Katze, Maus und Mord - Tod eines Schaffners - Catherine Ashley Morgan - E-Book

Katze, Maus und Mord - Tod eines Schaffners E-Book

Catherine Ashley Morgan

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  • Herausgeber: beTHRILLED
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Catherine Ashley Morgan ist ein Pseudonym des Autors Ralph Sander, der mit seiner Katzen-Krimi-Serie "Kater Brown" viele Leserinnen und Leser begeistert

Band 3:
Christine ist mit ihrer roten Katze Isabelle auf Lesereise, um ihren neuen Krimi vorzustellen. Doch ausgerechnet kurz vor Weihnachten überrascht sie ein Schneesturm und die beiden stranden in dem kleinen Dorf Gleannlochy. Als wäre das nicht schon ärgerlich genug, entdeckt Isabelle auch noch eine Leiche. Schon wieder! Nathan Marks liegt ermordet mitten in seiner Modelleisenbahn - gefesselt wie Gulliver in Liliput. Da der Ort von der Außenwelt abgeschnitten ist, nimmt Christine zusammen mit Isabelle und dem jungen Dorfpolizisten die Ermittlungen auf. Steckt der Mörder genau wie sie selbst im eingeschneiten Dorf fest? Und kann Isabelle den Mörder aufspüren, bevor noch weitere Morde geschehen?

Bei diesem Katzen-Krimi handelt es sich um eine eBook-Neuauflage von »Die Spur der roten Katze« von Catherine Ashley Morgan um die kluge Katze Isabelle, die ein Pfötchen für Mordfälle hat!

Alle Bände der Reihe um Christine und Isabelle bei beTHRILLED:
Katze, Maus und Mord - Ein rätselhafter Nachbar
Katze, Maus und Mord - Die verhängnisvolle Botschaft
Katze, Maus und Mord - Tod eines Schaffners
Katze, Maus und Mord - Das tödliche Drehbuch

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Christine ist mit ihrer roten Katze Isabelle auf Lesereise, um ihren neuen Krimi vorzustellen. Doch ausgerechnet kurz vor Weihnachten überrascht sie ein Schneesturm und die beiden stranden in dem kleinen Dorf Gleannlochy. Als wäre das nicht schon ärgerlich genug, entdeckt Isabelle auch noch eine Leiche. Schon wieder! Nathan Marks liegt ermordet mitten in seiner Modelleisenbahn – gefesselt wie Gulliver in Liliput. Da der Ort von der Außenwelt abgeschnitten ist, nimmt Christine zusammen mit Isabelle und dem jungen Dorfpolizisten die Ermittlungen auf. Steckt der Mörder genau wie sie selbst im eingeschneiten Dorf fest? Und kann Isabelle den Mörder aufspüren, bevor noch weitere Morde geschehen?

Catherine Ashley Morgan

Katze, Maus und Mord – Isabelle und Christine ermitteln

Tod eines Schaffners

Für Hannibal und das H-Team

Prolog

In der Schwärze der Nacht spazierte eine Gestalt die Straße entlang, zwischen zwei Straßenlaternen blieb sie stehen und schaute zum Haus auf der gegenüberliegenden Seite. Die Kälte verwandelte ihren Atem in eine kleine weiße Wolke, die von einem leichten Wind fortgetragen wurde. Im Erdgeschoss war das Wohnzimmerfenster erleuchtet, ein Mann kam aus dem dunklen Flur herein, stellte etwas auf den Tisch, ging zu einem Schrank und sah eine Weile hinein, ehe er etwas herausholte, womöglich ein Buch oder eine DVD. Dann durchquerte er das Zimmer, bückte sich hier und dort, machte einen Schritt nach links, drehte sich, hob irgendwas vom Boden auf, bis er sich schließlich in einen Sessel setzte.

Ein paar Sekunden später stand er wieder auf, ging zur Tür und machte die Deckenlampe aus. Eine Stehlampe in einer Ecke spendete gerade genug Licht, um die Position des Mannes ausmachen zu können. Der nahm abermals Platz, dann leuchtete eine andere Lichtquelle auf – ein bläuliches Licht, das ohne erkennbares System zwischen hell und dunkel wechselte: ein Fernseher.

Die Gestalt nickte nachdenklich. »Genieß es, alter Mann«, murmelte sie. »Genieß es, solange du noch kannst. Bald wirst du tot sei. Du und die anderen Lügner und Verräter.«

Dann wandte sie sich ab und ging weiter.

Kapitel 1

Isabelle kauerte auf dem Mauervorsprung und beobachtete aufmerksam das Geschehen auf dem Nachbargrundstück. Murray, der Schäferhund, hatte sich hinter dem großen Strandkorb versteckt, der vor dem Teich stand. Von dort aus hatte er die Tür zum Schuppen im Blick, die jeden Moment aufgehen musste. Die Einbrecher hatten ihren Wagen so abgestellt, dass sie aus dem Schuppen kommend im Schutz der Dunkelheit durch das Gebüsch auf die angrenzende Straße gelangen konnten, um dann über die Landstraße zu entkommen.

Isabelle lauschte angestrengt und ignorierte die allzu verlockende Maus, die plötzlich aus dem Kellerfenster zum Vorschein kam und dann über den Rasen huschte. Vielleicht hatte sie Isabelle bemerkt, aber heute Nacht war ihre hektische Eile nicht nötig, denn die rot getigerte Katze hatte Wichtigeres zu tun.

In diesem Moment wurde die Klinke heruntergedrückt, und die Tür zum Schuppen öffnete sich knarrend ein Stück weit.

Weiter geschah nichts, und während Isabelle ein ungutes Gefühl beschlich, sprang Murray plötzlich auf und lief auf den Schuppen zu. Sie überlegte, ob sie ihm eine Warnung zurufen sollte, aber zum einen wollte sie ihre Position nicht verraten, zum anderen würde der Hund ohnehin nicht auf sie hören. Es war immer das Gleiche mit Murray: Sie konnten sich einen noch so schönen Plan zurechtlegen, aber wenn er plötzlich der Meinung war, in Aktion treten zu müssen, dann war der Plan vergessen, und es gab nur noch Murray.

Sie sah zu, wie er durch den Türspalt verschwand, Sekunden später folgte ein dumpfer Knall, und dann war alles ruhig. Das konnte nichts Gutes bedeuten.

Isabelle sprang von der Mauer. Das Gras war feucht und fühlte sich unangenehm an ihrem Fell und unter ihren Pfoten an, doch darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Möglicherweise war Murray in Gefahr, und sie musste ihm helfen.

Vor der Tür zum Schuppen blieb sie stehen und spähte in die Dunkelheit. Von dort konnte sie Murray nicht entdecken, also musste sie weitergehen. Da der Schäferhund mit seinen Schultern die Tür weit aufgedrückt hatte, musste Isabelle sich nicht hindurchzwängen. Drinnen war alles ruhig, nicht einmal ein Atemgeräusch war zu hören.

Plötzlich raschelte etwas hinter ihr, und als Isabelle blitzartig den Kopf drehte, sah sie zwei junge Mäuse unter einem Regal hervorkommen und nach draußen flitzen, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her. Sie wandte sich ab. Mäuse interessierten sie jetzt nicht, schon gar nicht solche Winzlinge wie die beiden.

Vorsichtig schlich sie weiter und sah immer wieder nach links und rechts, konnte aber von Murray keine Spur entdecken. Sie wagte es nicht, auch nur irgendeinen Laut von sich zu geben, damit die Einbrecher nicht merkten, dass sie sich hier aufhielt.

Auf einmal wurde die Tür hinter ihr ganz aufgerissen, und eine große Gestalt richtete eine grelle Taschenlampe auf sie, die Isabelle dazu zwang, einen Moment lang die Augen zuzukneifen. Als sie sich gleich darauf an die Helligkeit gewöhnt hatte, erkannte sie, dass der Fremde nicht nur die Lampe auf sie gerichtet hielt, sondern auch ... eine Waffe!

Christine Bell sah lächelnd in die Runde und schlug das Buch zu. Fast hundert Gäste drängten sich in der kleinen Buchhandlung The Other Ullapool Book Store hoch oben in Schottland und hatten alle andächtig gelauscht, während sie das erste Kapitel ihres neuen Buchs vorgelesen hatte. Jeder von ihnen schien darauf zu warten, dass Christine weiterlas, und es waren schon ein Blick und ein flüchtiges Nicken in Richtung des Buchhändlers, der links von ihr gegen die Kassentheke gelehnt stand, nötig, um ihm deutlich zu machen, dass er nun wieder an der Reihe war.

Mr Malloy zuckte leicht zusammen, dann stieß er sich von der Theke ab und kam zu dem kleinen Podest, auf dem Christine mit ihrem Buch Platz genommen hatte. »Ladies and Gentlemen, einen Applaus für Miss Christine Bell, bitte«, rief er und fuhr sich nervös durch sein graues Haar, gleich darauf gefolgt vom Griff an die Nickelbrille, um sie ein Stück nach oben zu schieben.

Christine hatte diese Geste an diesem Abend schon ein paar Mal bei ihm beobachtet, und zwar immer dann, wenn er vor den Besuchern der Lesung etwas sagen musste. Er fühlte sich sichtlich unbehaglich dabei, vor Publikum reden zu müssen, aber ihm blieb nichts anderes übrig, wenn er sich gegen die einzige andere, seit Jahren existierende Buchhandlung in Ullapool behaupten wollte. Lesungen lockten nun mal Leute an, und die meisten würden anschließend auch ein Buch des vorgestellten Autors kaufen – und wenn es nur dazu diente, ein Autogramm zu ergattern.

Die Aufforderung ans Publikum zeigte sofort Wirkung, und wenn Christine zurückdachte, dann konnte sie sich an keine Gelegenheit erinnern – weder bei sich noch bei einem Kollegen –, bei der es keinen Applaus gegeben hatte. Ausgenommen natürlich der Auftritt von Graham Burlough, dem Kinderbuchautor, der vor einer Lesung deutlich zu tief ins Whiskyglas geschaut hatte und nach nicht mal einer halben Seite sein Publikum zu beschimpfen begann, das von ihm neue Kinderbücher kaufen wollte, obwohl er Kinderbücher – und, wie er in einem Nebensatz anfügte, auch Kinder – hasste wie die Pest. Da war der Applaus ausgeblieben, und in gewisser Weise war sein verbaler Ausrutscher auch erhört worden, weil er seit dem Tag keine Kinderbücher mehr schreiben musste, da niemand mehr etwas von ihm kaufen wollte.

Als der Applaus abebbte, erklärte Mr Malloy: »Wenn Sie Fragen an Miss Bell haben ... oder an ihre Katze ... dann möchte ich Sie bitten, sich zu melden, ich werde versuchen, Sie der Reihe nach zu Wort kommen zu lassen.«

Bei der Erwähnung der Katze sah Christine nach links, wo Isabelle auf dem Tisch neben einem Stapel Bücher zusammengerollt lag und schlief. Nicht mal der Applaus hatte die rötlich gestreifte Tigerin aufgeweckt, aber nach einer Woche hatte sie sich anscheinend daran gewöhnt, dass dieser eigenartige Lärm immer dann einsetzte, wenn ihr Frauchen eine Stunde lang laut aus diesem Buch vorgelesen hatte, in dem wieder und wieder ihr Name auftauchte.

Genauso schien ihr das Geschirr nichts auszumachen, das sie tragen musste, seit sie mit Christine auf Reisen war. Offenbar hatte sie begriffen, dass sie ohne Geschirr zu Hause hätte bleiben müssen, und das hätte bedeutet, zweimal am Tag von der Nachbarin einen Napf mit Futter hingestellt zu bekommen, ein paar Minuten lang gekrault zu werden und dann den Rest des Tages allein sein zu müssen.

In der ersten Reihe meldete sich eine ältere Frau, ihre Haare trug sie zu stark toupiert, und Rouge und Lippenstift waren nicht nur viel zu intensiv, sondern beides hatte sie so dick aufgetragen, als wollte sie als Dame-Edna-Imitatorin einen Preis gewinnen.

»Ja, Mrs Lansing?« Der Buchhändler deutete auf sie.

»Wie geht denn die Geschichte weiter?«, wollte die Angesprochene wissen, die einen leicht frustrierten Eindruck machte.

Christine zuckte etwas verdutzt mit den Schultern. »Na ja, das erfahren Sie dann, wenn Sie das Buch lesen.«

Mrs Lansing schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich jetzt aber nicht. Auf dem Plakat steht doch: ›Christine Bell liest Isabelle und die sieben Kristallkugeln.‹ Das bedeutet doch, dass Sie das ganze Buch lesen.«

Der Buchhändler sah Christine entschuldigend an, sie zwinkerte ihm zu und grinste flüchtig. »Das tut mir leid, Mrs Lansing, aber auf dem Plakat steht: ›Christine Bell liest aus Isabelle und die sieben Kristallkugeln.‹ Das bedeutet, dass sie nur einen kleinen Teil des Buchs liest. Überlegen Sie doch mal, Mrs Lansing. Der Roman ist fast vierhundert Seiten dick. Wie lange sollte Miss Bell denn hier sitzen und vorlesen?«

»Keine Ahnung«, schnaubte die verkappte Dame Edna. »Auf jeden Fall hatte ich mich auf mehr als das hier eingestellt. Ich habe Sandwiches geschmiert und Gurkensalat mitgebracht, um zwischendurch mal was zu essen.« Im Geschäft machte sich Gelächter breit, was Mrs Lansing mit noch wütenderem Schnauben kommentierte. »Und dafür zahle ich fünf Pfund Eintritt? Das ist ja Wucher! Wegelagerei! Da kann ich ja ...«

»Mrs Lansing, bitte, Miss Bell ist hier, um ihr Buch vorzustellen«, unterbrach der Buchhändler sie, während andere Gäste ihren Unmut über diese absurde Diskussion kundtaten.

Die ältere Frau stand auf. »Dann will ich mein Geld zurück!«

Malloy verdrehte die Augen und ging kopfschüttelnd zur Kasse. Gleichzeitig begannen die anderen Anwesenden, die Unruhestifterin mit Fünfpencestücken zu bewerfen, woraufhin die noch wütender zu keifen begann, sich aber trotzdem bückte und alles aufsammelte, was in ihre Richtung geflogen kam. Augenblicke später verließ sie von Pfiffen und Gelächter begleitet mit einer Handvoll Kleingeld die Buchhandlung.

Kopfschüttelnd kam Malloy zu Christine zurück, und als das Gejohle endlich nachließ, erklärte er betreten: »Mrs Lansing ist für solche Aktionen bestens bekannt, und ich hätte ihr auch keine Eintrittskarte verkauft, weil mir klar ist, dass das nur Schwierigkeiten geben würde. Allerdings hat ihr eine Nachbarin die Karte besorgt, und als sie vorhin damit hier auftauchte, konnte ich sie nicht mehr wegschicken.«

Mit einer Mischung aus Unglauben und Belustigung winkte Christine ab. »Das war zumindest mal was ganz anderes«, gab sie lachend zurück. »So was habe ich jedenfalls noch nie erlebt.«

Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, verging gut eine halbe Stunde, in der sie Fragen zu ihrer Arbeitsweise und ihren Büchern beantwortete, und als schließlich keine Wortmeldungen mehr kamen, erklärte Mr Malloy die Veranstaltung für beendet und ließ die Besucher wissen, dass Christine gerne noch Bücher signieren werde. Gut die Hälfte der Leute, die zur Lesung gekommen waren, hatte schon ein signiertes Exemplar vorbestellt, um die sich Christine bereits gekümmert hatte, als sie am Nachmittag in Ullapool angekommen war. Von den übrigen Besuchern machte sich ungefähr die Hälfte wortlos auf den Weg – vielleicht hatten sie ein Buch und wollten keines mit Widmung haben, vielleicht war die Geschichte auch nicht nach ihrem Geschmack gewesen –, während der Rest eine Schlange vor dem Tisch bildete und sich von ihr ein Autogramm holte. Ein paar von ihnen unterhielten sich kurz mit ihr, andere schienen zu schüchtern zu sein und nickten ihr nur lächelnd zu.

»Ohne Widmung bitte«, betonte ein etwa fünfzehnjähriger Junge, der als Nächster gleich fünf Exemplare vor ihr auf den Tisch legte.

»Ohne Widmung?«, vergewisserte sie sich mit gespielter Arglosigkeit. »Wenn du die Bücher verschenken willst, dann wäre es doch schöner, wenn sie etwas persönlicher signiert sind.«

Der Junge zuckte mit den Schultern.

»Stimmt es eigentlich«, fragte sie daraufhin mit einem wissenden Lächeln, »dass ein signiertes Buch bei eBay höchstens noch die Hälfte vom üblichen Preis bringt, wenn es mit einer Widmung versehen ist?«

»Ähm ... ähm ...«, stammelte der Junge und bekam prompt einen roten Kopf. »Ich ...«

Christine lachte und legte ihm besänftigend eine Hand auf den Arm. »Das ist nicht schlimm, schließlich kaufst du ja die Bücher und verbreitest keine Raubkopien.«

»Oh ... ähm ... danke, Miss ...«

Sie sah ihm ins Gesicht und stellte fest, dass er versuchte, ihren auf dem Kopf stehenden Namen zu lesen. Daraufhin deutete sie hinter sich auf das Plakat, auf dem das Buchcover im Posterformat abgebildet war – natürlich mit ihrem Namen darauf.

»Miss ... Bell«, führte er seine Antwort verlegen zu Ende.

»Hat es dir denn wenigstens ein bisschen gefallen?«, wollte sie von ihm wissen. »Oder war das hier für dich jetzt mehr ein Muss?«

Er schüttelte hastig den Kopf. »Wissen Sie, mein Dad hat mich hergeschickt, weil er die Bücher versteigern will. Ich hatte total keine Ahnung, was das hier gibt, aber ich fand's cool. Ich werd' das Buch auf jeden Fall lesen.« Dann sah er Isabelle an und deutete mit einem Nicken auf die rote Katze. »Darf ich sie mal streicheln?«

»Ja, ich glaube schon«, antwortete Christine. »Normalerweise wird sie nur wütend, wenn man ihr wehtut, ansonsten ist sie eigentlich lammfromm.«

Etwas zögerlich streckte der Junge die Hand aus und strich Isabelle über den Kopf. Mit einem leisen »Mrrr« wachte sie auf, nachdem sie auch noch die Prozession der Autogrammsammler im Schlaf über sich hatte ergehen lassen. Sie gähnte und streckte sich, und dann rollte sie sich auf den Rücken, damit die fremde Hand doch bitte ihren Bauch kraulte.

»Mr Malloy, haben Sie zufällig ein Stempelkissen da?«, rief Christine zum Tresen, wo der Buchhändler die signierten Bücher abrechnete.

»Ja, einen Augenblick.« Zwei Minuten später kam er mit dem Stempelkissen zu ihr.

»Danke, Mr Malloy«, sagte sie. »Setzen Sie bitte ein Buch auf meine Rechnung.« Dann nahm sie das Stempelkissen, drückte es gegen Isabelles Vorderpfote und diese dann in ein aufgeschlagenes Buch. Sie wischte mit einem Taschentuch die Pfote sauber, wovon Isabelle gar nichts mitbekam, da sie sich mit solcher Begeisterung von dem Jungen kraulen und durchkneten ließ.

Christine nahm das Buch an sich und fragte den Jungen beiläufig: »Wie heißt du eigentlich?«

»Ken«, antwortete er. Von der Aktion mit dem Stempelkissen hatte er gar nichts bemerkt, umso erstaunter war er, als sie ihm das Buch mit ihrer Unterschrift und dem Abdruck von Isabelles Pfote hinhielt.

»Hier, Ken, das möchte ich dir gern schenken«, meinte sie und grinste, als sie seine verblüffte Miene sah. »Lass das deinen Dad nicht auf eBay verkaufen, okay?«

»Wow ... danke!«, erwiderte er, packte seinen Bücherstapel und ging zur Kasse.

Isabelle setzte sich auf und sah ihm nach, sichtlich erstaunt darüber, dass die Streicheleinheit so abrupt beendet worden war. Christine kraulte sie noch einen Moment lang hinterm Ohr, was sie mit lautem Schnurren quittierte.

Die letzten Kunden waren gegangen, nun stand ein äußerst zufrieden dreinblickender Mr Malloy am Tresen und zählte die Einnahmen des Abends. Christine setzte Isabelle in die Transportbox, überprüfte, ob die Metalltür auch richtig eingerastet war, und zog dann eine Hülle aus dickem, kälteabweisendem Stoff über die Box, damit der kalte Dezemberwind von Isabelle ferngehalten wurde.

»Erfolgreicher Abend?«, fragte sie, als sie an der Kasse angekommen war, die Box abstellte und das Buch bezahlte, das sie dem Jungen geschenkt hatte.

»Das kann man wohl sagen«, bestätigte Malloy. »Und das, obwohl dieser Termin so kurzfristig bekanntgegeben worden ist. Dieses Buch ist aber auch mit extrem wenig Vorlauf angekündigt worden.«

»Ich weiß, ich bin von dem Ganzen selbst überrumpelt worden«, räumte Christine ein. »Aber mein Verleger wollte die Publicity nutzen, nachdem Isabelle dem König von Jordanien das Leben gerettet hatte.«

»Ja, davon habe ich gehört. Das ist eine unglaubliche Geschichte. Daraus hätten Sie einen Roman machen sollen, der würde gut laufen.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ehrlich gesagt hätte ich das liebend gern gemacht, aber beim MI6 ist man ohnehin schon völlig aus dem Häuschen, weil es einem Attentäter gelungen ist, so nahe an den König heranzukommen. Mein Verleger meinte, in so einer Wunde sollte ich nicht auch noch herumstochern, indem ich einen ganzen Roman darüber schreibe. Also ist daraus stattdessen ein reines Isabelle-Abenteuer geworden, was mir auch ganz recht ist. Allerdings habe ich so schnell noch nie ein Buch geschrieben. Ein Kapitel am Tag, zwanzig Kapitel. Ich habe sozusagen jede fertige Seite direkt zum Verlag geschickt.«

»Das merkt man dem Buch nicht an«, meinte Malloy und schien es ernst zu meinen, was Christine als großes Kompliment empfand. Immerhin war sie ursprünglich gar nicht davon angetan gewesen, ein Buch so überhastet zu schreiben.

Er sah auf die Transportbox, die auf dem Tresen stand. »Und Sie wollen heute Abend noch weiterfahren?«

»Ja, in Inverness wartet ein Hotelzimmer auf mich, außerdem drei Buchhandlungen, die ich morgen abklappern werde.«

Malloy nickte und legte die Tageseinnahmen in eine Metallkassette. »Na, weit ist es ja nicht bis Inverness, in einer Stunde sollten Sie da sein. Um diese Zeit ist auf den Straßen nicht viel los.«

»Ich will es hoffen. Die Fahrt von Wick hierher war etwas anstrengend, weil dieser Sturm mich ständig von der Straße drängen wollte.«

»Nein, das Wetter wird Ihnen jetzt keinen Strich durch die Rechnung machen«, versicherte ihr der Buchhändler. »Es ist zwar immer noch stürmisch, aber der Wind kommt aus Nordwesten, und das heißt, Sie haben bis Inverness Rückenwind. Das Einzige, was passieren kann, ist, dass Sie ein paar Liter Benzin sparen.«

»Dagegen hätte ich nichts einzuwenden«, meinte sie, reichte Malloy die Hand und verabschiedete sich.

Die Straße vor der Buchhandlung war um diese Zeit menschenleer, alle anderen Geschäfte waren mit Ausnahme der Restaurants und Pubs längst geschlossen, trotzdem hatte Christine nicht das Gefühl, sie könnte hier in Gefahr sein. Ullapool war eine gemütliche Kleinstadt, die ihr persönlich zwar einige Nummern zu klein war, als dass sie hier hätte leben wollen, doch sie strahlte eine Sicherheit aus, wie sie in London nur selten zu finden war.

Der Wind pfiff durch die Straße, als Christine zu ihrem Wagen ging, und wirbelte offenbar ein paar Staubkörner auf, die feine Stiche auslösten, als sie ihr ins Gesicht geweht wurden. »Ich glaube, ich lasse mir die Haare wieder kurz schneiden«, sagte sie zu Isabelle, die nicht erkennen ließ, ob sie sich angesprochen fühlte. »Das ist irgendwie viel praktischer.« Zuletzt hatte sie sich für eine Kurzhaarfrisur entschieden, als sie vor einem halben Jahr bei ihrer Tante in Beechwood zu Besuch war und nicht wollte, dass der Wind an der Küste ihr unablässig die Haare ins Gesicht wehte. Seitdem waren sie wieder ein Stück gewachsen, hatten aber derzeit so eine eigenartige Zwischenlänge, mit der sich gar nichts anfangen ließ. Vielleicht würde es ihr ja am nächsten Morgen gelingen, in Inverness noch einen Friseur zu finden.

Sie hatte den königsblauen Ford Mondeo erreicht, der ihr vom Verlag für diese Tour zur Verfügung gestellt worden war, schloss ihn per Fernbedienung auf und stellte die Transportbox in den Fußraum vor dem Beifahrersitz, dann zog sie die Stoffhülle hoch, damit sie Isabelle sehen konnte.

Die reagierte mit einem leisen Miauen auf das Wiedersehen mit ihrem Frauchen, hielt aber die Pfoten eingeklappt und ließ den Kopf gleich wieder sinken. Isabelle war mit dem Ritual des Autofahrens längst vertraut und sah keinen Grund, sich über irgendetwas aufzuregen.

Christine legte ihre Handtasche auf den Sitz, ging um den Wagen herum und stieg ein. Als sie den Motor anließ, schalteten sich die auf Automatik eingestellten Scheibenwischer ein und wischten einmal, dann verfielen sie gleich wieder in Reglosigkeit. Sie stutzte, weil sie nichts davon gemerkt hatte, dass die Scheibe nass gewesen war. Mit einem Schulterzucken verdrängte sie die Frage, rangierte aus der Parklücke und fuhr los.

Zwei Ecken weiter fand sie das erste Straßenschild, das den Weg zur A835 nach Inverness anzeigte, und nach wenigen Minuten hatte sie Ullapool hinter sich gelassen.

Halb neun. Mit etwas Glück würde sie um halb zehn in Inverness eintreffen, dann musste sie nur noch das Hotel finden, in dem der Verlag sie einquartiert hatte. Sie stellte die Heizung etwas höher, als auf einmal das Radio zum Leben erwachte: »Eine dringende Meldung für alle Verkehrsteilnehmer im Raum Inverness und Ullapool. Der Wetterdienst gibt bekannt, dass sich aus Nordwesten eine Schneefront nähert, die in den nächsten Stunden über Schottland hinwegziehen wird. Mit Verkehrsstörungen ist vor allem im Großraum Inverness und Ullapool zu rechnen. Die Polizei rät allen, auf nicht unbedingt notwendige Fahrten zu verzichten und stattdessen zu Hause zu bleiben.«

Schnee? »Ja, natürlich«, murmelte sie. Das war kein Staub oder Sand gewesen, den ihr der Wind in Ullapool ins Gesicht geweht hatte, sondern Eiskristalle. Und darauf hatten auch die Scheibenwischer reagiert. Die Sensoren hatten die auf der Scheibe geschmolzenen Kristalle registriert.

Wieder sah sie auf die Uhr, obwohl erst zwei oder drei Minuten vergangen waren. ›In den nächsten Stunden‹, hatte der Sprecher gesagt. Sie befand sich vor der Schneefront, und selbst wenn sie eineinhalb Stunden bis nach Inverness benötigen sollte, würde sie immer noch früh genug am Ziel sein, um von dem schlechten Wetter nicht überholt zu werden. Es gab also keinen Grund zur Panik, sie hatte noch ausreichend Zeit.

Gegen neun Uhr hatte sie ihre Meinung geändert. Der Wind war stärker geworden und trieb immer wieder Schneeschwaden vor sich her, die sich in Christines Fahrtrichtung bewegten und ihren Wagen mühelos überholten. »Sieht so aus«, sagte sie zu Isabelle, die diese Autofahrt so wie jede vorangegangene auf der Tour durch Schottland komplett verschlief, »als hätten die Wetterfrösche sich ein bisschen verrechnet. Bestimmt haben die sich um ihre Facebook-Seite gekümmert und ihren ›Freunden‹ sinnlose Mails geschickt, und dann haben sie auf einmal aus dem Fenster gesehen und dicke Schneeflocken entdeckt!«

Sie war seit Ullapool allein unterwegs, kein Wagen kam ihr entgegen, niemand fuhr vor oder hinter ihr in Richtung Inverness, obwohl das die einzige Direktverbindung zwischen den beiden Ortschaften war. Plötzlich ging ihr ein Licht auf. Diese Verkehrsdurchsage ... die war gar nicht zum ersten Mal gelaufen, als sie sie mitbekommen hatte. Christine hatte bis zu dem Moment stundenlang kein Radio gehört, da sie sich in der Buchhandlung aufgehalten hatte. Wenn diese Meldung schon um sechs Uhr oder noch früher gesendet und jede halbe Stunde wiederholt worden war, dann war diese Schneefront keine Stunden mehr entfernt, sondern wohl eher nur noch ein paar Minuten, was durch das leichte Schneegestöber unterstrichen wurde, das inzwischen eingesetzt hatte.

Im gleichen Augenblick schaltete sich der Verkehrsfunk wieder ein, und die Meldung wurde wiederholt. Christine nickte bestätigend. Ganz so, wie sie es befürchtet hatte. Die Meldung war nicht gerade erst reingekommen, und die Schneefront befand sich dicht hinter ihr.

Umkehren konnte sie jetzt nicht mehr. Erstens musste sie bereits die halbe Strecke zurückgelegt haben, sodass sie mit etwas Glück Inverness erreichte, bevor es richtig ungemütlich wurde. Zweitens wäre sie genau in das schlechte Wetter hineingefahren, hätte sie jetzt noch gewendet, um nach Ullapool zurückzufahren und dort ein Hotel zu suchen.

»Und hier noch eine aktuelle Meldung«, ertönte wenige Minuten darauf die mittlerweile schon vertraute Stimme aus dem Radio. »Auf der A835 hat sich zwischen den Ortschaften Garver und Tore ein Unfall mit einem Gefahrguttransporter ereignet. Die A835 ist auf diesem Abschnitt in beiden Richtungen gesperrt, Verkehrsteilnehmer werden gebeten, die Unfallstelle weiträumig zu umfahren. Ich wiederhole ...«

Seufzend drehte Christine den Ton leiser und fuhr ein Stück weiter, bis sie eine Haltebucht entdeckte. Sie lenkte den Wagen von der Fahrbahn und schaltete das Navigationsgerät ein, um sich eine Karte von der Gegend um die Unfallstelle anzeigen zu lassen. Der einzige Weg, der sie nach Inverness bringen würde, war eine Nebenstrecke, die von der A835 abzweigte und in Richtung Tain führte. Irgendwo unterwegs konnte sie dann wieder nach rechts fahren, um auf die A9 zu gelangen, die von Norden nach Inverness führte.

»Mist«, murmelte sie. »So was würde ich ja viel lieber am helllichten Tag machen, aber nicht mitten in der Nacht.«

Isabelle stimmte ihr mit einem leisen Miauen zu, das aber eher so frustriert klang, als würde sie im Schlaf wieder mal vergeblich irgendwelchen Mäusen oder Vögeln hinterherjagen.

Christine tippte auf dem Touchscreen auf ihre Position, die Nebenstrecke und den Ort Tain, dann ließ sie die Route berechnen und fuhr los.

Die Stimme, die ihr von da an den Weg wies, klang anfangs ganz brauchbar, aber nach einer Weile ging sie Christine mit ihren ständigen Warnhinweisen auf die Nerven, wie weit es noch bis zur nächsten Kurve war und ob sie dort eine leichte oder eine sehr scharfe Linkskurve erwartete. Sie wollte keine Rallye fahren, bei der ihr Beifahrer sie unentwegt mit Informationen über den Streckenverlauf versorgte, nur damit sie wusste, ob sie mit Tempo hundert in die Kurve gehen konnte oder ob sie besser abbremste.

Vermutlich hätte sie diese Funktion abschalten können, aber damit konnte sie sich jetzt nicht beschäftigen, weil diese verdammte Landstraße wegen des verdammten Schnees ihre ganze Konzentration erforderte. Die Unwetterfront hatte sie definitiv eingeholt, der Sturm trieb den Schnee über die Fahrbahn, der zum Glück nicht liegen blieb, sondern von der Straße auf die Wiesen geweht wurde. Die Schneeflocken nahmen ihr dennoch die Sicht, da sie das Licht der Scheinwerfer reflektierten und von der vor ihr liegende Fahrbahn kaum etwas erkennen ließen. Hinzu kam, dass diese Nebenstrecke sich zwischen Hügeln und Bergen hindurchschlängelte und dabei immer wieder mehr oder weniger steile Abschnitte zu bewältigen waren – von denen sie wegen des dichter werdenden Schneetreibens immer weniger sehen konnte.

Letztlich musste sie langsamer und langsamer fahren, während sie aus dem Augenwinkel mit Grausen sah, wie das Navigationsgerät angesichts der immer geringeren Geschwindigkeit die voraussichtliche Fahrtzeit weiter und weiter nach oben korrigierte. Wenn das so weiterging, würde sie wohl erst in den frühen Morgenstunden Inverness erreichen ... sofern bis dahin nicht ein halber Meter Schnee gefallen war und sie hier mitten im Niemandsland feststeckte, ohne hoffen zu können, dass sie jemand retten würde.

Ihr Handy verfügte nicht über einen GPS-Sender, und sie musste gar nicht auf das Display sehen, um zu wissen, dass sie hier keinen Empfang hatte. Wegen des angekündigten Unwetters war niemand unterwegs, der nicht unbedingt das Haus verlassen musste, und durch den Unfall würden alle anderen den Umweg über Schnellstraßen in Kauf nehmen, aber nicht über diese Möchtegern-Landstraße fahren, die kaum mehr war als ein besserer Feldweg.

»Da habe ich dich ja in was hineingezogen«, sagte sie an Isabelle gewandt, die immer noch die Ruhe selbst war. Vielleicht war das ja ein gutes Zeichen, vielleicht sagte ihrer Katze ein Gefühl, dass alles gut ausgehen würde. Aber womöglich fühlte sich Isabelle gleich neben den Lüftungsschlitzen für den Fußraum, die warme Luft in ihre Box bliesen, auch nur so wohl, dass ihr alles andere schlicht egal war.

Es würde ihr aber nicht mehr egal sein, wenn sie im Schnee stecken blieben, wenn das Benzin aufgebraucht war und das Gebläse nur noch kalte Luft im Wagen verteilte.

Auf einmal stutzte Christine. Auf dem Display war etwas ganz am Rand vorbeigezogen, das wie ein Name ausgesehen hatte. Vorsichtig bremste sie ab und begann, die Displayanzeige zu verschieben, bis sie sah, was ihr beinahe entgangen wäre. Nur ein paar Meilen links von ihr gab es eine Ortschaft. Gleannlochy. Bis dahin konnte sie es schaffen, und dann würde sie am erstbesten Haus klingeln und darum bitten, mitsamt Isabelle auf dem Sofa übernachten zu dürfen. Und falls man sie wegschickte, würde sie eben zum nächsten Haus gehen und da ihr Glück versuchen. Irgendwer würde ihr schon helfen, davon war sie überzeugt.

Nur ein paar Meilen. Sie änderte die Zieleingabe des Navigationsgeräts, damit die blecherne Stimme ihr genau sagen konnte, wann sie abbiegen musste. Unter normalen Umständen wäre ihr das auch so möglich gewesen, aber auf der Fahrbahn und am Straßenrand blieb immer mehr Schnee liegen, und sie war sich nicht sicher, ob sie bei diesen Sichtverhältnissen tatsächlich eine abzweigende Straße würde erkennen können.

Also schlich sie weiter durch die Nacht, die nur von den Scheinwerfern ihres Wagens erhellt wurde, und wartete darauf, dass sie endlich einen Hinweis darauf bekam, nach ein paar Metern abzubiegen.

Der Befehl ertönte so plötzlich, dass Christine vor Schreck fast eine Vollbremsung gemacht und das Lenkrad herumgerissen hätte, aber beides wäre ihr auf der verschneiten Fahrbahn nicht gut bekommen. Langsam tastete sie sich vor und stellte fest, dass dort tatsächlich eine Straße verlief. Erleichtert gab sie ein wenig Gas, als auf einmal ... vor ihr die Fahrbahn zu verschwinden schien. Vor Schreck schrie sie auf, aber dann wurde ihr klar, dass unmittelbar hinter der Einmündung ein extremes Gefälle begann.

Der Wagen geriet ins Rutschen, als sie abrupt zu bremsen versuchte, und dann wurde dem Mondeo sein eigenes Gewicht zum Verhängnis, das das Fahrzeug die Schräge hinabschob. Christine versuchte gegenzulenken, aber es half nichts, sie konnte nur hilflos zusehen, wie der Wagen weiterschlitterte. Ihr blieb nur zu hoffen, dass sie in einer Schneewehe stecken blieb, aber nicht von einem Baum, einer Mauer oder einem Graben gestoppt wurde. Oder schlimmer noch: dass der Wagen in einen Bach oder See kippte und auf dem Dach landete.

Da der Mondeo auch noch quer zur Fahrbahn rutschte, konnte sie nicht mal sehen, wohin es ging, weil die Scheinwerfer nur ein verschneites Feld neben der Straße beschienen. Um sich wenigstens ansatzweise zu wappnen, schob sie die Transportbox tief unter das Armaturenbrett, bis sie dort festklemmte. Dann presste sie sich in ihren Sitz und legte die Arme vors Gesicht, damit sie so gut es ging geschützt war.

Der Wagen rutschte und rutschte, während sie gebannt den Atem anhielt und jeden Moment mit einem Aufprall und viel Lärm rechnete. Wie lange das so ging, vermochte sie nicht zu sagen. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, dennoch waren bestimmt nur ein paar Sekunden vergangen. Der Wagen rutschte und dann auf einmal ... kam er zum Stehen – ganz sanft, ohne heftigen Ruck, ohne Lärm, ohne berstende Seitenscheiben.

Kapitel 2

Im ersten Augenblick konnte sie es gar nicht glauben, doch es stimmte. Der Wagen war zum Stillstand gekommen, als wäre er in einen Berg aus Daunenkissen gerutscht. Eine Weile saß Christine nur da und atmete tief durch. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie während der gesamten Rutschpartie gebannt den Atem angehalten hatte.

Sie spähte aus dem Seitenfenster in die Dunkelheit, konnte aber nicht erkennen, was den Wagen aufgehalten hatte. Im Lichtkegel der Scheinwerfer sah sie, dass das Schneegestöber noch stärker geworden war. Sie legte den ersten Gang ein und gab behutsam Gas, aber die Räder drehten durch, und der Wagen rührte sich nicht von der Stelle. Auch im Rückwärtsgang tat sich nichts, woraufhin sie beschloss, auszusteigen und sich ein Bild davon zu machen, wie der Wagen im Schnee steckte und wie sie am besten von hier fortkommen konnte.

Im ersten Moment fürchtete sie, die Zentralverriegelung könnte defekt sein, da die Tür sich nicht öffnen ließ, aber als sie dann das Fenster aufmachte und mit der Taschenlampe aus dem Handschuhfach nach draußen leuchtete, musste sie feststellen, dass eine Schneewehe die Tür blockierte.

»Oh, Mist«, murmelte sie und machte sich daran, über die hohe Mittelkonsole zu klettern, um auf der Beifahrerseite auszusteigen. Bei ihren akrobatischen Verrenkungen musste sie wehmütig an ihren ersten Wagen denken, einen zugigen, klapprigen Renault 4, bei dem man noch ohne Mühe von einem Sitz auf den anderen hatte rutschen können.

Dann endlich war sie schnaufend auf dem Beifahrersitz angekommen, hatte sich auf dem Weg dorthin aber den Kopf am Rückspiegel angestoßen und das linke Knie bedenklich verdreht, um das Bein unter dem Lenkrad hindurchzumanövrieren. Die Beifahrertür ging ohne Probleme auf, aber beim ersten Schritt nach draußen sank sie gut zehn Zentimeter tief in den Schnee ein.

Ein eisiger Wind schlug ihr entgegen, der Schnee prasselte ihr ins Gesicht, während sie sich ein paar Schritte vom Wagen entfernte, um sich umzusehen, so gut das unter diesen Umständen möglich war.

Der Mondeo stand so ungünstig am Straßenrand, dass das Heck ein Stück tiefer im Schnee steckte als der Rest und die Scheinwerfer nicht mehr die Straße erfassten, sondern in einem flachen Winkel in den Himmel schienen. Zwar sorgte das von den Flocken reflektierte Licht auch auf dem Boden für etwas Helligkeit, aber nach vielleicht zwanzig Metern wurde es immer düsterer, und wäre Christine erst mal der nächsten Kurve gefolgt, die sie vage vor sich ausmachen konnte, dann hätte sie in völliger Dunkelheit dagestanden.

Kopfschüttelnd musste sie einsehen, dass sie auf keinen Fall versuchen konnte, zu Fuß zu diesem Dorf zu gelangen. Ihre Taschenlampe würde nicht lange genug durchhalten, und wenn erst mal die Batterien den Geist aufgaben, dann konnte Christine gleich ihr Testament machen.

Entmutigt kehrte sie zum Wagen zurück und sah sich noch einmal an, wie der in der Schneewehe steckte. Unmöglich, dachte sie. Ohne fremde Hilfe kam sie hier nicht mehr weg, aber wo sollte um diese Zeit und bei diesem Wetter fremde Hilfe herkommen? Sie konnte nur wieder einsteigen, den Motor eine Weile ausmachen, um Benzin zu sparen, bis der Punkt gekommen war, an dem sie die Heizung erneut einschalten musste. Vermutlich würde sie zwischendurch aussteigen müssen und den Schnee vom Wagen fegen, damit der nicht von einem zufällig vorbeikommenden Fahrer für eine riesige Schneeverwehung gehalten und ignoriert wurde.

Sie öffnete die Tür, nahm auf dem Beifahrersitz Platz und griff um das Lenkrad herum, damit sie das Licht ausschalten konnte, dann stellte sie den Motor ab. Noch war die Luft im Wageninneren warm genug, also konnte sie für eine Weile auf das Gebläse verzichten.

Isabelle sah sie vorwurfsvoll an, als sie merkte, dass der gleichmäßige Strom aus warmer Luft plötzlich versiegte.

»Sei froh, dass das hier nicht mein alter Renault ist«, sagte Christine zu ihr, während ihr durch den Kopf ging, dass sie sich noch vor ein paar Minuten ihren ersten Wagen zurückgewünscht hatte. »Sonst wäre die Wärme in ein paar Minuten verflogen, und wir würden vor Kälte mit den Zähnen klappern.«

Dann schob sie einen Finger durch die Gitterstäbe der Transportboxtür, was Isabelle dazu nutzte, genüsslich das Kinn an der Fingerspitze zu reiben. Nachdem die Katze den Kopf weggedreht und sich wieder hingelegt hatte, zog Christine die Stoffhaube herunter, damit die Luft in der Box vielleicht etwas länger warm blieb.

Sie griff nach oben, um die Innenbeleuchtung auszuschalten, dann lehnte sie sich zurück und starrte eine Weile aus dem Seitenfenster hinaus in die fast völlige Schwärze. Obwohl kein Stern zu sehen war, dessen Licht reflektiert werden konnte, kam es ihr so vor, als würde der Schnee ganz schwach von innen heraus leuchten. Dennoch war sie sich sicher, dass das eine optische Täuschung sein musste, vielleicht weil sie wusste, dass ringsherum alles verschneit war.

Während sie so dasaß, musste sie an den Verlauf des Abends denken. Seit sie Ullapool verlassen hatte, kam sie sich vor wie in einem Film, in dem jede Entscheidung die falsche ist und die Heldin in immer größere Schwierigkeiten bringt. Aber was hätte sie machen sollen – außer auf die Fahrt nach Inverness zu verzichten und stattdessen in Ullapool zu übernachten? In der Theorie war das ein guter, zeitsparender Plan, in der Praxis dagegen würde er sich womöglich als Todesfalle für sie und Isabelle entpuppen. Doch woher hätte sie auch wissen sollen, dass sie diese Verkehrswarnung vor der Schneefront »nur« ein paar Stunden zu spät gehört hatte?

Sie fühlte sich versucht, die Innenbeleuchtung wieder anzumachen, weil ihr die Dunkelheit einfach zu erdrückend erschien, aber sie zwang sich dazu, es nicht zu tun. Sie wollte Strom sparen, weil sie jeden Tropfen Benzin benötigte, um die Heizung von Zeit zu Zeit wieder einzuschalten. Das Radio wäre vielleicht nicht schlecht gewesen, um sie von der Stille und der Finsternis abzulenken, aber abgesehen davon, dass es ebenfalls unnötig Strom fraß, fürchtete Christine, nur weitere Schreckensmeldungen zu hören.

Also saß sie da und beobachtete die beiden roten Leuchtdioden, wie die im Fünfsekundentakt aufblinkten und signalisierten, dass alle Türen verriegelt waren und die Alarmanlage aktiviert war. Zwischendurch sah sie zur Digitaluhr, die weiterhin die Zeit angab, obwohl Christine den Schlüssel abgezogen hatte. Die beiden blinkenden Punkte zwischen den Stunden und Minuten, die die Sekunden anzeigten, führten ihr allzu deutlich vor Augen, wie unendlich lange eine einzelne Minute dauern konnte, wenn man sich eigentlich wünschte, dass die Stunden wie im Flug vergingen. Wäre doch bloß schon Morgen, dann stünden die Chancen für sie viel besser, sich bis nach Gleannlochy durchkämpfen zu können, auch wenn der Schnee bis dahin noch so hoch liegen sollte. Aber bis zum Morgen waren es noch viele Stunden, und die zwei Leuchtpunkte blinkten viel zu langsam ... so langsam ...

»Mau!«

Christine zuckte hoch und stieß sich den Kopf an der Seitenscheibe, als sie sich abrupt umdrehte, ohne zu wissen, wo sie eigentlich war. »Autsch!«, rief sie erschrocken und benötigte einige Sekunden, ehe sie sich daran erinnerte, dass sie noch immer im Schneegestöber gefangen war. Sie musste eingeschlafen sein, und es war Isabelle, die sie aus dem Schlaf geholt hatte.

»Danke, mein Schatz«, murmelte sie noch etwas schlaftrunken. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn sie tatsächlich fest eingeschlafen wäre. Hätte sie erfrieren können? Womöglich ja, auch wenn sie das nicht mit Sicherheit sagen konnte. Sie wusste nicht, wie lange es dauerte, bis der Wagen so ausgekühlt war, dass es für sie und Isabelle gefährlich werden konnte. »Vermutlich hast du mir das Leben gerettet.«

Sie beugte sich vor und schaute blinzelnd auf die Uhr. »Viertel nach eins?« Sie rieb sich die Augen. »Viertel nach eins? Ich habe gerade mal fünf Minuten geschlafen?« Christine stöhnte auf und ließ sich zurück auf den Beifahrersitz sinken. »Wie soll denn diese Nacht jemals vorbeigehen, wenn das nur fünf Minuten waren?«

Frustriert stöhnend öffnete sie die Tür, stieg aus und schob den Schnee weg, der sich in der kurzen Zeit bereits zentimeterhoch auf dem Wagen angesammelt hatte. Wenn das so weiterging, würde sie die ganze Nacht mit dieser Beschäftigung zubringen und irgendwann vor Entkräftung zu Boden sinken, um dann selbst allmählich unter der weißen, aber erschreckend tödlichen Pracht zu verschwinden. Das Licht der Innenbeleuchtung fiel durch die geräumte Windschutzscheibe und sorgte für ein wenig Helligkeit, die aber gegen die Schwärze der Nacht nichts ausrichten konnte. Die wirkte umso erdrückender, da durch den Schnee eine so vollkommene Stille herrschte, dass es Christine fast so vorkam, als wäre sie taub geworden – wäre da nicht ihr vor Anstrengung keuchender Atem zu hören gewesen.

Plötzlich stutzte sie. Hatte sie da gerade eben ein Motorengeräusch wahrgenommen? Sie hielt die Luft an und lauschte angestrengt, aber das Blut rauschte zu laut in ihren Ohren. Christine schüttelte den Kopf. Das Geräusch musste sie sich eingebildet haben. Vermutlich verzweifeltes Wunschdenken oder etwas in dieser Art.

Soeben wollte sie wieder einsteigen, da nahm sie in der Dunkelheit etwas aus dem Augenwinkel wahr. Ein Licht! Scheinwerfer! Jemand war auf dem Weg zu ihr! Aber ... was, wenn derjenige nicht auf dem Weg zu ihr war? Was, wenn die Straße sich noch irgendwo gabelte und dieser Wagen in eine andere Richtung davonfuhr, ohne von ihr Notiz zu nehmen?

Hastig sprang sie in den Mondeo, schaltete die Scheinwerfer ein und wechselte wieder und wieder zwischen Abblend- und Fernlicht, gleichzeitig drückte sie auf die Hupe. Wenn der andere Fahrer nicht gerade sein Radio auf volle Lautstärke gedreht hatte, musste er sie einfach bemerken. Und er musste das Licht der Scheinwerfer sehen ... er musste es einfach sehen.

Der andere Wagen bewegte sich nur langsam von der Stelle, aber er kam allmählich näher. Bange Minuten verstrichen, während Christine quer im Auto lag, Hupe und Lichthupe betätigte und dabei immer wieder über das Armaturenbrett spähte, um zu sehen, wo ihr möglicher Retter blieb.

Nach einer scheinbaren Ewigkeit wurde das Motorengeräusch lauter, die Lichter kamen näher, und dann endlich blieb ein laut dröhnendes Monstrum vor ihrem Wagen stehen, dessen sechs Scheinwerfer Christine so blendeten, dass sie nicht erkennen konnte, was für ein Fahrzeug sie vor sich hatte.

Christine fühlte sich hundemüde, als sie zwei Stunden später im Schlepptau des Traktors Gleannlochy erreichte. Jedenfalls ging sie davon aus, dass sie sich in diesem Ort befand, da sie im Schein vereinzelter Straßenlampen Häuser erkennen konnte. Sean, der Traktorfahrer, bremste vorsichtig ab, und Christine trat nicht zu heftig auf die Bremse, damit sie ihrem Vordermann nicht ins Heck rutschte. Einen Augenblick später sah sie Sean durch das Schneegestöber näher kommen, dann löste er das Abschleppseil, mit dem er sie über die hoffnungslos verschneite Straße hinter sich hergezogen hatte.

Der Weg nach Gleannlochy war wesentlich kurvenreicher gewesen, als es ihr Navigationsgerät angezeigt hatte, zudem war da noch eine Hügelkuppe im Weg, die ihr Wagen ohne fremde Hilfe überhaupt nicht hätte überwinden können. »Ich glaube, wir sind da«, sagte sie zu Isabelle, die ihr nur einen verschlafenen Blick zuwarf.

Sean kam zu ihr, sie machte das Fenster auf, und sofort schlug ihr eisiger Wind mitsamt einer Ladung Schnee entgegen.

»Okay, Miss. Das da drüben ist das Bed & Breakfast von Alberta Brooks. Sie können den Wagen hier stehen lassen, ich gehe noch schnell mit zur Tür, damit Alberta Ihnen auch aufmacht.« Er deutete auf das Haus links von ihr und grinste sie an. »Sie sollen ja schließlich nicht hier noch erfrieren, nachdem ich Sie am Loch Wellyn aus der Schneewehe befreit habe.«

»Ich weiß noch immer nicht, wie ich Ihnen dafür danken kann«, gab sie zurück, während ihr bewusst wurde, dass das breite Grinsen eigentlich das Einzige war, was sie von diesem Sean bislang zu sehen bekommen hatte. Er trug einen dicken Parka, die Kapuze mit dem Kunstfellbesatz hatte er hochgeschlagen, seinen Kopf schützte er zusätzlich mit einer Skimaske, die nur Schlitze für die Augen und den Mund aufwies, wobei seine Augen unter der Kapuze verschwanden und letztlich nur sein Mund zu sehen war. »Ich habe die letzten zwei Stunden hin und her überlegt, aber mir will einfach nichts einfallen.«

»Mir genügt es schon, wenn Sie aussteigen, Ihre Katze aus dem Wagen nehmen und mitkommen, damit ich Sie bei Alberta abliefern kann«, entgegnete er. »Der Schneefall lässt nicht nach, und ich muss weitermachen und die Straßen räumen.«

Christine nickte, löste ihren Gurt und stieg aus. Aus dem Kofferraum nahm sie die kleine Reisetasche, dann holte sie die Transportbox aus dem Fußraum vor dem Beifahrersitz. Ehe sie sich versah, hatte Sean ihr bereits die Reisetasche aus der Hand genommen und überquerte den schmalen Fußweg, um ihr das Gartentor aufzuhalten. Christine musste die Box hochhalten, damit die nicht in den mindestens zwanzig Zentimeter hohen Schnee geriet, dann stapfte sie hinter Sean her, der mit seinen klobigen Stiefeln den Weg zumindest ein wenig frei machte.

Es dauerte gut fünf Minuten, dann wurde die Lampe über der Haustür eingeschaltet, in der Tür klappte ein Sehschlitz hoch, und ein Augenpaar war zu sehen.

»Guten Morgen, Alberta«, rief Sean. »Tut mir leid, dass ich dich um diese Zeit aus dem Bett hole, aber ich habe einen Gast für dich.«

Das Augenpaar richtete sich auf Christine, die etwas verlegen lächelte und kurz winkte.

Dann wanderte der Blick an ihr vorbei ein wenig nach unten. »Ist das etwa Schnee?«

»Richtig, Alberta«, bestätigte er. »Und zwar jede Menge. Darum bin ich auch schon die ganze Nacht mit meinem Schneepflug unterwegs, sonst ist morgen früh ganz Gleannlochy komplett zugeschneit.«

»Und bei dem Wetter sind Sie unterwegs?«, fragte die Frau durch den Türschlitz und klang ein wenig vorwurfsvoll.

»Ich wünschte, ich wäre es nicht gewesen«, antwortete Christine, die nicht noch länger vor der Tür warten wollte. »Aber das ist eine lange Geschichte.«

»Die kannst du dir auch noch beim Frühstück anhören, Alberta«, drängte Sean, als hätte er Christines Gedanken gelesen. »Ansonsten wird Miss Bell vor deiner Tür erfrieren, und dann wirst du nie erfahren, was sie erlebt hat.«

»Ja, ja, schon gut, schon gut«, murmelte Alberta und schloss auf. Als die Tür aufging, wunderte sich Christine einen Moment lang darüber, wie diese Frau, die mehr als einen Kopf kleiner war als sie, durch den Schlitz hatte schauen können, befand der sich doch auf Christines Augenhöhe. »Kommen Sie rein.«

»Fein, dann lasse ich euch beide jetzt allein«, sagte Sean und nickte Christine zu. »Wir sehen uns sicher noch.«

»Ähm ... ja, sicher«, erwiderte sie, obwohl sie davon gar nicht so überzeugt war. Sobald es wieder hell war, würde sie sich auf den Weg machen, immerhin wurde sie in Inverness in gleich drei Buchhandlungen erwartet, und sie wollte diese Termine auf keinen Fall platzen lassen. Bei Sonnenschein würde es kein Problem mehr sein, auf den verschneiten Straßen voranzukommen, weil sie dann sah, wo sie hinfuhr.

Sie betrat das Haus, Alberta schloss hinter ihr die Tür. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer, alles Weitere regeln wir beim Frühstück. Sie kommen mir völlig übermüdet vor, und ich bin noch gar nicht ganz wach. Kommen Sie, Miss ...«

»Bell. Christine Bell.«

»Etwa die Christine Bell? Die Autorin?« Mrs Brooks blieb stehen und sah sie ungläubig an. »Dann müsste das da«, sie zeigte auf die Transportbox, »Ihre Isabelle sein.«

»Das ... das wissen Sie?«

Mrs Brooks zuckte mit den Schultern. »Gleannlochy mag zwar abgeschieden liegen, aber wir sind hier nicht vom Rest der Welt abgeschnitten. Immerhin haben wir eine eigene Website, um für unseren Ort zu werben.« Christine wollte zu einer Frage ansetzen, aber Mrs Brooks fuhr ihr sofort über den Mund: »Sie legen sich jetzt schlafen, und die kleine Isabelle natürlich auch, damit Sie beide sich von den Strapazen erholen können.« Sie sah auf die Standuhr, die komplett mit Kacheln in Delfter Blau verkleidet war. Vermutlich hatte sie ein kleines Vermögen gekostet, aber sie traf überhaupt nicht Christines Geschmack. »Halb vier durch ... ich schlage vor, ich wecke Sie gegen zehn, falls Sie nicht vorher aufwachen. Dann bekommen Sie wenigstens ein paar Stunden Schlaf.«

»Danke, das ist wirklich sehr nett von Ihnen«, sagte Christine und folgte ihr nach oben in den ersten Stock. Ihr fielen fast die Augen zu, und nachdem sie nur ein paar Minuten später die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich abgeschlossen hatte, zog sie sich in aller Eile um und ließ sich aufs Bett fallen. Isabelle, die sie aus der Box gelassen hatte, sprang hoch und legte sich auf das freie Kopfkissen des Doppelbetts, knetete es kurz durch und klappte dann die Pfoten ein.

»Schlaf gut«, murmelte Christine und schaffte es gerade noch, sich zuzudecken, dann war sie bereits fest eingeschlafen.

Als Christine am Morgen nach unten in den kleinen Frühstückssalon kam, erwartete sie nach der Standuhr in der Diele die nächste Überraschung: eine ganze Wand dekoriert mit Kuckucksuhren in allen erdenklichen Formen und Größen. Manche von ihnen ganz schlicht, andere als ausladende Chalets gestaltet, mit Hirschen, Jägern, Alphornbläsern, dort eine Szene, die Heidi und ihren Großvater darzustellen schien, da eine Gruppe von singenden Kindern, angeordnet wie die Orgelpfeifen, während auf der anderen Seite zwei Gestalten um die Ecke schauten, die eindeutig SS-Uniformen trugen. Vermutlich die Trapp-Familie, überlegte sie.

»Die haben mein Mann und ich mitgebracht, wenn wir in der Schweiz Urlaub gemacht haben«, erklärte Alberta stolz, als sie Christines Blick bemerkte und deren Fassungslosigkeit über diese Sammlung irrtümlich für Bewunderung hielt.

»Tatsächlich?« Sie schätzte, dass ungefähr dreißig Uhren an der Wand hingen – und alle zeigten sie zwei Minuten vor zehn. Zwei Minuten, bis ein Inferno aus Kuckucksuhrenlärm über sie hereinbrechen würde. »Ich nehme an, Sie waren oft in der Schweiz, richtig?«

»Ganz genau«, antwortete die ältere Frau, die einen Hausanzug aus pinkfarbenem Frottee trug. »Insgesamt einunddreißig Mal in einunddreißig Jahren. Und deshalb sehen Sie vor sich zweiunddreißig Uhren.«

Noch eineinhalb Minuten.

»Zweiunddreißig?«, wiederholte Christine verwundert. »Wieso zweiunddreißig?«

»Wissen Sie, wir haben immer im gleichen Geschäft gekauft, und als wir das fünfundzwanzigste Mal dort waren, hat uns der Verkäufer eine Uhr geschenkt. Die dort ist die letzte Uhr, die wir gemeinsam gekauft haben. In diesem Urlaub ist mein Mann beim Bergsteigen in eine Schlucht gestürzt, und ich bin danach nie wieder in die Schweiz gefahren.«

Christine nickte bedächtig. »Oh, das tut mir leid.« Noch eine Minute. »Ich ...« Wie sollte sie bloß rechtzeitig hier rauskommen?

»Wo ist denn Ihre Isabelle?«, fragte Alberta. »Haben Sie die etwa im Zimmer allein gelassen?«

»Ich wusste nicht, dass Katzen in den Salon dürfen.« Schätzungsweise noch dreißig Sekunden. Bei den ersten Uhren setzten sich bereits deutlich hörbar die Mechanismen in Bewegung, die gleich ein Kuckucksheer entfesseln würden.

»Ach, kommen Sie, es ist doch niemand sonst hier«, betonte Alberta. »Außerdem möchte ich die kleine rothaarige Berühmtheit doch kennenlernen.«

»Tja, dann ... gehe ich noch mal schnell nach oben und hole Isabelle.«

Kaum war sie die Treppe hinaufgeeilt und hatte die Zimmertür hinter sich zugedrückt, hörte sie, wie der erste Kuckuck ertönte. Sekundenbruchteile später fiel der nächste ein, und im nächsten Augenblick gingen auch die restlichen Uhren los, jede mit ihrem eigenen Klang und mit einer anderen Melodie. Als Christine das hörte, konnte sie sich daran erinnern, dass sie im Schlaf einen unbestimmbaren Lärm wahrgenommen hatte – zweifellos das gleiche Schauspiel zur Neun-Uhr-Aufführung. In der Nacht hatte Ruhe geherrscht, vermutlich waren die Uhren alle so eingestellt, dass sie nur am Tag einen Laut von sich gaben.

Isabelle saß auf dem Bett, hatte die Augen aufgerissen und die Ohren angelegt, woraufhin sich Christine zu ihr setzte und sie streichelte. »Das ist gleich vorbei, meine Süße«, redete sie beruhigend auf die Katze ein, die von ihren Worten nicht so ganz überzeugt zu sein schien. Ganz bestimmt war sie um neun Uhr auch schon davon aufgewacht.

»Wir warten noch zwei Minuten, und wenn da unten wieder alles ruhig ist, kommst du mit zum Frühstück.« Aus der Reisetasche nahm sie ein Schälchen Katzenfutter, das sie ihr unten geben würde, damit Isabelle nicht auf die Idee kam, Käse oder Wurst zu stibitzen.

»Jetzt haben Sie meine kleinen Goldstücke nicht in Aktion erleben können«, sagte Alberta betrübt, als Christine mit der Katze auf dem Arm hereinkam. »Das ist schade.«

Sie zuckte nur vielsagend mit den Schultern, weil sie es nicht fertigbrachte, Bedauern vorzutäuschen, aber als Alberta die Katze sah, war alles andere ohnehin vergessen.

»Ach, ist die reizend«, schwärmte sie. »Und du hast dem König von Jordanien das Leben gerettet?«

»Sie redet nicht gern darüber«, erklärte Christine im Scherz das Schweigen der Katze. »Sie ist sehr bescheiden, und sie findet, dass es nichts Besonderes war.«

»Oh doch, das war es«, beharrte die ältere Frau. »Hat er sich wenigstens erkenntlich gezeigt? Der König, meine ich.«

»Das kann man wohl sagen«, antwortete sie. »Er hat Isabelle den Ehrenbürgertitel von Jordanien verliehen.«

»Und was heißt das?«

Christine zuckte mit den Schultern. »Sie hat freien Eintritt in jedem jordanischen Museum und in allen Schwimmbädern. Und sie darf kostenlos alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzen.«

»Meinen Sie das jetzt ernst?«, wollte Alberta wissen.

»Ich weiß, es klingt verrückt, aber das ist tatsächlich mit der Ehrenbürgerschaft verbunden. Allerdings hat Isabelle davon nicht allzu viel, und deshalb schickt der König ihr alle zwei Monate eine Kiste mit exklusivem Katzenfutter. Ich habe mich anschließend bei Harrods erkundigt und erfahren, dass sie die Sorte im Angebot haben – für fünfzehn Pfund die Dose. Oder besser gesagt: das Döschen.« Dabei deutete sie mit Daumen und Zeigefinger an, wie winzig die Portionen waren.

»König müsste man sein«, meinte die ältere Frau, dann ging sie kurz weg und kam mit einem Tablett zurück, darauf eine Kanne Tee, eine Tasse, ein Teller mit drei Scheiben Toast, ein kleines Stück Butter und ein halb volles Marmeladenglas.

Kaum hatte sie es abgestellt, sprang Isabelle auf den Tisch und beschnupperte das gesamte Angebot. Als sie vor dem Stück Butter zurückwich, wusste Christine, dass sie die Toastscheiben besser nur mit Marmelade bestreichen sollte.

Nachdem Alberta sie allein gelassen hatte, da in der Küche noch Arbeit auf sie wartete, leerte Christine die Dose Katzenfutter auf den Unterteller ihrer Teetasse und schob ihn Isabelle hin, während sie sich eine Tasse Tee einschenkte und die Kuckucksuhrenwand skeptisch betrachtete. Die Zeiger rückten auf Viertel nach zehn vor, und insgeheim befürchtete sie, dass der Lärm gleich erneut losgehen könnte, doch die Sekunden tickten dahin, und außer dem einen oder anderen leisen Klicken war nichts zu hören.

»Verstehen Sie meine Frage bitte nicht falsch, Mrs Brooks«, sagte Christine, nachdem sie gefrühstückt hatte und mit dem Tablett nach nebenan in die Küche ging, wo die Frau damit beschäftigt war, vermutlich einen Kuchenteig zu rühren, »aber wie kann sich hier ein Bed & Breakfast halten? Kommen denn so viele Touristen her?«

»Wanderer«, erklärte Alberta. »Wanderer und Bergsteiger. Ich nehme an, Sie sind mit dieser Region nicht allzu vertraut.«

»Leider nicht«, räumte sie ein. »Ich dachte eigentlich, dass es hier oben ziemlich ... nun ...«

»Trostlos ist?«, führte die andere Frau den Satz zu Ende.

Christine zuckte verlegen mit den Schultern.

»Das meinen viele, das muss Ihnen nicht peinlich sein«, ließ Alberta sie wissen. »Auch wenn man es nicht glauben sollte, aber hier in der Gegend gibt es Berge zu besteigen, die zum Teil bis zu achthundert Meter hoch sind, und viele der Strecken fallen in die Anforderungskategorie vier.«

»Und das heißt?«, fragte Christine ahnungslos.

»Das heißt, die Bergsteiger bewegen sich durch schwieriges Gelände, sie müssen viel Erfahrung mitbringen und schwindelfrei sein. Sie müssen durchtrainiert sein, damit sie nicht auf halber Strecke vor Erschöpfung aufgeben. Außer im Winter ist mein Haus so gut wie immer ausgebucht, und zwar nur von Wanderern und Bergsteigern. Und die vier anderen Häuser hier im Ort haben auch keinen Grund zur Klage.«

»Hm, das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Auch nicht, dass es bei uns so viele Bergsteiger gibt.«

»So viele gibt es auch nicht. Mindestens ein Drittel von ihnen hat überhaupt keine Ahnung, worauf sie sich einlassen. Unser Constable predigt jedem neuen Touristen, dass er sich nicht überschätzen soll, und am nächsten Tag muss der Hubschrauber anrücken, um diese Leute von einem Felsvorsprung oder einem Gipfel zu retten, von dem sie alleine nicht mehr runterkommen.«

»Wie kann man so unvernünftig sein?«

»Leichtsinn, Selbstüberschätzung, Alkohol«, zählte Alberta auf. »Bis heute habe ich dadurch vier Gäste verloren. Aber glauben Sie nicht, das würde irgendjemanden abschrecken. Ich habe daraus meine Lehre gezogen.«

»Was für eine Lehre denn?«

»Ich lasse meine Gäste nur noch im Voraus bezahlen«, meinte sie grinsend.

»Ah, verstehe«, gab Christine zurück. »Apropos bezahlen. Wie viel bekommen Sie von mir für die Übernachtung? Ich muss mich nämlich jetzt auf den Weg machen, sonst kann ich meine Termine nicht einhalten.«

»Auf den Weg wohin?«

»Nach Inverness.«

Alberta zog die Augenbrauen hoch. »Wann haben Sie denn da Ihre Termine?«

»Um vierzehn Uhr, sechzehn Uhr und achtzehn Uhr.«

»Heute?«

»Ja, heute. Deshalb muss ich mich ja auf den Weg machen.«

»Miss Bell«, begann die andere Frau verhalten. »Haben Sie heute Morgen schon mal aus dem Fenster gesehen? Oder Nachrichten gehört?«

»Nein, wieso?«

Wortlos schob Alberta die Gardine zur Seite, sodass Christine einen Blick auf die Straße werfen konnte, wo ihr Wagen stand. Oder besser gesagt: wo ihr Wagen stehen sollte. Sehen konnte sie ihn nämlich nicht, sondern nur einen Schneeberg, der trotz der Sonne nicht zu schmelzen schien.

»Na ja, mit einem Handfeger bekomme ich den Wagen schon wieder frei«, meinte sie mit mehr Optimismus in ihrer Stimme, als sie in Wahrheit verspürte.

Alberta schüttelte den Kopf, sah zur Uhr und drehte das Radio lauter, das bislang nur im Hintergrund gelaufen war.

»... nun die Regionalnachrichten um halb elf. Ich bin Marc Malingoff, guten Morgen«, tönte es aus dem Lautsprecher. »Das Tiefdruckgebiet, das in der vergangenen Nacht über den Norden Schottlands hinweggezogen ist, hat zum schlimmsten Verkehrschaos seit zehn Jahren geführt. Auf der A96 zwischen Inverness und Aberdeen stecken auf einer Strecke von sechzig Kilometern in beiden Richtungen Hunderte von Autofahrern in zum Teil meterhohen Schneeverwehungen fest. Die Hilfsdienste kommen seit dem späten Abend kaum damit nach, die betroffenen Menschen mit Decken und heißen Getränken zu versorgen. Der gesamte Norden liegt unter einer geschlossenen Schneedecke, die Räumfahrzeuge versuchen, die wichtigsten Verbindungen vom Schnee zu befreien, werden aber immer wieder durch liegen gebliebene und verlassene Fahrzeuge am Vorankommen gehindert. Mindestens vier Menschen sind in der Nacht bei dem Versuch erfroren, sich zu Fuß durch den Schnee zu kämpfen ...«

Christine musste schlucken, als sie das hörte. Das Gleiche hatte sie nämlich in der Nacht auch in Erwägung gezogen, und damit war ihr klar, welches üble Schicksal ihr womöglich gedroht hätte.

»... die Behörden haben ein Fahrverbot für die gesamte Region verhängt, um zu verhindern, dass noch mehr Autofahrer im Schnee stecken bleiben und gerettet werden müssen. Das Fahrverbot gilt bis auf Weiteres. Die Bürger werden gebeten, sich nur in Notfällen an die Polizei oder die Feuerwehr zu wenden. Die Hilfsdienste sind überlastet ...«

Alberta drehte das Radio leiser und musterte Christine schweigend.

»Das heißt, ich sitze erst mal hier fest?«, fragte die.

»Es gibt Schlimmeres«, meinte Alberta mit einem Anflug von Sarkasmus.

»Ja, ich weiß, ich könnte immer noch mit meinem Wagen in der Schneewehe stecken und längst erfroren sein.«

Erschrocken hielt sich die ältere Frau eine Hand vor den Mund. »Oh Gott, nein, so war das nicht gemeint. Ich wollte damit sagen, dass Sie auch in einem irischen Dorf festsitzen könnten, und das wäre allemal schlimmer als in einem schottischen Dorf.«

Christine lachte leise. »Ich möchte wetten, in einem irischen Dorf würde ich genau die umgekehrte Variante zu hören bekommen.« Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich muss im Verlag anrufen, damit sie die Buchhändler informieren. Die müssen doch erfahren, dass ich die Termine nicht wahrnehmen kann.«

»Das dürfte problematisch werden«, wandte Alberta ein. »Die Überlandleitung ist unter den Schneemassen zusammengebrochen, man kann nur noch innerhalb von Gleannlochy telefonieren.«

Sofort zog Christine ihr Handy aus der Tasche und sah auf das Display. »Kein Empfang?«, wunderte sie sich.

»Der Funkmast ist vor drei Wochen von einem betrunkenen Sportflieger umgerissen worden, und bislang hat die Telefongesellschaft ihn nicht repariert.« Alberta zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid für Sie.«

Einen Moment lang stand Christine da und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. »Na, ganz so schlimm ist es nicht«, meinte sie schließlich. »Wenn hier oben sowieso alles eingeschneit ist, wird sich in Inverness bestimmt niemand auf den Weg zu einer Buchhandlung machen wollen, um zu meiner Lesung zu kommen. Und falls doch, wird er bestimmt anrufen und sich erst mal erkundigen, und die Buchhändler werden sich schon denken, dass ich durch diese Schneefront aufgehalten worden bin.« Sie verzog missmutig den Mund. »Hm, ich würde nur gern meinen Verleger wissen lassen, dass ich noch lebe.«

»Da kann ich Ihnen auch nicht helfen, fürchte ich«, sagte Alberta und goss den Teig in eine Kastenform, die sie in den vorgeheizten Backofen stellte.

Christine sah ihr dabei zu, dann zuckte sie unschlüssig mit den Schultern. »Tja, wenn ich fürs Erste hier festsitze, dann kann ich mich auch ein bisschen in Gleannlochy umsehen. Gibt es hier irgendwelche Sehenswürdigkeiten?«

»Die Berge und Wanderwege sind unsere Sehenswürdigkeiten«, sagte die andere Frau. »Ansonsten gibt es hier nur ein paar Pubs, den Supermarkt, unsere Stadthalle ...«

»Eine Stadthalle?«

Alberta nickte. »Von Frühjahr bis Herbst finden da Einführungskurse für Bergsteiger und Wanderer statt, die das zum ersten Mal machen und die wissen wollen, worauf sie zu achten haben. Und im Winter studieren dann Harris Turner und seine Freunde jedes Jahr ein Theaterstück ein, das nach Weihnachten Premiere hat. Dieses Jahr gibt es Die vier Reiter der Apokalypse. Ach ja, und nicht zu vergessen, unsere beiden Weihnachtsdekorateure.«

Christine sah sie fragend an. »Weihnachtsdekorateure?«

»Das erzähle ich Ihnen später«, versprach Alberta ihr. »Sehen Sie sich erst mal ein bisschen um.«