KGI - Blutiges Spiel - Maya Banks - E-Book

KGI - Blutiges Spiel E-Book

Maya Banks

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Beschreibung

Nach einem katastrophalen Einsatz, bei dem Garrett Kelly angeschossen wurde, hat er das Militär verlassen. Als die CIA ihn bittet, die junge Sarah Daniels zu beschatten, übernimmt er den Auftrag nur zu gern. Denn Sarah ist die Schwester des Mannes, der Garrett verletzt hat und den er unbedingt hinter Gitter bringen will. Doch seine Gefühle für Sarah stürzen ihn schon bald in große Verwirrung.

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Seitenzahl: 535

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MAYA BANKS

KGIBLUTIGES SPIEL

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Katrin Mrugella

Zu diesem Buch

Sarah Daniels’ Leben liegt in Trümmern: Nachdem ihr von ihrem Boss Gewalt angetan wurde, hat sie sich einzig ihrem Halbbruder Marcus Lattimer anvertrauen können. Jetzt versucht sie, sich langsam aber sicher in die Normalität zurückzukämpfen und die Narben auf ihrer Seele heilen zu lassen. Marcus, der immer schon auf der falschen Seite des Gesetzes steht, will das, was seiner Schwester angetan wurde, rächen und ermordet Sarahs Boss kaltblütig. Sarah wird Zeugin dessen – und findet keinen anderen Ausweg, um sich selbst und ihren Bruder zu schützen, als das Land zu verlassen und sich auf einer abgelegenen Insel versteckt zu halten. Doch die CIA hat sie aufgespürt und will Sarah nutzen, um Lattimer das Handwerk zu legen. Und bis das gelungen ist, soll Garrett Kelly – ehemaliger Soldat und nun Mitglied des KGI-Teams – die junge Frau überwachen! Der wortkarge Agent hat jedoch selbst noch eine Rechnung mit Marcus offen: Er ist der Mann, der Garrett einst verraten hat. Garrett sieht nun seine Chance gekommen, der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Aber als er auf der Insel Sarah das erste Mal begegnet, bringt die verletzliche Schönheit seine Gefühle gehörig ins Schleudern. Und schon bald muss er sich entscheiden, ob er Herz oder Pflicht den Vorrang gibt …

Für Cindy Hwang, für ihre unendliche Geduld

mit diesem Buch und mit mir, während ich mich abrackerte, es richtig hinzubekommen.

Für Kim Whalen, die mich jederzeit unterstützt und

mir immer wieder empfiehlt, mich nicht zu stressen.

Ich tue es dennoch, aber dank dir ist alles viel leichter.

Danke.

Für meine Leserinnen Annmarie, Valerie, Fatin und Lillie. Ihr seid die Besten. Ich habe euch wirklich nicht verdient.

Und schließlich für T.J., der mit mir durch alle Höhen und Tiefen geht und mich stets aufmuntert und unterstützt,

wenn ich es am meisten brauche. Ohne dich würde ich es nicht schaffen, ehrlich. Du bist der wichtigste Teil meines Lebens und meiner Karriere. Ich werde dich immer lieben.

1

Es gab unzählige Männer, die von Marcus Lattimer jeden Auftrag angenommen und erledigt hätten. Im Laufe seines Lebens hatte er ein Vermögen angehäuft und jede Menge Verbindungen geknüpft, den Großteil davon hart am Rand der Legalität. Die Männer, die Lattimer direkt beschäftigte, waren ihm absolut treu ergeben – mit weniger würde er sich auch nicht zufriedengeben –, aber er selbst traute niemandem bedingungslos.

Bei manchen Aufträgen … da ging es um persönliche Genugtuung. In diesem Fall handelte es sich um eine Frage der Ehre. Manche Leute würden einwenden, Marcus besäße keine. Und nach objektiven Maßstäben hätten sie auch recht. Aber er war einem unerschütterlichen Treuegelöbnis verpflichtet. Wichtig war, was er unter Ehre verstand.

Allen Cross war ein arrogantes, parasitäres Arschloch. Die Welt wäre ohne Ungeziefer wie ihn besser dran, und Marcus war entschlossen, sich an diesem Tag darum zu kümmern.

Er schraubte den Schalldämpfer auf und steckte sich die Pistole in den Hosenbund. Dann knöpfte er das Jackett seines Armani-Anzugs zu, stieg aus dem Wagen aus und befahl dem Fahrer zu warten. Ohne Eile schritt er auf den Eingang des Hochhauses zu, in dem Cross Enterprises seinen Geschäftssitz hatte. Es dämmerte bereits, die Lichter der Stadt flimmerten im Halbdunkel, und die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos huschten an den Hauswänden entlang.

Auf den Straßen herrschte kaum noch Verkehr, und das geschäftige Treiben der Horden von Angestellten, die wie ein beständiger Strom das Gebäude betraten oder verließen, war versiegt. Wenige Meter vom Eingang entfernt blieb Lattimer kurz stehen und schaute auf die Uhr. Der Wachmann, der am Wochenende hier seinen Dienst tat, war ein Familienmensch, und wie die meisten Familienmenschen hatte auch er Schulden, nicht viele, aber genug, um nur mit Mühe über die Runden zu kommen.

Ab morgen würde der Wachmann keine finanziellen Sorgen mehr haben. Dafür hatte Marcus gesorgt. Gerade in diesem Moment legte der Wachmann eine Pause ein, und kurz darauf würden die Überwachungskameras versagen.

Für Geld war vieles zu haben. Loyalität. Illoyalität. Ein zugedrücktes Auge. Eine kurzzeitige Ablenkung. Fünfzehn Minuten reichten Marcus, um die Welt von Allen Cross zu befreien.

Cross war ein Gewohnheitstier. Er kam jeden Samstagabend um sieben und blieb bis neun Uhr. Dann stand der Abholservice bereit und brachte ihn zu einem Restaurant zehn Blocks entfernt. Er genoss ein paar einsame Stunden, in denen er sich um Papierkram kümmerte. Sein größter Genuss jedoch bestand darin, ungestraft eine hilflose Frau zu quälen.

Marcus’ Kiefermuskeln verspannten sich vor Wut. Vorhersehbarkeit konnte einen Menschen töten. Und Cross würde das schon bald erfahren.

Marcus fuhr mit dem Aufzug in den zwanzigsten Stock und trat auf den mit billigem italienischem Marmorimitat ausgelegten Flur. Als er den Empfangsbereich durchquerte, waren seine Schritte so gut wie nicht zu hören.

Die Tür zu Cross’ Büro war angelehnt. Aus dem Spalt drang mattes Licht. Marcus drückte die Tür lautlos auf. Cross saß hinter seinem Schreibtisch, zurückgelehnt in seinem Sessel, hielt ein Glas Wein in der Hand und las ein Bündel Papiere durch.

Marcus beobachtete ihn. Geduldig wartete er, bis seine Beute erkannte, dass die Jagd auf sie eröffnet war.

Nach einem Moment stellte Cross das Glas ab und beugte sich vor. Plötzlich hielt er inne, sein Kopf hob sich ruckartig, als er Marcus erblickte. Von Panik erfüllt riss er die Augen auf, dann hatte er sich wieder im Griff und verzog den Mund zu einem höhnischen Grinsen.

»Wer sind Sie, und was zum Teufel machen Sie in meinem Büro?«

Marcus schlenderte auf ihn zu. Mit ausdruckslosem Gesicht knöpfte er sein Jackett auf. Cross sprang auf, seine Hand fuhr zu der Sprechanlage auf seinem Schreibtisch.

»Verschwinden Sie, oder ich rufe den Sicherheitsdienst.«

Marcus lächelte. »Ich glaube, der ist momentan unabkömmlich.«

Ein Anflug von Unbehagen huschte über Cross’ Miene. Immer noch lächelnd zog Marcus die Pistole. Sie lag gut in der Hand. Er genoss das Gefühl, wie der Schlitten über seinen Daumen glitt. Er entsicherte die Waffe und zielte auf Cross’ Brust.

»Sterben Sie lieber im Sitzen oder im Stehen?«

Cross wurde kreidebleich. Er taumelte, seine Hände fielen auf die glatt polierte Mahagoniplatte seines Schreibtischs.

»Was wollen Sie?«, krächzte er. »Geld? Ich habe Geld. Sagen Sie einfach, wie viel. Alles. Ich gebe Ihnen alles, was sie wollen.«

Verächtlich zuckte Marcus’ Mundwinkel. »Sie könnten sich nicht einmal meine Schuhe leisten.«

Sein Finger drückte fester auf den Abzug. In Cross’ Augen konnte er das Entsetzen sehen, das die Erkenntnis auslöste, dass er sterben würde.

Cross stürzte zur Seite. Das Geräusch der Kugel, als sie seine Brust durchschlug, hallte von den Wänden des geräumigen Büros wider. Cross schlug auf dem Boden auf, die Arme in seiner Verzweiflung ausgestreckt. Blut sickerte durch das weiße Seidenhemd, immer mehr, je heftiger er nach Atem rang.

Wie sehr Marcus dieses Schwein auch möglichst langsam sterben sehen wollte, er musste die Sache nun zu Ende bringen. Er hob die Waffe und zielte genau zwischen Cross’ Augen. Dieser hatte die Ausweglosigkeit erkannt und akzeptierte seinen Tod. Marcus drückte ab und ging, zufrieden, dass der Gerechtigkeit Genüge getan war.

Das Taxi blieb abrupt vor dem Gebäude stehen, in dem Sarah Daniels sechs Monate lang gearbeitet hatte. Seit einem Jahr war sie nicht mehr dort gewesen. Der bloße Gedanke, das Firmengebäude von Cross Enterprises zu betreten, machte sie buchstäblich krank.

Sie warf dem Taxifahrer einen Zwanzigdollarschein hin und ignorierte dessen Angebot, ihr den Rest herauszugeben. Unbeholfen öffnete sie die Tür und eilte auf das Hochhaus zu.

Die Eingangshalle war leer. Der Wachmann war nicht auf seinem Posten. Kam sie zu spät? Was hätte sie dem Mann überhaupt sagen wollen? Dass ihr Bruder auf dem Weg hierher war, um Stanley Cross zu töten?

Sie rannte zum Aufzug, hämmerte auf den Aufwärts-Knopf und betete insgeheim, dass er im Erdgeschoss sein möge. Mit einem erleichterten Stoßseufzer zwängte sie sich durch die aufgleitenden Türen.

Sie drückte den Knopf zum zwanzigsten Stock und danach wiederholt den Knopf, um die Tür zu schließen.

Schnell. Schnell. Schnell.

Sie musste es rechtzeitig schaffen. Sie würde Marcus aufhalten.

Dumm. Strohdumm.

Sie hätte es wissen müssen. Sie hatte die Wut in Marcus’ Augen gesehen. Äußerlich war er viel zu ruhig gewesen und viel zu gefasst, als er ihr mitteilte, dass er sie fortbringen würde. Sie hatte nicht widersprochen. Sie hatte ihm alle Entscheidungen überlassen. Sie hatte nicht einmal gewusst, wohin die Reise ging, nur dass Marcus’ Privatjet voll aufgetankt auf sie wartete.

Endlich war sie oben. Sie lief in den Empfangsbereich und auf Allens Büro zu. Die Tür stand weit auf. Sie sah Marcus von der Seite, wie er soeben die Pistole wieder in den Hosenbund steckte.

Entsetzt sah sie Allen Cross auf dem Boden liegen mit blutbeflecktem weißem Hemd.

Sie hob die Hand zum Mund und trat rasch zurück.

Oh Gott. Oh Gott. Oh Gott.

Sie kam zu spät. Sie hatte es nicht rechtzeitig geschafft.

Allen war tot. Marcus hatte ihn ermordet.

Oh Gott.

Ihr wurde übel. Beinahe wäre sie auf ihrem langsamen Rückzug über die eigenen Füße gestolpert. Sie musste fort von hier. Bald würde die Polizei auftauchen. Oder? Kein Mensch konnte doch so einfach in ein Bürogebäude hineinspazieren und jemanden erschießen.

Sie drehte sich um und lief zum Lift. Sie betete, dass er noch da war, denn am Wochenende waren immer mindestens zwei der Aufzüge außer Betrieb. Blieben auf dieser Seite des Hochhauses immer noch zwei, die funktionieren sollten.

Sie drückte den Daumen auf den Abwärts-Knopf und hielt den Atem an. Notfalls würde sie die Treppe nehmen. Die Tür glitt auf, und sie stolperte hinein. Sie hämmerte auf den Knopf zum Erdgeschoss und drehte sich in dem Moment um, als die Tür zuging. Nur wenige Meter entfernt von ihr stand Marcus mit erstarrter Miene.

»Sarah …«

Die Tür war zu und schnitt ihm das Wort ab. Der Aufzug fuhr nach unten. Sarahs Magen rebellierte.

Sie war nicht in der Lage zu verarbeiten, was sie gerade gesehen hatte. Marcus hatte Allen Cross getötet. Sie spürte nicht das geringste Bedauern. Nur Angst. Angst um Marcus. Wie konnte er nur annehmen, mit einer derart dreisten Tat ungestraft davonzukommen?

Der Aufzug hielt, und sie stemmte sich gegen die Tür, als ginge sie dadurch schneller auf. Kopfüber stolperte sie in den Empfangsbereich und hatte Mühe, nicht der Länge nach hinzufallen. Gerade hatte sie sich gefangen, da schloss sich eine Hand um ihren Arm und riss sie herum.

»Was zum Henker tust du hier?«

Ihr stockte der Atem, denn sie sah sich dem leibhaftigen Teufel gegenüber.

Stanley Cross, Allens Bruder, packte sie so fest, dass sie vor Schmerz schrie. Aus seinen Augen sprühte die blanke Wut, eine Warnung, wozu dieser Mann fähig war. Doch das wusste sie nur zu gut.

Ein Schluchzer entrang sich ihrer Kehle. Dieser Mann hatte sie das ganze letzte Jahr in ihren Albträumen heimgesucht. Seit jener Nacht in Allens Büro war sie ihm nicht mehr persönlich begegnet, jener Nacht, in der er und Allen ihr Leben für immer verändert hatten. Sie hätte nie geglaubt, dass sie je einen Menschen so hassen könnte wie diese beiden.

Die Angst lähmte sie eine halbe Ewigkeit. So kam es ihr zumindest vor. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihr Magen spielte verrückt, dass sie sich fast auf Stanleys Schuhe übergeben hätte.

»Ich habe dich was gefragt«, schnauzte er sie an. »Was hast du hier zu suchen?«

Herr im Himmel, er würde Allens Leiche finden und glauben, sie hätte ihn ermordet. Oder schlimmer noch: Er würde Marcus entdecken, und dann würde ihr Bruder ins Gefängnis wandern. Stanley könnte bezeugen, dass sie beide am Tatort waren. Und auch wenn sie selbst nicht angeklagt würde, könnte man sie zwingen, gegen Marcus auszusagen.

Plötzlich packte sie der Mut der Verzweiflung. Wie ein Tornado wirbelte der Zorn in ihr hoch. Sie rammte Stanley ihr Knie in den Unterleib, sodass er vor Schmerz aufjaulte und sich zusammenkrümmte. Dann ballte sie die Hand zur Faust, holte aus und schlug zu, so fest sie konnte.

Sie traf ihn am Kinn, und er ging zu Boden.

Während er sich mühsam wieder aufrappelte, rannte sie zum Ausgang, stürmte auf die Straße und in die Nacht hinaus. Ein Taxi, dessen Bereitschaftslicht schon ausgeschaltet war, kam um die Ecke, sie sprintete auf die Fahrbahn und streckte den Arm aus, um es aufzuhalten. Mit quietschenden Bremsen kam der Wagen kurz vor ihr zum Stehen. Der Fahrer hielt die erhobene Faust aus dem Fenster und schickte einen Schwall von Obszönitäten hinterher.

Sarah ignorierte dessen Empörung, riss die hintere Tür auf, warf sich auf die Rückbank und knallte die Tür hinter sich wieder zu. »Fahren Sie los!«

Der Taxifahrer warf ihr im Rückspiegel einen bösen Blick zu, drückte dann aber aufs Gaspedal, während er etwas von verrückten Weibern murmelte. »Lady, ich bin nicht mehr im Dienst.«

»Es wird sich für Sie lohnen, aber fahren Sie bitte zu.«

Entnervt seufzte er. »Und wohin?«

Sie schloss die Augen, um sich zu sammeln. Wohin konnte sie gehen?

Denk nach. Allmächtiger, was machte man bloß in so einer Situation?

Sie starrte auf die Handtasche, die ihr quer über die Schulter hing. Sie hatte Bargeld dabei, ihren Pass, eine Kreditkarte, den Führerschein. In ihre Wohnung konnte sie wohl kaum zurück. Inzwischen hatte Stanley bestimmt die Leiche seines Bruders gefunden und die Polizei verständigt.

Denk nach, Sarah, denk nach!

»Zum Flughafen«, presste sie schließlich heraus.

Ihr Handy klingelte plötzlich, und sie zuckte zusammen. Hektisch wühlte sie in der Handtasche, zog es heraus und schaute aufs Display. Marcus.

Ihr stiegen die Tränen in die Augen. Ihr Bruder. Der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der sie liebte. Er war alles, was sie hatte, und nun hatte er für sie getötet.

Sie nahm den Anruf an und hob das Handy ans Ohr.

»Sarah«, bellte Marcus los, bevor sie auch nur »Hallo« sagen konnte.

»Marcus«, krächzte sie.

»Sarah, Liebes, wo steckst du?«

»Spielt keine Rolle. Ich kann nicht … Wir können nicht … Ich muss weg. Ich gehe fort.«

Sie plapperte Unsinn, aber es kümmerte sie nicht.

»Sarah, hör auf damit. Hör mir zu.«

»Nein.« Sie schnitt ihm das Wort ab. Ihre Stimme klang wieder gefasster. »Ich muss fort. Verstehst du das nicht? Sie werden es herausfinden. Sie werden wissen, dass ich dich gesehen habe. In dem Gebäude gibt es Überwachungskameras. Sie brauchen bloß das Band abspielen, dann wissen sie, dass wir beide da waren. Du musst von hier verschwinden, Marcus. Schnell. Und ich verschwinde auch.«

»Sarah, verdammt noch mal, jetzt hör mir doch zu.«

Sie klappte das Handy zu und schaltete es ab, damit er sie nicht erneut anrufen konnte. Dann lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie fliehen oder was sie tun sollte, wenn sie erst einmal irgendwo war, aber hier konnte sie nicht bleiben. Sie durfte niemals zurückkehren.

»Es tut mir so leid, Marcus«, sagte sie leise zu sich selbst. »Ich hätte diejenige sein sollen, die ihn tötet.«

Garrett Kelly erwachte schlagartig. Seine Muskeln waren verspannt, Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er atmete stoßweise. Einen Moment lang blieb er liegen, sein zielloser Blick wanderte zum Fenster. Draußen war es noch dunkel.

Explosionen dröhnten in seinen Ohren. Das Stakkato der Gewehrschüsse ließ ihn zusammenzucken, und der Geruch von Blut und verbranntem Fleisch attackierte seine Nase. Er bekam kaum noch Luft.

Großer Gott.

Er schüttelte den Kopf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Als er den Arm hob, protestierte seine Schulter. Ungeduldig knurrte er den Schmerz an, der ihn immer noch plagte. Dann rollte er sich herum und setzte sich auf. So verharrte er eine Weile, mit hängendem Kopf, und schnappte nach Luft wie ein Schlappschwanz in der Grundausbildung, der nach einem Zwei-Meilen-Lauf kurz davor war sich zu übergeben.

Es machte ihn wütend, wenn die Erinnerungen auf diese heimtückische Art über ihn herfielen. Die Bilder, die seinen Schlaf unterbrochen hatten, waren ihm lange Zeit erspart geblieben. Seit er jedoch eine Kugel abbekommen hatte, die seiner Schwägerin gegolten hatte, waren seine Schlafschwierigkeiten aus irgendeinem Grund zurückgekehrt. Sein Bewusstsein schien nun empfänglicher für Dinge zu sein, die er verdrängt hatte.

Er schaute zur Uhr. Sich noch mal hinlegen, lohnte nicht. In einer Stunde würden ohnehin alle auf sein. Vielleicht würde ihm eine Joggingrunde helfen, seine Gedanken zu ordnen und seinen Kreislauf wieder richtig in Schwung zu bringen.

Seufzend stellte er sich unter die Dusche und drehte das Wasser auf kalt, um die Spinnweben im Hirn und den Geruch von Blut loszuwerden. Nachdem er sich abgetrocknet und angezogen hatte, ging er leise den Flur entlang und zur Haustür hinaus.

Es war immer noch finster, als er über die gewundene Straße lief, die parallel am See entlangführte. An diesem Morgen rannte er weiter als üblich, um den Rahmen seiner normalen Routine zu sprengen. Immer noch hörte er die Explosionen und die Schreie seiner Kameraden. Kurz schloss er die Augen und beschleunigte dann, bis seine Lungen kreischten und er Seitenstechen bekam.

Es war vorbei. Schon seit einer Ewigkeit. Er musste darüber hinwegkommen. Er hatte es doch schon hinter sich gelassen. Dieser sogenannte Erholungsurlaub war komplett für die Katz. Er wurde nur faul und bequem. Scheiße. Er wollte wieder zurück ins Geschäft. Eine Mission. Eine Beschäftigung. Nicht immer nur Freizeit.

Als er wieder beim Haus ankam, lief er auf dem Zahnfleisch. Der Himmel hatte sich etwas aufgehellt, ein diamantgroßer Stern hielt sich hartnäckig über dem See. Er stand auf dem Steg, schaute über das Wasser, dessen spiegelglatte Oberfläche nicht durch das kleinste Kräuseln getrübt wurde, und atmete die saubere, abgasfreie Luft ein.

Er sog den Frieden, der sein Zuhause und den geliebten See umgab, regelrecht in sich auf, bis der Lärm der Vergangenheit leiser wurde und schließlich verhallte.

2

Beim letzten Klimmzug tropfte Garrett der Schweiß von der Stirn. Er hielt sich oben, das Kinn über der Stange, bis seine Muskeln schmerzten und die Schulter zu brennen begann. Auch dann noch biss er die Zähne zusammen und ließ sich erst zu Boden fallen, als seine Arme zitterten. Sofort griff er sich an die Narbe an der Schulter.

Das Gefühl, nicht hundertprozentig fit zu sein, stellte seine Geduld auf eine harte Probe. Er kniete sich hin und startete eine Serie von Liegestützen. Er konzentrierte sich nur auf einen Gedanken: seine völlige Genesung – ein Prozess, der für seinen Geschmack schon viel zu lange dauerte.

Nach dem Lauf gestern früh und einem ganzen Tag voller Training hatte er vergangene Nacht ein wenig besser geschlafen. Doch die Bilder aus seinen Träumen peinigten ihn nach wie vor. Eine ganze Zeit lang hatten ihn die Träume nicht mehr heimgesucht, jetzt aber drängten sie plötzlich mit Macht wieder in sein Bewusstsein vor.

»Hey, Mann.«

Garrett streckte die Arme durch, um seine Position zu halten, und drehte den Kopf. Donovan stand in der Kellertür.

»Wieso störst du mich beim Training?«

»Resnick hat seinen Besuch angekündigt. Er müsste jeden Moment eintreffen.«

Seufzend sprang Garrett auf die Füße und stand auf. Er schnappte sich das Handtuch von der Couch und trocknete sein Gesicht ab. »Was will er denn?«

»Hat er nicht gesagt. Aber du kannst dir ja denken, dass er etwas von uns will, sonst würde er nicht herkommen.«

»Wofür hat man eigentlich das Telefon erfunden?«

Donovan lachte. »Ich bin in der Einsatzzentrale. Ach, nur zur Warnung: Sophie wütet in der Küche.«

Garrett stöhnte. Bei seiner schwangeren Schwägerin war letzte Woche der Nestbautrieb ausgebrochen. Erst hatte sie alles von oben bis unten geputzt, und seither kochte sie so viel Essen, dass sie noch einen Weltuntergang überstehen würden.

Seit sie mit Sam verheiratet war, hatte sie jeden verdonnert, genügend Zeit im Kreis der Familie zu verbringen. Und da sie jetzt ihre Familie waren – wie sie bei jeder Gelegenheit betonte –, verlangte sie von ihnen, dass sie auch gemeinsam aßen wie eine Familie, was bedeutete: alle an einem Tisch, und zwar pünktlich. Als einzige Entschuldigung, eine Mahlzeit zu verpassen, wurde die Einweisung ins Krankenhaus akzeptiert.

Garrett und seine Brüder machten ihr die Freude, weil sie ihr ganzes Leben lang kein richtiges Familienleben gehabt hatte. Angesichts der Vielköpfigkeit der Kelly-Familie war sie zunächst überwältigt und zurückhaltend gewesen, doch dann hatte sie alle ins Herz geschlossen und mit größter Selbstverständlichkeit ihr neues Leben angefangen.

Als er die Kellertreppe hochstieg, rollte er mit der Schulter, um zu testen, wie sich die Verletzung anfühlte. Aus dem Krankenhaus war er schon vor Monaten entlassen worden, aber sie war immer noch nicht zu seiner Zufriedenheit verheilt. Wenn er regelmäßig trainierte, spürte er nur noch Restschmerzen, aber wenn er länger als einen Tag aussetzte, wurde die Schulter sofort steif.

Er ließ immer noch den Arm kreisen, als er in die Küche trat. Sophie schaute vom Herd hoch und zog die Stirn in Falten. »Macht dir die Schulter immer noch Kummer?«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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