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Draußen legt sich sanft der Schnee auf die Welt. Drinnen duftet es nach Plätzchen, Zimt und Tee. Das Kaminfeuer knistert. Am Weihnachtsbaum leuchten die Kerzen. Zeit für die Weihnachtsgeschichten aus diesem Buch. Ursula Schröder nimmt den Leser mit hinein in die schönste Zeit des Jahres. Heiter, besinnlich und voller Weihnachtszauber.
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Seitenzahl: 182
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SCM R. Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7458-9 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5927-2 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
© der deutschen Ausgabe 2019
SCM Verlagsgruppe GmbH · Max-Eyth-Straße 41
71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]
Lektorat: Rebecca Schneebeli
Umschlaggestaltung: Jens Vogelsang,
Vogelsang Design | www.vogelsangdesign.de
Titelbild: pickpik.com
Autorenfoto: Dr. Paul Gerhard Schröder
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Über die Autorin
Vorwort
Stellen Sie sich vor (ca. 8 Minuten)
Fliegen auf Erden (ca. 7 Minuten)
Das ungesungene Weihnachtslied (ca. 7 Minuten)
Die Oma (ca. 5 Minuten)
Wieder mal kein Platz (ca. 5 Minuten)
Blauer Spätburgunder (ca. 4 Minuten)
Umtausch (ca. 4 Minuten)
Holz und Vorurteil (ca. 9 Minuten)
Geheime Zutaten (ca. 5 Minuten)
Schätze und Erinnerungen (ca. 5 Minuten)
Der Herr bricht ein um Mitternacht (ca. 8 Minuten)
Brief an mein Kind (ca. 5 Minuten)
Die Weihnachtspyramide (ca. 6 Minuten)
Ich bin hier nur der Praktikant (ca. 5 Minuten)
Unvollkommene Welt (ca. 5 Minuten)
Die Weihnachtspredigt (ca. 8 Minuten)
Heiligabend-Bingo (ca. 1 Minute)
Bethlehem – der Film (ca. 6 Minuten)
Weihnachten mit Tante Gertrud (ca. 6 Minuten)
Eberhard und der innere Störenfried (ca. 6 Minuten)
Der Nikolauskrieg (ca. 8 Minuten)
Das Bein des Esels (ca. 8 Minuten)
Weihnachtsgeschenke (ca. 9 Minuten)
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Ursula Schröder arbeitet nach einem Lehramtsstudium und vielen Jahren als Angestellte in einem mittelständischen Unternehmen inzwischen freiberufl ich als PR-Texterin und Romanautorin. Sie ist Mitglied einer evangelischen Freikirche im Sauerland und engagiert sich im Vorstand des sozialen Bürgerzentrums ihrer Heimatstadt. Sie ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
An Weihnachten kommt man nicht vorbei, und zwar ganz gleich, ob man es kaum erwarten kann oder die Zeit eher fürchtet. In unserer Familie ist es in erster Linie ein Anlass zur Freude: Wir haben Zeit, um miteinander zu reden und zu lachen, gemeinsam zu kochen und anschließend zu essen; es werden Filme zusammen angeschaut. Trotzdem ist immer auch ein wenig Anstrengung damit verbunden. Es soll doch schön werden!
Für mich war es jahrelang ein Stressfaktor, rechtzeitig an das Versenden der obligatorischen Weihnachtskarten zu denken – sowohl an private Adressen als auch an meine Geschäftskontakte. Bis ich eines Tages auf die Idee kam, stattdessen eine Weihnachtsgeschichte zu schreiben und per E-Mail zu verschicken. Darauf erhielt ich sehr positive Rückmeldungen und schnell wurde eine Tradition daraus. Inzwischen warten einige Empfänger schon gespannt darauf, weil sie die jährliche Geschichte regelmäßig bei Weihnachtsfeiern vorlesen.
Aber ich merkte: Diese Geschichten beschäftigen sich hauptsächlich mit den äußerlichen Elementen des Weihnachtsfestes. Dabei liegt der Kern doch ganz woanders: Gott kommt als Mensch in diese Welt, weil wir ihm wichtig sind. Deshalb soll es in den vorliegenden Geschichten nicht nur um Geschenkestress oder selbst gebackene Plätzchen gehen – auch wenn das alles vorkommt, weil es nun mal Aspekte von Weihnachten sind. Aber mir kam es darauf an, dass – egal, ob in witziger oder eher nachdenklicher Form – die Botschaft von Jesus Christus nicht verloren geht. Denn er ist der Grund, weshalb wir Weihnachten feiern. Das darf in allem Trubel nicht untergehen. Deshalb habe ich für diese Sammlung Geschichten geschrieben, die sein Kommen feiern und sein Wirken zeigen sollen – und das auf ganz unterschiedliche Weise, weil unser Leben nun mal sehr viele Facetten hat.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen!
Ihre
Ursula Schröder
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Stellen Sie sich vor, Sie haben eine feste Freundin, aber weil Sie ein anständiger Kerl sind, fassen Sie sie natürlich vor der Hochzeit nicht an. Sie planen schon die Feier, machen Überstunden und sparen auf ein eigenes Häuschen – und plötzlich muss sich das Mädchen ständig übergeben und wird ein bisschen rund um die Taille.
So ist es mir damals ergangen. Sie können sich denken, wie fassungslos ich war, als mir klar wurde, dass Maria schwanger war. Das hätte ich nie von ihr gedacht! Ich war fest davon überzeugt, dass sie mir treu ist! Dann kam mir plötzlich der Gedanke, ob ihr jemand Gewalt angetan hat und sie nur zu schockiert ist, um es mir zu erzählen. Aber ich musste das wissen, es ließ mir keine Ruhe.
Auf jeden Fall habe ich sie darauf angesprochen. Aber was ich da zu hören bekam, ging auf keine Kuhhaut. Ihr sei ein Engel erschienen, behauptete sie, und daraufhin sei sie schwanger geworden, ohne dass irgendwas passiert sei. Ich weiß nicht, was Sie gedacht hätten – aber so was kann man doch nicht glauben, oder? Ein Engel erscheint doch nicht einem einfachen, ungebildeten Mädchen in einer verschlafenen Kleinstadt. Und schon gar nicht, um ihr anzukündigen, sie würde den seit Jahrhunderten erwarteten Messias zur Welt bringen. Ich bin zwar nur ein Handwerker und kein Schriftgelehrter, aber das passt einfach nicht zusammen.
Dann fing sie auch noch an, das überall herumzuerzählen. Stellen Sie sich vor, das hätte jemand von der römischen Besatzungsmacht mitbekommen! Da wäre Maria doch ziemlich schnell in irgendeinem Knast gelandet und vielleicht nie wieder rausgekommen. Und ich womöglich gleich mit!
Na ja, ich sah da jedenfalls nur eine Lösung. Ich überredete sie, erst mal ihre Cousine Elisabeth zu besuchen, die war auch schwanger, da konnten sich die beiden doch im wahrsten Sinne des Wortes miteinander auskotzen. Und ich machte mich, so schnell ich konnte, allein auf den Weg nach Bethlehem. Ursprünglich wollten wir da gemeinsam hinreisen, um uns in die Steuerlisten einzutragen, aber mir wurde das Ganze einfach zu gefährlich. Ich sah nur eine Lösung: so schnell wie möglich Land gewinnen.
In Bethlehem war eine Menge los, wie überall im Land. Weil ich knapp bei Kasse war, heuerte ich schließlich bei einem reichen Typen aus Jaffa an, der sich gerade ein neues Haus bauen wollte. Der hatte eine ganz nette Tochter, und ich dachte, es wäre nicht die schlechteste Idee, in die Familie einzuheiraten.
Jetzt betreibe ich zusammen mit meinem Schwiegervater ein ganz einträgliches Geschäft. Meine Zukunft ist gesichert. Wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre!
Stellen Sie sich vor, was meiner besten Freundin passiert ist! Erst konnte ich es ja nicht glauben, als sie es mir erzählt hat, aber ich kenne Marie schon so lange – die würde mich nicht anlügen, das weiß ich einfach.
Also, da sitzt sie ahnungslos zu Hause und näht an ihrer Aussteuer und denkt sich nichts Böses, da erscheint plötzlich ein fremder Mann und sagt, er wäre ein Engel und hätte eine Botschaft von Gott für sie. Ich weiß gar nicht, wie sie es geschafft hat, nicht schreiend davonzulaufen! Ich hätte das bestimmt getan, wenn da plötzlich jemand auftaucht, den ich überhaupt nicht kenne, und mir solche Storys erzählt. Ich meine, es gibt ja überall Verrückte. Vor denen muss man sich schon in Acht nehmen.
Marie sagt, sie hätte zuerst auch total Angst gehabt, aber der Mann benahm sich wohl ganz zivilisiert. Nur sein Vorschlag war natürlich ziemlich schräg. Er wollte, dass sie das Kind Gottes austrägt. Vermutlich hätte ich schon in dem Moment so rumgeschrien, dass sofort meine Mutter und das ganze Gesinde zusammengelaufen wären. Aber Marie war wohl ziemlich cool und meinte nur, das käme überhaupt nicht infrage. Prinzipiell würde sie vor der Hochzeit mit niemandem ins Bett …
»Nein, nein«, unterbricht sie der Bote sofort, »darum geht es auch gar nicht! Von Verkehr war nie die Rede, das lösen wir anders!«
Aber auch darauf hat Marie ganz eindeutig reagiert. »Das lösen wir überhaupt nicht!«, hat sie ihm mitgeteilt. »Erstens bin ich keine Märchenprinzessin, sondern eine einfache Bauerstochter, die sich nicht für dumm verkaufen lässt. Und zweitens würde mir das hier sowieso niemand glauben, schon gar nicht mein Verlobter, und dann steinigen sie mich, wie das hier so üblich ist. Nein, vielen Dank, das mache ich nicht.«
Daraufhin wurde der Mann wohl sehr ernst und hat noch mal damit argumentiert, dass es sich um den Messias handle, von dem schon die Propheten gesprochen hätten, aber Marie hat sich nicht einwickeln lassen. Als sie noch einmal abgelehnt hat, ist er verschwunden, und sie ist dann bei mir vorbeigekommen, um mir das Ganze zu erzählen.
Ich habe sie natürlich bestärkt darin, dass ihre Entscheidung richtig war. Da könnte ja jeder kommen und einem etwas erzählen von alten Prophezeiungen und so, aber auf so etwas kann man doch nicht eingehen.
Das war bestimmt ganz schön heftig für Marie. Bin ich froh, dass das nicht mir geschehen ist!
Stellen Sie sich vor, Sie würden ständig nach Sachen gefragt, die sich vor Jahrzehnten zugetragen haben. Es gibt tatsächlich Leute, die meinen, ich hätte die ganze Geschichte aufschreiben sollen. Drüber nachgedacht habe ich ja. Aber irgendwann gab es kaum noch Zeitzeugen, und ich hätte schon allein meine liebe Mühe gehabt, überhaupt das korrekte Jahr der Geburt des Herrn festzustellen; dabei hasse ich Ungenauigkeit. Aber erstens fanden wir Jesus-Anhänger die Vorgeschichte längst nicht so wichtig wie die großen Leitlinien seiner Lehre, und zweitens war ich mehr als ausgelastet mit meinem Job, meiner Familie und meinen Aufgaben in der Gemeinde.
Später machten sie mir alle Vorwürfe. »Echt, Lukas«, sagen sie gelegentlich, »du als Hobby-Historiker hättest ruhig auch ein Evangelium schreiben können. Du hättest dich zum Beispiel damit beschäftigen können, wieso der Herr zwar offiziell aus Nazareth kam, tatsächlich aber in Bethlehem geboren ist. Das würde es den Theologen deutlich leichter machen, sein Werk mit den Prophezeiungen der alten Schriften in Verbindung zu bringen, damit wir die frommen Juden überzeugen können.«
»Hört bloß auf«, antworte ich dann immer. »Ich hab keinen Bock, mich um die Regierungszeiten römischer Statthalter zu kümmern oder die Frage zu klären, wieso die Eltern des Herrn sich zu seiner Geburt in Bethlehem aufgehalten haben. Wen interessiert das überhaupt?«
Dann fangen sie manchmal an rumzuspinnen, dass irgendwann die Geburt des Herrn ganz wichtig werden würde. Sie würde eine neue Zeitrechnung markieren und überall auf der Welt gefeiert werden. Dann muss ich jedes Mal lachen. Schon allein der Gedanke ist doch absurd, oder nicht?
Da konzentriere ich mich doch lieber auf mein neustes Projekt: die Geschichte der Anwendung von Heilpflanzen in Palästina. Damit ist wenigstens Geld zu verdienen, und ich muss mir auch keine Sorgen machen, dass mir vielleicht irgendwelche Beamten nachschnüffeln, weil sie Sorge haben, ich würde die falschen politischen Ansichten vertreten. Klar gehöre ich weiterhin zur Gemeinde – das ist mir schon wichtig. Aber die Lebensgeschichte unseres Herrn aufzuschreiben, nur weil ein paar Mitglieder meinen, das würde eine Rolle spielen, ist vielleicht doch etwas zu viel verlangt. Außerdem – nachdem nicht nur Johannes, sondern auch Markus und Matthäus ihre Abhandlungen veröffentlicht haben – ist der Markt meiner Meinung nach gesättigt.
Sollen sie es doch selbst machen, wenn es ihnen so viel bedeutet. Ich habe wahrlich Besseres zu tun.
Stellen Sie sich vor, die Familie wäre uns entkommen! Ich gebe zu, es war schon ein sehr ungewöhnlicher Befehl. Aber für unsere Leibgarde war klar, dass er ausgeführt werden musste, auch wenn es wirklich Dinge gibt, die wir lieber tun, als Kleinkinder zu eliminieren.
Aber genau darum ging es. Wir hatten ja die Sterndeuter schon mitbekommen, die sich vor einiger Zeit im Palast des Königs Herodes vorgestellt und nach einem neugeborenen Prinzen erkundigt hatten. Kein Wunder, dass der König beunruhigt war, als seine Bibliothekare die alten Prophetenschriften anschleppten, nach denen ein König in Bethlehem geboren werden sollte. Die politische Situation war mit der römischen Besatzung schon schwierig genug, da brauchten wir nicht noch neue Thronanwärter, die seine Macht infrage stellen könnten.
Als klar wurde, dass diese schmierigen Orientalen uns reingelegt und keineswegs vorgehabt hatten, mit neuen Informationen wieder an den Hof zurückzukehren, musste der König handeln. »Du weißt Bescheid«, sagte er zu mir als befehlshabendem Offizier. »Der Junge muss noch ziemlich klein sein. Wenn sich nicht eindeutig feststellen lässt, welches Kind es ist, dann müsst ihr halt alle liquidieren. Es geht um das nationale Interesse.«
Also rückten wir aus und führten in Bethlehem und Umgebung eine Untersuchung durch. Das war nicht einfach, weil im Zuge der Volkszählung dort auch Fremde durchgekommen waren. Der angebliche Prinz war nicht einwandfrei festzustellen, auch weil die Bewohner wie gewohnt unkooperativ waren. Da blieb uns nichts anderes übrig, als die flächendeckende Liquidation durchzuführen. Alles andere wäre Befehlsverweigerung gewesen – und das ist absolut inakzeptabel für ein Mitglied der königlichen Garde.
Nachdem wir die ersten drei oder vier Schreihälse einkassiert hatten, änderte sich die Stimmung. »Da gibt es eine Familie hinten bei den Schafställen«, teilte uns eine Mutter mit weinerlicher Stimme mit. Erstaunlich, wie mitteilsam manche Leute werden, wenn man ihrem Kind einen Dolch an den Hals drückt! »Die kamen von außerhalb. Die Frau hat in der fraglichen Zeit entbunden.«
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!«, drohte ich ihr und gab ihr das Balg zurück. »Wehe, es stimmt nicht!« Aber wir gingen der Spur nach und entdeckten tatsächlich die besagte Familie, die schon ihre Sachen gepackt hatte und sich nach Ägypten absetzen wollte. Sie taten zwar so, als wären sie es nicht, aber das kennen wir schon. Und als wir dann bei der Durchsuchung noch verdächtige Gegenstände entdeckten – ich meine, welcher normale Handwerker besitzt schon babylonische Goldstücke, echten Weihrauch und Myrrhe in Topqualität? –, da war es so was von eindeutig.
Wir liquidierten also das Kind, und weil die Eltern so rumjammerten, erledigten wir sie gleich mit. Ich meine, das war doch sinnvoll, sonst hätten sie vielleicht nächstes Jahr wieder einen Sohn bekommen, und das ganze Theater wäre von vorn losgegangen? Befehl ist Befehl! Und so konnten wir noch rechtzeitig für Ordnung sorgen. In Bethlehem kehrte wieder Ruhe ein – und am Jerusalemer Hof natürlich auch.
Herodes war zufrieden. Und wenn mein Dienstherr zufrieden ist, dann bin ich es auch.
Stellen Sie sich vor, dass jedes Jahr fast überall auf der Welt ein Fest gefeiert wird, dessen Anlass nicht klar definierbar, den Feiernden aber auch völlig gleichgültig ist. Man braucht schließlich keinen Grund zum Feiern, sondern nur einen Termin. Wichtig ist allein das Event selbst, bei dem natürlich bestimmte Symbole mit Wiedererkennungseffekt vorkommen müssen, unter anderem Lichter in jeglicher Form, ein Nadelbaum, niedliche Engelchen, stimmungsvolle Musik und natürlich gutes Essen.
Je nach Geschmack wird für verschiedene Gruppen ein spezieller Schwerpunkt gesetzt. Für von ihrer Arbeitswelt gestresste Personen wird vor allem der Erholungswert der Feiertage betont: Sie nehmen gern die Möglichkeit in Anspruch, diese Zeit für Urlaubsreisen zu nutzen oder einfach mal auszuspannen. Für Harmoniebedürftige wird der Begriff »Familienfest« in den Mittelpunkt gestellt. Das Angebot neuer Produkte als Kaufanreiz für Geschenke hat sich in diesem Zusammenhang seit Langem bewährt. Auch eine breite Palette von Dekorationsmöglichkeiten ergänzt das: Unterschiedlichste Arten von Baumschmuck, Adventsgestecken, Kerzen und Zierartikeln für Heim und Garten bedienen alle Geschmacksrichtungen und verleihen jedem Wohnstil die passende Festtags-Atmosphäre.
Abhängig von der individuellen Weltsicht bieten sich auch inhaltlich diverse Ausschmückungen. Sehr beliebt ist eindeutig die Variante »Weihnachtsmann«, bei der ein gutmütiger älterer Herr auf einem Schlitten Wünsche erfüllt, dicht gefolgt von der »Engel«-Thematik, bei der die Wunscherfüllung eher auf nicht materielle Schlüsselwörter wie »Glück« oder »Erfolg« ausgerichtet ist. Traditionsbewusste schätzen nach wie vor die sozialkritische Version, bei der beispielhaft eine heimatlose Familie Unterschlupf in einem Stall findet und von unterprivilegierten Mitbürgern unterstützt wird. Augenblicklich arbeiten internationale Marketingspezialisten aber auch an neuen Motiven, die dem aktuellen Trend zum Übersinnlichen durch Vampire, Werwölfe oder andere paranormale Phänomene Rechnung tragen. Voraussichtlich werden sie nächstes Jahr pünktlich vor dem Fest vorgestellt, um auch die Konsumenten zu erreichen, für die das Jahresend-Fest bisher noch nicht die gewünschten Themen bieten konnte.
Es hätte alles ganz anders sein können. Stellen Sie sich das mal vor!
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Unsere Eltern waren ein liebevolles Paar, das es grundsätzlich schaffte, nach christlichen Grundsätzen zu leben und Meinungsverschiedenheiten in Ruhe zu klären. Nur wenn es um den Mantel ging, wurde es schwierig.
Der Mantel (einer näher eingrenzenden Beschreibung bedurfte es bei uns zu Hause nicht) war ein dunkelgrüner Lodenmantel, den mein Vater von seinem Vater geerbt hatte. Der Stoff war von einer Qualität, die vermutlich auch eine nukleare Katastrophe überstehen würde, und nie hatte eine Motte gewagt, sich diesem Kleidungsstück auch nur zu nähern.
»Der wird mich noch überleben«, behauptete Vater und trug das Kleidungsstück nicht ohne Respekt, und wir fragten uns gelegentlich mit gemischten Gefühlen, auf wen von uns drei Kindern das traditionsreiche Stück übergehen würde.
Wenn unsere Mutter ihn nicht vorher entsorgte, denn sie hasste den Mantel von ganzem Herzen. Sie war ansonsten keine abergläubische Frau, aber sie vermutete, dass gewisse unerwünschte Eigenschaften ihres Schwiegervaters auf jede Person übergingen, die ihn trug – vornehmlich seine Unkonzentriertheit in lebenspraktischen Fragen. Opa Albrecht war in jeder Hinsicht der typische »zerstreute Professor« gewesen, eine anerkannte Koryphäe in seinem Labor, aber völlig hilflos, wenn es darum ging, die Hecke zu schneiden oder die Reifen am Auto zu wechseln. Als Vater den Mantel nach Opas Tod vom Dachboden holte, so erzählte Mutter gelegentlich, hätte sich in der Außentasche ein versteinertes Butterbrot befunden, und je nach Laune und Fantasie erweiterte sie die Beschreibung noch um Lebensmittelmarken aus der Nachkriegszeit oder ein Original-Autogramm von Justus von Liebig. Dennoch war Vater durch nichts dazu zu bewegen, das Kleidungsstück abzugeben. Gerade die Taschen mit ihrer Vielzahl und ihrem Stauraum faszinierten ihn.
»So was wird heute gar nicht mehr hergestellt«, schwärmte er. »Wer so einen Mantel hat, der braucht sonst nichts mehr an Tüten und Gedöns.«
»Dann muss ich ja aufpassen, dass ich nicht auch eines Tages darin verschwinde«, sagte Mutter und zog ein Gesicht.
»Ich weiß gar nicht, was du hast, Sonja«, meinte er verständnislos. »Ich trage den auch nur in der Freizeit. Aber er ist halt so praktisch und hält jedes Wetter ab.«
Auch wir konnten uns des Eindrucks nicht erwehren, dass der Mantel seinen Träger negativ beeinflusste. Wie anders wäre es zu erklären, dass Vater – sonst ein sehr umsichtiger Mann – Mutter im Keller einsperrte? Sie hatte ihn gebeten, den Riegel an der Kellertür festzuschrauben, und war dann in die Waschküche gegangen. Er wiederum hatte sich alle notwendigen Werkzeuge in die Manteltasche gesteckt, die Reparatur durchgeführt, den Riegel ordnungsgemäß vorgeschoben und war dann Getränke kaufen gefahren. Als wir Mutter eine Stunde später vermissten und befreiten, war sie verständlicherweise stinksauer und rächte sich auf ihre Weise. Vater hatte sich Sauerkraut gewünscht, mit Kartoffelpüree. Aber statt die Milch, mit der sie das Püree anrührte, wie üblich mit Wasser zu verlängern, verwendete sie Rote-Bete-Saft, sodass wir eine rosafarbene Pampe auf dem Teller hatten.
»Was ist denn das?«, fragte er irritiert.
»Ich weiß auch nicht«, antwortete sie mit gespielter Unschuld. »Vielleicht ist es Kartoffelbrei, vielleicht auch Einhorn-Kotze. Ich kann es nicht sagen, ich war ja im Keller eingesperrt.«
Wir Kinder fanden es ziemlich lustig, Vater hingegen musste sich sehr überwinden, daraufhin seinen Teller leer zu essen, wie er es immer von uns verlangte. Aber da er sich weigerte, einen Zusammenhang zwischen dem Vorfall und dem Mantel herzustellen, änderte das nichts an seiner Liebe zu dem guten Stück.
Bis zu dem Weihnachtsfest mit den Fliegen. Schon im Vorfeld hatte Mutter ihn erinnert, neue Birnchen für die Weihnachtsbaumbeleuchtung zu besorgen. Bei uns war es üblich, den Baum bereits am vierten Advent aufzustellen und zu schmücken, weil unser Programm am Heiligabend dafür nicht genügend Zeit ließ, und so begann sie um den zweiten Advent herum mit den Vorbereitungen. Dazu gehörte das Überprüfen der Lichterkette, die nur brannte, wenn alle Lämpchen intakt waren.
»Wo sind die Ersatzbirnchen, Rudi?«, fragte sie Vater.
»Die habe ich gestern mitgebracht«, sagte er. »Vermutlich liegen sie auf dem Schränkchen im Flur.«
»Da liegen sie nicht«, widersprach Mutter. »Und in der Kiste mit der Weihnachtsdeko sind sie auch nicht.«
»Ich könnte schwören, dass ich im Baumarkt welche gekauft habe«, versicherte Vater. »Aber ich kann auch morgen noch mal welche holen.«
Eine Woche später fragte sie erneut nach den Birnchen. Und wieder behauptete Vater, er hätte längst welche besorgt, die sich dann aber nicht auffinden ließen. Schließlich war Mutter so entnervt, dass sie sich selbst auf den Weg machte und Ersatzbirnchen kaufte, denn inzwischen war es höchste Zeit – und ein Baum ohne Lichter, das ging schließlich gar nicht.
Die Sache ging aber nicht ganz spurlos an der ehelichen Stimmung vorbei, zumal auch mein Vater plötzlich begann, die ganze Wohnung abzusuchen. Das Schränkchen im Flur wurde beiseitegerückt, der Kleiderschrank durchwühlt, mit einem Besenstiel unter den Schränken gestochert.
»Was machst du da, Rudi?«, fragte Mutter argwöhnisch, als sie ihn dabei überraschte.
»Ich? Äh – nichts«, stotterte er. »Ich suche meine Lesebrille.«
»Unter dem Gläserschrank?«, fragte sie und zog sie mit einer eleganten Bewegung aus seiner Hemdtasche. »Hier, bitte sehr. Vielleicht findest du ja nun auch die Weihnachtsbaum-Birnchen, die du gekauft hast.«
»Hör auf, auf mir rumzuhacken«, knurrte er. »Ich habe welche gekauft. Glaub es mir einfach.«
»Und wo sind sie dann?«
Darauf hatte leider keiner von uns eine Antwort.
Der vierte Advent kam, und wir stellten den Weihnachtsbaum auf, zum Glück und dank Mutters Eingreifen mit kompletter Beleuchtung. Die Stimmung war weiterhin kritisch. »Ich bin mir sicher, dass ich welche gekauft habe«, war Vaters Mantra. Und Mutter bemerkte dann spöttisch: »Natürlich, aber wo sind sie?«
Drei Tage später war Heiligabend. Oma wurde aus Marburg geholt, Geschenke mussten verpackt und das aufwendige Weihnachtsessen vorbereitet werden. Es war hektisch wie immer. Kurz bevor wir zum traditionellen Gottesdienst aufbrechen wollten, flog ein fetter schwarzer Brummer an uns vorbei. »Wo kommt der denn her?«, fragte Oma. »Das ist ja ungewöhnlich, mitten im Winter.«
Aber wir dachten uns noch nichts dabei.
Nach dem Gottesdienst gingen wir wie immer zu Matuschewskis, unseren Nachbarn. Seit Jahren war es üblich, dort ein Glas Sekt zu trinken und kleine Geschenke auszutauschen. Dann kehrten wir nach Hause zurück und deckten gemeinsam den Tisch. Inzwischen surrten schon mindestens fünf dicke Fliegen durch das Wohnzimmer.
»Das ist ja ekelhaft«, meinte Mutter. »Rudi, such doch mal die Fliegenklatsche.«