Körpergewitter - Jana Beek - E-Book

Körpergewitter E-Book

Jana Beek

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Beschreibung

Skai hat ihr Leben dem Militärdienst verschrieben und verbringt jede freie Minute mit Einsätzen auf fremden Planeten, Training, Studieren von Verordnungen und Feiern. Als ein neuer, übermächtiger Gegner auf ihrem Heimatplaneten auftaucht und sie und ihre Kollegen vor ungeahnte Herausforderungen stellt, beginnt ihr Lebenskonzept zu bröckeln und schließlich auseinanderzufallen. Mit neuen Verbündeten kämpft sie um das Leben ihrer Kollegen und darum, noch bei Verstand zu bleiben. Mithilfe von Philosophen, Vogelmenschen, Androiden, ausrangierten Geistern und anderen undefinierbaren Gestalten versucht sie eine Allianz zu schmieden, die einem Todgeweihten das Leben retten und den Planeten vor einer unheilvollen Invasion bewahren soll.

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Inhaltsverzeichnis

Erster Teil

Zweiter Teil

Dritter Teil

Vierter Teil

Fünfter Teil

Sechster Teil

Siebter Teil

Erster Teil

„Warst du nicht letztes Jahr bei einem ähnlichen Einsatz?“, fragte Nadja und schnallte sich an.

„Du hast recht, wir waren doch zusammen dort“, überlegte Skai und zog ebenfalls ihren Anschnallgurt heraus, um ihn mit einem Klick festzumachen.

„Ich dachte schon damals, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das altbekannte Problem wieder auftaucht, und siehe da, jetzt sind wir wieder auf dem Weg dorthin“, fuhr Nadja fort und klang resigniert.

Skai kannte dieses Gefühl nur zu gut, schließlich lebten sie alle von der Illusion, dass sie Gutes taten und Dinge sich änderten, Konflikte gelöst und Kriege beendet wurden. Immer wenn diese Illusion einen Kratzer bekam oder sogar zerbrach wurde es schwierig.

„Die Leute auf diesem Planeten wollen und werden ihre Clanstrukturen nicht aufgeben, da können wir uns auf den Kopf stellen“, erwiderte Skai und betätigte ein paar Schalter über sich, da sie startklar war.

„Und warum sitzen wir dann hier?“, Nadja atmete verächtlich aus.

„Weil sie uns beauftragt haben und weil es unser Job ist. Du hast dich doch für die Mission gemeldet?“

„Es gibt ja keine große Auswahl mehr und selbst bei den interessanten Einsätzen geht es meistens nur noch um Verhandlungsführung und die neuesten Regelungen und Anordnungen, verdammte Bürokratie“, schnaubte Nadja erneut.

In diesem Moment ging ein Ruck durch den Transporter und sie wurden beide ein Stück nach vorne geschleudert. Skai sah zu ihren Kollegen in der gegenüberliegenden Viererreihe, die gelangweilt auf ihren Kommunikatoren herumtippten, etwas aßen oder ebenfalls Gespräche führten. Schließlich gingen die Lichter aus und es waren nur noch ein paar einzelne rote und blaue Leuchtdioden zu sehen. Mit einem weiteren Ruck hob der Transporter ab und beschleunigte auf Überlichtgeschwindigkeit.

„Apropos, hast du die letzte Prüfung zu den Einfuhrund Ausfuhrbeschränkungen bestanden?“, erkundigte sich Skai und tastete nach den Halterungen, die sich rechts und links von ihrem Kopf befanden.

„Gerade so“, murmelte Nadja. „Wir werden dieses Wissen sowieso niemals praktisch anwenden können, weißt du was ich meine? Also, wieso ballern sie uns damit den Kopf zu?“

„Ich weiß“, bestätigte Skai, „das war so kompliziert, ich dachte schon, ich schaffe nie das in meinen Schädel zu bekommen. Dieser Verwaltungsschrott nimmt immer mehr Raum ein“, sie schüttelte den Kopf.

„Hey, wenn wir zurück sind gehen wir erstmal feiern“, erwiderte Nadja und Skai konnte ein Grinsen heraushören. „Dann ätzen wir uns das ganze Zeug aus dem Kopf heraus, okay?“

„Na klar“, lachte Skai und suchte in der Dunkelheit nach Nadjas Faust, um ihre Fingerknöchel gegeneinander stoßen zu lassen.

Sofort hielt sie sich wieder fest, denn es ertönte ein kurzer Warnton, der ankündigte, dass der Transit jetzt vonstattengehen würde. Diesen magischen Moment absorbierte Skai immer noch so als würde sie ihn zum ersten Mal erleben. Auch wenn sie das schon hunderte Male mitgemacht hatte verlor er nicht seinen Reiz. Der Transporter ratterte wie ein billiges Kinderspielzeug und lose Teile flogen herum. Carla von gegenüber hatte die Papiertüte ihres Brotes natürlich nicht eingepackt, das war typisch für sie. Skais Beine vibrierten bei der Berührung des Bodens. Sie musste ihre Zähne aufeinanderpressen, um sich nicht wie einmal aus Versehen auf die eigene Zunge zu beißen. Das Rattern der Klapperkiste brach mit einem Mal ab und ein subtiler Ton, von dem sie nicht wusste, ob sie sich ihn einbildete oder ob er wirklich da war, schien vom Boden aus in die Mitte des Vehikels zu steigen, dort zwischen den beiden Sitzreihen zu verweilen und sich von dort aus immer weiter auszubreiten.

Skai wollte sich die Ohren zuhalten, wagte es aber nicht die Halterungen loszulassen. Der dröhnende Ton wurde deutlicher und raumeinnehmender, waberte in Wellen durch die Metallverkleidung, den Boden und zuletzt die Körper. Skai kniff die Augen zusammen und hielt die Luft an. Die Schallwellen durchdrangen schließlich ihr Gehirn und sie wusste, dass es jetzt soweit war, sie wurden alle in einen anderen Raum katapultiert, fanden sich etliche von Galaxien weit weg von der Erde in einem fremden Sonnensystem wieder, bereit, um auf einem fremden Planeten zu landen.

„Zero hat sich schon wieder erbrochen, ich kann es riechen“, schnaubte Nadja und auch Skai bemerkte jetzt den ekligen Geruch. „Wann kriegt er das auf die Reihe?“

„Ich kann nichts dafür“, krächzte Zero von irgendwoher, das Licht war noch nicht an.

Skai musste sich erstmal orientieren, ihr Körper fühlte sich leicht wie Helium an, ihr Gehirn und die vielen Gedanken mikroskopisch klein und bedeutungslos. Adrenalin. Deswegen machte sie das alles. Nicht wegen der überbordenden Vorschriften, der Lebensgefahr oder einem Helfersyndrom. Sondern wegen diesem einzigartigen Abheben, Entfliehen und in einer anderen Welt aufwachen.

Diesmal war es ein kurzer Flug, sodass sich relativ schnell wieder eine Aufbruchstimmung breit machte. Das Licht ging an und Skais Kollegen fingen an mit den Rucksäcken zu rascheln, die Gespräche wurden fortgesetzt, sie befanden sich im Landeanflug. Skai atmete ein paar Mal tief durch und versuchte sich an den letzten Aufenthalt auf dem Planeten zu erinnern, um sich auf das, was jetzt kam, vorzubereiten.

Damals wurden sie gegen eine Rebellengruppe eingesetzt, die sich im Dschungel verschanzt hatte und vorher versucht hatte ein paar wichtige Handelsrouten zu zerstören, um die Clanstrukturen zu schwächen. Am Ende waren Skai und ihre Kameraden so dermaßen zerstochen von den nervtötenden Mücken der Gegend, viele der Rebellen tot und die anderen geflohen. Und die Probleme ungelöst, denn die größten Clans hatten das Sagen und machten die Regeln, die anderen hatten das Nachsehen.

„Hast du die Einreiseformulare parat?“, fragte Nadja und holte etwas aus ihrem Rucksack.

In diesem Moment crashte der Transporter unsanft auf den Boden und Skai knallte mit dem Kopf gegen die seitlichen Halterungen.

„Verdammt, dieses Ding wird uns eines Tages noch alle umbringen“, entfuhr es ihr und sie wischte sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Kann man das nicht besser programmieren?“

„Vergiss es“, wischte Nadja mit einer Handbewegung ab.

Das Getriebe des Transporters wurde leiser und verstummte schließlich ganz, irgendwo öffneten sich die automatischen Türen und Licht fiel herein.

„Ich hab sie hier irgendwo…“, Skai wühlte in ihrer Tasche und holte ein paar zerknickte Blätter heraus.

„Das ist nicht die aktuelle Version“, Nadja warf einen schnellen Blick darauf.

„Kann nicht sein.“

„Doch. Schau mal, auf diesen hier gibt es einen neuen Absatz. Neue Vorschriften. Gestern gab es eine Änderung dazu, hast du das nicht gelesen?“

Skai murmelte vor sich hin, sie schnallten sich einer nach dem anderen ab und liefen geordnet ein paar Schritte zum Ausstieg.

Sie hatte irgendwie gleißendes Sonnenlicht erwartet, aber es war düster und halbdunkel. Skai hatte keinen blassen Schimmer, welche Tageszeit es war und wie lang die Tage auf diesem Planeten überhaupt waren. Sie waren am Morgen von der Erde gestartet, aber das schien gefühlt schon mindestens drei Tage her zu sein.

Statt Dschungel sah sie zuerst zerklüftete Felsen und Gebäuderuinen, die schon lange aufgegeben worden waren. Auf dem kargen Boden wuchs etwas Unkraut, aber sonst nichts. Am Himmel hingen schwere graue Wolken, die nicht gewölbt und rund wie auf der Erde waren, sondern länglich und zerfranst wie Stoffreste, ihre Schattierungen reichten von betongrau zu anthrazit. Sie waren auf diesem Planeten nicht mit Wasser, sondern etwas anderem beladen.

Ein junger Mann sprach Skai in einer unverständlichen Sprache an und sie holte schnell das Gerät für den Mannschaftsfunk und die Übersetzungen aus ihrer Jackentasche und steckte es sich ins Ohr.

„Falsches Dokument“, rief er empört und klatschte mit dem Handrücken auf ihre Einreisedokumente als wäre es eine persönliche Beleidigung.

„Vor einer Woche war es noch richtig“, konterte Skai und wedelte damit vor seinem Gesicht, welches sie nicht wirklich erkennen konnte. Er war von Kopf bis Fuß über und über mit unmöglichen Schichten von grauer Kleidung und Stoffen gehüllt.

„Auf der alten Version wurde nicht erfragt, ob du schon eine Infektion mit dem Camara-Virus durchgemacht hattest, das ist wichtig!“, legte er nach.

Skai kniff die Augen zu und fasste sich an den Nasenrücken. „Herrgott nochmal, es kann nicht wahr sein“, murmelte sie und schüttelte den Kopf. Sie durfte jetzt nicht ausrasten, sonst schickten sie sie vielleicht wirklich noch zurück. „Gib mir das neue Formular, ich fülle es aus“, sagte sie resigniert.

Er holte umständlich ein paar Blätter aus seiner großen Umhängetasche und reichte sie ihr. Skai fing an, sie auszufüllen.

„Ich hab ja auch keine Lust mehr auf diesen ganzen Papierkram“, murmelte er plötzlich versöhnlich und kratzte sich am Kopf durch die vielen Stoffschichten, die sich dort aufgetürmt hatten. Sie waren in verschiedenen Grautönen gehalten und warfen Falten wie ein Gesamtkunstwerk. „Aber wenn das hier nicht absolut den Vorschriften entspricht, dann bekommen wir ein Problem mit der Haftung, der Nachvollziehbarkeit, den Vorgaben…“

„Langweile mich nicht“, murrte Skai und sah aus den Augenwinkeln, dass die anderen sich bereits fertig gemacht hatten für den nächsten Schritt. „Was ist mit dem Fani-Clan, der hatte uns das letzte Mal beauftragt gegen euch zu kämpfen, weißt du noch? Was ist mit ihm passiert, was hat sich geändert?“

„Hast du nicht das Handout gelesen“, sagte ihr Gegenüber und schüttelte den Kopf, sodass das dünne Material sanft mitflog.

Sie hatte es vor zwei Wochen überflogen, als sie sich für den Einsatz gemeldet hatte. Aber dem folgten ein paar Tage wildes Feiern und in Folge dessen hatte sie fast alles wieder vergessen. Das konnte sie ihm jetzt natürlich nicht erzählen.

„Das Oberhaupt der Fanis ist verstorben, seitdem befindet sich der Clan im Umbruch, es ist noch nicht klar, wie es weitergeht“, Zero hatte sich neben sie gestellt. Er sah immer noch grün im Gesicht aus.

Skai beendete das Ausfüllen mit ihrer Unterschrift und gab die Unterlagen dem Einheimischen zurück. Augenblicklich marschierten sie alle zusammen mit schnellen Schritten los. Es war kühl und ein leichter Wind wehte, von der Sonne keine Spur.

„Alles klar“, erwiderte Skai und ihre Stimme hatte diesen schneidenden Tonfall, der ihr immer wieder ausrutschte. Eigentlich war ihr nichts davon klar und Nadja wusste das auch, sie lief jetzt neben ihr auf der anderen Seite und grinste sie an. Nadja war bei der viel zu langen Party bei Nine dabei gewesen, sie hatte aber klugerweise die Drogen konsumiert, die ihr Gedächtnis nicht beeinträchtigt hatten. Dafür war die Wirkung natürlich auch nicht so gut gewesen. Skai erinnerte sich an die das Tanzen, die Musik, die Losgelöstheit…

„Skai?“, hörte sie irgendjemanden sagen.

„Nein“, erwiderte sie reflexhaft. Egal, was die Frage gewesen war.

Konzentration, verdammt.

„Pferde?“, fragte sie dann und blieb mit offenem Mund stehen. „Was soll das? Gibt es hier keine anderen Transportmöglichkeiten?“

„Weißt du nicht mehr“, erwiderte Nadja gelangweilt, „als Sven das letzte Mal runter gefallen ist und sich das Bein gebrochen hatte? Gleich, nachdem wir angekommen waren? Wir mussten ihn zwei Wochen lang durchschleppen, er konnte ja nicht ohne uns zurück. Das kannst du nicht ernsthaft vergessen haben“, sie zog die Augenbrauen zusammen.

Nicht vergessen, aber verdrängt. Es stimmte. Die Leute hier hatten zwar alle technischen Möglichkeiten, bevorzugten aber das Leben auf Pferderücken, weiß Gott warum. Es war furchtbar. Skai drückte lieber auf irgendwelche Knöpfe, statt die komplizierte Handhabung eines Lebewesens zu lernen. Oder sich wieder daran zu erinnern. Dieser ganze Einsatz war jetzt schon ein Desaster.

„Leute, wir haben genug Zeit vertrödelt, wir müssen uns beeilen“, rief der Einheimische und deutete ihnen, sich in die Sättel zu schwingen.

Skai musste schnell eine Panikattacke runterschlucken, zog die Gurte ihres Rucksacks fester und näherte sich einem hellbraunem Reittier, um sich an ihm hochzuziehen. Dann ging alles ganz schnell und das Leben nahm endlich das Tempo auf, das sie gut zu händeln wusste.

Skai und die anderen sieben Kämpfer hatten sich gerade mit dem Pferden vertraut gemacht und sich in die Sättel geschwungen, da wurden sie auch schon beschossen. Skai sah nur noch, wie Verena aus dem Sattel geschleudert wurde. Hoffentlich hatte sie sich nicht auch noch das Bein gebrochen, dachte sie unvermittelt. Blitzschnell zog Skai sich den Helm über, der an ihrem Rucksack festhing und zog die Schusswaffe aus einer der vielen Hosentaschen. Das Pferd unter ihr rotierte und stieg, aber Skai hielt mit aller Kraft die Zügel in der Hand und die Beine in den Steigbügeln. Ihr schwerer Rucksack zerrte sie nach hinten und es war schwer das Gleichgewicht zu halten. Aber Skai dachte jetzt nicht mehr nach, sie identifizierte den Angreifer, der hinter einer Ruine lauerte und weitere Schüsse abfeuerte.

„Die Leute vom Fani-Clan“, rief Nadja ihr atemlos zu. Und auch wenn Skai die Gesichter ihrer Kollegen nicht mehr erkennen konnte, so waren die Stimmen und Staturen der Leute eindeutig und unverwechselbar.

Ein Schuss traf sie an der Schulter und destabilisierte sie, das Pferd wirbelte sie herum. Aber die Ausrüstung hielt und so musste Skai sich nur noch wieder neu orientieren. In diesen zwei Sekunden war der Angreifer nicht mehr hinter der Ruine, Nadja nicht mehr neben ihr. Skai scannte die Gegend. Selbst Verena war wohl wieder auf den Beinen, sie zogen alle weiter durch die abgebrochenen Häuserreste und Skai registrierte, dass hinter den Ruinen sich ein Tal auftat, welches zu einer kleineren Stadt führte. Das passte gar nicht zu der Gegend, in der sie das letzte Mal waren, aber andererseits war das hier ein ganzer Planet mit hunderten oder tausenden unterschiedlichen Siedlungen, Vegetationen, Kulturen, Sprachen, Menschen.

Skai machte sich Sorgen, dass sie zu wenige waren. Acht Leute, das war nicht viel. Klar, die Kosten für den Einsatz waren hoch und mussten immer genau kalkuliert werden, also wurde oft sparsam bestellt. Hoffentlich war das nicht einer von diesen Einsätzen. Mit ihrer linken Hand aktivierte sie den Funk. Sie musste wissen, was mit den anderen los war. Ein Wasserfall an Stimmen überschwemmte sie und Skai versuchte aus den vielen Informationen Sinn zu entnehmen.

„Es sind fünf Leute, sie sind überall in der Stadt…“

„… Achtung, Zivilisten…“

„Fani-Clan? Es kann nicht sein, der ist zerfallen…“

„-Clan, habe ich gestern bei einer Recherche…“

„… in den Norden…“

„Wo sind die Rebellen?“

„Das sind keine Rebellen mehr, sie haben im Moment die Administration des Landes…“

„Zero hat seinen Helm verloren-“

„Scheiße, hat er sich nicht richtig angeschnallt. Trottel…“

„Wir sind aus der Stadt raus…“

„Wo ist unser Kontaktmann, wie hieß er gleich?“

„Da sind noch andere?“

„Welche andere?“

Skai raste durch eine halb ausgestorbene Stadt, den anderen und den Angreifern auf den Fersen. Es war schwierig, alles gleichzeitig im Auge zu behalten. Das Pferd in einer ihr absolut unbekannten Stadt zu navigieren. Einzuschätzen, welche Gefahr von den Angreifern ausging. Ob ihre Mitstreiter verletzt waren oder andere Hilfe brauchten. Ob das Ganze ein Hinterhalt war. Wie schnell man sich mit dem Camara-Virus infizieren konnte. Welche geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze sie gerade verletzten.

Im nächsten Moment sah sie vor sich Nadja vom Pferd stürzen und sich auf dem Boden hinter einen Verschlag rollen. Einer der Angreifer, mit wehenden Tüchern, tauchte auf einem Dach auf und zielte auf sie. Nadja sah ihn nicht, sie war auf die Reiter konzentriert. Skai hielt die Luft und das Pferd an, feuerte ein paar Schüsse auf ihn ab, er stürzte runter. Hoffentlich war der jetzt von der richtigen Seite gewesen, verdammt, sie hätte doch das Memo lesen sollen. Sie sprang vom Pferd und rannte zu Nadja.

„Alles klar?“, rief sie atemlos und half ihr auf.

„Was ist hier los?“, atmete Nadja hektisch und Skai merkte, dass Nadjas Hände durch die Handschuhe zitterten. Wie bei ihnen allen, wenn sie im Einsatz waren.

„Scheiße“, rief jemand durch den Funk.

„Jemand verletzt?“, Skai drückte das Gerät fester in ihr Ohr, als ob sie davon besser und schneller eine Antwort erhielt.

„Ich hab kein Pferd mehr“, tönte Zero.

„Los, hinterher“, drängte Skai, auch wenn sie nichts verstand. Es war nie falsch, Tempo zu machen und am Ball zu bleiben.

Sie schwangen sich wieder auf ihre Pferde, Nadja humpelte nur leicht und hielt sich die Seite. Also höchstens eine lebensgefährliche Verletzung.

„Nachbarstadt, Nachbarstadt!“, brüllte jetzt jemand durch das Gerät.

„Wo?“

„Norden!“

Skai dachte etwas sehr dringliches in dem Tonfall vernehmen zu können und trieb ihr Pferd an, sie verfluchte die Distanzen und die Tatsache, dass sie so früh abgehängt wurde. Sie wurde vorne gebraucht und war eine der letzten, die hinten aufräumte.

Nachdem Nadja und sie ein weiteres karges Tal durchquert hatten kamen sie in eine merkwürdige kleine Stadt, die extrem dicht mit zwei- und dreistöckigen Häusern bebaut war. Skai konnte sich auf dieses Gebilde keinen Reim machen. Es war totenstill, wie in einer Theaterkulisse.

„Wo sind alle?“, rief sie in ihr Gerät und schaute zu Nadja.

„Verwaltungs-“, die Stimme brach ab und Skai drehte ein paar Runden, fand schließlich ein paar der Pferde vor einem turmartigen Gebäude, das zur Administration gehören konnte.

„Mit den ehemaligen Rebellen wurde ein Kompromiss geschlossen, dass sie Teile der Verwaltung übernehmen konnten“, ratterte Nadja schnell runter, „nicht alle waren damit einverstanden, die mühsam errungene Waffenruhe war schnell dahin“, setzte Nadja hinterher während sie sich Zugang zum Gebäude verschafften und die Stufen in den ersten Stock hochrannten.

Im Fernsprechgerät war nur noch ein Schreien, undeutliche Wortfetzen, Rauschen und Fehlermeldungen zu hören, für Skai war das keine Hilfe. Sie rasten durch verwüstete Büroräume. Elektronische Geräte, Papiere, Stühle und Akten lagen überall verstreut herum. Dazwischen zwei bewusstlose oder tote Büromitarbeiter. Dann wieder Schüsse. Skai wirbelte herum. Nadja war nicht zu sehen. Eine Kugel prallte an ihrem Helm ab. Skai zog ihre Waffe und schoss reflexhaft in die Richtung. Rannte aus dem Büro wieder heraus und wurde mit einer Eisenstange zu Boden gebracht. Endlich stand ihr Angreifer ihr gegenüber. Sie trat ihn in den Bauch, er schlug mit der Stange immer wieder auf sie ein. Skais Anzug war zwar kugelsicher und hatte noch einige andere tolle Features, aber rohe physische Gewalt konnte er nicht abfedern.

Der Angreifer war einer von diesen zotteligen Stoffwesen und sie hatte echte Probleme, ihn zu fassen zu bekommen. Er war stark und wendig. Sicherlich größer als sie. Was er unter seinen Stoffschichten trug konnte sie nicht antizipieren, sie bekam ihn kaum in den Griff, er entwischte ihr immer wieder. Zwischendurch versetzte sie ihm ein paar Schläge ins Gesicht und den Oberkörper, sie taumelten beide durch das Büro. Eine Art Drucker stürzte neben ihr ab, sie verlor ihr Hörgerät, hatte Schmerzen am ganzen Körper, schleuderte einen Bürostuhl auf den wahnsinnigen Irren, der immer wieder ein paar Stoffteile verlor, aber immer noch vermummt war. Auch sie hatte ihren Helm glücklicherweise noch an.

Dann hörte sie von oben Schreie, die sie kurz inne hielten ließen. Sie wollte dorthin und helfen, sich einen Überblick über die Lage verschaffen. Zu spät registrierte sie, dass der Angreifer auf sie zu gerannt kam, sie packte und durch die Fensterscheibe nach draußen beförderte. Skai war total perplex und hatte sofort einen Blackout.

Als sie ein paar Minuten später die Augen wieder aufmachte, grummelte sie wütend in Erinnerung an diese Demütigung. Jemand hatte ihr den Helm abgezogen, wahrscheinlich um zu schauen, ob sie noch lebte. Ihr Körper fühlte sich erbärmlich an. Der Kopf vibrierte wie nach einer Gehirnerschütterung. Sie hatte den Fehler gemacht, dass sie ihr Gegenüber unterschätzt hatte. Und überrumpelt war. Verdammt, das war nicht gut. So eine grandiose Niederlage hatte sie schon lange nicht mehr erlebt.

Vorsichtig richtete sie sich auf und ächzte dabei unkontrolliert. Die Straße, auf der sie gelandet war, war erdig und staubig. Vielleicht war das ihr Glück. Mike kniete sich neben sie nieder und schaute sie durchdringend an. Seine blonden kurzen Haare waren unordentlich, die Augenbrauen zusammengezogen. Das letzte, was Skai jetzt wollte war der Kontakt zu einem anderen menschlichen Wesen. Sie wollte niemanden sehen, von niemandem etwas hören, sondern am liebsten einfach nur so lange schlafen bis der Fenstersturz nur noch eine fade Erinnerung in ihrem Kopf war.

„Alles klar bei dir?“, fragte er.

„Scheiße“, Skai spuckte die Worte aus und schaute weg. Überall liefen Leute herum. Sie wollte aufstehen, aber sie traute ihren Beinen und ihrem Kreislauf noch nicht.

„Sie sind weg, aber sie kommen wieder“, Mike kratzte sich am Hals, „wir wissen noch nicht, wie wir weiter vorgehen. Wir brauchen einen Plan.“

„Was ist mit den anderen?“, fragte Skai und zählte durch, ob sie alle da waren.

„Leben alle noch. Wir dachten, du…“

„Dieser Bastard“, unterbrach Skai ihn und rappelte sich auf die Füße auf. Ihr Rucksack lag neben ihr, sie drehte sich, um ihn aufzuheben.

Ihre Beine zitterten, das Rückgrat fühlte sich zerschmettert und in seine Einzelteile zerfallen an, der Kopf wie ein mit Wasser gefüllter Ballon.

Mike schnappte ihr den Rucksack mit einer schnellen Handbewegung weg und sie quetschte ihre Zähe aufeinander vor Wut. Sie ließ bestimmt nicht zu, dass jemand ihren Kram schleppte während sie wie so ein ohnmächtig gewordenes Fräulein daneben lief. Sie konnte Mike ansehen, dass er wusste, was sie dachte. Sie kannten sich seit der Ausbildung. Bei solchen Einsätzen bekam man ein ziemlich gutes Gefühl für den anderen.

„Es gibt Leute, die die alte Macht nicht mehr loslassen wollen“, erklärte gerade ihre Kontaktperson unweit von ihnen, die anderen standen um ihn herum. Skai ließ Mike den Helden spielen und ging zu der Gruppe. „Ich hätte nie gedacht, dass sie das Verwaltungsgebäude angreifen. Sabotage.“

„Wo sind sie?“, fragte Skai und fühlte sich wie jemand, der zu spät in eine Vorlesung kam und alles Wichtige nochmal vorgekaut bekommen wollte.

„Haben sich in alle Ecken zerstreut. Darin sind sie echt gut. Haben ja von den besten gelernt“, er räusperte sich geräuschvoll. „Auf jeden Fall haben wir jetzt echt ein Problem, die Verwaltungszentrale ist alles andere als funktionsfähig. Ein paar Leute da drin sind tot. Wenn es sich herumspricht, dass wir die Kontrolle verloren haben wird die momentane Ordnung schneller zerfallen als die da aus dem Fenster fliegen konnte“, er zeigte auf Skai.

Skai lachte, aber ihre Rippen hielten das für keine gute Idee und sie verfluchte erneut ihren würdelosen Abgang. Das hieß für die nächsten zwei Wochen dass jede alltägliche Bewegung unerwartete Wellen von Schmerzen auslösen würde, verdammt.

„Was wollen sie denn?“, krächzte Skai und hatte das Gefühl ihre Stimme wäre platt gedrückt worden beim Aufprall. Alle schauten zu ihr rüber. „Ach scheiße, ich will es gar nicht wissen. Eure komplizierten Verwandtschaftsund Beziehungsverhältnisse, das rafft ja niemand. Die Fanis sind jetzt out, okay. Die alten Rebellen sind die neuen kommissarischen Leiter, okay. Und was wollen jetzt die jungen Wilden?“

„Sie kommen aus dem Süden, ein eher kleiner Clan, aber mit guten connections und einer soliden Verwaltungsausbildung. Sie sehen das Machtvakuum und haben die entsprechende Antwort.“

„Und warum lassen wir sie nicht einfach? Sonst müssen wir ja in einem Jahr wiederkommen und das selbe Spiel spielen. Das halte ich nicht aus.“

„Sie wollen zu viel Veränderung auf einmal, das schaffen wir nicht. Sie wollen die Clanstrukturen säkularisieren“, sagte ihr Kontaktmann empört.

„Sehr gut. Ich glaube wir wechseln die Seiten“, lachte Skai auf. Oh Gott, ihr Zwerchfell brach dabei entzwei. Sie hielt sich den Bauch und ging in die Knie. „Das ist das Beste, was ich seit langem gehört habe, danke!“, sie lachte unkontrolliert und rollte sich dabei vor Schmerzen auf dem Boden.

„Nein, das geht nicht!“, schrie der Kontaktmann und beugte sich zu ihr runter. Skai spürte seine Wut durch die Stoffschichten auf sie zu diffundieren. Sie rappelte sich wieder auf die Beine auf und grinste ihn an. Er schubste sie nach hinten, eine Aufforderung für eine Schlägerei. Seine Wut setzte etwas in ihr frei, sie wollte mehr davon. Sie wollte, dass er sich an ihr abreagierte.

„Skai…“, sagte Verena und ging dazwischen.

„Langweiler“, grinste Skai und wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht ab. Aber sie bestand nicht darauf, sich mit jemandem zu prügeln, die Andeutung darauf reichte ihr schon aus, um sich gut zu fühlen. „Ihr seid langweilige Reformisten, während die anderen die Welt wirklich neu denken“, setzte sie an.

Verena stand immer noch zwischen ihnen beiden und schüttelte langsam und mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf. So als wollte sie sie davor warnen, die Sache weiter zu verfolgen.

„Sie haben unsere Sachbearbeiter getötet“, quetschte der Kontaktmann zwischen den Zähnen hervor.

„Eine Revolution fordert manchmal ihre Opfer…“, Skai hob die Augenbrauen. „Ich war schon immer großer Fan von ordentlichen Umstürzen“, sie versuchte um Verena herum zu laufen. Irgendwie störte sie bei dieser ganzen Sache. „Du weißt, dass es notwendig ist, dass es jetzt geschehen muss“, sie blickte dem Kontaktmann fest in die Augen. Da, wo seine Augen zwischen den Tüchern verborgen waren. Skai dachte wieder an den Fenstersturz und mit welcher Vehemenz die Rebellen für ihre Sache eintraten. Sie wurde wütend, dass sie bei diesem Spiel mitspielen musste, konnte den Drive dahinter aber auch nicht ignorieren. Vielleicht waren es auch wahnsinnige Irre, die keine Unterstützung verdienten und sie lehnte sich hier zu weit aus dem Fenster.

„Sie haben eine Verwaltungssoftware importiert, die ein neues Wirtschafts- und Verwaltungssystem implementieren soll, von einem anderen Planeten!“, rief der Kontaktmann und umkreiste jetzt Verena, um an Skai zu kommen. Verena passte ihre Position immer wieder an. Es hatte etwas von einem merkwürdigen Spiel.

„Davon stand gar nichts im Handout“, flüsterte Nadja einem Kollegen zu.

„Wir haben euch beauftragt sie zurückzudrängen, nicht, um sie zu unterstützen“, der Kontaktmann ließ eine Faust hervorschnellen, um seine Aussage zu unterstreichen.

„Wir sind keine Kampfroboter und das weißt du auch“, Skai blieb stehen, schielte zu den Pferden, die immer noch an der Seite standen.

Schnappte sich ihren Helm und ging mit schnellen Schritten zu den Reittieren. Stieg auf und ritt den Weg zurück, den sie gekommen war. Mike und Nadja holten sie bald auf.

„Was ist los, was hast du vor?“, rief Mike atemlos.

„Ich suche den Typen oder die Frau, die mich aus dem Fenster geworfen hat.“

„Um dich zu rächen?“, fragte Nadja.

„Nein. Um der Person zu gratulieren.“

„Zu was?“, fragte Mike.

„Entschuldige, wo halten sich die sogenannten Rebellen versteckt?“, rief Skai einer Frau zu, die ohne zu antworten in einem Haus verschwand.

Sie musste sich eine Stunde durchfragen und mehrere Leute bedrohen, um endlich herauszubekommen, was Sache war. Zwei der Angreifer hatten sich in einem verlassenem Fabrikgebäude verschanzt und waren gerade beim Essen, als Skai sich mit Nadja und Mike näherte. Ihre Helme hatten sie abgesetzt und trugen sie neben sich, um sie im Falle des Falles schnell aufsetzen zu können.

Skai hielt die Luft an und fixierte die zwei Personen, die nicht mehr komplett von Tüchern bedeckt waren. Ihre Köpfe waren frei und Skai konnte erkennen, dass es ein Mann und eine Frau waren, relativ jung mit jeweils kurzen fahlen Haaren. Sie zogen nicht ihre Waffen. Skai dachte dass die Menschen hier sanfte Gesichtszüge hatten, sich aber oft eine Eiseskälte dahinter verbarg. Es war auf jeden Fall eine interessante Mischung.

„Warst du das?“, fragte Skai als erstes und schaute dem Mann in die Augen. „Haben wir gekämpft?“

„Ja“, antwortete er knapp und behielt eine angespannte Körperhaltung.

Skai stieg über Schutt und Müll, der überall verstreut lag. Mike und Nadja folgten ihr. Die Gesichter bewegten sich nicht und Skai wusste nicht, was gleich passieren würde. So war das oft. Man spazierte in eine Situation herein und konnte die Anspannung auf der Zunge schmecken. Sie wünschte sich, sie könnte das jeden Tag haben. Nur dann fühlte ihr Körper sich richtig und präsent an, das Leben pulsierte durch die Adern. Es war auch erschöpfend. Besonders, wenn man sich eine halbe Stunde vorher ein paar Rippen gebrochen hatte. Aber immer noch besser als die Lernerei in der Bibliothek, Training oder die Supervision-Sitzungen.

„Warum habt ihr die Sachbearbeiter getötet?“, fragte Nadja.

„Sie würden die neue Ordnung nicht mehr lernen“, sagte die Frau und verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere.

„Das war nicht cool“, schnaubte Mike.

Sie waren jetzt nur noch ein paar Meter voneinander entfernt und Skai stützte ihre Arme in die Hüften, um Dominanz auszustrahlen.

„Du solltest auch tot sein“, spuckte der Mann aus und hob eine Augenbraue. „Was bist du, ein Android?“

„Besser“, lachte Skai.

„Ihr habt hier nichts zu suchen“, sagte die Frau. „Haltet euch raus. Ihr verhindert den Fortschritt. Söldner.“

Oh, das böse Wort, dachte Skai. Das, was alle Kämpfer hassten. Sie verstanden sich natürlich nicht als hirnlose Söldner-Armee. Sie hatten ihre eigene Intelligenz und konnten nicht dafür beauftragt werden irgendjemand oder eine Gruppe von Leuten abzumurksen. So einfach war das nicht. Sie versuchten Konflikte zu lösen. Ordnung und Gerechtigkeit herzustellen. Das klappte nicht immer. Manchmal passierte das Gegenteil oder es gab einfach keine Veränderung. Das war sogar meistens der Fall. Alles blieb so wie es war. Trotz aller Anstrengung. Humanoide überall im Universum liebten die Routine und die Gewohnheit, das Vertraute und das Althergebrachte. Skai hasste es. Von ihr aus konnte die Welt sich jeden Tag im neuen Gewand präsentieren, das war ihre liebste Ordnung.

„Ich habe einen Vorschlag“, sagte Skai, obwohl sie nur ein paar Skizzen im Kopf hatte, die jetzt noch keinen Sinn ergaben, die Zusammenhänge musste sie sich im laufenden Prozess erarbeiten.

Der Mann und die Frau schauten sich an und beschlossen wohl nach kurzer nonverbaler Kommunikation, dass sie sich das anhören würden. Das hoffte Skai jedenfalls. Sie trat noch ein paar Schritte nach vorne und setzte sich auf ein abgebrochenes Stück Wand. Sie musste es tun, denn sie hatte keine Kraft mehr, um sich aufrecht zu halten. Am liebsten hätte sie sich hingelegt, aber das wäre bestimmt zu viel des Guten gewesen.

Alle anderen setzten sich glücklicherweise ebenfalls in einen vagen Kreis. Skai atmete erleichtert aus, es wäre komisch gewesen bei einem Gespräch als einzige zu sitzen. Der Mann holte aus seiner Tasche so etwas wie Brot heraus, brach sich etwas ab und reichte es herum. Skai bedankte sich und biss hinein. Es schmeckte wie angebackenes Sägemehl mit Kümmel und Zimt verfeinert, aber sie kaute trotzdem fröhlich, denn Essen war Essen und ihre Geschmacksnerven waren mittlerweile sowieso abgestumpft.

„Wir waren bereits letztes Jahr hier“, fing Skai an, „und schon da fanden wir eure Clanstrukturen anstrengend. Ich meine, es regiert immer eine Familie und die haben dann das Sagen über alle wichtigen Bereiche. Bis sie es nicht mehr haben, weil sie Mist bauen oder gestürzt werden oder einer der wichtigen Leute stirbt und dann sind die anderen dran, die sich gerade durchsetzen können. Das ist doch keine politische Ordnung, oder? Wisst ihr, wir lieben Ordnung“, Skai legte ihre Hand bedeutungsvoll auf ihren Brustkorb, „was glaubst du warum wir diesen Job machen? Um Leute abzuknallen? Dann wäre ich in den Sicherheitsdienst gegangen. Auf jeden Fall…“, Skai kaute und schluckte das Essen runter, „…ich will mir nicht anmaßen zu wissen, wie es besser laufen könnte. Keine Ahnung, bei uns auf der Erde funktioniert auch nichts richtig. Letztens gab es wieder Ausschreitungen ohne Ende, aber das ist eine andere Geschichte. Was ich weiß, ihr müsst an die alten Strukturen anknüpfen, sonst verpufft euer Momentum. Und bloß nicht das böse S-Wort aussprechen.“

„Säkularisierung“, flüsterte Nadja, nachdem Mike sie fragend angeschaut hatte.

Es wurde ein Feuer gemacht und Wasser aufgebrüht. Tee gereicht. Skai zog sich die Handschuhe aus und befühlte ihre Hände. Sie waren etwas gefühllos geworden, ohne die steifen Kampfhandschuhe kam wieder neues Leben rein.

„Der neue Clan waren die alten Rebellen, aber sie benehmen sich schlimmer als der alte Clan“, sagte die Frau und Skai schaute ihr aufmerksam in die Augen, um sie zum Weiterreden zu animieren. „Wir wissen, dass die anderen Familien sehr unruhig sind, aber resigniert haben. Niemand hier glaubt an eine Veränderung. Es geht immer so weiter, nur mit unterschiedlichen Personalien. Wir wollen das ändern. Wir sind kein Clan, wir sind aus verschiedenen Ecken. Dadurch haben wir weniger Zusammenhalt, unsere Familien würden uns ächten für das, was wir tun“, sie redete immer schneller, als ob sie den Mut verlieren würde, das alles zu sagen, wenn sie langsamer sprechen würde. „Und wenn wir unsere Familien verlieren, verlieren wir alles. Wir sind dann keine Personen mehr. Gleichzeitig ist der Wunsch nach Veränderung so groß. Und diese neue Verwaltungssoftware könnte ein Neubeginn sein…“, sie atmete ein paar Mal geräuschvoll aus und strich sich unsicher durch die Haare.

„Euer Plan könnte funktionieren“, sagte Nadja und nahm einen Schluck Tee aus einer Schale. Skai war froh, dass sie irgendwas dazu beisteuern konnte, denn sie selbst hatte außer ein paar Schnapsideen immer noch keinen ausgefeilten Plan im Kopf. Vielleicht entwickelten sie diesen auch gerade zusammen. „Wenn ihr statt die Leute zu verschrecken auf eure Seite ziehen würdet, noch mehr als bisher.“

„Was wisst ihr Söldner schon darüber, wie soll das gehen?“, rief der Mann und Skai rollte innerlich die Augen über seine übersensible Reaktion auf ein bisschen Kritik.

„Jetzt hör mal zu“, sagte Nadja und hielt ihre Hand ausgetreckt nach vorne, um einen imaginären Ball flach zu halten, „das verletzt meine Gefühle, wenn du sagst, ich wäre eine hirnlose Kampfmaschine. Denk mal vorher darüber nach.“

Skai musste sich auf die Zunge beißen, um nicht in ein hemmungsloses Grinsen zu verfallen. Sie war ganz Nadjas Meinung und wollte sie nicht auslachen. Was sie sagte klang einfach nur so skurril in dieser spezifischen Situation.

„Sorry“, sagte der andere, „es war nicht so gemeint. Wir sind alle sehr angespannt. Es steht so viel auf dem Spiel. Und dann kommt ihr mit euren klugen Ratschlägen.“

„Ihr steht auf der anderen Seite, also was soll das Ganze bringen?“, fragte die Frau.

„Wir können ein paar Anreize setzen, die die anderen Leute, egal, auf welcher Seite sie stehen, nicht anbieten können. Es gibt auch ein paar Vorteile, wenn man von außen kommt. Diese Vorteile können wir nutzen, wenn ihr das wollt. Und wenn ihr keine weiteren Sachbearbeiter mehr umbringt“, eruierte Skai und nahm sich noch ein Stück von dem Brot. Der Hunger trieb es ein.

„Eine aus unserem Team, Verena, wird euch helfen die Software zu implementieren. Sie kann das, da bin ich mir sicher“, nahm Nadja den Faden wieder auf und hielt dabei Augenkontakt mit Skai und Mike, um ihre Bestätigung dafür abzufragen. Nonverbale Kommunikation war so wichtig. „Wir nennen das nicht Säkularisierung der Clan-Strukturen, sondern eine Weiterentwicklung. Verkaufen das als Friedensschluss zwischen dem herrschenden Clan und euch. Jeder weiß, dass die Veränderungen kommen müssen. Sie dürfen nur nicht wie ein Umsturz aussehen, sondern wie kleine Anpassungen. Mit der neuen Verwaltungssoftware wird nicht ein Clan die Wirtschafts- und Geldflüsse regulieren, sondern ein Rat aus Vertretern der zehn größten Clans. Oder so. In den nächsten Tagen können wir das auf die Beine stellen, wenn ihr dabei seid. Ihr müsst natürlich Zugeständnisse machen, ohne geht es nicht. Es kann wie eine Niederlage für euch aussehen, hält euer Ego das aus?“

Der Mann und die Frau schauten sich an und tauschten für Skai nicht verständliche Gedanken aus.

„Wir müssen uns das überlegen“, sagte die Frau schließlich, „und mit den anderen besprechen. Treffen wir uns morgen wieder hier.“

„Okay“, Skai nickte. Es klang vernünftig. „Und keine Angriffe mehr auf uns. Sonst ist der Deal vom Tisch.“

Als Skai mit Nadja und Mike aus dem Fabrikgebäude wieder herauslief, war es bereits dunkel geworden. Sie schlossen sich mit den anderen kurz und trafen sich auf einer sandigen Ebene vor der Stadt, um ihre Zelte aufzuschlagen und mit einem Gaskocher ein kleines Feuer brennen zu lassen.

Skai setzte sich davor und wäre am liebsten nicht mehr aufgestanden. Zero und Verena hielten die erste Wache, also konnte sie sich ihrer Kampfmontur erstmal entledigen. Darunter trug sie ein dünnes schwarzes T-Shirt und eine schwarze Leggins. Überall schmerzte ihr Körper, am schlimmsten war es bei den Rippen, Rückgrat und Schädel. Skai ächzte beim Entkleiden und reichte Nadja, mit der sie das Zelt teilte, den Haufen von Kleidung, als sie fertig war.

„Brauchst du etwas, soll ich mal schauen, ob an dir alles noch dran ist?“, fragte Nadja, nachdem sie die Sachen weggebracht hatte und sich neben Skai setzte. Es war eine rhetorische Frage, Nadja wusste ziemlich genau, dass Skai wie immer die Zähne zusammenbiss und keine Schwäche zeigen wollte.

„Ich denke, es geht“, erwiderte Skai dementsprechend, „ich werde gleich ein paar Schmerzmittel einwerfen und versuche etwas zu schlafen. Morgen muss ich mich zurückhalten, falls es wieder zu Konfrontationen kommt.“

„Alles klar“, nickte Nadja und die anderen kamen ebenfalls zur obligatorischen abendlichen Runde. Jeder packte seine Essensration aus und trank aus seiner Flasche. Alle bis auf Verena und Zero hatten ihre Ausrüstung ausgezogen und streckten ihre erschöpften Glieder.

Skai schaute in die müden Gesichter, die von der kleinen Flamme angestrahlt wurden. Es war ein langer Tag, aber sie waren alle am Leben und keiner hatte sich ein Bein gebrochen.

„Morgen müssen die Verhandlungen mit den neuen Rebellen geführt werden“, sagte Nadja und alle murmelten zustimmend. „Die drei von heute, Mike, Skai und ich übernehmen das. Verena kümmert sich um die Software, Carla sollte mitkommen. Sven, Zero und Nine sprechen mit unserem Kontaktmann, er heißt Dev, und den alten Rebellen. Das ist der Plan, oder?“

Alle nickten. Nadja war nicht ihre Wortführerin, aber sie hatte eine angenehme Art, die Dinge zusammenzufassen und zu bündeln, sodass klar war, in welche Richtung es ging.

„Und wenn es kein Ergebnis gibt?“, fragte Zero.

„Jaa, dann…“, seufzte Nadja, „…dann müssen wir die Rebellion niederschlagen, was denkt ihr?“

„Vielleicht. Oder sie ziehen sich von selbst zurück“, sagte Verena. „Es ist alles möglich.“

„Wenn es nicht funktioniert, dann sitzen wir in einem Jahr wieder hier“, murmelte Mike.

„Es kann sein, dass euer Plan zunächst aufgeht“, gab Zero zu bedenken, „aber die neuen Strukturen nicht tragfähig sind, und dann zerfällt alles, dann gibt es gar keine stabile Regierung mehr.“

„Du siehst immer alles so schwarz, Herrgott“, lachte Nadja und nahm noch einen Schluck aus ihrer Flasche.

„Das ist realistisch“, verteidigte sich Zero, „habt ihr nicht in der Grundausbildung gelernt, dass ein plötzlicher Umsturz mehr Risiken mit sich trägt als die Beibehaltung der alten Strukturen?“

„Ja, klar“, bestätigte Skai, „jeder hier kann sich an diese langweilige Vorlesung erinnern. Ich hatte in diesem Semester über den Planeten Cleru geschrieben, dort konnte dank externer Interventionen ein komplett ausgehöhlter Staat durch anarchosyndikalistische Strukturen ersetzt werden.“

„Das weiß jeder“, seufzte Zero. „Aber wie oft geht das schief? Darüber hast du nicht geschrieben. So etwas scheitert in neunzig Prozent aller Fälle.“

„Dann können wir gleich unsere Sachen packen“, erwiderte Skai.

„Wir haben einen Auftrag“, konterte Zero.

„Seien wir froh, dass wir hier sind“, bemerkte Verena. „Wenn wir zurückkommen, dann stehen noch größere Herausforderungen an. Wer von euch hat schon für die nächste Prüfung gelernt? Alle Updates bezüglich intergalaktischem Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht? Alle neuen Regelungen verinnerlicht?“

Skai rollte mit den Augen. Daran wollte sie nicht erinnert werden. Dieser trockene Kram war ihr ein Graus und sie konnte das immer komplizierter werdende Regelwerk nur noch schwer aushalten. Das Lernen für die Prüfung, damit sie auch weiterhin ihrem Job nachgehen konnte, hatte sie bislang aufgeschoben, aber das würde nach ihrer Rückkehr nicht mehr gehen.

„Es ist der pure Wahnsinn, wie viel Stoff sie da reingepackt haben, wer soll das schaffen?“, fragte Nadja und Skai sah, dass sie an ihren Daumen knibbelte. Die anderen gaben ein zustimmendes Gemurmel von sich.

„Bibliothek und Lernsaal, ich komme“, seufzte Carla mutlos und sprach damit allen aus der Seele.

„Und habt ihr schon gehört“, fuhr Verena fort, „dass ab dem neuen Quartal die grauen Vogelmenschen die Ausbildung als Kämpfer beginnen? Das wird ein Spaß. Das heißt, ab dem nächsten Einsatz sind sie als Hilfskräfte schon mit dabei.“

„Wie sollen die sich integrieren und dem Team unterordnen?“, fragte Skai. „Ich habe sie bei meinem Einsatz auf dem Stromversorgungskontinent der Erde gesehen. Sie sind narzisstisch, aggressionsgeladen, unkontrolliert und grausam. Also so wie wir aber noch krasser.“

„Ich bin voll und ganz deiner Meinung“, sagte Zero, der Schwarzseher. „Man wollte sie weghaben aus ihrem Wald und aus der Hauptstadt, aber hat man da nicht den Beelzebub mit dem Teufel ausgetrieben sie bei uns anzugliedern? Es ist der Wahnsinn. Sie produzieren garantiert noch mehr Konflikte.“

„Naj und ihre Schwester sind auch graue Vogelmenschen und sie haben sich ganz normal in die Gesellschaft integriert ohne irgendjemandem den Kopf abzureißen“, gab Nadja zu bedenken.

„Naj ist nicht bei ihnen aufgewachsen und ihre Schwester ist vor den Grausamkeiten geflohen, das zählt nicht“, erwiderte Nine.

„Wer ist das, muss ich die kennen?“, fragte Mike und gähnte.

Skai hatte eigentlich gar keine Lust, diese Geschichte aufzurollen, die sich im Frühjahr abgespielt hatte. Jeder wusste, wie der Konflikt auf der Erde ausgegangen war: Nach gewalttätigen Ausschreitungen wurden die Tagträumer gejagt und fast alle abgemetzelt. Auch von ihr. Um den Frieden herzustellen. Dachte sie und die anderen. Stabilität hatte immer Vorrang, Chaos musste um jeden Preis vermieden werden. Auch wenn Menschenleben geopfert wurden. Dachte sie und die anderen. Es war vielleicht falsch. Skai kaute auf ihrer Unterlippe herum. Da hatten sie mal einen Einsatz auf ihrem Heimatplaneten und vermasselten diesen so grandios, dass das Ergebnis eine Massenvernichtung einer Bevölkerungsgruppe gleichkam. Skai war schlecht. Es war ein Desaster, das konnte niemand leugnen.

„Ähm“, setzte sie an, „ich habe Naj sehr kurz gesehen, als wir unseren Einsatz hatten“, Skai räusperte sich ausgiebig. „Sie und ihre Freunde, Jiri, Karl-Gustav, Frederick und Asger. Sie haben überlebt. Aber es war eine knappe Kiste. Die anderen nicht. Egal“, sie fuhr sich durch die Haare. „Naj als halb-grauer Vogelmensch und Jiri als blauer hatten gegen einen Vergeltungsschlag der Grauen gekämpft, es war wohl noch eine Rechnung von Früher offen. Wir konnten da nicht viel machen, es war ein Konflikt im Konflikt. Mann, diese ganze Sache war viel zu kompliziert, da blickte ja keiner durch“, sie atmete tief aus. Das war keine Entschuldigung, warum sie sich wie das Letzte benommen hatte, aber es wäre schön gewesen, wenn es so wäre. „Ich habe Naj gleich erkannt, weil sie die Umsiedlung der Vogelmenschen aus dem Vogelwald die Jahre vorher übernommen hatte. Und sie arbeitet in der Verwaltung des Kontinents. Ihre Augen…“, Skai ließ ihren Blick auf den Boden sinken und starrte in die Leere. Die Augen von Naj waren nicht menschlich gewesen, sie waren von Farbsprenkeln durchzogen und es fiel jedem schwer, mit ihr Blickkontakt zu halten. Aber davon abgesehen war sie eine ziemlich attraktive junge Frau, großgewachsen und imposant mit den Flügeln am Rücken. Im Kampf wagemutig und mit guten Reflexen ausgestattet.

„Ihre Augen sind sehr speziell, deswegen vergisst man sie nicht so schnell“, fuhr Skai schließlich fort. „Ich denke, nach alldem, was ich mitbekommen habe können die grauen Vogelmenschen unsere Truppe mit Kampfgeist und körperlicher Präsenz bereichern. Verdammt, sie können fliegen. Wenn sie sich durch die Ausbildung durchbeißen, dann können sie uns stärker machen als wir je waren.“

„Ich weiß nicht“, Zero schüttelte den Kopf. „Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Wir müssen jetzt ausbaden, dass niemand diese Soziopathen sonst irgendwo integrieren konnte, also sollen wir es jetzt versuchen. Und dann sind da noch diese anderen Gerüchte…“

„Hm?“, fragte Skai und hob den Kopf.

Zero schaute in die Runde, wie um zu sehen, ob jemand außer ihm wusste, was er meinte.

„Die Körperlosen“, sagte Mike bloß und ein kalter Hauch ging durch ihre Runde.

„Sie sollen sich bei dem Kampf gegen die Tagträumer auf der Erde niedergelassen haben“, erklärte Zero mit Grabesstimme, „ihr wisst, was das bedeutet.“

„Dass sie den Genozid befeuert haben“, Nine fuhr sich über seinen kahlen Kopf und die biomechanischen Elemente darin. „Sie haben es gerochen und sind zu uns gekommen. Vielleicht sind sie noch da. So schnell verschwinden sie meistens ja nicht.“

„Wer sind sie?“, fragte Carla kleinlaut, sie war noch in der Ausbildung. „Ich habe schon von ihnen gelesen. Stimmt es, dass sie unbezwingbar sind und jede Erscheinungsform annehmen können? Und damit gottgleich sind?“

„Pfft“, gab Skai von sich, „das sind Märchen. Bring man euch nichts mehr Vernünftiges bei? Sie sind eine komplexe Lebensform. Körperlos, ohne einen konkreten Lebensraum, ätherisch, zeitlos. Und tragisch. Sie bleiben als enges Familiengefüge meistens unter sich in ihrer ortlosen Energiesuppe. Aber immer wieder werden sie von Konflikten angezogen, in denen die Schwachen und Schutzlosen einen aussichtlosen Kampf kämpfen. Dann schlüpfen sie in eine Menschenform und mischen sich derart ein, dass sie auf der Gegenseite kämpfen, gegen die ‚Guten‘.“ Das letzte Wort setzte sie mit den Fingern in Anführungszeichen.

„Warum?“, Carla schüttelte den Kopf.

„Eine wirre Logik“, übernahm Verena jetzt. „Um der schwächeren Gruppe unnötiges Leid zu ersparen setzen sie sich dafür ein, dass ihr Untergang sie schneller und schmerzloser ereilt. Der Konflikt ist dann zügiger beendet und das Leid zieht sich nicht jahrelang hin.“

Carla schaute irritiert.

„Wenn die Vernichtung sowieso unausweichlich ist, dann ist es besser, wenn sie schneller kommt als langsamer. Sie sehen sich tatsächlich als Helden“, Verena gab ein entnervtes Geräusch von sich, „und wenn sie tatsächlich bei uns mitgekämpft haben, um die Tagträumer zu vernichten, dann verheißt das nichts Gutes. Vielleicht sind sie noch da, bereit für ihre nächste ‚Rettungsaktion‘.“

„Vielleicht sind es nur Gerüchte“, murmelte Nine.

„Vielleicht“, sagte Skai leise und die anderen nickten.

Am nächsten Morgen verfluchte Skai ihr Leben, denn jede Faser ihres Körpers schmerzte und sie war sich sicher, dass sie sich nicht bewegen konnte. Sie biss sich auf die Innenseite ihrer Wange und quälte sich in die aufrechte Position. Nadja war schon aufgestanden. Scheiße, sie musste ihre Ausrüstung anziehen. In der Mitte ihres Schädels pochte ein Vorschlaghammer, ihre Lungen hyperventilierten vor Schmerzbewältigung und Skai kniff die Augen zusammen, bis sie nur noch bunte Punkte sah, um die Realität zu dissoziieren. Aber es war nur eine kurzfristige Lösung.

Zum Glück kroch Nadja rein und sah wohl mit einem Blick, was los war. Skai war ihr dankbar, dass sie keine Fragen stellte, sondern einfach machte. Sie kannten sich seit ihrem ersten Tag der Ausbildung und wussten um die Macken des anderen.

„Die anderen sind schon fertig“, erklärte Nadja und schnappte sich gleich Skais Hose. Begann Skais Füße dorthin einzufädeln. „Wir treffen gleich die neuen Rebellen in der Fabrik“, erzählte sie währenddessen weiter. „Brauchst du noch mehr Schmerzmittel? Du weißt, du kannst nicht so viel nehmen, sonst wird deine Reaktionsfähigkeit eingeschränkt. Und die Versicherung zahlt im Schadensfall nicht.“

„Ja, Mama“, grummelte Skai und zog sich die Hose über die Hüften.

Streckte ihre Arme nach vorne, um in das Oberteil zu schlüpfen. Das war schon im fitten Zustand eine Herausforderung, da das schalenförmige Material nicht flexibel war und so fest saß wie ein Korsett, mit null Spielraum. Skai atmete maximal aus und verschob ihre Schulterblätter in unmögliche Positionen, um sich dort herein zu schlängeln. Immerhin gab ihr die Ausrüstung einen Halt, der die dumpfen Beschwerden leichter aushalten ließ. Das hoffte Skai zumindest. Es war ihr Exoskelett, das sie zusammenhielt. Dann kamen noch die Handgelenk- und Knöchelschoner, ein Kragen, der sich sehr hoch um den Hals schloss und die Stiefel. Den Helm und die Handschuhe ließ sie noch aus.

Nadja kroch wieder heraus und Skai hinterher. Es war grau und regnete, Skai verzog das Gesicht. Denn der Regen war in Form von dünnen Bindfäden, die überall an ihr kleben blieben. Grau und schwarz und blau. Sie hatte dies schon komplett vergessen. Ein merkwürdiges Ökosystem, bei dem sich die Ozeane mit diesem „Regen“ füllten und Tonnen von Stoffen produzierten, die wiederum in alle Galaxien exportiert wurden.

Nadja reichte ihr die Hand und zog sie hoch. Skai konnte dabei einen Ächzer nicht unterdrücken, egal wie sehr sie sich auf die Zunge biss. Sie rollte sich langsam nach oben und bewegte ihre Arme und Beine, um zu prüfen, ob noch alles funktionierte. Hoffentlich wurde das Gefühl, dass sie von einem Lastwagen überfahren worden war im Laufe des Tages besser.

Skai checkte schnell noch ihre Ausrüstung. Übersetzer und Funkgerät waren in den Seitentaschen. Ihre Schusswaffe lud sie nach. Messer und anderes Spielzeug wurden gestern sowieso nicht angerührt. Schon waren sie abmarschbereit.

Nach einem wortkargen Fußmarsch durch Pfützen und Seen, in denen sich die Fäden begannen ansatzweise zu Stoffen zu verbinden, waren Skai, Mike und Nadja wieder in dem kaputten Fabrikgebäude. Sie setzten ihre Rucksäcke am Eingang ab und liefen vorsichtig herein. Skai traute den Leuten nicht, die ihre Meinung jederzeit ändern konnten. Ihre Hand tastete nach der Waffe im rechten Halfter und blieb dort. Den Helm wollte sie nicht aufsetzen, nahm ihn aber mit. So wie Nadja und Mike. Er wirkte auf andere abschreckend und entmenschlichend und kam eigentlich nur in akuten Kämpfen oder unbekannten Situationen zum Einsatz.

Sie liefen die Räume ab, es schien sonst keiner da zu sein. Blieben in der Mitte stehen und sahen sich gegenseitig an. In diesem Moment kamen drei Rebellen rein. Lautlos schwebten sie mit ihren Tuchgewändern über den Schutt, der überall verstreut war. Zwei Frauen und ein Mann. Drei gegen drei dachte Skai automatisch. Allerdings waren ihre Köpfe nicht vermummt wie bei dem gestrigen Kampf. Also war eine körperliche Auseinandersetzung unwahrscheinlich. Skai atmete ein paar Mal aus, nahm aber ihre Hand nicht von der Waffe.

„Guten Morgen“, sagte der junge Typ und taxierte die andere Gruppe.

Sie standen sich gegenüber, die Körperhaltungen reserviert.

„Wenn wir Verhandlungen führen wollen, sollten wir uns wenigstens vorstellen“, begann Skai und nannte ihre Namen.

Der junge Mann nickte und zögerte kurz. „Ich bin Kai und das hier sind Baru und Tara“, er zeigte auf die beiden Frauen.

Es wurden Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht.

„Also, wie habt ihr euch entschieden?“, fragte Skai schließlich und verschränkte die Arme.

„Wir wollen uns darauf einlassen“, sagte Baru mit strengem Gesichtsausdruck. „Unter einer Bedingung.“

„Okay“, sagte Skai und hob die Augenbrauen. Das war eine der wenigen Bewegungen ihres Körpers, die keine Schmerzen verursachten. Jetzt, wo sie direkt vor Kai stand wurde sie wieder wütend, dass er dafür verantwortlich war. Immer diese jungen Leute mit ihrer überambitionierten Attitüde.

„Dev muss seine Leute aus der Verwaltung abziehen. Alle anderen sind okay, es müssen nicht unsere sein, aber nicht die aus seinem Clan. Das würde nicht gut gehen“, führte Tara aus. Sie wirkte etwas nervös, fand Skai, war wohl das erste Mal bei einer Verhandlung mit intergalaktischer Intervention dabei.

„Das wird ein hartes Stück Arbeit, ihn davon zu überzeugen“, gab Mike zu bedenken. „Warum sollte er das machen? Alle seine Leute abziehen? Was hätte er davon?“

„Eine neue Weltordnung?“, erwiderte Baru.

„Pfft“, Skai verdrehte die Augen. „Wir können es versuchen“, sie warf Nadja einen entsprechenden Blick zu. „Okay, die neue Verwaltung sind nicht eure und nicht seine Leute“, Skai atmete geräuschvoll aus. „Dann lass uns an die Arbeit gehen.“

Nadja unterhielt sich noch weiter mit den Rebellen über die Details ihres Plans und Skai wusste, dass sie versuchte, sie bei der Stange zu halten, sie im Gespräch zu lassen, auch wenn die Dinge nicht nach Plan laufen sollten.

Währenddessen kontaktierte Skai Verena und Carla. Sie sollten sich schon einmal mit der entsprechenden Software vertraut machen und sich die Aktenführung anschauen, um die Kompatibilität zu überprüfen. Mike konnte sie unterstützen. Danach schickte sie Dev eine Nachricht und bat ihn um ein Gespräch. Sie verabredeten sich in einem Café in der Nähe des Verwaltungsgebäudes. Skai hoffte, dass es da auch etwas zu essen gab.

Als sie reinspazierte richteten sich alle Blicke auf sie. Es war das erste Mal, dass sie die regulären Einwohner dieser Stadt sah. Sie hatten nicht diese verrückten Umhänge aus Stoff, sondern wallende Kleider in einem Regenwolken-Grau, die knapp über dem Boden endeten. Am Saum waren sie ausgefranst, aber das schien die Leute nicht zu stören. Vielleicht war das in dieser Welt auch das, was schick war.

Sie wusste noch vom letzten Jahr, dass der Planet an den internationalen Handel angeschlossen war, weil dieser besondere Stoff im Rohzustand zwar aussah wie ein altes Geschirrhandtuch, aber bei der Weiterverarbeitung eine Struktur mit überraschenden Eigenschaften annehmen konnte. Durch besondere Verfahren, die früher direkt auf dem Planeten durchgeführt wurden, aber aus Kostengründen mittlerweile ausgegliedert worden waren – deshalb die verlassenen Fabrikgebäude – konnte aus dem Tuch ein extrem robustes und gleichzeitig flexibles Material hergestellt werden, das besonders bei der Androidenproduktion eine wichtige Rolle spielte. Wenn Skai es richtig in Erinnerung hatte war ihre Haut eines der Endprodukte.

Durch den Export dieses Produktes konnten diese Zivilisation an dem intergalaktischen Handel teilnehmen und entsprechende Währung generieren, und das schon für mindestens die letzten hundert Jahre. Das sah man den Leuten hier ganz sicher nicht an mit ihren Clanstrukturen, Pferden und Gewändern. Aber sie hatten sich ein Portal leisten können, um mit Überlichtgeschwindigkeit reisen zu können und das war das, was zählte.

Skai trat ein paar Schritte vor und sah in der hintersten Ecke Dev sitzen. Mit schweren Schritten lief sie über den Holzboden, der unter ihren massiven Schuhen nachgab. Sie konnte nun mal nicht so schleichen und schweben wie die anderen. Ein paar Leute, die rechts und links von ihr an den Tischen saßen und Tee tranken drehten sich zu ihr um und hoben die Augenbrauen. Skai war froh, als sie bei Dev angekommen war und sich gegenüber von ihm setzte. Sie hatten eine ruhige Ecke für sich.

„Ich bin enttäuscht“, setzte er gleich an und sah überhaupt nicht glücklich aus. Sein Kopftuch hatte er abgenommen und Skai blickte in graue Augen und auf einen fast kahlen Kopf, der knochig wirkte. „Ich bin wirklich schwer enttäuscht, dass ihr mit diesen… diesen Idioten verhandelt. Sie kommen in meine Stadt und werfen alles über den Haufen, hast du das gesehen?“

„Sie haben mich aus dem Fenster geworfen“, erwiderte Skai kühl, auch wenn sie sich fest vorgenommen hatte nicht ständig auf dieser Sache herumzureiten. Leute hatten ihr schon sehr viel grausamere Sachen angetan.

„So war das nicht gemeint“, Dev schaute entschuldigend. „Du weißt genau… das ist unverzeihlich. Mit diesen Erpressern, Möchtegern-Weltverbessern, Freaks, können wir keine Geschäfte machen, das ist ein absolutes No-Go.“

Skai atmete tief durch. Das war ein hartes Brett.

Die Bedienung kam und Dev bestellte irgendwas.

„Für mich bitte etwas zu Essen, irgendwas“, warf Skai ein und Dev nannte der Frau irgendwelche einheimischen Namen, die ihr Knopf im Ohr nicht übersetzen konnte.

„Letztes Jahr…“, begann Skai schließlich, als die Frau weg war.

„Komm mir nicht mit letztem Jahr!“, unterbrach Dev sie. „Ich weiß genau, was du sagen willst, aber es stimmt nicht. Wir waren nicht so wie sie. Wir waren anders. Vernünftiger.“

Skai musste ein sehr dringendes Lachen eher erfolglos unterdrücken. Das war der Witz des Tages. Gott, sie wünschte, sie könnte sich dieses Gelaber sparen und einfach nur für das Gute kämpfen. In Verhandlungsführung war sie noch nie gut gewesen. Eins ihrer schwächsten Fächer während der Ausbildung. Es war so mühselig und schwer kalkulierbar. Und dann hatte man mal mit viel Mühe einen Waffenstillstand ausgehandelt und der war auf einmal eine Woche später null und nichtig. Es war zum Verzweifeln.

Gerne hätte sie Dev am Kragen gepackt (er hatte keinen), ihn geschüttelt und angebrüllt, ob er nicht verdammt nochmal für fünf Minuten über seinen eigenen Horizont schauen könnte. Aber das wäre keine gute Verhandlungsführung, hatten sie ihr gesagt. Schade. Stattdessen atmete Skai ein paar Mal durch, ehe sie etwas erwiderte.

„Erzähl mir etwas über dich, etwas aus deinem Leben“, sagte sie schließlich und wusste gar nicht, was sie da redete. So eine Frage hatte sie noch nie jemandem gestellt, nicht dass sie sich erinnern konnte. Vielleicht hatte der Sturz gestern doch Schäden hinterlassen, wenn sie plötzlich so etwas sagte.

Dev verengte die Augen und schien das selbe zu denken wie sie. „Ich komme aus dem Dschungel“, sagte er schließlich und sein Blick schweifte in die Ferne, die Finger klackerten nervös auf dem Holztisch. „Dort regnet es noch mehr als hier. Mein Clan gilt als unterentwickelt, wir sind hier die Wilden. Ich habe mein Leben lang darum gekämpft dass meine Leute anerkannt werden. Wir sind anders, aber nicht zurückgeblieben, verstehst du?“

Skai hatte diese Erfahrung in ihrem Leben noch nie machen müssen, aber sie versuchte zu verstehen. In vielen ihrer Einsätze ging es um Leute, die sich benachteiligt fühlten. Schreckliche Dinge konnten daraus entwachsen, so viel war klar.

„Das hört sich nach einer unfairen Zuschreibung an“, sagte sie und hoffte, dass ihre Reaktion nicht zu plump war.

Dev gab ein zustimmendes Schnauben von sich. Das Essen kam. Es war eine Suppe in der Farbe einer Pfütze. Skai begann zu essen. Es schmeckte wie Pfütze, aber es war Essen. Hoffentlich. Hoffentlich hatte die Frau ihr nicht einfach Abwaschwasser oder sowas serviert. Skai verdrängte den Gedanken.

„Endlich hat unser Clan sich etwas erarbeitet“, fuhr Dev fort. „Wir leiten die Verwaltung und das würde ich auf keinen Fall abgeben. Wie stehe ich vor meinen Leuten da? Es wäre unakzeptabel.“

Skai murmelte vor sich hin, während sie auf etwas Holzigem kaute.

„Und kannst du dir überhaupt ansatzweise vorstellen, was…“, er beugte sich zu ihr, senkte seine Stimme deutlich und blickte sich um, „…Säkularisierung bedeuten würde? Die Clanstrukturen sind heilig, sie sind die einzige sichere Struktur, die wir haben. Hast du dich mal mit unserer Geschichte beschäftigt? Vor 150 Jahren gab es schon einmal den Versuch eines Umsturzes und danach zwanzig Jahre Krieg. Es war alles zerfallen. Es gab keine Gerichte, kein Wirtschaftssystem, keine Krankenversorgung, keine Schulen mehr. Nichts. Nur noch das nackte Überleben. Soweit darf es niemals mehr kommen.“

Er lehnte sich wieder zurück und nahm einen Schluck von seinem Tee.

Skai wollte sagen, dass er hysterisch sei. Dass das Ganze ein gesamtgesellschaftliches Trauma sei, das sich sicher nicht mehr wiederholen würde. Dass seine Aussagen bedeuten würden, dass sich nie mehr etwas ändern dürfte. Dass es besser wäre jetzt sachte und kontrollierte Veränderungen einzuführen statt es weiter brodeln und dann explodieren zu lassen. Das alles klang gut, aber es war nicht das richtige.

„Du und dein Clan, also deine Familie und Freunde, alle die dazu gehören“, sie schob den Teller zur Seite und malte Kreise mit dem Zeigefinger auf dem Tisch, „ihr werdet in Sicherheit sein“, sie schlug die Augen auf und fing seinen Blick ein. Dev war sehr ruhig. Sein Gesicht sah gleichzeitig abgekämpft, klug und verletzlich aus. Die Wangenknochen etwas hohl, die Gesichtsfarbe gräulich. „Ihr werdet Kontrolle haben. Vielleicht nicht über alles. Aber über die wichtigen Dinge. Ihr werdet nicht der Barbarei ausgeliefert werden. Wir können die Rebellen bekämpfen und zurückdrängen, töten. Aber ist das Problem damit gelöst? Es geht dann weiter, neue Leute kommen. Ich kann dir nicht versprechen, dass alles gut wird. Aber dass es zumindest eine Basis für einen gemeinsamen Umgang, für Kommunikation, für Aushandlungen gibt. Verschließ diese Tür jetzt nicht, sonst fliegt sie dir früher oder später komplett um die Ohren.“

Dev schnaubte verächtlich. „Das klingt jetzt so gut, aber kann das auch umgesetzt werden? Am Ende sind wir die Leidtragenden und ihr seid dann schon längst abgereist.“

„Okay, pass auf“, Skai leckte sich die Lippen und setzte sich kerzengerade hin, auch wenn es schmerzhaft war, „wir suchen die neue Software für die Verwaltung aus und installieren sie, nicht die Rebellen. Wir suchen die Leute aus, die damit arbeiten sollen, clanübergreifend. Wir arbeiten sie ein. Es werden auch Leute aus deinem Umkreis und aus dem Umkreis der Rebellen dabei sein. Sie werden sich nicht mögen und es wird Widerstand geben. Sie werden sich ankeifen und um die Vorherrschaft kämpfen. Das ist irgendwo auch normales und gesundes Verhalten. Harmonie wird überbewertet. Aber wir werden sie einschwören auf ein gemeinsames Ziel hin und wenn wir weg sind wird das eure Aufgabe sein, das fortzuführen. Also pass gut auf, mach dir Notizen.“

Dev hob eine Augenbraue und zog die Lippen zusammen. „Illusorisch“, sagte er bloß aber sie wusste, dass sie einen Fuß in der Tür hatte.

Da er ihr nicht den Kopf abriss und sie physisch daran hinderte, ihren Plan in die Tat umzusetzen, wertete Skai das als vorsichtiges Zustimmen und Erlaubnis, die ersten Schritte in die Richtung zu unternehmen. Sie beendeten ihr Mittagessen und liefen zusammen zum Verwaltungsgebäude. Die meisten aus Skais Team waren da und sie besprach mit ihnen schnell, was als nächstes passieren sollte.

In den nächsten Stunden wurden Reinigungs- und Aufräumarbeiten verrichtet, Arbeitsgruppen gebildet, Nachwuchskräfte für die Büroarbeit rekrutiert, Computer auf Vordermann gebracht, Pressemitteilungen herausgeschickt. Sie arbeiteten bis tief in die Nacht und am nächsten Tag gleich nach dem Aufstehen ging es weiter.

Skai wünschte sich eine Stunde Pause, in der sie nicht mit irgendwelchen Leuten reden musste, aber die ergab sich nicht. Es gab so viel zu tun und immer wieder kleinere und größere Zwischenfälle. Eine Prügelei zwischen rivalisierenden Clans, technische Probleme, bis zur Unkenntlichkeit zerstörte Akten, störrische Verhandlungspartner, Falschnachrichten in der Presse, eine Trauerfeier für die getöteten Mitarbeiter, Anfeindungen, Resignation, Erschöpfung, eine Magenverstimmung mit Erbrechen bei Mike, einen verlorengegangenen und wiedergefundenen Lehrling, unzählige wilde Auseinandersetzungen mit Dev, ein paar Friedenspfeifen mit Kai und Baru, auch wenn Drogenkonsum in der Dienstzeit für Skai und ihre Kollegen eigentlich tabu war, eine Ladung falsch gelieferter Stempel, eine Weigerung des Transportunternehmens die neue Software für Wirtschaftsbeziehungen zu akzeptieren und fünf Zusammenbrüche des Systems bei der Währungsumrechnung, bis es endlich funktionierte.