Klassen erfolgreich führen - Doris Streber - E-Book

Klassen erfolgreich führen E-Book

Doris Streber

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Beschreibung

Dass Klassenführung eines der wichtigsten Kriterien für guten Unterricht darstellt, ist empirisch klar belegt: Klassenführung wird als zentrale Lehrerkompetenz erachtet, die zum Kern der Professionalität beruflichen Handelns zählt. Das Buch greift die Forderung nach Führung auf und zeigt, wie Lehrerinnen und Lehrer Klassen erfolgreich managen können. Die zentralen Aspekte von Klassenführung werden herausgearbeitet und zusammengeführt: Kommunikation, Struktur, Regulation und Präsenz. Das Buch bietet durch seine praktische Ausrichtung den Leserinnen und Lesern einen fallbezogenen Zugang. Fallbeispiele lassen nicht zuletzt erkennen, ob theoretisch ausgearbeitete Zugänge in der Praxis wirklich fruchten.

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Die Autorin

Dr. phil. Doris Streber ist Akademische Rätin an der Universität Bayreuth und Geschäftsführerin des Zentrums für Lehrerbildung. Sie studierte an der Universität Bayreuth Sportökonomie sowie Lehramt für Realschulen mit den Fächern Deutsch und Sport und schloss mit einem Diplom und dem Staatsexamen ab. Sie promovierte mit einer Arbeit zum Qualifizierungsgrad von Nachhilfelehrern. Ihre Hauptforschungsgebiete sind: Allgemeine Didaktik, individuelle Förderung, Lehrerpersönlichkeit und Klassenführung.

Doris Streber

Klassen erfolgreich führen

Guter Unterricht durch starke Lehrkräfte

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036692-3

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-036693-0

epub:     ISBN 978-3-17-036694-7

mobi:     ISBN 978-3-17-036695-4

Inhaltsverzeichnis

 

 

1   Die Bedeutung von Klassenführung für guten Unterricht

2   Aufbau der Arbeit

3   Strukturierende Unterrichtsgestaltung/kognitive Aktivierung

3.1   Choreografierte Unterrichtsplanung

3.2   Aktive und adaptive Einbeziehung der ganzen Klasse

3.3   Motivierendes Unterrichten

4   Kommunikation

4.1   Grundlegende Aspekte der Kommunikation

4.2   Feedback geben und auf Schülerseite initiieren

4.3   Humor als Bandbreittherapeutikum in einer Klasse

5   Regulation

5.1   Regulation über Verstärkungslernen

5.2   Regulation über Einsicht

5.3   Kommunikation und Regulation

6   Disziplin und Unterrichtsstörungen

6.1   Exkurs: Autorität

6.2   Exemplarische Fallbearbeitung

6.3   Sensibilisierung für das Thema Disziplin

6.4   Sensibilisierung für das Thema Unterrichtsstörungen

6.5   Umgang mit Disziplin und Unterrichtsstörungen

7   Umgang mit Aggression und Bullying/Mobbing

7.1   Klassenführung und Gewaltprävention

7.2   Der Mehrebenenansatz von Dan Olweus

7.3   Petermann: Training mit aggressiven Kindern und Jugendlichen

7.4   Das Konstanzer Trainingsmodell (KTM)

8   Präsenz

8.1   Exkurs: Neurobiologische Grundlagen nach Roth (2015)

8.2   Physische und gedankliche Präsenz

8.3   Umgang mit Schülerabweichungen und -fehlern

8.4   Handeln unter Druck

8.5   Präsenz bei Kounin

9   Teamentwicklung und professionelle Lerngemeinschaften

9.1   Teamentwicklung

9.2   Professionelle Lerngemeinschaften

Schlussgedanken

Literatur

1          Die Bedeutung von Klassenführung für guten Unterricht

 

 

»Klassen erfolgreich führen« wird hier als Haupttitel gewählt. Im Untertitel wird »guter Unterricht« erwähnt. Es leuchtet ein: Klassenführung und guter Unterricht werden zusammengedacht, wenn es um starke/gute Lehrkräfte geht. Doch die zentralen Begriffe werden getrennt behandelt, weil Klassenführung eine Komponente guten Unterrichts ist und weil sich starke/gute Lehrkräfte nicht allein auf guten Unterricht reduzieren lassen.

Klassenführung

Mittlerweile liegen im deutschsprachigen Raum mehrere aktuelle Monografien zum Thema vor, deren unterschiedliche Akzentuierung Haag (2018) aufzeigt. Doch dabei fällt auf, dass bspw. das Autorenteam Kiel, Frey und Weiß (2013), das im Titel den Begriff der Klassenführung verwendet, und das Team Ophardt und Thiel (2013), das den Begriff des Klassenmanagements im Titel gewählt hat, mit ihrer gewählten Begrifflichkeit das gleiche meinen.

Jäger (2018) nun macht neugierig, indem er einen Aufsatz vorlegt, in dem er genau dieses Begriffspaar analysiert: »Beide Begriffe sind grundsätzlich nicht gegenseitig austauschbar, weil mit ihnen durchaus Unterschiedliches angesprochen wird, … das kommt in den Veröffentlichungen der vergangenen 10 Jahre aber eher nicht zum Tragen« (S. 316).

Das Unterschiedliche sieht Jäger in den verschiedenen Kontexten, denen die Begriffe entstammen (vgl. im Folgenden Jäger, 2018). Während der Begriff Management aus der Betriebswirtschaftslehre entnommen ist, stammt der Begriff Führung aus der Sozialpsychologie.

Management umschreibt alle Vorgänge, welche die Führung von Organisationen – auch die einer Klasse – betreffen. Dabei werden drei Funktionen des Managements unterschieden:

»a) Management als Organisationsform: Hierbei geht es um das Handling einer Organisation durch eine begrenzte Anzahl von Personen, die jeweils eine Verantwortung für definierte Bereiche der Organisation innehaben.

b) Management als Tätigkeit: In der Ausübung der Verantwortung kommen Tätigkeiten zum Tragen, die als managen bezeichnet werden.

c) Management als Methode: Hierzu gehören beispielsweise das Managen mit Hilfe von Zielvereinbarungen, durch Delegation oder die Partizipation an Entscheidungsprozessen« (S. 316).

Jäger nun weist darauf hin, dass in der Schule die in a) beschriebene Funktion einer einzelnen Lehrkraft nur dann zukommt, wenn sie beispielsweise als Klassenlehrer oder innerhalb einer Fachschaft eine Leitungsfunktion übernommen hat, wohingegen die Funktionen von b) und c) von jeder Lehrkraft wahrgenommen werden.

Der Begriff der Führung bezieht sich auf a) Interaktionen einer Person gegenüber Individuen und/oder einer Gruppe mit dem Ziel, vorgegebene Absichten zu verwirklichen. Dabei existiert b) eine asymmetrische soziale Beziehung der Über- bzw. Unterordnung.

»Die Hauptabsicht einer Lehrkraft besteht darin, bei den Schülerinnen und Schülern einen Lernerfolg (s. a)) zu erzielen, und die Interaktionen (s. a)) betreffen beispielsweise Abfolgen von Instruktionen, Fragen, Antworten und Schülerhandlungen etc. im Unterrichtsgeschehen. Die genannte Asymmetrie (b)) bezieht sich auf die in den meisten Fällen gegebene unterschiedliche Expertise zwischen Lehrkraft und Schülern sowie auf die von der Lehrkraft qua Funktion ausgehende Machtfülle« (S. 316).

Aufgrund dieser Explikation macht Jäger deutlich, dass Klassenmanagement und Klassenführung als zwei Seiten derselben Medaille anzusehen sind. Dann folgert er, dass das Managen als dem Führen übergeordnet angesehen werden kann. Das Ganze relativiert sich, wenn man die Etymologie des Begriffes Management anschaut. Die Sprachforschung ist sich nicht einig, ob sich »Management« auf die lateinischen Ausdrücke »mansionem agere« oder »manus agere« zurückführen lässt. Eigentlich für den Zweck der Verwendung im schulischen Kontext egal: Ersterer Ausdruck »das Haus (für den Eigentümer) bestellen« verweist auf den heute gängigen Begriff von Leadership, letzterer (»an der Hand führen«) auf Klassenführung im engeren Sinne, eben dass ganz konkret die Lehrkraft ihre Schüler an der Hand führt. Klassenmanagement und Klassenführung wären etymologisch betrachtet dann tautologische Begriffe, somit austauschbar und damit im Kontext von Schule gleichermaßen verwendbar. Dabei ist Jägers Herleitung der unterschiedlichen Disziplinen mitzubedenken, um Schule als Ganzem gerecht zu werden.

Guter Unterricht

Über guten Unterricht sind seit den Anfängen der PISA-Diskussion zu Beginn der 2000er Jahre viele Publikationen entstanden (vgl. deutschsprachig: Helmke, 2003; Meyer, 2004). Im Gefolge ist auch die Frage nach dem guten bzw. erfolgreichen Lehrer vermehrt gestellt worden. Hatties Synopse auf Metastudien (2009, deutsch: 2013) ist wohl die bekannteste Antwort auf diese Frage. Hier beziehe ich mich auf Koch (2005), der den Lehrer nicht einseitig im Gefolge der empirischen Bildungsforschung verortet, sondern als Pädagoge den Lehrer zwischen Urteilskraft und Methode ansiedelt und fragt, was einen Lehrer ausmacht. Dazu trägt er sieben Antworten zusammen:

1.  Ein Lehrer kennt sich in seinem Fach bzw. in seinen Fächern aus: »Lehrer ist, wer Lehre hat« (S. 90).

2.  Ein Lehrer versteht sein Handwerk: »Lehrer ist, wer lehren kann« (S. 90).

3.  Ein Lehrer besitzt Menschenkenntnis. Darunter versteht er, die Kinder und Jugendlichen »wohlwollend, aufmerksam und lernbegierig zu ›machen‹« (S. 90).

4.  Ein Lehrer kennt nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst. Er hat Selbsterkenntnis: »Er kennt seine ›Rolle‹ … Er hat eine ›Standesehre‹, die sein Ethos ausmacht« (S. 91).

5.  Nicht zu vergessen ist das erzieherische Moment, »dessentwegen wir den Lehrer auch als Pädagogen zu bezeichnen pflegen« (S. 91).

6.  Vom Lehrer muss man erwarten, »dass er nämlich ein in den Grenzen des Möglichen gebildeter Mensch sei« (S. 91). Koch meint den Horizont, der alles das einschließt, was jenseits seines Faches sich erstreckt und wovon eine Ahnung zu haben den gebildeten Menschen charakterisiert, der weiß, was er nicht weiß.

7.  Den Lehrer erkennt man daran, dass er reden kann. »Reden aber heißt: Im Medium der Sprache sichtbar machen, was ansonsten unsichtbar ist« (S. 92).

Diese Tugenden – »Kompetenzen würde man heute sagen« (S. 92) – könnte man im Begriff der Klassenführung zusammenführen. Klassenführung als Querschnittskompetenz liegt quer zu diesen Kompetenzen, der Begriff beinhaltet von allem etwas und ist ohne sie nichts. Die Bedeutung von Klassenführung für guten Unterricht ist hinreichend begründet (vgl. Haag & Streber, 2012).

Gute Lehrkraft

Terhart u. a. (1994) befragten in ihrer Studie über Berufsbiografien, die sie an 1200 Lehrern aus drei unterschiedlichen Altersgruppen an unterschiedlichen Schularten durchführten, die Lehrer, welche Aspekte des Lehrerberufs ihnen besonders wichtig seien (S. 115 ff.). Aus den Antworten der Befragten auf zwölf vorgegebene Items ergibt sich folgende Rangfolge der sechs bedeutsamsten Aspekte:

1.  Gutes Verhältnis zu Schülern

2.  Persönliche Atmosphäre im Unterricht

3.  Geschickte Unterrichtsgestaltung

4.  Engagement für den einzelnen Schüler

5.  Selbstreflexion bei unerwünschtem Schülerverhalten

6.  Informiertheit über persönliche Probleme.

Spitzenreiter in der Wichtigkeitszuschreibung sind pädagogische Aufgaben, während die Kenntnisvermittlung ganz am Schluss liegt (Rangplatz 12: Konzentration auf den Lehrplan).

Mithilfe einer Clusteranalyse lassen sich zwei »Lehrertypen« identifizieren, der eine mit einer deutlichen Akzentsetzung im »persönlich-erzieherisch-involvierten« Bereich (Cluster I) und ein zweiter, der diesen und einen »objektivierend-unterrichtlich-distanzierten« Bereich (Cluster II) für etwa gleich bedeutsam hält. Dabei sind in der Grundschule und auch Hauptschule jene Lehrer überrepräsentiert, die besonderes Gewicht auf Erziehung und persönliche Beziehung legen (Cluster I). Solche Lehrer finden sich auch häufiger in der jüngsten (30- bis 35-jährige) und mittleren (40- bis 45-jährige) Altersgruppe. Dagegen finden sich in Cluster II eher Lehrer von Realschulen und Gymnasien und Lehrer im Alter von 55 bis 60 Jahren.

Sauter (1989) betrachtete die Schülersicht über Lehrkräfte. Er gab Studierenden die Aufgabe, aus ihrer Schulzeit einen »guten und einen schlechten Lehrer« zu beschreiben. Insgesamt wurden ca. 280 Interviews ausgewertet.

Mit Abstand am häufigsten, mit 69,9 %, wurde bei einem guten Lehrer die Kategorie »paidotrope Einstellung« genannt. Der Name wurde aus der Typologie des Lehrers von Caselmann (1949) entlehnt. Die paidotrope Einstellung zeigt sich in einer positiven Zugewandtheit zum Schüler: Der Schüler steht im Mittelpunkt des Interesses, nicht der Stoff. Danach folgten die Merkmale Fachkompetenz (43,9 %), kompetente Unterrichtsgestaltung (41,9 %), objektive Benotung (41,3 %) sowie die Fähigkeit zu motivieren (38,9 %).

Die heutige Professionalitätsdebatte setzt die traditionsreiche Diskussion um die Frage nach dem spezifischen Können einer Lehrkraft zur Erfüllung ihres Auftrags fort (vgl. Haag, 2013). Bauer, Kopka und Brindt (1996) entwickeln einen Begriff der pädagogischen Professionalität, der Elemente des kriterienbezogenen Ansatzes und der auf Arbeitsaufgaben bezogenen Forschung miteinander verbindet.

Pädagogen sind Spezialisten für das Schaffen von Lerngelegenheiten, die nicht zufällig entstehen und die geeignet sind, subjektive und kulturelle Ziele und Werte zu vermitteln (Bauer, 2000).

»Pädagogisch professionell handelt eine Person, die gezielt ein berufliches Selbst aufbaut, das sich an berufstypischen Werten orientiert, die sich eines umfassenden pädagogischen Handlungsrepertoires zur Bewältigung von Arbeitsaufgaben sicher ist, die sich mit sich und anderen Angehörigen der Berufsgruppe Pädagogen in einer nichtalltäglichen Berufssprache zu verständigen in der Lage ist, ihre Handlungen aus einem empirisch-wissenschaftlichen Habitus heraus unter Bezug auf eine Berufswissenschaft begründen kann und persönlich die Verantwortung für Handlungsfolgen in ihrem Einflussbereich übernimmt« (Bauer, 2000, S. 32).

Eine entscheidende Stellung in dieser Definition nimmt das berufliche (professionelle) Selbst ein, das den übrigen Komponenten der Professionalität übergeordnet ist. Der Autor wählt diesen Begriff anstelle des Begriffs der Persönlichkeit. Damit will er die Differenz zwischen Persönlichkeit im Ganzen und dem für berufliches Handeln relevanten Teil der Person deutlich machen. Das professionelle Selbst ist mehr als eine Ansammlung von Repertoires und Kompetenzen, es ist aber weniger als der Persönlichkeitskern eines Pädagogen. Es ist eine integrierende und auswählende Instanz, die die Aufmerksamkeit eines Pädagogen so steuert, dass Informationen verarbeitet und Handlungsmuster ausgewählt werden, die im Hinblick auf pädagogische Ziele relevant sind.

Das heißt, dass neben dem unabhängigen Wissen weiterhin die Individualität des Lehrers gesehen werden muss. Doch während der Begriff der Persönlichkeit in der Psychologie auf wenig veränderliche Seiten des Menschen verweist, bringt der Begriff des Selbst das dynamische Moment im Menschen zum Ausdruck. Der Mensch ist nicht als Substanz zu begreifen, sondern als ein relationales Wesen, das reflexiv auf dreifache Weise in Beziehung steht: in Beziehung zu den Dingen, in Beziehung zu anderen Lebewesen und in Beziehung zu sich selbst. Indem es die Momente der Reflexivität und Individualität in sich vereint, tritt das professionelle Selbst an die Stelle der Kategorie der Lehrerpersönlichkeit (vgl. Herzog, 2001).

Eine weitere wesentliche Komponente ist das pädagogische Handlungsrepertoire. Unter Handlungsrepertoires versteht der Autor hoch verdichtete Verknüpfungen kognitiver Strukturen mit motorischen Abläufen, die es Handlungsträgern ermöglichen, rasch, sicher und zielstrebig in komplexen Situationen zu agieren. Zwischen pädagogischem Wissen und pädagogischem Können besteht eine erhebliche Differenz. Erst deren Überbrückung führt zu einer professionellen pädagogischen Kompetenz. Das Handlungsrepertoire ist individuell und führt zu einem persönlichen Stil.

Somit besteht auch zwischen Professionalität und Individualität kein Gegensatz, denn idiosynkratische Momente spielen bei jeder pädagogischen Handlung eine Rolle. Lehrerpersönlichkeit oder nun das professionelle Selbst stellt nicht die Folie für das pädagogische Wissen dar, sondern das pädagogische Wissen steht in Wechselwirkung mit den individuellen Ausprägungen der Person.

Von hier aus könnte man nun einen Bogen spannen zur Lehrerpersönlichkeit. Dies führte hier zu weit, Sachers Gedanken sollen hier genügen (1980). Es gehört zum Menschsein, die personalen Möglichkeiten der Persönlichkeit zu aktualisieren, dies vollzieht sich darin, dass man Persönlichkeit wird als tätiger Mensch. Von diesem Standpunkt aus ist die Frage uneingeschränkt zu bejahen, ob der Lehrer eine Persönlichkeit sein müsse (vgl. Sacher, 1980).

Doch ein paar Gedanken zum pädagogischen Bezug und zum pädagogischen Eros müssen im Buch schon vorne erwähnt werden: Klassenführung darf nicht zu einer Überhöhung des Lehrerberufes führen. Gegen eine Überhöhung des Lehrerberufes, gegen die charismatische Führerfigur und letztendlich zugespitzt den Begriff der pädagogischen Liebe als der höchsten Tugend wendet sich Brezinka (1969). Er wandelt den Augustinischen Satz »Ama et fac quod vis« (Liebe und tue, was du willst) in »Behaupte zu lieben und tue, was du willst« und fährt fort: »Da es von der Liebe bekanntlich heißt, sie decke eine Menge Sünden zu, konnte man sich mit der Behauptung, sie zu besitzen, jeder Kritik entziehen« (S. 272).

Exkurs: Pädagogischer Bezug

Den Begriff des »pädagogischen Bezugs« hat Nohl in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts eingeführt: »Unter den wenigen Verhältnissen, die uns im Leben gegeben sind, Freundschaft, Liebe, Arbeitsgemeinschaft, ist das Verhältnis zum echten Lehrer vielleicht das grundlegendste, das unser Dasein am stärksten erfüllt und formt. … [es] wird die grundlegende Bedeutung des pädagogischen Bezuges klar« (Nohl & Pallat, 1933, S. 21).

Döring (1992) skizziert mit ausgewählten Nohl-Zitaten die Theorie des pädagogischen Bezugs (S. 92):

•  Die Grundlage der Erziehung … ist das leidenschaftliche Verhältnis eines reifen Menschen zu einem werdenden Menschen, und zwar um seiner selbst willen, dass er zu seinem Leben und seiner Form komme.

•  Von Seiten des Zöglings ist konstitutiv, dass er ein unbedingtes Vertrauen dem Erzieher gegenüber hat, dass er von diesem in der Tiefe seiner Person absolut bejaht wird.

•  Der Erzieher darf aber nicht vergessen, dass das sich im pädagogischen Bezug manifestierende erzieherische Verhältnis nicht zu erzwingen ist, dass hier irrationale Momente wirksam sind, wie Sympathie und Antipathie, die beide nicht in der Hand haben, und er darf darum nicht gekränkt sein oder es gar den Zögling entgelten lassen, wenn ihm der Bezug nicht gelingt, der Bursche nicht will. Man wird dann versuchen, ihn an jemand anderen zu binden, wenn die Bindung nur überhaupt erfolgt.

•  Aber dieser Veränderungs- und Gestaltungswille wird doch gleichzeitig immer gebremst und im Kern veredelt und durch eine bewusste Zurückhaltung vor der Spontanität und dem Eigenwesen des Zöglings. Dieses eigentümliche Gegeneinander und Ineinander von zwei Richtungen der Arbeit macht die pädagogische Haltung aus und gibt dem Erzieher eine eigentümliche Distanz zu seiner Sache wie zu seinem Zögling, deren feinster Ausdruck ein pädagogischer Takt ist, der dem Zögling auch da nicht zu nahe tritt, wo er ihn steigern oder bewahren möchte.

•  Und auch der Zögling will bei aller Hingabe an seinen Lehrer im Grunde doch sich, will selber sein und selber machen, schon das kleine Kind im Spiel, und so ist auch von seiner Seite in der Hingabe immer zugleich Selbstbewahrung und Widerstand, und das pädagogische Verhältnis strebt von beiden Seiten dahin, sich überflüssig zu machen und zu lösen.

•  Das Verhältnis des Erziehers zum Kind ist immer doppelt bestimmt: von der Liebe zu ihm in seiner Wirklichkeit und von der Liebe zu seinem Ziel, dem Ideal des Kindes, beides aber nun nicht als Getrenntes, sondern als Einheitliches aus diesem Kinde machen, was aus ihm zu machen ist.

Döring (1992) würdigt diesen Denkansatz des Pädagogischen Bezugs in zweifacher Hinsicht: Bis heute hat Gültigkeit sowohl das hier betonte interpersonale Verhältnis als auch der Gedanke, dass Erziehung Emanzipationshilfe zu leisten hat.

Döring (1992) fasst die Kritik an der Theorie des Pädagogischen Bezuges in sieben Punkten zusammen (vgl. S. 93 f.). Hier genügen zusammenfassend folgende Stichpunkte:

1.  Gefahr der Isolierung der Ich-Du-Relation zu Lasten der gesellschaftlichen Dimension von Erziehung

2.  Ergänzungsbedürftigkeit durch andere Formen der Begegnung des Heranwachsenden mit der Welt

3.  Fragwürdigkeit der Prämisse vom Primat der Person gegenüber der Sache

4.  Vernachlässigung der Schulklasse und der Schülergruppe

5.  Überforderung des Lehrers in Bezug auf seine erzieherische Leistungsfähigkeit

6.  Vernachlässigung des emanzipatorischen Aspekts von Erziehung

7.  Rechtfertigung des Frontalunterrichts: Nur hier kann der Lehrer die Ich-Du-Ebene für die ganze Klasse verwirklichen.

Döring konstatiert (S. 94): »Damit dürfte deutlich geworden sein, dass die Theorie des Pädagogischen Bezuges vor allem ihres privatistischen Grundcharakters wegen ein für das schulische Lehrerverhalten denkbar ungeeignetes Denkmodell darstellt«.

Kopp (1980, S. 26 f.) geht auf diese Kritik ein: Der pädagogische Bezug sei zu absolut und werde überschätzt. Die Ich-Du-Relation sei zu einseitig, der Sachanspruch trete in den Hintergrund, das Sozialgebilde Klasse und Gruppe werde nicht genügend gesehen. Die Fixierung des Lehrers auf den Schüler überfordere ihn emotional, psychologisch-rational und in Bezug auf seine erzieherischen Möglichkeiten.

Pädagogischer Eros

Heute ist die Legitimationsfrage seitens der Lehrer gegenüber ihren Schülern »Warum machen wir das?« stets präsent. Lehrkräfte müssen ihre Auswahl der Unterrichtsinhalte vor den Schülern nicht nur legitimieren bzw. begründen, Schülern wird darüber hinaus suggeriert, sie hätten ein Recht, an der Auswahl der Unterrichtsinhalte beteiligt zu sein. Und nun wird es für die Lehrkraft problematisch (im Folgenden beziehe ich mich auf Schirlbauer, 1996, S. 49 ff.). Inhaltliche oder auch methodische Schritte sind zu begründen. Und für jedes Plausibilitätsargument gibt es mindestens ein Gegenargument. Der Lehreraufwand wird erheblich. Schirlbauer wörtlich (S. 50): »Der Lehrer muß also die Verflüchtigung von kulturell eindeutigem Sinn (von kulturellen Standards) durch ›gute Beziehungen‹ wettmachen, durch psychodynamisch aufwendige Beziehungsarbeit einen zumindest situativ bleibenden Handlungssinn immer wieder ermöglichen/erzeugen.« Mit dem Wegfall der Autorität der kanonisierten Lehrplaninhalte fällt auch »die fraglose Autorität des Lehrers als Aura dessen, der ›das Sagen hat‹ … Die Schüler arbeiten für den Lehrer, weil er es ist, also ihm zuliebe. Die Macht der Position wird ersetzt durch die Macht (den Reiz) der Person. Man nannte das einmal Eros, milder: Charisma, eine (Ver)führungsqualität« (S. 51). Heute spricht man von guten Beziehungen, als Lehrkraft will man diese pflegen, man will gemocht, beliebt sein. Das ist machbar, doch anstrengend.

Eros war kein guter Begriff, wie Schirlbauer nachweist: »Eros trifft nicht alle. Das Charisma zieht nicht bei allen. … Eros will gar nicht alle bezaubern, verführen. Da bleiben allemal einige auf der Strecke der Unerwähltheit. – Für die moderne Schule ein unerträglicher Gedanke« (S. 51).

Deutlich sollte in diesem ersten Kapitel geworden sein, dass Lehrersein mehr bedeutet als ein Agent guten Unterrichts zu sein, mehr als ein Wissensvermittler zu sein. Bei der Verwendung des Begriffes der Klassenführung darf das »Mehr« mitschwingen.

2          Aufbau der Arbeit

 

 

In einem empirisch getesteten Modell werden die zentralen Aspekte von Klassenführung zusammengeführt. Ausgehend von diesem Modell werden diese Elemente besprochen.

Abb. 1: Aspekte von Klassenführung (Haag, 2018, S. 23)

•  Kommunikation wird unter folgenden zwei Aspekten gesehen: Seit Hatties Metaanalyse hat Feedback an Bedeutung gewonnen, Klassenführung bedeutet heute den umfassenden Einsatz von Feedbackmethoden. Humor kann nicht genug als basiskommunikative Voraussetzung betont werden.

•  Strukturierende Unterrichtsgestaltung bedeutet zweierlei: Über kognitive Aktivierung und motivierendes Unterrichten wird die Lehrkraft zum Activator der Klasse. Dabei werden instruktionale genauso wie konstruktionale Unterrichtsformate herausgestrichen.

•  Regulation wurde lange Zeit zu sehr als ein starres Aufstellen und stures Einhalten von Regeln verstanden. Die positive Wirkung, die von Ritualen ausgeht, wird neuerdings wieder in den Fokus gerückt. Ebenso bestand Klassenführung lange Zeit hauptsächlich aus dem reaktiven Umgang mit Störungen und den richtigen Lehrerreaktionen auf unerwünschte Verhaltensweisen. Heute muss es auch darum gehen zu fragen, was eine Lehrkraft tun müsse, damit Störungen erst gar nicht auftreten. Der Gedanke der Prävention wird herausgestellt.

•  Präsenz: Unterrichtliches Handeln lebt von der uneingeschränkten Präsenz einer Lehrkraft. Diese Präsenz ist nicht als eine isolierte Maßnahme zu sehen, sondern Präsenz ist eine Haltung. Ohne uneingeschränkte Präsenz scheint Klassenführung nicht möglich, sie ist eine Voraussetzung für Klassenführung – eine conditio sine qua non!

Schließlich wird darauf hingewiesen, dass gelingende Klassenführung nicht vom Kontext losgelöst verstanden werden kann. Klassenführung ist auch abhängig von Merkmalen der Schule und ihres Umfeldes.

3          Strukturierende Unterrichtsgestaltung/kognitive Aktivierung

 

 

»Die prozessuale Strukturierung impliziert die Schaffung und Aufrechterhaltung eines schwungvollen Lerntempos, reibungslose Übergänge von einer zur nächsten Unterrichtsaktivität, die Mobilisierung und Beschäftigung möglichst vieler Schülerinnen und Schüler […] und die Vorbereitung des Unterrichtsinhalts, des Materials und des Raums« (Gold, Hellermann & Holodynski, 2016, S. 104).

Dieses Zitat zeigt, dass ganz im Sinne der Präsenz einer Lehrkraft auch ihre Unterrichtgestaltung ohne sog. Kunstpausen geschehen soll. Hilfreich hierfür sind eine wohl choreografierte/inszenierte Unterrichtsplanung, bei der einzelne Elemente sinnvoll aufeinander folgen ( Kap. 4.1), und die aktive und adaptive Einbeziehung der ganzen Klasse ( Kap. 4.2). Man kann den Punkt auch mit »kognitiver Aktivierung« überschreiben.

Zurückgehend auf Aebli, aufgegriffen von Oser unterscheidet man heute bei Unterricht sog. Sicht- oder Oberflächenstrukturen von Tiefenstrukturen. Ganz wörtlich verstanden: Auf der Oberflächenstruktur sind alle Handlungsmuster des Unterrichts sichtbar wie Sozialformen, Artikulationsstufen, Medieneinsatz, Methoden (vgl. Streber, 2018). Für die Unterrichtsqualität und den Lernerfolg jedoch sehr viel entscheidender sind die Tiefenstrukturen, die als Basisdimensionen der Unterrichtsqualität gelten. Hierzu zählen Classroom Management (Sicherung und Nutzung von Zeit), konstruktive Unterstützung (Rückmeldung, Wertschätzung) und kognitive Aktivierung. »Die Dimension der kognitiven Aktivierung bezeichnet den intellektuellen Anforderungsgehalt im Unterricht« (Kunter & Trautwein, 2013, S. 86). Heymann (2015) schlüsselt diese Dimension näher auf:

Kognitive Aktivierung

•  … zielt darauf ab, aktive Denk- und Problemlöseprozesse in Gang zu setzen

•  … führt zu einer aktiven geistigen Auseinandersetzung mit dem Lernstoff

•  … erlaubt eine intensivere gedankliche Durchdringung des Lernstoffs (größere Verarbeitungstiefe)

•  … fördert das Einbetten der zu lernenden Sachverhalte in größere Zusammenhänge und das Verstehen

•  … dient dem Aufbau gut vernetzter und transferfähiger Wissensstrukturen

•  … erleichtert die Anwendung des Gelernten in neuen Zusammenhängen (S. 7).

Kleinknecht geht bei seiner Definition explizit auf die Aufgabe ein. Unter kognitiver Aktivierung »werden Aspekte des Lehrerhandelns subsumiert, die auf ein eigenaktives und anspruchsvolles Lernen zielen und vertiefte Denkprozesse ermöglichen. … Problemhaltige Aufgabenstellungen bilden dabei den Kern des Unterrichts« (Kleinknecht, 2011, S. 72).

Die Bedeutung der Lehrkraft bei der kognitiven Aktivierung und damit ihre Führungskraft verdeutlicht Heymanns abschließender Satz: »Lehrer, denen es gelingt, ihre Schüler kognitiv zu aktivieren, bieten ihnen die Chance auf ein vertiefendes, verstehendes und vernetzendes Lernen. Schüleraktivierung ohne damit verbundene kognitive Aktivierung läuft Gefahr, in Leerlauf zu münden« (2015, S. 9).

3.1       Choreografierte Unterrichtsplanung

Das folgende Unterrichtsbeispiel wird deshalb hier gewählt, da das wesentliche Problem die mangelnde Schülermitarbeit und damit zusammenhängend eine mangelnde Schüleraktivierung ist. Es handelt sich um einen wahren Fall, der von einer Lehrkraft so geschildert wurde.

Kritik an der Unterrichtsplanung (aus Kiel u. a., 2011, S. 44)

Ein Referendar unterrichtet Deutsch in einer fünften Klasse Hauptschule. Von Zeit zu Zeit besucht ihn sein Betreuungslehrer, um seinen Unterricht zu beobachten und ihm anschließend Tipps zu geben. In einer Lesestunde mit dem Thema »Lesen und Verstehen einer Geschichte« behandelt der Referendar eine Geschichte über zwei Personen, die ständig miteinander konkurrieren. Der Schwächere gleicht die Stärke des anderen mit Witz und Intelligenz aus. Ziel der Stunde ist es, die Lesefertigkeit zu fördern und den vorgelegten Text hinsichtlich der Kernaussagen zu bewerten.

Dem Betreuungslehrer fällt auf, dass der Unterricht des Referendars nicht die gesamte Klasse anspricht, es melden sich immer dieselben Schüler. Einige Schüler fangen während der Stunde an zu schwätzen. Am Ende der Sitzung sollen sich die Schüler zu den Kernaussagen des Textes äußern, was allerdings nur sehr oberflächlich geschieht.

In einem Gespräch nach der Sitzung weist der Betreuungslehrer den Referendar auf die mangelnde Schülermitarbeit hin. Der Referendar bestätigt diese Beobachtung, gibt an, dass er selbst mit dem Stundenverlauf nicht zufrieden gewesen sei, und fragt seinen Mentor, wie man eine höhere Schüleraktivität erreichen könne. Der Betreuungslehrer weist darauf hin, dass man Schüler auch durch eine entsprechende Unterrichtsplanung besser motivieren könnte. Anhand des Unterrichtsverlaufsmodells des Referendars überlegen die beiden, wo Ansatzpunkte für eine vermehrte Schülermitarbeit gegeben sein könnten.

Im Folgenden ist der Unterrichtsverlauf aufgezeichnet:

Tab. 1: Modell des Referendars zum Unterrichtsverlauf »Lesen und Verstehen einer Geschichte« (Kiel u. a., 2011; 2017, S. 45)

MethodeVerlaufMedien

Die Frage, wie eine Unterrichtsstunde aus zeitlicher Sicht gestaltet werden kann, wird in der Literatur unter dem Begriff der Artikulation oder der Verlaufsformen behandelt. Es geht folglich um die Einteilung des Unterrichts in Phasen, um die zeitliche Strukturierung einzelner Lehr-Lern-Schritte zu gewährleisten.

3.1.1     ARIVA-Schema

Aus der Fülle unterschiedlicher Modelle wird hier das ARIVA-Schema behandelt (Städeli, Grassi, Rhiner & Obrist, 2010). Mit ihm liegt ein einfach zu handhabendes Modell vor, das der Unterstützung bei der Strukturierung des Unterrichts im Rahmen der Unterrichtsplanung dient. Das Akronym ARIVA bezeichnet die folgenden fünf Phasen:

•  Ankommen

•  Reaktivieren

•  Informieren

•  Verarbeiten

•  Auswerten.

Ankommen und einstimmen (A)

In dieser Phase soll die Aufmerksamkeit der Schüler auf den Lerngegenstand gelenkt werden. Eine Einstiegsmotivation ist das Ziel. Eine klassische Variante des – in diesem Fall kognitiven – Ausrichtens ist der sogenannte informierende Unterrichtseinstieg, in dem die Lehrkraft einen Überblick über die kommende Stunde gibt und kurz über Thema, Lernziele und Arbeitsschritte aufklärt. Eine weitere Möglichkeit des kognitiven Ausrichtens kann in Form eines »stummen Impulses« erfolgen, bei dem man die Schüler ohne weitere Angaben mit einem nonverbalen Impuls (z. B. einem Gegenstand, einem Bild, einem Experiment) konfrontiert und möglichst frei assoziieren lässt. Eine eher affektive Variante des Unterrichtseinstiegs ist es z. B., die Schüler mit einem Widerspruch oder einer Provokation zu irritieren und damit eine Reaktion der Schüler herauszufordern.

Im obigen Unterrichtsbeispiel ist diese Phase mit dem Impuls einer Bildgeschichte umgesetzt, wie im Modell zum Unterrichtsverlauf deutlich wird.

Vorwissen aktivieren (V bzw. R: Reaktivieren)

In dieser Phase sollen das Vorwissen und die Vorerfahrungen angesprochen werden. Dies kann z. B. über ein Brainstorming oder eine Mindmap geschehen und ermöglicht es den Schülern, sich dem neuen Sachverhalt auf der Basis von bekanntem Wissen und Können zu öffnen. Auf diesem Weg werden vorhandene kognitive Strukturen aktiviert, und es wird die Voraussetzung dafür geschaffen, altes und neues Wissen verknüpfen zu können.

Diese Phase kann entweder am Anfang oder auch am Ende stehen. So könnten die Schüler die Kernaussagen der Geschichte auf ihre eigenen Stärken und Schwächen beziehen, auf Konkurrenzsituationen, auf ihre Lebenswelt usw.

Informieren (I)

In dieser Phase sollen die Einzelheiten zum Lerngegenstand aufgenommen werden. Hier geht es primär um die Vermittlung neuer Inhalte. Dies kann durch eine Einzel- oder Gruppenarbeit, durch eine darbietend-aufnehmende oder eine zusammenwirkende Arbeits- und Aktionsform geschehen.

In dieser Phase könnte das stille Lesen der ausgeteilten Lesetexte (vgl. obiges Modell) aktivierender erfolgen: So könnten einzelne Textstellen von den Schülern markiert werden, die Lehrkraft könnte sie anweisen, Zeilenangaben machen zu lassen, oder sie könnten die Geschichte vorlesen.

Verarbeiten (V)

In dieser Phase soll das Gelernte gesichert werden. Diese Phase bezeichnet das aktive Auseinandersetzen mit neuen Inhalten, in der Regel mittels Aufgaben. Als Aufgaben bezeichnet man in diesem Zusammenhang Anforderungen, die komplexerer Natur sind und sich nicht spontan beantworten lassen. Das Verarbeiten beinhaltet das Finden von Lösungen, die Vernetzung und den Transfer von Wissen genauso wie das Entwickeln von mentalen Modellen. Insofern sind entsprechende Übungsformen und Überprüfungen wichtig. Nachfragen der Schüler sind ernst zu nehmen.

Bei den eigenen Lösungsvorschlägen weisen die Autoren Kiel u. a. darauf hin, dass hier in der Verarbeitungsphase eine Schüleraktivierung über das vorgeschlagene Lehrer-Schüler-Gespräch (vgl. obiges Modell) hinaus angestrebt werden könnte. Ein Arbeitsauftrag könnte lauten, die wörtlichen Redeanteile zu markieren und mit verteilten Rollen lesen zu lassen, oder Schüler könnten sich gegenseitig im Partnergespräch ihre Lieblingsstellen erzählen.

Auswerten (A)

In dieser Phase soll der Lernprozess selbst reflektiert und damit metakognitive und selbstregulative Überlegungen angestellt werden: »Wie ist der Lernprozess aus meiner Sicht verlaufen?«, »Wo hatte ich Schwierigkeiten?«, »Wie konnte ich die Schwierigkeiten lösen?« und »Was kann ich daraus für zukünftige Lernprozesse mitnehmen?«, können Beispielfragen in diesem Zusammenhang sein. Außerdem geht es hier um die Überprüfung des Erreichens von Lernzielen bzw. die Leistungsfeststellung durch die Lehrkraft.

Eine Reflexion des Lernprozesses mit der Klasse könnte die Fragen beinhalten: Was habt ihr gelernt? Hat sich die Stunde gelohnt?

Das ARIVA-Schema stellt kein starres Modell der Unterrichtsplanung dar, die einzelnen Phasen können auch mehrfach durchlaufen werden. So ist es z. B. denkbar, mehrere Phasen des Informierens mit Phasen des Verarbeitens zu kombinieren, während des Unterrichts nochmals Vorwissen zu aktivieren oder die Klasse im Unterrichtsverlauf erneut auszurichten.

Die Autoren Kiel u. a. fragen abschließend, ob die Planung einer Lesestunde nach dem ARIVA-Schema sinnvoll ist. Ihre Antwort lautet:

»Mit dem Ziel der grundlegenden Strukturierung, ja – solange eine Strukturierung nach einem Schema nicht zu ›schematischem Unterricht‹ verkommt. Die Phasen können und sollten flexibel gehandhabt werden (z. B., um auf Ereignisse im Unterricht reagieren zu können), zudem können einzelne Phasen mehrfach durchlaufen werden. Zusätzlich erlaubt ein solches Schema eine tiefergehende Diagnostik bei Unterrichtsstörungen und kann so auch in der Nachreflexion angewendet werden: Was lief schief? Woran kann das gelegen haben? Habe ich vielleicht nicht hinreichend zum Thema hingeführt oder das Auswerten vergessen?« (S. 49)

3.1.2     Das 6-Stufen-Modell von Heinrich Roth

In seinem auf lernpsychologischen Erkenntnissen basierenden Modell gibt Roth (1957/1976) sechs Schritte an, die zu jedem Lernen gehören. Für uns ist sein 6-Stufen-Modell deshalb relevant, weil er daraus Konsequenzen für das Lehren zieht, er leitet für jede Stufe Lernhilfen ab, die er systematisch zusammenstellt. Es kommt nicht darauf an, wie lange ein Lernprozess dauert, sondern dass alle Stufen durchlaufen werden.

1. Lernschritt (Stufe der Motivation)

I.   Eine Handlung kommt zustande.

II.  Ein Lernwunsch erwacht.

III. Ein Lernprozess wird angestoßen. Eine Aufgabe wird gestellt. Ein Lernmotiv wird geweckt. (S. 223)

Hilfen zur Motivierung des Lernens

Hierauf wird ausführlich in Kapitel 4.3 eingegangen. Seit Erscheinen des Stufenmodells von Roth vor gut 60 Jahren hat die Motivationspsychologie viele neue Erkenntnisse gewonnen. Hier wird auf zwei Bedingungen eingegangen, die schon Roth gesehen hat:

Das Lernziel muss interessant sein. Interesse ist ein Motor für Lernen. Außerdem muss dieses Lernziel auch erreichbar sein. Und dies geht nur über Erfolge. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg, so Roth!

Hingewiesen wird auf ein Ergebnis, das typisch für diese Generation von Psychologen war: Vom Behaviorismus beeinflusst leiteten sie aus Tierexperimenten Lehr-Lernhilfen ab, die heute in anderen Kontexten besprochen werden. Lerntherapeuten oder Neurophysiologen empfehlen heute ein Lernen in entspanntem Zustand. Im Folgenden Roth wörtlich:

Es gibt aber auch ein Lernen im ›entspannten Feld‹. Auch diese Einsicht konnte in Tierversuchen schön gezeigt werden. Liegt das Stück Fleisch, wie schon Köhler entdeckt hat, für eine hungrige Dogge direkt vor dem Gitter, kommt sie wegen der Triebspannung, die sie an den Anblick und den Geruch des Leckerbissens bannt, zu keiner Umweltorientierung und entdeckt die rückwärts geöffnete Tür des Käfigs nicht. Legt man das Stück Fleisch aber in einer angemessenen größeren Entfernung vor dem Käfig nieder, lässt die Feldspannung nach, die Gesamtsituation wird bewusst, das Tier fängt an, sich zu orientieren, entdeckt die geöffnete Tür in seinem Rücken und findet über eine Umwegleistung die Beute. … Hilgard macht darauf aufmerksam, dass man Tischmanieren wohl lieber annimmt, wenn man nicht übermäßig hungrig ist (S. 243 f.).

2. Lernschritt (Stufe der Schwierigkeiten)

I.   Die Handlung gelingt nicht. Die zur Verfügung stehenden Verhaltens- und Leistungsformen reichen nicht aus oder sind nicht mehr präsent. Ringen mit den Schwierigkeiten.

II.  Die Übernahme oder der Neuerwerb einer gewünschten Leistungsform in den eigenen Besitz macht Schwierigkeiten.

III. Der Lehrer entdeckt die Schwierigkeit der Aufgabe für den Schüler, bzw. die kurzschlüssige oder leichtfertige Lösung des Schülers. (S. 224)

Hilfen zum Überwinden der Lernschwierigkeiten

Die Lehrkraft muss die Widerstände im Kind und im Gegenstand kennen. Sie muss den Lernenden und seine Auseinandersetzung mit dem Lernstoff so steuern, dass er den Schwierigkeiten nicht aus dem Wege geht. Alarmzeichen, dass Lehrkräfte nicht richtig geführt haben, sind, wenn Schüler abschalten, sich in Träume flüchten, Aggressionen gegen Lehrer oder Mitschüler entwickeln, sich in Ausreden flüchten. »Was aber der Lehrer auf dieser Stufe erreichen muss, ist, dass sich der Schüler mit seiner ganzen Person der Aufgabe stellt und sie nicht mehr loslässt« (S. 252).

Das Ringen mit den Schwierigkeiten wird mit der Entdeckung der Lösung abgeschlossen:

3. Lernschritt (Stufe der Lösung)

I.   Ein neuer Lösungsweg zur Vollendung der Handlung oder zur Lösung der Aufgabe wird durch Anpassung, Probieren oder Einsicht entdeckt.

II.  Die Übernahme oder der Neuerwerb der gewünschten Leistungsform erscheint möglich und gelingt mehr und mehr.

III. Lehrer zeigt den Lösungsweg oder lässt ihn finden. (S. 224)

Hilfen beim Finden der Lösung

»Zum Problemlösen gehört ein einsames Vertiefen in die Aufgabe, bei dem uns niemand stört, und eine wechselseitige Aussprache mit Interessierten« (S. 264). Roth betont also zwei Dinge: Neben dem Element des sozialen Austausches, das heute betont wird, soll auch Zeit und diese ungestört zur Verfügung stehen. Stille Zeit im Unterricht – die Lehrkraft ist gefragt!

4. Lernschritt (Stufe des Tuns und Ausführens)

I.   Der neue Lösungsweg wird aus- und durchgeführt.

II.  Die neue Leistungsform wird aktiv vollzogen und dabei auf die beste Form gebracht.

III. Der Lehrer lässt die neue Leistungsform durchführen und ausgestalten. (S. 225)

Hilfen beim Tun und Ausführen

»Aha, so geht das!« Es geht darum, den einsichtig gewordenen Weg auch tatsächlich zu gehen. Learning by doing: Einmal Verstandenes wird leicht als erledigt registriert. Im Tun wird die Einsicht neu nacherlebt, variiert und vollendet.

5. Lernschritt (Stufe des Behaltens und Einübens)

I.   Die neue Leistungsform wird durch den Gebrauch im Leben verfestigt oder wird vergessen und muss immer wieder neu erworben werden.

II.  Die neue Verhaltens- oder Leistungsform wird bewusst eingeübt. Variation der Anwendungsbeispiele. Erprobung durch praktischen Gebrauch. Verfestigung des Gelernten.