chevalier de Saccard nicht merken magst!« rief es zornig. »Scher dich hinüber an deine Arbeit! Oder soll ich mit dem Essen vielleicht warten, bis es dir gefällig ist?«
Der Diener ließ die Scherben des zerbrochenen Geschirrs liegen und verschwand durch die Tür. Der Fremde stand mit einem zweideutigen Lächeln vor dem Vicomte.
»Darf der Chevalier de Saccard es wagen, den Herrn de Brétigny zum Abendessen einzuladen?«
»Clairon! Ist es möglich, dich hier zu sehen! Ich war im Begriff, an ... ich dachte ... ich glaubte, du wärst auf ... ich ... ich ...«
»Schon gut für jetzt, Herr Vicomte! Ich sehe, daß Ihnen die Freude über meine wohlgelungene Ueberraschung die Sprache raubt. Kommen Sie auf mein Zimmer, wo wir Gelegenheit finden werden, Ihrer verlorenen Fassung wieder Herr zu werden!«
Mit einer gebieterischen Geste deutete er nach der Tür. Brétigny gehorchte der Weisung und trat ins Nebenzimmer, wo Marc eifrig beschäftigt war, das Versäumte nachzuholen. Der Fremde überflog die Tafel mit einem raschen Blick.
»Du kannst jetzt gehen, Marc! Ich werde läuten, wenn ich deiner bedarf.«
Letrier entfernte sich und die beiden Männer nahmen einander gegenüber Platz.
»Essen Sie, Vicomte,« meinte der Chevalier. »Ihre Nerven bedürfen der Stärkung!«
Dem Strahl, der aus dem dunklen Auge zuckte, war nicht zu widerstehen. Ohne ein Wort der Erwiderung griff Brétigny nach dem Besteck; es trat eine lange Pause ein, in der nur das Klirren der Teller und das Geräusch von Messer und Gabel sich vernehmen ließ. Es war, als sei der Vicomte vollständig seiner Sprache beraubt: er hob das Auge nicht vom Teller und vermied es, dem Blick seines Gegenübers zu begegnen. Endlich warf der Chevalier sein Mundtuch von sich und lehnte sich behaglich in den weiten Polstern des Sessels zurecht. Brétigny folgte diesem Beispiel und ermannte sich zu einer Frage.
»Clairon, was soll deine Anwesenheit hier?«
»Nicht mehr und nicht weniger als die deinige.«
»Du bist Segelmeister der ›l'Horrible‹. Du gehörst auf das Schiff!«
»Du bist Kapitän der ›l'Horrible‹ und gehörst auf ihre Planken!«
»Ich übergab dir seine Leitung, weil ich in Hamburg zu tun hatte, wie du weißt.«
»Ich übernahm diese Leitung, weil ich nicht glaubte, daß du deine Reise zu einer Vergnügungsfahrt ausdehnen würdest. Dazu fehlt dir meine Erlaubnis.«
»Es war keine Vergnügungsfahrt, sage ich dir; im Gegenteil, ein verteufelt schweres Stück, den Bergelohn für die Brigg, die wir ... gerettet ... hatten, aus der Versicherungsgesellschaft herauszuholen. Und dennoch halte ich es für den schönsten Streich meines Lebens, daß wir erst alle diese verdammten christlichen Seefahrer über die Klinge springen ließen und dann das gekaperte und ausgeplünderte Schiff als herrenlos aufgefundenes Wrack nach Bahia lotsten, während ich zuletzt in Hamburg von den geschädigten Reedern für diese ... Mühewaltung ... noch bezahlt wurde!«
»Schade nur, daß du die schönen Gelder, die du für unser aller Arbeit in Hamburg eingeheimst hast, im Innern des Landes in der unzweideutigsten Gesellschaft verschwendetest. Du sitzest auf dem Trocknen, mein Lieber, ich weiß es gar wohl. Dein wirklich hübsch gestutzter und sorgsam gepflegter Bart mag dir bei deinen kostspieligen Abenteuern erfolgreich geholfen haben. Uebrigens war es eine Keckheit, dein Aeußeres so wenig zu verändern, denn wie leicht hättest du bei deinen Landfahrten als ›Kapitän Kaiman‹ erkannt werden können!«
»Laß den Spott! Ich habe mich selbstverständlich nicht der gefahrvollen Reise nach der alten Welt ausgesetzt, um gleich wieder von Hamburg zurückzudampfen. Auch wußte ich ja die ›l'Horrible‹ in sicheren Händen.«
»Nun, ich bin jetzt hier, um dir zu beweisen, daß unser gutes Schiff sich bei mir nicht in sicheren Händen befand.«
»Wieso?« fragte Brétigny mit schnell erhobenem Haupt.
»Du schriebst mir von Hamburg aus, ich solle die Schecks an deine gegenwärtige Anschrift senden?«
»Allerdings!«
»Den einen erhieltest du?«
Der Vicomte nickte.
»Der folgende blieb aus?«
»So ist's! Ich befinde mich dadurch in großer Verlegenheit.«
»Das ist begreiflich, bei dem verschwenderischen Lebenswandel, den du hier führst!«
»Wie willst du ...?«
Der Chevalier de Saccard lachte geringschätzig:
»Hast du jemals etwas getan, ohne daß ich Kenntnis davon erhielt? – Du wirst dich jetzt einschränken müssen, um nicht zu verhungern!«
»Wie meinst du das?«
»Ganz so, wie ich es sage. Es ist der Beleg zu meiner Behauptung, daß die ›l'Horrible‹ sich in schlechten Händen befand.«
»Du sprichst in Rätseln!« rief Brétigny erbleichend. »Weib! Was ist geschehen?«
»Wir sind gekapert.«
Sie wurden so ruhig, so gleichmütig ausgesprochen, diese drei Worte, aber sie brachten eine schreckliche Wirkung auf den Vicomte hervor. Wie von Federn getrieben, schnellte er von seinem Sitz in die Höhe; das Blut wich noch mehr aus seinen Wangen, die Augen drohten aus ihren Höhlen hervorzutreten, und nur silbenweise wiederholte er langsam und tonlos:
»Wir ... sind ... ge ... ka ... pert?!«
»Gekapert, ja! Und alles ist fort, alles! Kein Nagel, kein armseliger Span von unserer prächtigen ›l'Horrible‹ ist uns gerettet worden. Und niemand blieb übrig, um dir die Nachricht zu bringen, als nur ich allein! Jetzt weißt du, warum das Geld ausblieb.«
Brétigny sank kraftlos auf seinen Sitz zurück und lag einige Minuten bewegungslos. Dann griff er mit zitternder Hand nach dem Glas, stürzte seinen Inhalt hinunter, füllte es wieder und leerte es zum zweitenmal auf einen Zug.
»Es ist unmöglich, was du sagst, es muß unmöglich sein!«
»Glaubst du, ich wäre sonst hier? Glaubst du, ich möchte die Unsrigen verlassen, nur um dich hier in deinen schönen Abenteuern zu stören? Pah!«
Brétigny schien die Gebärde der Verachtung, die das letzte Wort begleitete, nicht zu bemerken und forderte begierig: »Erzähle! Ich muß alles wissen, alles! Sogleich!«
»Gern, mein Angebeteter! Meine unendliche Liebe zu dir hindert mich, dir eine so beglückende Nachricht auch nur eine Minute länger vorzuenthalten. Also höre: ich hatte besprochenermaßen in Rio mit einem Scheck zärtlich für dich gesorgt. Das Schiff war neu kalfatert, der Raum auf Massenquartier eingerichtet, und ich stach in See, um auf Ascension zuzuhalten. Dort trafen wir den ›Colombo‹ und nahmen einige hundert Mann Ebenholz, die er an der Goldküste gepreßt hatte, an Bord. Gelang es uns, den Engländern zu entkommen, so mußte ich auf den Antillen ein glänzendes Geschäft machen.«
»Bekamst du die Ladung wie immer auf Kredit?«
»Nein. Der Spanier klagte über die schlechten Zeiten und meinte, die Teerjacken seien so wachsam, daß der Handel nur noch gegen bar zu unternehmen sei. Wollte ich mir die Ware nicht entgehen lassen, so mußte ich meine Kasse bis auf den letzten Dollar leeren. Ich tat es, denn die Neger waren ohne Ausnahme kräftig, jung und bei guter Laune.«
»Welchen Kurs ließest du halten?«
»Ich steuerte auf Cuba und gelangte glücklich bis zur Höhe von Bahia. Dort nahm uns ein englisches Orlog in Sicht, dem sich bald eine Fregatte zugesellte, die sich als ein so trefflicher Segler erwies, daß an ein Entkommen ohne Kampf gar nicht zu denken war. Ich legte die schwarzen Halunken an die Kette und ließ die ›l'Horrible‹ unter Waffen setzen. Die Einzelheiten kannst du besser später erfahren, jetzt will ich kurz sein. Wir wurden von den beiden Engländern in die Mitte genommen und dermaßen zugerichtet, daß wir uns des Enterns nicht zu erwehren vermochten. Unsere Jungens verteidigten sich wie die Teufel; es half ihnen nichts. Sie wurden niedergehauen oder gefangen genommen und nach kurzem Verhör an die Raaen geknüpft. Die ›l'Horrible‹ war verloren.«
»Verloren!« knirschte de Brétigny. »Meine gute, meine herrliche ›l'Horrible‹ verloren, geentert und genommen von den englischen Zwiebackratten, die bisher schon zitterten, wenn sie nur meinen Namen hörten! Kapitän Kaiman, ha! Wäre ich nur dabei gewesen, ich hätte sie zu Paaren getrieben, wie stets und allemal!«
Er lief mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und kämpfte mit einer Erregung, die ihm fast das Blut aus den Augen treten ließ. Auch der Chevalier war aufgesprungen; er hatte den Griff eines Messers erfaßt und zerfetzte mit der Klinge achtlos das kostbare Tafeltuch, das den vor ihm stehenden Tisch bedeckte. Die Erinnerung an die erlittene Niederlage verzerrte sein Gesicht zu einer häßlichen Fratze und ließ unter seiner weißen Stirnhaut dicke blaue Adern aufschwellen.
»Denkst du, die ›l'Horrible‹ habe einen einzigen Feigling an Bord gehabt, so stoße ich dir dieses kalte Eisen zwischen die Rippen!« zürnte er, indem ein leuchtender Blitz aus seinem Auge zuckte. »Du hast eine gute Faust und verstehst, einen wackeren Kiel zu führen. Aber glaubst du, daß ich weniger vermag als du? Es war unmöglich, das Schiff zu halten und damit basta! Ein einziges beleidigendes Wort noch von dir, und von den dreien, die noch übrig sind von der ›l'Horrible‹: du, ich und Marc – fährt einer zur Hölle!«
»Pah, Clairon, es ist noch nicht erwiesen, ob du mein Meister bist! Uebrigens habe ich ja noch keinen Vorwurf gegen dich ausgesprochen. – Also sie mußten alle dran glauben, meine tapferen Jungens?«
»Alle!«
»Und du? Wie war es dir denn möglich, dem ... dem – verteufeltes Wort! – dem Strang zu entgehen?«
»Das war nicht so schwierig! Ich sah, daß es mit uns zu Ende ging, eilte hinab, warf mich schleunigst in Frauenkleider, schloß mich ein und entledigte mich des Schlüssels durch die Außenlucke. Als ich gefunden wurde, gab ich mich für eine Gefangene aus und erregte durch meine Erzählung das Mitleid der Engländer in dem Grade, daß ich mit der größten Rücksicht und Sorgfalt behandelt und dann bei der ersten Gelegenheit an Land gesetzt wurde. Da ich deinen Aufenthalt kannte, hatte ich natürlich nichts Eiligeres zu tun, als dich aufzusuchen, um dir das Geschehene zu berichten. Die ›l'Horrible‹ ist hin und wir – wir sind Bettler!«
Er schwieg; auch der Vicomte sprach lange kein Wort. Er setzte seinen Zimmerspaziergang fort und war augenscheinlich bemüht, das verloren gegangene innere Gleichgewicht wieder zu erlangen.
»Bettler?« grollte er endlich, »nein, Bettler sind wir nicht. Die ›l'Horrible‹ ist hin, ja, aber nur auf kurze Zeit. Ich werde mir sie wieder holen!«
»Hab auch nichts andres von dir erwartet!« meinte der Chevalier. »Wir beide sind wohl Manns genug, das gute Fahrzeug wieder unter die Füße zu bekommen. Hast du schon an Mittel gedacht?«
»Nein!« lautete die zurückhaltende Antwort. »Ich zweifle aber nicht, daß sich bald eins finden wird.«
»Ich bin ganz derselben Gewißheit. Nur mit dem Unterschied, daß ich dieses Mittel schon kenne!«
»Ah, darf ich es hören?«
»Es ist das gleiche, an das du denkst.«
»Du irrst; ich habe noch keinen bestimmten Gedanken. Das einfachste wäre wohl, die ›l'Horrible‹, die jetzt als gute Prise wahrscheinlich zu Regierungszwecken benutzt wird, aufzusuchen, als Matrosen Heuer auf ihr zu nehmen und die Mannschaft zu unserm Glauben zu bekehren.«
»Hm!«
»Was meinst du?«
»Du bist klug genug, um die Ausführung dieses Vorschlags selbst auch für zu umständlich und unsicher zu halten. In dieser Weise handelt man bloß dann, wenn einem kein andrer Weg zu Gebote steht.«
»Du kennst einen andern und bessern?«
»Ja. Ich sagte schon, es ist ganz der gleiche, an den du denkst.«
»Und ich wiederhole, du irrst dich. Ich bin durch deine Nachricht so überrascht und angegriffen, daß mir ein ruhiges Ueberlegen jetzt einfach unmöglich ist.«
»Herr Vicomte!« klang es scharf und schneidend.
»Herr Chevalier!« tönte die Antwort in einem Ton, der Eindruck machen sollte.
Saccard lachte:
»Glaubst du wirklich, mir einen Gedanken verbergen zu können?«
»Glaubst du wirklich, allwissend zu sein?«
»Zuweilen, ja. Wenigstens in bezug auf dich.«
»Meinst du? Nun, wenn du wirklich so klug bist, so enthülle mir doch den Gedanken, den ich sonderbarerweise habe, ohne es zu wissen!«
»Schön!« Saccard lächelte überlegen. »Meine Meinung über dich ist, wie du weißt, keine überspannte; trotzdem halte ich dich für klug genug, um zu wissen, daß ...« er näherte sich dem Vicomte und flüsterte: »... daß die kostbaren Schmuckstücke für die Herzogin von Oerstädt, die bei dem Juwelier Thieme, deinem hiesigen Bekannten, liegen, uns die Mittel bieten, schneller und leichter zum Ziel zu gelangen.«
»Weib!« rief Brétigny zurückweichend. »Du bist ein Satan!«
»Ich danke dir für diese Schmeichelei und bin damit zufrieden, denn der Teufel ist für gewisse Fälle eine ganz beachtenswerte Persönlichkeit. Uebrigens ist dein Entsetzen der sicherste Beweis, daß ich das Richtige getroffen habe. Ist dieser Thieme ein kräftiger Mann?«
»Unsereinem ist er nicht gewachsen.«
»Das läßt sich denken! Montag, also morgen, abends gegen neun Uhr, hat der Juwelier den Schmuck abzuliefern. Etwas später wird er das Haus der Herzogin von Oerstädt mit einer Summe Geldes verlassen, die hinreicht, uns aus aller Verlegenheit zu helfen und es uns möglich zu machen, unsere ›l'Horrible‹ zurückzuholen. Doch verlaß mich jetzt; überleg dir die Sache noch einmal genau! In einer Stunde erwarte ich dich wieder, dann wird ein endgültiger Beschluß gefaßt.«
Gehorsam entfernte sich Brétigny. In seinem Zimmer angekommen, warf er sich tiefatmend aufs Sofa. Doch hielt es ihn nicht lange auf dem Polster. Er sprang auf und maß den Raum mit langen, hastigen Schritten.
»Wer hätte das noch vor einer Stunde gedacht! Die ›l'Horrible‹ ist hin und die Miss Admiral ist hier! Mit dem Herrn Vicomte ist es aus! Armer, liebenswürdiger Thieme, hättest du geahnt, daß der hochadelige Herr de Brétigny, den du in dein Haus und die Gesellschaft einführtest, der Kapitän Kaiman ist! Woher mag Clairon nur eine solch genaue Kenntnis aller Verhältnisse gewonnen haben? Jedenfalls befindet sie sich schon längere Zeit in der Nähe und hat alle meine Schritte beobachtet. Vielleicht hat sie auch das meiste nur erraten. Sie kennt mich und besitzt einen Scharfsinn, vor dem man sich in acht zu nehmen hat.«
Nachdem er seinen Zimmerspaziergang noch eine Weile fortgesetzt hatte, kehrte ihm allmählich die verloren gegangene Ruhe wieder. Und als die Stunde vergangen war, suchte er das Nebenzimmer mit ganz anderen Regungen auf, als er es vorher verlassen hatte.
Bei dem Anblick, der sich ihm bot, blieb er unwillkürlich an der Tür stehen. Der Chevalier de Saccard war verschwunden, und an seiner Stelle ruhte auf dem Diwan eine Dame von entzückender Schönheit.
»Clairon!« rief er.
»Tritt näher und setz dich zu mir!« bat sie und streckte ihm die kleine, feine Hand entgegen. Ihre Stimme klang jetzt ganz anders als vorher. Brétigny eilte auf sie zu und ließ sich bei ihr nieder. Die Art und Weise ihrer vorigen Unterhaltung schien völlig vergessen zu sein. – – –
Zwei Tage darauf wurde die kleine Stadt durch die Kunde bewegt, daß der Juwelier Thieme ermordet aufgefunden sei. Er war nicht nur der ungeheuren Summe, die den Preis für den Schmuck der Herzogin von Oerstädt bildete, sondern aller wertvollen Gegenstände, die er bei sich getragen hatte, beraubt worden. Erst spät fiel der Verdacht auf den Vicomte de Brétigny. Mit seinem Diener und einem Chevalier de Saccard war dieser nämlich schon seit der Mordnacht verschwunden. Ihre Spuren führten nach Hamburg. Dort hatten sich die drei Verdächtigen auf den ersten besten Dampfer nach Amerika eingeschifft und schwammen, als die Verfolger eintrafen, bereits auf dem Ozean. Damals aber waren Amerika und Europa noch nicht durch ein Telegraphenkabel verbunden.
Jene weiten Prärien Nordamerikas, die sich westlich vom Vater der Ströme, dem Mississippi, bis an den Fuß des Felsengebirges und von dessen jenseitigem Abhang wieder bis an die Küste des stillen Weltmeeres erstrecken, haben nicht bloß in physikalischer Beziehung mancherlei Aehnlichkeiten mit den unendlichen Fernen, die des Ozeans Wogen erfüllen. Es bieten sich zu einem Vergleich zwischen den Weiten der Savanne und der See Punkte dar, die nicht in äußeren Verhältnissen liegen und von denen einer der bedeutendsten in dem Eindruck zu suchen ist, den die See sowohl als auch die Prärie auf den macht, der sich einmal von der heimischen Scholle losgerissen hat, um entweder auf längere Zeit die Fluten des Meeres zu pflügen oder auf dem Rücken eines guten Pferdes die abenteuervollen Hinterländer der Vereinigten Staaten zu durchstreifen.
Ein alter »Swalker«, dem Zeit seines Lebens die Segel eines stattlichen Dreimasters um den Südwester schlugen, mag von dem Binnenland nichts mehr wissen, und wird er seeuntüchtig, so baut er sich eine enge, kleine Kabine so nahe wie möglich an das Wasser und blickt mit liebevollem, sehnsüchtigem Auge hinaus auf die ewig wechselnden und nimmer ruhenden Wellen, bis die Hand des Todes ihm die müden Lider schließt. So ist es auch mit dem, der es wagte, den Gefahren des »wilden Westens« kühn die Stirn zu bieten. Ist er auch einmal zurückgekehrt in Gegenden, über welche die Zivilisation ihren Segen und – ihren Fluch ausgeschüttet hat, so zieht es ihn doch immer wieder zwischen die gefährlichen Post-oak-flats hinein und in die unbegrenzte Wildnis hinaus, wo es der Anstrengung aller körperlichen und geistigen Kräfte bedarf, um im Kampfe mit den tausenderlei und stets neuen Gefahren der Savanne nicht zu unterliegen. Für ihn gibt es im Alter nur selten ein Ruheplätzchen, wie es der »abgetakelte« Seemann doch an der sicheren Küste findet; ihm läßt es weder Ruhe noch Rast, er muß sich auf den Rücken seines Mustangs hängen und immer wieder in die Ferne ziehen, in der er einst spurlos verschwinden wird. Vielleicht findet ein Jäger nach Jahren seine gebleichten Gebeine auf ausgedorrter Ebene oder zwischen den himmelanstrebenden Felsen des Gebirges liegen, aber er reitet vorüber ohne ein Kreuz oder Ave und fragt nicht nach dem Namen dessen, der hier ein vielleicht grauenvolles Ende nahm. Der Westen hat einen rauhen Sinn und duldet weder Zartgefühl noch Schonung; er ist den physikalischen Stürmen widerstandslos preisgegeben, kennt keine andre Herrschaft als die des unerbittlichen Naturgesetzes und bietet darum auch nur Männern Raum, die ihren einzigen Halt in der eigenen knorrigen Naturwüchsigkeit suchen.
Ein trotz aller Verträge immer von neuem aus seinen angewiesenen Wohnsitzen verdrängter, von der Natur reich begabter und dennoch dem unvermeidlichen Untergang geweihter Menschenschlag liegt hier im Verzweiflungskampf mit einer Nation, der alle körperlichen und geistigen, alle künstlichen und natürlichen Mittel zur Verfügung stehen, den todesmutigen Gegner trotz der heldenmütigsten Gegenwehr gewaltsam zu erdrücken. Es ist ein Jahrhunderte langes Ringen zwischen einem sterbenden Giganten und einem von Minute zu Minute sich mächtiger entwickelnden Sohne der »Gesittung«, der dem Feinde die gewaltige Faust immer enger um die Kehle drückt; ein Ringen, wie es die Geschichte sonst wohl auf keinem ihrer Blätter wieder aufzuweisen hat, begleitet von Heldentaten, die dem, was von unsern klassischen Heroen berichtet wird, getrost und vollgültig an die Seite gestellt werden können. Und wer es wagt, die lang- und breitgestreckten Schlachtgefilde zu betreten, dem darf keine einzige der Waffen mangeln, mit denen die äußerlich unscheinbaren und doch bewunderswerten Kämpfer sich auf Tod und Leben bekriegen.
Wer in Fort Gibson am Arkansas die Büchse über die Schulter legt und einige Tagereisen weit stromaufwärts geht, gelangt an ein kleines Settlement, bestehend aus einigen einfachen Blockhütten, einem gemeinsamen Weideplatz und einem etwas abseits liegenden Hause, das sich schon von weitem durch sein einfaches Schild als Store und Boardinghaus zu erkennen gibt. Der Wirt dieses Hauses ist nicht gewohnt, große Ansprüche zu befriedigen, und stellt also auch selbst keine an diejenigen, die bei ihm eintreten und verkehren. Niemand weiß, was er früher war und woher er kam; darum fragt er auch keinen nach Namen, Vorhaben oder Reiseziel. Man versorgt sich bei ihm mit dem Nötigen, tut einen » Drink« nach Belieben, schlägt, sticht oder schießt sich ein wenig und geht dann seines Wegs. Wer viel fragt, braucht viel Zeit, und dem Amerikaner ist die Zeit kostbarer als eine Antwort, die er am besten sich selbst geben kann.
In dem Boarraum saßen einige Männer, deren Aeußeres keineswegs gesellschaftsfähig zu nennen war. So unterschiedlich die Kleidungsstücke waren, die sie trugen: sämtliche Anzüge ließen auf den ersten Blick den echten, richtigen Trapper oder Squatter erkennen, der kaum jemals davon gehört hat, was ein guter Schneider zu bedeuten hat, sondern sich seinen Bedarf ohne Wahl da und grad so nimmt, wo und wie er ihn findet.
Wo mehrere Westmänner beisammen sitzen, da ist ein guter Schluck in der Nähe und ebenso sicher eine gute Erzählung im Gang. Daß die Anwesenden grad jetzt still vor sich niederblickten, hatte jedenfalls seinen Grund darin, daß eine jener »dunklen und blutigen Geschichten«, wie man sie in den Grenzländern zu hören bekommt, soeben erst zu Ende gegangen war und nun jeder in seiner Erinnerung nach einer zweiten forschte. Da wurde plötzlich einer von ihnen, der in der nächsten Nähe des kleinen Blockhausfensters saß, laut:
»Auf, ihr Leute, und hinausgeschaut, da hinüber nach dem Wasser!« meinte er. »Täuschen mich meine alten Augen nicht, so kommen da zwei Green-beaks, zwei Grünschnäbel, wie sie im Buche stehen. Seht nur, wie sie zu Pferde sitzen, so nett und so fein, grad wie vom heil'gen Christ beschert! Was tun solche Leute hier in unseren guten Wäldern?«
Alle außer einem Einzigen erhoben sich, um die Ankömmlinge zu mustern: der Sprecher aber legte sich mit breitgespreizten Ellbogen wieder auf den Tisch zurück. Er hatte seine Schuldigkeit getan und brauchte sich um weiter nichts zu kümmern. Er war eine eigentümliche Figur. Die Natur schien im Sinne gehabt zu haben, mit ihm ein Seilerstück anzufertigen, so unendlich hatte sie ihn in die Länge gezogen; alles an ihm, das Gesicht, der Hals, die Brust, der Unterleib, Arme und Beine waren lang, unendlich lang und dabei scheinbar so schwach und dürftig, daß man befürchten mußte, den ganzen Mann beim ersten besten Windstoß zerrissen und in Fäden davonwirbeln zu sehen. Seine Stirn war frei; auf dem Hinterkopf aber baumelte ein namenloses Ding, das vor vielen Jahren vielleicht einmal ein Zylinderhut gewesen war, jetzt aber geradezu aller Beschreibung spottete. Das hagere Gesicht zeigte einen Bart, ja, aber dieser Bart bestand aus kaum hundert Haaren, die einsam und zerstreut die beiden Wangen, Kinn und Oberlippe bewucherten und von da lang und dünn bis fast auf den Gürtel herabhingen. Der Jagdrock, den er trug, schien noch aus seiner frühesten Jugendzeit zu stammen, denn er bedeckte kaum die obere Hälfte des Leibes, und die Aermel reichten nur wenige Zoll über die Ellbogen herab. Die zwei unglückseligen Schalen, in denen die Beine steckten, konnten früher einmal Schäfte von einem Paar riesiger Schifferstiefel gewesen sein, hatten aber jetzt das Aussehen alter, durchgeglühter Ofenrohre und stießen in der Knöchelgegend auf zwei sogenannte horse-feet, wie man sie besonders in Südamerika aus den noch lebenswarmen Häuten der Pferdefüße bereitet.
»Hast recht, Pitt Holbers,« entschied einer der Hinausblickenden; »es sind Green-beaks, die uns nicht viel angehen werden. Laßt sie machen, was sie wollen!«
Die Neugierigen kehrten an ihre Plätze zurück. Draußen ließ sich Pferdegetrappel vernehmen; eine kurze barsche Stimme ertönte, die grad so klang, als sei sie das Befehlen gewohnt, und dann öffnete sich die Tür, um die beiden einzulassen, von denen die Rede gewesen war.
Während von dem zuletzt Eintretenden nicht viel zu sagen war, wäre die Persönlichkeit dessen, der den Vortritt genommen hatte, in anderer Umgebung sicher nicht ohne Eindruck geblieben.
Ohne auffallend stark gebaut zu sein, erhielt er durch eine eigentümliche Weise der Haltung und Bewegung ein ungemein kraftvolles und gebieterisches Aussehen. Sein regelmäßig, ja schön gezeichnetes Gesicht war von der Sonne tief gebräunt und wurde von einem dichten, dunklen Bart umrahmt. Seine Kleidung war vollständig neu, und seine Waffen konnten ebenso wie die seines Begleiters erst vor kurzem den Laden des Händlers verlassen haben, so blank und sauber sahen sie aus.
Der echte Trapper oder Squatter hegt einen unüberwindlichen Widerwillen gegen alle auf die äußere Erscheinung gerichtete Sorgfalt. Ganz besonders ist ihm das Putzen der Waffen verleidet, deren Rost ihm ein sicheres Zeichen ist, daß sie nicht zur Zierde getragen wurden, sondern in Kampf und Todesnot ihre guten Dienste geleistet haben. Da, wo der Wert eines Menschen nach etwas ganz anderem, als nach seinem Kleide bestimmt wird, enthält ein stutzerhaftes Aeußeres fast eine Art von Herausforderung, und es bedarf nur einer geringen Veranlassung, um scharfe Reden zu Gehör zu bringen.
» Good day Mesch'schurs!« grüßte der Ankömmling, indem er seine Doppelbüchse von der Schulter nahm, um sie in die Ecke zu lehnen, was einem erfahrenen Westmanne auf keinen Fall eingefallen wäre. Und sich an den Wirt wendend, der ihn mit halb neugierigem, halb spöttischem Blick musterte, fragte er: »Ist hier der ehrsame Master Winklay zu finden?«
»Hm, der bin ich vielleicht selber!« meinte nachlässig der Gefragte.
»Vielleicht?« klang es in etwas beleidigtem und daher spitzem Ton. »Was soll das heißen?«
»Das heißt, daß ich allerdings der Master Winklay bin, zuweilen aber auch nicht, je nachdem es mir beliebt.«
»So! Und wie beliebt es Euch denn jetzt?«
»Das kommt wohl nur darauf an, was Ihr von dem Master wollt, Sir!«
»Zunächst einen anständigen Schluck für mich und diesen Mann und dann eine Auskunft, um die ich Euch zu fragen habe.«
»Der Schluck ist da; hier nehmt ihn hin! Und die Auskunft könnt Ihr ja auch haben, so gut ich sie zu geben verstehe. Ich weiß, was ich einem Gentleman schuldig bin.«
»Laßt den Gentleman weg, Winklay; er wird an diesem Ort nicht sehr viel gelten!« befahl der Fremde, indem er das Glas mit unbefriedigter Gebärde vom Munde nahm. »Meine Frage betrifft Deadly-gun.«
»Deadly-gun?« fragte überrascht der Wirt. »Was wollt Ihr mit dem?«
»Das ist wohl meine Sache, wenn's Euch beliebt! Ich hörte, er sei hier bei Euch zuweilen zu finden?«
»Hm, ja und nein, Sir. Was Euch beliebt, kann ja auch mir belieben. Gebt Ihr mir auf meine Frage keine Antwort, so könnt Ihr auch von mir nicht viel erwarten. Hier sitzen Leute, die Euch vielleicht auch einen Bescheid geben. Es sind zwei dabei, die den ganz genau kennen, nach dem Ihr Euch erkundigt.«
Der Mann drehte sich um und war nicht mehr zu sprechen. Der auf so echt amerikanische Weise Zurechtgewiesene wandte sich ruhig zu den übrigen:
»Ist das wahr, was Winklay sagte?«
Er bekam keine Antwort. Etwas klüger wandte er sich an Pitt Holbers:
»Wollt Ihr wohl die Güte haben, mir eine Antwort zu geben, Master Schweigsamkeit?«
»Hört, Sir, mein Name lautet Holbers, Pitt Holbers, wenn Ihr's merken könnt; und wenn Ihr dreihundert Männer zugleich fragt, so weiß keiner, ob grad er es ist, der antworten soll. Was wollt Ihr von Deadly-gun?«
»Nichts, was ihm unangenehm sein könnte. Ich heiße Heinrich Mertens und bin mit meinem Freunde Peter Wolf aus dem Osten herübergekommen, um mich ein weniges im Walde umzusehen. Nun brauche ich einen Mann, bei dem man etwas unter die Hand bekommt. Dazu ist Deadly-gun der Richtige, und ich will Euch daher fragen, wohin man sich zu wenden hat, um mit ihm zusammenzutreffen.«
»Möglich, daß er der Richtige wäre? aber ob er's auch sein will, das ist eine andre Frage. Ihr seht mir nicht grad aus, als ob Ihr zu ihm paßt!«
»Meint Ihr? Kann sein, aber auch nicht. Also sagt, ob Ihr eine Auskunft geben könnt und wollt!«
Der Aufgeforderte drehte sich langsam nach dem Winkel herum, in dem derjenige saß, der vorhin bei der Ankunft der Fremden ruhig sitzen geblieben war.
»Was meinst du, Dick Hammerdull?«
Der Mann hatte bisher den Kopf geneigt gehalten und dem Inhalt seines Glases eine so anhaltende Aufmerksamkeit erwiesen, daß seine Augen noch gar nicht auf die zwei Fremden gefallen waren. Jetzt drehte er sich herum und schob die Kopfbedeckung nach hinten, als wolle er seinem Verstand die nötige Freiheit zu einer vernünftigen Antwort geben.
»Was ich meine, das bleibt sich gleich. Er soll den Colonel finden!« sagte er.
Er drehte sich wieder ab, um von neuem in sein Glas zu blicken. Der Schwarzbärtige aber schien mit diesem kurzen, mangelhaften Bescheid nicht zufrieden zu sein, sondern trat näher zu ihm heran.
»Wer ist der Colonel, Master Hammerdull?« fragte er.
Der Gefragte sah langsam und erstaunt empor.
»Wer der Colonel ist, das bleibt sich gleich. Colonel heißt Oberst; Deadly-gun ist unser Oberst, folglich nennt man ihn den Colonel.«
Der Frager konnte sich über den logischen Trapper eines Lächelns nicht erwehren. Er legte ihm die Hand wie herablassend auf die Schulter und forschte weiter:
»Nur nicht hitzig, Master! Wenn man gefragt wird, so steht man Rede und Antwort; so ist es überall, und ich sehe nicht ein, warum es hier am Arkansas anders sein soll. Wo ist der Colonel zu finden?«
»Wo er zu finden ist, das bleibt sich gleich. Ihr werdet zu ihm kommen, und damit Schluß!«
»Hoho, Mann, das ist mir nicht genug. Ich muß doch wissen, wo und wie dies geschehen soll!«
Dick Hammerdull machte ein noch viel erstaunteres Gesicht als vorhin. Er, ein freier Mann der Savanne, sollte hier zum Reden gezwungen werden? Das konnte er sich unmöglich gefallen lassen. Er nahm das Glas empor, tat einen nicht enden wollenden Zug und erhob sich dann. Erst jetzt war es möglich, ihn von Kopf bis Fuß in Augenschein zu nehmen.
Er schien als Gegenstück zu Pitt Holbers gearbeitet zu sein. Er war ein kleiner und außerordentlich dicker Kerl, wie sie Amerika nicht sehr häufig aufzuweisen hat, und von dem man nicht recht wußte, ob man sich vor ihm fürchten oder ob man über ihn lachen solle. Sein kurzer, runder Körper steckte in einem aus Büffelleder gefertigten Sack, dessen ursprünglicher Stoff jedoch nicht mehr gegenwärtig war, denn eine jede Wunde des alten Kleidungsstückes war durch Aufheften des ersten besten ungegerbten Fells oder irgendeiner andern fraglichen Sache derartig geheilt worden, daß mit der Zeit Flick an Flick und Fleck an Fleck gekommen war und die Ausbesserungsstücke wie die Ziegel eines Daches über- und aufeinander lagen. Die Beine steckten in zwei Hüllen, die man weder Stiefel oder Schuhe, noch Strümpfe und Gamaschen nennen konnte, und auf dem Kopf trug er einen formlosen Gegenstand, der vor Zeiten einmal eine Pelzmütze gewesen sein konnte, jetzt aber vollständig haarlos war. Das wetterharte Gesicht, aus dem zwei kleine Aeuglein hervorblinzelten, zeigte nicht die geringste Spur eines Bartwuchses und war von zahlreichen Schmarren und Narben durchzogen, die seinen pfiffigen Zügen einen kriegerischen Beigeschmack gaben. Die Hände zeugten von derbem Zufassen. Seine Waffenausrüstung war ganz die gewöhnliche des Westens; sie zeigte nichts Außerordentliches; aber die Büchse, die er vor sich auf dem Tisch liegen hatte, verdiente es, näher betrachtet zu werden. Sie hatte die Gestalt eines alten Knüttels, der aus dem Dickicht gebrochen war, um bei der ersten besten Schlägerei eine Rolle zu spielen. Das Holzzeug hatte seine ursprüngliche Gestalt und Form verloren, war zerschnitten, zerkerbt und zerspalten, als hätten die Ratten ihr Spiel damit gehabt, und zwischen ihm und dem verlaufenen Rohre hatte sich eine solche Menge von Schmutz und Ungehörigkeit angesetzt, daß Holz, Schmutz und Eisen ein vollständiges Ganzes bildeten und gar nicht voneinander zu unterscheiden waren. Selbst der beste europäische Schütze hätte es nicht gewagt, aus dem alten Prügel einen Schuß zu tun, aus Angst, das Ding müsse sofort zerspringen; und doch stößt man noch heut in der Prärie auf derlei unscheinbares Schießzeug, aus dem ein andrer nie eine gute Kugel bringt, obgleich der Besitzer sicher nie sein Ziel verfehlt.
Er stand jetzt aufrecht vor dem Fremden, sah mit unbeschreiblichem Augenzwinkern zu ihm empor und sagte:
»Wo und wie dies geschehen soll, das bleibt sich gleich. Glaubt Ihr denn, Sir, Dick Hammerdull ist zehn Jahre lang auf dem Kolleg herumgelaufen, um Reden zu studieren? Was ich sage, das sage ich; mehr nicht, und wem es zu wenig ist, der mag sich seine Predigt von einem andern halten lassen. Wir sind hier auf Savannenland, wo man den Atem zu notwendigeren Dingen als zum Schwatzen braucht. Merkt's Euch!«
»Dick Hammerdull, Ihr seid auf dem Kolleg gewesen, denn Ihr könnt reden wie der beste Mormonenprediger. Aber mir zu sagen, was ich wissen will, das habt Ihr doch vergessen. Ich frage noch einmal: Auf welche Weise und wann und wo soll ich auf Deadly-gun treffen?«
»Beim Teufel, Mann, nun hab ich's satt! Ihr habt gehört, daß Ihr ihn finden werdet, und das ist vollauf genug. Setzt Euch zu Eurem Glase und wartet die Sache ab. Ich lasse mir meinen Katechismus von keinem Greenhorn abexaminieren!«
»Greenhorn? Habt Ihr etwa Lust, mit meinem Messer Bekanntschaft zu machen?«
» Psahw, Sir! Was geht mich Euer Kneif an? Nehmt ihn zum Käferstechen oder rasiert meinetwegen Laubfrösche damit; Dick Hammerdull aber ist nicht der Mann, sich vor Eurer Spicknadel zu fürchten. Euer Auftreten ist nicht das eines Westmanns; ich sage es also noch einmal. Ob es Euch gefällt oder nicht, das bleibt sich gleich: Ihr seid ein Greenhorn; sorgt dafür, daß es anders wird!«
» Well, so soll es auf der Stelle anders werden!«
Er trat in die Ecke zurück, in der seine Büchse lehnte, ergriff sie, zog den Hahn zurück und gebot:
»Master Hammerdull, wo ist Euer Colonel zu finden? Ich gebe Euch nur eine Minute Zeit; ist meine Frage dann noch nicht beantwortet, so antwortet Ihr überhaupt nicht mehr. Wir sind auf Savannenland, wo jeder sich das Gesetz selbst zu machen hat!«