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Nicht laut, sondern reflektiv. Gesellschaftskritisch, aber nicht herabwürdigend. Alltäglich damit konfrontiert. Dieses Buch enthält Texteinheiten zum Nachdenken und Weiterdenken. Denn Wandel beginnt im Geiste. Politisch, sozial, ethisch, menschlich
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Seitenzahl: 107
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Marion Tschmelak, geboren 1960, ist freiberuflich als Taijiquan und Qigong-Lehrerin tätig. Die Autorin hat großes Interesse an allen Themen, die mit Bewusstseinserweiterung und systemischem Denken zu tun haben. Schwerpunkt in ihren Büchern ist die Verbindung und das Wechselspiel der polaren Kräfte des Femininen und Maskulinen. Aber auch auf soziale Missstände aufmerksam zu machen, ist ihr ein wichtiges Anliegen.
Außerdem erschienen sind: „Shangri La – Schöne andere Welt“ „Die geistigen Schwertkrieger“ „Symbolum und Archetypus – Seelenmärchen“ „Hinter der Mauer“ „Yijing – Die Entdeckung des Ursprünglichen“ „Bedingungsloses Grundeinkommen – Bürgergeld. Ein fiktives Interview aus dem Jahre 2093“ „Minimalismus – Basisbuch“
Mögest du behilflich sein, unsere Welt in die Ausgewogenheit zu führen, meine kleine Emma.
In hundert Jahren, die vielleicht ein Leben währt, in dieser Erdenspanne widersprechen oft sich Gabe und Geschick. So musste ich in Zeiten, da Gedanken sich und Menschen wandelten wie Meere, Dinge schauen, die mein Herz zerrissen. Welch Gesetz, das nur den Überfluss begreift, wenn Mangel ihn begleitet.
Nguyen Du
Wir haben es irgendwo schon einmal gehört: Kleine, öfters eingenommene Mahlzeiten sind besser verdaulich als wenige schwere.
In diesem Sinne habe ich dieses Buch gestaltet.
Mit dem Wissen, dass mein Buch „Yijing – Die Entdeckung des Ursprünglichen“ eine schwere Kost sein kann, an der die LeserInnen lange zu kauen haben, lege ich nun ein Buch vor, das durch kleine Einheiten den denkwilligen Geist sättigt, ohne ihn lange zu binden.
Auch wenn die einzelnen Texte sich auf kleine Happen geistiger Nahrung beschränken, so sollten sie doch nahrhaft sein. Es ist gelungen, wenn die Texte zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Die Texte entstanden im Zeitraum 2020 bis 2023 und wurden auf meiner Website veröffentlicht.
Jeder in sich abgeschlossene Text beinhaltet ein Thema, das weitergedacht und in die Tiefe geführt werden kann. Mein Buch „Kleine Happen für einen nachdenklichen Geist“ ist kein Buch, das schnell gelesen werden will. Lassen Sie sich nach einem Text Zeit, bevor Sie zum nächsten übergehen, damit der Inhalt wie Nahrung aufgespalten und als Energiequelle genutzt werden kann. Reflexion ist Energie, die weiterführt auf dem Weg der Wandlung von Wissen zu Weisheit.
Auf ein Wort
Corona und Sozialer Raum
Jahresübergang 2021
Das überhitzte Maskuline und das heilende Feminine Prinzip
Anfang und Ende
Die Würde des Menschen ist unantastbar
10 Lebensweisheiten
Die Kunst, mit Polarität umzugehen
Kultur und Philosophie – unsere vernachlässigten Kinder
Wohin?
Hintergrund
Allein mit dem Mittel der Vernunft?
Ein Mädchen
Zwei Schalen
Risiko-Nutzen-Abwägung
Dem Widerspruch widersprechen
Mit Reife glänzen
Ein Schreckgespenst?
Queen Elisabeth: Ein Leben für
Das Umarmen des Naheliegenden
Es ist an der Zeit
Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff
Von menschlicher Entfaltung überholt
Was nimmt Einfluss auf unser Leben?
Inflationär
Wes Geistes Kind du bist
Was kostet Frieden?
Feuer und Wasser
Ein Gebet
Sein lassen
Vaterland und Muttererde
Ein klares Nein zur Raubtiermentalität
Kinder – Ursprünglich wie Quellwasser
Politische Verantwortung
Alphatier oder Teamplayer?
Raus aus dem System
Für Freiheit des Femininen
Jenseits von Gewissen
Karma – Nein Danke!?
Ich will´s – lieber nicht
Reflektionen
Dunkelheit und Licht
Wem gehört die Welt?
Gab es Niemanden?
Eine Welle Feminismus
Rhythmus
Verbal abrüsten
Corona hat unsere zwischenmenschlichen Begegnungen fundamental verändert. Ein freundliches Händeschütteln oder eine herzliche Umarmung zwischen FreundInnen als Begrüßung, ein Zusammenrücken während eines interessanten Gesprächs oder eine verständnisvolle kurze Berührung entfallen. Was so selbstverständlich für uns war, davon wird dringend abgeraten - vorübergehend. Körperliche Distanz tritt an dessen Stelle.
Es ist viel die Rede von Vereinsamung und einem Ansteigen von psychischen Problemen. Wir Menschen sind eben soziale Wesen und die Nähe zu anderen regt unseren Geist an, energetisiert uns und unterstützt unsere Resilienz.
Wir bemühen uns, so gut wie möglich durch diese Krise zu kommen und hoffen, dass sie nicht mehr allzu lange dauert. Allein ein Blick auf das chinesische Schriftzeichen Krise, das sich aus den Silben Gefahr und Gelegenheit zusammensetzt, lässt uns die Polarität hinter allem vergegenwärtigen.
Befinden wir uns in einer gefährlichen Situation oder Zeitphase, scheint auch eine Gelegenheit durch. Leben oder erleben wir eine für uns günstige Gelegenheit, beinhaltet diese auch den Kern für Gefahr, der nicht unbeachtet bleiben sollte.
Es lohnt sich, grundsätzlich beide Seiten zu betrachten.
Was soll am Mangel an sozialer Zwischenmenschlichkeit schon positiv sein?
Meines Erachtens ist es genau das, was dazwischen ist – sozialer Raum.
Raum erhält in unserer Kultur bedauerlicherweise nicht die Aufmerksamkeit, die ihm zusteht. Raum ist Luxus, vor allem im Bereich Wohnen. Angeregt durch die japanische Kultur, die leeren Raum vor allem im Kunst-, Wohn- und Gartenbereich bewusst und achtsam einsetzt, setzt sich auch bei uns allmählich ein Minimalismus durch. Einzelnen Gegenständen Raum zu geben, damit sie wirken können und zur Geltung kommen, darin übt sich vor allem die jüngere Generation. Fotos und Bilder erhalten einen großen Rahmen, damit sie „atmen“ können. „Atmen“ kann aber nicht nur ein Gegenstand, dem Platz gewährt wird, sondern auch der leere Raum. Das materiell Wesentliche konzentriert einsetzen, ihm Bedeutung zukommen lassen und diesem Wesentlichen Ausdehnung ermöglichen, bewirkt Harmonie der Polarität. Denn Materie schwingt.
Sich persönlich ausdehnen zu können bedeutet, sich zu entspannen und in einen energetischen Fluss zu kommen. Denn wir Menschen besitzen einen ganz persönlichen Raum um uns, der durch die eigene Armlänge bemessen werden kann. Dieser Raum gehört zu uns wie unser eigener Körper und löst sich auch im sozial näheren und öffentlichen Raum nicht auf. Wir spüren instinktiv, wenn und wie jemand unseren persönlichen Raum betritt. Wir nehmen bewusst oder unbewusst wahr, wie jemand einen öffentlichen Raum einnimmt, wie gewichtig er ist oder sich gibt.
Wenn wir dem Fehlen an sozialer Zwischenmenschlichkeit etwas abgewinnen können, dann ist es Feinfühligkeit und Achtsamkeit zu entwickeln für den öffentlichen und vor allem für den persönlichen Raum anderer.
Wie fühlt es sich für Sie an, wenn Ihnen jemand an der Kasse auf die Pelle rückt und Ihnen kaum Zeit lässt, Ihre Ware zu bezahlen und einzupacken? Werden wir nach Corona fähig sein, uns einen respektvollen Abstand an der Kasse zu erhalten? Wie fühlt es sich an, wenn Sie jemand in die Straßenbahn schiebt, kaum dass sich die Tür geöffnet hat? Schauen nicht auch Sie in einer überfüllten Straßenbahn öfters aus dem Fenster oder schließen sogar gelegentlich die Augen, um sich selbst das Empfinden eines persönlichen Raumes zu bewahren?
Ja, Zeit ist kostbar – aber Raum ist es ebenso!
Es ist aber nicht nur unser körperliches Empfinden. Wir spüren auch emotionales und gedankliches Drängen von anderen. Auch das kann sich störend auf unseren persönlichen Raum auswirken. Einem Klang, also auch einem Wort, einem Gedanken, einer Empfindung Raum zum Ausklingen zu geben, ist eine Kunst, die gelernt sein will. Was schadet es uns, wenn wir auch einmal statt uns die Hand zu geben die Hände achtsam aneinanderlegen und den schwergewichtigen Kopf senken? Könnten wir nicht die reiselose Zeit dafür nutzen, uns innere Räume zu erschließen? In unserem Inneren gibt es so viel unentdecktes Land mit vielen Sehenswürdigkeiten.
Unser Fokus ist auf Zeit und Schnelligkeit gerichtet und dabei vergessen wir, Raum und Bewusstheit in der Langsamkeit zuzulassen.
Wäre jetzt nicht eine günstige Gelegenheit, um über unser äußeres und inneres Getriebensein nachzudenken? Was können wir selbst dafür tun, um diese schnelllebige und überhitzte Welt zu beruhigen, die kaum Raum zur Entfaltung, zum Prozess, zur Wahrnehmung lässt?
Es sind die alltäglichen Begebenheiten, die uns ein Übungsfeld bieten. Mal klappt es besser und dann wieder weniger. Aber bewusst darauf zu achten, immer wieder neu damit zu beginnen, darin möchte ich mich weiterhin üben und andere dazu ermutigen.
Vielleicht gelingt uns dann ja auch zur rechten Zeit eine Veränderung in großem Umfang, die uns ein Leben im Einklang mit unserer äußeren und inneren Natur ermöglicht.
Uns ist bewusst, dass die Corona-Pandemie eine Ausnahmezeit darstellt.
Vielen liebgewonnenen oder nicht hinterfragten Gewohnheiten können wir zurzeit nicht nachgehen. Die Mehrheit der Menschen verzichtet aus Einsicht darauf. Andere nehmen sich nicht aus Überzeugung zurück, sondern folgen widerwillig offiziellen Verboten, gelegentlich finden sie Ausweichmöglichkeiten. Wieder andere rebellieren offen und legen ein jugendliches oder sogar unbedarftes Verhalten an den Tag – bis es sie selbst oder jemand im nahen Umfeld hart trifft.
Letztendlich sind wir gerade alle herausgefordert, unser Verhalten und unsere Gewohnheitsmuster anzupassen. Wir haben mehrere Optionen, mit den Veränderungen umzugehen. Eine davon ist, sich zu trösten, dass dieser momentane Verzicht vorübergehend ist und wir bald wieder so leben können wie bisher. Wir könnten aber auch in dieser Zeit, in der wir die Füße stillhalten (müssen), unsere Gewohnheiten auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen.
Jedes Jahr an Weihnachten haben viele von uns eine Ambivalenz wahrgenommen, die Adventszeit und die Weihnachtstage als eine Zeit der liebevollen Zwischenmenschlichkeit und Besinnlichkeit zu betrachten und gleichzeitig einem gesteigerten Konsum und einer entstehenden Hektik ausgesetzt zu sein – und das in einer Jahreszeit, in der unser Ruhebedürfnis besonders groß ist. In diesem Jahr, in dem die Corona-Pandemie Weihnachten auf das Wesentliche reduziert hat, haben wir womöglich nachspüren können, was uns bedeutsam ist. Wir sollten den Mut aufbringen, alte und überlebte Strukturen langfristig zu ändern. Jetzt ist eine günstige Zeit dafür.
Wir könnten auch unsere Art, den Jahresübergang zu gestalten, betrachten und hinterfragen. Müssen wir ihn laut und euphorisch gestalten, nur weil wir dies immer so getan haben? Reicht es aus, dass es Spaß und gute Laune macht? Wiegen die Vorteile dieses Rituals noch die Nachteile auf? Können wir uns innerlich auf das durch Corona erzwungene Experiment einlassen, den Jahreswechsel leise oder mit wohlwollenden Klängen zu gestalten, oder empfinden wir nur Verzicht, der hoffentlich einjährig ist? Das wäre schade. Denn wenn wir uns während der Corona-Pandemie nur auf den erzwungenen Verzicht konzentrieren, könnten wir die sich anbietenden Gelegenheiten verpassen. Dann bleibt am Ende nur ein Verzicht-Empfinden statt einem Reifungsprozess, der uns gemeinsam gestärkt und verändert aus dieser Krise hervorgehen lässt.
In Japan, einem Land, das grundsätzlich das neue Jahr nicht mit Feuerwerkskörper begrüßt, gibt es einen Brauch namens Hatsu Hinode. Das Ritual des Betrachtens des ersten Sonnenaufgangs im neuen Jahr enthält eine faszinierende Botschaft. Um diese deutlicher zu machen, möchte ich ein Kinderbuch mit dem Titel „Der alte Silvester und das Jahrkind“ von Eduard Mörike und Frantisek Chochola heranziehen. Der alte Silvester, der nur einmal im Jahr erwacht, hat die Aufgabe, das Neujahrskind, das ursprünglich und unbelastet einem Fluss entsteigt, entgegenzunehmen und es den Menschen zu bringen. Das alte Jahr soll er zurücknehmen. Er findet eine gekrümmte und verbrauchte Gestalt vor, die er kaum wiedererkennt. „Ach herrje, schön haben dich die Menschen zugerichtet“, mit diesen Worten nimmt er mitfühlend das alte Jahr mit sich fort, auf dass es sich im Fluss des ewigen Lebens erneuere.
Möge es uns gelingen, das neue Jahr behutsam zu begrüßen und es ganzjährig achtsam und wohlwollend zu behandeln.
Mörike, Eduard und Chochola, Frantisek: Der alte Silvester und das Jahrkind Verlag Urachhaus. ISBN-10: 3825151433, ISBN-13: 978-3825151430
Tief in uns ist sie verankert, die Angewohnheit, das Feminine und Maskuline dem Geschlecht zuzuordnen und darauf aufbauend sein eigenes Verhalten auszurichten. Selbst diejenigen, die sich bemühen, es nicht zu tun, ertappen sich gelegentlich dabei. Schon die Sprache macht es uns schwer, uns davon zu lösen. Ich selbst nehme mich da nicht aus. Die Identifikation beruht schließlich auf eine Jahrtausende alte Überlieferung.
Ist das wirklich so?
Schöpfungsmythen, so unterschiedlich sie sein mögen, gleichen sich doch auf faszinierende Weise durch das Allumfassende Eine, das sich in Zwei aufteilt. Christliche Vertreter und Interessierte sind noch heute damit beschäftigt, die Frage zu lösen, was zuerst da war. Das Feminine oder das Maskuline. Was nur zu einer Verfestigung der geschlechtlichen Zuordnung führt.
Im Daoismus gebiert das Dao, dessen großer Sinn nicht ergründet werden, nur durchscheinen kann, das Taiji als erste Vision, als virtuelle Idee. Das Taiji wird zur Mutter von Yin und Yang: Zwei Prinzipien, die durch Teilung gleichzeitig entstehen, sich in Bewegung setzen und ihre Wirkkraft entfalten. So können das Feminine und Maskuline als zwei immaterielle Wirkprinzipien verstanden werden, was uns viel größere Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen gewährt.
Jedes menschliche Wesen trägt beide Wirkprinzipien in sich und das in unterschiedlicher Zusammensetzung. Ein Wesen weiblichen Geschlechts kann durchaus sehr viel maskuline Wesensanteile in sich tragen, so wie ein Wesen männlichen Geschlechts feminine Wesensanteile. In einer Gesellschaft, die eine klare Trennung der Wirkprinzipien vom Geschlecht nicht weitgehend vollzogen hat, ist es schwer, wertefrei seine inneren Kräfte zum Ausdruck zu bringen. Der eigene Ausdruck wird durch Sozialisation eingeschränkt und gelenkt.