Kings of the Underworld - Nikolai - Vanessa Sangue - E-Book

Kings of the Underworld - Nikolai E-Book

Vanessa Sangue

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Beschreibung

Das zwischen uns ist rein geschäftlich. Doch mein Herz sieht das anders ...

Seit seine Schwester Anya in Baltimore mit Maxim verlobt ist, wird es für Nikolai "The Silencer" Krylow Zeit, nach New York zurückzukehren. Dort erwartet ihn eine Überraschung, auf die er nicht vorbereitet war: sein Vater will sich aus dem Familiengeschäft zurückziehen und Nikolai soll von nun an seinen Platz einnehmen! Um Nikolais Position als Oberhaupt der gefürchtetsten Mafiafamilie von New York zu stärken und eine drohende Krise abzuwenden, soll er die Tochter des irischen Geschäftspartners seines Vaters heiraten. Doch als er seiner Verlobten das erste Mal gegenübersteht, wird nicht nur klar, dass sie auf die Sache noch viel weniger Lust hat als Nikolai - sondern auch dass sein Herz ganz eigene Pläne verfolgt!

Band 2 der KINGS OF THE UNDERWORLD-Reihe von Bestseller-Autorin Vanessa Sangue


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Seitenzahl: 468

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Prolog

1

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Epilog

Die Autorin

Die Romane von Vanessa Sangue bei LYX.digital

Impressum

VANESSA SANGUE

Kings of the Underworld

NIKOLAI

Zu diesem Buch

Seit seine Schwester Anya in Baltimore mit Maxim verlobt ist, wird es für Nikolai »The Silencer« Krylow Zeit, nach New York zurückzukehren. Dort erwartet ihn eine Überraschung, auf die er nicht vorbereitet war: Sein Vater will sich aus dem Familiengeschäft zurückziehen und Nikolai soll von nun an seinen Platz einnehmen! Um Nikolais Position als Oberhaupt der gefürchtetsten Mafiafamilie von New York zu stärken und eine drohende Krise abzuwenden, soll er die Tochter des irischen Geschäftspartners seines Vaters heiraten. Doch als er seiner Verlobten das erste Mal gegenübersteht, wird nicht nur klar, dass sie auf die Sache noch viel weniger Lust hat als Nikolai – sondern auch dass sein Herz ganz eigene Pläne verfolgt!

Prolog

Siobhan

Ich saß an meinem Schreibtisch und betrachtete das Chaos vor mir. Unzählige Papiere stapelten sich auf der hölzernen Oberfläche. Meine Augen brannten, und mein Magen knurrte in diesem Augenblick. Ich hatte seit Stunden nichts mehr zu mir genommen. Ein kurzer Blick auf die schmale, goldene Armbanduhr an meinem Handgelenk sagte mir, dass es schon auf drei Uhr morgens zuging. Ich saß hier bereits seit über vier Stunden!

Mit einem erschöpften Stöhnen lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück. Die Muskeln in meinem Rücken waren inzwischen gar nicht mehr gut auf mich zu sprechen – alles schmerzte. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich der ganzen Sache endlich auf die Spur kam. Allerdings konnte ich im Moment kaum noch geradeaus gucken, geschweige denn einen klaren Gedanken fassen. Ich brauchte eine Pause – dringend.

Müde hievte ich mich aus dem Schreibtischstuhl und dehnte meine angespannten Muskeln. Als ich mein Büro verließ, fand ich das Haus ruhig vor. Meine Eltern waren längst im Bett. Aber das war ja überhaupt erst der Grund, warum ich noch arbeitete. Ich wollte nicht, dass mein Vater irgendetwas davon mitbekam, was ich hier tat. Am Ende wäre es besser so. Das hoffte ich jedenfalls.

Auf leisen Sohlen schlich ich durchs Haus, damit mich niemand bemerkte. In der Küche angekommen, machte ich mir schnell einen schwarzen Kaffee. Ich brauchte ein bisschen Koffein, damit mein Gehirn noch weiter durchhielt. Während die warme Flüssigkeit meine Kehle hinabrann, lehnte ich mich gegen die Küchentheke und sah nach draußen. New York City – die Stadt, die niemals schlief. Auch jetzt um diese Uhrzeit, sah ich noch die hell erleuchtete Skyline. Dadurch war es unmöglich, auch nur einen Stern am Himmel zu sehen. Aber das störte mich nicht. Ich sah mir auch gerne die Lichter der Stadt an. Das wilde Flackern der Reklametafeln, das Muster aus erleuchteten und dunklen Fenstern. Manchmal, so wie jetzt, konnte man das Blinken eines Flugzeugs verfolgen, das über unsere Köpfe hinwegflog. Ich mochte diese Stadt, wirklich. Im Gegensatz zum Rest meiner Familie war ich bereits in den Staaten geboren. Meine Eltern waren vor meiner Geburt aus Irland in die USA ausgewandert und hatten sich hier ein Geschäft aufgebaut. Ein illegales Geschäft, aber etwas, das wir sehr erfolgreich betrieben.

Jedenfalls hatte ich das gedacht.

Ich trank den letzten Schluck Kaffee aus und stellte die leere Tasse in die Spüle. Danach kehrte ich in mein Büro zurück. Hier erwartete mich nur ein stiller Raum und das sanfte Licht der Schreibtischlampe. Mein Laptopbildschirm war inzwischen schwarz geworden, wahrscheinlich war das Gerät sogar in den Ruhemodus gegangen.

Nicht gerade glücklich, trotzdem fest entschlossen, dem Rätsel endlich auf die Spur zu kommen, setzte ich mich wieder hin. Mein Bauchgefühl sagte mir schon seit Monaten, dass etwas nicht stimmte. Wenn nicht sogar länger. Ich hatte es nur einfach nicht wahrhaben wollen. Allerdings konnte ich es langsam wirklich nicht länger ignorieren. Na ja, ich konnte wahrscheinlich schon. Tatsache war, dass ich nicht wollte.

Ich hatte mich gerade wieder hingesetzt, als die Tür zu meinem Büro, die ich anscheinend nicht vollständig geschlossen hatte, wieder aufging. Kurz raste mein Herz, weil ich befürchtete, dass ich jetzt erwischt werden würde und erklären müsste, was ich hier gerade tat. Statt eines groß gewachsenen Mannes tauchten kleine Pfoten auf dem hölzernen Fußboden auf.

Ich lächelte stumm, während Felix in den Raum geschlendert kam. Seine hellen grünen Augen blinzelten kurz, bevor er sich auf den Weg zu mir machte. Elegant sprang er auf meinen Schreibtisch und stolzierte über die Papiere hinweg auf mich zu.

Mahnend sah ich ihn an. »Felix.«

Er ignorierte mich, bis er sich direkt vor meiner Nase hinsetzte und mich mit großen Augen anblinzelte. Ich war absolut vernarrt in dieses Tier und gab viel zu oft nach, in Momenten, in denen ich eigentlich streng sein sollte. Allerdings ich hatte ihn vor ein paar Monaten auf der Straße gefunden, völlig verwahrlost. Das arme Ding war nur noch Haut und Knochen gewesen. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, ihn einfach dort, in einer Gasse, liegen zu lassen. Also hatte ich ihn – sein erbärmlich klingendes Fauchen ignorierend – eingepackt und war mit ihm zum nächsten Tierarzt gefahren. Dort hatte man ihm nicht besonders hohe Chancen ausgerechnet, aber nach einem langen Klinikaufenthalt hatte er es tatsächlich geschafft.

Danach war er ins Tierheim gekommen, und ich dachte, dass die Geschichte für mich beendet wäre. Allerdings hatte ich den Gedanken an den kleinen, niedlichen Kater mit den großen grünen Augen nicht verdrängen können. Ein paar Tage lang hatte ich mit mir gehadert, bevor ich das schwarz-weiße Fellknäuel adoptiert und nach Hause gebracht hatte. Und es seitdem keine Sekunde bereut.

Größtenteils lebte der kleine Racker ziemlich unabhängig im Haus. Eigentlich hatte ich ihn mir als reine Hauskatze vorgestellt, allerdings ich war mir beinahe sicher, dass er zwischendurch ein offenes Fenster ausnutzte und einen kleinen Spaziergang durch die Nachbarschaft machte. Ansonsten sah ich ihn am häufigsten, wenn es Futter gab. Das war in Ordnung so. Er hatte wahrscheinlich sein ganzes Leben auf der Straße verbracht und kannte es nicht anders, als unabhängig zu sein.

Dennoch dann gab es auch seltene Momente, wenn er meine Nähe suchte. Meistens nachts, wenn ich bereits im Bett lag und schlief. Dann wurde ich wach, weil sich ein kleiner pelziger Körper an meinen drückte. Die Tierärzte hatten mir auch gesagt, dass er wahrscheinlich immer eher klein bleiben würde, weil er nie genug Nahrung bekommen hatte, aber das störte mich nicht und ihn wahrscheinlich auch nicht. Er benahm sich trotzdem wie ein König.

»Was willst du?«, fragte ich, als er mich weiter einfach nur anstarrte.

Ich wurde angemaunzt.

»Stört es dich, dass ich noch nicht im Bett bin?«

Ein Blinzeln.

Ich schmunzelte, hob die Hand, um sein samtiges Fell zu streicheln. Er schloss die Augen, begann zu schnurren und drückte seinen Kopf in meine Handfläche. Für einen Moment genoss er die Streicheleinheiten, bevor er sich mir entzog und wieder miaute.

Mit einem Seufzen beugte ich mich meinem Schicksal, rollte mit dem Stuhl etwas zurück und setzte mich so hin, dass sich meine Oberschenkel berührten. Sofort sprang Felix auf meinen Schoß und kringelte sich zu einer flauschigen Kugel zusammen.

Lächelnd schob ich mich wieder näher an den Schreibtisch heran und studierte weiter die Unterlagen, die vor mir lagen. Es fühlte sich gut an, wie Felix so auf meinem Schoß lag und leise schnarchte.

Währenddessen war mein Lächeln schnell wieder verschwunden, als ich die Zahlen miteinander verglich. Hier stimmte etwas nicht, und es wurde immer offensichtlicher. Wenn man es nur überflogen oder oberflächlich kontrolliert hätte, wäre es vermutlich niemandem aufgefallen.

Meine Finger flogen geradezu über den Taschenrechner, während ich durch die verschiedenen Seiten blätterte.

Ich hatte schon in jungen Jahren eine besondere Affinität zu Zahlen gezeigt. Mathe war stets mein absolutes Lieblingsfach gewesen und mein späteres BWL-Studium und anschließender Master mit Schwerpunkt auf Buchhaltung hatte ich mit Bestnoten abgeschlossen. Ich war einfach gut darin. Anscheinend hatte mein Vater aber nie wirklich bemerkt, wie gut ich war. Denn sonst hätte er mir mit Sicherheit niemals die Buchhaltung unserer Geschäfte überlassen.

Ich schnappte leise nach Luft, als endlich der Knoten platzte und sich die einzelnen Puzzleteile zu einem großen Bild zusammenfügten. Plötzlich war alles so schrecklich offensichtlich, dass ich mich fragte, wie ich es so lange hatte übersehen können.

Ich ließ mich in dem Stuhl zurückfallen und fluchte unterdrückt. Felix hob verschlafen den Kopf und blinzelte mir müde entgegen. Zur Beruhigung tätschelte ich seinen Kopf und kraulte ihn zwischen den Ohren. Zufrieden schnurrend leckte er über meine Hand.

»Und was machen wir jetzt, kleiner Mann?«, fragte ich, als hätte der Kater die Antworten.

Aber Felix leckte nur ein letztes Mal über meine Hand, bevor er seinen Kopf wieder auf den Pfoten bettete und weiterschlief.

»Ja, eine Mütze Schlaf klingt nicht schlecht.«

Mit einem tiefen Seufzen packte ich die Papiere und die Notizen, die ich mir dazu gemacht hatte, zusammen und verstaute alles in einer abschließbaren Schublade im Schreibtisch. Mit einem letzten Blick stellte ich sicher, dass nichts auf meine Nachforschungen hinwies und nahm dann den Schlüssel, und Felix, mit zurück in mein Zimmer, um zu schlafen.

Morgen würde ich mir überlegen, was ich jetzt mit diesen Informationen anfangen wollte.

1

Nikolai

Ich stieg aus dem Flugzeug und betrat zum ersten Mal seit Wochen wieder New Yorker Boden. Tief saugte ich die frische Luft in meine Lungen. Nach mir stiegen noch weitere Passagiere aus dem Flieger und unterhielten sich lautstark oder eilten direkt über die Landebahn zum Flughafengebäude, um ihren Anschlussflug zu erreichen.

Ich hingegen schulterte gemächlich meine Reisetasche, die ich als Handgepäck bei mir hatte. Schließlich hatte ich mein finales Reiseziel bereits erreicht und ein Chauffeur würde im Gebäude auf mich warten, um mich zu unserem Anwesen auf der Upper East Side zu bringen. Mein restliches Gepäck aus Baltimore sollte bereits angekommen sein.

Gemütlich schritt ich zu dem gläsernen Gebäude, das der JFK International Airport war und dessen ausladendes Dach bis auf die Landebahnen reichte. Im Hintergrund ging bereits die Sonne unter und färbte den Himmel blassblau und -rosa.

Ich freute mich auf zu Hause. Zwar war die Zeit in Baltimore mit meiner Schwester auch schön gewesen, und ich war gerne mit ihr gegangen, als sie unbedingt von hier hatte flüchten müssen, aber jetzt war es auch angenehm, wieder in der Heimat zu sein. Außerdem hatte ich angefangen, mich wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen – mit meiner Schwester und ihrem Verlobten aka meinem besten Freund. Die jetzt so schrecklich verliebt ineinander waren, dass man es kaum aushalten konnte. Dabei hatten sie sich sonst eigentlich gar nicht riechen können. Aber wie sagte man so schön? Wo die Liebe hinfällt.

Ich konnte es jedenfalls kaum erwarten, mal wieder die Seele baumeln und die Sau rauszulassen. Hier in New York City hatte mein Vater das Ruder fest in der Hand und ich würde mich etwas entspannen können. Großteile der Stadt gehörten meiner Familie und ich plante, diese Privilegien eine Zeit lang zu genießen.

Mit einem Grinsen auf den Lippen und beschwingten Schrittes betrat ich das Innere des Flughafengebäudes. Es dauerte nicht lange, bis ich den in einen dunklen Anzug gekleideten Chauffeur entdeckte, der ein Schild mit meinem Namen hochhielt.

»Mr Krylow, schön, dass Sie wieder da sind.«

Ich nickte und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Ich bin auch froh, wieder da zu sein.«

»Darf ich Ihnen Ihr Gepäck abnehmen?«

Ich reichte ihm meine leichte Reisetasche und wir gingen gemeinsam in Richtung Ausgang.

»Der Rest Ihrer Habseligkeiten ist bereits im Haus angekommen und wurde auf Ihr Zimmer gebracht. Ich befürchte allerdings, die Haushälterin hat sich bereits daran zu schaffen gemacht, auf der Suche nach Schmutzwäsche.«

Ich sparte es mir, mich darüber zu ärgern. Das hatte ich schon vor Jahren aufgegeben. Schließlich arbeitete unsere Haushälterin Polina schon für unsere Familie, seit ich mich erinnern konnte. Sie hatte mir früher die Windeln gewechselt. Da würde ich mich hüten und ihr in irgendeiner Art und Weise widersprechen. Anya und ich zogen unseren Vater immer gerne damit auf, dass er gar nicht wirklich die Kontrolle über unser Haus hatte.

»Halb so wild«, kommentierte ich nur und zwinkerte ihm dabei zu. Igor arbeitete schon fast so hier wie Polina. Die beiden waren seit Jahr und Tag glücklich miteinander verheiratet. Er wusste also ganz genau, dass ich keine Chance gegen seine Frau hatte. Vermutlich hatte er selber zu Hause nichts zu sagen.

Die Fahrt nach Hause dauerte eine gute halbe Stunde und ich nutzte die Zeit, um mich wieder mit meiner Heimat vertraut zu machen. Ich ließ die Scheibe ein wenig nach unten, sah aus dem Fenster und atmete tief die vertrauten Gerüche ein – der Hotdog-Stand um die Ecke, der wilde Mix aus teuren Parfüms und Aftershaves, als wir in die wohlhabendere Gegend einbogen.

Inzwischen war es beinahe dunkel, und das Licht der bewohnten Häuser und Straßenlaternen bildete den Sternenhimmel von New York. Ich liebte diese Stadt. Liebte die Lautstärke, die verschiedenen Viertel und Möglichkeiten, die sich einem hier boten. Ich konnte innerhalb weniger Stunden authentisches chinesisches Essen genießen, Gemälde bewundern, die zu den teuersten der Welt gehörten, grüne Natur genießen und mich mit Wildfremden bei einem Footballspiel in einer Bar volllaufen lassen. Für einen attraktiven Singlemann wie mich war das hier das Paradies.

Mein Handy vibrierte kurz, bevor wir an unserem Ziel ankamen.

Anya: Bist du gut angekommen?

Nikolai: Ja, ich bin schon fast zu Hause. Bist du nicht im Theater?

Ich war mir eigentlich sicher, dass mein bester Freund Maxim meine Schwester heute Abend in ein Theaterstück hatte ausführen wollen.

Anya: Ich wollte auch nur kurz sichergehen, dass es dir gut geht.

Nikolai: Mir geht es gut.

Danach kam keine Antwort mehr von meiner Schwester. Ich wollte das Handy gerade wieder wegstecken, als es erneut vibrierte.

Maxim: Ich habe deiner Schwester das Handy weggenommen. Nur, damit du dir keine Sorgen machst.

Ich lachte lauthals los, was dazu führte, dass Igor mir einen fragenden Blick über den Rückspiegel zuwarf. Ich beruhigte mich wieder und antwortete, noch immer ein breites Grinsen auf den Lippen.

Nikolai: Alles klar. Dann wünsche ich euch mal ungestörten Spaß.

Noch immer fragte ich mich, ob diese Sache zwischen Maxim und meiner Schwester gut gehen würde. Sie schien wirklich glücklich, und auch mein bester Freund lächelte ständig wie ein Besoffener und folgte ihr auf Schritt und Tritt wie ein liebesbedürftiger Welpe. Der gefürchtete Maxim »The King« Gromow würde mir wahrscheinlich am liebsten den Schädel einschlagen, wenn er wüsste, dass ich so über ihn dachte. Aber was er nicht wusste, machte ihn auch nicht heiß. Und der Vergleich drängte sich einem geradezu auf.

Irgendwie, aus einem mir nicht erklärlichen Grund, funktionierte die Chemie zwischen den beiden, und sie schienen einander glücklich zu machen. Außerdem wusste ich, dass Maxim meine kleine Schwester beschützen konnte, wenn es darauf ankam. Auch wenn es kurzzeitig, bevor sie zusammengekommen waren, anders ausgesehen hatte. Diese Geschichte war zum Glück endlich beendet. Ich hoffte nur, dass Anya glücklich war. Mehr konnte ich mir wirklich nicht für sie wünschen.

Igor fuhr die schnittige Limousine mit E-Antrieb lautlos durch die schmalen Straßen der Upper East Side. Hier reihte sich ein beeindruckendes Haus an das andere. Die Autos, die auf den Straßen standen, kosteten ein verfluchtes Vermögen. Ich entdeckte eine ältere Frau in einem Pelzmantel, von dem ich für sie hoffte, dass es kein echter war, die mit einer winzig kleinen Töle an einer pinken Leine spazieren ging. Ich war mir nicht sicher, wer von den beiden die Nase höher trug.

Kopfschüttelnd wandte ich den Blick ab. Endlich kam unser Haus in Sicht. Es hob sich mit seiner beinahe schneeweißen Fassade und den schwarzen Fensterrahmen kaum von denen in seiner Nachbarschaft ab. Nur waren unsere Scheiben, wohl anders als die in unserer Umgebung, aus kugelsicherem Glas. Und hinter der ebenfalls schwarzen Eingangstür stand ein bewaffneter Wachposten. Das gehörte eher nicht zur Standardausstattung hier in der Gegend. Vielleicht auch doch. Ich wusste es nicht genau, da ich keinen besonders engen Kontakt zu unseren Nachbarn hielt. Aber andere Mafiafamilien lebten hier nicht, so viel war klar.

Nachdem Igor den Wagen geparkt hatte, schälte ich mich aus dem Inneren und holte meine Reisetasche aus dem Kofferraum.

»Kommst du mit rein, Igor?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich muss gleich schon wieder weiter.«

Ich nickte und winkte ihm zum Abschied, bevor ich die Straße überquerte und das Haus betrat. Der Wachposten, der heute hinter der Tür stand, nickte mir zur Begrüßung kurz zu. Ich stellte meine Tasche ab, um meine Jacke an der Garderobe aufzuhängen, bevor ich sie wieder aufnahm und weiter in die Eingangshalle trat. Der gläserne Kronleuchter verbreitete ein warmes Licht von oben, beleuchtete die vereinzelten Andenken und Erbstücke, die meine Familie aus Russland mitgebracht hatte.

Tief atmete ich den vertrauten Duft ein und ließ die bekannte Atmosphäre auf mich wirken. Ich hatte mich in Baltimore zwar nicht direkt unwohl gefühlt, trotzdem es war nie mein Zuhause gewesen – nicht so wie hier.

Aus der Küche, die sich rechts von mir befand, drang leise Radiomusik, und es roch so köstlich, dass mein Magen sofort knurrte. Am liebsten wäre ich direkt meiner Nase gefolgt, allerdings wusste ich genau, dass Polina mich mit einem Kochlöffel aus der Küche jagen würde, da das Essen noch nicht fertig war und sie es gar nicht mochte, wenn man sie beim Kochen störte. Früher, als Anya und ich noch kleiner gewesen waren, hatte sie das nicht gestört. Da hatten wir auf den hölzernen Hockern an der Kücheninsel gesessen und ihr dabei zugesehen, wie sie die Mahlzeiten zubereitet hatte. Und hin und wieder war auch eine kleine Kostprobe für uns abgefallen. Wahrscheinlich hatte sie uns damals noch süß und niedlich gefunden, aber sobald wir das nervige Teenageralter erreicht hatten, hatte sie uns ohne Gnade aus der Küche geschmissen. Obwohl ich den Verdacht hegte, dass Anya hin und wieder noch als Gast erlaubt gewesen war.

Da mich ganz offensichtlich kein Begrüßungskomitee erwartete, ging ich die leicht geschwungene schwarze Treppe nach oben. Die Sohlen meiner Stiefel machten dabei leise quietschende Geräusche auf dem Steinboden unter meinen Füßen, aber der dunkelgraue Teppich in der ersten Etage schluckte schließlich jedes Geräusch. Ich ging vorbei an meinem Arbeitszimmer, das sich im Gegensatz zu dem von meinem Vater hier oben befand, genauso wie an dem Gästezimmer, das mit dem Erker den schönsten Ausblick im Haus hatte. Dahinter, als letztes Zimmer auf der rechten Seite, befand sich mein Reich. Ich öffnete die dunkle Holztür und musste grinsen. Polina war fleißig gewesen. Mein Koffer stand bereits ausgepackt rechts neben der Tür. Im Zimmer roch es nach frisch gewaschener Bettwäsche, und aus dem angrenzenden Bad drang leises Wasserrauschen, weil unsere Haushälterin und früheres Kindermädchen wusste, dass ich nach einer Reise gerne ein heißes Bad nahm.

»Ah, Polina, du bist die Beste«, flüsterte ich leise in den leeren Raum hinein.

»Ich weiß«, erklang es plötzlich hinter mir.

Ich wirbelte herum und blickte auf die kleine Frau hinunter, die ohne Vorwarnung hinter mir aufgetaucht war.

»Wie kannst du nur so leichtfüßig sein?«, fragte ich leicht vorwurfsvoll.

»Ach, Jungchen.« Sie winkte ab. »Gib mir deine Reisetasche.«

Ich starrte Polina an. Über ihrer Schulter hing ein Geschirrhandtuch, an dem sie sich gerade die Hände abwischte, bevor sie sie mir entgegenstreckte. Über dem einfachen grauen Kleid, das sie trug, hatte sie sich eine weiße Schürze gebunden, auf der bereits ein paar Flecken zu sehen waren. Und ihr haftete der gleiche wunderbare Duft an, den ich bereits im Eingangsbereich gerochen hatte. Nur schien Polina immer so zu riechen, ob sie jetzt gerade nun kochte oder nicht.

»Komm schon.« Sie krümmte die Finger, mahnte mich zur Eile, als ich ihr nicht sofort die Tasche gab. »Ich hab das Essen auf dem Herd und nicht ewig Zeit.«

Sie sah mich streng an. Die Zeit hatte Falten in ihr freundliches Gesicht gegraben, und obwohl sie mich mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen betrachtete, spielte doch ein vertrautes Lächeln um ihre schmalen Lippen.

»Ich kann meine Sachen auch selber auspacken«, setzte ich an, gab ihr aber gleichzeitig schon meine Reisetasche. Ich wusste ja, dass ich eine Diskussion mit Polina nur verlieren konnte. Sie hatte diesen Haushalt fest im Griff.

Polina schnalzte mit der Zunge, als traute sie mir nicht einmal zu, mich selber vernünftig anzuziehen, und verschwand mit meiner Tasche im Schlepptau.

»Essen ist in einer Stunde fertig!«, rief sie mir noch über die Schulter zu. Das Also sei gefälligst frisch gebadet und angezogen am Esstisch hing unausgesprochen zwischen uns. Aber ich war ja auch nicht völlig wahnsinnig und würde eins von Polinas selbst gekochten Abendessen verpassen. Dafür schmeckte es einfach viel zu gut.

Grinsend betrat ich mein Zimmer und ging zu der Kommode, die vor dem Fenster stand. Von hier aus konnte ich auf die Grenze zwischen unserem und dem Nachbargrundstück sehen. Makelloser Rasen bedeckte die Fläche, nur getrennt durch einen hohen Zaun, verkleidet mit weißen Holzbalken, damit man bloß nichts von seinen Nachbarn sah. Leichter Nebel hing über den Grashalmen und verlieh dem Garten ein mystisches Flair.

Ich zog mein Handy aus der Hosentasche und legte es auf die Kommode, neben das Bild von Anya, Maxim und mir aus Kindheitstagen, das dort stand. Danach ging ich ins Bad, zog mich aus und warf die schmutzige Kleidung in den Wäschekorb, der neben der Tür stand. Die Badewanne war inzwischen fast vollgelaufen und lockte mich mit ihrer Wärme und dem leichten Duft nach Vanille und Sandelholz.

Ich machte den Wasserhahn zu und ließ mich in die Wanne sinken. Ein zufriedenes, entspanntes Seufzen entfuhr meinem Mund.

Ich war zu Hause. Und ich konnte es kaum erwarten, alle Vorzüge zu genießen, die das mit sich brachte.

2

Nikolai

Auch wenn ich gerne noch länger in der Badewanne entspannt hätte, sah ich zu, dass ich mich pünktlich zum Abendessen im Esszimmer einfand. Wie gesagt, den Zorn von Polina wollte ich nicht auf mich ziehen. Meinem Vater schien es ähnlich zu gehen, denn er erwartete mich bereits am Tisch. Das Handy in der Hand und vertieft auf den Bildschirm starrend – vermutlich las er E-Mails, studierte den Aktienkurs oder verfolgte die aktuellen Nachrichten.

»Guten Abend, Vater«, sagte ich zur Begrüßung, als ich den Raum betrat.

Anatoli »The Redeemer« Krylow sah hoch und bedachte mich mit einem ausgeprägten Lächeln. Ich war, abgesehen von einer kurzen Stippvisite als die Iren zu Besuch waren, länger nicht in der Stadt gewesen, und plötzlich hatte ich den Eindruck, als wäre er gealtert. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte ich ihn für unbesiegbar gehalten. Aber inzwischen sah ich die Falten, die sich in seine Mundwinkel gegraben hatten, genauso wie die Schatten um seine Augen und das leichte Zittern seiner Hand, als er das Handy auf den Tisch legte. Er war alt geworden. Und das bereitete mir Sorgen.

»Willkommen zu Hause, mein Sohn. Schön, dass du wieder da bist.« Er stand auf, kam zu mir herüber und nahm mich in eine väterliche Umarmung.

Nur, weil die Zeit nicht spurlos an ihm vorüberging, bedeutete das aber nicht, dass mein Vater etwas von seinem Einfluss oder seiner Macht verloren hatte. Er war vielleicht nicht mehr so schnell wie früher, aber seine muskulösen Arme und riesigen Pranken konnten noch immer Genicke durchbrechen wie Salzstangen.

»Es tut gut, wieder hier zu sein«, gestand ich mit einem schiefen Grinsen.

»Wie geht es deiner Schwester?«, fragte er, während wir zum Tisch zurückgingen und uns setzten.

»Gut. Sie und Maxim gehen heute Abend ins Theater.«

Mein Vater zog die Augenbrauen zusammen. »Theater?«

Vermutlich versuchte er gerade genauso erfolglos wie ich, sich die hibbelige Anya ruhig sitzend in einem Theater vorzustellen.

»Es war Maxims Idee«, fügte ich hinzu.

»Das ergibt Sinn«, murmelte er.

Polina suchte sich diesen Moment aus, um den Raum zu betreten. Zwei dampfende Teller in den Händen. Sie stellte der Hierarchie im Haus folgend zuerst meinem Vater das Essen hin und dann mir. Danach tätschelte sie mir noch auf mütterliche Weise die Schulter und verschwand. Mit einem Stirnrunzeln sah ich ihr hinterher. Hatte ich mir das nur eingebildet oder hatte in ihrer Berührung so etwas wie Mitleid und Trost gesteckt? Aber warum sollte sie mich trösten wollen?

Ich schüttelte den Gedanken ab, da er absolut keinen Sinn ergab, und nahm mein Besteck in die Hände. Die Pelmeni, russische Teigtaschen, sahen zum Anbeißen aus. Dazu die dunkle Soße und das saftige Steak und mir lief bereits das Wasser im Mund zusammen.

»Verdammt, ich habe Polinas Essen vermisst!«

Mein Vater lachte und ich sah grinsend zu ihm herüber. Erst da bemerkte ich, dass sein Teller völlig anders aussah als meiner: Hähnchenbrust und Gemüse lagen darauf.

Fragend zog ich eine Augenbraue nach oben und deutete mit der Gabel auf seinen Teller. »Was ist denn hier los?«

Anatoli winkte ab. »Ach, nichts. Polina ist der Meinung, sie müsste mich auf Diät setzen.«

Zweifelnd betrachtete ich meinen Vater. Er war vielleicht etwas fülliger um die Körpermitte geworden, aber dennoch weit davon entfernt, von unserer Haushälterin eine Diät verpasst zu bekommen.

»Und wie kommt sie auf die Idee?«

Mein Vater zuckte mit den Schultern und schnitt in die Hähnchenbrust, steckte sich ein Stück Fleisch in den Mund. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien es zwar zu schmecken, aber die Art und Weise, wie er auf meine Pelmeni schielte, sagte mir, dass er lieber mit mir tauschen würde.

»Frauen«, murmelte er nur, nachdem er seinen Bissen hinuntergeschluckt hatte.

Warum hatte ich das Gefühl, als hätte ich nach einigen Tagen Pause meine Lieblingsserie wieder angeschaltet, und jetzt konnte ich die Zusammenhänge nicht mehr nachvollziehen, weil mir ein paar Folgen fehlten?

»Aha.« Mein Tonfall sagte klar und deutlich, dass ich ihm nicht glaubte. Aber mein Vater war der schlimmste Sturkopf, den ich kannte. Er würde mir Informationen genau dann mitteilen, wenn er es für richtig hielt, und keine Minute früher. Wenn überhaupt. Da konnte ich mich auf den Kopf stellen, wie ich wollte. Ich würde es nicht eher erfahren.

Dennoch aßen wir in gemütlichem Schweigen, bis wir uns beide gesättigt zurücklehnten. Wie auf Kommando erschien Polina. Als hätte sie uns von einem geheimen Aussichtspunkt aus beobachtet und nur auf den Moment gewartet, in dem wir mit Essen fertig waren.

Sie warf meinem Vater einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte, aber er vermied es, sie anzusehen. Hier ging eindeutig etwas vor sich, von dem ich nichts wusste.

Sie kam zu mir und lächelte mich an. »Hat es dir geschmeckt?«

Ich nickte und tätschelte meinen Bauch. »Ich habe seit Monaten nicht mehr so gut gegessen, Polina. Du bist eine Meisterköchin.«

»Du hast in Baltimore wahrscheinlich auch nur Mist gefuttert.«

Da Anya und ich uns hauptsächlich von Lieferdiensten ernährt hatten, konnte ich das jetzt nicht unbedingt leugnen. Deswegen grinste ich nur und stellte stattdessen lieber eine Frage, um abzulenken.

»Gibt es noch Nachtisch?«

Sie schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge, als wäre sie von meinem Verhalten enttäuscht. Aber ich sah das amüsierte Funkeln in ihren Augen und wusste, dass sie mir nicht böse war. Außerdem hatte Polina immer einen Nachtisch für mich bereit.

»Honigkuchen steht in der Küche. Du kannst dir später ein Stück holen.«

Ich legte mir eine Hand aufs Herz. »Ich liebe dich.«

Sie lachte und räumte meinen Teller ab. »Und du bist ein unverbesserlicher Schmeichler.«

Nachdem Polina das Esszimmer wieder verlassen hatte, sah ich meinen Vater an und beugte mich nach vorne, legte die Unterarme auf dem Tisch ab.

»Und, was gibt es Neues?«

Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände auf dem Bauch. »Die Geschäfte laufen ganz gut. Die Bordelle und illegalen Casinos sind weiterhin unter guter Führung unserer Jungs. Es gab keine Zwischenfälle seit deinem letzten Besuch.«

Ich nickte zufrieden. »Und die Geldwäsche?« Das war unsere größte Einkommensquelle und gleichzeitig auch das größte Risiko. Die Blüten wurden in Kanada produziert und mussten danach erst ins Land geschafft werden. Und Grenzkontrollen waren schwierig. Ein verschwindend geringer Prozentsatz flog leider immer auf. Manchmal mussten unsere Leute deswegen sogar ins Gefängnis. Das war zwar nicht schön, gehörte aber zum Berufsrisiko. Außerdem kümmerten wir uns darum, dass es ihnen auch hinter Gittern so gut wie möglich ging. Mit Geld, der passenden Ware und den richtigen Kontakten war beinahe nichts unmöglich.

»Könnte besser sein.«

Ich runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«

Mein Vater breitete die Arme aus. »Die Kontrollen werden schärfer, gleichzeitig brauchen wir viel länger, bis das Geld gewaschen wird. Unsere Kontakte bei der Polizei berichten, dass der Bürgermeister stärker gegen die organisierte Kriminalität in seiner Stadt vorgehen will.« Er verschränkte die Arme wieder vor dem Körper. »Das Geschäft wird immer schwieriger.«

»Ist es das, was dir Sorgen bereitet?« Das könnte die Augenringe erklären und auch Polinas Verhalten. Wahrscheinlich hatte sie etwas von den Problemen mitbekommen und wollte sichergehen, dass mein Vater diese Informationen mit mir teilte.

»Ja. Ich befürchte, ohne Unterstützung werden wir früher oder später auf ein Problem zusteuern.«

»Unterstützung?«, hakte ich nach.

Als wir damals nach Amerika gekommen waren, hatte sich mein Vater alles aus eigener Hand aufgebaut. Ohne Skrupel, mit Gewalt und einem messerscharfen Verstand. Er hatte ganz klein angefangen und gehörte jetzt zu den mächtigsten Männern dieser Stadt.

Wir waren noch nie irgendwelche Allianzen eingegangen. Wir hatten es immer aus eigener Kraft geschafft. Dass mein Vater jetzt plötzlich einen anderen Ton anschlug, überraschte mich sehr.

»Wir müssen expandieren, wenn wir in Zukunft weiterhin unser Geld gewinnbringend waschen wollen. Wir brauchen mehr Männer, mehr Geschäfte.«

»Redest du von einer Partnerschaft?«, fragte ich mit deutlicher Skepsis in der Stimme.

Wir sahen einander an, und es war, als würde ich in ein Spiegelbild schauen. Ein Spiegelbild der Zukunft. Während Anya nach unserer verstorbenen Mutter kam, war ich eindeutig der Sohn meines Vaters. Verwechslung ausgeschlossen. Aber obwohl wir bereits viele Jahre Seite an Seite arbeiteten, fiel es mir oftmals noch schwer, seine Gedanke zu erkennen. Er hatte ein makelloses Pokerface.

Wir starrten einander eine Weile an, bevor mein Vater den Blickkontakt unterbrach. Noch etwas, dass er früher nicht getan hätte. Dieser Abend steckte voller Überraschungen, und ich hatte noch nicht entschieden, ob diese gut waren.

»Vielleicht.«

Beinahe wäre mir die Kinnlade runtergeklappt. Kurz fragte ich mich, was Anya von diesen Entwicklungen halten würde. Sie hatte, als seine kleine Prinzessin, immer einen besonderen Draht zu unserem Vater gehabt. Allerdings hatte er sie auch immer so weit wie möglich von den Geschäften ferngehalten. Aber sie war nicht mehr hier, sie war glücklich verlobt in Baltimore. Falls unser Vater jetzt also spontan verrückt geworden war, würde ich mich alleine darum kümmern müssen.

»Und wie stellst du dir das vor? Die anderen Familien in New York sind uns nicht gerade wohlgesonnen. Hast du schon einen Plan? Wie willst du irgendwen davon überzeugen, mit der russischen Mafia zusammenzuarbeiten?«

Er drehte mir wieder das Gesicht zu. »Ich arbeite bereits an einem Plan.«

»Und wie sieht der aus?«

Sein Handy vibrierte auf dem Tisch und das Display leuchtete auf. Er warf einen kurzen Blick darauf und erhob sich dann.

»Ich muss los.«

Fassungslos starrte ich ihn an. »Was? Wohin?« Er schien mich gar nicht zu beachten, während er kurz auf dem schmalen Gerät herumtippte. »Vater!«

Kurz sah er mich an. »Ja?

»Wir führen hier gerade ein wichtiges Gespräch!« Was zum Teufel war hier los?

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich an einem Plan arbeite.«

»Und du willst diese Idee eines Plans nicht mit mir diskutieren?«

Die Tür zum Esszimmer wurde geöffnet und unser Fahrer erschien. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt stellte er sich neben die Tür. Mein Vater lächelte ihn an und nickte dann kurz in meine Richtung.

»Wir sehen uns morgen.«

Sprachlos sah ich ihm hinterher. Während mein Vater und Igor verschwanden, hatte ich das Gefühl, dass Letzterer mit Absicht meinen Blick mied. Nachdem ich alleine im Raum war, saß ich noch eine Weile am Tisch und grübelte über das mehr als merkwürdige Gespräch mit meinem Vater nach. Irgendetwas stimmte hier nicht. Und ich konnte nur hoffen, dass ich die benötigten Informationen erhielt, bevor wir auf eine Katastrophe zusteuerten.

3

Nikolai

An diesem Abend fand ich keine Ruhe. Was nach dem Gespräch mit meinem Vater beim Essen wohl auch keine Überraschung war. Weder die kraftzehrende Sporteinheit, noch die anschließende warme Dusche, hatten dafür gesorgt, dass ich hatte einschlafen können.

Deswegen warf ich um kurz vor Mitternacht die Bettdecke von mir, zog mir T-Shirt und Jogginghose über und stapfte missmutig in Richtung Küche. Polina hatte etwas von Honigkuchen erzählt, und nach dem Schock, den mein Vater mir verpasst hatte, hatte ich das leckere Dessert glatt vergessen.

Vielleicht würde mir ein Stück selbst gemachten Kuchens von Polina etwas Müdigkeit schenken. Und selbst wenn nicht, war ich so für ein paar Minuten beschäftigt. Danach konnte ich mir immer noch überlegen, wie ich mich selber müde machte.

Ich schritt den dunklen Flur entlang. Mondlicht fiel durch die Fenster und warf lange Schatten auf den dunklen Holzboden. Ein paar Landschaftsfotografien in Schwarz und Weiß hingen an den Wänden. Ich kannte jedes dieser beeindruckenden Motive, aber bei den aktuellen Lichtverhältnissen sahen sie eher aus wie Bilder aus einem Horrorkabinett.

Wenn ich nachher tatsächlich immer noch nicht schlafen konnte, sollte ich mir vielleicht überlegen, ob ich mich noch einmal richtig anzog und in irgendeine Bar schleppte. Vielleicht würde ich dort die richtige Ablenkung finden. Es gab hier in New York weiß Gott genug Etablissements, in denen man sich auch mehrere Nächte hintereinander vergnügen konnte. Da sollte ich doch wohl ein paar Stunden Zerstreuung finden können.

So in Gedanken versunken, bemerkte ich die Stimmen erst, als ich schon fast am Büro meines Vaters vorbeigelaufen war. Die Türen waren eigentlich geschlossen. Lediglich ein winziger Spalt war offen gelassen worden, wahrscheinlich eher aus Unachtsamkeit als aus Absicht. Zuerst bemerkte ich die aufgebrachten Stimmen, dann konnte ich sie als die Polinas und meines Vaters identifizieren. Neugierig geworden blieb ich stehen und streckte schon die Hand nach der Türklinke aus, weil ich fragen wollte, was los war.

Aber meine Hand erstarrte mitten in der Bewegung zu Eis, als ich hörte, was Polina in diesem Augenblick sagte.

»Hast du es ihm endlich gesagt?«

Ich runzelte die Stirn. Von wem sprach sie?

Als sie keine Antwort erhielt, hörte ich sie empört nach Luft schnappen.

»Er ist dein Sohn, Anatoli! Du musst es ihm sagen!«

Also ging es in diesem Gespräch um mich? Ich drückte mich mit dem Rücken an die Wand neben den Türen und lauschte. Wie ein kleines Kind, das seine Eltern belauschte, um abzuschätzen, wie viel Ärger man bekommen würde.

»Ich muss gar nichts. Ich bin hier der Herr im Haus. Hast du das etwa vergessen?«

Ich zog eine Augenbraue hoch. Mein Vater klang ungewohnt scharf, jedenfalls gegenüber Polina. So kannte ich ihn gar nicht. Dass er sie derart zurechtwies, war sehr ungewöhnlich.

»Und hast du vergessen, wer bei dem kleinen Zwischenfall dabei gewesen ist? Sich um alles gekümmert hat? Das war nämlich ich, du elender alter Griesgram!« Würde die Situation nicht so ein ungutes Gefühl in meiner Magengrube auslösen, hätte ich jetzt laut losgelacht.

»Ich habe es ihm nur deswegen nicht gesagt, weil du mir versprochen hast, dass du es ihm sagen wirst, sobald er wieder zu Hause ist!«

Eine Weile herrschte Schweigen, dann antwortete mein Vater ziemlich kleinlaut: »Es war noch nicht der richtige Moment.«

»Ha!«, konterte Polina. »Also war das Abendessen, wo ihr beide ungestört zusammengesessen habt, der falsche Moment. Das musst du mir jetzt aber mal erklären, ich bin gespannt.«

Inzwischen hatte sich mein Magen zu einem schmerzhaften Knoten verengt, und ich fragte mich nicht länger, ob hier irgendwas nicht in Ordnung war. Ich wusste es. Irgendetwas war während meiner Abwesenheit vorgefallen, von dem mein Vater nicht wollte, dass ich es erfuhr – noch nicht.

»Polina, das ist ein schwieriges Thema. Und es ist noch mit so vielen anderen Dingen verbunden.«

»Das sind nur Ausreden und das weißt du selber.«

»Und was erwartest du jetzt von mir?« Mein Vater klang hilflos und erschöpft. So hatte ich ihn noch nie gehört.

»Dass du es ihm erzählst.«

Jetzt hatte ich endgültig genug gehört. Ich drückte mich von der Wand weg, griff nach der Tür und stieß sie auf. Polina zuckte zusammen und wirbelte zu mir herum. Als sie mich sah, schien sie blass zu werden. Auch mein Vater wirkte alles andere als begeistert, mich zu sehen.

»Was sollst du mir erzählen?«

Das Büro meines Vaters war hell erleuchtet. Links von mir säumten hohe, dunkle Bücherregale die Wände. Viele Erstausgaben, die meisten noch auf Russisch, füllten die Bretter. Rechts von mir befand sich ein großes Fenster, mit Blick auf die Straße nach vorne. Wenn ich näher ranging, konnte ich wahrscheinlich die Limousine sehen, die Igor vor der Haustür geparkt hatte. Auf dem gleichen dunklen Holzfußboden, der auch im Flur und in fast allen anderen Räumen des Hauses verlegt war, lag ein dunkelroter Teppich mit einem ausgeblichenen Muster. Hinter einem massiven Schreibtisch aus Holz thronte mein Vater. Aber seine Haltung wirkte alles andere als königlich. Seine Schultern hingen nach vorne, die Hände lagen mit den Handflächen nach unten auf der Schreibtischplatte. Er wirkte müde. Als hätte er seit Tagen nicht geschlafen.

Polina sah zwischen meinem Vater und mir hin und her. Als niemand von uns etwas sagte, räusperte sie sich leise. »Ich lasse euch besser alleine.«

Niemand von uns hielt sie auf. Mit einem leisen Klicken schloss sie die Tür von außen. Ohne auf eine Einladung zu warten, ließ ich mich in einem der Besucherstühle vor seinem Schreibtisch nieder. Wir sahen einander in die Augen.

»Was ist hier los?«, fragte ich und versuchte, meine Stimme dabei so ruhig wie möglich zu halten. Offensichtlich fiel es meinem Vater schwer, über dieses Thema zu sprechen, und ich wollte es nicht noch härter für ihn machen. Gleichzeitig konnte ich eine gewisse Schärfe nicht aus meiner Stimme heraushalten, weil ich dringend wissen musste, was hier vor sich ging. An mir nagte das ungute Gefühl, dass etwas Gravierendes passiert war und in den nächsten Monaten einige Veränderungen auf uns zukommen würden. Da wollte ich lieber von Anfang an mit ins Boot geholt werden, als irgendwann auf halbem Weg mit einbezogen zu werden und dann nichts mehr ändern zu können.

Mein Vater knetete seine Hände. Sah an mir vorbei, blickte auf einen Punkt über meiner Schulter. Es dauerte einige Minuten, bis er es schaffte, meinen Blick wieder zu erwidern.

Als er schließlich zu sprechen begann, war seine Stimme tief, ruhig. Und gleichzeitig so belegt, dass klar war, dass wir über ein ernstes Thema sprachen.

»Nachdem die Iren vor einigen Wochen zu Besuch waren, liefen die Geschäfte auf einmal schlecht. Ein paar der kleineren illegalen Glücksspielstellen flogen auf, und über die anderen Probleme haben wir ja schon beim Abendessen gesprochen.«

»Warum hast du denn nichts gesagt?«

»Weil ich wollte, dass du deiner Schwester beistehst. Sie hat ein eigenes, unabhängiges Leben verdient. Etwas, das sie glücklich und zufrieden macht. Außerdem hatte ich noch das Gefühl, dass alles unter Kontrolle war. Nur ein paar Stolpersteine auf dem Weg. Das war nicht das erste Mal in meiner Karriere, und ich war überzeugt, dass ich das schon schaffen konnte. Aber ich hatte außer Acht gelassen, dass ich auch älter geworden bin. Ich begann schlecht zu schlafen, der Stress setzte mir zu.«

Mein Herzschlag beschleunigte sich. Mir gefiel die Richtung gar nicht, die dieses Gespräch gerade nahm.

Mein Vater sah mir direkt in die Augen. »Und dann hatte ich einen Herzinfarkt.«

Ich war mir sicher, dass meine Kinnlade gerade hart auf dem Boden aufgeschlagen war. Schockiert starrte ich meinen Vater an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber er schien auch keine Antwort von mir zu erwarten, da er einfach weitersprach.

»Polina fand mich an diesem Tag. Ich war auf dem Weg zum Essen zusammengebrochen. Ich wurde ins Krankenhaus gebracht und bekam dort Medikamente. Es war anscheinend kein besonders schlimmer Infarkt, und schon ein paar Tage später wurde ich in die Reha entlassen.«

»Reha?«, fragte ich völlig perplex.

Mein Vater nickte, als wäre diese Information in keiner Weise dramatisch.

»Die haben mich in allerhand Kurse gesteckt, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe und die ganze Geschichte auf eigene Verantwortung beendet habe.«

»Wie bitte?« War ich jetzt hier im falschen Film unterwegs oder was?

»Na ja, jetzt kümmert sich Polina um meine Ernährung, und ich habe eine Therapeutin, die sich um meine Fitness kümmert. Außerdem gehe ich zwei bis drei Mal pro Woche zu ambulanten Rehamaßnahmen.«

Er verschränkte die Hände vor dem Bauch und sah mich abwartend an. Ich starrte zurück, während mein Hirn noch versuchte die erhaltenen Informationen zu verarbeiten. Mein Vater hatte einen Herzinfarkt und seinen Kindern nichts darüber erzählt. Wow. Wenn mir die Situation nicht so eine Angst gemacht hätte, dann hätte ich jetzt gelacht.

Ich konnte kaum glauben, was mein Vater mir gerade erzählt hatte. Unfassbar, dass er dieses Geheimnis die ganze Zeit vor Anya und mir verborgen hatte. Ich fragte mich, was er damit hatte erreichen wollen. Ihm hätte doch klar sein müssen, dass wir früher oder später davon erfahren würden.

»Du hast dich selber aus der Reha entlassen?« Mein Verstand schien den Ereignissen noch etwas hinterherzuhinken.

Mein Vater nickte. »Ja.«

Ja? Mehr hatte er dazu nicht zu sagen? Ich rieb mir mit den Handflächen über die Oberschenkel und nahm einen tiefen Atemzug.

»Und was jetzt?«

Mein Vater zuckte mit den Schultern. »Ich hatte einen Herzinfarkt. Aber jetzt geht es mir wieder gut.«

Ich betrachte ihn misstrauisch. Er schien noch etwas zu verbergen. Ich merkte es an der Art und Weise, wie er meinen Blick immer nur für wenige Sekunden halten konnte, bevor er zur Seite sah. An der Art und Weise, wie unruhig er war. Immer wieder veränderten seine Hände die Position – von seinem Bauch zum Schreibtisch und wieder zurück.

Ich fragte mich, welche Nachricht er noch in petto hatte. Wenn er mir von seinem Herzinfarkt erzählen konnte, aber von anderen Sachen nicht, dann musste es schon sehr dramatisch sein.

Die Stimmung im Raum war komisch. So hatte ich mich in der Nähe meines Vaters noch nie gefühlt. Als wäre eine Mauer zwischen uns. »Also willst du jetzt einfach so weitermachen wie vorher?«, fragte ich und konnte nicht verhindern, dass ich sehr misstrauisch klang.

»Nicht direkt.«

Abwartend sah ich ihn an. Ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass er noch etwas vor mir verbarg. Anders konnte ich mir diese ganze Situation hier wirklich nicht mehr erklären.

Ich beugte mich nach vorne, stützte die Ellbogen auf die Knie und sah meinen Vater direkt an. Ich war angespannt – von den Infos, die ich in den letzten Minuten bekommen hatte und dem unguten Gefühl, dass da noch etwas war. Dazu noch die Tatsache, dass es ziemlich spät war, und im Ergebnis war ich ziemlich schlecht drauf.

»Vater«, begann ich und versuchte dabei, meine Stimme ruhig klingen zu lassen. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich erfolgreich war. »Abgesehen von der Tatsache, dass du einen Herzinfarkt hattest und kein Wort darüber verloren hast, worüber wir noch einmal sprechen sollten, werde ich das Gefühl nicht los, dass da noch etwas ist. Also bitte leg jetzt einfach die Karten auf den Tisch. Du hast für unsere Familie hier zwar alles aufgebaut, aber irgendwann soll ich das alles übernehmen. Du musst mit mir sprechen!« In den letzten Worten schwang deutlich meine Dringlichkeit mit.

Mein Vater räusperte sich, setzte sich gerade hin. »Es gibt da tatsächlich noch etwas, das wir besprechen sollten.«

Ich nickte.

»Ich hatte ja bereits erwähnt, dass die Geschäfte aktuell etwas schleppend laufen. Dazu diese Unannehmlichkeit mit meiner Gesundheit …« Ich musste mir ein genervtes Augenrollen verkneifen. Einen Herzinfarkt würde ich jetzt nicht unbedingt eine Unannehmlichkeit nennen. Aber ich verkniff mir einen Kommentar.

»Jedenfalls möchte ich mich aus dem aktiven Geschäft zurückziehen.«

Da war die Bombe.

Und er hatte sie einfach so platzen lassen.

Zum zweiten Mal während dieses Gesprächs war ich vollkommen sprachlos.

»Du willst … was?«

»Meine Therapeutin und mein Arzt sind nicht unbedingt zufrieden, wenn es um meine Blutdruckwerte geht. Ich soll mich mehr entspannen.« Bei dem Wort verzog er das Gesicht. »Weniger Stress, mehr Freizeit. Ich soll mir Zeit für die schönen Dinge im Leben nehmen.« Er schnaubte. »Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mich schon für halbtot halten.«

Ich konnte nicht genau beschreiben, was ich gerade empfand, aber so oder so ähnlich stellte ich mir den Wahnsinn vor.

»Jedenfalls muss ich mein Leben noch mehr umkrempeln, weil ich sonst wahrscheinlich wirklich bald tot bin. Und ich bin noch längst nicht bereit abzutreten. Besonders jetzt, wo Anya und Maxim heiraten werden. Das will ich auf keinen Fall verpassen.« Er lächelte kurz, bevor er wieder ernst wurde. »Verstehst du, was ich dir damit sagen will?«

Ich schüttelte den Kopf, lehnte mich in dem Stuhl zurück und nahm einen tiefen Atemzug, um meine Gedanken zu sortieren. »Nur fürs Protokoll. Du hattest einen Herzinfarkt, und jetzt soll ich die Familiengeschäfte übernehmen?«

Mein Vater nickte. »Das ist doch das, was du immer wolltest, oder?«

»Ja, klar. Ich meine natürlich. Aber doch noch nicht jetzt?«

Hatte ich nicht bei meiner Ankunft noch gedacht, dass ich es kaum erwarten konnte, mein Singledasein in New York zu genießen? Beinahe hätte ich laut gelacht. So schnell konnten sich die Dinge ändern.

»Glaub mir, mir wäre es auch lieber, wenn ich noch ein Weilchen länger die Zügel in der Hand hätte, aber meine Gesundheit hat anscheinend andere Pläne.«

Ich fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. »Ich kann nicht behaupten, dass ich mich dafür bereit fühle«, gestand ich. Besonders jetzt, da die Geschäfte ja anscheinend nicht so flüssig liefen, wie sie es einst getan hatten.

»Ich werde jeden Schritt des Weges an deiner Seite sein. Das kannst du mir glauben.«

Ich rang mir ein Lächeln ab. »Danke, Vater. Aber das ist alles etwas schwer zu verdauen.«

Mein Vater nickte. »Ich weiß.«

»Ich wünschte, du hättest mir früher von alldem erzählt.«

Er seufzte leise. »Wahrscheinlich hätte ich das tun sollen. Es tut mir leid.«

In diesem Moment fiel mir noch etwas anderes ein. »Du musst es Anya erzählen.«

»Aber sie –«

»Wenn du es nicht machst, werde ich es tun«, fiel ich ihm ins Wort. »Was ist dir lieber?«

Mein Vater und ich lieferten uns ein Blickduell. Es war ein wenig, als würde ich in einen Spiegel meiner Zukunft blicken. Die gleichen blauen Augen, das stolze Kinn, der entschlossene Ausdruck. Das alles war nur allzu vertraut.

Der Respekt vor meinem Vater gebot es eigentlich, dass ich derjenige war, der den Blickkontakt als Erster unterbrach – schließlich stand er in der Hierarchie auch über mir. Aber Letzteres würde sich nun ja offensichtlich schneller ändern, als ich erwartet hatte. Und es ging hier um ein wichtiges Thema. Meine Schwester würde mir den Kopf abreißen, wenn ich ihr diese Informationen verschwieg. Und da sie jetzt mit meinem besten Kumpel verlobt war, würde er gleich mitkommen und mir endgültig den Rest geben.

Danke, aber nein danke. Darauf konnte und wollte ich wirklich verzichten.

Mein Vater knickte ein. »Na, schön. Ich werde sie anrufen.«

Erleichterung ergriff mich. Gleichzeitig fühlte ich mich immer noch, als hätte mich ein Zug überrollt. Der Gedanke, dass mein Vater hätte sterben können, schmerzte und ängstigte mich. Mehr, als ich bereit war mir einzugestehen. Jetzt musste ich mich plötzlich an den Gedanken gewöhnen, dass ich bald das Oberhaupt der Krylow-Familie war. Auch wenn mein Vater vermutlich nie ganz von der Bühne der Mafia verschwinden würde. Ich würde unseren Geschäften vorstehen. Diese Tatsache erfüllte mich mit Vorfreude. Auch wenn gleichzeitig ein nervöses Gefühl in meinem Magen rumorte. Allerdings war ich bereits mein Leben lang auf diesen Moment vorbereitet worden. Das hier war mein Erbe, mein Geburtsrecht. Und ich würde mein Bestes geben, um meinen Vater stolz zu machen. Langsam aber sicher breitete sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus. Ja, das hier würde gut werden. Ich würde hart dafür arbeiten.

»Da ist noch etwas«, unterbrach mein Vater meine Gedanken.

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich gedankenverloren aus dem Fenster gestarrt hatte. Innerlich wappnete ich mich gegen die nächste Hiobsbotschaft.

»Ja?«, fragte ich.

Aber keine Zeit dieser Welt hätte mich auf die nächsten Worte meines Vaters vorbereiten können.

»Du wirst heiraten.«

4

Siobhan

Ich hatte schon immer ein recht … gespaltenes Verhältnis zu meinen Eltern gehabt. Sie liebten mich, und ich liebte sie, trotzdem da war nie unbedingt diese spezielle Nähe gewesen, die man normalerweise in Familien fand. Wir hassten uns nicht, und es gab auch kein böses Blut zwischen uns, aber besonders nah standen wir uns nicht. Wir waren mehr wie eine lose Wohnungsgemeinschaft.

Vielleicht lag es daran, dass ich schon recht früh ziemlich selbstständig gewesen war. Oder dass meine Eltern, oder vielmehr mein Vater, sehr hart gearbeitet hatte, um uns dahin zu bringen, wo wir jetzt waren, und dementsprechend wenig freie Zeit gehabt hatte.

Meine Mutter war schon immer da gewesen, wo mein Vater war. Er war ihre große Liebe. Ihr Seelenverwandter, wie sie selbst nicht müde wurde zu betonen. Da war einfach immer wenig Zeit für mich gewesen. Dafür hatte ich viele Jahre lang ein absolut bezauberndes Kindermädchen gehabt, und ich war damals sehr traurig gewesen, als sie uns wieder verlassen hatte.

Jedenfalls fragte ich mich, ob ich deswegen eher wütend anstatt enttäuscht war wegen der Sache, die ich herausgefunden hatte. Was auch immer der Grund war, warum ich mich fühlte, wie ich mich fühlte, ich hatte auch Tage später immer noch keine Ahnung, was ich mit den neuen Informationen anstellen sollte. Ich konnte mich schließlich nicht einfach meiner besten Freundin anvertrauen. Abgesehen von der Tatsache, dass ich schlichtweg keine beste Freundin besaß, waren unsere internen Familienangelegenheiten auch absolut nichts, was ich mit der Außenwelt teilen wollte.

Und auch sonst gab es niemanden in meinem Umfeld, dem ich diese Informationen anvertrauen würde. Also würde ich das ganz allein mit mir ausmachen müssen. Aber das war nicht das erste Mal und würde wohl auch nicht das letzte Mal sein. Es hatte dabei nur noch nie so viel auf dem Spiel gestanden.

Ich unterdrückte ein Seufzen und griff nach dem kühlen Wasser, das in einem Glas auf dem niedrigen Beistelltisch neben meiner Liege stand. Ich lag auf einer der Liegen, die auf unserer Terrasse standen. Die Sonne schien heute sehr stark, und auch wenn es für mich noch nicht warm genug war, um hier nur im Bikini zu liegen, genoss ich die warmen Strahlen doch auf meinen nackten Füßen und wie sie meine Haut durch den Stoff meiner Kleidung wärmten.

Nachdem ich einen Schluck getrunken hatte, stellte ich das Glas wieder ab und sah auf die glänzende Wasseroberfläche des Pools. Die Sonne spiegelte sich darin und erzeugte ein helles Glitzern. Ich musste mir wirklich schnellstmöglich etwas überlegen und einen Plan machen, wie ich vorgehen sollte. Das Problem war nur, dass ich noch keine wirkliche Idee hatte.

»Wenn du weiter so grübelnd die Stirn runzelst, bekommst du noch schlimme Falten.«

Die Stimme meiner Mutter durchbrach meine Gedanken, und ich sah zur Seite. Als ich meine Eltern auf mich zukommen sah, schob ich mir die Sonnenbrille von der Nase hoch auf den Kopf und setzte mich seitlich auf die Liege.

»So schnell bekommt man keine Falten, Mum.«

Sie zuckte elegant mit den Schultern, als sie am Arm meines Vaters vor mir stehen blieb. »Man weiß nie.«

Ich versuchte, nicht genervt mit den Augen zu rollen. So war meine Mutter eben – stets darauf bedacht, dass eine Frau immer gut aussah. Schließlich hatte sie ihre Erfüllung darin gefunden, das schöne Anhängsel an der Seite eines machtvollen Mannes zu sein. Da musste ihre Tochter ja den gleichen Weg einschlagen. Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich nicht einfach nur das hübsche Schmuckstück am Arm irgendeines Mannes sein wollte. Aber das hatte sie nie verstanden und würde es in diesem Leben auch nicht mehr. Daher hatte ich es aufgegeben mit ihr darüber zu streiten.

Dennoch musste ich es ihr lassen, dass sie es geschafft hatte ihre Schönheit wirklich gut zu konservieren, auch im Alter. In ihr dickes, rotes Haar – das ich von ihr geerbt hatte – hatten sich nur wenige graue Strähnen geschlichen. Ihre Haut war weiterhin makellos, und die vereinzelten Falten akzentuierten nur ihre alterslose Schönheit. Die immer rot geschminkten Lippen unterstrichen das Strahlen ihrer grünen Augen. Und unzählige Yoga- und Pilates-Stunden hatten dafür gesorgt, dass ihr Körper auch in einem engen Etuikleid, wie sie es heute wieder trug, verdammt gut aussah. Ich hatte sie einmal zu einer dieser Stunden begleitet und mir währenddessen gefühlt dreimal den Rücken ausgerenkt und danach tagelang Muskelkater gehabt. Da hielt ich mich lieber an das Boxtraining, das ich ein- bis zweimal in der Woche machte.

»Es gibt etwas, worüber wir mit dir sprechen wollen, Siobhan«, schaltete sich mein Vater in diesem Moment in nüchternem Tonfall ein. Mein Blick fokussierte sich auf ihn. Ihm sah man das Alter weitaus deutlicher an als meiner Mutter. Seine Haut warf inzwischen einige Falten, das einst dunkle Haar war einem verwaschenen Grau gewichen. Dennoch war sein Blick weiterhin messerscharf und auch in einem Kampf würde er sich vermutlich noch behaupten können.

»Ach ja?«, fragte ich. Nervosität ließ meinen Nacken kribbeln. Mein Vater sah ziemlich ernst aus, aber das tat er häufiger. Es musste also nicht unbedingt etwas bedeuten. Vielleicht hatte er auch mein Büro kontrolliert. Obwohl ich alle verräterischen Dokumente gut verschlossen aufbewahrte, konnte ich nicht hundertprozentig sicher sein, dass er nicht doch etwas gefunden hatte. Mein Vater würde sich schließlich nicht von einer abgeschlossenen Schublade aufhalten lassen.

»Lass uns dafür doch reingehen.«

Ohne eine Antwort abzuwarten oder zu sehen, ob ich ihm folgte, drehte mein Vater sich um und ging über die Terrasse zurück ins Haus. Meine Mutter hing natürlich folgsam an seinem Arm.

Ich trank noch einen Schluck Wasser und nahm einen tiefen Atemzug, um mir selbst etwas Zeit zu verschaffen. Meine Gedanken rasten. Wusste er, was ich wusste? Würde er mich jetzt damit konfrontieren? Und wenn ja, wie würde ich reagieren? Ich respektierte meinen Vater über alle Maßen. Oder hatte es zumindest für den Großteil meines Lebens getan. Es war erstaunlich, was er aufgebaut hatte, und wie er es seit Jahren schaffte, die Geschäfte am Laufen zu halten. Er hatte immer gut für unsere Familie gesorgt. Ich hatte andererseits das irische Temperament meiner Vorfahren geerbt und war noch nie vor einem Kampf davongelaufen. Ich konnte verdammt stur sein. Egal, was mich jetzt bei diesem Gespräch erwarten würde, einfach klein beigeben würde ich jedenfalls nicht.

Ich schob meine Füße in die flachen Sandalen, richtete mich auf und ging nach drinnen. Meine Eltern saßen bereits auf der hellen Couch, und unsere Haushälterin stellte gerade drei Gläser frisches Wasser auf den niedrigen Glastisch. Gelbe Zitronenscheiben schwammen in der klaren Flüssigkeit, und die Eiswürfel klickten leise gegen das Glas. Dazwischen stand eine kleine Porzellanschale mit filigranem Muster und darin lagen selbst gemachte Pralinen, die in diesem Haushalt allerdings niemand anrührte. Meine Mutter aß niemals Süßigkeiten, und ich stand eher auf herzhafte Snacks. Die kleinen Leckereien waren also ausschließlich für Gäste gedacht. Ich ging zu der Couch auf der anderen Seite des Tisches und setzte mich meinen Eltern gegenüber. Innerlich straffte ich den Rücken.

»Also, was wolltet ihr mit mir besprechen?«, fragte ich. Ich sah ausschließlich meinen Vater an. Denn obwohl meine Mutter kerzengerade neben ihm saß, ein freundliches, nichtssagendes Lächeln auf den Lippen, würde sie zu diesem Gespräch nichts beitragen. Das passte einfach nicht in die Rolle des schmückenden Beiwerks. Eine eigene Meinung haben und diese auch noch aussprechen? Undenkbar!

»Wir sind heute Abend zum Essen eingeladen.« Ich sah ihn abwartend an. Diese Information war wohl kaum eine Besprechung wert. »Bei den Russen.«

Ich verkniff es mir, das Gesicht zu verziehen. Zum einen wollte ich nicht, dass meine Mutter sich dann doch zu einem Kommentar hinreißen ließ und mir erklärte, dass es sich für eine Dame nicht geziemte solche Grimassen zu schneiden. Zum anderen wusste mein Vater bereits, dass ich kein besonderer Fan der Russen war. Es interessierte ihn nur nicht.

Meiner Meinung nach war die Familie Krylow von allem zu viel. Zu laut, zu kämpferisch, zu familiär, zu grob, zu herzlich untereinander und vor allen Dingen viel zu gefährlich.

Man sagte zwar, dass man seine Freunde nah und seine Feinde noch näher bei sich halten sollte, aber wenn es die Familie Krylow betraf, vertrat ich eher den Standpunkt, dass wir uns besser an zwei sehr weit voneinander entfernten Punkten in dieser Stadt aufhalten sollten. Mein Vater war allerdings anderer Meinung. Er hielt es für eine gute Idee, mit ihnen Geschäfte zu machen, weil sie zu den mächtigsten Mafiafamilien hier gehörten. Und zusammen hielt er uns wohl für unbesiegbar.