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Sawyer "Fender" Huntington hatte schon immer den brennenden Wunsch, aus der Kleinstadtwelt zu entkommen, in der er aufgewachsen war. Er träumte von Ruhm, von ausverkauften Konzerten und Fans, die seinen Namen in ekstatischem Chor rufen. Doch die einzige, die er mehr liebte als die Musik, war Jo – seine Muse, seine Leidenschaft, seine alles verzehrende Liebe. Doch dann kam der Verrat, der alles zerstörte. Mit zerbrochenem Herzen verließ er sie und blickte nie wieder zurück. Die Reise führte ihn nach New Orleans, wo er sich in der Musik verlor, die seine Schmerzen betäubte. Doch The Big Easy hat ihre eigene Art, verlorene Seelen zu heilen, und so wurde Sawyer Mitglied im Kings of Retribution MC – einem Club, der ihm das gab, wonach er so lange gesucht hatte: Brüderlichkeit und einen tieferen Lebenssinn. Doch inmitten des Chaos eines nahenden Krieges mit einem gesetzeslosen anderen Motorradclub kommt die Vergangenheit zu Sawyer zurück – Jo. Josephine Gates liebte nur einen Mann in ihrem Leben: Sawyer Huntington. Doch das Schicksal hatte ihre Liebe zerstört. Jo versuchte, die Dinge wieder gutzumachen, doch es war zu spät. Sawyer hatte sie verlassen – und mit ihm ging die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben. Die Bedrohung durch einen gesetzlosen Motorradclub, der versucht, New Orleans zu überrennen, sorgt in der ganzen Stadt für Unruhe. Inmitten des Chaos steht Fender seiner Vergangenheit gegenüber: Jo. Alte Gefühle flammen auf, aber der Schmerz des Verrats sitzt noch tief. Doch die Wahrheit wird bald ans Licht kommen, und eine entscheidende Wendung verändert alles. Im Krieg der Kings of Retribution wird Blut vergossen, Leben werden ausgelöscht – und Fender würde seinen letzten Atemzug geben, um seine Zukunft mit Jo zu beschützen. Teil 16 der explosiven Serie über den Kings of Retribution MC von den USA Today-Bestsellerautorinnen Sandy Alvarez und Crystal Daniels – voller Leidenschaft, Verrat und einer Liebe, die niemals endet.
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Seitenzahl: 320
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Crystal Daniels & Sandy Alvarez
Kings of Retribution MC Teil 16: Fender (Louisiana Chapter)
Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Oda Janz
© 2021 by Crystal Daniels & Sandy Alvarez unter dem Originaltitel „Fender (Kings of Retribution Louisiana Book 5)“
© 2025 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, Im Großfeld 18, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamour.de
© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg (www.art-for-your-book.de)
ISBN Print: 978-3-86495-756-7
ISBN eBook: 978-3-86495-757-4
Alle Rechte vorbehalten. Dieses Buch oder Ausschnitte davon dürfen ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Herausgebers nicht vervielfältigt oder in irgendeiner Weise verwendet werden, außer für kurze Zitate in einer Buchbesprechung.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Epilog
Autorinnen
Fender
Ich sitze hinten an der Bar und bin total durcheinander. Das kraftvolle Eichenaroma des Bourbons in meiner Hand betört meine Sinne, bevor ich das Glas überhaupt an meine Lippen lege.
Der Alkohol ist sowohl mein Feind als auch mein Retter. Allein schon deshalb sollte ich heute Abend nicht trinken. Doch ich bin nicht perfekt. Ich habe viele Fehler, und im Moment möchte ich einfach nur einen Drink genießen und Musik machen.
Die sanften Noten von Karamell, Vanille und anderen Gewürzen legen sich auf meine Zunge und wärmen meine Kehle. Derzeit ist mein Leben nicht leicht. Meine Mutter kämpft gegen den Krebs, und ich möchte meine Sorgen am liebsten in Whisky ertränken. Ich bin ein Muttersöhnchen und ich schäme mich nicht dafür. Der Alkohol brennt in meiner Kehle, und während ich hier sitze und meinen Körper mit etwas zuschütte, das nicht gut für mich ist, muss meine geliebte Mutter zu Hause mit den Nebenwirkungen der Chemotherapie fertig werden.
Ich schließe die Augen und genieße den Geschmack des Bourbons, während ich mir einzureden versuche, keinen weiteren zu trinken.
Eine schöne Brünette kommt vorbei, und ich muss zweimal hinsehen, denn sie scheint eine große Ähnlichkeit mit einem Mädchen zu haben, das ich einmal kannte. Doch als sich unsere Blicke treffen, wird mir klar, dass sie abgesehen von der Haarfarbe nichts mit dem Mädchen gemeinsam hat, das ich einmal geliebt habe. Meine Gedanken schweifen ab in die Vergangenheit. Ich denke öfter an sie, als ich mir eingestehen möchte. Ich habe sie geliebt.
Ich starre auf das Glas in meiner Hand. Die Liebe kann mich mal.
„Alles in Ordnung, Bruder?“, fragt Wick besorgt. Er setzt sich zu mir. Ich neige meinen Kopf nach hinten, um keinen Tropfen zu verschwenden, und der Rest Whisky brennt angenehm in meiner Kehle. Dann stelle ich mein Glas auf die Bar.
Meine Brüder wissen nichts von meiner ersten Liebe, nur dass ich von Amors Pfeil verbrannt wurde und kein Interesse daran habe, noch einmal von ihm getroffen zu werden. Sie kennen allerdings den Gesundheitszustand meiner Mutter, und wissen von dem Stress, unter dem ich stehe.
„Mir geht es gut.“ Meine Antwort ist knapp und ich klinge angespannt. Er beäugt mich, weil er verdammt noch mal weiß, dass ich ein Lügner bin. Die Wahrheit ist, dass ich wirklich gestresst bin. Ich sehe, wie sich Tequila auf uns zubewegt. Sie bleibt an Wicks Seite stehen. Er legt einen Arm um sie und seine Hand auf ihren schwangeren Bauch.
Tequila beugt sich herunter und küsst ihren Mann. Ihr Blick ruht auf mir.
„Hey, Fender.“
„Wie geht es dir, Gorgeous?“
„Abgesehen davon, dass ich alle fünf Minuten pinkeln muss und ein wahnsinniges Verlangen nach Maisbrot und einem Glas Milch habe, geht es mir gut.“ Sie setzt sich auf den leeren Hocker. Ihr Blick wird sanft. „Wie geht es deiner Mama heute?“
Sie sieht mich an und es macht mich nervös. Ich stoße einen lauten Seufzer aus und stehe auf. „Unverändert.“
„Sie ist eine starke Frau, Bruder. Sie wird es wieder schaffen“, sagt Wick.
Diesmal nicht, denke ich, doch ich behalte meine Gedanken für mich. Stattdessen nicke ich. „Ich geh jetzt auf die Bühne. Irgendwelche Wünsche?“, frage ich lächelnd.
„Spiel, was auch immer dir auf der Seele brennt, Bruder“, sagt Wick, und ich gehe in die Ecke der Bar, wo sich die kleine Bühne befindet. Dort nehme ich meine Gitarre, ziehe den Hocker nah an das Mikrofon heran und setze mich. Dann schlage ich die Saiten ein paar Mal an, um sicherzustellen, dass sie gestimmt sind.
Es ist Samstagabend, und das Twisted Throttle ist voll bis zum Anschlag: Der perfekte Ort für jemanden, der alles vergessen will.
Mein Mund ist nah am Mikrofon. „Wie geht es euch allen heute Abend?“ Meine Stimme hallt durch die ganze Bar. Die Gäste schreien und grölen und einige Frauen rufen meinen Namen.
„Nimm mich mit nach Hause“, ruft eine schöne Frau mit hellblonden Haaren, und ich sehe zu ihr hinüber. Sie sitzt bei ihren Freundinnen. Ihr verführerischer Blick gleitet über meinen Körper. Sie zieht mich förmlich damit aus. Ich schenke ihr mein schönstes Lächeln und stimme die ersten Akkorde zu Joe Cockers You Can Leave Your Hat On an. Nach dem ersten Song gehe ich zu Creedence Clearwater Revivals Bad Moon Rising über und spüre, dass ich mich immer mehr entspanne. Das ist der Moment, in dem die Menge langsam verstummt und ich nur noch den Klang meiner Gitarre höre. Ich mache eine kurze Pause und schnappe mir die Flasche mit kaltem Wasser, die ich vor dem Auftritt auf den Boden neben dem Mikrofonständer abgestellt habe. Ich kippe die halbe Flasche hinunter und fange an, The Ballad of Curtis Loew zu schmettern. Langsam ist in der Bar nur noch gedämpftes Flüstern zu hören, während ich singe. Ich bin nicht annähernd da, wo ich dachte, dass ich in meinem Leben eines Tages stehen würde, dennoch bin ich genau dort, wo ich hingehöre.
Vor Jahren träumte ich von ausverkauften Hallen und von Ruhm. Ich wollte meinen Namen auf den Anzeigetafeln der großen Konzerthallen sehen. Ich war immer unterwegs und dachte, ich würde eines Tages meine Stimme im Radio hören. Dann traf ich Riggs und Wick. Sie haben mir einen regelmäßigen Auftritt hier im Twisted Throttle verschafft. Mit der Zeit bekam ich einen Einblick in das Leben des Clubs und verstand, was die Bruderschaft zu bieten hat. Das hat mich mehr gereizt, als es die Jagd nach Ruhm je getan hat.
Fast ein Jahr, nachdem ich meinen ersten Auftritt in der Bar ergattert hatte, wurde ich Anwärter für die Kings of Retribution. Und hier bin ich nun: Sergeant at Arms. Als ich das Lied zu Ende spiele, beginnt ein Tumult im vorderen Teil der Bar, wo die Tische an den geöffneten Fenstern stehen. Ein Biker, der vorher mit seinen Brüdern hereinspaziert ist, begrapscht immer wieder eine junge Dame, die ein paar Mal versucht hat, an seinem Tisch vorbeizugehen. Sie windet sich und verschüttet das Getränk in ihrer Hand über der Kutte dieses Arschlochs. Der Biker lacht und seine Kumpel ebenso. Darauf habe ich echt keinen Bock. Ich lehne mich vor und spreche ins Mikrofon. „Hey, Arschloch.“ Viele Blicke richten sich auf die Bühne, aber ich sehe nur diesen Kerl an und zeige auf ihn. „Ja, du. Behalte deine Hände gefälligst bei dir, Motherfucker.“
„Wir haben nur ein bisschen Spaß, Bruder“, ruft er, dann dreht er sich zu seinen Kumpeln und alle lachen.
Ich lege meine Gitarre in den Koffer. „Ich bin nicht dein Bruder. Wenn du sie noch einmal anfasst, fliegst du raus“, warne ich ihn. Er wird rot und die Wut steht ihm ins Gesicht geschrieben. Der Mistkerl ist angepisst, weil ich ihm vor allen Leuten gedroht habe, aber das ist mir scheißegal.
Ich will nicht sagen, dass ich ein Heiliger bin, aber wenn ich eines nicht toleriere, dann ist es, wenn jemand ungebeten seine Hände an eine Frau legt. Ich verlasse die Bühne und gehe zu meinen Brüdern, die mit ihren Frauen zusammensitzen. Everest steht auf der rechten Seite und blickt hinüber zu der Gruppe von Bikern. „Behalte sie im Auge“, sage ich ihm.
„Schon dabei, Bruder.“ Everest nickt und steuert auf die Eingangstür zu, um näher bei ihnen zu sein. „Hat jemand ihren Patch erkannt?“ Ich ziehe einen Stuhl nach hinten und schwinge mein Bein über die Lehne.
„Noch ein Drink?“, fragt Keri, als ich zu ihr blicke. „Ich nehme Wasser, Sweetheart. Danke.“
Keri lächelt, geht um den hinteren Teil der Bar herum und kehrt mit meinem kalten Getränk zurück.
„Nach ihren Kutten zu urteilen, sind es Reaper's Nomads.“ Riggs hebt ein Bier an die Lippen und nimmt einen Schluck. „Und genau das sind sie: Nomaden. Ein Haufen Biker ohne Wurzeln. Wie fahrendes Volk führen sie ein Leben auf der Straße und ziehen von einem Ort zum anderen.“
„Also hast du schon von ihnen gehört?“ Ich nehme eine Zigarette aus der Packung, die mitten auf dem Tisch liegt, und zünde sie mit einem Streichholz an. Dann atme ich tief ein, bis meine Lungen brennen. „Was für einen Ruf haben die?“, frage ich, während ich ausatme.
Luna gibt Riggs das Zeichen, dass sie für heute Nacht fertig ist und oben in ihrer Wohnung auf ihn warten wird. Er beugt sich vor und küsst seine Frau auf den Hals. Was er ihr in Gebärdensprache antwortet, behalte ich für mich, aber Luna wird knallrot im Gesicht. Er gibt ihr einen Klaps auf den Hintern, als sie geht. „Die Art von Ruf, die Ärger sucht“, antwortet mir Riggs schließlich.
Keine zwei Sekunden, nachdem er das gesagt hat, hören wir einen Tumult und blicken zu Everest hinüber, der von fünf dieser Hurensöhne attackiert wird. Wick dreht sich zu Tequila um und befiehlt: „Nach oben. Sofort.“
Die überfüllte Bar beginnt schnell, sich zu leeren, als die Gäste durch die Tür auf die Straße strömen, um nicht in die Schlägerei verwickelt zu werden. Zusammen mit meinen Brüdern eile ich zu Everest und jeder von uns kümmert sich um einen der Biker.
Der Kampf ist ausgeglichen. Ich gehe direkt auf das Arschloch zu, das ich vorhin rauswerfen wollte. Er sieht mich kommen und grinst. Der Wichser holt als Erster aus und seine Faust streift meine Schulter, doch ich kann seinem Schlag ausweichen. Schnell schlage ich zurück und treffe das hässliche Arschloch an der Seite seines Kopfes, sodass er zurück gegen den Tisch stolpert, an dem er saß.
Bierflaschen rollen herunter und zerbrechen auf dem Boden. Er stürzt sich auf mich, versucht, einen weiteren unkontrollierten Schlag zu landen, verfehlt mich aber. Ich treffe den Mistkerl erneut am Kopf und er sinkt auf die Knie. Links von mir schlägt Kiwi mit einem Barhocker auf den Rücken eines anderen Bikers. Am Eingang trifft Riggs einen von ihnen im Gesicht. Ich blicke auf den wertlosen Wichser zu meinen Füßen, der eine zerbrochene Flasche mit spitzen Kanten in der Hand hält und aufstehen will. Ich hebe meinen Fuß und trete ihm mit meinem Stiefel in sein Gesicht. Er fällt mit dem Rücken auf die Tischplatte hinter sich. Ich bin über ihm, während das Blut bereits aus seiner gebrochenen, schiefen Nase quillt, und packe ihn am Kragen seiner Kutte. Dabei bemerke ich seinen Aufnäher: Red, Vice President. Dann schlage ich weiter mit meinen Fingerknöcheln auf ihn ein, bis er sich nicht mehr bewegt.
Aus dem Augenwinkel sehe ich Nova auf mich zukommen. „Er ist k. o., Bruder.“ Seine Worte lassen mich innehalten, und ich blicke auf meine Hand, an der das Blut des Bikers klebt. Der Wichser ist bewusstlos. Bevor ich ihn loslasse, reiße ich den Aufnäher von seiner Kutte. Dann gehe ich.
Ich verspüre den Drang, noch einen Drink zu nehmen, als würde der Teufel mir ins Ohr flüstern, während das Adrenalin in meinen Adern nachlässt. Als ich mich in der Bar umsehe, erkenne ich, was für ein Chaos wir hinterlassen haben.
Einige Tische und ein paar Hocker liegen zertrümmert auf dem Boden und in Pfützen aus Bier und Whisky liegen Glasscherben.
„Alles in Ordnung?“ Nova wirft mir einen Lappen zu, um meine Hand zu säubern, dann macht er das Gleiche und wischt sich das Blut von den Fingerknöcheln.
„Mir geht es gut.“ Ich sehe mich im Raum nach den anderen Clubmitgliedern um und versuche, ihren Zustand einzuschätzen. Kiwi hat eine Schnittwunde über dem rechten Auge. Auf Everests Kutte sind Blutspritzer, aber so wie es aussieht, ist es nicht von ihm. Ich beobachte, wie Wick die Eingangstür schließt und die Jalousien an den Fenstern zuzieht, damit niemand hereinsehen kann. Riggs zieht seine Waffe unter seiner Kutte hervor und richtet sie auf einen der angeschlagenen Biker, während Wick und Everest die anderen Männer auf einen Haufen ziehen.
„Auf die Knie, ihr Motherfucker“, befiehlt Riggs knurrend, und diejenigen, die noch stehen, lassen sich neben dem Biker zu Boden fallen, auf den Riggs mit seiner Waffe zielt.
Ich schreite durch den Raum zu meinen Brüdern und gemeinsam stellen wir uns hinter unserem Präsidenten auf. Der Biker in Riggs’ Schusslinie ist zufällig der Präsident dieses MCs. Sein Name ist Butch. Seine Unterlippe ist aufgeschlitzt, und etwas, das wie ein Zahn aussieht, ragt durch sein blutiges Fleisch. Der Scheißkerl spuckt auf den Boden und sein purpurroter Speichel landet auf Riggs’ Stiefel.
„Dafür wirst du bezahlen“, sagt Butch trotzig. „Falsch, Motherfucker.“ Riggs schlägt dem Wichser mit seiner Waffe ins Gesicht. „Du und deine Männer verschwindet heute Abend verdammt noch mal aus meiner Stadt. Du hast Glück, dass wir es euren bedauernswerten Ärschen gestatten, hier lebend rauszumarschieren.“
Butch lacht wie ein Irrer. „Ich weiß nicht. Ich habe Gefallen an New Orleans gefunden.“ Er grinst. „Vielleicht bleiben wir eine Weile.“ Einer der Biker macht eine plötzliche Bewegung und greift in den Hosenbund. Ich ziehe meine Waffe und drücke das kalte Ende des Metalllaufs direkt in seine verletzte Augenhöhle. „Noch eine Bewegung, und ich jage dir eine Kugel durch den Schädel.“
Nova beugt sich hinunter, durchsucht den Mistkerl, zieht einen schwarzen Mini-Revolver von seiner Hüfte, tritt zurück, entlädt den Lauf und steckt die Kugeln und die Waffe ein.
Riggs fährt fort. „Ist noch jemand dumm genug, so einen Mist zu versuchen?“ Er hält inne, doch sein Blick ruht unverändert auf dem Präsidenten der Nomads. „Wenn dir das Leben deiner Männer und die Luft in deinen Lungen lieb ist und du die kalten Leichen deiner Clubmitglieder nicht in unbekannten Gräbern zurücklassen willst, empfehle ich dir dringend, deine Absichten zu überdenken und die Stadt zu verlassen. Ich schlage sogar vor, dass ihr aus Louisiana verschwindet. Wenn ich einen von euch hier noch einmal sehe, töten wir euch. Und jetzt sammle deine Männer ein und verschwindet aus meiner Bar.“
Die verprügelten Biker stehen auf. Derjenige, gegen den ich gekämpft habe, kann kaum allein stehen, und seine Kumpel müssen ihn aus der Tür führen. In der Bourbon Street wimmelt es immer noch von Partygängern auf der Suche nach Spaß und Vergnügen. Die Musik auf den Straßen erweckt den Eindruck, es wäre nie etwas passiert. Ein paar Schaulustige sehen uns dabei zu, wie wir die Reaper’s Nomads zu ihren Motorrädern eskortieren. Dabei nehmen wir unsere Waffen aus dem Blickfeld, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Das Geräusch von Pferdehufen auf Asphalt lässt uns aufhorchen, als unsere ungebetenen Gäste auf ihre Motorräder steigen. Officer Jenkins, den wir Hollywood nennen, zieht an den Zügeln seines Pferdes, um anzuhalten. Er beäugt Riggs. „Gibt es ein Problem?“
Riggs geht auf ihn zu und hält ihm die Hand hin. „Nichts, womit wir nicht fertig werden, Hollywood. Wir helfen nur unseren Freunden hier und wünschen ihnen eine gute Reise.“
Hollywood wirft einen Blick auf die Männer, nickt und schaut dann zu Riggs. „Wie sieht es mit meinem Motorrad aus?“ Er ignoriert die offensichtliche Tatsache, dass wir diese Männer verprügelt haben, und fragt stattdessen nach dem Bike, an dem wir in der Werkstatt für ihn arbeiten.
„Bis Ende der Woche sollte es fertig sein“, antwortet Riggs beiläufig. „Wir sehen uns.“
Hollywood wirft einen letzten Blick auf die Nomads und dann auf die Kings. „Habt eine gute Nacht, Männer.“ Dann verabschiedet er sich. Die Nomads starten ihre Motorräder und fahren langsam davon.
Riggs sieht zu Everest und Wick. „Folgt ihnen.“
Die beiden nicken und gehen. Riggs dreht sich zu Kiwi, Nova und mir um und seufzt. „Lasst uns die Scheiße aufräumen.“
Wir folgen ihm zurück zur Bar. „Ich habe das Gefühl, dass wir Butch und seine Männer nicht zum letzten Mal gesehen haben“, sage ich.
„Und ich habe das Gefühl, du hast recht, Bruder“, stimmt Riggs zu.
Jo
„Ladybug, wir müssen los!“, rufe ich und trete auf die Veranda. „Komm schon, kleiner Marienkäfer! Wir sollten schon seit einer Stunde unterwegs sein!“
Ich stütze die schwere Kiste in meinen Armen auf die Hüfte, während ich meine Handtasche über die Schulter werfe. Die sengende Sonne von Tennessee brennt auf mich herab, als ich meine letzten Habseligkeiten in den Kofferraum des Umzugswagens lade. Ich atme frustriert aus, wische mir mit dem Handrücken die Schweißperlen ab, die mir über die Stirn laufen, und blicke über meine Schulter, um nach meiner Tochter zu suchen, die den ganzen Morgen spurlos verschwunden ist.
„Ich habe sie vorhin im Baumhaus gesehen“, sagt Tante Maggie, während sie die Schotterauffahrt entlang zu meinem Auto geht. Ich seufze laut.
„Sie ist nur verärgert. Dieser Umzug ist eine große Veränderung für sie“, versichert mir meine Tante.
„Ich weiß. Auch für mich ist es eine große Veränderung. Es wäre einfacher, wenn sie nicht so wild entschlossen wäre, sich dem Ganzen so zu verschließen.“
Vor zwei Monaten wurde ich entlassen. Budgetkürzungen zwangen das Krankenhaus, einen Teil seines Personals loszuwerden, und wie üblich waren die Krankenschwestern die Ersten, die gehen mussten. Ich habe seit meinem Abschluss an der Krankenpflegeschule im Heartland General gearbeitet und war schockiert, dass ich eine der Ersten war, die entlassen wurden. Vor allem, weil ich schon länger dort war als die meisten der anderen Krankenschwestern. Aber so ist das Leben. Und so beschissen es auch war, mir blieb nichts anderes übrig, als die Ärmel hochzukrempeln und mir einen anderen Job zu suchen. Nur war es in dieser kleinen Stadt unmöglich, eine andere Stelle als Krankenschwester zu finden. Ich verbrachte Wochen mit der Suche, und die Einzigen, die zurückriefen, waren die Mitarbeiter einer kleinen Klinik dreißig Minuten außerhalb der Stadt. Doch die konnten mir nur Teilzeit anbieten. Aber wenn man Rechnungen bezahlen und sich um ein Kind kümmern muss, reicht Teilzeit nicht aus.
Ich war kurz davor, die Hoffnung aufzugeben, als mich Avery anrief, eine gute Freundin und Krankenschwester, mit der ich im Heartland zusammengearbeitet habe. Sie war ebenfalls entlassen worden und wollte wissen, ob ich schon etwas gefunden hatte. Als ich verneinte, erzählte sie mir von dem Krankenhaus, in dem sie vor ein paar Wochen eingestellt worden war und das dringend auf der Suche nach Krankenschwestern war.
Leider befindet es sich in New Orleans. Avery kommt von dort und beschloss, wieder in ihre Heimat zu ziehen. Nach einem zweiten Gespräch mit Avery am nächsten Tag stellte sie den Kontakt zu ihrem Vorgesetzten her. Nach New Orleans zu gehen, schien meine einzige Option zu sein.
Nachdem ich meinen Lebenslauf geschickt und einen Videoanruf mit Edith, meiner neuen Vorgesetzten im Hopedale-Krankenhaus hatte, die mich auf der Stelle einstellte, war die Entscheidung gefallen. Ich würde nach New Orleans ziehen.
„Es ist eine große Veränderung für uns alle.“ Tante Maggies Gesicht wird weich.
„Ich weiß“, flüstere ich und lege meinen Arm um die Frau, die zwar meine Tante, aber eher wie eine Mutter für mich ist.
Als ich mit achtzehn schwanger wurde und es so richtig beschissen für mich lief, waren Tante Maggie und ihre Frau June meine Rettung. Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Ich verdanke ihnen alles.
Tante Maggie löst sich von mir, schaut mich an und wischt mir die Tränen weg. „Trockne deine Tränen, Kind und weine nicht mehr“, befiehlt sie mit strenger Stimme, aber mir entgeht nicht, wie sehr auch sie darum kämpft, ihre Gefühle im Zaum zu halten. „Weißt du, was ich immer sage?“
„Alles passiert aus einem Grund. Vertraue auf den Herrn, und er wird dich auf den rechten Weg führen“, erwidere ich nickend.
„Richtig. Und ich habe ein gutes Gefühl bei deinem neuen Abenteuer. Ich kann es in meinen Knochen spüren.“
Ich habe immer Tante Maggies Gefühl vertraut. Sie hat ein Gespür für solche Dinge und liegt nie falsch.
„Und jetzt …“ Sie stützt ihre Hände auf meine Schultern. „Sprich mit unserem Mädchen, während June und ich das Auto fertig beladen.“
Ich nicke, atme tief durch und gehe die Einfahrt hinunter und um das Haus herum in den Garten. Tante Maggie und Tante June leben weit draußen auf dem Land, wo der nächste Nachbar eine Meile entfernt ist. Meine Tanten leben einfach. Tante Maggie sagte immer, alles, was sie braucht, ist das, was Gott ihr gegeben hat. Sie und Tante June bauen den größten Teil ihrer Lebensmittel selbst an. Sie verdienen gutes Geld, indem sie auf dem Bauernmarkt verkaufen, was sie nicht brauchen, zusammen mit ihren Konserven.
Sie haben keine extreme Einstellung und sie leben nicht nach irgendwelchen Glaubensgrundsätzen. Sie bevorzugen einfach ein ruhiges Leben. Und obwohl sie die meiste Zeit unter sich bleiben, mögen und respektieren die Stadtbewohner sie.
Leider war das bei meinen Tanten nicht immer so. Tante Maggie ist die Schwester meines Vaters und ebenso wie mein Großvater und meine Großmutter, missbilligte er Tante Maggies Leben und die Frau, die sie liebte.
Doch sie wollte sich den Vorstellungen ihrer Familie nicht beugen und ging. Sie hat sich für Tante June entschieden, und sie sagt immer noch, dass es die beste Entscheidung ihres Lebens war.
Obwohl ich Tante Maggie kaum sah, als ich ein Kind war, weil mein Vater es nicht erlaubte, zögerte sie nicht, mich aufzunehmen, als ich mit achtzehn Jahren schwanger vor ihrer Haustür stand. So sind meine Tanten.
Tante Maggie ist so anders als mein Vater. Sie ist warmherzig und liebevoll und sie und Tante June scheuen sich nicht, den Menschen, die sie lieben, ihre Zuneigung zu zeigen.
Fender
Der Wecker meines Handys übertönt für einen Moment das Summen des Ventilators neben dem Bett. Ich gähne, öffne meine müden Augen und starre an die Decke. Dann greife ich zum Nachttisch und wische über das Display, um den Wecker abzustellen.
Mein Körper macht sich bemerkbar und meine Seite schmerzt, als ich mich aufrecht hinsetze. „Fuck“, zische ich und presse eine Hand auf meinen Brustkorb. Der Bastard hat es mir gestern Nacht wirklich gegeben.
Ich gehe ins Bad, schalte das Licht ein und blicke in den Spiegel über dem Waschbecken. An der Seite meines Brustkorbs bin ich rot und violett vom Aufprall des Barhockers. Als Wick zurückkam, nachdem er und Everest dem anderen Club aus der Stadt gefolgt sind, hat er mich untersucht.
Ich habe keine gebrochenen Rippen, aber für ein paar Tage werde ich wohl Schmerzen haben.
Ich stelle das Wasser in der Dusche an und lasse es warm werden, bevor ich unter den Strahl trete. Als das heiße Wasser meine Haut berührt, entspannt sich mein Körper. Eine Million Gedanken gehen mir durch den Kopf, aber was mich am meisten beschäftigt, ist der Kampf gestern Abend im Twisted Throttle – und meine Mutter.
Wick und Everest haben gesehen, wie die Biker die Autobahn verlassen haben und Richtung Südosten, nach Mississippi, gefahren sind. Eine Zeit lang sind sie ihnen gefolgt, dann haben sie umgedreht. Meinen Brüdern und mir gefiel überhaupt nicht, wie diese Wichser sich benommen haben.
Ich rolle meine Schultern, während das Wasser meinen Rücken hinunterläuft.
Und dann ist da noch Mom. Meine geliebte Mutter kämpft schon zum zweiten Mal in ihrem Leben gegen den Brustkrebs und dieses Mal ist es viel schwerer für sie. Die Chemo ist intensiver als beim ersten Mal. Als sie vor einigen Monaten erfahren hat, dass der Krebs zurück ist, habe ich versucht, sie zu überreden, zu mir nach New Orleans zu ziehen. Doch sie hat abgelehnt und gesagt, sie würde lieber an Ort und Stelle bleiben.
Als ich vorschlug, vorübergehend nach Tennessee zurückzuziehen, hat sie klargestellt, dass das ebenfalls nicht infrage kommt.
Um die Behandlung nicht allein durchmachen zu müssen, holte sie ihre beste Freundin Amelia ins Boot, die nicht zögerte und sofort zu meiner Mutter zog. Ihre Freundin lebt allein. Amelias Mann, mit dem sie fast dreißig Jahre verheiratet war, hat vor fünf Jahren seinen Kampf gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs verloren. Mom war ihre Stütze in der schwersten Zeit ihres Lebens und jetzt ist Amelia für sie da. Die beiden sind miteinander aufgewachsen.
In den letzten Monaten gab Amelia mir inneren Frieden. Sie ist bei meiner Mutter, wenn ich es nicht sein kann, obwohl ich bei ihr bin, wann immer es geht. Einmal pro Woche fahre ich acht Stunden zu ihr, um sie zu sehen. Leider ist die Diagnose jedes Mal dieselbe. Der Krebs spricht nicht so auf die Behandlung an, wie die Ärzte es gern hätten.
Das erste Mal musste sie gegen die Krankheit kämpfen, kurz nachdem ich nach New Orleans gezogen bin. Die Ärzte führten eine brusterhaltende Operation durch und entfernten auch etwas gesundes Gewebe. Die Krebszellen waren auf den Tumor beschränkt und hatten sich nicht weiter ausgebreitet. Mom musste eine Chemotherapie und eine gezielte Bestrahlung über sich ergehen lassen, da der Krebs so groß war, dass ein erhöhtes Risiko für ein Wiederauftreten bestand. Letztendlich war sie aber krebsfrei.
Sie musste körperlich durch die Hölle gehen beim letzten Mal, aber sie hat den Kampf gewonnen.
Mom war mehrere Jahre krebsfrei, bevor das Arschloch zurückkam. Diesmal mit voller Wucht. Sie entdeckte den Knoten selbst, und in mehreren Tests stellte man fest, dass sich die Krebszellen auf andere Teile ihres Körpers ausgebreitet hatten und noch aggressiver waren als zuvor. Also würde auch ihre Behandlung aggressiver sein. Mom und die Ärzte sind fest entschlossen, das Monster noch einmal zu besiegen.
Kurze Zeit später fahre ich durch das Tor zum Clubhaus. Nach der Scheiße von gestern Nacht will Riggs die Church abhalten. Die meisten meiner Brüder sind bereits da, abgesehen von Kiwi, der ankommt, als ich gerade von meinem Motorrad steige.
„Hey, Bruder“, grüßt er, als er den Motor abstellt. „Du siehst scheiße aus“, antworte ich.
Er fährt sich mit den Fingern durch die Haare. „Piper hat vor ein paar Tagen einen Wurf Welpen vom Straßenrand gerettet. Irgendein Arschloch hat sie in einem kaputten Pappkarton zurückgelassen.“
Wir gehen zur Eingangstür und ich öffne sie.
„Sie haben ihre Augen erst vor Kurzem geöffnet. Ohne Mutter, die sie säugen könnte, füttert Piper die Kleinen mit der Hand. Und sie haben rund um die Uhr Hunger.“
Ich lache. „Na ja, sieh es als Übung für die Zukunft, wenn du und Piper Kinder haben wollt.“
„Wir haben es definitiv nicht eilig, Eltern zu werden“, sagt Kiwi, als wir die Church betreten und uns an den Tisch setzen, an dem die anderen bereits warten. „Erst, wenn Piper ihre Tierarztausbildung beendet hat.“
Prez beginnt. „Jetzt, wo alle da sind, lasst uns anfangen. Wir müssen uns vor der Vergeltung der Reaper's Nomads in Acht nehmen. Ich habe heute Morgen ein paar Clubs angerufen, die wir in den umliegenden Staaten kennen. Ich wollte erfahren, ob sie von diesen Wichsern gehört haben und was sie über sie wissen.“ Riggs nimmt einen Schluck von seinem Kaffee und stellt die Tasse wieder auf den Tisch. „Hawk, drüben in Texas, hat erzählt, dass er vor zwei Monaten eine Begegnung mit den Arschlöchern hatte.“
„Ich wette, sie hinterlassen überall Chaos, egal, wo sie auftauchen“, brummt Wick. „Das Letzte, was wir brauchen können, ist ein anderer Club, der Probleme macht und unsere Stadt aufmischt.“
„Hat Hawk irgendwelche Details genannt?“, frage ich.
Riggs schüttelt den Kopf. „Aber er hat gesagt, dass es diesen Wichsern völlig egal ist, ob sie in das Revier eines anderen Clubs eindringen oder nicht.“
„Was machen wir jetzt?“, fragt Wick.
Riggs reibt über seinen Bart. „Bleibt wachsam. Sprecht mit unseren Leuten in der Stadt. Sagt ihnen, dass sie ihre Augen und Ohren offen halten sollen.“
Mein Handy klingelt und Riggs sieht mich an. Eine der Regeln am Tisch besagt: keine elektronischen Geräte während der Church. Allerdings hat Prez in der letzten Zeit wegen meiner Mutter eine Ausnahme gemacht. Dennoch warte ich auf seine Erlaubnis, bevor ich in meine Tasche greife.
Es ist Amelias Nummer und mein Magen krampft sich zusammen. Offenbar spiegelt mein Gesicht meine Gefühle wider, denn während ich das Telefon an mein Ohr halte, starren meine Brüder mich mit besorgten Mienen an.
„Was ist los?“, frage ich, weil sie mich eigentlich nie anruft.
„Es ist alles in Ordnung“, sagt sie und ich lasse meine Schultern erleichtert nach unten fallen. „Deine Mom ist nur erschöpft und bat mich deshalb, dich anzurufen.“ Sie macht eine lange Pause und ich weiß, dass sie mir etwas verheimlicht. „Sawyer, wenn du kannst, solltest du deinen wöchentlichen Besuch vielleicht ein paar Tage früher einplanen. Deine liebe Mom möchte dich sehen.“
Ich schlucke, denn ich weiß, was sie damit sagen will. Leider bin ich nicht wie meine Mutter. Sie denkt immer positiv und weigert sich, an den möglichen, schlimmen Ausgang ihrer Krebserkrankung zu denken. Ich hingegen … Mir wird immer mehr bewusst, was passieren kann. Ich sehe auf die Uhr an meinem Handgelenk. „Ich bin vor Einbruch der Dunkelheit da.“
„Danke, Sawyer.“ Amelia seufzt. Das leichte Zittern in ihrer Stimme löst eine Vielzahl von Gefühlen in mir aus, die ich krampfhaft versuche, niederzuringen.
„Kann ich einen Moment mit Mom sprechen?“
„Sie schläft gerade, Schätzchen. Ich denke, wir lassen sie schlafen, bis du da bist“, erwidert Amelia. „Ich mache uns etwas zu Essen. Wie wäre es mit gebratenem Hühnchen mit Buttermilk Biscuits, Soße, Kartoffelpüree und Rübenkraut?“ Ich schließe meine Augen und kämpfe mit meinen Emotionen.
„Klingt gut. Bis später.“ Es ist still im Zimmer, als ich mein Handy wegstecke. Zu still für meinen Geschmack. Alle starren mich an.
„Ich muss los, wenn ich es noch vor Anbruch der Dunkelheit nach Tennessee schaffen will.“
„Geht es deiner Mom gut?“, fragt Riggs.
„Sie lebt noch, Bruder.“ Ich hole tief Luft. „Kannst du Everest entbehren, damit er Kiwi im Militärshop hilft? Der Lieferwagen kommt in einer Stunde, und der Schießstand ist den ganzen Tag über ausgebucht.“
„Wir haben alles im Griff, Bruder. Fahr du zu deiner Mom. Und halt uns auf dem Laufenden. Wir wollen wissen, wie es ihr geht, okay?“, beruhigt Riggs mich und ich stehe auf. „Wir sind hier, falls du uns brauchst.“
Ich blicke in die Runde.
„Ich melde mich später.“
Ich will keine Zeit verlieren, verlasse das Clubhaus und rase wie der Teufel nach Hause. Es dauert nicht lange, bis ich ein paar Sachen in eine Reisetasche gepackt, und sie hinten auf mein Motorrad geschnallt habe. Dann bin ich wieder auf der Straße, aber mental nicht annähernd bereit, acht Stunden lang meinen trüben Gedanken nachzuhängen.
Die Sonne geht gerade unter, als ich das Haus meiner Mutter erreiche. Ich fahre die lange, unbefestigte Straße hinunter, die zu ihrem ruhig gelegenen Landhaus führt.
Für manche ist es nichts Besonderes, aber für meine Mutter ist das kleine, einstöckige, weiße Haus mit den beiden Schlafzimmern, den beiden Bädern und der umlaufenden Veranda eine Villa.
Vor ein paar Jahren habe ich es für sie gekauft.
Ich denke über meinen Erfolg nach, als das Haus in Sichtweite kommt, und mein Blick fällt auf die frei laufenden Hühner auf dem Hof. Im Laufe der Jahre habe ich viele Songs verkauft, von denen einige zu Nummer-eins-Hits von verschiedenen Country-Sängern wurden. Aus dem Traum, meine eigenen Songs auch selbst zu singen, ist nichts geworden, dennoch hören Millionen von Menschen meine Musik. Nur dass eben andere sie präsentieren.
Doch bis heute besteht meine größte Leistung darin, dass ich mich um die eine Person kümmern kann, die alles für mich geopfert hat und mich allein großzog. Wenn ich auf eine Sache stolz bin, dann darauf, dass ich das alles meiner Mutter schenken konnte.
Ich halte an und parke unter der großen Eiche im Vorgarten. Die Äste des Baums sind ausladend und beschatten die Vorderseite des Hauses, obwohl die Farbe der Blätter langsam von grün zu orange und rot wechselt. Walter, Moms fünfjähriger roter Bloodhound, hebt den Kopf und bellt, bewegt sich aber nicht weg von seinem Schlafplatz auf der Veranda. Der altmodische Name passt zu diesem faulen Kerl.
Ich schnappe mir meine Tasche vom Motorrad und gehe zum Haus, wo ich Walter hinter den Ohren kraule und dann über ihn steige. Ich öffne die Fliegengittertür und gehe hinein. Der Geruch von gebratenen Köstlichkeiten lässt meinen Magen knurren.
„Bist du es, Sawyer?“, höre ich meine Mutter rufen.
„Ja.“ Ich werfe meine Tasche auf die Couch.
„Wir sind in der Küche, Sweetie“, antwortet sie, während ich durch das Wohnzimmer gehe. Mom sitzt am kleinen Küchentisch, mit einer Stola um ihre Schultern. Ein Tuch bedeckt ihren kahlen Kopf. Amelia stellt eine Schüssel mit Gemüse neben eine Platte voll Buttermilk Biscuits.
„Sawyer.“ Sie breitet ihre Arme aus, um mich zu umarmen. „Es ist immer schön, dich zu sehen.“
„Wie geht es dir?“, frage ich.
„Es geht mir gut, Baby. Komm her und setz dich.“ Amelia schiebt mich zum Tisch, wo ich mich hinunterbeuge und meiner Mutter einen Kuss auf die Schläfe gebe.
„Hi Mom.“ Ich setze mich neben sie.
Sie seufzt, weil sie weiß, dass ich wissen will, was los ist. Dann lächelt sie mich an. Ich sehe, dass ihre Augen ein wenig gerötet und die Ringe darunter etwas dunkler sind als letzte Woche.
„Ich höre mit der Behandlung auf.“
Ihre Worte sind wie ein Schlag in die Magengrube. Keine Vorwarnung. Nichts, was den Schlag dämpft. Aber ich würde auch nichts anderes von ihr erwarten. Mom hat noch nie um den heißen Brei herumgeredet. Sie kommt immer direkt auf den Punkt. Trotzdem protestiere ich.
„Vielleicht können die Ärzte etwas anderes ausprobieren. Eine klinische Studie oder etwas Ähnliches.“
Mom schüttelt den Kopf. „Ich will nicht, Sweetheart.“
„Mom!“
„Ich möchte das bisschen Leben, das mir noch bleibt, ohne Chemo verbringen. Ich will mich nicht mehr den ganzen Tag elend fühlen.“ Sie nimmt meine Hand. „Es ist okay.“
Gar nichts daran ist okay. Aber ich wage nicht, meine Gedanken laut auszusprechen. Ich behalte sie für mich, weil sie meinen Pessimismus jetzt nicht brauchen kann.
„Ich weiß, dass es schwer ist, aber es ist die richtige Entscheidung, Sawyer.“
„Ich ziehe hierher“, sage ich.
„Dafür gibt es keinen Grund“, antwortet Mom.
Dann setzt sich Amelia zu uns. „Genevieve.“
„Nein.“ Mom schüttelt den Kopf. „Ich will nicht, dass irgendjemand sein Leben für mich auf den Kopf stellt.“
„Na hör mal!“ Amelia wirft meiner Mutter einen ernsten Blick zu. „Als mein Ray gestorben ist, hast du alles stehen und liegen lassen, und das monatelang. Du hast mir geholfen, mein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen und ohne ihn zurechtzukommen. Du hast mich zwei Tage lang gefüttert, weil ich nach der Beerdigung so fix und fertig war. Dann hast du mich aufgerichtet und mir die Kraft gegeben, die ich nicht hatte, um meinen Hintern hochzukriegen und wieder auf die Beine zu kommen. Du hast das alles für mich getan, ohne zu zögern.“
„Du bist hier, um den Gefallen zu erwidern, und ich bin dir dankbar, Amelia, aber ich möchte nicht, dass mein Sohn das Leben, das er sich aufgebaut hat, über den Haufen wirft, nur, um nach Hause zu kommen und mich sterben zu sehen.“
„Du stirbst ja nicht morgen. Außerdem ist das seine Entscheidung, Genevieve“, erwidert Amelia.
„Ich bin übrigens anwesend“, sage ich und fühle mich total übergangen. „Mom, ich verstehe dich ja, aber Tatsache ist, dass ich entweder bei dir einziehe oder du mit mir nach Hause kommst.“ Ich warte darauf, dass sie antwortet.
„Ich will, dass jeder mit seinem Leben weitermacht, wie gewohnt. Niemand soll um mich herumschleichen, als würde ich jeden Moment sterben. Denn das tue ich nicht, verdammt! Ich lebe. Und zwar bis zu meinem letzten Atemzug. Du hast ein Leben in New Orleans, Sawyer, und einen Job. Und dann noch den Club. Wenn du hier bist, hast du nichts von alledem, und das will ich nicht.“
„Dann kommst du mit zu mir. Ich habe genügend Platz in meinem Haus. Du hast dort dein eigenes Zimmer. Egal wie, ich werde mich um dich kümmern.“
„Genevieve. Wir haben doch darüber gesprochen. Du musst bei Sawyer sein. Außerdem wird dir ein Tapetenwechsel guttun.“ Amelia lächelt.
„Also gut, in Ordnung. Der Sonnenuntergang über dem See würde mir wohl gefallen. Aber ich kann hier nicht einfach alles zurücklassen“, entgegnet Mom schließlich.
„Wenn es für dich in Ordnung ist, bleibe ich hier“, antwortet Amelia. „Ich kümmere mich um die Hühner und um das Haus.“
Mom beginnt zu weinen, was sie nicht oft vor anderen tut. Dann sieht sie mich an.
„Du weißt, dass ich Walter nicht hier lassen kann.“
Ich lächle. „Ja, Mom. Das weiß ich.“ Ich beuge mich zu ihr und umarme sie. „Ich kümmere mich um euch beide.“
„Ich bin auch mit an Bord.“ Amelia schnieft, erhebt sich von ihrem Stuhl und wirft ihre Arme um uns. „Verdammt, du bist so ein stures Weib.“ Sie löst sich von uns und wischt sich mit dem Kragen ihrer Bluse über die Augen. „Also gut, dann lasst uns jetzt essen.“
Zwei Stunden lang genießen wir die selbst gekochten Speisen und reden über alles außer den Krebs und den Tod.
Nach dem Essen wird Mom schnell müde und geht zu Bett. Amelia legt ein Bettlaken über das Sofa, zusammen mit einer Decke und einem Kissen. „Es ist wirklich das Beste für sie, wenn sie zu dir zieht, aber ich werde sie jeden einzelnen Tag vermissen.“
„Du bist immer willkommen in meinem Haus“, versichere ich ihr und schalte den Fernseher ein, um mich ein wenig abzulenken. Ich lasse mich auf die Couch fallen und ziehe meine Stiefel aus.
„Sie hat das schon vor langer Zeit entschieden, oder? Dass sie nicht weiter kämpfen würde, wenn die Behandlung nicht anschlägt.“
„Ja.“ Amelia setzt sich in den Sessel neben mich. „Sie spricht seit einiger Zeit darüber. Deine Mom hat sich auf das Schlimmste vorbereitet, aber das Beste gehofft, Honey. Das hat sie wirklich.“
Wir schweigen für einen Moment, dann steht Amelia auf. „Ich lasse dich jetzt in Ruhe. Gute Nacht, Honey.“
„Nacht.“ Ich warte, bis sie aus dem Wohnzimmer gegangen ist, bevor ich Riggs anrufe.
„Hey, Bruder. Wie geht’s?“
„Ihre Behandlung schlägt nicht an und Mom möchte sie abbrechen.“
„Scheiße, Mann. Tut mir leid, das zu hören. Wie lange hat sie noch?“
Ich reibe meine Augen. „Hat sie nicht gesagt und ich habe nicht gefragt.“
„Können wir etwas für dich tun?“