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Catherine Ashley Morgan ist ein Pseudonym des Autors Ralph Sander, der mit seiner Katzen-Krimi-Serie "Kater Brown" viele Leserinnen und Leser begeistert
Der erste Fall für Anne Remington!
Anne Remington tritt ihre neue Stelle als Detective Chief Inspector in der kleinen englischen Stadt Northgate an. Direkt an ihrem ersten Tag bekommt sie es mit einer Entführung zu tun! Erst nach einigen peinlichen Missverständnissen wird klar: Bei der verschwundenen Lady Agatha handelt es sich um die Kartäuser-Katze von Lord Bromshire. Anne nimmt die Ermittlungen im Fall der entführten Katze auf, denn Lady Agatha sollte an einer Katzenschau teilnehmen, bei dem sie als klare Favoritin galt. Hat hier ein eifersüchtiger Katzenzüchter seine Finger im Spiel? Oder geht es doch um Lösegeld? Anne stößt bei den Ermittlungen auf ein ganzes Knäuel von Geheimnissen, das es zu entwirren gilt ...
Bei diesem Katzen-Krimi handelt es sich um eine eBook-Neuauflage von »Die Kartäuser-Affäre« von Catherine Ashley Morgan um DCI Anne Remington und ihre samtpfotigen Helfer.
Alle Bände der Reihe um Christine und Isabelle bei beTHRILLED:
Katze, Maus und Mord - Ein rätselhafter Nachbar
Katze, Maus und Mord - Die verhängnisvolle Botschaft
Katze, Maus und Mord - Tod eines Schaffners
Katze, Maus und Mord - Das tödliche Drehbuch
Und hier ermittelt Anne Remington:
Katze, Maus und Mord - Die Entführung der Lady Agatha
Katze, Maus und Mord - Ein tödliches Spiel
Katze, Maus und Mord - Bei Ausflug Mord
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!
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Seitenzahl: 506
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Epilog
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Der erste Fall für Anne Remington!
Anne Remington tritt ihre neue Stelle als Detective Chief Inspector in der kleinen englischen Stadt Northgate an. Direkt an ihrem ersten Tag bekommt sie es mit einer Entführung zu tun! Erst nach einigen peinlichen Missverständnissen wird klar: Bei der verschwundenen Lady Agatha handelt es sich um die Kartäuser-Katze von Lord Bromshire. Anne nimmt die Ermittlungen im Fall der entführten Katze auf, denn Lady Agatha sollte an einer Katzenschau teilnehmen, bei dem sie als klare Favoritin galt. Hat hier ein eifersüchtiger Katzenzüchter seine Finger im Spiel? Oder geht es doch um Lösegeld? Anne stößt bei den Ermittlungen auf ein ganzes Knäuel von Geheimnissen, das es zu entwirren gilt ...
Catherine Ashley Morgan
Katze, Maus und Mord – Anne Remington ermittelt
Die Entführung der Lady Agatha
Für alle Katzen, die nachts nicht grau sind
Sie war zu früh! An ihrem ersten Tag war sie zu früh im Büro! Ein Blick in die äußerst überschaubare Polizeistation von Letchham genügte ihr, um zu sehen, dass sie vor allen anderen da war. Zumindest, wenn sie von dem jungen uniformierten Polizisten absah, der hinter dem Tresen auf einem Hocker saß und in einer Computerzeitschrift blätterte. Dabei hatte sie genau diese Situation vermeiden wollen. Jetzt würde sie jeder für überpünktlich halten und glauben, sie wolle nur kontrollieren, wann all ihre Mitarbeiter zum Dienst erschienen. Na, das fängt ja gut an, dachte sie mürrisch und wollte eben um den Tresen herumgehen, da stellte sich ihr der junge Mann in den Weg.
»Kann ich Ihnen helfen, Miss?«, fragte er und beugte sich etwas zu aufdringlich vor.
»Ja, Sie können mir meinen Schreibtisch zeigen«, entgegnete sie ein wenig genervt, weil der Constable keinen angemessenen Abstand hielt. »DCI Remington«, stellte sie sich vor und strich sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich bin Ihr neuer Boss, Constable ...«
Der Mann riss die Augen auf und machte einen Schritt rückwärts. »Sie ... Sie sind DCI Remington?«, stammelte er schließlich. »Aber ... Sie sind ... Sie ...«
»Ja, ich weiß, ich bin zu früh, Constable ...«, unternahm sie einen zweiten Versuch, seinen Namen zu erfahren.
»Ich ... ich dachte ... das heißt, wir dachten, dass Sie ... dass Sie ...«
Anne Remington lächelte ihn an. »Ja, schon gut. Ich traue mich morgens selbst kaum, einen Blick in den Spiegel zu werfen, aber ganz so abschreckend werde ich doch wohl nicht aussehen, oder?«
Der Constable bekam prompt einen roten Kopf. »Sorry, Madam, so war das nicht gemeint. Es ist nur so, dass wir angenommen haben, der Nachfolger von DCI Heddleswaithe wäre ... na ja, ein Mann.«
Remington nickte verständnisvoll und meinte dann ironisch: »Sehen Sie? Als Polizist sollten Sie prinzipiell nicht von irgendwelchen Annahmen ausgehen, dann werden Sie auch nicht von den Fakten überrumpelt, Constable ...«
Jetzt endlich reagierte er: »Constable Mays, Jerry Mays ... Madam«, fügte er dann noch hinzu.
»Lassen Sie das ›Madam‹ doch bitte bleiben«, erwiderte sie. »Ganz so förmlich muss es nicht sein, wenn wir hier unter uns sind. Oder haben Sie Heddleswaithe auch mit ›Sir‹ angeredet?«
»Ähm ... so lange bin ich eigentlich noch gar nicht hier, Madam«, antwortete er. »Ich habe erst eine Woche vor seiner Pensionierung angefangen, aber ich weiß, dass die anderen ihn wohl meistens einfach ›Chief‹ genannt haben.«
»Damit könnte ich leben«, meinte sie.
»Geht klar, Madam ... Chief«, sagte Mays und deutete auf den rückwärtigen Teil der Wache. »Dort hinten ist Ihr Schreibtisch. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen ...«
»Nein, nein, bleiben Sie mal hier vorne. Ich will mich erst für ein paar Minuten an die Umgebung gewöhnen. Wenn Sie mir jetzt im Schnellverfahren erklären, was ich wo finde, habe ich die Hälfte davon sowieso gleich wieder vergessen.«
Mays nickte und ließ sie vorbeigehen.
Die Polizeiwache war sicher einmal auf dem neuesten Stand der Dinge, aber das musste irgendwann in den Fünfzigerjahren der Fall gewesen sein. Die Schreibtische stammten mit Sicherheit noch aus dieser Zeit, lediglich die Bürostühle waren neueren Datums, allerdings wohl auch nur, weil die ursprüngliche Bestuhlung nach dreißig oder vierzig Jahren nicht mehr zu gebrauchen gewesen war. Die Telefone schienen ebenfalls zur Originalausstattung zu gehören, jedenfalls konnte sich Remington nicht daran erinnern, sonst irgendwo jemals derart klobige schwarze Apparate gesehen zu haben, die zudem noch über eine Wählscheibe verfügten.
Dieses Büro hätte man bestimmt für viel Geld als Filmkulisse vermieten können, um von den Einnahmen eine moderne Wache zu beziehen. Allerdings wäre es dann nötig gewesen, die monströsen Computermonitore wegzuschleppen, die so wie die dazugehörigen Tastaturen und Rechner zwar noch die jüngsten Gegenstände hier waren, in einem Computermuseum aber sicherlich besser aufgehoben wären.
Sie hatte den hintersten Schreibtisch erreicht, der auf einem flachen Podest stand, als ob der Vorgesetzte über seinen Untergebenen thronen sollte. Ein wenig irritiert hängte sie ihre Schultertasche über die Stuhllehne, zog die Lederjacke aus und warf sie ebenfalls über die Lehne, dann nahm sie Platz.
Der Stuhl knarrte und neigte sich bedenklich weit nach hinten, doch bevor er kippen konnte, kam er gerade noch zum Stillstand. Remington atmete erleichtert aus und beugte sich rasch nach vorn. Sie betrachtete den Schreibtisch: Links stand der prähistorisch anmutende Monitor, am rechten Rand das noch vorsintflutlichere Telefon, dazwischen bildeten vier Stapel Akten, lose Blätter, Zeitungen, zusammengeheftete Ausdrucke und unzählige Zettel an der Schreibtischkante eine Art Schutzwall, der niemanden sehen ließ, was dahinter auf dem Tisch lag. Als sie unter der Schreibtischunterlage mehrere dünne Hefte mit größtenteils gelösten Kreuzworträtseln entdeckte, bekam sie eine Ahnung davon, warum ihr Vorgänger diese Mauer aus Dokumenten errichtet hatte.
Sie zog die Tastatur zu sich heran und fuhr den Computer hoch, was eine Ewigkeit dauerte. Als das Startbild angezeigt wurde, kam Remington aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Sagen Sie mal, Constable«, rief sie nach vorn, »haben hier alle so alte Computer, oder will mir jemand einen Streich spielen?«
»Nein, nein, Chief«, gab er zurück. »Der Chief ... also Ihr Vorgänger ... der hat wohl nicht viel mit dem PC gearbeitet, aber da fragen Sie besser die anderen. Ich weiß da nicht so richtig Bescheid.«
»M-hm«, machte sie und ließ das Thema auf sich beruhen. Mays musste sich selbst erst noch zurechtfinden, da konnte er kaum Antworten auf ihre Fragen liefern. Sie würde warten, bis die anderen ihren Dienstbeginn hatten, und im Rahmen einer ersten Besprechung, bei der sie sich ihren Kollegen vorstellen wollte, konnte sie auf die Dinge zu sprechen kommen, die geklärt werden mussten.
Dienstbeginn. Das Wort geisterte ihr durch den Kopf, als wollte es ihr etwas sagen. Schließlich fragte sie: »Wann haben Sie eigentlich Schichtende, Constable?«
»Vor einer halben Stunde«, antwortete der.
»Sie meinen: in einer halben Stunde, oder?«
»Nein, Chief, vor einer halben Stunde. Aber das macht mir nichts aus. Ich habe um zehn Uhr gestern Abend angefangen und ...«
»Wenn Sie vor einer halben Stunde hätten Schluss machen sollen, wo ist dann Ihre Ablösung?«, wollte sie wissen.
»Na, im Café Dubois, Chief«, gab er wie selbstverständlich zurück.
»Café Dubois? Das ist doch gleich nebenan auf der Ecke.«
Er nickte. »Die Kollegen treffen sich da vor Dienstbeginn und frühstücken.«
Remington schüttelte den Kopf. »Nicht, dass wir aneinander vorbeireden, Constable. Ihre Schicht endet um acht Uhr, dann kommt ein Kollege ...«
»Constable Flaherty«, warf er ein.
»... und löst Sie ab. Und dieser Constable Flaherty sitzt jetzt ein paar Häuser weiter und frühstückt, obwohl Sie vor einer halben Stunde hätten gehen dürfen und jetzt vielleicht schon zu Hause wären und schlafen könnten.«
Mays schwieg betreten.
»Wenn Sie sagen ›die Kollegen‹, dann heißt das, der Rest ist auch im Café?«
Widerstrebend nickte der Constable. »DI Franklin, DI Hennessy und die drei anderen Constables, Flaherty, Clarkson und Slate.«
Sie stand auf und ging nach vorn. »Tja, dann werde ich die Herren wohl mal daran erinnern müssen, wo ihr Arbeitsplatz ist«, grummelte sie.
»Ähm, Chief, ich ...«, begann Mays und eilte zu ihr.
»Ja, Constable?«
»Nun, ich möchte nicht gern, dass die anderen glauben, ich hätte sie angeschwärzt«, druckste er herum. »Als der Neue hier ist das nicht so gut ... wenn Sie verstehen, was ich meine.« Nach einer kurzen Pause ergänzte er: »Und vielleicht sollten Sie auch nicht gerade diesen ersten Eindruck hinterlassen ...«
Remington blieb stehen und überlegte. Vielleicht lag Mays gar nicht so verkehrt. Wenn sie in dieses Café stürmte und die Herrschaften ins Büro zitierte, dann würde sie vermutlich auf Widerstand stoßen, solange sie diesen Posten innehatte. Nein, es war wohl sinnvoller, erst einmal abzuwarten. Bestimmt würde sich eine Gelegenheit ergeben, diese Missstände abzustellen, ohne mit erhobenem Zeigefinger daherkommen zu müssen. Und sie hatte auch schon eine Idee ...
»Eine Frage hätte ich noch, Constable. Wann wird Ihr Kollege kommen und Sie ablösen?«
»Bislang war das immer so gegen neun Uhr«, sagte Mays und kratzte sich verlegen am Kopf.
»Okay, mehr will ich gar nicht wissen.« Sie machte kehrt und ging zurück zu ihrem Schreibtisch.
»Dann gehen Sie nicht nach nebenan?«, fragte er erleichtert.
»Nein, und Sie haben auch nichts gesagt«, sagte sie und zwinkerte ihm zu.
Zurück an ihrem Schreibtisch nahm sie sich einen der Aktenstapel vor und begann, ihn durchzusehen. Die Vorgänge, die mit einem Datum versehen waren, stammten zum größten Teil aus der Mitte der Neunzigerjahre und waren allesamt abgeschlossen. Bei der Durchsicht der Protokolle stellte sich heraus, dass es sich durchweg um kleinere Vergehen wie Einbruch und Diebstahl oder Vandalismus handelte. Die Zeitungen, die ebenfalls einen Teil dieses Stapels ausmachten, stammten überwiegend aus dem gleichen Zeitraum, einige waren sogar noch älter. Die Notizzettel stellten ein wildes Sammelsurium dar; Telefonnummern und Namen standen kreuz und quer auf dem Papier, ohne dass erkennbar war, zu welchem Fall sie gehörten und ob sie überhaupt etwas mit einem Fall zu tun hatten. Je weiter sich Remington in dem Stapel vorarbeitete, umso deutlicher wurde, dass es sich tatsächlich nur um eine Art Schutzwall handelte, hinter dem DCI Heddleswaithe unbehelligt Kreuzworträtsel lösen konnte, während er auf seine Pensionierung hoffte.
Plötzlich meldete ihr Handy den Eingang einer SMS. Sie zog es aus der Jackentasche und sah, dass ihre Mutter ihr geschrieben hatte, die in Wrightford-on-Stratton wohnte, Remingtons früherer Wirkungsstätte vor ihrer Beförderung zum Detective Chief Inspector. Sie las die SMS und musste schmunzeln, dann begann sie, eine Antwort zu schreiben.
Während sie damit beschäftigt war, bemerkte sie aus dem Augenwinkel, wie zwei Männer die Wache betraten. Einer war schmal, groß und dunkelhaarig, er trug einen völlig aus der Mode gekommenen Schnauzbart, der sich in Form von schmalen Streifen an den Mundwinkeln vorbei bis zum Kinn zog und ihn wie einen Pornodarsteller aus den Siebzigern wirken ließ. Der andere war einen halben Kopf kleiner, recht rundlich, das Gesicht mit den auffallenden Pausbacken war gerötet, als leide er unter Bluthochdruck. Sein rotblondes Haar trug er so kurz geschnitten, dass es aussah, als sei sein Schädel mit Samt überzogen.
Der Kleinere tippte den anderen Mann mit dem Ellbogen an, stieß einen anerkennenden Pfiff aus und erklärte laut genug, dass sie ihn hören konnte: »Wow, was für'n Anblick. Hey, Mays, hat der neue Boss seine Freundin als Vertretung geschickt? Oder hat die Kleine was verbrochen und soll verhört werden?« Der Constable wollte zum Reden ansetzen, da fuhr der Mann fort: »Wenn's das ist, dann lasst mich mal 'ne halbe Stunde mit ihr allein.«
»Eine halbe Stunde?«, wandte der Dunkelhaarige ein. »Du bist doch sonst auch nach fünf Minuten fertig.«
Als der Constable daraufhin lachte, warf der Rotgesichtige ihm einen vernichtenden Blick zu, der den Mann sofort verstummen ließ. Er ging um den Tresen herum und näherte sich zusammen mit dem Schnauzbärtigen dem Schreibtisch, an dem Remington saß.
»Guten Morgen, Lady«, begrüßte der rundliche Mann sie grinsend. »Unser Constable hat vergessen, die Leibesvisitation vorzunehmen, darum werde ich das nachholen. Stellen Sie sich bitte an die Wand und machen Sie Arme und Beine breit, damit ich Sie abtasten kann.«
Anne Remington hatte soeben die Antwort-SMS zu Ende geschrieben und gesendet, nun sah sie auf. »Sagen Sie, ist wirklich jemals eine Frau auf diesen Spruch angesprungen? Und damit meine ich nicht, dass sie schnellstens die Flucht ergriffen hat«, konterte sie freundlich lächelnd und stand auf.
Dem Rotgesichtigen hatte es die Sprache verschlagen, der andere Mann musste lachen. Ihm hielt sie zuerst die Hand hin. »Darf ich mich vorstellen? DCI Anne Remington, Ihre neue Chefin. Sie beide müssen DI Franklin und DI Hennessy sein. Allerdings weiß ich nicht, wer von Ihnen wer ist.«
»Ich bin Hennessy«, erklärte der Dunkelhaarige, während er ihr die Hand schüttelte.
»Dann sind Sie DI Franklin«, sagte sie zu dem rundlichen Kerl, der noch immer um Worte verlegen war – was seinen Kollegen sichtlich amüsierte.
Franklin nickte stumm, während sein Gesicht einen noch kräftigeren Rotton annahm. Ob das aus Verlegenheit oder aus Verärgerung darüber geschah, dass er den Mund nicht gehalten hatte, konnte sie nicht sagen.
»Na, dann erzählen Sie doch mal, was sich heute Morgen ereignet hat, dass Sie schon so früh im Einsatz waren.«
Die beiden Detectives sahen sich verständnislos an, schließlich fragte Hennessy: »Von welchem Einsatz reden Sie?«
»Von welchem Einsatz?«, wiederholte sie und mimte die Verständnisvolle. »Kommen Sie, spielen Sie nicht den Bescheidenen. Als ich um kurz nach acht herkam, waren Sie alle schon unterwegs, da muss doch was Großes passiert sein. Erzählen Sie mir die Einzelheiten, ich möchte alles wissen. Schließlich will ich ja auf dem Laufenden sein.«
»Ach so«, begann Franklin bedächtig. »Das war nichts Bedeutendes, nur eine ...«
»Ein Fehlalarm«, warf Hennessy ein.
»Ja, genau«, bekräftigte der Rotgesichtige. »Ein Fehlalarm!«
»Kommen Sie, spannen Sie mich nicht so auf die Folter«, drängte sie die beiden Männer, denen allmählich klar wurde, dass sie so leicht nicht davonkommen würden.
Gespannt sah sie von einem zum anderen und versuchte einzuschätzen, wer von ihnen eher die Wahrheit sagen würde. Der große dunkelhaarige Detective machte auf sie den Eindruck, etwas mehr zur Ehrlichkeit zu neigen. Und tatsächlich war es der rotgesichtige Komiker, der offenbar keine Skrupel kannte und einfach drauflosredete.
»Ein Mädchen war auf dem Weg zur Schule angeblich verschwunden«, begann er und klang dabei ausgesprochen überzeugend. »Bis auf Mays sind wir alle sofort ausgerückt, um nach der Kleinen zu suchen, aber das war ein Fehlalarm – wie schon gesagt.«
»Das heißt, das Mädchen war gar nicht verschwunden?«, fragte sie scheinbar interessiert.
»Nein, nein«, beteuerte Franklin hastig. »Die Kleine war nur in den falschen Bus eingestiegen.«
»Hm«, machte Anne. »Wir sollten den Busfahrer und die Eltern herkommen lassen, damit sie eine Aussage machen.«
»Wieso denn?«, wandte der Rotgesichtige ein. »Es ist doch alles gut ausgegangen.«
»Ja, ja, das schon«, stimmte sie ihm zu. »Aber solche Aussagen können später von größter Wichtigkeit sein, wenn dann irgendwann vielleicht doch noch etwas passiert. Man kann ja nie wissen.«
Franklins Gesicht bekam noch mehr Farbe, gleichzeitig trat ihm der Schweiß auf die Stirn. »Aber ... aber ... so was machen wir sonst auch nicht.«
Anne zuckte mit den Schultern. »Tja, da sehen Sie, wie unterschiedlich so etwas gehandhabt wird. Auf jeden Fall ist es immer besser, wenn man später auf solche Vorgänge zurückgreifen kann.« Sie winkte ab. »Kommen Sie, ich will ja nicht gleich am ersten Tag alle Gewohnheiten über den Haufen werfen. Ich werde mit dem Busfahrer und den Eltern reden, und ich werde sie auch anrufen und bitten, auf die Wache zu kommen und ihre Aussage zu machen.«
Mittlerweile hatte Franklin die Augen zugekniffen, während Hennessy ein frustriertes Schnauben von sich gab, das aber nicht ihr, sondern seinem Kollegen galt.
»Geben Sie mir nur die Namen und die Telefonnummern, dann kümmere ich mich darum«, forderte sie ihn lächelnd auf und streckte ihm die Hand entgegen.
»Namen und Telefonnummern?«, wiederholte er mit zittriger Stimme. »Ich ... ähm ... also.« Er drehte sich hilfesuchend zu Hennessy um. »Hast du die Namen notiert?«
»Herrgott, du Idiot«, fuhr der Dunkelhaarige ihn an. »Merkst du eigentlich nicht, dass sie dich auf den Arm nimmt. DCI Remington hat uns wahrscheinlich heute Morgen um acht ins Café gehen sehen, und seitdem wartet sie darauf, dass wir endlich hier aufkreuzen.«
Franklin sah Anne an und kratzte sich ratlos am Kopf. »Tja ...«
Nachdem ein paar Sekunden vergangen waren, ohne dass der Mann noch etwas sagte, ergriff sie die Initiative: »Da ich annehme, dass Ihr Kollege nur einen Witz gemacht hat, erwarte ich in einer halben Stunde einen vorläufigen Bericht mit allen Namen, Adressen, Ansprechpartnern und Ihrer Unterschrift darunter.« Als er sich daraufhin tatsächlich zum Gehen wandte, was Hennessy dazu veranlasste, den Kopf zu schütteln und die Augen zu verdrehen, fügte sie noch hinzu: »Und legen Sie eine Kopie zu den Akten – unter ›M‹ wie Münchhausen.«
»Was?«, sagte Franklin und drehte sich wieder zu ihr um. »Warum denn das?«
Im nächsten Moment bekam er von seinem Kollegen einen Klaps mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. »Wie kann man nur so dämlich sein?«, schimpfte er, dann wandte er sich an Anne. »Entschuldigen Sie seine Begriffsstutzigkeit ... Chief.« Als sie mit einem Nicken deutlich machte, dass sie mit der Anrede einverstanden war, fuhr Hennessy fort: »Wir treffen uns morgens immer um acht im Café, auch die Constables und bislang auch der Chief, also Ihr Vorgänger, dann trinken wir einen Kaffee und kommen anschließend her.«
Sie sah Franklin an, der zustimmend nickte, aber ein mürrisches Gesicht machte.
»Ich sage ja nichts dagegen, wenn Sie sich nebenan einen Kaffee holen und ihn hier im Büro trinken«, erklärte sie ruhig. »Ich will auch nicht Ihren lieb gewonnenen Traditionen ein Ende setzen, andererseits bin ich aber auch nicht hier, um einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen. Mit anderen Worten: Es wäre mir sehr recht, wenn sich alle Mitarbeiter der Northgate Police zu Dienstbeginn hier einfinden würden, nicht erst eine Stunde später.«
Dass Franklin davon nicht begeistert sein würde, war ihr klar gewesen, aber von Hennessy hätte sie nach dem ersten Eindruck zu urteilen eher Zustimmung erwartet. »Kommen Sie, Chief, das machen wir schon seit Jahren so«, argumentierte er.
»Seit Jahren?«
Er nickte bestätigend.
»Da kommt aber ein schönes Minus an Arbeitsstunden zusammen«, merkte sie an. »Dann darf ich annehmen, dass Sie sich im Gegenzug keine Überstunden haben auszahlen lassen, oder?«
Hennessy und Franklin blieben ihr beide eine Antwort schuldig, was für Anne aber schon Antwort genug war. »Ich schlage vor, Sie ...«
Ihr Telefon fiel ihr mit einem schrillen Klingeln ins Wort und unterbrach ihren Gedankengang. Sie griff nach dem schweren schwarzen Hörer und drückte auf die blinkende Taste mit der »1« auf dem klobigen Apparat, wobei sie hoffte, dass sie damit das Gespräch auch tatsächlich annahm und nicht etwa wegdrückte.
»Remington«, meldete sie sich.
»Lady Agatha ist verschwunden!«, rief eine aufgeregte Männerstimme. »Jemand hat sie entführt! Sagen Sie Heddleswaithe Bescheid, er soll alle seine Leute herschicken! Beeilen Sie sich!«
»Wer spricht denn da?«
»Lord Bromshire«, kam die empörte Antwort. »Was glauben Sie denn? Sind Sie neu oder was?«
»Ja, das bin ich«, gab sie zurück, wobei sie sich zur Ruhe zwang, obwohl ihr der Tonfall nicht gefiel, der ihr durch den Hörer entgegenkam. »Außerdem bin ich ...«
»Ja, ja, schon gut«, unterbrach der Anrufer sie. »Sorgen Sie lieber dafür, dass Lady Agatha gefunden wird – und ihr Entführer!« Dann hatte er auch schon wieder aufgelegt.
Anne starrte einen Moment lang den Hörer an. Ist ja großartig, dachte sie ironisch. Ich bin noch keine Stunde hier, und schon wird jemand entführt.
»Gibt's etwa Arbeit?«, fragte Hennessy, als wäre das um diese Uhrzeit völlig undenkbar.
»Sagt Ihnen der Name Bromshire etwas?«, wollte sie wissen.
Der Detective bejahte und ergänzte: »Er wohnt in der Nähe von Whitehead, ein paar Meilen nordöstlich von hier.«
»Also gut, holen Sie die Constables aus dem Café«, befahl sie ihm, »und dann fahren wir sofort zu Bromshire. Offenbar wurde seine Frau entführt.« Sie griff nach ihrer Lederjacke, zog sie an und hängte sich die Schultertasche um.
»Seine Frau?«
»Ja, Lady ... Agatha«, las sie von dem Zettel ab, auf dem sie reflexartig das mitgeschrieben hatte, was der Anrufer ihr gesagt hatte.
»Ach, Lady Agatha?«, wiederholte Hennessy grinsend, während Franklin ihn anstieß.
Anne musterte die beiden argwöhnisch. »Gibt es einen Grund für Ihr Grinsen?«
Es kostete Franklin und Hennessy offenbar Mühe, ernst zu bleiben. »Nein, nein, gar nichts«, gab der rotgesichtige Mann zurück. »Sie haben völlig recht, wir sollten auf jeden Fall genug Leute mitnehmen, damit wir alles nach Lady Agatha absuchen können.«
Als die beiden Detectives vor ihr her die Wache verließen, rief Anne dem diensthabenden Constable an der Theke zu, er möge sich ein wenig gedulden, dann sah sie Franklin und Hennessy nach, wie die ein paar Häuser weiter links in das Café gingen.
Eine innere Stimme sagte ihr, dass die beiden irgendetwas im Schilde führten.
Die Fahrt nach Whitehead dauerte etwas über zwanzig Minuten, aber bei trockenem Wetter würde man sie trotz der kurvenreichen Strecke sicher in weniger als einer Viertelstunde zurücklegen können. Nachdem es die ganze Nacht hindurch geregnet hatte, war ein weiterer Platzregen niedergegangen, gleich nachdem sie die Wache in Letchham verlassen hatten. Jetzt, da sie von der Landstraße in die Zufahrt zu Bromshires Anwesen einbogen, hörte es so abrupt auf zu regnen, wie es begonnen hatte.
Während der Fahrt – sie hatte Hennessy ans Steuer gelassen, während sich Franklin mit den drei Constables den zweiten Wagen teilen musste – war kein Wort geredet worden, was vor allem daran lag, dass Anne nicht bereit war, nach dem Grund für das eigenartige Grinsen zu fragen. Der Detective hätte es ihr ohnehin nicht verraten.
»Da wären wir«, sagte er, als sie am Ende der langen geteerten Zufahrt quer durch ein Waldstück angekommen waren und er den Streifenwagen vor einem ausladenden Herrenhaus ausrollen ließ, das auf den ersten Blick betrachtet noch ganz gut in Schuss war. Erst bei genauerem Hinsehen wurden hier und da Risse im Verputz der Fassade erkennbar, Flecken deuteten auf Feuchtigkeit im Mauerwerk hin.
Anne wollte lieber gar nicht erst darüber nachdenken, was die Renovierungsarbeiten bei einem solchen Bau verschlingen würden, und sie konnte es nur zu gut verstehen, wenn Lord Bromshire solche Ausgaben vor sich herschob, solange es ging. Als der Wagen zum Stehen gekommen war, stieg Anne aus und ging die kurze Treppe hinauf, die zur Haustür führte. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der zweite Wagen mit Franklin und den Constables vorgefahren kam.
An der Tür blieb sie stehen und lauschte, dabei fiel ihr auf, dass mit einem Mal das ausgelassene Vogelgezwitscher verstummt war, als ob die Tiere keinen Laut von sich geben wollten, weil sie fürchteten, irgendwelches Unheil auf sich zu lenken.
Sie betätigte den Türklopfer und wartete. Einige Augenblicke später hörte sie von drinnen Schritte und eine Stimme, dann wurde die Tür geöffnet. Vor ihr stand ein grauhaariger Mann mit Stirnglatze und Backenbart, er trug einen Anzug aus fein kariertem dunkelbraunem Tweed, dazu eine hellbraune Krawatte mit einem Wappen, in einer Hand hielt er einen Spazierstock, dessen versilberter Knauf die Form eines Entenkopfs hatte.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?«, herrschte er Anne an, noch bevor die etwas sagen konnte. »Ich kaufe nichts an der Tür!«
»Nein, nein, ich bin von der Northgate Police, mein Name ist ...«
»Was denn?«, fauchte er weiter. »Wenn Sie Falschparker aufschreiben wollen, dann sind Sie hier verkehrt!« Er sah an ihr vorbei zu den beiden Streifenwagen. »Ah, da ist ja wenigstens Hennessy«, murmelte er, dann stürmte er an ihr vorbei nach draußen, eilte die Treppe hinunter, soweit sein leicht humpelnder Gang das zuließ, und wandte sich an Hennessy, der neben dem Wagen wartete.
»Ähm ... Sir?«, rief Anne ihm nach und schüttelte verwundert den Kopf, während sie ihm folgte.
»Hennessy!«, rief der ältere Mann. »Was soll das? Wo ist DCI Heddleswaithe?«
»Guten Morgen, Lord Bromshire«, entgegnete der Detective höflich, obwohl ihm der gleiche raue Tonfall zuteilwurde wie Anne. »Der Chief ist in Rente gegangen. Sie waren doch bei seiner Verabschiedung.«
»Das weiß ich auch«, grummelte Bromshire. »Aber ich dachte, er geht erst Ende des Monats in Rente.«
»Resturlaub«, erklärte Hennessy. »Den musste er noch nehmen, deshalb war gestern sein letzter Tag.«
»Na, so was.« Der Lord schüttelte frustriert den Kopf. »Sind Sie denn jetzt sein Nachfolger?«
»Seinen Nachfolger haben Sie bereits kennengelernt, wenn auch nur kurz«, erwiderte der Detective und deutete mit einer Kopfbewegung auf Anne.
Bromshire folgte der Blickrichtung des Polizisten und schaute Anne verständnislos an. »Was hat die Politesse damit zu tun?«
Franklin, der die abfällige Bemerkung mitbekommen hatte, grinste sehr amüsiert, während Hennessy erklärte: »Die ›Politesse‹ ist Detective Chief Inspector Anne Remington, Sir.«
Vor Unglauben bekam Bromshire den Mund nicht mehr zu. »Aber das ist ... das ist ... eine Frau!«
Anne stellte sich zu ihm. »Tut mir leid, wenn ich Ihr Weltbild so auf den Kopf gestellt haben sollte, aber es soll inzwischen sogar Frauen in politischen Ämtern geben.«
»Das weiß ich auch!«, herrschte er sie an. »Aber die einzige vernünftige Frau, die jemals an der Macht war, ist und bleibt Margaret Thatcher! Die wusste wenigstens, was gut für das Volk ist, und sie hat diese Arbeiterklasse in ihre Schranken verwiesen!«
Hinter ihm stand Hennessy und schüttelte warnend den Kopf, Anne gab mit dem Zucken einer Augenbraue zu verstehen, dass die Botschaft bei ihr angekommen war. Es war ohnehin nicht ihre Art, sich zu politischen Themen zu äußern, schließlich war sie eine Angestellte des Staates, und bei Bromshire war es offenbar völlig sinnlos, Widerworte zu geben.
»Können Sie mir schildern, was genau passiert ist?«, wechselte sie flink das Thema, und glücklicherweise ließ er sich mühelos ablenken.
»Das habe ich doch schon am Telefon gesagt: Lady Agatha ist verschwunden!«
»Wann haben Sie sie denn zum letzten Mal gesehen?«
»Gestern Abend, so gegen elf Uhr. Sie zog sich so wie üblich ins Gästezimmer zurück, ich ging ins Schlafzimmer und legte mich ins Bett«, erklärte Bromshire.
»Und dann?«
»Na, heute Morgen habe ich sie zum Frühstück gerufen, aber sie ist nicht gekommen, und dann habe ich im Gästezimmer nachgesehen und festgestellt, dass das Bett verlassen war.«
»Könnte es nicht sein, dass sie vielleicht heute Morgen nur sehr früh aus dem Haus gegangen ist, um ... na ja, um irgendwelche Besorgungen zu machen? Hat sie nicht vielleicht gestern Abend noch etwas gesagt, das Sie bloß vergessen haben?«
Bromshire sah sie völlig entgeistert an, während hinter ihr Franklin zu lachen und Hennessy zu prusten begannen. »Wie soll sie mir denn etwas sagen? Lady Agatha kann doch nicht sprechen!«
»Oh.« Anne hatte das Gefühl, in ein Fettnäpfchen getreten zu sein ... nein, in ein Fettnäpfchen gestoßen worden zu sein – von Hennessy und Franklin. Das war dann wohl die erste Retourkutsche dafür, dass sie etwas gegen die Kaffeepausentradition einzuwenden gehabt hatte. »Das wusste ich nicht, entschuldigen Sie.«
Die verständnislose Miene des Lords ergab für sie zwar keinen Sinn, dennoch versuchte sie es weiter. »Aber wenn das so ist, dann ...« Sie zuckte mit den Schultern. »... dann hat sie vielleicht eine Notiz hinterlassen, die Ihnen möglicherweise nur nicht aufgefallen ist.«
Abermals reagierte Franklin mit schallendem Gelächter, und Lord Bromshire polterte los: »Herrgott, wie dumm sind Sie eigentlich? Natürlich kann Lady Agatha keinen Zettel hinterlassen haben, sie kann doch nicht mal schreiben!«
War die arme Frau etwa stumm und gelähmt? Annes Blick wanderte zu den beiden Detectives. Hennessy gab sich zumindest noch Mühe, sich sein Grinsen zu verkneifen, aber Franklin krümmte sich vor Lachen, sein Kopf war knallrot angelaufen. Sie begann zu ahnen, dass sie in Wahrheit gar nicht in ein Fettnäpfchen getreten war, sondern dass man sie ganz bewusst in die Irre geschickt hatte.
»Sagen Sie, Sir, könnten Sie mir eine Personenbeschreibung von Lady Agatha geben?«, fragte sie an Bromshire gewandt.
»Eine Personenbeschreibung?«, wiederholte der verwundert. »Lady Agatha ist eine Kartäuser-Dame.«
»Eine Katze?«, fragte Anne und ignorierte, dass Franklin sich inzwischen vor Gelächter verschluckt hatte und angestrengt hustete.
»Eine Kartäuser-Dame«, betonte Bromshire pikiert, als wäre die Bezeichnung ›Katze‹ eine Beleidigung.
»Also eine Katze«, wiederholte Anne. »Sie setzen Himmel und Hölle in Bewegung, nur weil Ihre Katze nicht in Ihrem Gästezimmer liegt? Haben Sie schon in Ihrem Haus nach ihr gesucht?«
»Sie war nicht im Gästezimmer, und sie ist nicht zum Frühstück erschienen. Meine Köchin hatte für sie wie immer ihre Lieblingsmahlzeit zubereitet, gekochte Hühnerherzen, für die Lady Agatha alles stehen und liegen lässt«, beharrte der Lord mit Nachdruck. »Da muss ich nicht erst im Haus nach ihr suchen, um zu wissen, dass sie nicht mehr da ist.«
»Es könnte aber nicht schaden, das zu machen, bevor Sie einen Großeinsatz der örtlichen Polizei auslösen«, machte Anne ihm klar, dann wandte sie sich zum Gehen. »Ich würde sagen, bis heute Nachmittag müssten Sie alle Zimmer durchsucht haben, und wenn Ihre Katze dann noch immer verschwunden ist, dann können Sie in der Umgebung Wurfzettel verteilen. Vielleicht hat sie ja jemand gesehen.«
»DCI Heddleswaithe hätte es nie gewagt, so mit mir zu reden!«, empörte sich Bromshire. »Wissen Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben? Ich habe im Falklandkrieg unser Land verteidigt, mein Vater hat gegen die Deutschen gekämpft und seine Vorfahren ...«
»Ich bin aber nicht DCI Heddleswaithe«, unterbrach sie ihn. »Wenn Sie Ihre Katze suchen, dann rufen Sie beim nächsten Tierheim an oder bei einem Tierarzt hier in der Gegend. Womöglich hat sie jemand gefunden und dort abgegeben. Vielleicht haben Sie ein Fenster oder eine Tür nicht richtig zugemacht, und Ihre Katze ist nach draußen gelaufen. Sehen Sie sich Ihr Grundstück an, hier gibt es tausend Verstecke für eine Katze!«
»Sie wollen einfach gar nichts unternehmen?«, flüsterte er mit bedrohlichem Unterton.
»Doch, ich werde jetzt nach Letchham zurückkehren, damit ich reagieren kann, falls ein echter Notruf eingeht.«
»Lady Agatha ist nicht weggelaufen, sie wurde entführt«, fauchte er sie an. »Hören Sie doch endlich mal zu!«
»Vielleicht würde ich Ihnen zuhören, wenn Sie mit mir nicht wie mit einem Dienstmädchen reden würden, das Sie herumkommandieren können!«, konterte sie im gleichen Tonfall, was den Lord nur noch mehr in Rage brachte.
»Sie sind ...«, begann er und brach in letzter Sekunde ab. Dennoch war Anne klar, was er hatte sagen wollen.
»Auch wenn Sie klug genug waren, nicht weiterzureden«, erklärte sie in frostigem Tonfall, »wissen wir jetzt wohl beide, was Sie von mir halten.«
Lord Bromshire schwieg beharrlich und sah an ihr vorbei, als würde sie gar nicht vor ihm stehen. »Das heißt, Sie werden mir jetzt absichtlich nicht helfen, weil Sie glauben, Sie wüssten, was ich sagen wollte?«, fragte er leise.
Anne betrachtete ihn eine Weile und glaubte, in seinen Augen Angst aufblitzen zu sehen. Angst vor ihr? Angst um seine Katze? Angst davor, bei der Suche nach dem Tier auf sich allein gestellt zu sein? Oder gab es einen anderen Grund?
Sie seufzte leise. »Hören Sie, Sir, es ist nicht so, als würde mich das Schicksal Ihrer Katze nicht interessieren, aber das ist kein Fall für die Polizei. Eine entlaufene Katze ...«
»Lady Agatha ist nicht entlaufen, sie wurde entführt.«
»Nur weil eine Katze an einem Morgen einmal nicht zum Frühstück kommt oder nicht auf ihrem üblichen Platz liegt, ist das noch lange kein Indiz für eine Entführung. Wenn Sie mir eine eingeschlagene Scheibe oder eine aufgebrochene Tür präsentieren können, dann kann ich es rechtfertigen, Nachforschungen anzustellen, aber nicht im Augenblick. Katzen ändern immer wieder mal ihre Gewohnheiten. Seit wann schläft ... Agatha im Gästezimmer.«
»Seit ungefähr drei Monaten«, räumte er etwas kleinlaut ein.
»Und davor?«
»In meinem Schlafzimmer auf der Seite des Bettes, auf der früher meine Frau geschlafen hat.«
Sie nickte. »Haben Sie damals auch gedacht, sie wäre entführt worden?«
Lord Bromshire presste die Lippen zusammen und schwieg.
»Okay, dann wäre das ja geklärt«, sagte sie und wandte sich zum Gehen.
»Vielleicht wollen Sie ja auch nur nicht nach Lady Agatha suchen, weil Sie fürchten, Sie könnten versagen. Und weil dann jeder weiß, dass Sie als Frau diesen Aufgaben nicht gewachsen sind«, rief er ihr plötzlich nach.
Anne blieb stehen und atmete tief durch, bis sie wieder die Ruhe selbst war. Dann erst drehte sie sich zu ihm um. »Lord Bromshire, wenn Ihnen nichts Besseres in den Sinn kommt als eine frauenfeindliche Provokation, dann halten Sie doch lieber den Mund.«
Sie ging weiter und kam an Detective Franklin vorbei, der sie frech angrinste. »Da sind wir doch den weiten Weg völlig umsonst gefahren«, meinte er in einem gespielt bedauernden Tonfall.
»Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Lady Agatha eine Katze ist, Detective Inspector Franklin?«, fragte sie ihn.
»Tja, ich kann mich nicht daran erinnern, dass Sie mich danach gefragt haben«, gab er zurück. »Sonst hätt' ich's Ihnen bestimmt gesagt, Detective Chief Inspector Remington.«
»Ihnen ist doch klar, dass ich diesen Vorgang aktenkundig machen werde und dass in Ihrer Personalakte ein Vermerk landen wird, der Ihnen fehlenden Teamgeist und mangelnde Loyalität gegenüber Ihrem Vorgesetzten attestiert, nicht wahr?«
»Kommen Sie, Chief«, warf DI Hennessy ein. »Ein kleiner Scherz muss doch noch erlaubt sein.«
»Ein kleiner Scherz ist ganz bestimmt erlaubt«, pflichtete sie ihm bei. »Aber wenn der Scherz darauf hinausläuft, einen Vorgesetzten gegenüber Dritten zu blamieren, dann hat das für mein Verständnis nichts mehr mit einem Scherz zu tun.« Sie konnte sehen, wie ihre Worte Wirkung zeigten und wie zumindest Hennessy jetzt einsah, dass diese Aktion gar nicht so witzig gewesen war. Franklin dagegen grinste fröhlich vor sich hin. Mit ihm würde sie in Zukunft wohl noch viel Freude haben.
»Entschuldigung«, sagte Hennessy. »Das wird nicht wieder vorkommen.«
»Detective?«, fragte sie an Franklin gewandt.
»Ja, sehe ich auch so«, gab der zurück und hatte sich damit zumindest aus seiner Sicht vor einer Entschuldigung und einer klaren Antwort gedrückt. Aber ihm musste klar sein, dass Anne dieser kleine Schachzug nicht entgangen war und sie ihn gut im Auge behalten würde.
Als ihr im nächsten Moment auffiel, dass die drei Constables die Situation ebenfalls für sehr witzig zu halten schienen, kam ihr ein Gedanke, wie sie dieser Truppe womöglich Disziplin beibringen konnte. Zwar würde sie damit Bromshire in die Hände spielen, aber ihr war ohnehin ein wichtiger Punkt eingefallen, der bislang gar nicht zur Sprache gekommen war. Sie machte kehrt und ging zurück zu Bromshire, der sie finster anstarrte. »Sagen Sie, Sir, welchen Grund sollte es eigentlich dafür geben, dass jemand Ihre Katze entführt? Sie haben die ganze Zeit nur davon gesprochen, dass Lady Agatha angeblich entführt worden ist, aber Sie sind mit keinem Wort darauf eingegangen, welches Motiv ein Entführer haben sollte.«
»Natürlich die Katzenausstellung«, gab er so schroff zurück, als müsse jedem diese Antwort klar sein.
»Könnten Sie sich etwas präziser ausdrücken?«, fragte sie und bereute bereits, dass sie sich doch noch einmal an Bromshire gewandt hatte.
»In zwei Wochen findet die jährliche Rassekatzenausstellung statt, die von mir hier im großen Saal von Bromshire Mansion veranstaltet wird«, erklärte er schließlich. »Meine Lady Agatha geht seit Jahren als strahlende Siegerin aus dem Wettbewerb hervor, und das können die anderen nicht verwinden. Sie sind neidisch auf meine Erfolge.«
»Die anderen Katzen sind neidisch?«, fragte sie irritiert über seine Wortwahl.
»Nein, natürlich ihre Halter«, antwortete er unwirsch. »Sie wollen meiner Lady Agatha jedes Jahr aufs Neue den Titel streitig machen, aber es gelingt ihnen nie, und weil sie wissen, dass sie es nicht schaffen können, haben sie diesmal Lady Agatha entführt. Wenn sie nicht da ist, wird eine der anderen gewinnen. Sie gönnen mir den Sieg nicht.«
»Und wer sind diese Halter?«, hakte sie nach.
»Da kommen einige infrage«, entgegnete er. »Die Konkurrenz sitzt mir jedes Jahr dichter im Nacken, und mittlerweile trennen nur noch ein paar Zehntelpunkte die ersten fünf oder sechs Plätze voneinander. Jedenfalls seit diese dämlichen Preisrichter diese neue Bewertung eingeführt haben. Früher war der erste Platz klar und deutlich der erste Platz, und der zweite war der zweite. Heute heißt es: ›Ach, die Ergebnisse liegen so dicht beieinander, eigentlich haben ja doch alle gewonnen.‹ Das ist doch kein Sportsgeist mehr!«
»Bei den Olympischen Spielen heißt es aber doch auch: ›Dabeisein ist alles‹«, wandte sie ein.
»Glauben Sie daran?«, fragte Bromshire. »Wenn es wirklich so wäre, dann würde einem nicht im Minutentakt der aktuelle Medaillenspiegel unter die Nase gerieben, damit man immer wieder sieht, wie viele Goldmedaillen der Erste eingeheimst hat und auf welchem lächerlichen Platz das eigene Land liegt.«
Anne zuckte mit den Schultern, weil sie sich darüber noch nie Gedanken gemacht hatte und jetzt auch nicht damit anfangen würde. »Zurück zu dieser Ausstellung«, sagte sie. »Können Sie mir eine Liste der Personen geben, die ein Interesse daran haben könnten, Ihre Katze zu kidnappen?«
»Das heißt, Sie glauben mir?«, fragte der Lord argwöhnisch. »Wie kommt es denn zu diesem Sinneswandel?«
»Sagen wir, ich ziehe die Möglichkeit in Erwägung, dass Sie recht haben könnten. Immerhin ist ein solcher Wettkampf um einen ersten Platz durchaus ein Motiv, um eine Straftat zu begehen«, gab sie zurück. »Ach ja, listen Sie bitte auch die Personen auf, die nichts mit dieser Katzenausstellung zu tun haben, die Ihnen aber möglicherweise aus einem anderen Grund schaden wollen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Sehen Sie, Sir, wir wollen unsere Arbeit gründlich machen, und es wäre sicher verkehrt, nur das Motiv in Erwägung zu ziehen, das Sie genannt haben. Über die Preise, die Ihre Katze über die Jahre hinweg bekommen hat, ist doch sicher in der örtlichen Presse berichtet worden, nicht wahr?«
»Oh ja«, antwortete er voller Stolz. »Der Northgate Observer berichtet jedes Jahr mit einer ganzen Seite über meinen Sieg. Und zweimal bin ich auch schon von der überregionalen Presse interviewt worden.«
Anne stutzte, als sie den Mann reden hörte. Je mehr er erzählte, umso stärker wurde ihr Eindruck, dass es bei diesen Siegen nur um ihn ging und nicht um seine Katze. Sie schüttelte flüchtig den Kopf. Nein, das bilde ich mir bestimmt nur ein, dachte sie und sagte: »Vielleicht sind Sie mal mit jemandem aneinandergeraten, oder jemand ist immer noch wütend auf Sie, weil Sie zu langsam gefahren sind oder ihm den Parkplatz vor der Nase weggeschnappt haben, und derjenige ist jetzt auf die Idee gekommen, Ihre Katze zu rauben, damit Sie bei der anstehenden Ausstellung nicht mitmachen können.«
»Meinen Sie das wirklich?« Sein Tonfall war wieder etwas abweisender geworden, da er vermutlich überlegte, ob es sich bei diesen Spekulationen um die Äußerungen eines Polizisten handelte – womit er sie zumindest in Erwägung ziehen würde – oder um die einer Frau, die er als Hirngespinste abtun konnte.
»Sie können sich gar nicht vorstellen, zu welchen kleinen Gemeinheiten manche Menschen in der Lage sind, nur um einem anderen eins auszuwischen«, beteuerte sie.
»Hmm«, machte er und kratzte sich am Kinn. Schließlich nickte er. »Ja, das klingt einleuchtend. Gut, dann werde ich die Liste zusammenstellen. Benötigen Sie nur die Namen?«
»Es wäre hilfreich, wenn Sie auch noch vermerken könnten, welchen Grund derjenige hat, um sich an Ihnen zu rächen«, antwortete sie. »Je mehr Informationen wir bekommen, umso leichter fällt es uns, die Reihenfolge festzulegen, in der wir die möglichen Verdächtigen befragen werden. Es wäre ja schließlich unsinnig, zuerst mit jemandem zu reden, der sich nur an Ihrer Nase stört, wenn da gleichzeitig ein anderer Kandidat ist, der Ihnen die Schuld an einem schweren finanziellen Verlust gibt.«
»Das klingt ebenfalls einleuchtend«, musste er zugeben. Sie konnte ihm anhören, wie schwer ihm das indirekte Eingeständnis fiel, dass sie vielleicht doch zu mehr taugte als zum Politessendienst.
»Bevor Sie aber anfangen, muss ich eine Bedingung stellen«, ergänzte sie. »Sie suchen erst das Haus nach Lady Agatha ab, nur für den Fall, dass sie sich doch irgendwo verkrochen hat. Ich möchte nicht unter Umständen tagelang mögliche Verdächtige befragen, nur um dann zu erfahren, dass sie auf einmal beschlossen hat, auf dem Küchenschrank zu schlafen, weil es ihr da plötzlich so gut gefällt. Ich hoffe, das verstehen Sie.«
Ein wenig widerstrebend nickte Lord Bromshire schließlich, fragte dann aber: »Und was ist mit meinem Grundstück? Da kann ich nicht auch noch nach ihr suchen. So gut sind meine Beine wahrhaftig nicht mehr.«
»Keine Sorge. Sehen Sie nur im Haus nach, um das Grundstück kümmern wir uns.« Mit diesen Worten drehte sie sich zu den Detectives und den Constables um. »Meine Herren, Sie dürfen zur Tat schreiten.«
»Zur Tat schreiten?«, wiederholte Franklin. »Was soll das heißen?«
»Es gibt Hinweise darauf, dass Lord Bromshires Katze tatsächlich entführt wurde. Bevor wir aber losziehen und mögliche Täter verhören, wird zunächst das Grundstück rings um das Haus herum durchsucht. Ich möchte Gewissheit haben, dass die Katze nicht bloß durch eine offene Tür nach draußen entwischt ist und sich irgendwo hier versteckt hält.«
»Das ist doch Irrsinn«, wandte der rotgesichtige Detective ein. »Durch den Regen der letzten Tage ist der Boden völlig aufgeweicht. Da können wir ja gleich eine Schlammschlacht machen.«
»Mr Franklin, korrigieren Sie mich, wenn ich irre, aber ich kann mich an folgende Worte aus Ihrem Mund erinnern: ›Wir sollten auf jeden Fall genug Leute mitnehmen, damit wir alles nach Lady Agatha absuchen können.‹ Das war Ihr Vorschlag, und den greife ich jetzt auf. Oder war das auch nur wieder ein Scherz von Ihnen?«
»Ich lasse mich nicht dazu zwingen, durch den Morast zu stapfen, nur um eine Katze zu suchen, die angeblich spurlos verschwunden ist!«, protestierte er. »Es hat die ganze Nacht geregnet. Was glauben Sie, wie aufgeweicht der Boden hier überall ist?« Wie auf Bestellung fing es in diesem Moment wieder an zu regnen.
»Sie hätten mir sofort sagen können, dass Lady Agatha eine Katze ist«, machte sie ihm deutlich. »Dann wären wir alle nicht hier, denn dann hätte ich allenfalls einen Constable hergeschickt – wenn überhaupt.«
»Ich trage teure italienische Schuhe!«, wandte Franklin ein, während Hennessy die Augen verdrehte, da sein Kollege sich schon wieder um Kopf und Kragen redete, ohne es zu merken.
»Wie teuer?«, fragte sie.
»Sehr teuer.«
»So? Wenn Sie sich solche Schuhe leisten können, werden Sie wohl sehr gut bezahlt. Dann sollten Sie auch entsprechenden Einsatz zeigen, damit Ihr Gehalt gerechtfertigt ist.« Anne sah ihn mit versteinerter Miene an, um keinen Zweifel daran zu lassen, wie ernst es ihr war. »Ich muss Ihnen ja wohl nicht erklären, was Sie erwartet, wenn Sie einen direkten Befehl eines Vorgesetzten nicht ausführen – oder muss ich das?«
»Sie würden mir dafür kein Disziplinarverfahren anhängen«, murmelte Franklin. »Sie bluffen nur.«
»Sie können es gern darauf ankommen lassen«, schlug Anne ihm lächelnd vor, dann wandte sie sich an die ganze Gruppe und sagte: »Und jetzt suchen Sie nach einem Schuppen oder gehen Sie in den Keller, nehmen Sie sich irgendwas mit einem langen Stiel und dann verfahren Sie so, wie Sie es auf der Polizeischule gelernt haben, wenn man ein weitläufiges Gelände nach einer vermissten Person absucht. Noch Fragen?«
Als Franklin zum Reden ansetzte, kam Anne ihm zuvor: »Ich werde mich in den ersten Stock begeben und von dort aus aufpassen, dass Sie nicht aus Versehen eine Ecke auslassen. Das wollten Sie doch wissen, nicht wahr?«
Während der Rotgesichtige vor Wut schnaubend abzog, um nach Besen und Ähnlichem Ausschau zu halten, zog Anne Remington ihr Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer der Polizeistation in Letchham.
»Mays? Remington hier. Wenn irgendein Notruf eingeht, rufen Sie mich sofort auf dieser Nummer hier an. Wir sind hier wohl noch eine Weile beschäftigt.«
Auf dem Weg von ihrem Häuschen in Belside südwestlich von Letchham zur Polizeistation war Anne schon am Morgen der Pub mit dem eigenartigen Namen »Downtown« am Rand der Landstraße aufgefallen – vor allem, weil er mitten zwischen zwei Ortschaften lag und außer vorbeikommenden Autofahrern kein Publikum aus der unmittelbaren Nachbarschaft anlocken konnte. Die Frage drängte sich auf, wer sich erst noch in den Wagen oder aufs Fahrrad setzen und herfahren würde, wenn er dann doch kein Bier trinken konnte.
Jetzt befand sich Anne auf dem Heimweg und wurde an den Pub erinnert, als sie am Straßenrand ein Hinweisschild auf das Lokal entdeckte, das sie nach zwei Meilen erreichen würde. Vielleicht sollte sie dort anhalten und etwas essen, immerhin hatte sie sich in ihrem neuen Zuhause noch gar nicht richtig einrichten können, war doch einer von zwei Möbeltransportern mit einem Großteil ihrer Kartons versehentlich bis in den nördlichsten Zipfel von Schottland gefahren und dort mit schwerem Motorschaden liegen geblieben. Damit war die Hälfte ihrer Einrichtung erst vorgestern in Belside eingetroffen, was ihren Zeitplan über den Haufen geworfen hatte.
Als sie das Lokal erreichte, setzte sie den Blinker und verließ die Landstraße, dann folgte sie einem Kiesweg, der bis hinter das Gasthaus führte und an einem für den Pub viel zu großen, fast leeren Parkplatz endete. Sie stellte ihren Wagen an dem niedrigen Holzzaun ab, der den Parkplatz von der Terrasse hinter dem Gebäude trennte, und ging zur Tür.
Verwundert sah sie das Hinweisschild am Eingang, dass der Pub um zwanzig Uhr geschlossen wurde, was völlig untypisch war. Normalerweise wollten die Gäste viel länger ausgehen können und nicht um acht Uhr nach Hause geschickt werden, wenn der Abend erst angefangen hatte.
»'n Abend«, grüßte sie der Wirt, als sie eingetreten war, und reichte ihr über die Theke hinweg eine Speisekarte.
Sie nahm sie an, nickte ihm zu und setzte sich an einen Tisch in der gegenüberliegenden Ecke, wo sie hoffentlich Ruhe hatte. Es waren nur wenige Gäste im Pub, aber sie wusste, wenn sie sich in der Nähe der Theke einen Platz gesucht hätte, wäre sie unweigerlich in ein Gespräch verwickelt worden, und danach stand ihr im Moment gar nicht der Sinn. Ihr erster Arbeitstag als Detective Chief Inspector der Grafschaft Northgate lag hinter ihr, und sie konnte nicht gerade behaupten, einen glanzvollen Einstand gegeben zu haben. Bis auf Constable Mays hatte sie mit ihrer Aktion, das Grundstück von Lord Bromshire nach der mutmaßlich entführten Katze absuchen zu lassen, alle ihre Mitarbeiter gegen sich aufgebracht, allen voran den widerborstigen DI Franklin. Andererseits konnte sie aber auch nicht zulassen, dass gleich vom ersten Tag an ihre Autorität untergraben wurde.
Der Wirt kam zu ihr an den Tisch, und ihr fiel auf, dass sie zwar in der Speisekarte geblättert, aber eigentlich gar nichts von dem Angebot wahrgenommen hatte. »Ich habe mich noch nicht entschieden«, sagte sie. »Aber Sie können mir schon mal einen ... eine Cola bringen.«
»Kommt sofort.«
Eigentlich hatte sie einen Sherry bestellen wollen, aber so, wie dieser Tag verlaufen war, würde sie vermutlich auf dem Heimweg in eine Alkoholkontrolle geraten.
Gerade hatte sie begonnen, sich einen Überblick über die »internationale Küche« zu verschaffen, und noch während sie feststellen musste, dass die Auswahl tatsächlich reichhaltig war und viele französische, italienische und spanische Gerichte umfasste, hörte sie auf einmal eine vertraute Stimme.
»Was denn? Unseren zweiten Unterschlupf haben Sie jetzt auch schon entdeckt? Da müssen wir uns ja wohl tatsächlich ein neues Versteck suchen, wo Sie uns nicht finden.«
Als sie den Kopf hob, sah sie DI Hennessy vor ihrem Tisch stehen und sie breit angrinsen.
»Die Welt ist klein«, gab sie zurück. »Und diese Grafschaft ist noch kleiner. Wollen Sie sich setzen, oder ...?«
»Wenn ich nicht störe, gern. Und keine Angst, vor dem lieben Franklin haben Sie für den Rest des Tages Ruhe. Der ist heute Abend vollauf damit beschäftigt, seine feinen italienischen Schuhe zu polieren, nachdem er sie heute ins Gelände ausgeführt hat.«
Seine Miene verriet, dass ihm sein Kollege nicht sonderlich leidtat.
»Das klingt für mich nicht so, als ob er Ihr Mitgefühl hätte, Detective«, tastete sie sich behutsam vor.
»Sie können ruhig Carl sagen, ich bin jetzt nicht im Dienst, Chief.«
»Anne«, erwiderte sie und reichte ihm die Hand, die er mit einem anerkennenden Lächeln ergriff.
»Franklin ist eigentlich ganz in Ordnung«, fuhr er fort. »Wenn er seine Arbeit macht, dann macht er sie ordentlich, aber er reißt sich nicht darum. Was glauben Sie, warum er mit vierundfünfzig immer noch bloß DI ist? Der Mann hat keinen Ehrgeiz, sonst hätte er sich auch darum beworben, Heddleswaithes Nachfolger zu werden. Aber das ist mit mehr Arbeit und mehr Initiative verbunden, und da hört bei ihm der Spaß auf.«
»Und Sie?«
»Ich?«, fragte er und zuckte mit den Schultern.
»Wieso haben Sie sich nicht auf die Stellenausschreibung gemeldet?«
Er schüttelte den Kopf. »Zu viel Bürokratie. Mir reicht es schon, wenn ich Berichte schreiben muss, da möchte ich nicht auch noch den ganzen übrigen Papierkram am Hals haben. Ich sitze nicht so gern am Schreibtisch, ich bin lieber unterwegs und befrage Leute oder beobachte Häuser.«
»Gibt's denn in Northgate überhaupt genug in der Richtung zu tun?«, fragte sie. »Der Aktenbestand im Büro ist ja recht übersichtlich.«
»Es hält sich im Rahmen, aber die Grafschaften ringsum haben im Verhältnis weniger Personal und mehr zu tun, deshalb wird immer mal einer von uns angefordert, um da auszuhelfen.«
»Und im Gegenzug?«
»Na ja, im Gegenzug werden bei uns keine Stellen gestrichen«, antwortete er, als gerade der Wirt an den Tisch kam und Anne eine Cola hinstellte. »Eigentlich müsste Northgate mit der Hälfte des Personals auskommen, aber in der Grafschaft wohnen genug Reiche, von deren Steuern wir finanziert werden, während sich unsere Nachbarn kein zusätzliches Personal leisten können, obwohl sie unterbesetzt sind.«
»Ich nehme an, das läuft über den kleinen Dienstweg«, sagte Anne.
»Ganz genau. Wenn die Kollegen uns auf offiziellem Weg anfordern würden, dann könnten wir mit viel Glück ›schon‹ ein paar Wochen später das Okay von ganz oben erhalten, und bis dahin hat ein Täter längst alle Spuren verwischt, sodass wir uns das dann auch gleich sparen könnten.«
Der Wirt kam wieder an den Tisch, brachte Hennessy ein Bier und nahm die Bestellung auf.
»Ich nehme an, ich habe mir heute schon alle Sympathien verscherzt«, lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung.
»Weil wir das Grundstück auf den Kopf stellen mussten?«
Sie nickte, stieß mit Hennessy an und trank einen Schluck.
»Machen Sie sich darüber mal keine Gedanken. Wir haben uns das ja selbst eingebrockt. Hätte einer von uns den Mund aufgemacht, wären wir erst gar nicht zu Bromshire gefahren.«
»Und hätten damit möglicherweise unsere Arbeit vernachlässigt«, ergänzte Anne.
Hennessy stutzte. »Soll das heißen, an seiner Behauptung ist was dran? Haben Sie einen Hinweis gefunden, dass die Katze tatsächlich entführt wurde?«
»Keine Spuren, die auf einen Einbruch hindeuten«, verneinte sie. »Und es hat sich bislang auch kein Entführer gemeldet, um Lösegeld zu fordern.«
»Das könnte ja noch kommen«, gab er zu bedenken. »Aber wer entführt schon eine Katze?«
»Lady Agatha ist nicht einfach nur eine Katze, sondern eine Kartäuser-Dame mit einem Stammbaum, der fast zurückreicht bis zu Richard III.«, erklärte Anne. »Bromshire hütet seine Katze wie den sprichwörtlichen Augapfel, sie bringt ihm Jahr für Jahr Preise und Auszeichnungen ein, mit denen er sich brüstet, als ob er selbst der Rassekater wäre, der von der Jury prämiert wird. Und seine Lady Agatha erwirtschaftet für ihn jährlich eine hohe fünfstellige Summe, weil sie exklusiv für irgendein Rassekatzenmagazin als Model arbeitet. Bromshire verliert also seine Haupteinnahmequelle, wenn er die Katze nicht zurückerhält.«
Hennessy dachte einen Moment darüber nach, dann sagte er: »Da stellt sich mir die Frage, ob es Bromshire darum geht, seine Katze wiederzubekommen, oder ob es ihm in erster Linie um seine wirtschaftliche Existenz geht, weshalb er so aufgeregt ist.«
Sie unterbrachen kurz ihre Unterhaltung, da der Wirt ihnen das Essen servierte.
»Ehrlich gesagt, Carl, als ich Lord Bromshire heute zugehört habe, da hat sich mir der Eindruck aufgedrängt, dass den Mann diese Katze an sich überhaupt nicht interessiert, sondern dass es ihm nur um das Geld und die Publicity geht, die sie ihm einbringt.«
Der Detective nickte bedächtig. »Dann sind wir schon zu zweit. Er sieht buchstäblich seine Felle davonschwimmen. Aber was ist mit den Verdächtigen?«
»Mehr als genug«, erwiderte sie und stutzte. »Oh, da fällt mir ein, ich habe ja noch die Liste bei mir.« Sie griff in die Innentasche ihrer Lederjacke und holte einen Umschlag hervor.
»Die Liste?«
»Ja, ich habe Bromshire gebeten, die Namen der Personen zusammenzustellen, die einen Grund haben könnten, Lady Agatha zu entführen«, erläuterte sie. »Also zum einen seine Konkurrenten bei der Katzenausstellung, die ihm den ersten Preis streitig machen wollen, zum anderen Leute, die aus irgendeinem Grund glauben, sie hätten mit ihm noch eine Rechnung offen.«
»Und?«
»Lassen Sie es mich so formulieren: Wenn wir diese Liste zügig durcharbeiten wollen, müssen wir zur Abwechslung ein paar Detectives aus den umliegenden Grafschaften anfordern.«
Hennessy nickte. »Ich weiß, dass Ihr Vorgänger öfter den Namen Bromshire erwähnte – und dabei üblicherweise einen ziemlich entnervten Eindruck machte.«
»Ich möchte, dass Sie und Franklin sich morgen früh diese Liste vornehmen und sich mit den Namen befassen. Wir müssen schließlich nicht wie die aufgescheuchten Hühner durch die Gegend rennen und jeden befragen, der Bromshire mal schief angesehen haben könnte. Stellen Sie zusammen, wer am wahrscheinlichsten infrage kommt und wen wir eventuell noch befragen könnten. Ich will der Sache auf den Grund gehen, aber alles in Maßen. Der einzige Name auf der Liste, den Sie nicht überprüfen müssen, ist der von Louise Adler. Sie ist mit ihrem Kater die ewige Zweite bei der Ausstellung und hat aus dem Kreis der Teilnehmer am ehesten ein Motiv, um Bromshire schaden zu wollen. Bei ihr werde ich morgen früh gleich als Erstes vorbeifahren.«
»Darf ich Sie etwas fragen, Anne?«, entgegnete er abrupt.
»Sie dürfen mich alles fragen, Carl, ich kann nur keine Garantie geben, dass sie auch eine Antwort bekommen«, sagte sie.
»Diese ... diese Kartäuser-Affäre – engagieren Sie sich so, weil Sie Bromshire beweisen wollen, dass Sie Ihr Fach beherrschen? Oder geht es Ihnen mehr um die Katze?«
Sie lächelte versonnen. »Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, wie?«
Hennessy zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur gern, warum jemand so handelt, wie er handelt.«
»Weil Sie ihn dann leichter manipulieren können, indem Sie ihm nur das sagen, was er hören soll?«
»Sie sind auch nicht auf den Mund gefallen«, meinte er lobend. »Der alte Heddleswaithe kann froh sein, dass Sie nicht als DI unter ihm gearbeitet haben. Sie hätten ihm wahrscheinlich ganz schön Feuer unter dem Hintern gemacht.« Er wartete einen Augenblick lang. »Also?«
»Ich sage dazu nur so viel«, antwortete sie nach gründlichem Überlegen. »Ich hatte vor Kurzem einen Fall, bei dem auch eine Katze eine Rolle spielte, und der hat Dimensionen angenommen, die hätte sich anfangs niemand träumen lassen.«
»Und wo war das?«
»Das war ... woanders«, sagte sie ausweichend. Hennessy war zwar ein sympathischer Mann und wohl auch ein ganz fähiger Kollege, aber seine Neugier konnte viele Gründe haben, unter anderem auch den, so viel wie möglich über sie zu erfahren und dabei vielleicht auf etwas zu stoßen, was er gegen sie verwenden konnte.
Sie wusste, dass er mit seinem Dienstgrad keine Erkundigungen über sie einholen und damit auch nicht herausfinden konnte, wo sie zuvor gearbeitet hatte, allerdings wollte sie das im Gegenzug jetzt sehr wohl machen, um mehr über ihn in Erfahrung zu bringen.
Nachdem sie gegessen und bezahlt hatten, verließen sie das Lokal. Es war inzwischen kurz vor acht und bereits recht dunkel. »Wie kommt es eigentlich«, fragte sie, während sie die Terrasse überquerten, »dass der Pub um acht schließt? Woanders machen Pubs um diese Zeit erst auf.«
»Oh, das lässt sich ganz einfach erklären. Das Downtown ist kein Pub im üblichen Sinn, sondern ein Ausflugslokal. Da hinten, wo der Parkplatz aufhört, beginnt ein weitläufiges Naherholungsgebiet, das sogenannte Paradise Valley. Das ist vor allem am Wochenende und in den Ferien ein beliebtes Ausflugsziel für Wanderer und Leute, die einfach nur ein bisschen im Grünen unterwegs sein wollen. Dann ist dieser Parkplatz meistens wegen Überfüllung geschlossen, und der Pub platzt aus allen Nähten. Aber nach acht Uhr ist hier nichts mehr los.«
»Verstehe«, sagte Anne und sah in die Richtung, in der sich das Naherholungsgebiet befinden musste. Wenn sie sich erst einmal in Northgate eingelebt hatte, musste sie sich das unbedingt ansehen. Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Als Sie vorhin an meinen Tisch kamen, da sagten Sie was von Ihrer Zuflucht oder so. Wie war das eigentlich gemeint?«
Hennessy winkte ab. »Wenn ich nach dem Dienst nach Hause fahre, halte ich hier manchmal an, um noch ein Bier zu trinken, und hin und wieder kommt einer der Kollegen mit. Ich fand's nur witzig, ausgerechnet Sie hier anzutreffen.«
»Ich kann den Pub auch meiden, wenn Sie nicht wollen, dass wir uns in der Freizeit über den Weg laufen«, schlug sie halb im Ernst vor.
»Wir sind hier in Northgate nicht mit Pubs gesegnet, und man trifft sich mal hier, mal woanders. Wenn Sie Ihren Vorschlag in die Tat umsetzen wollten, müssten Sie um jeden Pub in dieser Grafschaft einen Bogen machen.«
»Das dürfte allerdings schwer werden«, stimmte sie ihm zu und ging weiter.
Hennessy deutete auf das kleine weiße Cabrio. »Ist das Ihrer?«
»M-hm.«
»Der ist mir heute Morgen schon vor der Wache aufgefallen, aber ich wusste nicht, dass Sie den fahren. Ein Sunbeam, richtig? Ein Alpine?«
»Ein Sunbeam ja, aber kein Alpine, sondern ein Tiger.«
»Ein Tiger?«, wiederholte der Detective und stieß einen bewundernden Pfiff aus. »Den kenne ich nur von Fotos, aber in natura habe ich den noch nie gesehen.«
»Lassen Sie mich meinen Großvater zitieren«, entgegnete Anne. »Der Sunbeam Tiger wurde in einer Stückzahl von nur 6495 Exemplaren produziert, der größte Teil wurde in die USA exportiert, was diesen Roadster in seinem Heimatland zu einer ganz besonderen Rarität macht.«
»Ich würde sagen, Ihr Großvater ist ein weiser Mann.«
»Ja, das war er tatsächlich. Er hat den Wagen 1966 neu gekauft, als er in Rente ging. Aber sein Rücken war mit der Federung und den Sitzen gar nicht einverstanden, und mit der Linkslenkung für den Export nach Amerika fühlte er sich sehr unwohl. Also ließ er ihn nach nur einem halben Jahr einmotten, um ihn mir zu vererben.«
»Wow«, sagte Hennessy. »So einen Großvater hätte ich auch gern gehabt. Der ist heute ein kleines Vermögen wert.«
»Ich weiß, ich habe auch schon ein paar Angebote bekommen, obwohl ich ihn erst vor drei Monaten habe überholen lassen, nachdem mein alter Wagen seinen Geist aufgegeben hatte ... obwohl ... mein alter Wagen war zwanzig Jahre jünger als er.«
Hennessy bewunderte noch einen Moment lang den Sunbeam, dann sagte er: »So, ich will dann mal nach Hause fahren, sonst wundert sich meine Frau noch, wo ich bleibe. Dann sehen wir uns morgen um neun«,
»Um acht«, gab sie lächelnd zurück.
Er zwinkerte ihr zu. »Versuchen kann man's ja mal«, witzelte er und ging zu seinem Wagen, den er gleich neben ihrem geparkt hatte.
Am nächsten Morgen fuhr Anne direkt von zu Hause zu Louise Adler, die laut Lord Bromshires Liste am ehesten als die Entführerin von Lady Agatha infrage kam. Von unterwegs rief sie in der Polizeistation an.
»Northgate Police«, meldete sich eine junge Männerstimme, die aber nicht nach Constable Mays klang.
»Remington hier, mit wem spreche ich?«, fragte sie.
»Constable Clarkson, Chief.«
Gut, dachte sie. Dann hatten ihre gestrigen Worte offenbar schon Wirkung gezeigt, und nach dem Gemurmel im Hintergrund zu urteilen, war heute Morgen niemand auf die Idee gekommen, eine Stunde im Café nebenan zu vertrödeln, während Constable Mays darauf wartete, endlich Feierabend machen zu können.
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«, hakte sie nach.
»Neuigkeiten?«, wiederholte Clarkson. »Sie meinen ...«
»Ich meine, ob zum Beispiel eine Lösegeldforderung für Bromshires Katze eingegangen ist. Oder ob sich sonst etwas Nennenswertes ereignet hat.« Der Constable schwieg anscheinend vor Ratlosigkeit, woraufhin sie sagte: »Lassen Sie mich raten, in Northgate ereignet sich über Nacht nichts Nennenswertes, richtig?«
»Besser kann man das nicht formulieren«, erwiderte er.