Kommissar Trempe - Grabtanz - Erwin Kohl - E-Book
SONDERANGEBOT

Kommissar Trempe - Grabtanz E-Book

Erwin Kohl

0,0
9,99 €
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wer ist Täter, wer ist Opfer? Über der Gegend am Niederrhein liegt brutale Sommerhitze, als LKA-Ermittler Joshua Trempe zu Ermittlungen der Mordkommission Krefeld gerufen wird. Im Fokus eine mysteriöse Reihe von Todesfällen: Alle Männer wurden Opfer eines perfiden Verbrechens, wie erst nachträglich klar wird – und Augenzeugen berichten von einer Frau in einem roten Kleid, die nachts auf ihren Gräbern getanzt haben soll. Doch wer ist dieses Phantom? Die Taten tragen die Handschrift einer Serientäterin, die erneut zuschlagen wird – doch schon bald muss Trempe erkennen, dass in diesem Fall nichts ist, wie es scheint … Der zweite Band der Reihe um Trempe und sein Team, in der jedes Buch unabhängig voneinander gelesen werden kann. Ein fesselnder Kriminalroman für Fans von Friedrich Ani.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 288

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Wer ist Täter, wer ist Opfer?

Über der Gegend am Niederrhein liegt brutale Sommerhitze, als LKA-Ermittler Joshua Trempe zu Ermittlungen der Mordkommission Krefeld gerufen wird. Im Fokus eine mysteriöse Reihe von Todesfällen: Alle Männer wurden Opfer eines perfiden Verbrechens, wie erst nachträglich klar wird – und Augenzeugen berichten von einer Frau in einem roten Kleid, die nachts auf ihren Gräbern getanzt haben soll. Doch wer ist dieses Phantom? Die Taten tragen die Handschrift einer Serientäterin, die erneut zuschlagen wird – doch schon bald muss Trempe erkennen, dass in diesem Fall nichts ist, wie es scheint …

Über den Autor:

Erwin Kohl wurde 1961 in Alpen am Niederrhein geboren und wohnt noch heute mit seiner Frau in der herrlichen Tiefebene am Niederrhein. Neben der Produktion diverser Hörfunkbeiträge schreibt Kohl als freier Journalist für die NRZ / WAZ und die Rheinische Post. Grundlage seiner bislang 15 Kriminalromane und zahlreichen Kurzgeschichten sind zumeist reale Begebenheiten sowie die Soziologie der Niederrheiner und ihre vielschichtigen Charaktere.

Die Website des Autors: www.erwinkohl.de/

Bei dotbooks erscheint Erwin Kohls »Kommissar Trempe«-Reihe:»Kommissar Trempe – Zugzwang«

»Kommissar Trempe – Grabtanz«

»Kommissar Trempe – Flatline«

»Kommissar Trempe – Willenlos«

Auch bei dotbooks veröffentlichte Erwin Kohl seine humorvolle Krimireihe um »Grimm & Sohn – Das kopflose Skelett« mit den Bänden:»Grimm & Sohn – Das kopflose Skelett«

»Grimm & Sohn – Der Tote im Heidesee«

»Grimm & Sohn – Das Hornveilchen-Indiz«

»Grimm & Sohn – Der tote Schornsteinfeger«

***

eBook-Neuausgabe Juli 2024

Dieses Buch erschien bereits 2006 bei Gmeiner unter dem Titel »Grabtanz«.

Copyright © der Originalausgabe 2006 Gmeiner-Verlag GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von Adobe Stock (wildman, Max Maximov)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)

ISBN 978-3-98952-036-3

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Grabtanz«an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Erwin Kohl

Kommissar Trempe – Grabtanz

Kriminalroman

dotbooks.

Sehnsucht

Sehnsucht wacht

Sehnsucht nagt

In der Stille der Nacht

Die Seelen verjagt

Schritte kommen

Schritte gehen

Lassen beklommen

Leichtigkeit sehen

Angst versteckt

Hoffnung befreit

Mut geweckt

Zu allem bereit

Bettina Kohl

Kapitel 1

Wesel-Bislich. Mit der Tür drückte der Wirt den letzten der vier Männer auf den Gehsteig. Seit drei Stunden waren außer dem Doppelkopfquartett keine weiteren Gäste mehr in seinem Lokal. Eugen ließ sie gewähren und bereitete nebenher den Saal für die morgige Silberhochzeit vor. Jede Viertelstunde hatte der Wirt seine Arbeit im Saal unterbrochen, um vier Pils und vier Korn an den Tisch der Spieler zu bringen. In dem kleinen Dorf bei Wesel kümmerte man sich nicht um die Sperrstunde.

Vor der Gaststätte verabredeten sich die Männer noch zum Frühschoppen, bevor sich ihre Wege trennten. Das heißt, eigentlich trennten sie sich von Walter Brahms. Der gut drei Zentner schwere Bauer hatte seinen Hof genau an der gegenüberliegenden Seite des Friedhofes. Die einsetzende Morgendämmerung ließ die Nebelschwaden über der Obstwiese immer heller werden. Vor der Bäckerei Gehrke stieg eine junge Frau aus ihrem Golf Cabrio und musterte den wankenden Bauern. Dann lief sie zum Seitenfenster der Bäckerei und klopfte an die Scheibe. Brahms blieb kurz stehen und atmete tief durch. Die lauwarme Sommerluft schwebte wie ein dünnes Seidentuch über den Ort. Aus den Lautsprechern des Golfs drangen die Fünfuhrnachrichten. Der Moderator kündigte den heißesten Tag des Jahres an. Brahms lief kurzatmig weiter und nahm sich vor, seine Russen anzuweisen, die Felder zu wässern. Seit die ukrainischen und weißrussischen Arbeiter in der zur Unterkunft hergerichteten ehemaligen Scheune lebten und für wenig Geld hart arbeiteten, ging es mit dem Hof wieder aufwärts. Eine buckelige, alte Frau goss die Stiefmütterchen in ihrem Vorgarten. Sie trug einen dunklen Kittel und ein Kopftuch, wie jeden Tag. Brahms war der Meinung, die Blumen dienten ihr lediglich als Vorwand, um ständig an der Straße stehen zu können. Als er vorbeiwankte, murmelte sie etwas Unverständliches. Nach einem Blick auf die Kirchturmuhr schüttelte er den Kopf.

Der Nebel schien dichter zu werden, fast wäre Brahms an dem kleinen Weg am Rand des Friedhofes vorbeigelaufen.

Der Futtermais links des Weges war bereits einen halben Meter hoch. Der Verlust dieses Feldes schmerzte ihn noch heute. Er hatte es an die Bank abtreten müssen. Damals, als die Russen noch nicht da waren und er alleine mit dem Hof überfordert war. Dazu noch seine kranke Frau. Aber dafür hatten die Banker kein Verständnis. Moral war nicht zählbar, sie passte nicht in ihre Bilanz. Merkwürdigerweise wurde nur wenige Monate nach dem Verkauf fast die Hälfte des Ackerlandes in Bauland umgewandelt.

Sein Blick suchte das Grab seiner Frau. Die hohen Grabsäulen der Familiengruften waren nur schemenhaft zu erkennen. Zwischen den schwankenden Nebelgebilden waberte ein Labyrinth aus Gängen, das man nur erahnen konnte.

»Morgen Walter. Haste wieder ganz schön getankt, was?«

Brahms schrak zusammen. Als er sich schwerfällig herumdrehte, sah er den Zeitungsboten auf seinem Fahrrad gerade noch im Nebel verschwinden. Mit den ausladenden Taschen benötigte er beinahe die gesamte Breite des Weges. Brahms überlegte kurz, wie Franz denn wohl an ihm vorbeikommen konnte, als sich seine Blase meldete. Er drehte sich zum Friedhof, um seine Notdurft zu verrichten. Gelangweilt beobachtete er dabei die Nebelschwaden über den Gräbern. Scheinbar schwerelos schwebten sie dahin, lautlos und ohne Ziel.

Leise Musik drang zu ihm herüber. Es klang wie der Gesang einer Frau. Brahms knöpfte seine Hose zu und ging langsam weiter. Die Musik wurde ein wenig lauter. Sie kam vom Friedhof. Brahms spürte ein Unbehagen, blieb erneut stehen und ließ seinen Blick langsam durch den Nebel gleiten. Plötzlich zuckte er zusammen. Auf halber Länge zwischen sich und der Friedhofskapelle sah er einen gespenstischen, roten Schatten durch eine milchige Wolke schimmern. Für einige Sekunden gab der Nebel den Blick frei, der Vorhang öffnete sich kurz. Brahms traute seinen Augen nicht. Wie angewurzelt stand er da und starrte sie an. Langsam legte sie den Kopf in den Nacken und strich ihr langes, dunkles Haar aus dem Gesicht. Das dünne, blutrote Kleid ließ ihren Körper durchschimmern. Sie sang ein seltsames Lied zu ihrem Grabtanz. Langsam verhüllte der Nebel dieses Schauspiel wieder. Lediglich der Gesang zeugte noch von ihrer Anwesenheit.

Brahms wäre am liebsten dorthin gelaufen. Die 1,40 Meter hohe Mauer war für ihn aber unüberwindbar. Er sah sich um, suchte nach Zeugen für diese Wahrnehmung. Vergeblich. Brahms war alleine. Fast alleine. Er schrie in die Richtung, aus der das Lied zu ihm herüberklang.

»Hey, wer sind Sie? Was machen Sie da? Warten Sie!«

Das rote Gewand war wieder schemenhaft zu erkennen. Es wurde immer kleiner. Der Gesang verstummte schließlich.

Kapitel 2

Krefeld. Karl Heinz Schmitz blickte missmutig in die Tupperdose. Neben zwei Schnitten mit Magerquark, die wohl zur optischen Auffrischung mit Schnittlauch und Radieschenscheiben garniert waren, befanden sich noch ein Apfel und eine Banane darin. Ein zweites, kleines Plastikschälchen enthielt Ahornsirup als gesunde Alternative zum raffinierten Zucker. Petra hatte vor zwei Wochen festgestellt, dass sein Bauchansatz mittlerweile nicht mehr mit dieser Bezeichnung verniedlicht werden konnte. Nach etlichen, einseitig geführten Diskussionen beschlossen ›sie‹ eine Diät in Angriff zu nehmen. Seine Hand glitt ihm automatisch über den Bauch. Das weite Flanellhemd trug er zum ersten Mal im Sommer. Die kurzärmeligen, zu eng gewordenen Hemden würden nur noch mehr Kritiker auf den Plan rufen. Karl Heinz schob beide Dosen zum gegenüberliegenden Schreibtisch. Er konnte nicht begreifen, warum sein Kollege sich freiwillig einer solch unmenschlichen Ernährung hingab. An seinen Genen konnte es nicht liegen. Jedenfalls hatte Kalle die italienische Küche anders in Erinnerung. Angelo Rossi war zwar in Deutschland geboren, aber er betonte immer wieder, im Herzen ein Italiener zu sein.

Kalle schaufelte den sechsten Löffel Zucker in seinen Kaffee, während er sich die Notizen seines Kollegen durchlas. Vor drei Monaten war Angelo in ihre Dienststelle gekommen. Während sein Kollege froh war, bei der Mordkommission untergekommen zu sein, sah Kalle sich dagegen eher als Platzhalter. Nachdem beide etatmäßigen Mordermittler im April zum LKA abgewandert waren, dümpelte das Dezernat führerlos auf dem Meer des Verbrechens, wie es Kriminalrat Eising bei der Verabschiedung von Daniel und Joshua pathetisch formuliert hatte. Eising hatte ihm hinter vorgehaltener Hand die Leitung der Mordkommission angeboten, aber Kalle zog es immer noch zu seinen Kollegen von der Wirtschaft.

Ohne umzurühren, nippte er an seinem Kaffee. Er schüttelte den Kopf. Der Fall war doch klar wie die Julisonne, die sich anschickte, den Krefelder Himmel zu erklimmen und die Innenstadt in eine riesige Sauna zu verwandeln. Der 69-jährige Jürgen Winkler wurde tot in seiner Wohnung gefunden. Auf dem Totenschein war Herzversagen als Todesursache angegeben. Nichts Außergewöhnliches in dem Alter und bei der Hitze. Reine Routineangelegenheit, keine weiteren Ermittlungen. Nichts sprach dagegen, Überstunden abzufeiern und die sommerliche Hitze jeden Nachmittag mit Petra und der kleinen Johanna im Garten oder Freibad zu genießen. Zwei Gründe schienen Kalles Traum vom Halbtagsurlaub in heimischen Gefilden zu gefährden. Aber eigentlich war es nur ein Grund und der trug den Namen Angelo Rossi.

Angelo Rossi.

Dieser Name. Er klingt wie der Wind in den Bergen von Kalabrien, wie die Wellen, die den heißen Strand von Capri berühren.

Das hatte sie bei der letzten Besprechung gesagt und dabei grinsend in die Gesichter ihrer erstaunten Zuhörer geblickt. Rossi wurde noch nicht einmal rot. Bis zu diesen Worten hatte Kalle die neue Staatsanwältin Viola Lubjuhn für eine unterkühlte Landpomeranze gehalten.

Rossi schien geradezu seinem ersten Mordfall entgegenzufiebern. Seine Agilität war gewöhnungsbedürftig.

Kalle blickte auf die kleine Zeitanzeige in der Taskleiste. 9.30 Uhr, noch zwei Stunden. Ab halb zwölf gab es in der Kantine Mittagessen. Reibekuchen mit Apfelmus, er hatte drei Portionen geordert.

Sein Blick wandte sich Grundig zu, einer Gesprächsnotiz vom Vortag. Doktor Frank Albrecht hatte in dem Gespräch postume Bedenken zum Ausdruck gebracht. Angelo hatte den Mediziner solange bekniet, die Todesursache noch einmal zu überdenken, bis dieser schließlich gestern hier erschienen war und leichte Zweifel geäußert hatte. Ausschlaggebend für Rossis Engagement war die Aussage einer Nachbarin. Demnach hatte der Verblichene über eine ausgesprochene Fitness verfügt. Zwei Stunden auf dem Rad, ein ebenso langer Spaziergang täglich, sowie regelmäßige Besuche im Schwimmbad ließen die Seniorin zu der Überzeugung gelangen, dass der Rentner unmöglich einfach so an Herzversagen gestorben sein könne. Angelo schien sich dieser Sichtweise bereitwillig anzuschließen. Zu Kalles Unbehagen trugen auch die Aussagen Doktor Albrechts bei.

Jürgen Winkler hatte sich regelmäßig von seinem Hausarzt komplett durchchecken lassen. Zuletzt vier Wochen vor seinem Tod. Belastungs-EKG, Blutwerte und Lungenfunktionstest ergaben bei ihm die Konstitution eines Fünfzigjährigen. Selbstverständlich, so der Arzt, sei zwar beispielsweise ein Infarkt niemals auszuschließen, widerspräche allerdings dem Gesamteindruck, den er von seinem Patienten habe. Doktor Albrecht schlug eine Obduktion vor. Gleichzeitig räumte er ein, möglicherweise die Todesursache voreilig definiert zu haben. Kalle schüttelte den Kopf. Er fragte sich, ob dieser Arzt gegenüber seinen Patienten auch so phlegmatisch war.

Jürgen Winkler war vor einer Woche beerdigt worden. Kalle konnte Viola Lubjuhn schlecht einschätzen. Ihr Vorgänger, Staatsanwalt König, wäre an die Decke gesprungen, wenn sie eine Woche nach einer Beerdigung eine Exhumierung gefordert hätten.

Er schob die Notiz zur Seite und kramte eine Zigarette aus der Hosentasche. Mittlerweile gab es nur noch einen Raum im gesamten Gebäude, in dem geraucht werden durfte. Dieser befand sich ein Stockwerk über ihm im Nordflügel. Kalle erhob sich und riss beide Fenster weit auf. Der erste Zug blieb ihm fast im Halse stecken. Angelo fuhr auf seinem Rennrad über den Hof. Kalle inhalierte noch einmal tief, drückte die Zigarette an der Außenwand aus und warf sie in den Papierkorb. So schnell hatte er nicht mit seinem Kollegen gerechnet. Angelo wollte zum Friedhof. Mit Ausnahme einer älteren Schwester aus Köln, die mit einem Rollstuhl ans Grab gefahren war, hatte Jürgen Winkler keinerlei Verwandte gehabt. Die Nachbarn schilderten ihn als verschrobenen Einzelgänger. Angelo wollte wissen, ob vielleicht frische Blumen am Grab abgelegt worden waren. Wenn Winkler keines natürlichen Todes gestorben war, musste es einen Grund dafür geben. Eine Bezugsperson könnte diesen Grund kennen.

Mit nachdenklichem Gesichtsausdruck betrat Angelo das Büro. Seine Nase bewegte sich für einen kurzen Augenblick wie die eines Kaninchens. Kalle reagierte sofort.

»Und? Frisches Gemüse auf dem Grab?«

Angelo schüttelte den Kopf und setzte sich an seinen Schreibtisch.

»Nein, im Gegenteil.«

Kalle überlegte kurz, was sein Kollege meinte, als dieser wieder die Nase rümpfte. Mit einer Armbewegung forderte er ihn auf weiterzureden.

»Das Grab war absolut leer geräumt. Dafür aber voller Fußspuren. Spuren von Stöckelschuhen.«

Angelo betonte das letzte Wort, als handele es sich um das alles entscheidende Indiz.

»Von Stöckelschuhen?«

»Ja. Ich habe mich umgehört. Bei keinem der Friedhofsgärtner ist eine Frau für die Grabpflege zuständig. Abgesehen davon wurde auch von keinem Angehörigen eine Grabpflege in Auftrag gegeben. Die Sache ist äußerst merkwürdig.«

Kalle setzte sich hin und tastete nach seiner Kaffeetasse, den Blick immer noch auf seinen Kollegen gerichtet. Grabpflege in Stöckelschuhen, er schüttelte den Kopf. Nachdenklich stellte er die Tasse ab. Fußspuren auf einem relativ frischen Grab. Das war vielleicht nicht unbedingt normal, aber für ihn auch nicht so außergewöhnlich. Fakt war, dass nichts auf eine Gewalttat hindeutete. Ohne den geringsten Ansatz würde die Staatsanwältin keine Exhumierung genehmigen. Für ihn war der Fall erledigt, während Angelo am Nachmittag noch einmal zum Friedhof fahren wollte, um die ominöse Stöckelschuhträgerin ausfindig zu machen.

Kapitel 3

Wesel-Bislich. Anna Marie Gehrke saß mit verheulten Augen am Esstisch in der Wohnküche. Sie konnte nicht begreifen, warum jemand so etwas tat. Die beiden Schutzpolizisten ihr gegenüber wirkten ein wenig hilflos. Die Kollegen von der Nachtschicht hatten den Fall schon aufgenommen. Allerdings schenkten sie dem Bauern Brahms wenig Glauben. Zu fantastisch hörte sich seine Geschichte an und zu prägnant war seine Alkoholfahne. Mittlerweile war die Frau in dem dünnen roten Kleid Gesprächsthema Nummer eins im kleinen Bislich. Offenbar ordnete Brahms seinen Schlaf dem dörflichen Mitteilungsbedürfnis unter. Jeder wusste davon, aber niemand außer Walter Brahms hatte sie gesehen.

»Wer macht so etwas? Mein Vater hat doch niemandem wehgetan?«

Die Beamten sahen sich an. Kurt Engelbrecht, der Ältere der beiden, ergriff das Wort.

»Woran ist Ihr Vater eigentlich gestorben?«

Die Frau trocknete mit dem zerknüllten Baumwolltuch ihre Tränen und räusperte sich.

»Es kam völlig überraschend für uns. Mein Bruder hat ihn morgens neben dem Küchenstuhl gefunden. Herzversagen, sagte Doktor Stranz. Dabei war er kerngesund. Ich verstehe das nicht.«

Der Vorhang zur Kochnische wurde beiseitegeschoben und ein junges Mädchen trat herein. Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee erfüllte den Raum. Schweigend stellte sie drei Tassen auf den Tisch und verschwand wieder. Einer der Beamten winkte noch dankend ab, sie nahm es nicht mehr wahr. Ihm lag die Frage auf der Zunge, ob ihr Vater irgendwelche Feinde gehabt hatte. Im gleichen Augenblick betrachtete er sie als überflüssig.

»Das Grab sah so schön aus«, unterbrach sie seine Gedanken.

»So viele Kränze und Blumen. Und jetzt … «

Die Polizisten sahen sich betreten an.

Vor einer halben Stunde hatten sie vor dem Grab gestanden. Vereinzelte Sonnenstrahlen waren durch die junge Birke gedrungen und hatten den vom Morgentau noch feuchten Marmor des Grabsteines erstrahlen lassen. Die Luft hatte klar und süßlich gerochen, als ob sie den schönsten aller Sommertage versprechen wollte. Ein Blick auf das Grab von Alfons Gehrke hatte die aufkommende Freude darüber abrupt verblassen lassen. Es war ein Bild der Verwüstung. Die aufwendigen Blumengebinde und Kränze rundum verteilt, als hätte sie jemand voller Wut beiseitegetreten. Die noch frische Erde übersät mit Fußabdrücken. Sie ergaben ein seltsames Muster. Viele von ihnen hatten nur aus der Fußspitze bestanden, andere hatten eine seitliche Vertiefung aufgewiesen. Nur bei wenigen war der Abdruck eines pfenniggroßen Absatzes zu erkennen gewesen. Das Gesamtbild hatte für die Beamten ein merkwürdiges Muster dargestellt. Laut der Aussage des Bauern Brahms hatte die Frau auf dem Grab getanzt. So sehr sie sich auch bemüht hatten, die Art des Tanzes aus den Abdrücken zu lesen, es war ihnen nicht gelungen. Eine Krähe war auf dem Grabstein gelandet und krächzte sie hämisch an, während einer der beiden Fotos von dem Szenario machte.

»Wir haben alles aufgenommen, Frau Gehrke. Die Gärtnerei kann das Grab wieder herrichten.«

Kurt Engelbrecht bemühte sich dabei um einen ruhigen Tonfall. Ihre roten Augen sagten ihm, dass es keinen Trost für diese Tat gab. Zu gerne würde er seinem ersten Gedanken am Grab nachgehen. Ihm war sofort klar, dass die Kollegen der Nachtschicht sich irrten. Für ihn sah es nicht nach willkürlichem Vandalismus aus. Es musste mehr dahinter stecken. Die Pietätlosigkeit, sie nach einer vergrämten Liebhaberin ihres Vaters zu fragen, brachte er nicht zustande. Vermutlich würde sie auch gar nichts davon wissen, redete er sich ein.

Während sein Kollege sich noch ein belegtes Brötchen im Laden holte, zermarterte Engelbrecht sich das Hirn. Es war immer wieder die gleiche Frage, die ihn beschäftigte. Welches Geheimnis hatte der 69-jährige Bäckermeister mit ins Grab genommen?

Kapitel 4

Krefeld. Das Kinn mit beiden Händen abgestützt, blickte Angelo auf den Flachbildschirm vor ihm. Das Foto schien ihm etwas zu verbergen. Er zog den Ausdruck aus dem Schacht des Laserdruckers und legte ihn vor sich auf den Schreibtisch. Vorhin auf dem Friedhof konnte er ein grobes Zeitfenster ermitteln. Demnach war das Grab gestern um 21.30 Uhr noch völlig unversehrt. Einer weiteren Zeugin, die auf dem Weg zur Arbeit die Blumen auf einem benachbarten Grab gegossen hatte, waren die Verwüstungen um 6.30 Uhr aufgefallen. Gebannt betrachtete Angelo die Aufnahme. Die Spuren schienen kreisförmig nach einem bestimmten Muster zu verlaufen. Er nahm sich einen Filzstift und begann damit, gleiche Abdrücke zu kennzeichnen. Es gab zwei Arten von Abdrücken, einmal den ganzen Schuh und einmal nur den vorderen Teil. Ihre Anordnung wirkte zufällig, kaum ein Abdruck ähnelte dem anderen. Angelo stand auf und versuchte, die Schritte nachzumachen. Kalle sah ihm stirnrunzelnd zu. Mit dem Ausdruck in der Hand stakste er gestikulierend durchs Büro.

»Es ist ein Tanz!«, rief er unerwartet laut.

Kalle zuckte zusammen. An das südländische Temperament, das er für die gelegentlichen Gefühlsausbrüche seines Kollegen verantwortlich machte, konnte er sich nur schwer gewöhnen. Mit einer Mischung aus Missmut und Neugier sah er ihm zu. Angelo schien ständig unter Strom zu stehen. Nach einem anstrengenden Dienst zog er sich den Trainingsanzug an und lief mal eben zwanzig Kilometer, spielte Tennis oder fuhr stundenlang mit seinem Rennrad durch die niederrheinische Landschaft. Im letzten Jahr gewann er einen Triathlon, beim Düsseldorfer Brückenlauf wurde er Dreizehnter. Kalle war schon stolz, es in seiner Freizeit zum Powerseller bei Ebay gebracht zu haben.

»Die Fußspuren auf Winklers Grab. Guck hier!« Angelo deutete mit dem Zeigefinger auf seine Füße. Kalle zuckte mit den Schultern.

»In der letzten Nacht ging eine Frau zu dem Grab von Winkler, räumte alle Blumen und Kränze beiseite und tanzte darauf. Findest du das normal?«

Kalle öffnete den zweiten Knopf seines Hemdes. Die Außentemperatur betrug mittlerweile 32 Grad. Die Raumtemperatur lag durch die weit geöffneten Fenster nur unwesentlich darunter. Es war nicht der einzige Grund für die glänzenden Schweißperlen, die sich auf seiner Stirn vermehrten. Was ging hier vor? Hatten sie es mit Paragraf 164 StGB, Störung der Totenruhe, zu tun, oder sollte Angelo recht behalten? Kalle griff mit ausgestrecktem Arm zum gegenüberliegenden Schreibtisch und nahm den Ausdruck an sich. Die mit dem Filzschreiber umrandeten Abdrücke ergaben ein Gesamtbild, das wie die Anleitung zu einem Tanz aussah. Ihm fiel auf, dass drei der Abdrücke wesentlich tiefer waren als die anderen. Kalle versuchte, einen ganz banalen Grund für diesen Vorfall auszumachen. Er dachte über Drogen nach, über schwarze Messen und Satanismus. Aber warum ausgerechnet auf diesem Grab? Nachdenklich rieb er sich das Kinn und füllte beiläufig seine Tasse mit mittlerweile lauwarmem Kaffee. Angelo durchforstete derweil das Internet nach Tanzfiguren.

Der Gedanke schmeckte Kalle so schlecht wie der Reissalat, den Petra ihm gestern Abend diätplanmäßig serviert hatte. Aber einen Zusammenhang zwischen der Schändung des Grabes und dem Tod Winklers konnte nur eine Obduktion klären. Kalle biss die Lippen zusammen und hackte die Nummer der Staatsanwältin in die Tastatur.

Kapitel 5

Olsberg. Der kleine Bachlauf schlängelte sich um den künstlich angelegten Berg. Über einen kleinen Hang stürzte er in den Teich. Die Lavasteine aus der Eifel dienten einer Vielzahl einheimischer Insekten als Unterschlupf.

Zwei Taubenschwänzchen tanzten vergnügt über das Teichufer. Der süße Nektar des Eisenkrautes lockte sie jeden Tag aufs Neue an. Eine Libelle schien eine Handbreit über dem Wasser in der warmen Sommerluft zu verweilen, um die Darbietung der Schmetterlinge zu beobachten.

Der Artenreichtum am unteren Ende der Nahrungskette sorgte wiederum dafür, dass im Garten der Reindersvögel zu Gast waren, die man im Ort nur selten zu Gesicht bekam.

Siegmund Reinders hatte es sich auf einem der sechs großen Eichenstühle, die über die Holzterrasse verteilt standen, gemütlich gemacht. Durch die von roten Rosen umrankte Pergola blickte er auf den Garten. Im hinteren Teil der Anlage war seine Frau damit beschäftigt, das Meer der Blumen mit Wasser zu versorgen. Ein Zaunkönig flog mit einem Wurm im Schnabel die Haselnusshecke ab, offensichtlich auf der Suche nach einem seiner Nester.

Reinders’ Kopfschmerzen wurden immer stärker. Dazu der aufkommende Schwindel. Ein Unbehagen beschlich den pensionierten Bauingenieur. Mit dem Daumen ließ er den Porzellanverschluss von der Bierflasche springen und schüttete sich etwas ins Glas. Seine Hände zitterten dabei. Ihm war die Lust auf das Bier vergangen, aber der ekelig bittere Geschmack im Mund verlangte nach Beseitigung. Siegmund Reinders zog das Foto aus der Innentasche seiner Sommerweste und betrachtete es eingehend. Er führte es so dicht an seine Augen, als suche er nach einem versteckten Detail. Eine innere Unruhe überkam ihn. Er spürte das Blut immer schneller durch seine Venen jagen. Das monotone Plätschern des Wassers, welches gewöhnlich seine Seele sanft massierte, nahm er nur noch verzerrt war.

Behandeln Sie mich bitte wie eine Dame.

Dieser Satz ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er hielt das Bild nun weiter weg, um seine Gesamtheit zu betrachten. Niemals würde ihm in den Sinn kommen, diese Person wie eine Dame zu behandeln, was denkt sie sich dabei. Eigentlich sah sie ja nicht schlecht aus, dachte er amüsiert. Für seinen Geschmack zu auffällig geschminkt, vor allem zu dunkel. Aber die langen, schwarzen Haare, das blutrote Kleid. Der Gesamteindruck war recht passabel, wenn er es nicht genauer wüsste.

Er dachte an das Treffen mit ihr, vor einer halben Stunde, einige Meter abseits vom Park.

Reinders war unwohl dabei. Er hatte nicht hingehen wollen. Aber die Frage, ob seine Frau wisse, in welchen Etablissements er verkehre, hatte ihn überzeugt. Er hatte ihr Geld geboten, viel Geld. Für ihr Schweigen, ja auch. Aber er wollte es als Schmerzensgeld, als Wiedergutmachung geben für etwas, das er nicht mehr gutmachen konnte. Sie hatten den Bogen überspannt, waren sich nicht darüber im Klaren gewesen, welche Konsequenzen es letztendlich für sie persönlich haben würde. Stets hatten sie den Glauben als oberste Prämisse vor sich hergetragen. Ihr Glaube, der Menschlichkeit und Toleranz beinhalten sollte, hatte er sie in diesen Augenblicken verlassen? Voller Unsicherheit und Zweifel war er der Einladung gefolgt. Die Angst, mit ihr gesehen zu werden, hatte sich mit jedem Schritt, den er sich dem Treffpunkt näherte, vergrößert.

Mit weichen Knien war er dem auffordernden Lächeln gefolgt und hatte sich neben sie auf die Bank gesetzt. Sie hatte wieder dieses blutrote Kostüm getragen, wie in jener Nacht. Wie damals war sie sehr auffällig geschminkt gewesen. Ihre Wangen hatten matt gewirkt. Für eine Sekunde hatte er sie bewundert. In diesem Augenblick wünschte er sich ihre Selbstsicherheit. Die mentale Stärke, sein unbesiegbares Selbstvertrauen, all dies schien verschwunden.

Seine Hände waren feucht geworden wie beim ersten Rendezvous damals nach der Schule auf dem alten Hochstand im Wald. Nervös hatte er seinen Blick gesenkt. Zwischen ihnen auf der Bank hatte ein schmales Deckchen gelegen. Ein kleines Körbchen mit Brot, zwei Weingläser und eine Flasche Spätburgunder hätten zufällig vorbeischlendernde Spaziergänger auf das Picknick eines frisch verliebten Pärchens schließen lassen. Ihre belanglose Konversation hatte ihn immer unruhiger gemacht. Sie freute sich über den herrlichen Sommertag, den Gott ihnen geschenkt hatte. Über Vögel, die vergnügt von Baum zu Baum flogen und Schmetterlinge, die ausgelassen um Blüten flatterten. Ihre Augen hatten dabei einen seltsamen Glanz versprüht. Er hatte sich inständig gewünscht, sie würde endlich zum wahren Grund dieses Treffens kommen, damit diese gespenstische Szenerie ein Ende nehmen konnte. Immer wieder hatte sie ihm zwischendurch zugeprostet. Er machte sich nicht viel aus Wein. Schon gar nicht aus diesem. Er hatte einen so widerwärtigen Abgang. Auf gar keinen Fall wollte er ihren Unmut hervorrufen. Reinders hatte es geschehen lassen und inständig auf das Ende dieser makabren Veranstaltung gehofft. Nach jedem Schluck hatte er ein Scheibchen Brot gekaut. Schließlich hatte er seinen restlichen Mut zusammengefasst und sie stotternd nach dem Grund dieses Treffens gefragt. Sie hatte ihr Gesicht geneigt und ein sanftes, friedvolles Lächeln als Rahmen für ihre Antwort gewählt.

Ich vergebe dir. Du kannst in Frieden gehen.

Er erinnerte sich, dass diese Worte eine seltsame Erleichterung in ihm ausgelöst hatten.

Siegmund Reinders konnte das Bild kaum noch erkennen. Die Konturen verschwammen, als läge es unter Wasser. Ihm wurde unsagbar heiß. Schweiß rann in kleinen Bächen über seine Wangen. Er blickte in den Garten, der schwankte, als würde er ihn bei Windstärke acht von der Reling eines kleinen Fischerbootes aus beobachten. Worte, die er zu seiner Frau hinausschreien wollte, fanden nicht den Weg aus seinem Mund. Ein letzter Hilfeschrei blieb an seinen Lippen kleben und versiegte. Aus unendlicher Ferne drang die Stimme seiner Frau herüber. Wogend und von einem Rauschen überlagert, als schwämme sie auf einer Welle zu ihm.

Noch ein letztes Mal sah er sie vor sich. Eine Strähne ihres schwarzen Haares vor dem Gesicht.

Mit dem Wein stimmt etwas nicht, sagte er ihr.

Der Wein ist nur für dich.

Ihr Lächeln entfernte sich und nahm ihn mit ins Jenseits.

Kapitel 6

Krefeld. Angelo fluchte leise vor sich hin. Seit einer Stunde durchkämmte er das Internet.

Tanzschritte – Tanzfiguren – Schrittfolge bei Tänzen – Tanzschulen – Tanzriten.

Womit er die Suchmaschine auch fütterte, er kam zu keiner befriedigenden Lösung. Mittlerweile hatte er auf einem leeren Blatt Fußabdrücke skizziert und mit gestrichelten Linien versehen. Sein Problem war, dass er die Ausgangsstellung nicht kannte. Zudem waren seine Tanzkenntnisse auf einige Standardtänze beschränkt. Er nahm sich vor, am späten Nachmittag die Tanzschulen in der Umgebung aufzusuchen. Immer öfter beschlich ihn die Vermutung, es könne sich um willkürliche Schritte handeln. Kalles lautes hereinließ ihn hochfahren.

Staatsanwältin Viola Lubjuhn nahm am oberen Ende der Schreibtische von Angelo und Kalle Platz. Sie hatte noch etwas mit Kriminalrat Eising zu besprechen und ersparte ihnen so den Weg zum Gericht. Kalle konnte sich das Thema ihrer Unterredung mit seinem Vorgesetzten vorstellen.

Während einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten des Kinderhilfswerks UNICEF am vergangenen Wochenende war Eising beim Anblick der Staatsanwältin fast der Kuchen von der Gabel gefallen. Damit hatte er nicht gerechnet, als Klaus Hafenstein, Pressesprecher der Stadt Krefeld und Moderator des Abends, den Auftritt der orientalischen Bauchtanzgruppe angekündigt hatte. Der glitzernde Chiffonrock und ihr BH waren über und über mit Pailletten, Perlen und kleinen Strasssteinen verziert gewesen. Dazu hatte sie netzartige Stulpen, die ihre Unterarme verzierten, getragen. Die gesamte Komposition, einschließlich des hauchdünnen Schleiers, der die untere Hälfte ihres Gesichtes halbwegs verdeckt hatte, leuchtete in einem frischen Orange. Direkt vor den Augen des Kriminalrates hatte sie mit fünf anderen Damen zu orientalischen Klängen einer türkischen Combo getanzt. Der erotisierende Hüftschwung, die lasziven Bewegungen, als gleite ihr Körper auf sanften Wogen dahin, hatten das Publikum immer wieder zu Beifallsstürmen hingerissen. Mit besorgtem Blick hatte Eising sich bei jeder kurzen Pause zu den Medienvertretern umgedreht. Der sehnliche Wunsch, sie mögen die Staatsanwältin nicht erkennen, stand ihm dabei ins Gesicht geschrieben. Aus Sorge, sie könne nach dem Tanz zu ihm an den Tisch kommen, hatte er die Aufführung mitten im letzten Stück in Richtung der Toiletten verlassen.

Der Flurfunk in der Behörde hatte in den Tagen danach mit Ausnahme einiger älterer Kolleginnen durchweg positiv über den Auftritt der neuen Staatsanwältin berichtet. An die Presse war bislang nicht das Geringste durchgedrungen, was in Elsings Augen auch tunlichst so bleiben sollte.

Neugierig sah sie die Polizisten an. Ihre Augen schienen vor Freude und Tatendrang überzusprudeln. Kalle war es fast peinlich, dienstlich zu werden. Angelo kam ihm zuvor und berichtete ausführlich von ihrem Anliegen, den Rentner obduzieren zu wollen. Ihr Blick wurde eine Spur ernster. Einen kurzen Augenblick dachte sie darüber nach. Ihre Antwort war völlig überraschend.

»In Ordnung. Ich werde die Exhumierung veranlassen.«

Sofort bemerkte sie die Unsicherheit ihrer Kollegen. Sie schienen sich auf eine lange Diskussion vorbereitet zu haben.

»Es wäre natürlich besser gewesen, die Obduktion vor der Beerdigung durchzuführen. Aber nun denn, wir sind bislang noch unter dem Limit, was Obduktionen anbelangt.«

Daher die schnelle Zustimmung, dachte Kalle. Die Polizei unterlag, wie jede andere Behörde auch, Sparzwängen. Gerade Obduktionen stellten einen enormen Posten auf der Ausgabenseite dar. Ihre jährliche Anzahl wurde im vergangenen Jahr vom Innenministerium auf 180 begrenzt. Sie hatten das Glück, dass ihr gerichtsmedizinisches Institut nicht wie viele andere geschlossen, sondern sogar noch erweitert wurde. Es hielten sich beharrlich Gerüchte, demnach immer öfter zaudernde Ärzte unter sanftem Druck dazu bewegt wurden, eine natürliche Todesursache auf dem Totenschein zu vermerken. Medien berichteten in der ihr eigenen Dramaturgie, als Resultat dieser Sparmaßnahmen würde mittlerweile nur noch jeder zweite Mord als solcher erkannt.

Viola Lubjuhn stand auf und verabschiedete sich, als ihr Blick auf Angelos Skizze hängen blieb. Mit geneigtem Kopf musterte sie die Zeichnung. Nach wenigen Sekunden sah sie ihm in die dunkelbraunen Augen und lächelte vergnügt.

»Sie lernen ›Paso doble‹, wie schön. Der Tanz mit seinem südländischen Temperament passt zu Ihnen. Wird nur viel zu selten gespielt. Ich hoffe, Sie tanzen ihn bei Gelegenheit mal mit mir.«

Langsam stellte Kalle die Kaffeetasse vor sich ab. Staunend sah er die Staatsanwältin an. Damit hatte er nicht gerechnet. Auch Angelo schaute ungläubig. Die Staatsanwältin wurde unruhig, ihre Blicke kreuzten sich, dann begriff sie.

»Die Spuren auf dem Grab! Jemand hat dort getanzt?«

»Ja, ich meine, wenn Sie es sagen«, Angelo schluckte, fasste sich dann aber ganz schnell.

»Was ist das für ein Tanz, dieser ›Paso doble‹?«

Viola Lubjuhn ließ sich erneut auf dem Stuhl nieder. Einen kurzen Augenblick hielt sie inne, nickte kurz und begann.

»›Paso doble‹ stammt aus dem Spanischen und bedeutet Doppelschritt. Er ist eigentlich«, sie zögerte einen Moment, »na ja, die Spanier bezeichnen ihn als Tanz des Mannes. Er ist der stolze, wagemutige Torero, die Dame«, Kalle lachte kurz auf, »ist nicht der Stier, sondern die Muleta oder Capa, das rote Tuch. Sie folgt tanzend den Bewegungen des Mannes, kann aber auch widerspenstig sein und entgegengesetzt tanzen. Der ›Paso doble‹ gehört übrigens zu den lateinamerikanischen Tänzen. Bei Turnieren wird er im 2/4-Takt getanzt, falls Ambitionen bestehen.«

Bei ihrem letzten Satz blinzelte sie Angelo zu. Sie nahm sich den Ausdruck des Fotos vom Grab von Angelos Schreibtisch und inspizierte ihn. Ihre Füße begannen nach einem stummen Takt zu wippen. Plötzlich hielt sie inne. Ihr Gesichtsausdruck wirkte angespannt.

Nachdenklich legte sie den Ausdruck wieder zurück. Angelos Blick haftete an der dünnen, hellblauen Bluse der Staatsanwältin. Etwa an der Stelle, an der der zweite geöffnete Knopf ihr Dekolletee erahnen ließ.

»Unmöglich.«

Mit gerunzelter Stirn sah die Staatsanwältin die Polizisten an.

»Auf einer Fläche von zwei bis drei Quadratmetern kann man keinen ›Paso doble‹ tanzen.«

Sie sprang auf und lief in wiegenden Schritten an den verdutzten Kollegen vorbei. Hinter Angelo blieb sie stehen und deutete mit ausgestrecktem Arm auf dessen Skizze.

»Das sind die Grundschritte vom ›Paso doble‹. Mit ein wenig Fantasie«, fügte sie einschränkend hinzu, »aber dieser Tanz benötigt sehr viel mehr Raum, als ein leergeräumtes Grab hergibt.«

Langsam nahm sie wieder Platz und rieb ihre Nasenspitze.

»Merkwürdig ist es aber schon. Ich meine die frappierende Ähnlichkeit der Grundschritte. ›Paso doble‹ ist hierzulande viel zu unbekannt.«

»Eben«, Angelo schlug mit der Hand auf die Tischplatte, »das war kein Zufall!«

»Es handelt sich also um eine Art ›Paso doble‹ im Miniaturformat«, versuchte Kalle die neuen Erkenntnisse zusammenzufassen.

»Eigentlich unmöglich«, die Staatsanwältin zögerte, »mir fällt allerdings kein anderer Tanz ein, zu dem diese Schritte passen würden.«

Viola Lubjuhn versprach, sich so schnell wie möglich um die Exhumierung und die anschließende Obduktion zu kümmern.

Während Kalle die Kaffeemaschine neu befüllte, ging ihm der ›Paso doble‹ nicht mehr aus dem Kopf. Angelo hatte noch kein Wort gesagt, seitdem die Staatsanwältin gegangen war.

»Was hältst du davon?«, fragte Kalle.

»Ist sie eigentlich verheiratet?«

Kalle schüttelte sprachlos den Kopf. Sein Kollege grinste und er fragte sich, ob er seine Geste wohl missverstand. Sein verklärter Gesichtsausdruck verschwand allerdings allmählich, er nahm sich das Foto vom Grab und kaute gedankenversunken an seinem Filzstift. Es musste eine Bewandtnis haben, so die Staatsanwältin. Warum tanzte eine Frau auf dem Grab vom Rentner Jürgen Winkler ›Paso doble‹. Ein Tanz, bei dem der Mann die dominante Rolle übernahm. Musste er für diese Dominanz sterben?

Kalle zuckte mit dem Kopf, als wolle er seine Gedanken löschen. Es waren einfach zu viele offene Fragen. Und noch gab es nicht den geringsten Beweis dafür, dass dieser Rentner gewaltsam ums Leben gekommen war. Ebenso konnte es sich um Zufall oder Vandalismus handeln. Aber die Zweifel nagten an ihm.

Kapitel 7

Bochum.