Keine Angst - Frank Schätzing - E-Book

Keine Angst E-Book

Frank Schätzing

4,5

Beschreibung

Der kleine Ganove, der kölsche Italiener, die eitle Galeristin - in den Kurz-Krimis 'Keine Angst' von Frank Schätzing stehen Typen und Charaktere im Mittelpunkt des Geschehens. Um sie ranken sich die abstrusen, makabren, aber auch komischen Geschichten aus der Schattenwelt.

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Frank Schätzing, Jahrgang 57, Studium der Kommunikationswissenschaften, beschäftigt sich mit Werbung, Chaostheorie und Zukunftsforschung. 1995 erschien im Emons Verlag sein Roman »Tod und Teufel«, der vom Start weg ein Bestseller wurde. Wei­tere Publikationen: »Lautlos« (2001), »Mordshunger« (1996), »Keine Angst« (Kurzkrimis, 1997), »Die dunkle Seite« (1997), »Tod und Teufel« (Das Hörbuch, 1999), »Keine Angst« (Das Hörbuch, 2001). Frank Schätzing lebt in Köln.

www.frank-schaetzing.com

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen sind rein zufällig.

© 1997 Hermann-Josef Emons Verlag überarbeitete Ausgabe Alle Rechte vorbehalten Mit freundlicher Genehmigung des Wilhelm Goldmann Verlags, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlaggestaltung: Yvonne Eiserfey Umschlagfoto: Paul Schmitz eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-051-3 Originalausgabe

Für meine ElternSchön, dass ihr es nichtbei einer Kurzgeschichte

Vorwort

In Makedonien lebte einst ein Bildhauer von großer Berühmtheit. Wie kein anderer vermochte er es, dem blanken Stein Odem einzuhauchen, so dass man jeden Augenblick erwartete, seine Figuren von den Sockeln steigen und marmorn einherschreiten zu sehen. Seine gelungenste Skulptur aber war ein gewaltiger Löwe. Um seinetwillen kamen die Menschen von überallher und stellten dem Bildhauer die immer gleiche Frage: »Wie schaffst du es bloß, aus einem groben Marmorblock einen so wunderbaren Löwen zu hauen?« Woraufhin der Bildhauer lächelte, einige Sekunden verstreichen ließ und dann sagte: »Ganz einfach. Ich nehme mir einen Meißel und haue alles weg, was nicht nach Löwe aussieht.«

Nur ein einziges Mal wurde der makedonische Bildhauer von einem Sammler gefragt, was er denn mit dem weg geschlagenen Marmor gemacht habe, der ja von einigem Wert sei. Da führte der Bildhauer den Sammler in sein Atelier und zeigte ihm allerlei kleine Skulpturen, manche nicht größer als ein Daumen, andere armeslang. Er hatte sie aus den Resten geschliffen, und sie waren schön und wunderlich genug, dass der Sammler einige von ihnen kaufte.

Die Geschichte vom makedonischen Bildhauer habe ich verschiedentlich auf die Frage erzählt, wie meine Romane entstehen. Dass ich die Handlung weniger erfinde als vielmehr freilege. In der Gesamtheit aller möglichen Welten ist jede Geschichte bereits verborgen. Ebenso wie Wissen nicht durch die Anhäufung von Information entsteht, sondern durch deren gezielte Vernichtung, ist der Roman das, was bleibt, nachdem man alles Überflüssige eliminiert hat. Weiß man erstmal, was man nicht schreiben will, wird der Löwe sichtbar.

Jedes Mal, wenn ich einen Roman beginne, finde ich mich vor einem Block aus Information. Jedes Mal schlage ich etliches weg, oft viele Monate lang, bis die Handlung langsam Gestalt annimmt. Das meiste des Abgeschlagenen wird hinterher zusammengefegt und dem kreativen Chaos überantwortet. Mitunter bricht jedoch ein größerer Brocken weg, der seine eigene kleine Geschichte zu bergen scheint. Mit der Zeit kumuliert ein wahrer Lagerbestand solcher Brocken, bis ich darangehe, sie auf dramaturgische Tauglichkeit zu untersuchen. Die meisten bleiben, was sie sind, nämlich Abfall. Aus anderen aber werden kleine Löwen.

Auf diese Weise entstanden zwischen 1995 und 1997 die vorliegenden Kurzgeschichten. Mehr oder weniger alle sind im Kölner Milieu angesiedelt, wenngleich die meisten auch sonst wo spielen könnten. Nur eine – »Ertappt!« – fordert Vertrautheit mit der Kölner Prominenz, die sich leider nicht nachträglich ergoogeln lässt, da größtenteils Bezug auf Personen der Neunziger genommen wird. Manche sind verstorben, andere nicht mehr im Amt. Zum besseren Verständnis will ich darum einige Abkürzungen entschlüsseln, was Sie in die Lage versetzen sollte, den Protagonisten auch ohne Intimkenntnis näher zu kommen.

B. steht für Dr. Norbert Burger, lange Jahre Kölns hoch geschätzter Oberbürgermeister. A. verkörpert den Franz-Josef Antwerpes, ehedem Kölner Regierungspräsident, zu dessen Usancen es gehörte, höchstpersönlich Alkoholkontrollen durchzuführen und ein ums andere Mal die Autobahnen wegen angekündigten Nebels sperren zu lassen. Hinter Dr. P. verbirgt sich Dr. Werner Peters, ein Kölner Philosoph und Gastronom, der lange Jahre über ein Restaurant mit dem kryptischen Namen O.T. herrschte. Tatsächlich entstand O.T. aus dem Unwillen, dem Laden überhaupt einen Namen zu geben, denn unabgekürzt entfaltet sich das Kürzel zu »Ohne Titel«. E. bezeichnet den Kölner Verleger Hejo Emons, in dessen Verlag »Keine Angst« ursprünglich erschien und der als Erfinder des Köln-Krimi gelten darf. In der Reihe haben bis heute Dutzende mordbewusster Kölner Schriftsteller veröffentlicht, darunter Edgar Noske, Christoph Gottwald und Rolf Hülsebusch. W.M. schließlich ist unser seliger Willy Millowitsch, der in seinem letzten Lebensjahrzehnt auch als weiser, alter Fernsehfahnder zu bewundern war.

Tünnes und Schäl schlussendlich sind Kölner Originale, Protagonisten unzähliger Witze und ebenso unzertrennlich wie Laurel und Hardy, Hanni und Nanni, Bush und Blair. Wenn Sie nach der Lektüre des Prologs Fragezeichen in den Augen haben, nur Geduld. Nach »Ertappt!« werden Sie klüger sein. Beide, Tünnes und Schäl, gehören darüber hinaus zum Ensemble des Kölner Hänneschen, eines traditionellen Stockpuppentheaters, in dem u. a. auch das liebreizende Bärbelchen, das Hänneschen selbst und der bucklige Speimanes auftreten. So weit der Crash-Kurs.

Was bleibt? Eine Haxe ist ein gegrilltes Schweinebein, ein Köbes ein Mensch, der Durstige mit Bier versorgt, und alles andere sollten Sie in Köln persönlich recherchieren. Die Stadt wird Sie in ihre Arme schließen. Falls Sie nicht sowieso hier leben.

Frank Schätzing

März 2007

Prolog

Der Tünnes sitzt im Frisiersalon und lässt sich von zarter Hand rasieren.

Wollust

Ah! Sie!

Ganz ohne Zweifel von jener Makellosigkeit und Schönheit, dass ihr nichts weniger gebührt als dein bedingungsloses Waterloo, liegt sie vor dir, nackt und braungebrannt, die üppig schwellenden Formen ein Bacchanal der Moleküle, schamlos dir entgegengereckt und doch ganz unschuldiges Opfer, deine Fleischeslust hinauf und immer höher auf den Gipfel der Versuchung peitschend, einen Gipfel, so unvorstellbar weit ausgreifend in den Sternenregen, dass die Luft kaum noch zu atmen ist und es dir das Herz abschnürt und du dennoch weiterklettern willst, wo gar nichts mehr zu klettern ist, dorthin, wo du das Verlangen nicht mehr fühlst, sondern selber pures, glühendes Verlangen wirst, eins wirst mit ihr und ihrer Herrlichkeit, den guten, zimmertemperierten Rat der Freunde und der Ärzte unter dir lassend wie tief hängende Gewitterwolken, trunken von der Möglichkeit des Unmöglichen, kurz: das Ende eines jeden logischen Gedankens in deinem unbedeutenden synaptischen Mangrovensumpf, so ist sie, wartet sie auf dich, erwartet dich und keinen anderen als dich!

Die ewig Lockende, nimm sie! Bist du nicht ein Kind dieser verzauberten Stadt, von der sie sagen, dass Italien hier sein Revier markiert hat mit dem süßen Duft der ars vivendi? Was kann einer, der das Erbe der Cäsaren in sich trägt, in dessen Adern Blut vom Blute jener fließt, die einst ihr Heimweh an den feuchtkalten Gestaden der neuen Colonia in melancholischen Exzessen zu betäuben suchten, so dass sich in ihrem Stöhnen Lachen und Weinen mischte wie der adriatische Himmel mit dem Meer an dunstigen Tagen, was also kann einer wie du anderes wollen als diesen einen Augenblick, um sich dem Opfer zu opfern und der Hingabe hinzugeben? Schau sie an, Enkel des gottgleichen Gaius, Sohn des Epikur, und wage zu behaupten, dass dein aufgewühltes Inneres sie nicht begehrt, gleich hier und jetzt, vor allen Leuten, hier auf diesem Tisch! Ja, ebenso exzessiv und orgiastisch, wie es deine Ahnen mit ihresgleichen trieben, ist, was du nun mit ihr tun willst, Abkömmling Neros. Kaum dass du dich zu zügeln vermagst, deiner Begierde die Besitzergreifung folgen zu lassen, aber …

Warte!

Ja, warte! Halte dich zurück, nur noch ein wenig, zögere es den Herzschlag einer Ewigkeit hinaus. Sie ist ja dein, will zu dir, bietet sich dar. Sieh nur, wie ihr erhitztes Fleisch nach dir verlangt. Du aber liebkose sie mit Blicken, einstweilen noch. Denn es ist ja gerade die hinausgezögerte, die kundig angestaute Lust, die sich dann umso wilder ins Becken aller Sinnlichkeit ergießt.

Wie lange hast du auf sie gewartet? Wie lange sie ersehnt? Aus einer Rippe soll sie kommen, die Versuchung? Einer Rippe? Was weiß denn einer von der Lust, der sie sich aus den Rippen schneiden muss? Nein, Rippe ist sie nicht, wenngleich sie dir, da sie nun endlich – endlich! – hingestreckt dort liegt, anmutet wie die himmlische Verheißung, ungeachtet jener Pölsterchen, die ein gewisses Defizit an Leibesübung nicht verleugnen, auch nicht die Reichlichkeit der zugeführten Speisen. Doch kommt dem Ideal nichts näher als das Idealisierte. Wird das Schöne schön erst durch den schönen Geist. Lässt schließlich erst der Blick des Liebenden das Unvollkommene vollkommen werden, bis es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern – honigschwere Tragik aller Liebe – nur noch zu zerstören: die letzte, höchste Lust.

Drum nicht zu hastig, Freund. Liebkose schauend ihre Nacktheit. Ist sie, die mehr als üppige, in ihrer Fülle nicht umso schöner und betörender, Spross des Caligula? Derart, dass du deine Augen nicht mehr von ihr lassen kannst, während dich ein Schauer nach dem anderen erbeben lässt und deine Mundhöhle der endlosen staubigen Sahara zu ähneln beginnt und es dich nur noch danach verlangt, sie hier und jetzt zu nehmen, ohne dass du ihren Namen wissen willst und ob sie einen hat, noch ihre Herkunft, noch, wo sie die Blüte ihrer Jugend hingebracht hat und auf welchen Pfaden sie gewandelt ist, bevor das Schicksal sie für dich bestimmte, hierher vor deinen voluptiven Blick.

Und so, wie dir die Augen aus den Höhlen treten, schließt sich deine Hand um einen Messergriff, und keuchend rammst du ihr den Stahl ins spritzende Fleisch. Du schnaufst und sabberst vor Begierde und drehst das Eisen rum, Muskeln, Sehnen und Bänder zerfetzend, bis die Klinge hörbar am Knochen entlang schabt, und dann beginnst du, sie genüsslich zu zerstückeln.

Denn sie ist schön. Aber sie ist ein Schwein!

Wer will da kommen, dich zu richten? Mach mit ihr, was du willst. Sie wird dir im Magen liegen, so oder so.

Die Haxe.

Der Puppenspieler

»Zum Beispiel Shakesp…p…p…peare!«

Speimanes träumte von den großen tragischen Rollen.

»Nicht so, wie ihn jeder x-beliebige Arsch inszenieren würde, Koch, das musst du wissen, davon halt ich überhaupt nichts. Geh mal ins Kölner Schauspielhaus und guck dir den Dreck an. Die stecken alle Schauspieler in weiße Anzüge, egal, wann’s spielt. Hab Caligula gesehen, römische Senatoren in weißen Anzügen, und der Kaiser nackt wie ’n Pavian. Ich meine, was soll das, der läuft da mit baumelnder Banane über die Bühne, und das kaiserliche Fest spielt sich auf einem Klettergerüst ab. Einem Klettergerüst, Koch! Und wir reden hier von der Blüte des römischen Reiches!«

»Caligula ist, wenn ich mich recht entsinne, nicht von Shakespeare«, gab Koch zu bedenken.

»Weiß ich, weiß doch jedes Kind. Ich wollte dir nur klarmachen, Koch, wo wir kulturell stehen. Mal ehrlich, was ist denn passiert, seit Mephisto das erste Mal in Anzug und Krawatte auf die Bühne fuhr, he? Oder meinetwegen nimm die Oper, Wagner, Götterdämmerung. Da läuft’s doch auch nicht anders. Wotan als Göring, gut, das hatte wenigstens noch was von dieser irritierenden Substanz, da wurde aufbegehrt, aber wie lange ist das her? Und heute? Schockieren um jeden Preis! Wenn heute auf der Bühne nicht gevögelt wird, war das nicht gut. Hab ich ja nichts gegen. Lustig, lustig. Aber bitte, Koch, dann frag dich in vollem Ernst, was hat das noch mit jungem, aufbegehrendem Theater zu tun? Wo bleiben die Impulse, die Aussagen, die Neuerungen? Warum wird jedes Stück der Selbstgefälligkeit drittrangiger Intendanten geopfert?«

Koch zuckte die Achseln.

»Was beklagst du dich? Wir lassen im Hänneschen die Puppen tanzen, da ist noch nie gevögelt worden.«

»Wart’s ab, Koch. Wart’s ab.«

»Was? Dass sie anfangen zu vögeln?«

»Dass ich was anderes mache. Ich hab seriöse Angebote.«

»Hm.« Koch legte die Stirn in Falten und nahm einen tiefen Zug aus seinem Kölsch. »Ich weiß nicht, Schlemmer. Was hast du plötzlich dagegen, im Hänneschen den Speimanes zu spielen? Du bist ein guter Puppenspieler.«

Schlemmer machte eine Handbewegung, als wolle er einen Schwarm Mücken vertreiben.

»Ich rede nicht vom Hänneschen.«

»Wovon dann?«

»Echte Kunst, davon rede ich. Richtiges Theater! Mann, Koch, will ich enden wie du? Achtzehn Jahre lang die Puppe vom Schutzmann schwenken!«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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