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Catherine Ashley Morgan ist ein Pseudonym des Autors Ralph Sander, der mit seiner Katzen-Krimi-Serie "Kater Brown" viele Leserinnen und Leser begeistert
Band 4: Christine Bells Katzenkrimis sollen verfilmt werden! Für die Dreharbeiten reist die Autorin mit ihrer Katze Isabelle in ihren Heimatort Glengreggory. Doch dort wartet eine böse Überraschung auf Christine: Das Drehbuch hat mit ihrer Romanvorlage nichts mehr gemeinsam. Und auch sonst ist Christine wenig begeistert vom Filmset und der Crew. Die überdrehte Hauptdarstellerin behauptet, auf sie werden Mordanschläge verübt. Doch niemand nimmt sie ernst - bis es tatsächlich einen Mord gibt! Aber das Opfer ist nicht die Filmdiva ... Isabelle muss einmal mehr ihre besondere Spürnase für Mord beweisen.
Bei diesem Katzen-Krimi handelt es sich um eine eBook-Neuauflage von »Der Schatten der roten Katze« von Catherine Ashley Morgan um die kluge Katze Isabelle, die ein Pfötchen für Mordfälle hat!
Alle Bände der Reihe um Christine und Isabelle bei beTHRILLED:
Katze, Maus und Mord - Ein rätselhafter Nachbar
Katze, Maus und Mord - Die verhängnisvolle Botschaft
Katze, Maus und Mord - Tod eines Schaffners
Katze, Maus und Mord - Das tödliche Drehbuch
Und hier ermittelt bald auch Anne Remington:
Katze, Maus und Mord - Die Entführung der Lady Agatha
Katze, Maus und Mord - Ein tödliches Spiel
Katze, Maus und Mord - Bei Ausflug Mord
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!
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Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Epilog
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Christine Bells Katzenkrimis sollen verfilmt werden! Für die Dreharbeiten reist die Autorin mit ihrer Katze Isabelle in ihren Heimatort Glengreggory. Doch dort wartet eine böse Überraschung auf Christine: Das Drehbuch hat mit ihrer Romanvorlage nichts mehr gemeinsam. Und auch sonst ist Christine wenig begeistert vom Filmset und der Crew. Die überdrehte Hauptdarstellerin behauptet, auf sie werden Mordanschläge verübt. Doch niemand nimmt sie ernst – bis es tatsächlich einen Mord gibt! Aber das Opfer ist nicht die Filmdiva ... Isabelle muss einmal mehr ihre besondere Spürnase für Mord beweisen.
Catherine Ashley Morgan
Katze, Maus und Mord – Isabelle und Christine ermitteln
Das tödliche Drehbuch
Der Tod sollte sie schnell ereilen, hatte er entschieden.
Nein, sie sollte nicht unnötig leiden, immerhin mochte er sie ja eigentlich, und es war schließlich auch nichts Persönliches. Sie war einfach ein Opfer von Umständen, für die sie nichts konnte. Aber ihr Tod würde ihm das Leben retten, und in einer Welt, die nach dem Darwin'schen Prinzip funktionierte, war er nun mal der Stärkere ... und der Stärkere überlebte am Ende.
Ein Treffer genau auf den Kopf, mit genug Wucht, um ihr den Schädel zu zerschmettern – das würde genügen. Dann war das Problem aus der Welt.
Er sah sich noch einmal gründlich um, weil er sich vergewissern wollte, dass der Fluchtweg leicht zu erreichen war. In dem Augenblick, in dem sich da unten das scheinbare Unglück ereignete, würden sie alle zu abgelenkt sein, als dass einer von ihnen nach oben sehen würde. Und selbst wenn, er würde dann bereits seinen Platz verlassen haben. Sollte jemand noch eine Bewegung bemerken und nach oben gelaufen kommen, dann würde ihn das auch nicht weiter stören. Immerhin hatte er nicht vor, die Treppe nach unten zu nehmen. Sein Plan sah etwas anderes vor.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er noch einige Stunden Zeit hatte, ehe er sich in Position begeben musste. Bis dahin wollte er seinen Aufenthaltsort so oft wie möglich wechseln und von möglichst vielen Kollegen gesehen werden und mit jedem von ihnen kurz sprechen, bis niemand mehr genau sagen konnte, wann man ihn wo mit wem gesehen hatte – natürlich nur für den Fall, dass jemand der Ansicht war, es könnte nicht bloß ein unglücklicher Unfall gewesen sein, und auf die Idee kam, Fragen zu stellen.
Das Schlechteste, was ein Täter liefern konnte, war ein wasserdichtes Alibi, bei dem sich alle Zeugen exakt daran erinnerten, wann sie mit dem Verdächtigen zuletzt gesprochen hatten. Normalerweise war dazu niemand in der Lage, und wenn auf einmal gleich fünf Leute präzise Uhrzeiten nannten, dann war das verdächtiger als jedes »kann ich mich nicht dran erinnern«.
Mit ihrem Tod würde sich sein Problem erledigt haben, und falls doch nicht, konnte er immer noch an anderer Stelle nachhelfen. Solange er bloß nicht ... Unwillkürlich schüttelte er sich, als ihm der Gedanke durch den Kopf ging, was ihn ansonsten erwartete – wahlweise der Tod oder der finanzielle Ruin.
Nein, über so etwas musste er nicht nachdenken, weil es nicht dazu kommen würde.
»Und? Wie fühlt man sich, wenn die eigenen Abenteuer für die große Kinoleinwand verfilmt werden?«, fragte Allison Quayle-Henderson und streckte die Hand aus, in der sie das Mikrofon hielt, um die Antwort aufzunehmen.
Wie nicht anders zu erwarten, schlug ihr beharrliches Schweigen entgegen, zudem hatte ihre Gesprächspartnerin demonstrativ den Kopf zur Seite gedreht.
»Tut mir leid, Allison«, warf Christine Bell vermittelnd ein, »aber ich glaube, Isabelle beharrt auf dem Standpunkt, dass sie ihre Agentin für sich antworten lässt.«
Allison zuckte mit den Schultern und grinste. »Man kann es ja mal versuchen. Manchmal lässt sich ein Prominenter überrumpeln und liefert einem eine Antwort, die zehnmal ehrlicher ist als alles, was einem der Agent auftischt.«
Christine strich mit einer Hand über das rötlich getigerte Fell ihrer Katze, die sich zur Heldin einer ganzen Romanreihe ... nun ... gemausert hatte. Isabelle kniff die Augen zu und legte den Kopf genüsslich in den Nacken, während Christine begann, ihren Rücken sanft zu massieren. »Tja, in Isabelles Fall müssten Sie sich dann mit einem ›Miau‹ begnügen, vielleicht auch mit einem kehligen ›Mrrr‹, aber ich glaube, das wird Ihren Lesern auch keinen Aufschluss darüber geben, was Isabelle nun wirklich denkt.«
»Vielleicht können wir ja ein Interview mit Isabelle für die DVD produzieren«, überlegte die Journalistin. »So als kleines Extra, meine ich. Sie kennen doch die Verantwortlichen, reden Sie mal mit denen.«
Sofort winkte Christine ab. »Ich kenne keinen von den Verantwortlichen, Allison. Das hat mein Agent geregelt, da kann ich mir wenigstens halbwegs sicher sein, dass die zuständigen Damen und Herren mich nicht mit einem Trinkgeld abspeisen. Ich habe keine Erfahrung mit der Filmbranche, und wenn ich Serien wie Episodes sehe ...«
»Ist das die mit Joey aus Friends?«, unterbrach Allison sie.
»Richtig.«
»Oh, die kenne ich. Die ist verdammt zynisch.«
»Nicht bloß zynisch, sondern realer als jede Reality-Serie, wenn ich meinem Agenten glauben darf«, erwiderte Christine. »Wenn ich so was sehe, möchte ich mit den Leuten von Film und Fernsehen so wenig wie möglich zu tun haben. Deshalb hat das alles mein Agent erledigt.«
»Also, ich kann es noch immer nicht fassen, dass einer von deinen Romanen verfilmt wird«, meldete sich Karen Raymond zu Wort. Sie und Christine waren einige Jahre lang in London gemeinsam zur Schule gegangen, nachdem Karens Eltern aus beruflichen Gründen in die Großstadt hatten umziehen müssen, als sie elf war. Bis dahin hatte sie in Glengreggory gelebt, jenem Dorf, in dem nun der erste Isabelle-Kinofilm entstand.
»Sagen wir so«, gab Christine zurück. »Richtig fassen kann ich das auch erst, wenn ich am Tag der Premiere im Kino sitze und gerade eben den Nachspann gesehen habe. Bis dahin will ich mir gar keine Gedanken darüber machen, was das alles nach sich ziehen könnte. Es gibt genug Filme, die nie fertiggestellt wurden und in irgendeinem düsteren, feuchten Gewölbe lagern, damit sie hoffentlich bald Schimmel ansetzen und dann guten Gewissens entsorgt werden können.«
»So schwarz würde ich aber nicht sehen«, wandte Karen ein. »Du ...« Weiter kam sie nicht, da der luxuriöse Kleinbus, mit dem sie an ihr Ziel gelangen sollten, in dieser Sekunde eine Vollbremsung machte. Luxuriös war fast schon untertrieben, so unglaublich bequem war es, in diesem Wagen zu reisen. Hinter dem Sitz des Fahrers waren vier weiche Ledersessel paarweise um einen großzügig bemessenen Tisch angeordnet.
Christine saß mit Isabelle in Fahrtrichtung, sodass sie den Grund für die Vollbremsung im gleichen Moment wie ihr Fahrer hatte kommen sehen. Sie konnte sich gegen die Rückenlehne drücken und mit einer Hand Isabelle festhalten, die weder etwas gegen den Kindersitz einzuwenden hatte, in den Christine sie gesetzt hatte, noch gegen den Sicherheitsgurt, in den sie kunstvoll gewickelt worden war.
»Sorry, Ladys«, rief der Fahrer nach hinten. »Schafherde von links.«
»Na, dann ist ja die nächste Geduldsprobe fällig«, meinte Allison, während durch die großen Seitenfenster des Busses die ersten Schafe zu sehen waren, die sich zu beiden Seiten zwischen Wagen und Hecke hindurchzwängten. Sie sah zwischen Karen und Christine hin und her, dann blätterte sie in ihrem Notizblock. »Wie war das noch mal? Sie beide kennen sich aus Gla... Gle... ah, da ist es ja ... aus Glengreggory?«
»Nein«, korrigierte Christine die Reporterin, die entweder ein schlechtes Gedächtnis hatte oder – und das hielt sie für wahrscheinlicher – absichtlich längst Bekanntes nachfragte, um zu sehen, ob ihr Gegenüber eine andere Antwort gab.
»Ich bin in Glengreggory aufgewachsen«, erklärte Karen geduldig und zwinkerte Christine zu, um ihr zu zeigen, dass sie die Taktik dieser Journalistin ebenfalls durchschaut hatte. »Kennengelernt haben wir uns erst in London. Wir waren ab der fünften Klasse Tischnachbarinnen und haben zusammen eine Menge durchgemacht.«
»Durchgemacht? Was haben Sie denn so alles durchgemacht?«, fragte Allison neugierig.
»Oh, das Übliche«, antwortete Karen. »Bandenzugehörigkeit, Autodiebstähle, Einbrüche, Schutzgelderpressungen ... Sie können sich was aussuchen, wir waren bestimmt daran beteiligt.«
»Schutzgelderpressungen?«, wiederholte die Reporterin, die auf Christine einen viel zu jungen und zu naiven Eindruck machte, um diesen Job schon auszuüben.
»Oh ja, wir haben die Gegend um Earl's Court fest in unserer Hand gehabt«, redete Karen weiter drauflos, während Christine grinsend den Kopf schüttelte. »Und später, in der achten Klasse, haben wir dann die Drogenszene aufgemischt und Dark Star unter die Leute gebracht.«
»Dark Star? Was ist das?«
»Das war eine Designerdroge, aber der MI5 hat davon Wind gekriegt und alles einkassiert, weil sie das Zeug für sich selbst haben wollten. Eine Tablette davon in Kaffee aufgelöst, und Sie geben auf jede Frage eine ehrliche Antwort.«
»Also eine Art Wahrheitsdroge?«
»Nicht nur eine Art, sondern die ultimative Wahrheitsdroge überhaupt. Man redet einfach drauflos, wenn man gefragt wird. Man plappert alles aus, was man weiß. So was in den falschen Händen ... nein, das will man sich gar nicht ausmalen.«
»Tja, und wenn wir nicht gestorben sind, dann leben wir noch heute«, meinte Christine abschließend, was ihr einen verständnislosen Blick von Allison einbrachte.
»Ähm ... was hat das jetzt zu bedeuten?«, fragte die Journalistin, gleich darauf setzte sich der kleine Bus wieder in Bewegung, während die letzten beigefarbenen Schafe blökend am Wagen vorbeihuschten, um sich zu ihren Artgenossen zu gesellen.
Christine seufzte leise. »Dass Karen Ihnen ein Märchen erzählt hat.«
»Oh«, sagte Allison und sah zwischen den beiden Frauen hin und her. »Ich dachte ...«
Karen schüttelte den Kopf. »Sie machen den Job noch nicht lange, oder?«
»So lange zwar noch nicht, aber ich werde zu vielen Interviewterminen mit Schauspielern geschickt«, gestand die Reporterin. »Das ist sehr interessant.« Dann fügte sie mit einem strahlenden Lächeln hinzu: »Da lernt man die ganzen heißen Typen kennen.«
Bestimmt war es nur Zufall, aber genau in dem Moment setzte Isabelle zu einem herzhaften Gähnen an, bei dem ihre Zähne aufblitzten, während sich das Fell überall am Kopf nach hinten zu ziehen schien und die Ohren wegklappten. Sollte es kein Zufall gewesen sein, konnte Christine ihrer Katze nur zustimmen, da es – zumindest ihrer Meinung nach – nichts Langweiligeres gab als Schauspielerinterviews.
Die gute Allison Quayle-Henderson war offenbar tatsächlich noch so neu im Geschäft, dass ihr bislang nicht aufgefallen war, dass Schauspieler im Interview immer alle das Gleiche erzählten, was zum Teil auch daran lag, dass die Journalisten sich von Agenten, Managern und anderen Gestalten vorschreiben ließen, über welche Themen sie nicht reden durften.
»Aber dass Sie hier geboren und aufgewachsen sind, das stimmt doch, oder?«, fragte Allison an Karen gewandt.
»Jedenfalls behaupten das meine Eltern«, erwiderte sie.
»Sie will damit sagen, dass es stimmt«, ging Christine schnell dazwischen, da sie der jungen Reporterin ansehen konnte, wie die versuchte, die Antwort einzuordnen.
Allison warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Und was machen Sie, Karen? Sind Sie auch ... künstlerisch tätig?«
»Nein, nein«, wehrte die hastig ab. »Das ist nichts für mich. Ich bin so kreativ wie ein Schimpanse ...« Karen hielt inne. »Sorry, ich wollte keinen Schimpansen beleidigen. Die können mit verbundenen Augen besser malen als ich, und vom Schreiben fange ich lieber gar nicht erst an. Was Christine kann, davon kann ich nur träumen.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf ihre Freundin. »Fragen Sie lieber, wieso sie das kann. Da bekommen Sie eine brauchbarere Antwort als bei mir.«
»Wir haben uns bereits ausgiebig unterhalten«, sagte Christine. »Vorgestern im Verlag.«
»Ich werde Sie aber noch mal interviewen, wenn wir auf dem Rückweg sind. Ich will schließlich Ihre Eindrücke zum Film erfahren, weil das unsere Leser auch interessieren wird.« Erneut begann sie, in ihren Notizen zu blättern. »Wie soll der Film noch gleich heißen?«, murmelte sie.
»Isabelle und der rote Diamant«, antwortete Christine. »Jedenfalls ist das der Arbeitstitel, weil der Roman so heißt. Aber das wäre ja nicht das erste Mal, dass ein Film anders heißt als das Buch, auf dem er basiert.« Nach einer kurzen Pause ergänzte sie: »Dass der Krimi nach Tatsachen entstanden ist, hatte ich erwähnt?«
Die Reporterin stutzte. »Nein, nicht dass ich wüsste. Was genau ist denn da vorgefallen?«
»Am liebsten würde ich ja sagen: ›Lesen Sie meinen Roman‹«, meinte Christine schmunzelnd. »Aber ganz im Ernst: Ich war zu einer Ausstellungseröffnung im Museum für Schmuck und Edelsteine eingeladen, und seit meine kleine Isabelle so bekannt und berühmt ist, galt die Einladung natürlich auch für sie. In einem besonders gesicherten Raum war der sogenannte rote Diamant in einer gepanzerten Vitrine ausgestellt, aus der man ihn unmöglich entwenden konnte, ohne dabei ein Dutzend Alarmsysteme auszulösen. Isabelle bewies bei der Gelegenheit einmal mehr ihren sechsten, siebten oder achten Sinn, indem sie mir entwischte und auf die Vitrine sprang ...«
»Dann muss sie ja den Alarm ausgelöst haben«, sagte Allison.
Christine nickte. »Ganz genau. Sie können das jetzt als einen bloßen Zufall auslegen, denn woher soll eine Katze schon wissen, dass sie einen Alarm auslöst, wenn sie sich auf einen Glaskasten setzt? Sie können aber auch argumentieren, dass Isabelle etwas bemerkt hatte und uns Menschen darauf aufmerksam machen wollte.«
»Und was?«
Sie hob eine Hand, um anzudeuten, dass sie noch ein wenig weiter ausholen musste, ehe sie die Frage beantworten konnte. »Natürlich ging der Alarm los, von der Decke wurde eine Art ... Gitterkasten herabgelassen, der die Vitrine einschloss, inklusive Isabelle, die sich nicht aus der Ruhe bringen ließ. Die Versicherung stellt eine Menge Anforderungen an solche Ausstellungen, unter anderem auch die, dass nach einem Alarm erst ein Fachmann die Unversehrtheit der Objekte feststellen muss, schließlich sucht eine Versicherung immer erst mal nach einem Weg, einen anderen für einen Schaden haftbar zu machen oder sich bei irgendwem den möglichen Schadenersatz zurückzuholen. Also kam der Experte ins Museum, ließ Isabelle frei, die geduldig abgewartet hatte, und untersuchte dann den roten Diamanten, der sich schon auf den ersten Blick als Fälschung entpuppte.«
»Und das hat Isabelle gewusst?«, hakte Allison nach.
Christine zuckte flüchtig mit den Schultern, während ihr Blick über die hügelige Weidelandschaft wanderte, die sich zu beiden Seiten des Wagens bis zum Horizont erstreckte. Sie empfand es immer wieder als faszinierend, wie landschaftlich abwechslungsreich diese eigentlich doch relativ kleine Insel war, die den Mittelpunkt des britischen Empires bildete, dessen ruhmreichste, aber auch umstrittenste Ära vor langer Zeit zu Ende gegangen war. »Wer weiß schon, was im Gehirn einer Katze vor sich geht? Auf jeden Fall herrschte Aufregung, weil das Original verschwunden war, das etliche Millionen Pfund wert ist. Isabelle machte uns schließlich auf einen Lüftungsschacht aufmerksam, weil sie versuchte, ein kleines Gitter an diesem Schacht zu öffnen. Ein Blick hinein genügte, und da lag der echte Diamant in ein Tuch eingewickelt einfach so im Schacht.«
»Aber wie sollte er aus dem Museum gebracht werden?«
»Von einem der Lüftungstechniker. Der hatte mit dem Experten für die Überwachungskameras Hand in Hand gearbeitet. Als der in diesem gesicherten Raum für ein paar Minuten den Strom abgeschaltet hatte, damit er angeblich die neuen Kameras installieren konnte, hat der Lüftungstechniker den Diamanten gegen eine gut gemachte aber billige Fälschung ausgetauscht und in diesem Schacht versteckt. Nach der Ausstellung hätte er ihn dann bei irgendeiner Reparatur oder Wartung rausgeholt und wäre mit ihm nach draußen spaziert.«
»Und daraus haben Sie dann einen Krimi gemacht«, folgerte Allison.
»Ja, aber ich habe die Handlung aufs Land verlegt, um genug Verdächtige auf engem Raum zu haben, wenn der Diamant aus einem Herrenhaus verschwindet.«
»Ah, deshalb müssen wir diese halbe Weltreise unternehmen«, sagte die Journalistin und nickte verstehend. »Aber ... ich weiß nicht, ob ich Sie das fragen darf ... verstehen Sie das nicht falsch ...«, druckste sie herum.
»Nur zu, ich kann auch mit Kritik leben«, versicherte Christine ihr und fügte dann grinsend hinzu: »Solange Sie mir nicht mit ›Ich find das alles nur doof‹ kommen, kann ich mich ja auch rechtfertigen.«
»Na ja, ich finde halt, auf dem Land ist doch überhaupt nichts los«, rang sich Allison nach längerem Zögern durch. »Ich meine, Verbrechen geschehen in der Großstadt, aber nicht in einem Dorf, wo jeder jeden kennt.«
Christine schüttelte den Kopf. »So habe ich früher auch mal gedacht, bevor mir Isabelle in den Schoß fiel. Auf dem Land ist es mindestens so schlimm wie in der Stadt, und manchmal sogar noch schlimmer, weil jeder jeden kennt, und wenn eine unliebsame Person von der Bildfläche verschwinden soll, dann fällt sie irgendeinem Unfall zum Opfer, und mindestens drei Leute haben genau gesehen, wie es passiert ist.« Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen, dann ergänzte sie: »Natürlich, weil zwei von ihnen die betreffende Person festgehalten haben, während der dritte mit dem Traktor ein Stück zu weit nach hinten fuhr.«
»Tatsächlich?«
»Ja, ich habe es selbst erlebt, was sich hinter den Fassaden idyllischer kleiner Dörfer abspielt«, bekräftigte Christine. »Und das ist alles andere, nur nicht schön.«
»Ladys, wir sind am Ziel«, meldete sich in diesem Moment der Fahrer zu Wort, hielt den Wagen an, stieg aus und ging zur Beifahrerseite, damit er für sie die Schiebetür öffnen konnte. Ein warmer Wind wehte ins Wageninnere, es war Mitte Mai, die Temperaturen waren der Jahreszeit entsprechend angenehm, aber noch nicht zu warm.
»Was ist mit unserem Gepäck?«, wollte Christine wissen, als sie als Letzte mit Isabelle auf dem Arm ausstieg.
»Das bringe ich rüber ins ...« Er sah auf einen Zettel. »... ins Black Library.« Der Fahrer schaute sich auf dem kleinen Dorfplatz um. »Ah, da drüben. Das ist dieser Pub dort.« Er zeigte auf das schmale alte Gebäude ganz links. Im Fenster hing ein Schild, darauf war zu lesen: »Zimmer belegt«.
»Hm, dann will ich hoffen, dass nur deshalb alles belegt ist, weil für uns drei Zimmer reserviert sind.« Sie drehte sich zum Fahrer um. »Mr Lansing, Sie ... Sie bleiben doch die ganze Zeit über hier, richtig?«
»Oh ja, Miss Bell«, versicherte ihr der stämmige kleine Mann mit dem dauerhaft rötlichen Gesicht. »Ich stehe Ihnen die ganze Zeit über zur Verfügung.«
»Also auch für den Fall, dass wir Hals über Kopf dieses ... ›Hotel‹ über dem Pub wieder verlassen wollen, um in diesem Gasthaus zu übernachten, an dem wir vor einer Weile vorbeigefahren sind?«
Lansing nickte verstehend. »Selbstverständlich auch für den Fall. Soll ich Ihr Gepäck noch im Wagen lassen?«
»Das ist eine gute Idee. Ich will erst sehen, wo wir untergebracht sind, danach entscheiden wir, was wir machen.«
»Alles klar, Miss Bell. Ich halte mich erst mal im Hintergrund. Sie haben ja meine Nummer.«
»Ich melde mich, wenn ich mehr weiß«, sagte sie und setzte Isabelle auf dem Fußweg ab.
»Eine Katze, die an der Leine geht«, wunderte sich Karen. »Wenn ich es nicht sehen würde, ich würde es nicht glauben.«
Während Allison ein paar Fotos von dem ungewöhnlichen Paar machte, erwiderte Christine: »Es hat ihr von Anfang an nichts ausgemacht, und wenn sie eine Fährte findet, lotst sie mich auch mit Leine hin. Eigentlich kann sie mich so noch besser hinführen, weil ich gleich hinter ihr bin und ich sie nicht erst suchen muss, wenn sie auf irgendetwas aufmerksam geworden ist.«
Ein lauter Knall ertönte, so als sei etwas Schweres aus großer Höhe auf dem Boden aufgeschlagen. »Was war das?«, fragte Allison. Gleichzeitig machte Isabelle einen Buckel und knurrte leise, aber im nächsten Moment hatte sie sich schon wieder beruhigt.
»Sehen Sie mich nicht so an«, konterte Christine ironisch. »Sie sind die Reporterin, also ... ›reportern‹ Sie mal ein bisschen.«
Allison nickte und sah sich um. »Ich würde sagen, das kam aus dieser Richtung«, überlegte sie und zeigte auf die Kirche, die auf der Straßenseite stand, auf der die drei Frauen aus dem kleinen Bus ausgestiegen waren.
»Sie können sich ruhig da umsehen«, ermutigte Christine die zierliche Frau, die so unschlüssig dastand, als erwarte sie, dass die anderen sie begleiteten. Schließlich atmete sie tief durch und wandte sich zum Gehen.
»Wenn etwas ist, wir sind ja über Handy zu erreichen, und Ihre Nummer haben wir auch«, rief Karen ihr nach. Sie drehte sich zu Christine um. »Hat sie Angst, wir würden nach London zurückkehren und sie allein hier zurücklassen?«
»So was in der Art würde ich sagen«, erwiderte sie. »Ich nehme an, bislang hat sie immer nur in irgendwelchen Nobelhotels den üblichen Stars die erlaubten Fragen gestellt, und das hier ist wohl das erste Mal, dass sie in freier Wildbahn unterwegs ist. Kein Wunder, dass sie so nervös ist.«
»Und schusselig ist sie auch noch«, fügte Karen hinzu und sah sich um.
Christine verzog skeptisch den Mund. »Schusselig würde ich nicht sagen. Ich glaube eher, sie hat sich schon so an die Standardantworten der Schauspieler gewöhnt, dass sie gar nicht mehr weiß, wie man mit echten Antworten von normalen Leuten umgeht. Überleg mal, wenn du dem Promi nicht richtig zugehört hast, suchst du dir einfach die letzten zwei oder drei Interviews zusammen, die er gegeben hat. Daraus kannst du dann die Antworten auf deine Fragen basteln.«
Karen zuckte mit den Schultern. »Na, ich weiß nicht.«
»Doch, doch, ich sag's dir«, beharrte Christine. »Frag nach den Kollegen, und du bekommst die Antwort: ›Wir sind alle eine große, glückliche Familie.‹ Frag nach dem Regisseur, und du wirst hören, dass er ein Genie ist, ein Visionär, jemand, der den Menschen etwas geben will. Frag nach dem Grund, warum der Schauspieler den Part übernommen hat ...«
»Weil der Gagenscheck stimmte«, mutmaßte ihre Freundin.
»Das ist die Wahrheit, aber erzählt wird dir: ›Das ist ein so bewegendes Drehbuch, so emotional. Ich habe mich sofort in dieser Rolle wiedergefunden. Das ist, als würde ein Stück aus meinem Leben erzählt.‹«
»Du bist zynisch«, gab Karen zurück. »Aber du hast recht. Kein Mensch könnte dich verklagen, wenn du das selbst schreibst und als echtes Interview verkaufst.«
»Genau, weil es ja exakt das ist, was jeder von ihnen redet.«
»Sag mal ... wie sieht denn das bei dir aus?«, wollte sie wissen.
»Wie sieht was bei mir aus?«
»Na, darfst du einfach deine Meinung rausposaunen, wenn dir vielleicht nicht gefällt, was sie aus deinem Buch gemacht haben? Oder musst du auch irgendwas von dir geben, was du eigentlich gar nicht so meinst?«
Christine stutzte. »Ähm ... darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Mein Agent hat mir zwar davon nichts gesagt, aber ... eigentlich hast du völlig recht. Wenn die Leute von der Filmcrew alles schönreden müssen, werde ich mich wohl kaum vor die Presse stellen und den Film niedermachen dürfen, falls ich damit nicht einverstanden bin.« Sie zog ihr neues Smartphone aus der Tasche und aktivierte das Telefonregister. Oder besser gesagt: Sie versuchte es, kam aber mit der Fingerspitze auf das falsche Symbol, woraufhin eines der fest installierten Spiele losplärrte. »Mist«, murrte sie und kehrte auf das vorangegangene Bild zurück.
Endlich hatte sie die Nummer ihres Agenten gefunden und rief ihn an. Nach dem zweiten Klingeln sprang die Mailbox an. Christine zog eine Grimasse und sprach nach dem Signalton: »Hallo Mr Clarkson, Christine Bell hier. Rufen Sie mich bitte sobald wie möglich zurück. Ich muss unbedingt was wissen, das Interviews zum Film betrifft. Danke.«
Sie beendete das Telefonat und steckte ihr Handy weg.
»Bin mal gespannt, welche Antwort du bekommst«, sagte Karen.
»Ich auch. Aber mit etwas Glück kann ich ja vielleicht sogar meine wahre Meinung äußern, weil mir gefällt, was ich hier zu sehen kriege.« Sie lächelte zuversichtlich, auch wenn ein ungutes Gefühl sie beschlich.
Lansing fuhr mit dem Kleinbus ab, sodass der Blick auf den Dorfplatz gegenüber der Kirche freigegeben wurde, von dem sie bis gerade eben nur den wenig einladenden Pub hatten sehen können. Insgesamt bildeten acht Gebäude in zwei Gruppen zu je vier die Fassadenfront des halbkreisförmigen Platzes, in dessen Mitte irgendein wenigstens auf den ersten Blick undefinierbares Denkmal stand. Genau gegenüber der Kirche wurde der Halbkreis von einer Gasse unterbrochen, die ein Stück weit zu beiden Seiten von kleinen, eingeschossigen Häusern gesäumt wurde, denen sich dichter Wald anschloss.
Christine atmete seufzend durch. »Schon seltsam«, murmelte sie. »Irgendwie hab ich das Gefühl, dass es mich von Mal zu Mal in immer kleinere Dörfer verschlägt.«
»Was?«
»Oh, das erinnert mich nur an das Dorf in Cornwall, aus dem Isabelle stammt ... jedenfalls, wo sie bei mir aufgetaucht ist. Sie kann ja auch von ganz woanders stammen.« Christine schüttelte flüchtig den Kopf. »Da gab's auch so einen Dorfplatz, nur fiel der noch deutlich größer aus. Da waren Parkplätze und eine Bushaltestelle ...«
»Dafür hast du zwei Pubs, das Black Library und an der Ecke gegenüber das Doomsday Cometh«, erwiderte ihre Freundin amüsiert und rief: »Lieber Himmel, leben hier etwa nur selbstmordgefährdete Depressive? Du kannst dir aussuchen, ob du dein Bier in einer schwarzen Bibliothek oder in einem Laden trinkst, bei dem der Tag des Jüngsten Gerichts naht.«
»Nicht sehr aufmunternd«, fand auch Christine. »Dazu gibt's Herrenbekleidung, daneben eine Damenboutique, einen Metzger, einen Bäcker, einen ... irgendwas ...«
»Wenn ich das richtig sehe, gibt's da Fernseher und Radios«, warf Karen ein.
»Ja, sieht so aus. Und dann noch ein Antiquariat.«
»Hm«, machte ihre Freundin. »Hier bekommt man ja wenigstens noch alles, was man auch braucht. Wäre das hier ein Platz irgendwo in London, dann würden sich acht Handyläden gegenseitig Konkurrenz machen.«
»Genau, und wenn einer von ihnen pleitegeht, macht irgendwer einfach wieder einen Handyladen auf«, ergänzte Christine und musste lachen. Dann wanderte ihr Blick die Hauptstraße entlang, auf der sie hergekommen waren. Zu beiden Seiten der Straße standen hohe, präzise beschnittene Hecken, die in unregelmäßigen Abständen unterbrochen wurden. Vermutlich handelte es sich dabei um Einfahrten zu Einfamilienhäusern oder ehemaligen Bauernhöfen, die schon vor vielen Jahren unrentabel geworden waren.
Christine stutzte. »Sag mal, ich dachte, du kommst aus Glengreggory. Wieso staunst du, was es hier alles gibt? Das müsstest du doch alles noch kennen, oder nicht? Ich meine, ich kann mich an viele Dinge noch sehr genau erinnern, als ich in dem Alter war. Aber wenn ich dich so höre, könnte man meinen, du wärst noch nie hier gewesen.«
»Hier bin ich ehrlich gesagt wirklich nur selten gewesen.«
»Hier? Wieso betonst du das so? Das hier ist doch Glengreggory, oder gibt es noch ein anderes Glengreggory?«
»Nein, nein, wir sind schon richtig, aber das ist ... sozusagen Glengreggory-Stadt, und wir haben in Glengreggory-Land gelebt, das hinter dem Waldstück da drüben liegt. Von dort aus war man schneller in Whitechurch, dem Örtchen, nach dem diese Grafschaft benannt ist. In Whitechurch gab es Ärzte, einen Supermarkt, ein Postamt und noch ein paar andere Annehmlichkeiten. Und deshalb sind meine Eltern für Arztbesuche und Besorgungen immer mit mir dorthin gefahren.«
»Glengreggory-Stadt«, murmelte Christine und ließ den Blick über den kleinen und sehr überschaubaren Dorfplatz wandern. »Ich glaube, in der Liste der maßlosen Übertreibungen steht das sehr weit oben.« Sie sah ihre Freundin von der Seite an. »Und was gab es da, wo ihr gewohnt habt?«
»Eine Telefonzelle«, antwortete sie, »die regelmäßig alle drei Wochen vom Überlandbus gerammt wurde, weil sie in einer scharfen Rechtskurve viel zu nah am Fahrbahnrand stand. Ein paar Tage später wurde sie repariert, dann wieder umgefahren und so weiter und so fort. Auf die Idee, sie um ein paar Meter zu versetzen, damit der Bus keine Gefahr mehr darstellt, ist natürlich niemand gekommen.«
»Warum denn auch?«, kommentierte Christine.
»Falls wir zwischendurch mal Zeit dafür haben, könnten wir dann eventuell mal rüberfahren?«
»Du willst wohl wissen, ob die Telefonzelle immer noch da steht, wie?«
»Ja, aber vor allem interessiert mich unser altes Haus.«
Christine nickte. »Klar können wir das machen. Und falls ich zu beschäftigt sein sollte, kannst du Mr Lansing bitten, mit dir rüberzufahren.«
»Danke, das ist lieb von dir.«
»Denkst du denn wirklich, ich nehme dich hierher mit und halte dich dann davon ab, dir euer altes Haus anzusehen? Komm schon, Karen. So gemein bin ich nun wirklich nicht. Jedenfalls nicht bei den Menschen, die mir etwas bedeuten. Die anderen sollten sich da schon eher vor mir in Acht nehmen.«
Plötzlich hielt neben ihnen ein schwarzer BMW an, der Fahrer öffnete das Beifahrerfenster, lehnte sich über den freien Sitz und fragte: »Entschuldigen Sie, heißt jemand von Ihnen zufällig Christine Bell?«
Für eine Sekunde zögerte Christine, da ihr der absurde Gedanke durch den Kopf gegangen war, sie könnte es mit einem Attentäter zu tun haben. Oh, oh, sie sah sich tatsächlich zu viele schlechte Fernsehserien und Filme an, in denen so etwas geschah. Das hier war die Realität, und dieser Mann gehörte vermutlich zur Filmcrew, die natürlich davon in Kenntnis gesetzt worden war, dass heute die Frau zu Besuch kommen würde, deren Roman sie es verdankten, diesen Film drehen zu können.
»Ja, ich«, antwortete sie, als Karen sie schon etwas eigenartig ansah.
»Ah, wunderbar«, sagte der Fahrer, stellte den Motor ab und stieg aus. »Ich bin Bürgermeister Kenneth Braggard.«
»Bürgermeister von ... wo?«
»Na, von hier. Von Glengreggory«, antwortete er und kam um den Wagen herum. Der Mann war noch etwas kleiner als Christine, brachte aber mindestens hundertfünfzig Kilo auf die Waage. Sein Gewicht verlieh ihm das Aussehen und die Gangart eines Sumoringers, der allerdings in einem verdammt miesen Anzug steckte. Der konnte nur von der Stange gekauft sein ... vermutlich bei dem einzigen Herrenausstatter von Glengreggory, den er dann sicher hatte nehmen müssen, um seine Verbundenheit mit der Region zu demonstrieren und um jemandem etwas zu verdienen zu geben, der am Ort wohnte. Das Problem war nur, dass es für einen Mann von seiner Statur nichts von der Stange zu kaufen gab. Der Anzug musste auf jeden Fall geändert werden, aber der dabei entstehende Aufwand hätte genügt, um sich einen Maßanzug zu leisten, der tadellos saß und ihn nicht wie den Glöckner von Notre-Dame im Abendanzug wirken ließ. Die Ärmel waren grundsätzlich schon einmal zu kurz, und sie rutschten bei jeder Bewegung immer wieder ein Stück nach oben, da die Schulterpartie nicht breit genug war und völlig schief hing.
»Ein solches Ka... kleines Dorf hat einen Bürgermeister?«, wunderte sich Karen.
Braggard nickte, dabei fielen ihm seine langen grauen Haare ins Gesicht, da er in etwa die gleiche Frisur hatte wie Bob Geldof zu seinen schlimmsten beziehungsweise haarigsten Zeiten. »Oh ja, das ist unser gutes Recht hier in Glengreggory. Ich vertrete die Interessen und Anliegen meiner Bürger im Gemeinderat der Grafschaft Whitechurch, sonst könnte man mit uns ja machen, was man wollte.« Wieder nickte er, diesmal nachdrücklicher, als wollte er unterstreichen, dass er sich tatsächlich für seine Wähler engagierte.
Christine hatte so ihre Zweifel, dass Braggard tatsächlich die Anliegen der Menschen aus diesem Ort an höherer Stelle vertreten konnte. Glengreggory war so klein und unbedeutend, dass man seine Bedenken womöglich gar nicht zur Kenntnis nahm oder sich darüber amüsierte. Sie konnte sich gut vorstellen, wenn die Gemeinde den Beschluss fasste, eine Autobahn quer durch dieses Dorf zu bauen, dann wurde Braggard einfach überstimmt oder ignoriert.
»Das ist übrigens Karen Raymond«, sagte Christine und deutete auf ihre Begleiterin. »Eine meiner besten Freundinnen. Und wir haben noch eine Reporterin mitgebracht, eine gewisse Allison Quayle-Henderson. Sie soll hier die Schauspieler fotografieren.«
»Ach, die Schauspieler«, murmelte der Bürgermeister und ließ noch etwas gänzlich Unverständliches folgen. Bevor Christine ihn fragen konnte, was er damit meinte, wechselte er abrupt das Thema. »Übrigens, Miss Bell, ich habe erst letzte Woche Ihren neuesten Roman gelesen. Einfach toll.«
Ihr Blick fiel auf das Antiquariat, und unwillkürlich fragte sie sich, ob ihr »neuester« Roman wohl von dort stammte und schon drei oder vier Jahre alt war. »Welchen meinen Sie?«
»Natürlich Isabelle jagt die Todesfee«, entgegnete er. »Oder ist das nicht Ihr neuestes Werk?«
Sie kniff die Augen ein wenig zusammen, dann nickte sie bedächtig. »Doch, doch, das ist richtig. Ich war mir nur im Moment selbst nicht ganz sicher, um welchen Titel es ging. Wissen Sie, wenn man schon zwei weitere Bücher geschrieben hat und sich die Handlung für die nächsten drei Abenteuer überlegt, dann verliert man manchmal ein wenig den Überblick, welcher Titel der aktuell erschienene ist.« Sie lächelte Braggard flüchtig an. »Es hat Ihnen also gefallen«, sagte sie.
»Von der ersten bis zur letzten Seite«, bekräftigte er. »Besonders gefallen hat mir die Szene in diesem irischen Pub, wenn die rote Katze auf der Theke sitzt und nach links und rechts schaut und nur Leute mit Haaren auf dem Kopf sieht, die alle die gleiche Farbe haben wie ihr eigenes Fell. Ich habe bald vor Lachen unter dem Tisch gelegen, als ich mir das bildlich vorgestellt habe.«
Braggard erzählte mit einer solchen Inbrunst, dass Christine ungewollt lachen musste, als sie sich nun wieder an diese Szene erinnerte. »Soll ich Ihnen mal was verraten, Mr Braggard? Als ich das geschrieben habe, ist mir zuerst gar nicht aufgefallen, wie amüsant die Situation eigentlich ist. Ich war schon ein Kapitel weiter, als ich die Szene auf einmal vor meinem geistigen Auge sah. Die hat offenbar jedem gut gefallen.«
Der Bürgermeister nickte zufrieden, dann sah er Karen an und kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Karen Raymond, sagten Sie, richtig? Hier haben mal Raymonds gewohnt, die hatten eine Tochter namens Karen. Die sind von hier weggezogen, aber das war vor ... hmm ... mindestens fünfundzwanzig Jahren. Sie sind nicht zufällig ...?«
»Doch, bin ich«, bestätigte sie.
»Tatsächlich?«, rief Braggard begeistert. »Dann kann ich mich noch gut an Sie erinnern. Ich hab damals für Ihren Vater als Aushilfe gearbeitet, Botengänge und so weiter.«
Sie stutzte. »Für meinen Vater. Kenneth Braggard ... Kenny?«, fragte sie.
Der Bürgermeister nickte. »Ja, Kenny. Der kränkliche Kenny.« Er wandte sich wieder Christine zu. »Ich hatte damals immer irgendwas, Erkältung, Magen verdorben – Sie können es sich aussuchen. Ich war nur ein Strich in der Landschaft, und die Leute dachten alle, ich würde irgendwann verhungert auf der Straße zusammenbrechen.«
»Kann man sich kaum vorstellen«, entgegnete Christine, die nach einer diplomatischen Antwort suchte, die man nicht als Anspielung auf seine momentane Körperfülle deuten konnte, aber irgendwie ließ sich alles falsch auffassen, wenn man es nur wollte.
Braggard schien das aber gar nicht zu wollen, da er sie breit angrinste und hinzufügte: »Und heute rechnen die Leute jeden Moment damit, dass ich platze.« Er zuckte mit den Schultern. »Stoffwechselstörungen. Kann man nicht viel gegen machen.« Dann winkte er ab, als wolle er andeuten, dass dieses Thema für ihn damit erledigt war. »Jetzt habe ich das doch glatt vergessen! Miss Bell, ich möchte Sie im Namen von Glengreggory und im Namen der Grafschaft Whitechurch herzlich willkommen heißen. Ich hoffe, Sie fühlen sich in unseren bescheidenen Verhältnissen wohl.«
Sein Blick fiel auf Isabelle. »Und das ist die berühmte Isabelle?«
Die Katze hatte sich während der Unterhaltung so hinter Christine gesetzt, dass sie den Garten neben der Kirche im Blick hatte. Vermutlich war sie auf ein paar Vögel aufmerksam geworden, die sich dort tummelten. Als sie jetzt ihren Namen hörte, drehte sie sich um und kam zu Braggard gelaufen, der sich etwas schwerfällig vorbeugte, um sie zu streicheln. Das jedoch war für Isabelle nicht genug, da sie sofort die Vorderpfoten auf einen Arm des Mannes stellte und ihn anmiaute.
»Ich glaube, Sie sollen sie auf den Arm nehmen«, sagte Christine. »Das macht sie bei Fremden sehr selten, aber es ist so was wie die Aufforderung: ›Trag mich!‹«
»Ist das wahr?«, sagte Braggard leise und legte die freie Hand unter Isabelles Bauch, um sie hochheben zu können.
In dem Moment gingen die Kirchentüren auf, die zum Platz wiesen, eine Schar Leute kam heraus, darunter auch die Reporterin. Als sie Christine und Karen entdeckte, lief sie zielstrebig auf sie zu.
»Was ist los?«, rief Karen, die die aufgeregte Miene der anderen Frau sofort bemerkt hatte. »Welchen Superstar haben Sie gesehen?«
»Keinen Superstar«, erwiderte Allison hastig. »Es hat ein Attentat gegeben!«
»Ein Attentat?«, wiederholte Christine mit einer gehörigen Portion Skepsis. Sie hatte einige der Artikel gelesen, die Allison bislang verfasst hatte, daher wusste sie, dass die junge Reporterin zumindest beim Schreiben die Fakten gerne schon mal so auslegte, dass eine dramatische Formulierung entstand, die bewusst in die Irre führte und jeden halbwegs interessierten Leser dazu brachte, ihren Artikel genauer zu beachten. Christine war von dieser Art Effekthascherei nicht allzu begeistert, und so ging es auch manchen Betroffenen. Einmal hatte sie einem bekannten Schauspieler eine »Verstrickung in Entführungsfall« – so die reißerische Überschrift – unterstellt, die sich beim Lesen des Artikels aber als die berühmte heiße Luft erwies, da es in Wahrheit um eine Frau ging, die in der gleichen Straße wohnte wie er und die er nur flüchtig kannte. Diese flüchtige Bekanntschaft war für Allison ausreichend gewesen, dem Mann eine Verstrickung anzudichten. Er hatte versucht, dagegen gerichtlich vorzugehen, war jedoch gescheitert, da Allison den Artikel schwammig genug gehalten hatte, um nicht belangt werden zu können.
»Ja, ja, ein Attentat«, wiederholte sie.
»Auf wen denn?«, wollte Karen wissen.
»Keine Ahnung«, erwiderte sie. »Es ist ja niemand getroffen worden.«
»Was ist denn überhaupt passiert?«, ging Christine dazwischen und sah wieder zu Isabelle, die schnurrend in den Armen des Bürgermeisters lag und sich von ihm streicheln ließ.
»Also, es ist wohl so, dass ein schwerer Scheinwerfer von einem Gerüst gestürzt ist und nur haarscharf die Schauspieler und die Crew verfehlt hat.«
»So was kann auch ein Unfall sein«, meinte sie, um der Journalistin zumindest ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen. »Oder hat da drinnen irgendjemand das Gefühl, das könnte ihm gegolten haben?«
Allison nickte. »Ja, vor allem Andrea Nikolopoudos. Sie ist fest davon überzeugt, dass das ein Anschlag auf ihr Leben war.«
»Nikolopoudos?« Karen zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
»Und?«, fragte Christine, als ihre Freundin nicht weiterredete. »Kennst du sie?«
»Ich sollte wohl eher dich fragen, ob du sie etwa nicht kennst«, gab sie zurück.
Sie zuckte mit den Schultern. »Hilf mir einfach auf die Sprünge, Karen.«
»Andrea Nikolopoudos ist so was wie die neue Angelina Jolie«, erklärte Karen. »Es vergeht kein Tag, an dem ihr Name nicht irgendwo in den Schlagzeilen auftaucht. Die Presse ist inzwischen dazu übergegangen, sie auf Niko zu verkürzen, um bei den Meldungen Platz zu sparen ...«
»Ach, Niko«, sagte Christine. »Ja, von der hab ich mal im Vorbeigehen gehört. Verklagt die nicht dauernd irgendwelche Leute, von denen sie angeblich bedroht worden ist?«
»Ja, genau«, warf Allison ein. »Nachdem ein Stalker bei ihr im Badezimmer aufgetaucht ist, als sie unter der Dusche stand, leidet sie unter einer Form von Verfolgungswahn, bei der sie glaubt, jemand würde ihr nicht nur folgen, sondern ihr auch nach dem Leben trachten. Man muss zu ihr immer Abstand wahren.«
Christine dachte über das Gehörte nach und äußerte sich schließlich dazu: »Wenn ich jetzt wieder zynisch wäre, würde ich sagen, dass sie einen perfekten Vorwand geliefert hat, der sie immer in die Lage versetzt, von sich reden zu machen und prompt in die Schlagzeilen zu kommen, wenn sie gerade eine Flaute verspürt. Und was fast noch besser und nahezu genial ist, das ist die Tatsache, dass sie auf diese Weise alle Reporter von sich fernhalten kann. Sie muss nur behaupten, dass sie sich von den Journalisten bedrängt fühlt, und sofort hat sie ihre Ruhe vor jedem, der sich ihr auf weniger als hundert Meter nähern will.«
»Aber du bist jetzt nicht zynisch, richtig?«, konterte Karen und grinste sie ironisch an.
»Vielleicht ein ganz klein bisschen«, räumte Christine ein. »Wir sollten auf jeden Fall hingehen und uns da mal umsehen.« Sie drehte sich zu Braggard um. »Soll ich Ihnen Isabelle wieder abnehmen?«
»Wenn's Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern mitkommen. Dann kann ich Ihre Katze noch eine Weile tragen.«
»Was offenbar Ihnen und meiner Katze viel Vergnügen bereitet«, gab Christine augenzwinkernd zurück, dann setzte sich die Gruppe in Bewegung.
Die Kirche war in erster Linie wegen ihres hohen Alters bemerkenswert, fand Christine und musste an manche Ecke in London denken, wo man gerade mal dreißig Jahre alte Bürogebäude abriss, weil sie angeblich nicht den aktuellen Anforderungen entsprachen. Hätte man seit jeher so gedacht, dann wäre nirgends auf der Welt irgendein Bauwerk erhalten, das älter als dreißig Jahre war, was natürlich auch für diese jahrhundertealte Kirche galt.
Vom Alter abgesehen hatte sie wenig Interessantes zu bieten, außer vermutlich für Architekten, die das Ganze aber aus einer anderen Perspektive betrachteten. So jedoch wirkte die Kirche von innen so karg und nüchtern wie von außen. Weder waren die Fenster besonders kunstvolle Arbeiten irgendeines außergewöhnlichen Glasers, noch gab es teure Wandteppiche oder Ölgemälde oder alte Heiligenstatuen. Womöglich waren solche Wertgegenstände aber auch rechtzeitig irgendwo sicher verstaut worden, da die Filmcrew so ziemlich alles in Beschlag genommen hatte, was sie sich unter den Nagel hatte reißen können. Überall waren Scheinwerfer aufgebaut worden, und zwei Stahlgerüste sorgten dafür, dass man zusätzliche Scheinwerfer hoch oben unter dem Kirchendach befestigen konnte, um den Raum noch besser auszuleuchten.
Die Stelle, an der einer dieser Scheinwerfer fehlte, war gut zu erkennen, da die Halterung nach wie vor am Gerüst befestigt war. Der Scheinwerfer selbst lag auf dem Fußboden, darunter begraben befanden sich die Reste einer Kirchenbank, deren eine Hälfte von dem zig Kilo schweren Teil getroffen und zertrümmert worden war. Ringsum stand eine Menschentraube, Frauen und Männer, die alle aufgeregt diskutierten, während auf einem aus Klebestreifen geschaffenen Kreuz auf den glatten Steinplatten neben der kaputten Bank ein großes pinkfarbenes Plüschnilpferd saß.
»Von dem Ding möchte ich nicht getroffen werden«, stellte Karen fest, als sie aus der Nähe die Zerstörung betrachten konnte, die der Scheinwerfer beim Aufprall verursacht hatte.
»Wer sind Sie denn?«, rief jemand aus der Gruppe. »Wo ist die Security?«
»Brüll nicht so rum, Eugene«, meldete sich ein anderer Mann zu Wort. »Du hast die Security doch vor fünf Minuten selbst zu den Trailern geschickt, damit sie nachsehen, ob sich irgendwer dort herumtreibt.«
»Oh ... ja, stimmt«, gab der Mann kleinlaut zurück, der Eugene genannt worden war. Dann trat er vor und ging der Gruppe um Christine entgegen. »Sie kenne ich, Sie waren eben schon mal hier«, sagte er an Allison gewandt. »Aber die anderen ... was fällt Ihnen ein, hier einfach reinzuplatzen. Hier finden Dreharbeiten statt ...«
»Im Augenblick wohl eher nicht«, unterbrach Christine ihn freundlich, aber bestimmt. Sie mochte es einfach nicht, wenn Leute nicht in der Lage waren, in einem normalen Ton mit ihr zu reden. Aber offenbar hatte dieser Eugene hier das Sagen, und das wollte er wohl durch sein forsches Auftreten unterstreichen.
Der Mann war etwas größer als Christine, er schien um die fünfzig zu sein, schmal, mit fast ausgemergeltem Gesicht, das von Sorgenfalten gezeichnet war. Bei ihm tippte sie darauf, dass er mindestens der Regisseur war, vielleicht sogar der Produzent des Films. Das würde jedenfalls die Sorgenfalten erklären.
»Ich ... äh ...«, stammelte er verdutzt, da Christine ihn erfolgreich aus dem Konzept gebracht hatte.
»Ich bin Christine Bell, das ist meine Freundin Karen Raymond«, sagte sie und deutete dann nach rechts: »Und Bürgermeister Braggard überbringt meine Katze Isabelle, die Heldin aus meinen Romanen.«
»Ah, Herr Bürgermeister«, sagte Eugene und nickte dem Mann zu, der nach wie vor Isabelle festhielt, dann sah er wieder Christine an. »Sie sind also Miss Bell«, fuhr er deutlich verhaltener fort. »Warum hat Sie niemand angekündigt?«
»Heißt das, Sie wissen nicht, dass ich heute herkommen sollte, Mr ...?«
»Eugene Abels, der Produzent von Isabelle«, antwortete er. »Doch, doch, das war mir bereits bekannt. Ich wundere mich nur, wieso Sie hier plötzlich mitten auf dem Set stehen.«
»Weil du die Security weggeschickt hast«, machte ihm der gleiche Mann wie zuvor klar.
»Ist ja wahr«, murmelte er und kratzte sich am Kopf. »Tja, Miss Bell, das tut mir leid, dass Sie mitten in unser Chaos hineinspazieren müssen. Aber Sie sehen ja, wir hatten einen kleinen Unfall, deshalb ...«
»Unfall?«, ertönte eine schrille Frauenstimme. »Das nennen Sie einen Unfall? Das war ein Anschlag auf mein Leben! Das ist doch offensichtlich!«
Christine musste diese platinblonde und für ihre schmale Gestalt viel zu vollbusige Frau nicht erst noch vorgestellt bekommen, sie wusste auch jetzt schon, dass sie Andrea Nikolopoudos vor sich hatte.
»Außerdem hat Steve da oben jemanden gesehen!«, fügte die Schauspielerin noch immer genauso aufgebracht hinzu. »Da wollte mich jemand töten!«
Abels schloss einen Moment lang die Augen und stöhnte leise auf. »Hätte ich die bloß nie unter Vertrag genommen«, flüsterte er gerade laut genug, dass Karen und Christine ihn hören konnten. Dann drehte er sich um. »Nein, Miss Nikolopoudos, niemand wollte Sie töten«, erwiderte er lauter und ließ gleich im nächsten Moment etwas Gemurmeltes folgen, das Christine nicht so deutlich verstehen konnte. Womöglich hatte sie sich verhört, aber ihr kam es so vor, als hätte er gesagt: »Du musst nur einen Ton sagen, dann bringe ich dich um.«
»Aber natürlich«, beharrte sie. »Der Attentäter hatte es auf mich abgesehen. Scheinwerfer fallen nicht einfach so von der Decke!«
»Wer ist Steve?«, fragte Karen, die dem Ganzen bislang schweigend gefolgt war.
»Was?«, gab Abels zurück.
»Meine Freundin möchte wissen, wer Steve ist«, sagte Christine. »Und mich interessiert das auch.«
»Wieso interessiert Sie das?« Abels sah sie misstrauisch an.
»Weil die Polizei eingeschaltet werden muss, wenn es Hinweise auf ein Verbrechen gibt«, führte sie geduldig aus. »Stellen Sie sich vor, es war tatsächlich ein Anschlag ... auf wen auch immer ...«
»Auf mich natürlich!«, meldete sich Andrea Nikolopoudos prompt zu Wort, und spätestens jetzt verstand Christine, wieso der Produzent mit dem Gedanken spielte, diese Frau ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen.
»... dann muss die Polizei ermitteln, Zeugen befragen, Beweise sichern ...«
»... und tagelang die Dreharbeiten lahmlegen!«, unterbrach Abels sie. »Jeder Tag, an dem hier die Arbeit ruht, kostet mich ein Vermögen.«
»Trotzdem können Sie nicht eigenmächtig einen Mordversuch ausschließen und so tun, als wäre nichts passiert«, hielt Christine dagegen. »Wenn Sie die Polizei nicht verständigen, werde ich ...«
»Sie beide können Ihren Streit jetzt beenden«, ging ein in Schwarz gekleideter Mann mit grauem Kinnbart und einer von gleichermaßen grauen Haaren umrahmten Halbglatze dazwischen. »Ich habe inzwischen die Polizei verständigt. DI Melvin ist hierher unterwegs, er wird bald eintreffen. Und nun beruhigen Sie sich wieder. Diese Großstadthektik ist in Glengreggory fehl am Platz, hier geht es friedlich und gesittet zu.«
»Father Leopold? Was fällt Ihnen ...«, setzte Abels zum nächsten Entrüstungssturm an.
»Vergessen Sie nicht, Mr Abels«, stoppte ihn der so unscheinbar wirkende Geistliche in einem Tonfall, der den Produzenten zusammenzucken ließ, »dass Sie immer noch in Gottes Haus zu Gast sind, und als sein Vertreter auf Erden kann ich Sie jederzeit vor die Tür setzen, wenn Sie sich weiter so aufführen.«
»Unser Drehplan ...«
»Ihren Drehplan werden Sie vergessen können, wenn Sie nicht endlich Ihr Verhalten ändern, Mr Abels. Merken Sie sich das.« Mit diesen Worten machte Father Leopold kehrt und ging weg, während der Produzent ihm mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Zorn hinterherschaute.
»Also«, nutzte Christine den Moment der Stille und fragte noch einmal: »Wer ist Steve?«
»Das bin ich«, meldete sich ein junger Mann zu Wort, der auf der anderen Seite der Gruppe stand.
»Könnten Sie zu mir kommen, oder ...?«, erwiderte sie und sah dabei den Produzenten an, der mit mürrischer Miene vor sich hinstarrte.
»Ja, bin schon unterwegs.« Bei ihr angekommen, streckte er die Hand aus und stellte sich vor: »Steve Dorson, ich bin hier Kameraassistent. Ich bin total begeistert, dass die Autorin unseres Films vor mir steht, Miss Bell«, erklärte er mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen. Der junge Mann von vielleicht Mitte zwanzig trug die blond gefärbten Haare nach vorn gekämmt und dann irgendwie mit Gel in Richtung Himmel, auch wenn Christine nie so recht wusste, wie diese Frisur funktionierte.
»Danke, Mr Dorson. Ich würde Sie gern etwas fragen«, fuhr sie fort und zog ihn mit sich, damit er nicht in Hörweite seiner Kollegen zu erzählen begann. »Sie wissen, ich bin keine Polizistin, und Sie müssen auch nicht antworten, wenn Sie das nicht möchten.«
»Ist mir schon klar. Aber ... warum warten wir nicht einfach auf die Polizei?«
»Aus einem ziemlich erschreckenden Grund: Ich hatte mehr als einmal mit unfähigen oder ignoranten oder bestechlichen Polizisten zu tun, sodass ich mittlerweile dazu übergegangen bin, an einem Tatort unabhängig von der Polizei ein paar Fragen zu stellen. Die Unfähigen unter ihnen vergessen, den Zeugen wichtige Fragen zu stellen, die Bestechlichen wissen, welche Fragen sie nicht stellen dürfen, damit gewisse Personen geschützt werden. Weil ich bei meinen derartigen Begegnungen mit der Polizei selbst mehr als einmal in Lebensgefahr geraten bin, weiß ich, was es für ein Opfer bedeutet, nicht ernst genommen zu werden. Deshalb versuche ich, mich nach Möglichkeit einzumischen und Fakten zu sammeln, um sie notfalls an höherer Stelle vorzulegen und so zu beweisen, dass aus Unfähigkeit oder aus purer Absicht nachlässig gearbeitet wurde.«
»Oh, das klingt ziemlich übel«, meinte Dorson.
»Das war es auch, das können Sie mir glauben, Mr Dorson. Und aus diesen Gründen würde mich interessieren, was Sie beobachtet haben. Miss Nikolopoudos hatte das vorhin erwähnt.«
Dorson zuckte mit den Schultern. »Na ja, richtig beobachtet hab ich nichts, mir ist nur aufgefallen, dass sich da oben, wo die Scheinwerfer auf der Gitterbrücke montiert sind, irgendein Schemen bewegt hat, so als würde jemand nach rechts zu diesem Balkon laufen.«
Christines Blick folgte der Richtung, in die der junge Mann zeigte. »Sie haben nur einen Schemen gesehen? Es ist doch hier drin heller als taghell.«
»Jetzt ist es das«, stimmte er ihr zu. »Aber als die Szene eingerichtet wurde, da waren nur ein paar Scheinwerfer eingeschaltet, also nur die, die beim Drehen auch benötigt wurden. Alles angeschaltet haben wir erst, nachdem der ... das da passiert war. Wir mussten ja feststellen, ob irgendjemandem was zugestoßen war.«
»Ja, verstehe«, sagte Christine. »Und wieso haben Sie nach oben gesehen?«
»Irgendjemand rief: ›Aus dem Weg! Der Scheinwerfer!‹ Ich stand hinten bei der Kamera, und weil ich genau wusste, dass wir zu weit von den aufgestellten Scheinwerfern entfernt waren, als dass uns einer davon hätte gefährlich werden können, ging mein Blick nach oben zu diesem Gerüst. Der mittlere Schweinwerfer raste dem Boden entgegen, und ich bin mir absolut sicher, dass da oben jemand weggelaufen ist. Ich meine, ich bin ja noch ins Treppenhaus, um den Typ abzufangen, aber als ich oben ankam, war von ihm keine Spur zu finden.«
»Konnte er noch nach weiter oben entwischen?«, fragte Christine.
»Nein, nein«, wehrte Dorson sofort ab. »Diese Treppe führt nur zu dem Balkon und über die Brüstung raus auf unser Gerüst. Kann sein, dass man irgendwann viel früher noch weiter nach oben gehen konnte, aber heute ist das alles zugemauert.«
Christine verzog nachdenklich den Mund. »Hm, und Sie sind sofort hingelaufen?«
»Ja, aber der Täter war schon verschwunden.«
Sie nickte nachdenklich und sah zu dem besagten Aufgang und dem Balkon. Wie schnell sollte jemand eine Treppe nach unten rennen können, um eine Begegnung mit Dorson zu vermeiden, wenn der sofort nach dem Blick auf den zu Boden stürzenden Scheinwerfer losgelaufen war, um den möglichen Attentäter zu stellen? Das war eigentlich unmöglich, was bedeuten musste, dass es noch einen anderen Weg nach draußen gab.
Christine würde sich später da oben in Ruhe umsehen, das stand für sie jetzt schon fest. »Sagen Sie, könnte Miss Nikolopoudos tatsächlich das Ziel eines Anschlags gewesen sein?«, erkundigte sie sich leise genug, um der allzu redseligen und ichbezogenen Schauspielerin nicht schon wieder einen Grund zu geben, sich in den Vordergrund zu drängen, in dem sie sich wohl am liebsten aufhielt.
Dorson grinste sie zynisch an. »Im Vertrauen gesagt: Miss Nikolopoudos ist eine ziemlich launische Diva, die kein Problem damit hat, sich bei jedem unbeliebt zu machen. Theoretisch könnte es jeder auf ihr Leben abgesehen haben.«
Sie nickte nachdenklich, dann fragte sie: »Sie auch?«
»Was meinen Sie damit?«, erwiderte er verdutzt.
»Könnten Sie es auch auf ihr Leben abgesehen haben?«
Der Kameraassistent hob abwehrend die Hände. »Ich bin hier nur ein kleines Licht. Ich werde von Leuten wie ihr nicht mal beachtet, es sei denn, jemand soll ihr eine Flasche Wasser bringen. Dann sind wir auch schon mal willkommene Laufburschen. Nein, ich meine die anderen Schauspieler oder meinen Boss.«
Christine stutzte. »Verdächtigen Sie etwa Ihren Boss?« Dabei achtete sie ganz besonders auf sein Mienenspiel.
»Nein, das war nur so ein Beispiel«, stellte er richtig und ließ keine Spur von Nervosität erkennen. »Ich wollte damit sagen, dass die liebe Miss Nikolopoudos ihren Kollegen und Leuten wie meinem Boss das Leben schwer macht, weil sie zu spät auf dem Set erscheint, weil sie mit einem ganzen Rudel Assistenten unterwegs ist, weil sie ihren Text mal wieder nicht gelernt hat, da es für sie etwas Wichtigeres zu tun gab. Zum Beispiel die Bikinizone enthaaren zu lassen.«
»Klingt wie eine Miniaturausgabe von Jennifer Lopez«, meinte Christine.
»Oder Mariah Carey«, ergänzte Dorson. »Nur mit dem Unterschied, dass sie von deren Bekanntheitsgrad noch ein ganzes Stück entfernt ist.«
»Okay«, sagte sie. »Das ist schon mal gut zu wissen. Also kommt unsere Diva aber als mögliches Anschlagsziel infrage.«
Dorson schüttelte den Kopf. »Nicht in diesem Fall.«
»Nicht?«
»Fragen Sie sie mal, wo sie sich aufgehalten hat, als der Scheinwerfer zu Boden gekracht ist«, antwortete er amüsiert.
»Werde ich machen«, versicherte sie ihm. »Aber wer kommt dann infrage?«
Er zuckte mit den Schultern. »Dafür hat da vorn zu viel Durcheinander geherrscht, und ich habe auch erst hingesehen, als der Ruf zu hören war. Bis dahin war ich damit beschäftigt gewesen, die Kamera vorzubereiten.« Er sah sich um. »Sie könnten allerdings Tracie fragen, unser Scriptgirl. Die hat für so was einen richtig geübten Blick.« Dabei zeigte er auf eine zierliche Frau mit Föhnfrisur und in schwarzem Anzug, was sie wirken ließ wie eine Popmusikerin, die es aus den frühen Achtzigern in die Gegenwart verschlagen hatte.
»Könnten Sie sie bitten, zu mir zu kommen?«, fragte sie Dorson. »Ich will nicht unbedingt von all Ihren Kollegen umringt mit ihr reden.«
»Ja, ist schon klar«, antwortete er. »Die anderen sind sowieso alle in ihre Diskussionen vertieft, da fällt das nicht auf, wenn Sie mit Tracie reden.«
Tatsächlich hatten sich mehrere Grüppchen gebildet, die jede für sich in angeregte Unterhaltungen vertieft waren. Nach den Wortfetzen, die von den Wänden der Kirche zurückgeworfen wurden, kursierten die unterschiedlichsten Spekulationen darüber, wie der Scheinwerfer vom Gerüst hatte stürzen können und ob es ein Unfall oder tatsächlich ein Anschlag gewesen sein sollte. Christine hatte das Gefühl, dass der Aufenthalt in Glengreggory mit diesem Zwischenfall eine unerwartete Wendung genommen hatte und noch interessant werden könnte – wobei sie sich allerdings nicht so recht entscheiden konnte, ob das etwas Positives oder etwas Negatives bedeutete.
Wenige Augenblicke, nachdem Dorson gegangen war und mit dieser Tracie gesprochen hatte, kam die junge Frau zu ihr. »Hallo, Miss Bell. Ich bin Tracie Young«, stellte sie sich vor. »Steve sagt, Sie wollten mich sprechen.«
»Ja, weil er mir gesagt hat, dass Sie mir am ehesten eine Antwort auf meine Frage geben können«, entgegnete Christine und zeigte auf die Stelle, an der der Scheinwerfer in den Trümmern der Kirchenbank lag. »Angenommen jemand wollte damit tatsächlich einen der Schauspieler oder ein Mitglied der Filmcrew treffen ...«
Tracie grinste. »Ist schon witzig, dass Krimiautoren immer sofort anfangen, nach irgendwelchen Motiven und Verdächtigen zu suchen, wenn irgendjemand nach einem Unfall eine Bemerkung macht, es könnte vielleicht kein Unfall gewesen sein.«
»Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich relativ wenig Kontakt zu anderen Krimiautoren«, gestand Christine ihr. »Daher weiß ich nicht, wie die sich so im Allgemeinen verhalten.«
»Na, halt genauso wie Sie«, sagte Tracie. »Ich hab mal bei einer Talkshow mitgearbeitet, zu der auch schon mal Autoren eingeladen wurden. Sobald da Krimiautoren zu Gast waren, und irgendwas lief nicht ganz nach Plan, haben die fast jedes Mal angefangen, Fragen zu stellen, als würden sie ein Verhör führen.«
Christine zuckte mit den Schultern. »Vermutlich geht einem das so in Fleisch und Blut über, dass man es gar nicht mehr merkt und hinter allem Ungewöhnlichen direkt ein Verbrechen vermutet.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Na ja, jedenfalls ist es so, dass Mr Dorson gesagt hat, dass Sie einen geübten Blick haben und sich daran erinnern sollten, wer sich wo aufgehalten hat, als der Scheinwerfer vom Gerüst fiel.«
»Als Scriptgirl muss man einen geübten Blick haben«, betonte Tracie und fuhr sich mit einer Hand durch ihr Haar, das im Nacken so kurz geschnitten war, dass es nicht den Kragen ihres Jacketts berührte. »Ich weiß nicht, ob Sie genau wissen, was ich hier mache, aber ich sag's Ihnen trotzdem: In erster Linie muss ich aufpassen, ob es beim Dreh selbst noch Änderungen gibt, zum Beispiel ein veränderter Dialog, der besser passt als das, was im Drehbuch steht. Und ich achte darauf, dass es beim Anschluss zwischen zwei Szenen keine Fehler gibt. Beispielsweise eine Szene in einem Restaurant – da muss ich drauf achten, in welcher Hand ein Schauspieler ein Glas hält, wenn er gefilmt wird. Wenn zwischendurch auf jemanden geschnitten wird, mit dem er sich unterhält, dann darf das Glas nicht zwischen zwei Einstellungen von der linken in die rechte Hand und dann am liebsten gleich noch mal zurück in die linke wandern. Und genauso muss ich darauf achten, dass im Glas immer gleich viel drin ist.«
»Das ist witzig«, sagte Christine. »Sie machen auch eine von diesen Arbeiten, bei denen niemand davon Notiz nimmt, dass Sie sie perfekt erledigen. Nur wenn Ihnen mal ein Fehler unterläuft, dann wird das genüsslich breitgewalzt.«
»Ich glaube, das ist bei den meisten Berufen so«, hielt Tracie dagegen. »Eine Freundin von mir arbeitet nebenbei in einem Supermarkt an der Kasse. Ihr Chef ist noch nie zu ihr gekommen, um ihr zu sagen, dass sie ihre Arbeit gut macht, er lässt sich nur blicken, wenn mal zwanzig Pence zu wenig in der Kasse sind, und dann will er auch noch eine Rechtfertigung hören, warum das Geld fehlt – bevor er dann verlangt, dass sie ihm den Differenzbetrag erstattet.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber zurück zu Ihrer Frage.«