Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 02: Die Rache des Schut -  - E-Book

Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 02: Die Rache des Schut E-Book

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Beschreibung

Kara Ben Nemsi und sein treuer Freund Hadschi Halef Omar sitzen in einer teuflischen Falle, die ihnen der Schuh gestellt hat. Der Gelbe will endlich Rache nehmen für die Schmach, die ihm seine Erzfeinde zugefügt haben. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse.

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Hymer Georgy

DIE RACHE DES SCHUT

In dieser Reihe bisher erschienen:

1801   Die Rückkehr des Schut von G. G. Grandt

1802   Die Rache des Schut

Hymer Georgy

Die Rache des Schut

© 2016 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Mark Freier

Umschlaggestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-112-0

Vorrede

Die an uns ausgeübte Rache Kara Nirwans, des teuflischen ehemaligen Viehhändlers aus Rugowa, schien beinahe vollendet. Jener Verbrecher, der als der Schut jahrelang auf dem ganzen Balkan mörderische Schrecken verbreitete, war wider unserer Überzeugung bis noch vor ein paar Stunden doch nicht vor ungefähr acht Jahren in der Verräterspalte am Newera-Felsen Albaniens ums Leben gekommen. Getrieben von der Angst um den von ihm bereits in Marokko geraubten Kara Ben Halef, waren wir ihm im Hafen von al-Chums nach vielen zuvor erlebten Abenteuern abermals in eine tödliche Falle gegangen.Die soeben gefallenen Schüsse hallten noch nach, während ich in der Brust getroffen ins Hafenbecken stürzte und auch mein treuer Freund Hadschi Halef Omar blutend auf dem Kai zusammensank{1}.

1. In den Fängen des Todes.

Nordafrika, Tripolitanien, al-Chums, im Hafen. Mai anno 1882{2}.

Der Mond stand hoch und gelb über al-Chums. Der Schut übergab Sandar gerade sein leergeschossenes Gewehr. Dann zog er an dessen Stelle eine reichverzierte, doppelläufige, nicht eben neue Perkussionspistole aus dem Gürtel. Sie war englischen Ursprungs, wahrscheinlich von Twigg{3} aus den 1830er-Jahren, und besaß ein Kaliber von elf Millimetern. Der Teufel mochte sie einmal Gott weiß wem geraubt haben. Die beiden formschönen Hähne mit einem Daumen geübt gleichzeitig spannend und den Zeigefinger bereits am Abzug, näherte er sich dem verletzt und wehrlos am Boden liegenden Halef. Bevor er mit eiskaltem Blick zu ihm herabsah, um diesen endgültig ins Jenseits zu schicken, gab er seinen engsten Vertrauten eine knappe Anweisung. Sie veranlasste die Aladschy Sandar und Bybar sowie Kalila mit dem kleinen Sohn Halefs umgehend an Bord einer am Holzsteg anliegenden Barke vorauszugehen. Diese hatten Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar ebenfalls im Hafen mit aufgelauert. Dann beugte er sich etwas zu dem Haddedihn herab, der kaum die Augen offenzuhalten vermochte und in der Bauchgegend sowie am Unterarm nicht unerheblich blutete.

„Deine elende Brut werde ich als Sklaven an die Händler der al-Kufra{4} verkaufen!“, hörte dieser den Schut jetzt fauchen. Die Worte drangen nur mehr wie durch Watte an Halefs Ohren. Seine Augen weiteten sich vor Angst, als der Verbrecher die hässlichen kurzen Mündungsrohre auf ihn richtete. Diesmal konnte es nicht gut ausgehen, allen früher bestandenen Gefahren zum Trotz. Sein Sihdi – wie er selbst getroffen von den Schüssen der Mörderbande und fraglos bereits ertrunken. Vor dem eigenen Geiste zudem das verschwommene Antlitz seiner jungen Frau Hanneh, an die er mit seinen wohl letzten Atemzügen dachte, versuchte er sich etwas zur Seite zu bewegen. Gleichwohl wusste er, dass es nicht die geringste Möglichkeit gab, aus dieser kurzen Distanz der Kugel zu entgehen, auf welche Allah in einem unzufriedenen Moment seinen Namen geschrieben haben mochte.

Trotzdem wagte Halef einen Abschiedsgruß. „Ich warte in der Dschehenna auf dich, du Hund!“, stieß er so fest, so mutig und so kraftvoll hervor, wie es ihm noch möglich war, doch der Schut lachte nur gehässig laut auf. Er zielte genau auf die Stirn des Haddedihn. Dann knallte der Schuss.

Der Hadschi zuckte in Erwartung seines sofortigen Todes zusammen. Er schlug beide Hände über dem Kopf zusammen, wo ihn der Schuss treffen musste. Doch beinahe im selben Augenblick vernahm er einen zweiten. Wie war das möglich, wenn er doch nun tot war? Er öffnete die im Reflex geschlossenen Augen und senkte die Arme weg. Der Schut, den Finger weiterhin am Abzug, wandte sich mit Oberkörper und Kopf halb um, ohne die Waffe aus der Schussrichtung zu lenken.

Überraschung stand im Gesicht des Verbrechers. Er erblickte nämlich fünf eindrucksvolle Gestalten in osmanischen Uniformen, die, offenbar auf Patrouille, unweit im Pulk um die Ecke eines Lagergebäudes gerannt gekommen waren. Deren scharfe Stiefelschritte schienen im vorherigen Tohuwabohu untergegangen zu sein. Zwei der Soldaten hatten allerdings soeben im Laufen Warnschüsse aus ihren Gewehren abgegeben. Schon erfolgten laute Rufe in jener Sprache, die Halef nicht verstand. Sie sollten aber offenkundig den Schut veranlassen, die Pistole fallen zu lassen, und sich zu ergeben. Dabei kamen sie unablässig näher heran.

Sandar war bereits, gefolgt von Kalila mit dem zappelnden Sohn Halefs an der festen Hand, an Bord der aufgetakelten Einmastbarke gelangt. Sie lag leicht knarrend mit gerefftem Segel auf Halbmast am Kai an. Einigermaßen betagt und sogar etwas morsch in ihren wenigen Aufbauten, wirkte sie jedoch nicht gänzlich heruntergekommen. Sein Bruder ging ihm mit zwei gesunden Beinen drei Schritt voraus. Er stieß gerade steuerbords mit seinem handlosen Arm, aber nicht wenig kraftvoll, den dürren alten mutmaßlichen Besitzer rücksichtslos über Bord. Dieser war wohl wie die Soldaten durch das vorherige Gewehrfeuer bereits alarmiert worden. Mit einem kurzen Aufschrei kippte der gleichwohl überrumpelte an Steuerbord rückwärts über die niedrige Reling und verschwand unter Wasser. Der Laut, den er von sich gab, verstummte gurgelnd. Beide Skipetaren vernahmen die Schüsse hinter sich. Das abfällige Grinsen in deren Gesichtern über die endgültig erfolgte Abrechnung ihres Bandenchefs mit dem Hurensohn der Haddedihn wich jedoch der inneren Panik, als auch die von den Soldaten gerufenen Kommandos zu ihnen drangen. Sofort ließ Sandar die mit sich getragenen Gewehre fallen. Er zog seine Pistole aus dem Gürtel, drehte sich geschwind um und feuerte aus der Bewegung heraus in deren Richtung. Der Schuss ging jedoch knapp fehl. Die für den anführenden Onbaşı{5} gedachte Kugel verschwand in der Dunkelheit, ohne sichtbaren Schaden anzurichten.

Die Soldaten verlangsamten ihren schnellen Schritt und blieben in einer losen Reihe nebeneinander stehen, um das Feuer in breiter Front zu erwidern. Die beiden, die bereits einmal warnend geschossen hatten, luden ihre Kammerstängel-Repetierkarabiner{6}eilig durch und visierten ihre Ziele lediglich einen Augenblick später an. Bybar warf sich sofort nieder. Im schwachen Mondlicht fürchteten die Uniformierten offenbar, das von ihnen erblickte Kind zu treffen, welches sicher nicht zur Bande gehörte, und hielten absichtlich etwas zu hoch. Die beinahe gleichzeitige Salve aus allen Rohren streifte lediglich den unteren Mast und durchschlug das niedrig hängende, gereffte Segel. Auch Sandar konnte noch rechtzeitig hinter einem an Deck befindlichen großen Bretterverschlag Schutz suchen, bevor die Kugeln über ihn hinweg strichen oder auf Tuch und Holz trafen. Ein lautes Fauchen war aus dem Inneren heraus zu hören, verbunden mit dem Geräusch schneller Bewegung, dann ein Kratzen. All dies deutete auf einen wütenden Geparden hin. Das Tier selbst war jedoch nicht genau zu erblicken.

Der Schut wandte sich von seinem wehrlosen Opfer am Boden ab und gab ebenfalls einen Schuss auf die Türken ab. Obwohl auch er schnell und ohne genaues Zielen gefeuert hatte, traf er den zweiten links mehr zufällig in den oberen Arm, sodass der aufschrie, ihm das Gewehr entglitt und er mit der Hand nach der sich auftuenden Wunde fasste. Blut drang sogleich in einem Schwall dort hervor, offenbar hatte die Kugel eine wichtige Ader zerfetzt.

Halef witterte trotz der eigenen Verletzungen seine Chance und trat im Liegen mit beiden Beinen und letzter Kraft nach dem abgelenkten Verbrecher über ihm. Er traf genau in dessen Kniekehlen, sodass dieser einknickte und überrascht die Waffe fallen ließ. Der Schut wollte sich zunächst herunterbeugen, um sie wieder aufzuheben, stellte sie doch einen gewissen Wert dar. Aber die weiterhin kampfbereiten Soldaten kamen jetzt sehr schnell näher, abgesehen davon war sie bereits leergeschossen. Zudem hatte der Onbaşı jetzt selbst eine Pistole gezogen, was diesem ein schnelleres Schießen ermöglichte. Der Schut griff daher nicht nach der Waffe am Boden, sondern machte zwei große Sätze auf die Kante des Holzsteges am Kai zu, um dann mit einem dritten zu seinen Gesellen auf die Barke zu springen, die hierdurch leicht ins Schaukeln geriet. Die beiden hastig abgefeuerten Kugeln des Korporals pfiffen knapp an ihm vorüber. Das Gewicht des eigenen Körpers ließ den Flüchtenden nach vorn stürzen, aber umherliegende Taue fingen seinen Fall einigermaßen sanft ab, sodass er unverletzt blieb. Sandar machte derweil mit seinem gezückten Heiduckenbeil dasjenige los, welches die Barke am Kai hielt, indem er es gezielt auf dessen Verlauf am Boden an Deck schleuderte, ohne seine Deckung zu verlassen. Es blieb, mit der scharfen Schneide das Tau komplett durchtrennend, in den Planken stecken. Sogleich löste sich die Barke in den sanften Wellen des dort anschlagenden Meeres etwas von ihrem Platz.

Erneut luden die untergebenen Soldaten, nur zwei oder drei Schritt weit vorangegangen, ihre Gewehre durch und nahmen hockend die Barke unter Feuer. Es konzentrierte sich eher unkontrolliert erneut auf Sandar hinter dem Verschlag, der nun selbiges erwiderte, bis seine Waffe leergeschossen war. Keine seiner Kugeln traf; der Boden unter ihm schwankte zu sehr, als dass seine Versuche von mehr als sehr zufälligem Erfolg hätten gekrönt sein können. Das Geräusch des schnell sterbenden Tieres ertönte, als mehrere Kugeln durch die Ritzen des Verschlags hindurch es trafen. Der in der Barke liegende Schut sah und hörte es. Er richtete von seiner Position am Boden aus drohend eines der von Sandar fallen gelassenen Gewehre auf den Jungen, der mit dem Gesicht in Richtung des Kais direkt vor Kalila stand, sodass die Uniformierten ihre Waffen senken mussten, damit er ihn nicht etwa erschoss.

Kara Ben Halef jedoch biss in diesem Augenblick Kalila herzhaft in die ihn haltende Hand. Sie schrie unmittelbar kurz auf, das Gesicht nur wenig schmerzerfüllt. Aber bevor es ihm gelang, sich ganz aus ihrem Griff zu lösen und über den sich jetzt schnell verbreiternden Spalt zwischen Reling und Steg an Land zu springen, packte sie ihn und warf ihn zu Boden. Bybar fasste mit der Hand seines einen vollständigen Armes kräftig in Halefs volles Haar, sodass der Junge aufschrie und sich keine Gegenwehr mehr traute. Kalila, sehr wütend, beugte sich hinab und versetzte ihm eine heftig klatschende Ohrfeige mit dem Handrücken, aber er unterdrückte den Wunsch, sogleich losheulen zu wollen. Ein weiterer Schuss des Korporals, der jedoch deutlich zu hoch lag, hielt sie von einer weiteren ab, und sie zog den Kopf ein.

Die Soldaten erreichten nun sämtlich die Stelle, an der Halef lag. Drei von ihnen wollten von dort aus mit den Gewehren nochmals schießen. Doch ihr Vorgesetztergab eine andere Anweisung, da der Schut immer noch auf den Jungen zielte und der Verletzte am Boden, noch bei Bewusstsein, ihn gerade anflehte.

„Nicht! Bitte nicht auf sie schießen! Mein Sohn …“, gab Halef Omar aus Angst um diesen von sich. Seine Stimme klang brüchig. Es war kaum zu verstehen, obwohl zumindest der Onbaşı des Arabischen mächtig war. Dann verlor er langsam das Bewusstsein. Das letzte, was er noch zu hören bekam, waren die diesbezüglichen drohenden Rufe des Schuts.

*

Fast gleichzeitig schallte es nämlich von der Barke herüber: „Haut ab, oder er ist tot!“ Der Verbrecher ließ keinerlei Zweifel daran, dass er es absolut ernst meinte. Die unverletzten Askerler{7}legten daraufhin ihre unhandlichen Gewehre ab, und der Zeigefinger des Verbrechers am Abzug lockerte sich etwas. Um seiner Forderung nach freiem Abzug Nachdruck zu verleihen, feuerte dieser allerdings noch einmal auf die Soldaten am Ufer. Eine Kugel ging dicht in Brusthöhe durch deren Reihe, dass sie zusammenzuckten – ohne allerdings zu treffen. Als er durchladen wollte, füllte keine Patrone mehr den Lauf, es ertönte lediglich noch ein Klicken, denn die letzte Kugel war vertan.

So schnell wollte der Onbaşı sich nicht geschlagen geben, nun, da die Feuerkraft der flüchtenden Verbrecherbande ein Ende gefunden zu haben schien. Erneut gab er einen Befehl, und nach nur kurzem Zögern versuchten drei der ihm unterstellten Soldaten auf die bereits beinahe vier Meter weit abgelegte Barke zu gelangen. Der erste setzte nach kurzem Anlauf mit einem beherzten Sprung auf das Gefährt über, sodass sie heftig ins Schaukeln geriet. Er stürzte zunächst, rollte aber geschickt ab und stand sogleich wieder auf den Beinen. Der zweite hingegen verfehlte es knapp und erwischte lediglich noch mit den Händen der ausgestreckten Arme die Reling, an der er nun, bis zur Hüfte im Wasser, hing. Der dritte bremste seinen Anlauf direkt vor der Kante des Holzanlegers abrupt ab, wohl weil er den Vordermann nicht glücklich landen sah, aber es war für ihn zu spät. Nach zwei, drei kurzen vergeblichen Bewegungen mit rudernden Armen, um das Gleichgewicht wiederzufinden, kippte er nach vorn und stürzte mit einem Platschen bäuchlings an der nun freien Stelle ins Wasser. Sein Aufschrei ging unter, als er das salzige Nass in den Rachen bekam.

Sandar nahm den an Bord gelangten Soldaten, der bereits einen kurzen Krummdolch zog, mit dem jetzt wieder an sich genommenen Czakan in Empfang. Es gab einen kurzen, heftigen Zweikampf, bei dem der brutaler vorgehende Aladschy schnell die Oberhand gewann. Der Soldat verlor seine Waffe, als ihm ein schneller Hieb mit dem Beil das obere Glied seines mittleren Fingers kostete. Der nachfolgende Zweikampf dauerte nur kurz. Mit einem bösartigen Gesichtsausdruck nahm Sandar Maß, um dem schließlich mit dem Rücken zu ihm auf allen vieren befindlichen Gegner von hinten den Schädel einzuschlagen. Der zweite Soldat hatte sich jedoch inzwischen kraftvoll an der Reling hochgezogen und war ebenfalls auf dem Deck erschienen. Dort wich Kalila recht feige an den hier einsetzenden Bug der gegenüberliegenden Seite der Barke zurück, fasste dann aber geschickt unter ihr Kleid, wo sie ihr Bussaadi verborgen hielt. Doch der Soldat hatte es offenbar nicht auf sie abgesehen. Er wandte sich sofort dem einen der Aladschy zu, der seinen Kampf gerade gewann, während der andere sich um das Ruder kümmern musste.

Bevor Sandar den ersten Soldaten umbringen konnte, fiel der zweite dem Skipetaren in den Arm, und gemeinsam versuchten sie nun, ihren Gegner doch noch zu bezwingen. Sie erwiesen sich als äußerst kräftig und kampferprobt, hatten sie doch vor nicht allzu langer Zeit erst in einer Auseinandersetzung mit der Senussi-Bruderschaft{8} weiter im Süden ihre Nahkampffähigkeiten bewiesen. Aber was dem Aladschy aufgrund seiner Gehbehinderung an Technik fehlte, machte er durch Gemeinheit wieder wett. Es gelang Sandar zwar trotzdem nicht, die beiden abzuschütteln, doch konnten sie umgekehrt ihn auch nicht zu Fall bringen. Vielmehr gab es auf der jetzt erheblich schaukelnden Barke ein zähes Ringen im Stehen und mehrfaches Stolpern über die umherliegenden Taue, bei dem sie einander umklammerten, würgten und auf kürzeste Distanz schlugen, jedoch keiner siegreich zu werden vermochte. Kara Ben Halef sah mit großen Augen zu.

Einer der Soldaten packte Sandar jetzt vorn um das Kinn und versuchte, ihm seine groben Finger über Mund und Nase hinweg in die Augen zu drücken. Doch dieser stieß nun mit dem gesunden Knie zu, dorthin, wo es am meisten weh tat. Sein Gegner schrie laut auf, ließ ab und krümmte sich. Der Aladschy blieb dabei weiterhin im Besitz seiner tödlichen Waffe. Mit dieser versuchte er im Gerangel, den anderen Uniformierten an empfindlichen Stellen zu treffen, streifte diesen jedoch nur zweimal am Oberschenkel und einmal leicht am Bauch. Lediglich dessen Uniform riss dabei etwas auf. Der Schut, selbst mühelos schon wieder auf die Beine gekommen, erfasste geistesgegenwärtig die kritische Situation. Zu voller Größe aufgerichtet, warf er sich mit der ganzen Wucht seines Körpers energisch in das Kampfgetümmel. Dies hinderte Kalila daran, ihr Messer in den Rücken eines der Soldaten zu schleudern.

*

Die Barke trieb immer weiter vom Steg ab. An Land hatte der Korporal seine Pistole zum gezielten Schuss auf den Schut erhoben, nun, da dieser nicht mehr auf das Kind zu schießen vermochte. Aber er traute sich trotzdem nicht, zu feuern, da er dabei leicht seine eigenen Leute hätte treffen können. Diese neumodischen Mehrschüssigen erwiesen sich nicht selten als sehr ungenau, wie er wusste. Zudem hatte nun Kalila den jungen Halef wieder hochgezogen und hielt ihn einmal mehr wie ein Schutzschild mit dem Bussaadi am Hals unmittelbar vor sich. Auf dem Boden am Kai lag jener Mann, Halef Omar, wie er viel später erst selbst erfahren sollte, den man hatte umbringen wollen. Im Wasser platschte der Soldat hilflos herum, der nicht recht zu schwimmen vermochte, und nun mit unkontrollierten Armbewegungen den Kai zu erreichen suchte. An des Korporals Seite befand sich nur mehr jener Soldat, der am Arm getroffen war von der Kugel aus der Waffe des Schuts. Er selbst schließlich war noch kein sehr erfahrener Mann und erst vor kurzem aufgrund guter Beziehungen auf seinen Posten in der kleinen Garnison befördert worden, und so fehlte ihm jedes ausgeprägte Vermögen, intuitiv richtig zu entscheiden. Doch mit jeder Sekunde, die verstrich, entfernte sich die Barke weiter von ihnen weg und damit aus der Reichweite. Dort hatte Bybar das Ruder übernommen und brachte sie zunächst in der schwachen Brandung mehr schlingernd auf Kurs. Daher steckte der Korporal seine Pistole mit verkniffenem Gesicht ein; die Verbrecher waren bereits zu weit entfernt für einen sicheren Schuss.

Halef stöhnte schwer, die Augen inzwischen geschlossen, doch der Onbaşı entschied, zunächst seinen um Hilfe rufenden Untergebenen aus dem Wasser zu ziehen, der zu ertrinken drohte. Klatschnass erklomm dieser, hochgezogen durch die helfende Hand, den Steg, richtete sich auf, und alle mussten sie tatenlos zusehen, wie ihre beiden Kameraden auf der Barke im Kampf unterlagen. Schon wurde der erste vom Schut über Bord geschleudert, wo er mit einem Schrei ins Wasser segelte. Der etwas jüngere folgte ihm beinahe freiwillig, nachdem sich Sandar aus dem Ringkampf mit ihm befreien konnte, sein im Mondlicht gefährlich blitzendes Heiduckenbeil bis neben den eigenen Kopf anhob und wuchtig zuzuschlagen drohte.

Der Onbaşı am Kai beugte sich nieder, um sich um den verletzten Halef am Boden zu kümmern, und befürchtete, dass dieser sehr eilig ins Lazarett gebracht werden musste, wenn er eine Chance zum Überleben bekommen sollte. Soviel Blut! Allerdings war er nicht der Medizinkunde mächtig, und konnte es kaum recht beurteilen. Jedenfalls aber benötigten sie dafür eine Trage. Daher schickte er den verwundeten Soldaten, der sich den Oberarm hielt, sowie dessen einen vorm Ertrinken geretteten Kamerad neben ihm im Laufschritt zur Garnison los, rasch für eine solche zu sorgen.

Die beiden jetzt im Wasser befindlichen Askerler machten keinen Versuch, noch einmal die Reling der Barke zu erreichen, da sich diese zu weit auch von ihnen entfernt hatte. Sie schwammen mehr oder weniger schnell zurück zum Steg. Der eine nahm dabei den ebenfalls im Wasser gelandeten Bootsbesitzer mit sich, der ebenso wie der nun auf dem Weg zur Garnison befindliche Soldat nicht zu schwimmen vermochte, und daher gerade prustend Wasser spie. Nachdem er ausgehustet hatte, begann er, noch nicht wieder an Land, laut zu lamentieren über den gemeinen Raub der Barke und den Verlust der Ladung.

*

Der Schut sah zu ihnen allen ebenso höhnisch wie leise lachend zurück, bis ihm schlagartig bewusst wurde, dass der Haddedihn vielleicht doch noch zu überleben vermochte. Das verursachte in ihm sofort einen starken Zorn, den er dadurch unterdrückte, indem er insgeheim beschloss, selbigen an dessen Sohn auszulassen. Aber erst, nachdem sie sicheres Ufer erreicht haben würden, ein gutes Stück westwärts, wohin die vom östlichen Meer aus hereinfallenden Winde sie trugen. Niemand würde ihnen so schnell folgen können.

Sandar trat auf den Befehl seines Gebieters hin zum Mast und hackte dort mit dem noch etwas blutigen Beil ohne lang zu fackeln den daumendicken Haltestrick des Segels los, sodass es sich mit einem schlagenden Fallgeräusch vollständig entfaltete. Er wischte die Waffe an der eigenen Kleidung sauber ab und verstaute sie in der Schlaufe seines Gürtels. Dann zog er das Segel hoch nach oben. Einige frische Löcher waren darin zu erblicken, dort, wo die Kugeln der Soldaten es im gerefften Zustand getroffen und gleich mehrfach durchschlagen hatten. Es blähte sich gleichwohl deutlich auf, die Barke wurde um ein Mehrfaches schneller, der Wind stand sehr günstig für ihre eilige Flucht. Bald waren sie vom Ufer her gesehen nur noch ein flüchtiger Punkt in der Nacht.

Dem kleinen Halef in den Händen Kalilas lief eine einzelne Träne über die bereits rot anschwellende Wange. Was war mit seinem Vater? Und was war mit Kara Ben Nemsi?

*

Das Leben hatte es nicht immer gut gemeint mit Giancarlo Bassameri. Eigentlich nie so recht, wenn er länger darüber nachdachte. Mehr als zwanzig Jahre war es her, da er mit seinem Vater vom anderen Kontinent herübergekommen war. Dieser gehörte seinerzeit zu den Rothemden, die mit Giuseppe Garibaldi die Königreiche beider Sizilien von der Bourbonen-Herrschaft befreiten und schließlich auch Neapel einnahmen{9}. Das Unglück wollte es jedoch, dass dieser bei einem hohen Offizier in große Ungnade fiel, aus Gründen, die er seinem Sohn nie verriet. So ergab es sich, dass er desertierte, und sie beide aus der Heimat fliehen mussten, um nach einigem Umherirren und großen Entbehrungen an der Küste Tripolitaniens zu stranden.

Damals war er gerade mal fünf Jahre alt. Er lebte während der kurzen Landser-Karriere seines Vaters zuvor eigentlich bei einem Onkel in Bergamo, der jedoch mit kleinen Kindern, für einen Südländer untypisch, nichts anzufangen wusste, und, da oft betrunken, ihn ebenso oft aus nichtigem Anlass heraus verdrosch. Hiervon hatte er bereits in jungen Jahren deutliche Narben am Rücken davongetragen, die, wenn er sich jetzt gelegentlich mit einem Weibe vergnügte, immer wieder zu Fragen führten. Die Erklärungen, die er dazu lieferte, klangen dann stets sehr phantasievoll und beinhalteten die unglaublichsten in Wirklichkeit nie erlebten gefährlichen Abenteuer. Den Damen gefiel es.

Seine Mutter andererseits verstarb bereits kurz nach seiner Geburt an einer inneren Entzündung; er kannte sie lediglich von einer undeutlichen alten Fotografie her, welche er wie einen seltenen Schatz bei seinen sonstigen Dingen von Wichtigkeit aufbewahrte. Sein Vater hatte nicht erneut geheiratet. Darin war auch der Grund zu sehen, aus dem heraus er keine Geschwister die Seinen zu nennen vermochte. Als einziges Kind seines Vaters erfreute er sich somit allein dessen vielfältiger strenger Lehren. Obwohl er nie eine reguläre Schule besuchte, erlernte er alles Wissenswerte und hierneben im Laufe vieler Jahre auch die verschiedensten Sprachen des Landstrichs. Seit seiner Jugend wurde er mehr und mehr zum Einheimischen und trieb zuweilen auch sehr viel Unfug mit Gleichaltrigen. Daneben erfuhr er bald alles über das Schneidern von Kleidung, denn sein Vater war, bevor er sich freiwillig Garibaldi anschloss, ein sehr versierter Vertreter jenes Berufsstandes gewesen. Dieser arbeitete im neuen Land in seinem bald eigenen Laden stets hart, oft bis tief in die Nacht hinein und rühmte sich, Zeit seines Lebens stets ein ehrlicher Mensch geblieben zu sein.

Nachdem der Vater dann vor vier Jahren umkam, während sie von bewaffneten Straßenräubern überfallen wurden und er sich vehement zur Wehr setzte, ging es mit dem kleinen, aber feinen Geschäft in al-Chums’ Händlerviertel jedoch stetig bergab – wenngleich Giancarlo davon mindestens ebenso viel verstand wie sein totgeschlagener Papa. Einzig, ihm fehlte das gewisse Etwas, das die Kundschaft für ihn einnahm, und vielleicht auch das kaufmännische Händchen. Er musste also eine weitere Erwerbsquelle finden, eine solche, die ihm ein einigermaßen gesichertes Leben bescherte. Fortan wurde das Schneidergeschäft mehr und mehr zur Tarnung. Es diente eigentlich fast nur noch dazu, an jene Informationen zu gelangen, die er für seine inzwischen zur Perfektion gebrachte ganz andere Tätigkeit zwingend benötigte.

Was er gerade zu tun beabsichtigte, wäre weder mit den Prinzipien seines Vaters noch mit den türkischen Gesetzen in Einklang zu bringen gewesen. Ein Kunde von Bord der im Hafen anliegenden DJEMNAH{10} hatte ihm nämlich am Morgen, einen eiligen Auftrag für eine Frackänderung überbringend, eher beiläufig von einer Kassette mit wertvollem Inhalt erzählt, die sich dort befand: In der Erster-Klasse-Kabine jenes Mannes, welcher den Mitreisenden und der besseren Gesellschaft al-Chums’ als ehrenwerter OberstleutnantAlexander von Krischlow bekannt war. Der preußische Offizier war, so die weiteren wenigen Informationen, im Auftrag des Deutschen Kaiserreiches hierhergekommen, Sultan Abdülhamid II.{11}bezüglich der Reform seiner Landstreitkräfte zu beraten. Nach entsprechenden Inspektionen verschiedener Garnisonen Tripolitaniens wollte dieser nun weiterreisen nach Istanbul, um seinem Vorgesetzten vor Ort Bericht zu erstatten. Die Reise ginge angeblich bereits morgen weiter gen Alexandria in Ägypten, und anschließend nach Port Said, wo der Suez-Kanal zum Roten Meer hin begann. Ihn steuerte das Schiff auf seinem Weg nach China an. Es mochte nicht einfach sein, unbemerkt in von Krischlows Kabine zu gelangen, obwohl dieser die DJEMNAH am Vormittag zusammen mit seinem kleinen Begleiterstab verlassen hatte und bislang noch nicht wieder zurückgekehrt war. Aber für jemanden seiner spezielleren Profession war es kein unmögliches Unterfangen. Denn er, Giancarlo Bassameri, war in den letzten vier Jahren aufgrund der besonderen Umstände zu Bassam Al-Yahid geworden, dem Meisterdieb von al-Chums!

Al-Yahid war inzwischen etwas mehr als sechsundzwanzig Jahre alt, weder besonders klein noch groß, aber von sehr kräftiger Gestalt. Er trug gegenwärtig dunkles, kurzgehaltenes, scheitelloses und sehr glattes Haar, welches er lediglich bei seinen seltenen Ausritten weiter hinaus in die Wüste unter einem Turban versteckte. Dazu besaß er einen buschigen Schnauzbart, der in sauberen Spitzen fest anliegend bis in die Mundwinkel reichte. Seine schwarzen Augen von unergründlicher Tiefe ließen nur wenig Verschlagenheit, dafür eine ganze Menge Gewitztheit und Raffinesse erkennen. Er hatte sie von seinem Vater geerbt. Das beinahe immerwährend freundliche Gesicht war in langen Jahren unter der Sonne Nordafrikas dauerhaft gebräunt, zugleich ebenmäßig und ohne Makel. Wenn es sich für einen Mann geziemte, einen anderen als schön zu bezeichnen, dann traf dies auf Bassam Al-Yahid zu.

Seine Unterkleidung bestand am Abend zunächst, verborgen durch ein Tunika-ähnliches Obergewand, aus einem weiterentwickelten Anzugstoff besonderen wasserabweisenden Gewebes, das ein schottischer Erfinder namens Charles Macintosh{12} bereits vor einem halben Jahrhundert erstmals gefertigt hatte: Man verflüssigte für die Herstellung erhärteten Kautschuk mit Hilfe von Kohlenöl und formte hieraus dünne Gummischichten. Unter Hitzeeinwirkung verband man dann den Gummi mit Lagen aus Baumwollstoff. Das gegenwärtige dunkel eingefärbte Exemplar, das Al-Yahid trug, war von ungewöhnlich flexibler und kaum auftragender, sehr eng anliegender Machart, und konnte trotzdem Wasser abperlen lassen wie Öl von einem glatten Stein. Die Tunika darüber hatte er schließlich im Hafen unbeobachtet abgelegt, zusammengerollt und versteckt und war gleich dort, ein gutes Stück weit entfernt von dem anliegenden Dampfer, behände ins Hafenbecken geglitten. Dabei blieb er stets auf der Hut vor den Patrouillen der Soldaten, die aufgrund der Diebstähle, die unlängst zugenommen hatten, den Hafen genauer mit im Auge behielten als früher. Wenn sie ihn erwischten, würden sie sicher nicht sehr zurückhaltend mit ihm umgehen.

Der Exilitaliener war überzeugt davon, dass diese zusätzlichen Diebstähle, die nicht auf sein eigenes Konto gingen, wie so Vieles mit dem Auftauchen des fremden Patrons{13}