Konzepte zur Sprach- und Schriftsprachförderung entwickeln -  - E-Book

Konzepte zur Sprach- und Schriftsprachförderung entwickeln E-Book

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Beschreibung

Um sprachliche Bildung, Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung zu verbessern, bedarf es der Planung und Entwicklung entsprechender Förderkonzepte. Der Band liefert vier Bausteine, deren Berücksichtigung bei der Entwicklung zu tragfähigen Konzepten führt. Der erste Baustein betrifft die theoretischen Grundlagen: die Sprache als Bildungsgegenstand und deren Erwerb. Im zweiten Baustein wird die Erfassung von Ausgangslagen (Diagnostik) und die Dokumentation von Veränderungen erläutert. Baustein 3 präsentiert grundlegende Möglichkeiten der konkreten sprachlichen Bildung und Förderung vom Elementar- bis in den schulischen Sekundarbereich. Baustein 4 greift schließlich die zentrale Frage der Weiterqualifizierung der Fachkräfte für eine gelingende Umsetzung der Förderkonzepte auf.

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Bildung durch Sprache und Schrift, Band 1

 

Hrsg. von Michael Becker-Mrotzek, Hans-Joachim Roth, Marcus Hasselhorn, Petra Stanat

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Bildung durch Sprache und Schrift« (BiSS) ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Konferenz der Jugend- und Familienminister (JFMK) der Länder.

Das dieser Publikation zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter den Förderkennzeichen 01JI1301A, 01JI1301B und 01JI1301C gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren und Herausgebern.

Titz, Geyer, Ropeter, Wagner, Weber, Hasselhorn (Hrsg.)

Konzepte zur Sprach- und Schriftsprachförderung entwickeln

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032093-2

E-Book-Formate:

pdf:    ISBN 978-3-17-032094-9

epub: ISBN 978-3-17-032095-6

mobi: ISBN 978-3-17-032096-3

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

 

Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber

 

 

Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS) ist eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern. Ihr liegt eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder (JFMK) zugrunde. 2013 startete BiSS als eine bildungsetappenübergreifende Initiative zur Verbesserung der Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung. Seitdem entwickelten bundesweit über hundert Verbünde aus je drei bis zehn Kindertageseinrichtungen und/oder Schulen entlang thematischer Module ihre Konzepte der Sprachbildung, Sprach- und Leseförderung weiter. Ein für die wissenschaftliche Ausgestaltung und Gesamtkoordination von BiSS verantwortliches Trägerkonsortium unterstützt die Durchführung der Initiative. Verantwortlich für dieses wissenschaftliche Trägerkonsortium sind Michael Becker-Mrotzek und Hans-Joachim Roth (Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln), Marcus Hasselhorn (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, DIPF) und Petra Stanat (Humboldt-Universität zu Berlin in Kooperation mit dem Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, IQB).

Der vorliegende Band ist der erste einer sechsbändigen Herausgeberreihe »Bildung durch Sprache und Schrift«. Er greift den notwendigen, weitgehend bisher eher vernachlässigten ersten Schritt zu einer Optimierung der Sprach- und Schriftsprachförderung auf, nämlich die Entwicklung tragfähiger Konzepte zur Förderung von Sprache und Schrift. Die Gliederung des Bandes in vier Teile orientiert sich an den »Bausteinen«, die bei der Entwicklung solcher Konzepte zu berücksichtigen sind. Teil I widmet sich dem ersten »Baustein«. Es geht hier um die grundlegende Frage der theoretischen Begründung von Förderkonzepten und damit die genaue Beschreibung und Analyse des zu fördernden Gegenstandes. In Teil II wird darauf eingegangen, wie die individuelle Ausprägung von Kompetenzen innerhalb dieses Fördergegenstandes angemessen erfasst werden kann. Ohne die Erfassung von Ausgangslagen und die Dokumentation von Veränderungen der individuellen sprachlichen Ausgangslagen kann nicht beurteilt werden, ob sprach- und leseförderliche Aktivitäten tatsächlich die gewünschten Effekte erzielen. Teil III des Bandes stellt dann grundlegende Möglichkeiten der konkreten sprachlichen Bildung und Förderung vor, wobei deutlich wird, dass dabei die Frage nach den Bereichen, aber auch die jeweiligen Ausgangslagen der Zielgruppen in den adressierten Kompetenzbereichen zu berücksichtigen sind. Schließlich muss die Konzeptentwicklung auch die stetige Weiterqualifizierung der in die Umsetzung von Förderkonzepten eingebundenen Fachkräfte berücksichtigen, was in Teil IV des Bandes aufgegriffen wird. Einige Kapitel stellen etappenübergreifende Aspekte der Konzeptentwicklung dar, andere dagegen greifen spezifische Herausforderungen der jeweiligen Bildungsetappen Elementar-, Primar- oder Sekundarbereich auf.

Inhalt

 

 

Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber

Teil I: Theoretische Grundlagen

Kapitel 1: Konzepte zur Sprachförderung entwickeln: Grundlagen und Eckwerte

Thomas Lindauer & Afra Sturm

Einleitung

1 Eckwerte zur Entwicklung von Sprachförderkonzepten

2 Lernsituationen und -arrangements als Motor für die Umsetzung von Sprachförderkonzepten

3 Implementierung

4 Leitfragen im Überblick

Literatur

Kapitel 2: Was sind eigentlich Sprache und Schrift? Erwerbsgegenstand gesprochene und geschriebene Sprache

Michael Becker-Mrotzek

Einleitung: Sprache, Sprachtheorie und sprachliche Bildung

1 Sprache als Gegenstand von Bildungsprozessen

2 Linguistik und Sprachtheorie

3 Sprachliche Funktionen und Modalitäten (Mündlichkeit und Schriftlichkeit)

4 Sprache und ihre Einheiten

Literatur

Kapitel 3: Spracherwerb

Anja Müller, Petra Schulz & Rosemarie Tracy

Einleitung

1 Theorien zum kindlichen Spracherwerb

2 Erwerbstypen

3 Der kindliche Erstspracherwerb – Deutsch als L1/Muttersprache

4 Früher kindlicher Zweitspracherwerb

5 Implikation für die Förder- und Bildungsziele in der pädagogischen Arbeit

Literatur

Kapitel 4: Schriftspracherwerb

Wolfgang Schneider & Catharina Tibken

Einleitung

1 Frühe schriftsprachrelevante Fähigkeiten für den Erwerb von Lese- und Rechtschreibkompetenz

2 Modelle des Schriftspracherwerbs

3 Schriftspracherwerb bei Kindern mit Migrationshintergrund

4 Effekte unterschiedlicher Unterrichtsmethoden auf den Lernerfolg

Literatur

Teil II: Sprachstandsfeststellung – Diagnostik

Kapitel 5: Ausgangslagen erfassen und Veränderungen dokumentieren: Zum Mehrwert von Diagnostik

Cora Titz, Anna Ropeter & Marcus Hasselhorn

Einleitung

1 Ausgangslagen erfassen: Wer sollte wie zusätzlich gefördert werden?

2 Veränderungen dokumentieren: Wie erfolgreich sind die Förderbemühungen?

3 Gefahren der Diagnostik

4 Gefahren des Verzichts auf Diagnostik

5 Welchen Mehrwert hat die Nutzung diagnostischer Informationen?

Literatur

Kapitel 6: Sprachstandsfeststellung im Elementarbereich

Rosemarie Tracy, Petra Schulz & Barbara Voet Cornelli

Einleitung

1 Theoretische und methodische Voraussetzungen diagnostischer Verfahren

2 Herausforderungen für die Diagnostik: ein problematisches Trio

3 Ein einziges diagnostisches Verfahren für alle?

4 Ein Einblick in ausgewählte diagnostische Verfahren

5 Abschließende Überlegungen

Literatur

Kapitel 7: Diagnostik sprachlicher Kompetenzen im Schulbereich

Birgit Heppt & Jennifer Paetsch

Einleitung

1 Sprachliche Basisqualifikationen

2 Erfassung sprachlicher Kompetenzen bei Kindern im Grundschulalter

3 Besondere Herausforderungen bei der Erfassung sprachlicher Kompetenzen im Schulbereich

4 Fazit und Ausblick

Literatur

Kapitel 8: Diagnostik schriftsprachlicher Kompetenzen im Schulbereich

Britta Zach, Daniel Scherf, Claudia Müller-Brauers & Angelina Keuschnig

Einleitung

1 Diagnostik schriftsprachlicher Kompetenzen: Grundlagen

2 Diagnostik von Lesekompetenzen

3 Diagnostik von Schreibkompetenzen

4 Diskussion und Ausblick

Literatur

Diagnosematerialien und Verfahrensbeschreibungen

Teil III: Förderung – Sprachliche Bildung

Kapitel 9: Sprachförderung im Elementarbereich

Sabrina Geyer, Rabea Schwarze & Anja Müller

Einleitung

1 Sprachförderung im Elementarbereich: Ziele und Zielgruppen

2 Programme und -konzepte zur Sprachförderung im Elementarbereich

3 Sprachförderung konkret: Bausteine einer spracherwerbstheoretisch fundierten Sprachförderung

4 Im Fokus: das sprachliche Handeln der Fachkräfte

5 Fazit und Ausblick

Literatur

Kapitel 10: Förderung von sprachlichen Kompetenzen im Primarbereich

Jennifer Paetsch & Luna Beck

Einleitung

1 Maßnahmen zur Förderung sprachlicher (Teil-)kompetenzen

2 Ansätze des integrierten Fach- und Sprachlernens

3 Fazit und Ausblick

Literatur

Kapitel 11: Förderung von Sprache und Schriftsprache im Sekundarbereich

Maik Philipp & Christian Efing

Einleitung

1 Wortschatz

2 Bildungssprache

3 Evidenzbasierte Prinzipien der Förderung von Wortschatz und Bildungssprache

4 Fazit: Zur Wichtigkeit der Förderung von Wortschatz und Bildungssprache

Literatur

Kapitel 12: Alltagsintegrierte sprachliche Bildung und Förderung im Elementarbereich

Diemut Kucharz

Einleitung

1 Begriffsklärung

2 Alltagsintegrierte Sprachbildung und -förderung

3 Geeignete Alltagssituationen

4 Sprachanregende Gestaltung der Alltagssituationen

5 Fazit

Literatur

Kapitel 13: Alltagsintegrierte Sprachbildung im Fachunterricht – Fordern und Unterstützen fachbezogener Sprachhandlungen

Uli Brauner & Susanne Prediger

Einleitung

1 Warum Sprachbildung auch im Fachunterricht?

2 Welche Art von Sprachförderung ist wichtig für den Fachunterricht?

3 Wie können in der Unterrichtsplanung fachbezogene Sprachhandlungen gefordert und unterstützt werden?

4 Wie können in der Unterrichtsdurchführung fachbezogene Sprachhandlungen gefordert und unterstützt werden?

5 Fazit

Literatur

Teil IV: Qualifizierung der Fachkräfte

Kapitel 14: Qualifizierung der Fachkräfte im Elementarbereich

Diemut Kucharz

Einleitung

1 Ziel der Qualifizierung

2 Vielfältige Formen der Qualifizierung

3 Inhalte der Qualifizierungen und deren Bedeutung

4 Gestaltung der Qualifizierung und deren Wirksamkeit

5 Fazit

Literatur

Kapitel 15: Qualifizierung der Fachkräfte im Primar- und Sekundarbereich: Ziele, Elemente und Gelingensbedingungen für Fortbildungen

Michaela Mörs & Hans-Joachim Roth

Einleitung

1 Typisierung von Fortbildungen

2 Didaktische Konzeptionen

3 Blended-Learning

4 Fazit und Ausblick

Literatur

Die Herausgeberinnen und Herausgeber

Die Autorinnen und Autoren

 

Teil I:   Theoretische Grundlagen

 

Die vier Kapitel des ersten Teils dieses Bandes widmen sich grundlegenden Aspekten der Konzeptentwicklung. In Kapitel 1 führen Lindauer und Sturm übergreifend für alle Bildungsetappen aus, was Konzepte sind, wozu sie dienen, warum sie so nützlich sind und wie man sie entwickeln kann. So sollten möglichst alle an der Umsetzung Beteiligten in die Entwicklung einbezogen werden. Außerdem sollte expliziert werden, was das zu erreichende Ziel in welchem sprachlichen Bereich ist und mit welchen konkreten Vorgehensweisen dieses in welchen zeitlichen Etappen erreicht werden kann. Dazu stellen die Autorin und der Autor u. a. hilfreiche Orientierungsfragen zur Verfügung.

In Kapitel 2 erläutert Becker-Mrotzek Sprache als den Bildungsgegenstand, der Konzepten zur sprachlichen Bildung und Förderung inhaltlich zugrunde liegt. Dabei legt er aus Sicht der Linguistik und Sprachtheorie den Fokus auf die Funktion von Sprache als Kommunikationsmittel. Er stellt die Einheiten dar, aus denen Sprache aufgebaut ist und zeigt, welche Kompetenzen ihre Verwendung im sprachlichen Handeln erfordern. Die Schilderung der Komplexität von Sprache verdeutlicht, wie viele mögliche Zielgrößen die Entwicklung von Konzepten zu sprachlicher Bildung und Förderung von Kindern und Jugendlichen umfassen kann.

Müller, Schulz und Tracy gehen dann in Kapitel 3 der Frage nach, wie sich der Erwerb des in Kapitel 2 geschilderten Bildungsgegenstandes Sprache in der kindlichen Entwicklung vollzieht. Dabei werden zunächst verschiedene theoretische Vorstellungen gegenübergestellt und dann empirisch nachgewiesene unterschiedliche Erwerbstypen und -schritte beim Erst- und Zweitspracherwerb skizziert, wobei das Alter beim Beginn des Erwerbs einer Sprache eine wichtige Rolle spielt. Das Kapitel schließt mit den sich daraus ergebenden wichtigsten Herausforderungen für die Förder- und Bildungsziele in der pädagogischen Arbeit.

Der letzte Beitrag dieses ersten Teils – Kapitel 4 von Schneider und Tibken – thematisiert den Schriftspracherwerb. Zunächst wird auf die bereits im Kindergartenalter vorhandenen Kompetenzen eingegangen, die dem Schriftspracherwerb vorausgehen. Es folgen Modellvorstellungen zum Erwerb des Lesens und Rechtschreibens sowie ein Blick auf die Besonderheiten des Schriftspracherwerbs bei Kindern mit Migrationshintergrund. Außerdem geht das Kapitel auf Effekte unterschiedlicher Unterrichtsmethoden auf den Lernerfolg ein.

Kapitel 1: Konzepte zur Sprachförderung entwickeln: Grundlagen und Eckwerte

Thomas Lindauer & Afra Sturm

 

Das vorliegende Kapitel soll verdeutlichen, warum sich die Arbeit an einem Sprachförderkonzept lohnt und welches die Eckwerte sind, die man bei der Ausarbeitung eines solchen Konzepts beachten sollte. Diese Eckwerte werden im Abschnitt 1 wie folgt dargestellt: Nach ersten allgemeinen Überlegungen zur Konzeptentwicklung werden die Rahmenbedingungen für Sprachförderung skizziert. Daran schließen sich Überlegungen zu den Ebenen formaler Bildung an, auf denen Sprachförderkonzepte für den Elementar- und Schulbereich angesiedelt werden können, denn die verschiedenen Akteure des Bildungssystems müssen bei der Ausarbeitung eines Konzepts einbezogen und die Ebenen formaler Bildung mitbedacht werden. Der Abschnitt schließt mit Hinweisen darüber, wie die zugrundeliegenden Annahmen in einem Konzept dargelegt werden sollten und was dabei zu beachten ist.

Sprachförderkonzepte und die damit verknüpften didaktischen Handlungsmuster lassen sich mit Lernsituationen für die Sprachentwicklung in der Kita bzw. mit zusätzlichen Lernarrangements und Lernaufgaben für die Schule besser verdeutlichen: Abschnitt 2 führt dies in Bezug auf eine alltags- und unterrichtsintegrierte Förderung aus und geht dabei genauer auf das Potenzial von sog. »Musteraufgaben« ein.

Da Sprachförderkonzepte auf eine Veränderung und insbesondere Verbesserung eines Entwicklungs- oder Lernbereichs angelegt sind, widmet sich Abschnitt 3 der Frage, welche Bedingungen sich günstig im Hinblick auf eine gelingende Umsetzung auswirken und welches allfällige Hürden sind.

Der Beitrag schließt mit einem Überblick zu zentralen Leitfragen, die bei der Erarbeitung eines Sprachförderkonzepts herangezogen werden können.

Hinweis: Anders als in Deutschland zählt der Elementarbereich in Bildungssystemen wie der Schweiz oder Großbritannien zum Schulbereich. Entsprechend wurden etwa in der Schweiz auch Bildungsstandards für den Elementarbereich formuliert. Um den unterschiedlichen Bildungssystemen Deutschland – Schweiz Rechnung zu tragen, verwenden wir bspw. »Lernsituationen« für den Elementarbereich und »Lernarrangements« für den Schulbereich im engeren Sinne. Der Einfachheit halber gebrauchen wir auch die Begriffe »Aufgaben« oder »Unterrichtssettings« für beide Bereiche.

Einleitung

Konzepte dienen dazu, einer Projektgruppe eine gemeinsame Zielorientierung in einem längerfristigen Vorhaben zu geben. Sie werden daher mit Vorteil gemeinschaftlich entwickelt, sodass bereits vor Projektbeginn eine möglichst weitgehende Übereinstimmung von Zielen und Inhalten zwischen den Teammitgliedern entsteht. Sprachförderkonzepte konzentrieren sich auf einen bestimmten sprachlichen Entwicklungs- und Lernbereich und sollten sich – dies in Analogie zu Hattie, Masters und Birch (2015) – nicht damit begnügen darzulegen, »was funktioniert«, sondern »was besser funktioniert«, zumal wenn eine Weiterentwicklung ausgelöst werden soll.

Zentral für die Entwicklung eines Sprachförderkonzepts ist die Festlegung auf einen möglichst klar umrissenen Sprachförderbereich bzw. auf ein fokussiertes Bündel an Sprachkompetenzen (Näheres dazu in Abschnitt 1). Daneben müssen in einem (solchen) Konzept auch die verschiedenen Ebenen des Bildungssystems bedacht sein (vgl. dazu auch Fend, 2008):

•  Mikroebene: Individuum in der Lerngruppe

•  Mesoebene: Kita und Schule als Organisation

•  Makroebene: Bildungsverwaltung und -planung

Solche eher konzeptionell-allgemeinen Überlegungen in einem Konzept sollten gerade mit Blick auf Kita bzw. Schule und Unterricht möglichst so weit ausgeführt werden, dass pädagogische Fachkräfte und Lehrpersonen, die als zentrale Akteure bei der Umsetzung und Implementierung fungieren, sich eine konkrete Vorstellung davon machen können, was dies für ihre Arbeit in Bezug auf die Sprachförderung heißen kann. Und mit Blick auf eine vertikale durchgängige Sprachförderung über die Bildungsetappen hinweg ist auch ein gemeinsames Verständnis von Sprachentwicklung, -förderung und -lernen nötig. Hier können vorstrukturierte Lernsituationen, -arrangements bzw. -aufgaben eine wichtige Rolle spielen. Was bei deren Erarbeitung zu berücksichtigen ist, wird in Abschnitt 2 näher ausgeführt.

Und schließlich sollte ein Konzept auch die Fragen zur Implementierung des Sprachförderkonzepts möglichst genau klären. Dazu gehört, dass Gelingensbedingungen und mögliche Stolpersteine von Anfang an bedacht werden ( Abschnitt 3). Da bei der Konzeptentwicklung die durchgängige Sprachförderung eine wichtige Rolle spielt, berücksichtigen wir im Folgenden sowohl den Elementarbereich wie auch die Schule.

1          Eckwerte zur Entwicklung von Sprachförderkonzepten

Ein Konzept bezieht sich auf zu erreichende Ziele und sollte darlegen, wie diese Ziele erreicht werden können: Mit einem Konzept sollen dementsprechend Ziele und Grundfragen geklärt, einzelne Schritte hin zum Ziel begründet, strukturiert und festgehalten werden, möglichst auch in Form eines Zeit- und Maßnahmenplans. Es beinhaltet möglichst alle dafür notwendigen Informationen bzw. weist allfällige Lücken explizit aus. Zudem enthält ein Konzept theoretisch begründete und möglichst konkret beschriebene Vorgehensweisen und Maßnahmen zur Umsetzung des Projekts. Es fundiert so die einzelnen Elemente in theoretisch verortete und empirisch möglichst gestützte Begründungszusammenhänge ( Abschnitt 2.3). Und schließlich soll es auch während der Projektarbeit eine Orientierungshilfe bieten können. Das setzt voraus, dass das Konzept auch während der Projektarbeit immer wieder herangezogen und nötigenfalls revidiert wird.

Im Hinblick auf eine gelingende Umsetzung sollten Konzepte daher bereits von Anfang an Reflexionen über Chancen und Risiken der geplanten Schritte ausweisen. Schließlich sollten in Bezug auf die Erreichung der Ziele beobachtbare Kriterien formuliert werden, die den Grad der Zielerfüllung ausweisen können. Darüber hinaus lohnt es sich, wenn in einem Konzept bereits zu Beginn Überlegungen zur Nachhaltigkeit des Projekts und auch zum Transfer von Wissen aus dem Projekt in andere Akteursgruppen etc. festgehalten werden.

Orientierungsfragen zur Entwicklung eins Sprachförderkonzepts

Analyse Ist-Zustand: Welche Kompetenzen und/oder Einstellungen zeigen die Kinder bzw. Jugendlichen in Bereich X?

Zielorientierung: Was wollen wir erreichen, verändern?

Theoretische Fundierung: Warum wollen wir das? Was wissen wir?

Schwerpunktsetzung: Was ist für uns bzw. für die einzelnen Akteure zurzeit besonders wichtig? Warum?

Etappierung und Zeitplanung: Welche Wege erachten wir als geeignet, diese Ziele zu erreichen? Wie etappieren wir diesen Weg? Was sind die Meilensteine?

Zielüberprüfung: Welche Instrumente brauchen wir, um zu prüfen, ob die Sprachförderung erfolgreich verläuft? Wie wird ausgewertet? Welche Konsequenzen ergeben sich für die nächsten Schritte oder auch Meilensteine?

Verankerung: Wie kann die Nachhaltigkeit hergestellt werden? Welche Maßnahmen sind dafür nötig? Wie kann Wissen diffundiert werden, etwa bei Personalwechsel?

1.1        Den Förderbereich festlegen

In formalen Bildungskontexten – sei es in der Kita oder in der Schule – müssen Inhalte sprachlich vermittelt und verarbeitet werden. Für die Entwicklung von Sprachförderkonzepten ist es daher grundlegend, sich an den relevanten Domänen des Sprachhandelns zu orientieren ( Tab. 1.1). Konzepte zur Sprachförderung müssen ausweisen, auf welche Sprachhandlungsdomäne die Förderung fokussieren soll oder – wenn mehrere Domänen in den Blick kommen sollen – wie die verschiedenen Domänen miteinander in Beziehung stehen und im Rahmen des Projekts verknüpft werden können.

Tab. 1.1: Die vier zentralen Domänen des Sprachhandelns

RezeptionProduktion

Jede Sprachhandlung orientiert sich an einem mehr oder weniger bewussten Ziel. Das heißt, jede Sprachhandlung weist eine Funktion auf, die zu planen, zu verfolgen und zu überprüfen für die Sprachrezeption und -produktion von zentraler Bedeutung ist.

Sprachhandlungen planen zu können, ist daher eine zentrale Teilfähigkeit sprachlichen Handelns: Inhalte für eine Präsentation in der Kita-Gruppe bzw. einen Vortrag in der Schule müssen ausgewählt oder erarbeitet und strukturiert werden, es muss ein Kommunikationsziel definiert sein, es muss eine der Gesprächsfunktion angemessene Wahl des sprachlichen Registers (bildungssprachlich, nicht-familial etc.) getroffen werden etc.

Sprachhandlungen und ihr Vollzug müssen im Verlauf immer wieder kontrolliert und reflektiert werden. Wer spricht, korrigiert Versprecher, präzisiert Aussagen, erläutert Unverstandenes, ›überarbeitet‹ seinen Redebeitrag etc. Wer liest, verändert im Lauf der Lektüre bzw. revidiert im Gespräch mit anderen das Verständnis des Gelesenen bzw. Gehörten. Wer also mit Sprache kompetent handelt, ist fähig, Geschriebenes und Gesagtes, Gelesenes und Gehörtes kritisch zu reflektieren und entsprechend sich selbst und anderen ein Feedback zu geben.

Für die Wahl eines Förderschwerpunkts kann die Übersicht in Tabelle 1.1 also eine erste Orientierung bieten (eine genauere Darstellung dieser Domänen des Sprachhandelns bzw. über den Erwerbsgegenstand gesprochene und geschriebene Sprache findet sich bei Becker-Mrotzek, Kap. 2 in diesem Band, sowie zur Sprachförderung im Elementarbereich bei Geyer, Schwarze und Müller, Kap. 9 in diesem Band, oder zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung und Förderung im Elementarbereich bei Kucharz, Kap. 12 in diesem Band). Bei der Entwicklung eines Sprachförderkonzepts gilt es jedoch genauer zu klären, welcher Teilbereich in Bezug auf das sprachliche Handeln fokussiert werden soll. Mit Bezug auf die Domäne Lesen müsste bspw. geklärt werden, ob basale oder erweiterte Lesefähigkeiten, das Verstehen literarischer Texte oder das Verstehen von Sachtexten usw. im Sprachlernfokus des Projekts stehen sollen. Bei aller Fokussierung darf man aber nie aus den Augen verlieren, dass der Erwerb von Sprache und das gesteuerte Sprachlernen ein umfassenderer Prozess ist, bei dem die vier grundlegenden Sprachhandlungsdomänen in unterschiedlicher Weise interagieren. Entsprechend erwirbt und lernt man Sprache nicht allein durch den additiven Aufbau von Teilfertigkeiten (wie bspw. Laute zu isolieren und ihnen Buchstaben zuzuordnen, Redewendungen auswendig lernen), sondern Sprache erwirbt man vor allem auch in sprachlich reichen und in für die Kinder oder Jugendlichen bedeutsamen alltagsintegrierten Situationen (dazu  Abschnitt 2).

Denkbar ist darüber hinaus, dass zur Schwerpunktbildung eines Sprachförderkonzepts ein Querschnittsthema wie bspw. »Präsentieren« gewählt wird. Tabelle 1.1 hilft in diesem Fall, verschiedene Aspekte des Präsentierens zu verorten, da Präsentieren beispielsweise im Schulbereich auch bestimmte Lese- und Schreibfähigkeiten, etwa beim Recherchieren oder beim Erstellen von Präsentationsfolien, erfordert.

In Bezug auf die Ausarbeitung eines Sprachförderkonzepts sind zusätzlich zu den Sprachdomänen auch soziale Bedingtheiten und Spracherwerbsprozesse zu bedenken: Sowohl Kinder, die nicht aus einer bildungsaffinen Familie stammen, als auch Kinder mit Deutsch als Zweitsprache müssen an die deutsche (Bildungs-)Sprache bzw. an bildungssprachliche Praktiken herangeführt werden, was in die Entwicklung von Konzepten zur Sprachförderung zu reflektieren ist (vgl. Feilke, 2012; Kilian, Brouër & Lüttenberg, 2016; Morek & Heller, 2012).

1.2        Die Ebene(n) klären

Sprachförderung kann inner- und außerhalb des Bildungssystems ansetzen: a) Auf der Ebene des Individuums und seiner Bezugspersonen außerhalb von Kita oder Schule, b) auf der Ebene formaler Bildung, im Kita-Alltag, im Unterricht und in einer Peer-Gruppe (Kita, Schulzimmer), c) in einer geleiteten Schule bzw. Kita oder in Institutionen außerhalb von Bildungseinrichtungen, d) auf der Ebene der Bildungssteuerung (Politik, Verwaltung, Curriculum-Entwicklung, Lehrmittel-Entwicklung, nationale und regionale Förderprogramme etc.).

In einem Konzept zur Sprachförderung ist also auch zu klären, auf welchen Ebenen des Gesamtsystems der Bildungseinrichtungen die geplanten Fördermaßnahmen anzusiedeln sind, wie die verschiedenen Ebenen gegebenenfalls miteinander zu verknüpfen sind, welche Absprachen zwischen den Akteuren der verschiedenen Ebenen nötig sind, damit auf der Zielebene möglichst erfolgreich gearbeitet werden kann. Für das Gelingen von Sprachförderkonzepten sind also nicht nur die Sprachdomänen zu klären, sondern es gilt auch immer die institutionellen Rahmenbedingungen explizit zu machen und gegebenenfalls auch vorab zu prüfen, ob die dafür evtl. nötigen Anpassungen der Bedingungen überhaupt möglich wären.

In einem Sprachförderkonzept muss auch expliziert werden, wie die einzelnen Akteure (bspw. verschiedener Bildungsstufen wie Kita – Grundschule; einzelne Schulfächer) interagieren, sodass eine vertikal und/oder horizontal durchgängige Sprachförderung greifen kann ( Abschnitt 3).

1.3        Fundierung

Werden Sprachförderkonzepte zu einer Sprachdomäne oder einem Teilbereich entwickelt, basiert dies auf bestimmten Annahmen darüber, wie (effektives) Sprachlernen im Elementar- und Schulbereich initiiert, angeleitet und unterstützt werden kann. Diese Annahmen gilt es zu explizieren und theoretisch zu fundieren sowie gegebenenfalls zu erweitern oder zu ändern:

a)   Sind mehrere Personen in die Entwicklung von Sprachförderkonzepten involviert, haben sie u. U. unterschiedliche Auffassungen oder Annahmen darüber, welches der wirkungsvollste Förderansatz ist, wie sprachliche Bildung und Förderung in diesem Bereich erfolgt, welche Gruppe von Kindern oder Jugendlichen davon eher profitiert etc. Damit dies besser ausgehandelt werden kann, lohnt sich ein Blick in verfügbare Meta-Analysen, Expertisen oder auch Lehrmittel, die – wo vorhanden – empirische Befunde eingearbeitet haben (so bspw. auch Lehrmittel zur phonologischen Bewusstheit für den Elementarbereich).

b)   Nicht alle Bereiche sind gleichermaßen empirisch gut untersucht, so etwa die Domäne Sprechen. Des Weiteren lassen sich vor allem wenig gesteuerte Lernsituationen bzw. offene Unterrichtsformen weniger gut empirisch überprüfen, da sie sich weniger präzise (vor-)strukturieren lassen. Letzteres stellt für eine empirische Überprüfung jedoch eine wichtige Voraussetzung dar. Der Elementar- und Schulbereich können sich entsprechend nicht nur auf gut operationalisierte und empirisch überprüfte Fördermaßnahmen verlassen (Sturm, Schneider & Philipp, 2013, S. 37; speziell zum Kitabereich vgl. dazu z. B. Geyer et al., Kap. 9 in diesem Band, oder Kucharz, Kap. 12 in diesem Band). Werden Sprachförderkonzepte in einem Bereich entwickelt, zu dem wenige oder auch keine empirischen Befunde vorliegen, wird also auf Erfahrungswissen aufgebaut bzw. ein Ansatz von »good / best practice« verfolgt, müssen die dahinterliegenden Annahmen bzw. didaktischen Überlegungen dennoch expliziert und theoretisch fundiert werden. Wenig wirksam sind etwa Zugänge, die didaktisch nicht durchdacht sind, wenig oder nicht zielführend in den Unterricht bzw. die Lernumgebung eingreifen. Weitgehend wirkungslos ist etwa der Einsatz digitaler Medien ohne didaktisches Konzept (Schneider et al., 2013, S. 100).

c)   Sprachförderkonzepte tangieren immer auch den Unterricht von Lehrpersonen oder auch den gesamten Tagesablauf pädagogischer Fachkräfte in der Kita: Damit die Lehrpersonen oder pädagogischen Fachkräfte die entwickelten Konzepte und Materialien nicht nur als eine Methode unter anderen wahrnehmen, müssen die Grundannahmen geklärt und offen gelegt werden. Lehrpersonen beispielsweise benötigen – so Hattie (2012) – auch ein Wissen über verschiedene Wege des Unterrichtens und Lernens – das können widersprüchliche wie auch komplementäre Lerntheorien sein –, um die verschiedenen Wege des Lernens besser begleiten und unterstützen zu können.

Wird lediglich über verschiedene Methoden, über disziplinspezifisches oder didaktisches Brauchtum oder »best practice« diskutiert, ohne dass die zugrunde liegenden sprachentwicklungs- und lerntheoretischen Annahmen expliziert werden, handelt es sich um eine ›sichere‹ und ›schmerzfreie‹ Form des Diskurses. Nach Hattie (2012) können dann alle risikolos mitreden, niemand muss liebgewonnene Handlungsmuster verändern. Soll ein bestimmtes Ziel erreicht, soll auch etwas verändert werden, ist eine eher ›schmerzvolle‹, selbstkritische Debatte häufig nötig. Das heißt nicht, dass alles von Grund auf verändert werden muss, vielmehr gilt es auf Bestehendem aufzubauen, es weiterzuentwickeln, aber eben auch Festgefahrenes dort zu lösen, wo notwendige oder sinnvolle Veränderungen behindert werden, sodass die Sprachentwicklung und das Sprachlernen noch besser gefördert werden können.

2          Lernsituationen und -arrangements als Motor für die Umsetzung von Sprachförderkonzepten

Konzepte zur Schul- und Unterrichtsentwicklung – dazu zählen wir auch Sprachförderkonzepte im Elementarbereich – werden häufig relativ abstrakt formuliert. Für viele Lehrpersonen wie auch pädagogische Fachkräfte bleiben sie so zu wenig konkret, um direkte Auswirkungen auf das unterrichtliche und pädagogische Handeln zu haben. Um dem vorzubeugen, sollen in einem Konzept auch konkrete Aussagen über mögliche Formen der Umsetzung formuliert werden, die im weiteren Verlauf der Arbeit mit passenden Lernsituationen und Lernarrangements illustriert werden. Im Konzept kann dies bereits mit einem Beispiel konkretisiert werden.

Im Kontext der Kompetenzorientierung von Bildungsstandards und Beschreibungen der Kompetenzniveaus wurde deutlich, dass die relativ allgemeinen Kompetenzbeschreibungen tendenziell zu abstrakt sind. Explizierte Lernsettings bzw. Aufgaben sind für pädagogische Fachkräfte und Lehrpersonen dann hinreichend fassbar, wenn sie bestimmte Teilkompetenzen fokussieren und die »Lösungswege« der Kinder und Jugendlichen sowie die dabei entstehenden (Sprach-)Produkte konkretisieren. Dadurch können sie ihr pädagogisches und unterrichtliches Handeln auch besser leiten (vgl. Klieme et al., 2003). Modelle für Lernsituationen, Lernarrangements und -aufgaben sowie die dazu gehörigen Ergebnisse seitens der Kinder und Jugendlichen (Verhaltensweisen, Prozesse, Produkte) sind so gesehen materielle Träger abstrakter (Sprachförder-)Konzepte.

Mit Blick auf die Schul- und Unterrichtsentwicklung kommt den ausgearbeiteten Lernsituationen, Aufgaben und Unterrichtsmodellen eine doppelte Funktion zu:

•  Zum einen können pädagogische Fachkräfte und Lehrpersonen die Aufgaben direkt in ihrem pädagogischen Alltag einsetzen, machen so Erfahrungen mit den dahinter stehenden Sprachlernkonzepten, beobachten, was ihre Kinder bzw. Schülerinnen und Schüler davon bereits können, wo sie Schwierigkeiten haben etc.

•  Zum anderen können die ausgearbeiteten Lernsituationen, Aufgaben bzw. Unterrichtsmodelle sowie die daraus resultierenden Produkte und die dadurch angestoßenen Verhaltensweisen der Kinder bzw. Schülerinnen und Schüler im Team analysiert und diskutiert werden: So wird das eigene unterrichtliche Handeln der Reflexion zugänglich gemacht und dient so der Weiterbildung und Professionalisierung der pädagogischen Fachkräfte und Lehrpersonen.

In Anlehnung an Lipowsky (2015) und andere kann man prinzipiell zwei unterschiedliche, sich aber ergänzende Zugänge zu einer formellen Sprachförderung unterscheiden:

1.  Situative, unterrichtsintegrierte Sprachförderung in der Grund- und Sekundarschule bzw. alltagsintegrierte Förderung im Elementarbereich (vgl. zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung und Förderung im Elementarbereich auch Kucharz, Kap. 12 in diesem Band): Solche Settings lassen sich in Unterrichtsmodellen bzw. Lernarrangements konkretisieren. Die Modelle und Arrangements sollen im Konzept so detailliert beschrieben werden, dass sie Anwendungs- und dadurch Lernsituationen bieten, um Sprachkompetenzen zu aktivieren und zu erwerben. Für den Elementarbereich bedeutet dies bspw., in Konzepten festzulegen, in welchen offenen oder strukturierten Alltagssituationen (Essen, Ankommen, Morgenkreis, naturkundliche Experimente etc.) anknüpfend an die Lebenswelt der Kinder welche sprachlichen Handlungen und Redemittel erforderlich sind.

2.  Hoch strukturierte, durch die pädagogische Fachkraft oder Lehrperson gesteuerte, kind- bzw. lernerzentrierte, didaktisierte Lernsituationen bzw. komplexere Aufgabensettings, welche sprachliche Teilkompetenzen (basale Fertigkeiten, Fähigkeiten und Strategien) fokussieren. Im Elementarbereich können dies stärker vorstrukturierte Förderprogramme sein (vgl. dazu Geyer et al., Kap. 9 in diesem Band).Lernarrangements bzw. vorstrukturierte Förderprogramme in der Kita schaffen Lernumgebungen, in denen Sprachkompetenzen fokussiert aktiviert werden. Sie unterscheiden sich also von offenen situativen Alltags- und Lernsituationen in Bezug auf ihre höhere Fokussiertheit, mit der eine möglichst spezifische sprachliche (Teil-)Kompetenz in den Blick genommen wird, und durch ihren höheren Grad an Steuerung durch die Lehrperson.

2.1         Alltags- und unterrichtsintegrierte Förderung

Alltags- und unterrichtsintegrierte Sprachfördersettings und dafür ausgearbeitete Unterrichtsmodelle bzw. alltagsintegrierte Förderansätze eignen sich nicht nur für den Bereich der frühen Bildung, sondern für alle Schulstufen. Im Elementarbereich kommt dem alltagsintegrierten Setting jedoch ein besonders hoher Stellenwert zu, da die Kinder primär in der direkten, alltäglichen kommunikativen Interaktion zwischen pädagogischen Fachkräften und Peers sprachlich gefördert werden können: Welterschließung und Sprachkompetenzen sind eng miteinander verbunden.

Typischerweise erfolgt eine alltagsintegrierte Sprachförderung im Elementarbereich durch die sprachbewusste Unterstützung der Kinder beim Berichten von Erlebnissen, beim Erzählen von Geschichten oder beim Erklären von Objekten. Diese Unterstützung erfolgt bspw. dadurch, dass die pädagogische Fachkraft als Sprachvorbild fungiert und Stimulierungstechniken, Modellierungstechniken, korrektives Feedback etc. einsetzt (vgl. dazu auch Kucharz, Kap. 12 in diesem Band).

Im Fachunterricht der Grund- und Sekundarschule bedeutet eine unterrichtsintegrierte Sprachförderung, dass bspw. Lesestrategien, welche im Deutschunterricht geübt und reflektiert wurden und die sich für einen fachübergreifenden Einsatz eignen, von den Fachlehrpersonen beim Lesen der Fachtexte angeleitet werden und der Leseprozess bewusst begleitet wird. So kann im unterrichtsintegrierten Setting das fachliche Lernen mit dem sprachlichen Lernen verschränkt werden.

In einem alltags- oder unterrichtsintegrierten Setting werden zwei Unterrichtsziele verfolgt: ein fachliches und ein sprachliches. Ein solches Lernsetting kann aber nur dann seine Wirkung entfalten, wenn es kohärent und kontinuierlich genutzt wird. Das heißt: Das sprachliche Lernen muss vertikal (über alle Etappen) und horizontal (zwischen allen Akteuren in einer Kita / einer Schule bzw. zwischen den Fächern) durchgängig konzipiert sein. Die für einen solchen Unterricht erforderlichen Handlungsfähigkeiten der pädagogischen Fachkräfte und Lehrpersonen entstehen jedoch nicht einfach von selbst. Dafür braucht es eine intensive Auseinandersetzung im Team u. a. in Form einer Erprobung von didaktisierten Lernsituationen und Lernarrangements ( Abschnitt 3).

Mit zunehmendem Alter tritt das sprachliche Lernen zugunsten des fachlichen Lernens in den Hintergrund: Sprachförderung wird primär als Aufgabe des Deutsch- bzw. Sprachunterrichts gesehen, das fachliche Lernen wird in der Folge zunehmend vom Sprachlernen entkoppelt. Diese Entkoppelung wird jedoch weder einer durchgängigen Sprachförderung noch den sprachlichen Anforderungen in den Fächern gerecht: Nur wer die im Fachunterricht vermittelten Informationen zuhörend oder lesend versteht und nur wer fähig ist, sein Verständnis über diese Informationen anderen mündlich oder schriftlich mitzuteilen, kann fachlich lernen bzw. sein Fachwissen zeigen.

Dem Fach Deutsch kommt im Zusammenspiel der Fächer zwar eine zentrale Funktion zu, es ist aber nicht das einzige Fach, das bei der Konzeption eines Sprachförderkonzepts bedacht werden muss: Der Deutschunterricht ist das Fach, in dem Kompetenzen zur Sprachproduktion und -rezeption mithilfe von Lern- und Trainingsaufgaben fokussiert erworben und gerade mit Blick auf Sprachstrategien auch reflektiert werden sollen. Das dabei erworbene Können muss aber auch in einem sprachbewussten Fachunterricht alltags- und unterrichtsintegriert angewendet und ausgebaut werden. Solche horizontalen Bezüge des Sprachlernens müssen im Konzept durchdacht und vor allem auch möglichst mit Unterrichtsmodellen und Aufgaben für alle Fächer konkretisiert werden (Lindauer, Schmellentin, Beerenwinkel, Hefti & Furger, 2013).

2.2         Ausgearbeitete Lernsituationen und -arrangements als Muster für pädagogisches Handeln

Im Kontext der Konzeptentwicklung dient das gemeinsame Erarbeiten von musterbildenden didaktisierten Lernsituationen und Lernarrangements (= Musteraufgaben) dazu, einerseits die im Sprachförderkonzept theoretisch begründeten Förderbereiche zu konkretisieren bzw. ein gemeinsames Verständnis unter den beteiligten Akteuren zu entwickeln. Andererseits wird durch die Erprobung und Auswertung solcher »Musteraufgaben« wiederum deutlich, wie die bereits entwickelten Konzeptvorstellungen weiterer entwickelt bzw. präzisiert werden müssen, damit sie auch Wirkung in der Praxis erzielen. Stark strukturierte Lernsituation, ausgearbeitete Förderprogramme und Aufgaben dienen dem Erarbeiten und Wahrnehmen von Kompetenzen. Sie sind dabei wie die alltags- und unterrichtsintegrierten Settings in einen komplexeren Lernprozess eingebettet und können im Rahmen des didaktischen Settings (bspw. in einem Rollenspiel) auch kommunikativ situiert sein. Solche in Bezug auf eine Sprachkompetenz fokussierten Lernsituationen und Lernarrangements werden zusammenfassend auch als Lernaufgaben bezeichnet (Lindauer & Schneider, 2016).

Davon lassen sich Trainingsaufgaben bzw. Aufgaben aus Förderprogrammen (vgl. dazu Geyer et al., Kap. 9 in diesem Band) abgrenzen, die eine sprachliche Teilkompetenz wie phonologische Bewusstheit oder Leseflüssigkeit fokussieren und die in einer weitgehend isolierten Situation eingeübt werden. Lernen geschieht hier durch ein hohes Maß an Repetition, da Teilfertigkeiten automatisiert werden sollen (Fries & Souvignier, 2015). Für ein solches Isolieren von Teilfertigkeiten eignen sich jedoch nicht alle Sprachlernbereiche. Es ist daher jeweils genau zu prüfen, ob eine sprachliche Teilkompetenz sinnvoll in einem isolierten Training eingeübt werden kann. Zudem ist der Transfer eines Trainings in eine komplexere Sprachhandlungssituation alles andere als trivial. Das zeigt sich bspw. bei der eher geringen direkten Auswirkung von isolierten Übungen zur Rechtschreibung auf die Rechtschreibleistung im Textschreiben. Effekte beim situierten Textschreiben zeigen sich erst nach einer längeren Zeit des Trainierens – und dies vor allem dann, wenn sowohl häufig geschrieben als auch das sprachformale Korrigieren von Texten vermittelt wird.

Damit »Musteraufgaben« zur Implementierung eines Förderansatzes beitragen, müssen sie so gestaltet sein, dass sie die pädagogische Lehrkraft im Kita-Alltag und die Lehrperson im Unterricht leiten, die zugrunde liegenden Sprachlernkonzepte wie auch Vermittlungsformen transparent machen sowie die Reflexion im Team über die angestrebten Sprachlernziele durch die Aufgabenanlage, aber auch die dadurch evozierten Lernprozesse und Lernprodukte der Kinder und Jugendlichen anregen. In diesem Sinn handelt es sich also um Aufgaben, die auf verschiedenen Ebenen Muster aufzeigen sollen.

Ziel solcher vorstrukturierter Lernsituationen und schulischer Musteraufgaben ist es also, Lehrpersonen (sprach-)didaktische Handlungsmuster zur Verfügung zu stellen, die anhand prototypischer und geeigneter Handlungsanweisungen an die Kinder bzw. Aufgaben für die Schüler und Schülerinnen verankert werden (vgl. bspw. Sturm, 2015, die das für den Bereich Schreiben ausführt). Das geht also über die bloße Formulierung von Handlungsanweisungen an die Kinder und Aufträgen für die Schüler und Schülerinnen hinaus. Werden (sprach-)didaktische Handlungsmuster ausgeführt, muss bereits bei der Konzeptarbeit geklärt werden, welche Vermittlungsart weshalb favorisiert werden soll: So kann im schulischen Kontext bspw. die explizite Vermittlung mit Modellieren oder die direkte Instruktion im Hinblick auf die Vermittlung von Lese- und Schreibstrategien zielführender sein als ein impliziter prozessorientierter Ansatz, der auf konstruktivistischen Annahmen fußt. Letzterer ist aber bspw. im Hinblick darauf, wie eigene Texte auf Leserinnen und Leser wirken, vorzuziehen (Sturm & Weder, 2016). Wie Renkl (2008) hervorhebt, kann es nicht nur eine Form von gutem Unterricht bzw. vom Erzeugen von sprachförderlichen Lernsituationen geben, zumal die Wahl des instruktionalen Ansatzes, das Ausmaß der Instruktion etc. vom Lernbereich, vom jeweiligen Lernziel und auch vom Alter der Kinder abhängig ist. Im Konzept sollte begründet werden, weshalb ein bestimmter Ansatz favorisiert wird.

Damit »Musteraufgaben« in diesem Sinn einen Auslöser für die Auseinandersetzung mit der Konzeption eines kompetenz- und förderorientierten Sprachunterrichts bzw. sprachbewussten Fachunterrichts darstellen können, müssen sie also auch die didaktische Umsetzung ausführen und auf mögliche Schwierigkeiten eingehen. Nicht zuletzt sollten sie den pädagogischen Fachkräften und Lehrpersonen passende Beobachtungs- und Beurteilungsmöglichkeiten aufzeigen. Eine Sammlung von Musteraufgaben kann darüber hinaus das didaktische Handlungsmuster eines Förderbereichs über alle Stufen und Fächer hinweg aufzeigen. Damit können curriculare Aspekte und Übergänge zwischen Schulstufen und Fächern stärker in den Blick genommen und verdeutlicht werden.

Mögliche Aspekte von Musteraufgaben

•  Lernbereich und Lernziele klären

•  Instruktionalen Ansatz klären und auswählen

•  Darstellung mit Professionswissen der pädagogischen Fachkräfte und Lehrpersonen abstimmen

•  Passende Aufträge für die Lernenden entwickeln

•  Lernspuren in den Aufträgen dort anlegen, wo sie sinnvoll sind, damit bessere Beobachtungsmöglichkeiten für Sprachlernprozesse entstehen

•  Beobachtungs- und Beurteilungsmöglichkeiten aufzeigen

3          Implementierung

Wie in Abschnitt 2 dargelegt, eignen sich Musteraufgaben i.w.S. – sowohl mit Blick auf alltags- wie auch unterrichtsintegrierte Förderung –, um die Sprachlernkonzepte zu konkretisieren und für die pädagogische Fachkraft in Kitas wie auch für Lehrpersonen besser fassbar zu machen. Strukturierte Lernsituationen, Unterrichtssettings und insbesondere die Handlungsanweisungen an die Kita-Kinder bzw. die Aufgabenstellungen für Schüler und Schülerinnen müssen von der eigentlichen Aufgabenimplementierung jedoch unterschieden werden.

Handlungsangebote, Aufgaben, geplante Lektionen etc. führen nicht von selbst zu einem Kompetenzzuwachs in bestimmten Entwicklungsbereichen, wie Hiebert, Morris und Glass (2013) für die Schule mit Blick auf den Mathematik-Unterricht feststellen: Lehrpersonen müssen Lektionen mit klaren Zielen planen und konzipieren, deren Implementierung in ihren Unterricht überwachen, Feedback einholen – z. B. mit geeigneten Diagnose- oder Beobachtungsinstrumenten – und das Feedback interpretieren, um ihre zukünftige Unterrichtspraxis entsprechend zu ändern und zu verbessern. In diesem Sinne ziehen Hiebert et al. (2013) anstelle der Begriffe Aufgabe oder Lektion den Begriff Experiment vor. Diese Vorstellungen lassen sich so auch auf die Konstruktion von Lernsituationen im der Kita übertragen.

Der Begriff Experiment erlaubt es den Autoren zufolge, dass ausgewählte Aspekte einer Routine systematischer und intensiver in den Blick genommen werden können. Dies lässt sich sowohl in Kitas als auch in der Schule anwenden, in denen Situationen zur alltagsintegrierten Sprachförderung gezielter und systematischer genutzt werden sollen (vgl. dazu Geyer et al., Kap. 9 in diesem Band, und Kucharz, Kap. 12 in diesem Band).

Darüber hinaus muss bei Fragen der Implementierung neben der Ebene der Kita-Gruppe bzw. des Unterrichts auch die Ebene der Institution (Kita bzw. Schule) berücksichtigt werden. In der Kita beträfe dies neben den Fachkräften im gesamten Team die Kita-Leitungen sowie ggfs. die Trägerverbände. Das Durchführen eines neuartigen Experiments oder auch das Interpretieren des Feedbacks ist abhängig vom einrichtungsspezifischen Konzept einer Kita bzw. von einer Schulkultur. Damit eine Veränderung einer etablierten bzw. traditionellen (Unterrichts-)Praxis effektiv wird, braucht es das Zusammenspiel in einem Team: Eine Lehrperson oder pädagogische Fachkraft allein kann auf dieser Ebene relativ wenig ausrichten (Mohan, Lundeberg & Reffitt, 2008; Timperley & Parr, 2010). Lehnt bspw. eine Mehrheit des Teams die explizite Vermittlung grammatischer Strukturen, von Wortschatz, Lese- oder Schreibstrategien ab, weil ein solcher Ansatz die Kinder oder Jugendlichen gängeln würde, wird es eine pädagogische Fachkraft oder Lehrperson, die diesen Ansatz gerne praktizieren würde, schwerer haben, ihn in den Kita-Alltag oder in ihren Unterricht zu implementieren. Insbesondere sind unter solchen Umständen fach- und etappenübergreifende Verknüpfungen – also auf horizontaler und auf vertikaler Ebene – bzw. Anwendungen seitens der Lernenden erschwert, eine durchgängige Sprachförderung ist so nur schwer möglich. Umso wichtiger ist es, bereits in der Konzeptphase Differenzen zwischen den pädagogischen Fachkräften, Lehrpersonen und den Einrichtungsleitungen mit Blick auf die Unterstützung der Sprachentwicklung bzw. das Sprachlernen zu klären und entsprechende Zielvorgaben möglichst auf eine theoretisch-empirische Fundierung zu stützen ( Abschnitt 1.3): Die Ausarbeitung eines Konzepts dient wesentlich dazu, ein gemeinsames Verständnis über die Personen-, Fach- und Stufengrenzen hinweg zu etablieren und festzuhalten.

Bei der Entwicklung und Ausarbeitung von Sprachförderkonzepten ist es entsprechend bedeutsam, dass die systematische Implementierung in den Kita-Alltag bzw. Unterricht mitbedacht wird: Einerseits müssen Gelingensbedingungen wie auch hinderliche Faktoren berücksichtigt und benannt werden. Diese können je nach Sprachdomäne, je nach Ebene und je nach Art der Durchgängigkeit sehr unterschiedlich ausfallen (vgl. die Fallbeispiele in den Abschnitten 3.1 und 3.2). Andererseits gilt es zu klären, inwiefern die ausgearbeiteten Sprachförderkonzepte im Rahmen von Fortbildungen eingesetzt werden können bzw. sollen und inwiefern sie auch zur selbstständigen Erarbeitung von pädagogischen Fachkräften bzw. Lehrpersonen genutzt werden können.

Die folgenden Überlegungen, die die Implementierung einer alltags- wie auch unterrichtsintegrierten Sprachförderung betreffen, orientieren sich an den Merkmalen einer wirksamen Weiterbildung, wie sie insbesondere von Lipowsky (2011) sowie Lipowsky und Rzejak (2012) dargelegt wurden (vgl. dazu auch Mörs & Roth, Kap. 15 in diesem Band). Gleichzeitig gilt es aber zu beachten, dass pädagogische Fachkräfte oder Lehrpersonen durch ihren eigenen Werdegang und ihren Weg der Professionalisierung Überzeugungen oder Denkstile erwerben, die auch eine Auswirkung darauf haben, wie sie Weiterbildungsangebote wahrnehmen und verarbeiten bzw. »ob sie überhaupt darauf eingehen« (Reimann & Rapp, 2008, S. 195).

3.1         Gelingensbedingungen

Bei der Entwicklung und Ausarbeitung von Sprachförderkonzepten lohnt es sich, eine Verschränkung von Input, Erprobung und Reflexion bereits mitzudenken, zumal eine solche Verschränkung darauf angelegt ist, Handlungsmuster oder Routinen zu verändern (Lipowsky & Rzejak, 2012). Werden zur Konkretisierung des Sprachförderkonzepts Musteraufgaben entwickelt, können diese zur Erprobung eingesetzt werden. Die Reflexion der Erprobung soll dabei nicht isoliert, sondern mit anderen Teilnehmenden bzw. Kollegen und Kolleginnen erfolgen. Zentral dabei ist, dass bei der Reflexion über die Annahme der Angebote durch die Kinder bzw. die Lernwege und Lernleistungen der Kinder bzw. Schülerinnen und Schüler diskutiert wird. Das kann gezielter gesteuert werden, indem passende Leitfragen vorgegeben und die pädagogischen Fachkräfte bzw. Lehrpersonen aufgefordert werden, die Reaktionen der Kinder bzw. die Produkte der Lernenden einzubeziehen (das können auch Ton- oder Videoaufnahmen sein).

Leitfragen für die Reflexion einer Erprobung (Fokus: die Aufnahme des Angebots durch die Kinder und Jugendlichen)

a)   Was hat sich bewährt, was weniger?

b)   Wie reagierten die Kinder und Jugendlichen?

c)   Gab es Überraschungen?

d)   Was müsste bei einem nächsten Mal beachtet werden?

Dass die Verschränkung von Input, Erprobung und Reflexion nicht auf Fortbildungen beschränkt sein muss, kann folgendes Fallbeispiel A aus dem Schulbereich illustrieren (für den Kitabereich s. Fallbeispiel B). Darüber hinaus zeigt dieses Beispiel, dass Musteraufgaben den Blick der Lehrenden gezielter auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler lenken können.

Fallbeispiel A

Bei der Ausarbeitung eines Sprachförderkonzepts für die Klassenstufen 7–9 wurden Musteraufgaben erarbeitet, die die explizite Vermittlung von Schreibstrategien für Lehrpersonen genauer aufzeigen sollten. Zum einen wurde in der Musteraufgabe das Modellieren exemplarisch vorgeführt – das Modellieren bildet einen zentralen Bestandteil der expliziten Vermittlung –, zum anderen wurde dies auch mit einer passenden Schreibaufgabe für die Lernenden verknüpft.

Drei Lehrpersonen einer gemischten Sekundarstufe (Real- und Hauptschule) erprobten die Musteraufgabe mit ihren Klassen. Bei der Reflexion berichteten zwei Lehrpersonen, dass ihnen das Modellieren zu anspruchsvoll schien, sie hätten ca. nach der Hälfte abgebrochen. Daraufhin berichtete die dritte Lehrperson, dass sie das ganze Arrangement durchgeführt hätte und dass ihr schwächster Schüler dabei enorme Fortschritte gemacht habe. Die anderen beiden kannten diesen Schüler ebenfalls und gemeinsam sichteten und diskutierten sie daraufhin die gesammelten Lernspuren und Texte des Schülers. Abschließend waren sich die Lehrpersonen, die zunächst kritisch waren, einig, dass sie beim nächsten Mal das gesamte Arrangement (inkl. Modellieren) durchführen werden. Die drei Lehrpersonen übernahmen in der Folge auch die Rolle von Multiplikatoren im Rahmen von Fortbildungen.

Soll bei der Reflexion stärker die Art der Vermittlung, das (Sprach-)Handeln der pädagogischen Fachkräfte bzw. der Lehrpersonen im Zentrum stehen, empfiehlt sich der Einsatz von Videoaufnahmen, damit das Sprachhandeln, die Instruktion der Lehrenden auch ›sichtbar‹ und so reflektierbar wird (vgl. Fallbeispiel B). Entsprechend sind die Leitfragen für die Reflexion etwas anders zu formulieren.

Leitfragen für die Reflexion einer Erprobung (Fokus: das Sprachhandeln der pädagogischen Fachkräfte bzw. Lehrenden)

a)   Werden sprachliche Praktiken ausreichend expliziert? Woran zeigt sich das?

b)   Erhalten die Kinder und Jugendlichen ausreichend Gelegenheit, die intendierten sprachlichen Praktiken anzuwenden?

c)   Was müsste bei einem nächsten Mal beachtet werden?

Fallbeispiel B

In einem Kindergarten wird ein Gesprächsarrangement in einer dialogischen kleinen Gesprächsgruppe fokussiert, indem die Kinder die pädagogische Fachperson zwei bis drei mal pro Woche »reservieren« dürfen, um mit ihr zu zweit oder in einer kleinen Gruppe ein Gespräch zu führen (vgl. Neugebauer & Isler 2016). Das Gespräch wird durch die Fachpersonen vorstrukturiert und mit Blick auf die Sprachförderung gesteuert. Einem Kind kommt die Rolle des Erzählers bzw. der Erzählerin zu. Es produziert mit der Unterstützung durch die Fachperson seinen Gesprächsbeitrag. Die Fachperson und die andern Kinder tragen danach durch Fragen und eigene kleine Gesprächsbeiträge zum Gelingen und zur sprachlichen Elaboration des Gesprächs bei.

Ausgewählte Filmaufnahmen ausgewählter Situationen werden dann im Team analysiert. Die Fachperson soll dabei ihr Handeln mit Unterstützung des Teams analysieren. Diese Analysen dienen vor allem dazu, im Team über die im Konzept festgehaltenen Sprachförderaspekte ein gemeinsames, am konkreten Material geschultes Verständnis zu entwickeln.

Zusätzlich zu einer solchen Verschränkung tragen Professionswissen bzw. Lehrexpertise seitens der Kita- bzw. Schulleitung, eine offene Kommunikation ihrerseits, das Schaffen von häufigen und regelmäßigen Gelegenheiten zum Austausch im Team oder von gemeinsamen Vorbereitungszeiten mit Kollegen und Kolleginnen zu einer gelingenden Verankerung im Praxisfeld bei (Hattie, 2012; Tschannen-Moran, Salloum & Goddard, 2015). Auch hier lohnt es sich, dazu erste Überlegungen in einem Konzept zu explizieren.

3.2         Stolpersteine

Soll ein Sprachförderkonzept eingeführt und verankert werden, braucht es nicht nur konkrete und direkt umsetzbare Materialien für die pädagogischen Fachkräfte bzw. Lehrpersonen: Der oft geäußerte Wunsch nach einer schnellen Anwendbarkeit verkennt den Umstand, dass »Lernaktivitäten und nachhaltige Lernprozesse von Lehrpersonen eher langfristiger Natur sind und durchaus harte Arbeit darstellen« (Lipowsky, 2011, S. 410). Äquivalent ist das auf den Elementarbereich anzuwenden. Entsprechend ist es zentral, dass bereits bei der Erarbeitung eines Sprachförderkonzepts Lernaktivitäten und Lernzeit für Kita-Fachkräfte bzw. Lehrpersonen mitbedacht werden, indem bspw. Praxisaufträge für die Erprobung im Team – diese sollte zu Beginn mit fachdidaktischer Begleitung erfolgen (ähnlich auch Lipowsky & Rzejak, 2012) –, vorgeschlagen werden.

Mit Blick auf die Einrichtungs- bzw. Schul- und Unterrichtsentwicklung wird des Weiteren eine Fokussierung auf Weniges empfohlen, da sonst unnötige Hürden aufgebaut werden: »Jumping from one idea to the next, or including them all, leads to superficial understandings, shallow implementation and initiative overload. Discontinuitiy of direction creates distractions and undermines teacher motivation and feelings of being in control.« (Timperley & Parr, 2010, S. 18)

Hürden für eine gelingende Umsetzung entstehen nicht nur durch zu gering bemessene Lernzeit oder durch Maßnahmen, die zu viel auf einmal wollen, sondern auch durch zu unterschiedliche Voraussetzungen. Für die Konzeptentwicklung zu bedenken ist u. a. Folgendes:

•  Bei einer vertikal durchgängigen Sprachförderung (Kita – Grundschule – Sekundarstufe I): Unterschiedliche Begrifflichkeiten, Bildungsauffassungen, Wissensbestände sowie Überzeugungen seitens der pädagogischen Fachkräfte und Lehrpersonen können zu Widerständen führen, da bspw. die dargebotenen Förderideen oder -ansätze als nicht relevant oder als nicht umsetzbar oder angemessen für die eigene Stufe erachtet werden.

•  Bei einer horizontal durchgängigen Sprachförderung: Am Beispiel der fachübergreifenden Vermittlung von Lesestrategien können Widerstände entstehen, wenn die zu vermittelnden Lesestrategien nicht an die fachlichen Anforderungen angepasst werden oder wenn ein Missverhältnis von Strategievermittlung und fachlicher Vermittlung von Inhalten entsteht.

4          Leitfragen im Überblick

Die Abb. 1.1 fasst die zentralen Leitfragen zur Konzeptentwicklung exemplarisch für den Elementar- sowie Schulbereich auf der Basis von Timperley und Parr (2010) zusammen. Dabei ist zentral, dass die einzelnen Haupt- und Teilfragen eng aufeinander bezogen werden: Wird ein bestimmter Lernbereich fokussiert und die Lernleistungen der Kinder und Jugendlichen in diesem Bereich analysiert, ist die zweite Hauptfrage auf denselben Lernbereich zu beziehen.

Das Ausarbeiten eines Konzepts, das diese Leitfragen berücksichtigt, sollte zu einer qualitativ hochwertigen Umsetzung des fokussierten Sprachförderbereichs im Praxisfeld führen. Dies dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn diese Fragen im gesamten Team, das am Projekt bzw. an der Konzeptentwicklung beteiligt ist, diskutiert werden. Das Ziel muss dabei immer wieder sein, dass die im Projekt Beteiligten ein gemeinsames Verständnis, was gute Sprachförderung ist und wie diese erreicht werden kann, entwickeln.

Abb. 1.1: Leitfragen zur Entwicklung eines Sprachförderkonzepts (basierend auf Timperley & Parr, 2010, und ergänzt um weiterführende Fragen).

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Kapitel 2: Was sind eigentlich Sprache und Schrift? Erwerbsgegenstand gesprochene und geschriebene Sprache

Michael Becker-Mrotzek

In diesem Kapitel wird mit Blick auf sprachliche Bildungsprozesse sowie darauf bezogene Maßnahmen erläutert, worin die Besonderheiten des Lerngegenstandes Sprache liegen: Was verstehen wir unter Sprache und Schrift? Im ersten Teil werden dazu einige grundlegende Begriffe wie Sprache, Spracherwerb, Sprachtheorie, Sprachfunktionen sowie Mündlichkeit und Schriftlichkeit erläutert. Diesen Erläuterungen wird ein funktionales Sprachverständnis zugrunde gelegt, um neben den linguistischen Aspekten im engeren Sinne auch den Zusammenhang von Sprache und sprachlichen Bildungsprozessen zu berücksichtigen. Im zweiten Teil wird dann aufgezeigt, welche sprachlichen Teilfähigkeiten junge Menschen erwerben müssen, um in literalen Gesellschaften mündlich und schriftlich angemessen handeln zu können. Dazu werden die wichtigsten Eigenschaften der unterschiedlichen linguistischen Einheiten von den Lauten über Wörter und Sätze bis zu sprachlichen Handlungen und der geschriebenen Sprache beschrieben und an Beispielen illustriert.

Einleitung: Sprache, Sprachtheorie und sprachliche Bildung

Im vorliegenden Band geht es um die Entwicklung von Konzepten zur Förderung der sprachlichen Bildung von Kindern und Jugendlichen. Dabei verweist der Begriff der sprachlichen Bildung auf zwei unterschiedliche Aspekte, nämlich sowohl auf den Bildungsprozess selbst, d. h. den sich bildenden Menschen, als auch auf das Ergebnis, den gebildeten Menschen. Der Prozess lässt sich gleichermaßen mit den Begriffen Entwicklung, Aneignung und Vermittlung fassen, womit sich schon andeutet, dass es sich hierbei um einen komplexen und vielschichtigen Prozess handelt. Das hängt unmittelbar mit dem besonderen Objekt der Bildung zusammen, der Sprache. Denn sprachliche Bildungsprozesse sind zugleich Entwicklungs-, Aneignungs- und Vermittlungsprozesse: Entwicklung insofern, als es sich bei der Sprachfähigkeit um eine spezifisch menschliche Fähigkeit handelt, die auf angeborenen Sprachlernvoraussetzungen beruht, die sich entfalten, wenn die nötigen äußeren Voraussetzungen gegeben sind. Aneignung in dem Sinne, dass Sprache als gesellschaftliches Werkzeug der Verständigung immer schon vorliegt, das sich jeder Einzelne aktiv zu eigen machen muss. Und schließlich Vermittlung, weil diese Prozesse ohne die gezielte Unterstützung durch kompetente Sprecher nicht gelingen. Das Resultat gelingender sprachlicher Bildungsprozesse kann man als sprachliche Kompetenz mit ihren vielfältigen Facetten beschreiben. Damit ist die Fähigkeit gemeint, mithilfe der gesprochenen und geschriebenen Sprache ganz unterschiedliche kommunikative, kognitive und soziale Anforderungen zu bewältigen.

Der Begriff der Bildungssprache verweist – im Unterschied zu dem oben erläuterten allgemeinen Sprachbegriff als angeborener Sprachlernfähigkeit – nicht nur auf einen besonderen Erwerbskontext, nämlich den der institutionellen Bildung in Kita, Schule und weiteren Einrichtungen, sondern zugleich auch auf den Verwendungskontext Bildung, der sprachliche Fähigkeiten in besonderer Weise erfordert. Bildungssprache ist nicht nur das Ergebnis, sondern zugleich auch Medium und Voraussetzung gelingender Bildungsprozesse. Bildungssprache stellt diejenigen sprachlichen Ressourcen bereit, mit denen wir uns über komplexe, abstrakte und abwesende Sachverhalte mit anderen verständigen und uns diese selber aneignen können. Dieser enge Zusammenhang von Bildung – oder allgemeiner Wissen – und Sprache ist der Tatsache geschuldet, dass wesentliche Teile des menschlichen Wissens sprachlich gefasst sind. Und je komplexer die Sachverhalte sind, desto differenzierter müssen die eingesetzten sprachlichen Mittel sein. Um sprachliche Bildungsprozesse – verstanden als Aneignung der Bildungssprache und als Bildung mithilfe von Sprache – zu verstehen und zu fördern, wird eine Sprachtheorie benötigt, die diesen spezifischen Zusammenhang von Sprache und Wissen zu erfassen in der Lage ist.

1          Sprache als Gegenstand von Bildungsprozessen

Sprachliche Bildungsprozesse haben es mit einem spezifischen Gegenstand zu tun, der sich in vielerlei Hinsicht von anderen Lerngegenständen unterscheidet. Denn der Sprache kommt in der Entwicklung eines jeden Menschen wie der Menschheit insgesamt eine besondere Bedeutung zu; die Sprachfähigkeit gehört zu den konstitutiven Eigenschaften des Menschen, die ihn etwa vom Tier unterscheidet. Oder anders ausgedrückt: Der Mensch ist von Geburt an mit der Fähigkeit ausgestattet, sich seine Umgebungssprache relativ schnell und mühelos anzueignen, wenn die erforderlichen Voraussetzungen in seiner Umgebung gegeben sind. Damit wird eine vermittelnde Position zwischen streng nativistischen Ansätzen, die von einem weitestgehend autonomen Reifungsprozess beim Spracherwerb ausgehen, und interaktionistischen Ansätzen eingenommen, die in der Interaktion zwischen Kind und (erwachsenen) Bezugspersonen den wesentlichen Antrieb für den Spracherwerb sehen.

Sprache unterscheidet sich aber auch in der Sache von anderen Lerngegenständen. In einer gewissen Zuspitzung lässt sich sagen, dass historische Zusammenhänge oder Naturgesetze, die ebenfalls Lerngegenstände darstellen, unabhängig von ihrer Aneignung durch Lerner existieren. Es ist Aufgabe der jeweiligen Fachdidaktiken, die je relevanten Gegenstände auszuwählen und didaktisch so aufzubereiten, dass sie gelernt werden können. Anders bei der Sprache: Sie ist das Ergebnis eines langen evolutionären Entwicklungsprozesses, in dem die Sprache nicht nur an die kognitiven, physiologischen und weiteren Möglichkeiten des Menschen angepasst, sondern zugleich auch auf seine kommunikativen Bedürfnisse bezogen wurde. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die verschiedenen Sprachen der Welt bedienen sich eines sehr begrenzten Inventars von ca. 80 unterschiedlichen Lauten, das durch die physiologischen Möglichkeiten des Menschen beschränkt ist. Alle Sprachen nutzen nur solche Laute, die der Mensch mit seinen Lautwerkzeugen erzeugen und mit seinem Hörsystem auch wahrnehmen kann. Sprache existiert insofern nicht unabhängig vom Menschen, sondern ist ein konstitutiver Bestandteil. Damit ist die grundsätzliche Lernbarkeit sichergestellt. Berücksichtigt man diese verschiedenen Aspekte, kommt der Sprache als Lerngegenstand in mehrfacher Hinsicht ein besonderer Status zu.

Sprache ist jedoch ein abstraktes Konstrukt, das sich nur zeigt, wenn sich Menschen sprechend miteinander verständigen – auf das Schreiben und Lesen kommen wir später. Sprache ist nur im Sprachgebrauch wahrnehmbar, sie hat keine materielle Substanz. Dabei machen die Menschen in der Regel intuitiv und routinisiert von den sprachlichen Mitteln Gebrauch, die ihre jeweilige Sprache bereithält. Die gesellschaftlich immer schon vorhandenen sprachlichen Mittel eignen Kinder sich im Spracherwerb an, indem sie mit (kompetenten) Sprecherinnen und Sprechern kommunizieren, um ihre eigenen Bedürfnisse zu realisieren. In diesem Sinne sind Sprache, Sprachgebrauch und Sprachaneignung aufs Engste miteinander verwoben; dieser Zusammenhang hat auch Auswirkungen auf die Erforschung sprachlicher Bildungsprozesse.

2          Linguistik und Sprachtheorie

Die Linguistik hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Sprachsystem, wie es sich im Sprachgebrauch zeigt, zu rekonstruieren. Eine wichtige Voraussetzung dafür war die Entwicklung der Schrift, denn erst mit der dauerhaften Speicherung sprachlicher Äußerungen waren die Bedingungen für die Möglichkeit einer systematischen Sprachanalyse gegeben.

Aufgabe der Linguistik ist es, aus sprachlichen Äußerungen das dahinter liegende abstrakte System der sprachlichen Mittel zu rekonstruieren. Sprache hat keine materielle, greifbare Qualität, sondern ist ein abstraktes System, das den Äußerungen implizit zugrunde liegt. Auch Wörterbücher und Grammatiken sind nur ein materieller Ausdruck abstrakter Rekonstruktionen, Modelle der Sprache – aber eben nicht die Sprache selbst. Ziel einer Sprachanalyse ist es, eine Sprachtheorie zu entwickeln, die die dem Sprachgebrauch zugrunde liegenden Regeln möglichst umfassend, eindeutig und sparsam beschreibt. Eine solche Theorie ist etwa in der Lage, korrekte von falschen Äußerungen zu unterscheiden, Möglichkeiten der Wortbildung aufzuzeigen oder auch mögliche von unmöglichen Lautfolgen einer Sprache anzugeben.