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Der Pageturner zur Klimakrise – jetzt als aktualisierte Neuausgabe Wir sind in einem Thriller. Sie und ich. Nicht als Leser und Autor. Als Akteure. Besagter Thriller schreibt sich seit Menschengedenken fort und wechselt dabei immer wieder den Titel. Aktuell heißt er Klimakrise. Pandemie. Digitalisierung. Terror. In der Vergangenheit hieß er Kalter Krieg, Wettrüsten, davor Zweiter Weltkrieg, Erster Weltkrieg. Doch nie waren wir so vielen potenziellen Schrecknissen gleichzeitig ausgesetzt wie heute. Falls Sie also dem Klimaschutz vorübergehend Ihre Aufmerksamkeit entzogen hatten, um mit einer Pandemie oder dem Krieg in der Ukraine zurechtzukommen, ist das schlichtweg menschlich. Was nichts daran ändert, dass der Klimawandel die wohl größte existenzielle Bedrohung unserer Geschichte darstellt, und ebenso wenig wie ein Virus lässt er mit sich reden. Zeit, zurück ins Handeln zu finden. Die gute Nachricht ist: Wir können die Herausforderung meistern. Mit Wissen, Willenskraft, positivem Denken, Kreativität, der Liebe zum Leben auf unserem Planeten und ein bisschen persönlichem Heldentum, wie man es im Thriller braucht. Wissenschaftlich fundiert, spannend und nie ohne Humor entwirft Frank Schätzing verschiedene Szenarien unserer Zukunft, in denen wir mal versagt, mal obsiegt haben. Wir lernen die Protagonisten und Antagonisten kennen, Verantwortliche aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, begegnen Aktivisten, Leugnern und Verschwörungstheoretikern, bevor sich der Blick auf das überwältigende Panorama des Machbaren öffnet und der Autor Wege aufzeigt, wie wir der Klimafalle entkommen und alles doch noch gut, nein, besser werden kann. Die Welt zu retten ist möglich – wenn wir nur wollen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 375
Frank Schätzing
Handeln in der Klimakrise
Buch lesen
Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Über Frank Schätzing
Über dieses Buch
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
Wohllebens WALDAKADEMIE
Widmung
Motti
Vorwort zur aktualisierten Ausgabe 2022
Teil 1 Eigentlich –
Teil 2 Frankenstein und die Klima-Katastrophe
Ein paar Worte über Katastrophen
Klima
Natürlicher Klimawandel
Treibhausgase
Menschengemachter Klimawandel
Die Verteufelung der Klimaforschung
Teil 3 Thriller
Staffel Eins: 2015–20: 1°C
Staffel Zwei: 2021–29: 1,5°C
Staffel Drei: 2030–39: 2°C
Staffel Vier: 2040–54: 3°C
Staffel Fünf: 2055–70: 3–4°C
Staffel Sechs: 2071–99: 4–5°C
Staffel Sieben: 2100–?: 6–?°C
Teil 4 Ursache Wirkung
Globale Eismassen
Meere und Ozeane
Atmosphäre und Winde
Wälder
Landflächen
Weitere Auswirkungen des Klimawandels
Teil 5 Die Guten – und die Bösen?
Die Verursacher
Die Aktivisten
Die Politik
Die Gegenspieler
Teil 6 Handeln
Wer wir sind und sein können
Der ökologische Fußabdruck
Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks
Bio
Fleisch
Fairer Handel
Plastik
Kleidung
Haushalt
Reisen
Digitalisierung
Geldanlage
Bewegungen Unterstützen
So wird ihr Unternehmen klimaneutral
Was Politik und Wirtschaft jetzt tun müssen
Teil 7 Wie wir Wachsen – oder auch nicht
Von Risiken und Nebenwirkungen
Was Können wir wollen?
Wachstum und Suffizienz
Was man braucht
Ende des Wachstums
Umverteilung
Eine gerechtere Welt
Der gute Diktator
Weniger sind mehr
Also Wachstum! oder doch nicht?
Teil 8 Science-Faction
Ida
Eigentlich –
Anmerkung und Dank
Landschaft
Inhaltsverzeichnis
Mit diesem Buch unterstützen wir das Buchen-UrwaldProjekt von Wohllebens WALDAKADEMIE in der Eifel.
Von Natur aus wäre Deutschland zu über 90 Prozent von Wald bedeckt, größtenteils Buche/Eichen-Mischwälder. Alte Buchenwälder sind die Regenwälder Europas, und ähnlich wie in den Tropen ist es auch um sie sehr schlecht bestellt. Buchenwälder ab Alter 180 haben nur noch einen Anteil von 0,16 Prozent an der Landfläche. Selbst diese kleinen Restflächen werden oft weiter bewirtschaftet. Die Buchenwälder des UrwaldProjekts werden konsequent geschützt und für kommende Generationen erhalten.
Durch das Einscannen dieses QR-Codes gelangen Sie auf die Website von Wohllebens WALDAKADEMIE und können den Buchen-Urwald, den Sie mit dem Kauf dieses Buchs schützen helfen, live erleben.
Inhaltsverzeichnis
Für Jürgen, der die Menschen liebt
Inhaltsverzeichnis
Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen.
Arthur Schopenhauer
Unser Planet ist unser Zuhause, unser einziges Zuhause. Wo wollen wir denn hingehen, wenn wir ihn zerstören?
Dalai-Lama
Wer nicht an den Klimawandel glaubt, glaubt nicht an Fakten, an die Wissenschaft oder an empirische Wahrheiten und sollte deshalb meiner Meinung nach kein öffentliches Amt bekleiden.
Leonardo DiCaprio
Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.
Albert Einstein
Inhaltsverzeichnis
Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern.
Wie alt ist dann das Buch vom letzten Jahr?
Was, wenn wir einfach die Welt retten erschien im April 2021. Da hatte ich schon beschlossen, es für diese Taschenbuchausgabe zu aktualisieren. In die Klimadebatte war Bewegung gekommen, Regierungswechsel standen an, der sechste Bericht des IPCC versprach neue Erkenntnisse. Zwar sollten Sachbücher frei von inhaltlichen Verfallsdaten sein, weshalb die besten noch Jahrzehnte nach Erscheinen als Grundlagenwerke, Gesellschaftsanalysen, Ausblicke und Handlungsanleitungen taugen. Aber während Bücher über Naturgesetze, schwarze Löcher, den Gallischen Krieg oder Wege zum Glück eher selten der Auffrischung bedürfen, sieht es mit Betrachtungen dynamischer Prozesse anders aus. Ich erwartete, dass die Staaten binnen Jahresfrist ihre Klimabilanzen verbessert oder verschlechtert, neue Gesetze verabschiedet, Wissenschaftler Erfindungen gemacht und sich statistische Werte verändert haben würden.
Mit einem Krieg in Europa hatte ich nicht gerechnet.
War damit zu rechnen?
Ja und nein. Soweit ich weiß, hat außer den amerikanischen Geheimdiensten niemand einen Angriff auf die ganze Ukraine prognostiziert. Wohl aber gab es entsprechende Szenarien. Szenarien werden entwickelt, um auf jede Entwicklung vorbereitet zu sein. Da es kostspielig, zeitraubend und schwer vermittelbar ist, sich auf alles Erdenkliche vorzubereiten, einigt man sich schon mal gern auf die Prognose, die einem am besten in den Kram passt – einer der Gründe, warum die Welt dem Klimageschehen notorisch hinterherhechelt und die Gefahr einer russischen Invasion heruntergespielt wurde.
Müssen wir über Putins Krieg reden? Hier und jetzt?
Das sollten wir, schon seiner Auswirkungen aufs Klima halber. Natürlich kann man fragen: Was hat das Gebaren des kleinen Zarewitsch mit der Erderwärmung zu tun? Kann man das Thema nicht außen vor lassen? Leider nein. Weltrettung kennt keine Ausschlusskriterien. Die russische Aggression betrifft sämtliche Lebensbereiche der Menschen: Energieversorgung, Ernährungssituation, Sicherheitsarchitektur, Umweltverhalten. Putins Krieg hat nicht nur die Ukraine in eine entsetzliche Lage katapultiert, seine Schockwellen umlaufen den kompletten Planeten. Jetzt, da Sie dieses Vorwort lesen, sind Monate vergangen, seit ich es geschrieben habe. Alles kann schon wieder ganz anders aussehen. So ist das mit der Aktualisierung: ein ständiges Zuspätkommen. Bestenfalls ist der Krieg vorbei, schlimmstenfalls lesen Sie diese Zeilen gar nicht, weil ein paar Leute auf rote Knöpfe gedrückt haben. Aber ich bin Rheinländer. Optimist. Ich gebe dem Szenario den Vorzug, in dem das nicht eintreffen wird. Eher, so denke ich, zementiert sich gerade eine neue Weltordnung, die uns zwar missfallen dürfte, mit der aber auf lange Sicht zu planen ist.
Dafür müssen wir uns ein paar Illusionen aus den Augen wischen. Die Idee wechselseitiger kultureller und merkantiler Durchdringung zur Schaffung einer eurasischen, transozeanischen, letztlich globalen Friedensordnung, der schöne Traum von der geeinten Menschheit – vom Tisch. Auf Jahrzehnte! Wir sind wieder in einer konfrontativen Weltordnung angelangt, die sich insofern vom Kalten Krieg des vergangenen Jahrhunderts unterscheidet, als die Sowjets einen Pragmatismus pflegten, den Putin vermissen lässt, China, der Nahe Osten und Afrika andere Rollen spielten als heute und man glaubte, das Ölzeitalter werde aus Mangel an Öl enden.
Derzeit leben wir in einer weithin akzeptierten Ordnung (noch!), aus der sich lediglich ein Player verabschiedet hat. Dummerweise ist es der Player mit dem größten Atomwaffenarsenal. Der Weltfrieden – das kann selbst der Rheinländer nicht schönreden – ist in Gefahr wie seit der Kuba-Krise nicht mehr (womöglich in größerer), was aber keineswegs heißt, dass die bestehende Friedensordnung auseinanderfällt. Sie legt ihre Schwächen offen. In gleichem Maße wächst sie an sich. Stand Juli 2022 hat Putin das Gegenteil dessen erreicht, was er erreichen wollte, Europa und die NATO gestärkt und 141 Länder dazu gebracht, sein Vorgehen zu verurteilen. Nicht einmal Chinas kann er sich sicher sein. Die Bruderschaft der Staatssysteme (und wirtschaftliche Erwägungen) halten Xi davon ab, Russland zu verurteilen, überdies sitzt der chinesische Präsident im Glashaus (Tibet) und hat seine eigene Ukraine vor der Haustür (Taiwan). Zugleich verfolgt Peking fundamental andere Interessen als Moskau. Zum Beispiel ist es an einem starken Europa interessiert, mit dem sich Handel treiben lässt und das als transatlantische Brücke fungiert (zum Erzrivalen USA, mit dem China auch gerne Geschäfte macht). Xi mag sich für Putins Gas, Öl und Weizen interessieren – was soll er mit einem Russland anfangen, das unter der Last der Sanktionen zurück in die technologische Sowjetisierung stürzt und dessen Intellektuelle scharenweise das Weite suchen? Xi hat Gründe, die ökologische Wende halbherzig zu vollziehen, weit zwingendere Gründe jedoch, sie voranzutreiben. Klimarisiken sind Volkswirtschaftsrisiken. Wenn China etwas scheut, dann Risiken für seine Volkswirtschaft! Putin versteht es offenbar weder, das Klima zu schützen noch seine Volkswirtschaft. Er führt Xi vor Augen, wohin militärische Abenteuer einen bringen. Zu bieten hat er wenig.
In einer strategischen Partnerschaft ist Putin somit der Junior. Ein Junior, der den Senior verärgert, weil er dessen schöne Seidenstraßenpläne zertrampelt. Noch hält die Hoffnung, der Krieg werde zu Putins Gunsten verlaufen, Xi bei der Stange – zu verlockend die Vorstellung eines Westens, der sich eingestehen muss, weder mit Waffenlieferungen noch Sanktionen etwas ausgerichtet zu haben. Was hindert einen da, eben mal Taiwan einzusacken? Folgenlos und unbehelligt! Derartige Gedanken bestimmen den Ton. Wenn Peking Moskau seiner »felsenfesten Freundschaft« versichert, wartet man förmlich darauf, Xi und Putin mit blanker Brust Seite an Seite ins Abendrot reiten zu sehen. Hört man genauer hin, spricht Peking von »bilateraler praktischer Zusammenarbeit«. Ziemlich praktische Freunde also. 35 Prozent Rabatt auf Rohöl, da greift der Busenfreund gern zu. Weniger freundschaftlich gesagt: China profitiert von Russlands Schwäche und hofft zugleich, der selbsternannte Wiedergänger Peters des Großen möge stark genug sein, das geopolitische Kräftegleichgewicht gen Osten zu verschieben – nur dass wenig danach aussieht. Eher scheint es, als verzettele sich der Kreml in einem ruinösen Erschöpfungskrieg. Das bereitet Xi Sorgen. Scheitert Putin, kann es für Chinas Präsidenten eng werden. Dann hätte er aufs falsche Pferd gesetzt. Australiens Ex-Premier und Chinakenner Kevin Rudd stellt fest: »Falls China beim Wirtschaftswachstum weiter zurückfällt, die Pandemie außer Kontrolle gerät und das Land wegen der Entwicklungen in der Ukraine und der zu großen Nähe zu Putin außenpolitisch zunehmend blamiert dasteht, könnte der Ausgang des Parteikongresses offen sein.« Dort, auf dem Parteitag der KP, entscheidet sich Xis Wiederwahl. Oder auch nicht.
Was bedeutet das für den Westen?
Da wir wieder in der Konfrontation leben, müssen wir uns fragen, wo die Bruchlinie künftig verlaufen soll. Weil man sie nicht wegwünschen kann, muss man sie stabilisieren. In einem konfrontativen System wird jede Seite versuchen, ihre Einflusssphäre zu erweitern. Für Europa heißt das, Russlands westliche Nachbarn, die nicht in der EU und empfänglich für Putins Einfluss sind, rasch in die europäische Familie einzugliedern, indem man ihnen verheißungsvollere Perspektiven bietet als der Autokrat im Osten. Das betrifft den Balkan, wo nationalistische Kräfte russische Narrative stärken, es betrifft die ewigen EU-Beitrittskandidaten, die zunehmend frustriert sind über mangelndes Interesse aus Brüssel, es betrifft die, die arm sind und sich nicht wehren können.
Ein geeintes Europa ohne erodierende Ränder erhöht die Chancen, dass der Ukraine-Krieg endet und keine weiteren Kriege folgen (weil Putin begreift, dass er sie nicht gewinnen kann). Es trägt zur globalen Sicherheit bei, aber auch zur Nachhaltigkeit. Krieg ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Krieg destabilisiert Gesellschaften, zerstört Infrastrukturen, macht kaputt, was gedacht war, lange zu funktionieren. Überdies steht zu erwarten, dass sich Russland mit seinem Alleingang aus den globalen Klimaschutzbemühungen verabschieden wird – umso wichtiger, dass andere sie durchsetzen. Paradoxerweise könnte ausgerechnet Putin die Nachhaltigkeitswende sogar beschleunigen helfen – wenn der Westen nicht den Fehler macht, sich aus der einen fossilen Abhängigkeit in die nächste zu begeben.
Aber geschieht das nicht längst?
Habeck in Katar …
Nein. Was vonstattengeht, ist der Umbau unserer Energiewirtschaft. Sei es, dass europäische Staaten kein russisches Öl und Gas mehr kaufen oder Putin ihnen seinerseits den Hahn zudreht. Im Mittelpunkt des Umbaus steht das sogenannte Energie-Trilemma: Dabei geht es um den Konflikt zwischen den drei energiepolitischen Zielen eines Landes: Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, Umweltverträglichkeit. Letztere hat Deutschland vernachlässigt, weil man sich der Zufuhr und Bezahlbarkeit russischer Brennstoffe bis in alle Ewigkeit sicher wähnte. Doch Putins Invasion hat das Kräfteverhältnis im Trilemma verschoben. Die Versorgungssicherheit wankt. Die Preise ziehen an. Der Preisanstieg könnte vorübergehender Natur sein. Die Abkehr von russischem Öl und Gas ist besiegelt.
Das reißt Versorgungslücken auf, die nicht über Nacht mit erneuerbaren Energien zu schließen sind. Darum sehen wir uns gezwungen, die Stilllegung von Kohlekraftwerken auszusetzen, Fracking-Gas zu importieren und Rohstoffe aus Katar zu beziehen. Klingt niederschmetternd, weil das Gegenteil dessen, was wir uns vorgenommen haben: den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken. Bei genauer Betrachtung ist es jedoch sinnvoll, da es europäische Volkswirtschaften vor dem Kollaps bewahrt. Nichts wäre gefährlicher, als die Welt jetzt weiter zu destabilisieren. Dann stünde eine Ausweitung des Krieges zu befürchten, und instabile Staaten sind noch weniger klimaschutzfähig als unwillige. Für eine Übergangszeit ist es darum richtig, den Ausfall russischer Energie durch fossile Alternativen zu kompensieren. Sich in der Alternative häuslich einzurichten und den Ausbau der Erneuerbaren erneut zu verschleppen – das wäre fatal! Damit landen wir wieder im Energie-Trilemma. Ein Unheils-Szenario, doch es gibt ein besseres, in dem wir das Trilemma überwinden. Zwei Lieferanten gewährleisten dann unsere Versorgungssicherheit, beide unpolitisch, unerschöpflich, und Rechnungen stellen sie auch keine: Sonne und Wind. Natürlich kosten grüne Infrastrukturen Geld: Windräder, Solarkollektoren, Zwischenspeicher, Verteilernetze, und so weiter. Lieferstoppdrohungen und Wucherpreise hingegen, um Länder politisch zu erpressen, wird es mit Sonne und Wind nicht geben. Sprich, auch die Bezahlbarkeit ist gesichert. So birgt Putins Krieg eine reelle Chance für schnelleren Klimaschutz (was nicht heißt, dass irgendetwas an diesem Krieg wünschenswert gewesen wäre; er ist verabscheuungswürdig).
Schauen wir auf die andere Seite des Atlantiks, wo Joe Bidens politische Zukunft daran hängt, ob er Ökonomie und Ökologie in einer Erfolgsgeschichte vereinen kann. Andernfalls nämlich droht die Rückkehr des orangenen Mannes. Eine transatlantische Klimaschutz-Partnerschaft ist also unbedingt wünschenswert! Um die Erderwärmung auf 1,5, maximal 2 Grad zu begrenzen, braucht es allerdings China und Indien. Wie beeinflusst Putins Krieg die Energie- und Klimapolitik beider Länder? Und wie offen sind sie für Allianzen mit dem Westen?
Indien, zweitbevölkerungsreichstes Land der Erde, hat eine komplexe Geschichte mit Russland. Aktuell kauft es mehr russische Waffen, Kohle und Öl denn je, strebt ein Verrechnungssystem von Rupie und Rubel unter Auslassung des Dollars an. Auf seiner Wirtschaft lastet der Druck, annähernd 1,4 Milliarden Menschen zu versorgen. Indien braucht Russland, umgekehrt ist Russland auf Indien angewiesen. Ideale Partner? Tatsächlich kommt Indiens Handelsvolumen mit China ungleich mehr Bedeutung zu. Was für eine Hinwendung Indiens zu China spräche, wäre beider Verhältnis nicht getrübt von Grenzquerelen im Himalaja. Bei allen Freundschaftsbekundungen, die Xi und Putin austauschen, ist Peking wenig begeistert, dass Inder russische Waffen auf Chinesen richten könnten. Und es wird noch komplizierter. Indiens Premier Modi hat wiederholt erklärt, man habe mit China wenig gemein: andere Werte, anderes Staatssystem. Um Xis Reich die Stirn zu bieten, braucht er die Unterstützung der USA, weshalb er sich bemüht, auch nach Washington gute Kontakte zu pflegen. Das missfällt Moskau. Ist man 1971, als Bangladesch sich von Pakistan löste und Indien die Unabhängigkeit unterstützte, den Indern nicht militärisch beigesprungen? Blanke Undankbarkeit, wenn Indien jetzt mit dem Westen flirtet (was Putin einen weiteren wichtigen Markt kosten könnte), entsprechend deutlich wurde Russlands Außenminister in Neu-Delhi hinter verschlossenen Türen. Modi gerät zum diplomatischen Seiltänzer. Fordert Frieden für der Ukraine, kann sich aber nicht dazu durchringen, Russland zu verurteilen (womit er indirekt China stärkt). Bei seinem Frühjahrsbesuch in Berlin 2022 pries er das deutsch-indische Verhältnis, kaufte aber, während der Westen Sanktionen schmiedete, russisches Öl zum Dumpingpreis. Allgemeines Befremden, Indiens Konter: Wo denn das Problem sei, da der Westen weiterhin russisches Gas kaufe?
Der Einwand ist nicht ganz unberechtigt, wie also gewinnt man Indiens Vertrauen? Indem man es mit aller Entschiedenheit bei seinem ökologischen Umbau unterstützt. Dafür müssen wir erst mal selbst das grüne Wirtschaftswunder schaffen. Je schneller und besser uns das gelingt, desto nachahmenswerter ist unser Modell. Ländern wie Indien klimafreundliche Technologien zur Verfügung zu stellen und ihnen zu helfen, nachhaltig zu prosperieren, verringert ihre Energieabhängigkeit. Wie man es dreht und wendet, immer stößt man auf die unheilstiftende Macht fossiler Brennstoffe. Diese Macht zu brechen, wäre der wichtigste Schritt zur Allianz.
Bei China sieht es ein bisschen anders aus. Xi Jingpings Vorherrschaftsträume mögen weniger dumpfen Wesens sein als Putins, können einem aber den Schweiß auf die Stirn treiben. Deng Xiaoping betonte die Kooperation der Systeme. Xi führt einen Kampf der Systeme. Trump dachte sich, diesen Kampf nach Schulhofmanier führen zu können: Wollen mal sehen, wer hier wen niederringt. So funktioniert das nicht. Ebenso wenig darf man Xi mit Samthandschuhen anfassen oder ihm ein Übermaß an Völkerverständigungswillen unterstellen. Das westliche und das chinesische System sind nicht versöhnbar. Militärisch, technologisch, wirtschaftlich wird sich China weiter als Rivale verstehen. Zugleich will es Partner sein, im Handel, im Klimaschutz. Klima – das ist auch Xi bewusst – schlägt sich auf niemandes Seite, es macht alle gleich. Noch liegt der Westen umwelttechnologisch vorne. Damit kann er Anreize schaffen. Letztlich geht es darum, Xis Ambitionen einzuhegen, seiner Politik vorbeugend zu begegnen (statt wie früher bei jedem freundlichen Wort Putins die Korken knallen zu lassen), ihm mit Einigkeit und Stärke, aber auch Kooperationswillen gegenüberzutreten. Was immer China tut – es muss verstehen, dass nur eine gemeinsame Klimapolitik von Erfolg gekrönt sein kann.
Das Best-Case-Szenario, zusammengefasst: Europa verbessert seine Sozialsysteme und Infrastrukturen, schließt seine gesellschaftlichen Gräben, schafft rasch EU-Beitrittsperspektiven für Länder in Putins Einflusssphäre – Ukraine, Georgien, Moldau, Balkan – und festigt seine Sicherheitsarchitektur. Nach einer Phase der Stabilisierung durch Fossile schafft es mit gesteigertem Tempo die Vollversorgung durch Erneuerbare, überwindet das Trilemma, vollzieht die Nachhaltigkeitswende und entwickelt sie zum Exportmodell. Im Schulterschluss mit den USA gewinnt es Indien und China als Partner im Klimaschutz, verringert so deren fossile Abhängigkeit, hilft Afrika auf den Weg nachhaltigen Wachstums. Kehrt Russland zurück zum Völkerrecht (womöglich in der Zeit nach Putin), wird es wieder Teil des internationalen Teams. Denn machen wir uns nichts vor – ohne Russland kriegt die Klimawende nicht die Kurve.
So weit meine Gedanken, die ich mit Ihnen teilen wollte, bevor ich Sie zur Rettung der Welt bitte. Es wäre mir falsch vorgekommen, nicht auf Putins Krieg einzugehen, auch wenn dieses Buch von anderem handelt. Doch Krieg und Klima sind untrennbar verbunden. Alle globalen Krisen, Armut, Hunger, Überbevölkerung, sind tatsächlich Symptome einer einzigen Krise: dass wir immer noch nicht so recht wissen, wie wir uns diesen schönen Planeten teilen sollen, ohne ihn und uns zu zerstören. Aber als einzige Spezies können wir in Szenarien denken. Und Einfluss darauf nehmen, in welcher Welt unsere Kinder aufwachsen.
Frank Schätzing, im Juli 2022
Inhaltsverzeichnis
– wollte ich ein ganz anderes Buch schreiben, einen Thriller.
Dann dachte ich: Wir sind in einem Thriller.
Sie und ich.
Nicht als Leser und Autor.
Als Akteure.
Besagter Thriller schreibt sich seit Menschengedenken fort und wechselt dabei immer wieder den Titel. Aktuell heißt er Klimakrise. Pandemie. Digitalisierung. Terror. In der Vergangenheit hieß er Kalter Krieg, Wettrüsten, davor Zweiter Weltkrieg, Erster Weltkrieg, Dreißigjähriger Krieg, Hexenverfolgung, Pest, Sintflut, Vertreibung aus dem Paradies, um nur einige zu nennen. Neue Titel sind annonciert. Kleiner Vorgeschmack? Atomkrieg, Supermeteorit, Herrschaft der Maschinen, Invasion Außerirdischer oder schlicht Überbevölkerung.
Nicht nur Deutsche, aber ganz besonders Deutsche, lieben eher Krimis. Leichen und Ermittler sind hierzulande noch beliebter als Golden Retriever und Fernsehköche. Nicht, dass wir blutrünstig wären. Wir mögen es nur einfach, die aus den Fugen geratene Welt wieder in Ordnung gebracht zu sehen. Anders als beim Thriller steht beim Krimi die Eskalation am Anfang. Jemand wird gemeuchelt, Verdächtige marschieren auf, wo waren Sie gestern Abend, die Schlinge zieht sich zu, Showdown, Fall abgeschlossen.
Nichts beruhigt so wie ein schöner Krimi.
Thriller funktionieren andersrum. Am Anfang steht Normalität. Heile kleine Welt. Familie, Nachbarn, Freunde. Dann bricht etwas ein. Unheimlich, unerklärlich. Die Ordnung erodiert, und je weiter das Ganze voranschreitet, desto schlimmer wird es. Sicher geglaubte Strukturen zerfallen. Gewissheiten enden, Vertrautes wendet sich gegen uns. Thriller erzählen vom Kontrollverlust. Bei Roland Emmerich pflegt das im Weltuntergang zu enden. Ich teile diese Freude am Zerdeppern. Es macht Spaß, Städte auszulöschen und Ungeheuer auf die Menschheit loszulassen. In der Literatur, im Film ist es ein Spiel mit dem Unvorstellbaren: Was wären wir in der Lage, zu ertragen? Was macht die Katastrophe, der Zusammenbruch mit uns? Bleiben wir solidarisch? Wie dünn ist die Decke der Zivilisation, wie nah der Mensch am Monster?
Das herauszufinden, kann unterhaltsam sein, aber auch ziemlich erschreckend. Kommt man der Wirklichkeit zu nahe, greift sie kalt nach einem. Vielleicht haben Sie den Viren-Thriller ›Contagion‹ gesehen. Die Pandemie wird am Ende eingedämmt, aber der Film entlässt einen nicht gerade mit einem Gefühl der Beruhigung. Thriller sind perfide. Sie stellen die Ordnung nur scheinbar wieder her. Die Bedrohung bleibt. Im Falle von ›Das Schweigen der Lämmer‹ können wir dieses Gefühl sogar genießen. Wir wollen Hannibal Lecter zwar nicht persönlich begegnen, ihn aber unbedingt wiedersehen. Die Chance, so einem ins Messer zu laufen, geht im echten Leben schließlich gegen null. In Steven Spielbergs Verfilmung des H.-G.-Wells-Klassikers ›Krieg der Welten‹ geht es um Außerirdische. Nicht unser drängendstes Problem und auf der Skala prospektiver Bedrohungen noch Lichtjahre hinter Hannibal the Cannibal, dennoch hat der Film viele Menschen verstört. Die Aliens entfesseln einen gnadenlosen Genozid. Wir haben ihnen nichts entgegenzusetzen. Der Held ist ganz unheldenhaft auf der Flucht und kaum imstande, seine Kinder zu beschützen. Durch ihn erleben wir das Gefühl völligen Ausgeliefertseins.
Warum erzähle ich Ihnen das?
Weil es viel mit unserer Wirklichkeit zu tun hat.
Das Gute an der Fiktion ist, dass wir den Kinosaal verlassen und das Buch zuklappen können. Insofern haben Thriller etwas Heilsames. Spannung kann sich entladen. Denn wir stehen unter Druck. Täglich konsumieren wir die Befindlichkeiten eines kompletten Planeten. Die Nachrichten sind ein Komprimat dessen, was schiefläuft, wie soll man nicht glauben, dass die Welt den Bach runtergeht? Relevantes muss berichtet werden! Aber Fakt ist, dass die Verdichtung schlechter Nachrichten nicht die wahren Verhältnisse widerspiegelt, in denen die Leben von Millionen Menschen friedlich und geregelt verlaufen, viel Gutes geschieht und gemeinhin wenig, was eine Primetime-Berichterstattung rechtfertigen würde. In der echten Welt verdünnen sich Katastrophen auf ein ungleich größeres Maß an Normalität. In der medialen Welt dissonieren Dutzende Alarmglocken.
Als Folge fühlen wir uns dauerbedroht: Klimawandel, Killerviren, Krieg, Flüchtlingsströme, künstliche Intelligenz, Jobverlust, religiöser Terror, Zusammenbruch der Demokratien, Erstarken rechter Populisten – der Thriller, in dem wir leben, löst kaum etwas davon auf, und wir können das Buch nicht zuklappen, das Kino nicht verlassen. Wir verharren im Schwebezustand. Bis heute ist die Welt nicht untergegangen, Entwarnung gibt es aber auch nicht. Das steigert die Anspannung. Unsere Ängste wachsen über die Ursachen hinaus. Bezeichnenderweise ist die Furcht vor Ausländern dort am größten, wo kaum welche sind. Zugleich scheint, was uns bedroht, nicht zu existieren. Am Morgen öffnen wir die Tür, der Himmel sieht aus wie immer. Klimawandel? Wo? Und wo sind die intelligenten Maschinen, die uns vernichten wollen? Die Post bringt immer noch der Briefträger, nicht der Terminator. Keine Flüchtlingsströme ziehen durch meine Straße. Keiner kommt, um mich im Namen Gottes in die Luft zu sprengen, obwohl ich gerade eben wieder davon höre. Kein Atompilz steht am Himmel. Corona? Ein Zahlenspiel. Ich bin immer noch nicht infiziert, auch meine Freunde schauen eher genervt als krank aus, aber jeder weiß, es gibt die Kranken, und man kann dran sterben.
Der Thriller, in dem wir leben, hält uns hin.
Das reibt Menschen auf. Fast schlimmer als der Weltuntergang ist, wenn er sich dauerankündigt, ohne einzutreten. Die Probleme scheinen nur immer mehr zu werden, und die, in deren Hand es läge, sie zu lösen, schließen lasche Abkommen, die sie dann unterlaufen oder brechen.
Was also kann man tun? Offenbar nichts.
Wem kann man trauen? Offenbar keinem.
Während ich das schreibe, geht der Ukraine-Krieg in den vierten Monat. 2019 beherrschten Fridays for Future und Gretas Atlantiküberquerung die deutschen Medien. Mit 438.000 Medienbeiträgen war Klimaschutz Topthema, unmittelbar gefolgt von Zuwanderung (über 430.000 Beiträge), Pflege und Gesundheit (268.000), Digitalisierung (235.000) und Rente (206.000). 2020 sah es völlig anders aus. Allein im ersten Halbjahr ging der Spitzenplatz mit 250.000 Beiträgen an COVID-19 (Pflege und Gesundheit), weit dahinter rangierten Zuwanderung (über 143.000) und Klimaschutz (knapp 127.000). Letzterer erlitt mit über 52 Prozent den größten Verlust an Medienpräsenz. 2021 stieg Corona auf einen schwindelerregenden Spitzenwert, doch Klimaschutz holte auf, verzeichnete mit 75 Prozent den höchsten Zuwachswert, schob sich noch vor das Thema Migration und gewann wieder an Relevanz. Leider zu früh gefreut. Die imperialen Fantasien eines Herrn aus Moskau machten den vielversprechenden Trend zunichte.
Aktuell (Juli 2022) beherrscht der Krieg unverändert das Nachrichtengeschehen. Auf der Platte springt die Nadel immer wieder in dieselbe Rille. Dennoch sind die übrigen Themen nicht weg. Sie haben medial an Relevanz verloren, bleiben aber im Hintergrund präsent. Keine seelische Entlastung also, nur dass der Ukraine-Daueralarm alles andere übertönt. So richtig es war (und bis auf Weiteres sein wird), Topthemen wie Krieg und Corona maximale Medienpräsenz einzuräumen, kann man dennoch fragen, ob über Monate hinweg jede Talkshow, jede Headline einer Monothematik unterworfen sein muss. Kein Zweifel, die Monster sind groß. Medial werden sie erdrückend groß. In jeder Sekunde drängeln sie sich in den Vordergrund, bis man innerlich abschaltet. Man würde gerne mal was anderes hören, nur: Hey, lass uns über Geflüchtete und den Klimaschock reden!, ist auch nicht gerade geeignet, Trost zu spenden. Man sehnt sich nach etwas Nettem. Es gibt nichts Nettes. Alte Menschen vereinsamten in Quarantäne. Viele starben. Ganze Branchen gerieten in die Krise. Millionen bangten und bangen um ihre Jobs, jetzt arbeiten wir uns an Putins Atomschlag-Drohungen ab.
Das Netteste ist Netflix.
Wie viel Thriller hält man aus, wenn kein Avenger kommt, um das Böse Mores zu lehren?
So gerät der Klimawandel ins Hintertreffen. Bei aller Fortschrittlichkeit unserer Spezies sind wir evolutionär nicht dazu geschaffen, einem Übermaß globaler Bedrohungen Gleichrangigkeit einzuräumen. Bedroht waren wir immer. Aber nie waren wir so vielen potenziellen Schrecknissen gleichzeitig ausgesetzt wie heute. Man kann schon froh sein, dass die Besiedelung des Weltraums hinter den Träumen der Science-Fiction-Autoren zurückgeblieben ist, andernfalls hätten wir jetzt auch noch Horrormeldungen vom Mars zu verkraften. Was also tun wir? Reagieren auf die unmittelbare, handfeste, sichtbare Bedrohung und schieben die abstrakte beiseite, um nicht vor lauter Ängsten verrückt zu werden. Dabei handeln wir zwar richtig, verlieren aber existenzielle Probleme aus den Augen.
Kurz, der Thriller, dessen Akteure wir sind, bringt uns an die Grenzen unserer psychischen und körperlichen Belastbarkeit. Gefahren auszublenden ist ein Überlebensmechanismus. Zutiefst menschlich. Falls Sie also dem Klimaschutz vorübergehend Ihre Aufmerksamkeit entzogen haben, um mit einem Krieg zurechtzukommen, dessen Ende nicht absehbar ist und der uns als Gesellschaft auf allen Ebenen verändert, ist das durchaus nachvollziehbar und erst mal nicht zu kritisieren. Krisen drehbuchgerecht in neunzig Minuten abzuhaken, bleibt weiterhin den Fernsehkommissaren überlassen. Wir echten Menschen müssen in der Eskalation bestehen – und nichts eskaliert dramatischer als die Klimakrise. Hätten Gesellschaft, Politik und Wirtschaft das nicht ignoriert, wären wir in einer komfortableren Lage. So läuft uns die Zeit davon. Gleichzeitig werden Forderungen laut, den Klimaschutz angesichts explodierender Kriegs- und Coronakosten herunterzufahren – was ungefähr so schlau ist, als stellte man den Deichbau ein, um für Wasserrohrbrüche gewappnet zu sein.
Wie schaffen wir es, aus der Verdrängung zurück ins Handeln zu finden?
Nun, wenn Sie Thriller lieben, wissen Sie, was als Einziges gegen Bedrohungen hilft: sie zu verstehen. Fakt ist, viel stürzt auf uns ein. Fakt ist aber auch, dass Menschen wie keine andere Spezies mit der Gabe gesegnet sind, durch Erkenntnisgewinn Ordnung ins Chaos zu bringen. Bedroht zu sein ist an sich kein Problem. Ohnmacht ist das Problem. Unwissenheit. Hilflosigkeit. Wie im Mittelalter keine Vorstellung davon zu haben, was die Pest überträgt, dementsprechend alles falsch zu machen und daran zu verzweifeln.
Darum habe ich dieses Buch geschrieben (das andere schreibe ich danach zu Ende, versprochen). Um der Klimakrise das Abstrakte, Glaubenskriegerische zu nehmen und auf nicht zu vielen Seiten (und ich sage Ihnen, das fällt mir schwer!) möglichst viel Wissen zusammenzutragen. Wissen ist magisch! Wissen versetzt uns in die Lage, zielgerichtet zu handeln. Wissen gibt uns Kontrolle und Souveränität. Wissen ist die Wunderpille gegen fragwürdige Ideologien. Wissen erzeugt Zuversicht! Wer Dinge versteht, den kann man nicht ins Bockshorn jagen. Der Populismus, in gleich wessen schmieriger Gestalt er pöbelt, ist nicht an differenziertem Denken interessiert. Er kann nur in der Unterkomplexität überleben, also setzt er alles daran, Ängste und Vorurteile zu schüren, Verschwörungstheorien zu verbreiten, Menschen dumm zu halten und ihren Hass auf Sündenböcke zu schüren. Populisten versprechen die Vergangenheit und verspielen die Zukunft. Sie erklären die Blödheit zur Staatsräson. Wohin das führt, lehrt unsere eigene Geschichte. Jetzt haben wir es mit einer Herausforderung für die ganze Menschheit zu tun, und die gute Nachricht ist: Wir können sie meistern.
Im folgenden Teil geht es um unseren Umgang mit Katastrophen, um Klima, Wetter und Treibhausgase, Klimaforschung, den Unterschied zwischen natürlichem und menschengemachtem Klimawandel und warum es ohne Klimaschwankungen an Halloween keine Boris-Karloff-Masken gäbe. In Teil drei spielen wir die Gegenwart und Zukunft durch, ganz in der Art, wie es sich für einen Thriller gehört. Teil vier fasst die Ursachen der Klimakrise zusammen und erklärt im Einzelnen, welche Prozesse die Umwelt aus dem Gleichgewicht bringen, bevor wir in Teil fünf sowohl Verursachern der Krise als auch Klimaaktivisten begegnen. Im sechsten Teil geht es um unsere Optionen: Was können wir tun, wer kann was tun, wie nehmen wir Einfluss auf Entscheidungsträger? In Teil sieben widmen wir uns der heiligen Kuh der kapitalistischen Weltordnung, dem Wachstum. Abschließend in Teil acht entwickle ich das Szenario einer Zukunft, in der wir das meiste richtig gemacht haben.
Jetzt aber werfe ich Sie in ein schwarzes Loch.
Inhaltsverzeichnis
Im Zentrum unserer Galaxis haust Sagittarius A, ein gigantisches schwarzes Loch, und verschlingt kosmische Materie, gerade wieder mit gesteigertem Appetit. Schwarze Löcher zerreißen Sterne und fressen Planeten. Fielen Sie in ein schwarzes Loch, würden Sie lang gezogen wie Spaghetti. Solange niemand das Pech hat, im Umkreis zu siedeln und mitverschlungen zu werden, kann von einer Katastrophe indes keine Rede sein, so wie auch ein Asteroid, der auf einen unbewohnten Planeten knallt, erst mal nur ein Naturereignis ist. Der Global Killer hingegen, der vor 66 Millionen Jahren an der Kreide-Paläogen-Grenze im heutigen Yucatán niederging, war für die Saurier eine entsetzliche Katastrophe. Da sie allerdings keine Vorstellung davon entwickeln konnten, was ihnen blühte, mussten sie im Vorfeld auch keine Ängste ausstehen, lebten ihren Saurieralltag, jagten, fraßen, liebten sich und lagen auf der faulen Haut. Dann zog ein Feuersturm über die Erde, und sie starben.
Was eine Katastrophe ist, kommt auf die Perspektive an.
Wir heute sähen den Asteroiden kommen. Erschiene er in unseren Teleskopen, würde der angekündigte Untergang uns sofort verändern. Wir würden die letzten Wochen und Monate, vielleicht Jahre bis zum Einschlag ein völlig anderes Leben führen als ohne das Wissen um unsere Auslöschung. Aufgrund von Messwerten wären wir schnell in der Lage, ein präzises Szenario zu entwickeln, wie genau sich der Exitus vollziehen wird. Das Grauen nähme in unseren Köpfen Gestalt an, lange bevor es einträfe. Zugleich würde uns die detaillierte Kenntnis der Zukunft in die Lage versetzen, gezielt an Gegenmaßnahmen zu arbeiten, um die Katastrophe doch noch abzuwenden. Eindeutig wären wir in einer besseren Position als die Saurier, die eben nicht, wie Heinz Erhardt so schön dichtete, immer traurier wurden, weil sie bis zuletzt keinen Schimmer hatten, dass sie gleich ein Fall für die Paläontologen sein würden.
Solange gar kein Asteroid auf uns zurast, haben wir die Wahl, entweder beruhigt anderen Dingen nachzugehen oder uns vor Angst zu verzehren, dass irgendwann doch einer auf Kollisionskurs schwenkt. Weil man nicht messen und einschätzen kann, was nicht da ist, nimmt dieser Asteroid in unserer Vorstellung aberwitzige Ausmaße an. Er ängstigt uns Tag und Nacht. Wir sind starr vor Schreck. Mit fast hundertprozentiger Sicherheit werden wir ihm nicht zum Opfer fallen, dennoch vermiest er uns gründlich den Tag. All dies zugrunde gelegt, kommt man auf drei Kategorien von Katastrophen.
Unerwartete KatastrophenSolche, die überraschend eintreten und nicht vorausgesehen werden können.
Sich ankündigende KatastrophenSolche, um deren kurz-, mittel- oder langfristiges Eintreten und die Folgen man weiß.
Heraufbeschworene KatastrophenSolche, deren Annahme auf einer Mischung aus Gefühl und Fakten basiert und deren Eintreten nicht belegbar ist.
Der Kreide-Paläogen-Asteroid, dem die Saurier zum Opfer fielen, kam unerwartet. Für die Saurier. Für uns gehört er in Kategorie zwei, weil als gesichert gilt, dass wieder so ein Trümmer runterkommen wird. Die Frage ist einzig, wann, und die Folgen lassen sich berechnen. Statistisch sucht uns dieser Global Killer in 35 Millionen Jahren heim. Statistisch haben Sie und ich allerdings auch anderthalb Kinder und kippen uns jährlich 100 Liter Bier hinter die Binde. Statistisch beträgt Ihre Chance, vom Hai gefressen zu werden, eins zu 3,7 Millionen, was Ihnen gar nichts nützt, wenn er Sie frisst. Sprich, der Global Killer kann schon morgen aufkreuzen oder noch 100 Millionen Jahre auf sich warten lassen. Intuitiv neigen wir dazu, ihn ins Reich der heraufbeschworenen Katastrophen zu verlegen und zu unterlassen, was dringend geraten wäre, nämlich auf Hochdruck an Asteroiden-Abwehr-Systemen zu forschen.
Die Coronapandemie siedelt irgendwo zwischen unerwartet und angekündigt. Sie kam überraschend. So überraschend aber auch wieder nicht. Epidemien grassieren alle paar Jahre und aus Sicht von Mitteleuropäern immer dort, wo Menschen sowieso mit allem Erdenklichen Probleme haben: Sturmfluten, Hungersnöte, Bürgerkriege. Die Ebola-Epidemie 2014–16 forderte 12.000 Menschenleben, blieb aber weitestgehend auf den afrikanischen Kontinent beschränkt. Als COVID-19 die chinesische Medienzensur überwand und viral ging, erwartete entsprechend jeder, dass es sich hübsch an die Regel halten und in China bleiben würde. Das Virus hustete uns was. Vielmehr entwickelte es sich zur Pandemie, und wir rieben uns verdattert die Augen, als hätte es nie eine Spanische Grippe gegeben.
Seit Anbeginn der Menschheit befinden wir uns auf dem Weg in die Katastrophe.
Seit Anbeginn sind wir schlecht vorbereitet.
Denn tatsächlich war Corona angekündigt. Archivweise liegen uns Aufzeichnungen über Pandemien vor, Pest, Syphilis, Englischer Schweiß, Pocken, Cholera, Russische, Spanische und Asiatische Grippe, Aids, SARS, Vogelgrippe, Influenza. Pandemien wüten in Blockbustern (›Outbreak‹, ›Contagion‹, ›The Bay‹, ›Die Stadt der Blinden‹) und Romanen (zuletzt in Deon Meyers großartigem Viren-Thriller ›Fever‹), dennoch hat uns Corona kalt erwischt. Nur: Wenn wir nicht mal so ein Virus auf dem Schirm hatten – wie gut oder schlecht sind wir dann auf die Klimakrise vorbereitet? Für die gibt es keine Referenzmodelle aus schriftmächtiger Zeit. Das letzte Mal, als Menschen eine Klimakrise zu bewältigen hatten, stapften sie in Fellkleidung gehüllt durch eine Eiszeit und waren weit davon entfernt, uns Messergebnisse oder Erfahrungsberichte zu hinterlassen.
Solche Überlegungen pflege ich mit meiner allzeit klugen Frau Sabina zu teilen. Sie sagte: »Menschen sind so. Wir sehen die Wand und fahren dagegen.« Bei näherem Nachdenken stellten wir dann allerdings fest, dass es sich diesmal etwas anders verhält. Jetzt fahren wir gegen die Wand, weil die Wand unsichtbar ist. Unser mangelndes Vorstellungsvermögen macht sie unsichtbar. Tatsächlich können wir uns eine Klimakatastrophe noch viel weniger vorstellen, als wir uns die Pandemie vorstellen konnten. Für alles haben wir Bilder: Hungerleidende, Geflüchtete, Erdbebengebiete, Tsunamis, Waldbrände, Vulkanausbrüche. Aus Hollywoodfilmen kennen wir herrschsüchtige Roboter und Global Killer, und wer selbst nie einen Krieg erlebt hat, weiß dennoch, wie Krieg aussieht.
Aber Klimawandel?
Wie sieht Klimawandel aus?
Ein Monster-Hurrikan, eine Hitzewelle – ist das schon Klimawandel? Gab es das nicht immer? Klimawandel dürfte das Abstrakteste sein, was je unseren inneren Projektor überhitzt hat, abgesehen vom Jüngsten Gericht vielleicht, und das ist nun wirklich Glaubenssache. Fast zwangsläufig entrückt der Klimawandel damit in die Kategorie heraufbeschworener Katastrophen – und wird genauso behandelt. Irgendwas mag ja dran sein. Ganz sicher aber kein Grund, mein Leben umzustülpen, meine Wiederwahl zu gefährden oder der Wirtschaft vors Knie zu treten.
Na schön. Lassen wir Wörter wie Krise und Katastrophe mal beiseite und beschäftigen uns einfach mit dem –
Was genau ist Klima?
Das Wort entstammt dem Griechischen und bedeutet so viel wie Neigung oder Krümmung. Gemeint ist damit nicht die Neigung der Erdachse, sondern die Krümmung und Geschlossenheit der Erde selbst. Die Oberfläche einer Kugel weist keine Ränder auf, alles ist miteinander verbunden. Bezogen auf die dynamischen Prozesse innerhalb der Atmosphäre bezeichnet Klima somit ein Gesamtsystem, dessen Untersysteme einander beeinflussen. Diese Untersysteme nennen wir Wetter. Wenn ich zum Beispiel nach Mallorca fliege, herrscht ausgerechnet zu dieser Zeit in Köln schönstes Wetter, während es in Palma am Stück gießt. Fahre ich zurück, ändert sich das Wetter. Jetzt knallt in Palma die Sonne vom Himmel, und in Köln regnet es Bindfäden. Kennt jeder. Wetter ist überall anders, wechselt unentwegt und bringt Meteorologen bei Kindern in Verruf, die glauben, es würde regnen, weil Claudia Kleinert es so will. Etymologisch heißt Wetter übrigens nichts anderes als Wind, entstanden aus dem althochdeutschen Wetar.
Die Gesamtheit allen Wetters nennen wir Klima. Wetter ist lokal, Klima global. Je größer und komplexer ein System, desto langsamer verändert es sich, und Klima ist ein aberwitzig komplexes System. Eine Regenwolke kommt, ergießt sich über Köln und geht. Aber warum regnet es überhaupt in Köln? Warum schneit es dort nicht fortgesetzt? Warum steht der Dom nicht inmitten einer sengenden Wüste? Weil das Gesamtsystem, innerhalb dessen sich entscheidet, ob vor der Haustür Palmen wachsen oder Pinguine brüten, die entsprechenden Voraussetzungen schafft. Dabei gewährleistet es längerfristige Stabilität. Im Zuge einer menschlichen Lebensspanne ändert sich das Wetter unzählige Male. Das Klima nicht. Man weiß, wie der Sommer, wie der Winter werden wird, und so entstehen Bauernregeln. Alte Bauern meinen, sich zu erinnern, früher sei es wärmer oder kälter gewesen, womöglich sprechen sie aber nur von einer kurzen Aufeinanderfolge besonders heißer Sommer oder kalter Winter. Weltklima braucht Tausende, Abertausende, mitunter Millionen Jahre, um signifikant andere Rahmenbedingungen fürs lokale Wetter zu schaffen. Es ändert sich ungeheuer langsam.
Aber es ändert sich.
Nun ist das nichts dramatisch Neues. Tatsächlich ist Klimawandel ein alter Hut, seit aus einem Haufen glühenden Gesteins im All die schmucke blaue Wohnstatt wurde, auf der wir um die Sonne flitzen, aber warum ändert sich das Klima überhaupt?
Entscheidend für jede Art von Klimawandel ist eine Atmosphäre. Ohne Atmosphäre kein Klima. Schon im Glutballstadium hat unser Planet begonnen, einen Mantel aus Wasserdampf und diversen anderen Substanzen um sich zu lagern. Bis heute hindert die Erdschwerkraft unsere Atmosphäre daran, ins All auszubüxen, wohingegen kleinere, weniger massereiche Planeten, die mal eine Atmosphäre hatten, sie mit der Zeit verloren. Auf die Atmosphäre nun wirken veränderliche Kräfte ein, etwa kosmische Strahlung. Das All ist voller Strahlung, deren Maß nicht immer gleich ist. Die Sonne scheint mal heißer, mal weniger heiß, mal sind wir ihr näher, mal ferner, entsprechend wärmer wird die Atmosphäre oder kühlt sich ab, und aus einem trägen, langweiligen Gasmantel wird ein dynamisches System, das wir Klima nennen.
Wie sich das Klima entwickelt, hängt von der Intensität der Sonnenstrahlen, der Rückstrahlkraft der Erde (Ausdehnung der Eisflächen, die Sonnenlicht ins All reflektieren) und der Menge und Verteilung von Aerosolen und Treibhausgasen in der Atmosphäre ab. Diese Faktoren verschieben sich ständig zueinander, ohne Pause, was der Erde seit vier Milliarden Jahren immerwährenden Klimawandel beschert. Wahrscheinlich wissen Sie, dass der Planet zeitweise völlig eisbedeckt und auch schon völlig eisfrei war. Während die kosmische Strahlung von außen einwirkt, verändert der Planet selbst seine Atmosphäre durch die Freisetzung von Treibhausgasen – wer und was sie ausstößt, soll uns hier noch nicht interessieren. Die Gase gelangen in die Luft, wo sie je nach Art und Konzentration das Klima beeinflussen – es gab Zeitalter, da war die ganze Erde ein rüpelnder Vulkan und die Atmosphäre rußverhangen, während sich unsere moderne Erde durch gesittetes Verhalten ausweist, mit dem Ergebnis schöner, klarer Himmel. Reden wir also über –
Treibhaus- oder Spurengase nennt man die Gesamtheit aller Gase, die in der Luft vorkommen. Es gibt diverse Treibhausgase, deren meiste auf der Himmelsbühne Neben- und Statistenrollen spielen. Die Oscar-Rollen fallen den großen vier zu: CO2 (Kohlenstoffdioxid), N2O (Distickstoffmonoxid oder Lachgas), CH4 (Methan) und H2O (Wasserdampf). Durch natürliche Prozesse wie Vulkanismus, Verdunstung und Eisschmelze gelangen sie in die Atmosphäre, wo sie erkennbar als Wolken (die im streng wissenschaftlichen Sinne übrigens keine Treibhausgase sind, da kondensierter Wasserdampf, aber mit Treibhauseffekt) oder als Rauch umhertreiben. Meist sehen wir Treibhausgase nicht direkt, da ihre Partikel sich gleichmäßig verteilen, statt sich konspirativ zusammenzuballen.
Den Begriff Treibhaus können Sie wörtlich nehmen. Die Atmosphäre fungiert wie ein Gewächshaus. Sonnenlicht fällt hinein, trifft auf den Erdboden und wird reflektiert. Ein Teil gelangt direkt wieder ins All. Ein anderer wird in langwellige Wärmestrahlung umgewandelt und von den Treibhausgasen daran gehindert, ebenfalls zurück ins All zu entwischen. Stattdessen heizen sich die Treibhausgase auf und schicken uns Wärmestrahlung zurück zur Erdoberfläche, in der Fachwelt atmosphärische Gegenstrahlung genannt. Zwar erwärmt Sonnenlicht die Erde auch ohne diesen Umweg. Doch erst besagte Gegenstrahlung ermöglicht Bikini-Selfies, weil wir es dank ihr mit 15 Grad im globalen Mittel gemütlich warm haben. Ohne Treibhausgase läge die Durchschnittstemperatur der Erde bei –18 Grad, und Sie und ich wären Mikroben im Eis oder trübselig glotzende Tiefseefische – zu Höherem hätte sich das Leben wohl kaum entwickelt.
Treibhausgase sind also etwas Gutes.
Woher dann der schlechte Ruf?
Wie gesagt, vollzieht sich der natürliche Klimawandel immens langsam, jedenfalls in der Erlebniswelt flüchtiger Daseinsformen wie Menschen. Klimaperioden erstrecken sich oft über ganze Erdzeitalter. Zwar gab es schon verschiedentlich Fälle rapiden Wandels, etwa wenn der Einschlag eines Killermeteoriten das Öko- und Klimasystem auf links drehte, sonst aber könnte man den natürlichen Klimawandel übertiteln mit: Die unglaubliche Langsamkeit des Seins.
Innerhalb ausgedehnter Klimaperioden gab es immer wieder Schwankungen – kältere, wärmere Jahrtausende – und innerhalb der Schwankungen kleine und allerkleinste Schwankungen; das ist dann, wenn Opa erzählt, wie er im Winter zu Fuß den Rhein überqueren konnte. Klimaskeptiker beziehen daraus eines ihrer Lieblingsargumente. Sicher, sagen sie, es werde wärmer! Aber das seien natürliche, vorübergehende Schwankungen. Nach Phasen der Stabilität stiegen die Temperaturen eben an, dann knicke die Entwicklung plötzlich wieder ab. Weil solche Kurvenverläufe ein bisschen wie Hockeyschläger aussehen, nennt man sie Hockeyschläger-Diagramme. Richtig gelesen, belegen sie den menschengemachten Klimawandel, falsch interpretiert untermauern sie gegenteilige Behauptungen.
Was die Skeptiker vernachlässigen, ist, dass auch Hockeyschläger-Entwicklungen konkrete Ursachen haben müssen. Nichts geschieht ohne Grund. Wenn also innerhalb des Stabilitätskorridors eines Systems Schwankungen auftreten, muss etwas, das man messen kann, dafür verantwortlich sein. 1816 etwa fiel in Europa der Sommer aus. Es schneite mitten im August, Getreide wurde knapp, die größte Hungersnot des 19. Jahrhunderts nahm ihren Lauf. Am Genfer See hockte eine englische Adelsgesellschaft in ihrem Sommer-Domizil und langweilte sich bei Dauerregen zu Tode. Also beschloss man, einander zum Zeitvertreib Schauergeschichten zu erzählen. Jeder musste eine ersinnen. Die damals 19-jährige Mary Shelley schrieb ›Frankenstein‹, womit das berühmteste Monster aller Zeiten seine Existenz einer klimatischen Verschnupfung verdankt.
Aber was genau löste die Kältewelle aus?
Die Antwort fand sich auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien, wo im Vorjahr der Vulkan Tambora explodiert war – eine Eruption solchen Ausmaßes, dass sie für die nächsten drei Jahre das Weltklima veränderte. Hunderte Megatonnen Vulkanasche und Schwefel gelangten in die Atmosphäre und legten sich als Schleier, der das Sonnenlicht filterte, um den Globus. Möglicherweise waren weitere Eruptionen in Südamerika mitverantwortlich, jedenfalls zeigt dieses Beispiel eindrucksvoll, dass noch die kleinste globale Klimaschwankung auf messbare Ursachen zurückzuführen ist und es ohne Dauerregen weniger gute Bücher gäbe.
Was entgegnen wir nun Skeptikern des menschengemachten Klimawandels, wenn sie behaupten, die Erwärmung der letzten 150 Jahre sei ausschließlich natürlichen Phänomenen zuzuschreiben, weshalb wir unsere Lebensweise nicht zu ändern bräuchten? Wir kontern mit Technologie. Spätestens seit Erfindung der Satelliten sind wir in der Lage, äußerst präzise Messungen durchzuführen. Messen wir’s also nach: Welches der infrage kommenden Naturphänomene könnte für den globalen Temperaturanstieg verantwortlich sein?
Erhöhte SonnenaktivitätManche Maler, hat Picasso gesagt, verwandeln die Sonne in einen gelben Fleck, andere einen gelben Fleck dank ihrer Kunst in eine Sonne. So wie van Gogh, der Sonnen mit wilden Wirbeln und Schlieren malte, und manchmal malte er schwarze Flecken hinein. Allerhand! Woher wusste der alte Vincent von Sonnenflecken? War er am Ende gar ein Außerirdischer? Nein, aber dank seiner einzigartigen Pinselführung kam er der Wahrheit verblüffend nahe. Sonnenflecken sind kühlere Stellen, die weniger sichtbares Licht emittieren. Man sollte meinen, je mehr Sonnenflecken, desto geringer die Sonnenleistung und kühler das Sonnenwetter, doch es ist genau umgekehrt. Die kühleren Flecken gehen mit Plages einher, Sonnenregionen stark erhöhter Temperatur. Die Häufigkeit der Flecken ändert sich in Elfjahreszyklen. Je mehr Flecken also, desto höher die Sonnenaktivität (je weniger, desto geringer), und nachweislich nehmen diese Zyklen Einfluss auf unser Weltklima.
Abstand der Erde zur SonneUnser Planet umläuft die Sonne nicht auf einer perfekten Kreisbahn, sondern eiert in einer verschobenen Ellipse um sie herum. Mal ist er ihr näher, mal ferner. Es sollte also umso wärmer werden, je näher die Erde der Sonne kommt. Wird es auch. Zudem ist die Erdachse leicht geneigt, wodurch der Planet taumelt und aus unterschiedlichen Winkeln von der Sonne beschienen wird. All das sind langperiodische Veränderungen, die sich in Zyklen von 25.800 bis etwa 405.000 Jahren vollziehen – aber ja, sie haben Einfluss auf das Weltklima, wenn auch schwach, also machen Skeptiker sie für die Klimakrise mitverantwortlich.
VulkanismusVulkane sind Dreckschleudern, stimmt. Da gelangt eine Menge Kohlenstaub, Schwefel und Sonstiges in die Atmosphäre, mit teils gravierenden Folgen, wie Frankensteins Geburtsumstände zeigen. Nachweislich hat es im Verlauf der Erdgeschichte immer wieder Fälle starken Vulkanismus gegeben, die das globale Klima verändert haben.
Drei Argumente von einigem Gewicht.
Jetzt legen wir ein Diagramm an: Zeitachse von 1880 bis heute. Hinein zeichnen wir die Verlaufskurve der Erderwärmung. Sie steigt stetig an. Wenn die These der Skeptiker stimmt, müsste mindestens eine der drei oben genannten Ursachen eine ähnliche Entwicklungskurve aufweisen. Zwar verlaufen alle Kurven krakelig, mit Ausschlägen nach oben und unten wie bei Sägeblättern, allerdings ohne im Gesamten anzusteigen. Weder der Abstand zur Sonne noch die Sonnenaktivität noch Vulkanausbrüche sind demzufolge verantwortlich für den Temperaturanstieg. Tatsächlich schwächelte die Sonne im vergangenen Jahrzehnt sogar, es hätte kühler werden müssen. Das Gegenteil war der Fall. Nun fügen wir eine letzte Kurve hinzu, nämlich unsere hausgemachten CO2-Emissionen – und wie in einem guten Krimi ist der Täter entlarvt. Klimakurve und Emissionskurve zeigen denselben ansteigenden Verlauf.
Nicht alle Klimaskeptiker leugnen, dass sich das von Menschen freigesetzte CO2 in der Atmosphäre anlagert. Allerdings behaupten sie, es speichere keine Hitze. Das ist schlichtweg falsch. Nachweislich steigt die Temperatur der Atmosphäre bei gleichbleibender Wärmeeinwirkung stetig an, je mehr CO2 hineingelangt. Der menschengemachte Klimawandel ist somit Fakt, und anders als der natürliche Klimawandel, dem die Erde seit ihrer Entstehung unterworfen ist, vollzieht er sich um ein Vielfaches schneller. Während der letzten 10.000 Jahre war die Erdtemperatur bemerkenswert stabil. Mit Anbruch des Industriezeitalters haben wir