Korinthische Brocken - Christian Lehnert - E-Book

Korinthische Brocken E-Book

Christian Lehnert

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Beschreibung

Er ist der Protagonist, einer der meistgedeuteten und meistbekämpften Denker des Christentums. Nicht aus Selbstsicherheit und mit Weltgewandtheit hat dieser Apostel gesprochen, sondern auf dem unsicheren Grund eines Neuanfangs, angetrieben durch Widersprüche, als ein Fragender, der mit der Sprache kämpfte und ihr Begriffe wie »Kirche« und »Wiederkunft« des Christus erst abrang. Am Scharnier zwischen Judentum und Griechentum hat Paulus entscheidende philosophisch-theologische Fragen gestellt: nach dem Subjekt, nach Zeit und Geschichte – und danach, wie Gott ins Wort kommt. Christian Lehnerts Essay, eine expressiv-dichterische ebenso wie begrifflich scharfe Auslegung des berühmten ersten Korintherbriefes, ist ein Versuch, aus der postsäkularen Gegenwart heraus in biographischer Rekonstruktion, über Textarbeit und durch eigene Erfahrungen das zu erlauschen, was bei Paulus erstmals zur Sprache findet. Dieses Buch erkennt, gewiss nicht zu jedermanns Gefallen, einen Paulus, der über die modernen Verlusterfahrungen des Glaubens und über die Beliebigkeiten eines »Wellness«-Christentums hinausführt ins Offene.

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Seitenzahl: 359

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Paulus ist der Protagonist, einer der meist-gedeuteten und meistbekämpften Denker des Christentums. Nicht aus Selbstsicherheit und mit Weltgewandtheit hat dieser Apostel gesprochen, sondern auf dem unsicheren Grund eines Neuanfangs, angetrieben durch Widersprüche, als ein Fragender, der mit der Sprachen kämpfte und ihr Begriffe wie »Kirche« und »Wiederkunft« des Christus erst abrang. Am Scharnier zwischen Judentum und Griechentum hat Paulus entscheidende philosophisch-theologische Fragen gestellt: nach dem Subjekt, nach Zeit und Geschichte - und danach, wie Gott ins Wort kommt.

 

 

Christian Lehnerts Essay, eine expressiv-dichterische ebenso wie begrifflich scharfe Auslegung des berühmten ersten Korintherbriefes, ist ein Versuch, aus der postsäkularen Gegenwart heraus in biographischer Rekonstruktion, über Textarbeit und durch eigene Erfahrungen das zu erlauschen, was bei Paulus erstmals zur Sprache findet. Dieses Buch erkennt, gewiß nicht zu jedermanns Gefallen, einen Paulus, der über die modernen Verlusterfahrungen des Glaubens und über die Beliebigkeiten eines »Wellness«-Chistentums hinausführt ins Offene.

 

 

Christian Lehnert, geboren 1969 in Dresden, ist Dichter und Theologe. Derzeit leitet er das Liturgiewissenschaftliche Institut der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands an der Universität Leipzig. Lehnerts bislang fünf Gedichtbücher erschienen im Suhrkamp Verlag. 2012 erhielt er den Hölty-Preis für Lyrik.

 

 

 

Christian Lehnert

Korinthische Brocken

Ein Essay über Paulus

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb. de abrufbar.

 

 

© dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2013

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil desWerkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielvervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner

Umschlagabbildung: Michael Triegel, R 53, Traum, 1996, Galerie Schwind Leipzig, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Satz: Memminger MedienCentrum AG

 

eISBN 978-3-518-73098-0

www.suhrkamp.de

Korinthische Brocken

Ein Essay über Paulus

ΠΡΟΣ ΚΟΡΙΝΘΙΟΥΣ Α

Παυ̑λος κλητὸς ἀπόστολος Χριστου̑ Ἰησου̑ διὰ θελήματος

θεου̑ καὶ Σωσθένης ὁ ἀδελφὸς

τῇ ἐκκλησίᾳ του̑ θεου̑ τῇ οὔσῃ ἐν Κορίνθῳ, ἡγιασμένοις

ἐν Χριστῷ Ἰησου̑, κλητοῖς ἁγίοις, σὺν πᾶσιν τοῖς

ἐπικαλουμένοις τὸ ὄνομα του̑ κυρίου ἡμῶν Ἰησου̑ Χριστου̑

ἐν παντὶ τόπῳ, αὐτῶν καὶ ἡμῶν·

χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη ἀπὸ θεου̑ πατρὸς ἡμῶν καὶ κυρίου

Ἰησου̑ Χριστου̑.

1.KAPITEL

Paulus, berufen zum Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes, und Sosthenes, unser Bruder, / an die Gemeinde Gottes in Korinth, an die Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen samt allen, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen an jedem Ort, bei ihnen und bei uns: / Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

(1 Korinther 1,1-3)1

1

Unruhe. – Unruhe, Buchstaben wie eine abgesetzte Last. Nicht eine Minute ohne Gebet, nicht eine Minute, ohne auszurufen, was fiebrig den Worten voraus ist und sie unterhöhlt. Paulus – gehetzt von der Zeit, die noch bleibt. Schnell wirft er hin, was ihn zu dem macht, der er ist: »berufen zum Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes«. Brocken – eine Vorstellung wie ein Schrei aus großer Distanz, ein Rettungsruf, plötzlich, und man weiß gar nicht, was geschehen ist, woher die Gefahr droht: Jetzt, schnell, bevor es zu spät ist! Nicht fragen! Komm!

Wer ist Paulus? Ein Mensch hat sich verloren durch ein Ereignis,2 das wenige Jahre zurückliegt. Was geschah, traf ihn unvermittelt, gegen die Logik seines Lebens, gegen seine Überzeugungen und seine inneren Kräfte. Was geschah, hatte keinen verständlichen Zusammenhang mit dem, was vorher war und was er und was ihn getrieben hatte. Auf dem Weg nach Damaskus – eine Unterbrechung. Die Hochebene knistert wie Kohleglut, auf die ein leiser Regen fällt. Stop. Schwarzes Licht. Ich werde mit einem Toten geboren. Stop. Ich liege dem Namen, den ich höre, wie ein warmer Kiesel im Mund: »Christus Jesus«.

Was folgte (wenn es überhaupt sinnvoll ist, von einer Folge zu sprechen), griff tiefer als ein Gedächtnisverlust – es war der Relevanzverlust des Gedächtnisses. Die Vergangenheit hatte für ihn jede Bedeutung verloren, wie auch die Zukunft nur als ein kurzzeitiges Verharren erschien. Das Ereignis hat ihn nicht nur entwurzelt, es hat ihn sich selbst obsolet gemacht. Ganz neu war zu bestimmen, was das sei, ein Mensch in der Zeit, und wie er es denken könne, diesem Menschen, der er blieb und der er zugleich nicht mehr war, eine Geschichte oder Biographie zuzugestehen.

2

Vorläufiges Porträt. – Ein hagerer Mann, unscheinbar und ohne besondere Ausstrahlung. Es ist jemand, bei dem man sich nicht erinnern kann, ob er im Raum gewesen ist oder nicht, wenn die Versammlung darin mehr als zehn Menschen umfaßte. Ein Winkelhocker, ein Wandmensch. Die Stirn nervös, man ahnt eine ungute Gründlichkeit. Er kann nicht stillhalten. Unter der Haut liegt eine kaum kontrollierte Spannung. Unruhe durchzieht ihn wie ein Pfeifton, eine Übersteuerung. Einmal stand er vor Kephas, dem Felsen, wie sie Petrus auch nannten, und wollte etwas sagen. Er öffnete den Mund, weit und sehr bewußt, und es gelang ihm doch kein Wort. Die Zunge lag zwischen den Zähnen wie ein Brett. Den Kiefer abwärts, den Hals hinab bis in den Thorax lief ein Krampfen. Alle wußten, was er sagen wollte, und das war das Verstörende der Situation. Alle wußten es, auch Petrus, aber Paulus stand und zitterte und schrieb später dann auf: »Als aber Kephas nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht« (Galater 2,11) Das war die Wahrheit, und der Krampf war klarer als jedes Wort. In der Lähmung, im stummen Kampf seiner Zunge brachte Paulus nach außen, was er erlebt hatte: den Einbruch des Christus. Deutlicher konnte er sich nicht von Petrus distanzieren, als der mit klarer Autorität auf der Gültigkeit des jüdischen Gesetzes über das Christusereignis hinaus beharrte. Paulus stotterte, sprachlos im Offenen, und sein Stummsein gerann erst in der Niederschrift zum polemischen Satz: »Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes …« (Galater 3,13)

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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