Stadtschnipsel - Jana Beek - E-Book

Stadtschnipsel E-Book

Jana Beek

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Beschreibung

Ein desillusionierter Schneider, ein Whistleblower auf der Flucht, eine Stadt mit inhärenten Brüchen und Widersprüchen - sie treffen aufeinander und müssen aushandeln, ob zwischen ihnen etwas Neues entstehen kann oder die Gräben zwischen diesen konfliktreichen Welten tiefer und letztlich unüberbrückbar werden.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

-1-

„Auch auf dem Weg nach Mela?“, fragte Nick und knibbelte an seinen Fingernägeln herum, warf einen Blick auf die öde Steppenlandschaft, die an ihnen vorbeizog und dann wieder auf sein Gegenüber.

Ein ernst dreinblickender Fahrgast, mit kurzen hell-brauen Haaren, einem blau gestreiften Hemd und zerknittertem Sakko, etwas älter als er selbst, vielleicht Ende dreißig, saß auf der anderen Seite des Tisches, der ihr Abteil in zwei Hälften teilte und trommelte mit den Fingern auf die schmale Fensterbank neben sich.

„Wie bitte?“, er drehte den Kopf und schien die Frage erst jetzt zu registrieren.

„Ich bin Nick“, Nick streckte ihm die Hand entgegen und lächelte.

„Kolja“, stellte sich sein Gegenüber vor. Die Sorgen-falte zwischen den Augenbrauen blieb.

„Wer hätte gedacht, dass der letzte Ausweg durch die Ödnis dieser Taiga führt?“, dachte Nick laut nach.

„Hm?“, Kolja hob die Augenbrauen.

„Da draußen, diese endlose Abfolge von Grasland, Wäldern, Feldern und Steppe. Aber wenn Mela eine Oase inmitten der Wüste ist, dann wird es wohl richtig sein“, fuhr Nick fort.

Kolja schüttelte bloß den Kopf und Nick spürte, wie sein Blick an ihm hängen blieb. Er konnte Kolja förmlich denken hören. Vielleicht regte er sich über Nicks schwarzen Nagellack auf, der an den Rändern schon abgenutzt war, oder es waren seine Haare, die bereits vor ein paar Monaten über die Ohren gewachsen waren und die er seitdem versäumt hatte schneiden zu lassen. Aber am wahrscheinlichsten war es, dass er sich an den Kniestrümpfen stieß, die Nick zu einer kurzen Hose trug, die aber zu seiner Verteidigung einen sportlichen Touch hatten. Leicht angewidert wandte Kolja sich wieder ab.

Und so saßen sie sich noch ein paar Stunden gegenüber. In Koljas Kopf wurde sicherlich etwas schwerwiegendes verhandelt, denn er ließ sich nicht mehr zu einem Gespräch überreden, sondern zuckte immer wieder mit seinem linken Auge oder vergrub sein Gesicht unter seiner Hand. Nick lehnte derweil seinen Kopf an die Plastikverschalung des Waggons und ließ ihn dort mit dem Zug vibrieren. Währenddessen dachte er an all das, was er zurückgelassen hatte und fragte sich, ob es die richtige Entscheidung gewesen war.

Als sie sich dem Ziel näherten, packte Nick seine spärlichen Habseligkeiten zusammen, Kolja tat es ihm nach. Zusammen traten sie in den Durchgang und liefen bis zur nächsten Tür des Waggons. Langsam kamen die ersten Häuser von Mela in Sicht und der Zug verlangsamte seine Geschwindigkeit.

„Wirst du auch gleich zur Anmeldung gehen?“, versuchte Nick es noch einmal. „Wir können zusammen herausfinden, wo wir hin müssen.“

Kolja schüttelte den Kopf. „Mich zieht es in das Umland von Mela“, verkündete er und sein Blick verlor sich in der Ferne, als würde er gleich auf seinem Pferd in den Sonnenuntergang reiten.

„In diese Dörfer?“, fragte Nick ungläubig. „Dort… dort gibt es gar nichts, sie bestehen soweit ich weiß nur aus Bauernhöfen und… und sowas wie Mühlen und…“, Nick gestikulierte mit den Händen.

„Hmm“, murmelte Kolja.

„Du bist doch aus der Stadt“, stellte Nick fest, „was willst du dann dort?“

„Meine letzte Ruhe finden“, konstatierte Kolja mit Grabesstimme.

Im nächsten Moment hielt der Zug an, die Türen öffneten sich und Kolja stieg aus. Kopfschüttelnd folgte ihm Nick. Doch als er draußen auf dem Bahnsteig in dem Gewimmel der Leute nach Kolja suchte, da war er schon verschwunden.

-2-

„Hier findet die Anlieferung von neuer Ware statt“, Kora zeigte auf eine Zufahrt hinter dem riesigen Lagerhaus, schritt voran zur Eingangstür, gab einen Code ein und öffnete diese.

Nick kam ihr hinterher und trat in eine große schummrige Halle, die bis zum letzten Zentimeter vollgestellt war mit Regalen, Tischen, Schränken. Es roch nach Mottenkugeln und Schuhcreme.

„Die Kleidung ist nach Größe und Jahreszeit sortiert, glaube ich“, Kora lachte nervös und spazierte durch die Reihen. „Kinderkleidung ist da hinten und Schuhwerk in dieser Ecke“, sie zeigte in verschiedene Richtungen und entfernte sich von Nick, der woanders hinlief. „Die Leute kommen jeden Tag, um sich etwas abzuholen“, fuhr sie von irgendwoher fort und ihre Stimme hallte durch den Raum. „Wir haben ein paar Aushilfen, die sich um die Pflege der Kleidersammlung kümmern, aber schon länger niemanden, der hauptamtlich die Leitung übernimmt. Und du kennst dich mit dem Metier aus?“

„Ein bisschen“, rief Nick und inspizierte ein grünes Kleid, das auf einer Kleiderstange hing und deutlich herausstach.

„Sehr gut“, Kora kam wieder hervor und lächelte ihn an. „Komm, ich zeig dir noch das Nebenzimmer, in dem Reparaturen und kleinere Näharbeiten verrichtet werden können“, sie ging voran und er folgte ihr.

„Wir haben hier nicht die beste Ausrüstung, es sind nur ein paar Nähmaschinen und etwas Zubehör…“, erzählte Kora.

Nick blendete für einen kurzen Moment Koras Stimme aus und versank in dem Anblick eines chaotischen Nähraums, in dem Stoffreste auf dem Boden lagen, ein Maßband über dem Stuhl hing, eine Kiste mit Garnrollen auf dem Tisch stand, daneben war ein Schneidebrett, in einem Regal sich unendlich viele Stoffe quetschten und aus einer Schublade Reißverschlüsse und Bänder quollen.

Nick dachte an das perfekt eingerichtete Maßatelier, in dem er den Großteil seines Erwachsenenlebens verbracht und das er zurückgelassen hatte. Es war auf all seine Bedürfnisse zugeschnitten gewesen, jedes Detail, jede Ecke war von ihm perfektioniert worden, sodass er sich blind darin zurechtfand. Und doch war er ihm entwachsen und er wusste noch nicht einmal mehr, warum. Irgendwann stand einfach die Entscheidung fest, er musste weg.

„… ich kann jemanden beauftragen, Ordnung zu machen, wenn du so nicht arbeiten kannst“, fuhr Kora fort und Nick klinkte sich wieder ein.

„Nicht notwendig“, schüttelte er den Kopf. „Ich mag sowieso meine eigene Ordnung. Lass mich ankommen und dann kann ich in ein paar Tagen loslegen.“

„Aber natürlich. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Du kommst vom westlichen Kontinent?“

„Hmm.“

„Oh, dann ist das hier ein echtes Kontrastprogramm“, Kora lächelte entschuldigend.

„Kann man wohl sagen. Aber ich habe es ja nicht anders gewollt, also muss ich da jetzt durch“, Nick wollte nicht mehr dazu sagen und verließ den Nebenraum.

Kora folgte ihm. Sie zeigte ihm noch die kleine Küche, einen Aufenthaltsraum, die Sanitäranlagen und dann waren sie auch schon durch. Als sie draußen standen, gab Kora ihm den Code durch und das war es nun, sein neues Reich, die Kleidersammlung einer Mittelstadt, die von der Weltwirtschaft so gut wie abgeschnitten war.

-3-

Die nächsten zwei Wochen verbrachte Nick damit, sich in Mela einzurichten. Er bezog eine kleine Wohnung ganz in der Nähe des Kleiderlagers, kundschaftete die Nachbarschaft aus, bekam einen Taschencomputer ausgehändigt, mit dem er an die finanziellen und Informations-Kreis-läufe in der Stadt angeschlossen war und leistete schon ein paar Stunden an seinem neuen Arbeitsplatz ab, um sich mit den Routinen vertraut zu machen.

Als er an einem Samstag das erste Mal den Markt aufsuchte, um sich frische Lebensmittel und Brot und Käse zu besorgen, schlenderte er durch die vielen schnatternden und voll bepackten Leute. Sie wirkten entspannter und fröhlicher als die Menschen aus der Großstadt, in der er zuletzt gelebt und gearbeitet hatte.

In dem Apartment eines Hochhauses war es oft einsam gewesen, auf den Straßen und in den Bahnen dagegen vollgestopft und dumpf, in seinem Atelier hektisch und angespannt. Das alles hatte ihm nie etwas ausgemacht, ein bisschen vermisste er den hohen Takt dieses Lebens. Aber es gab andere Dinge, die immer schwerer zu ignorieren waren.

„Mach dir keine Sorgen, Kolja“, hörte er plötzlich neben sich und schaute sich um.

Da war er tatsächlich. Kolja. Räumte mit einer finsteren Miene hinter einem Gemüsestand die Kisten aus und stapelte sie auf, während jemand auf ihn einredete. Nick kam näher und gesellte sich dazu.

„Hey“, sagte er zu den beiden und schaute zwischen ihnen hin und her.

Für einen Moment dachte er, dass Koljas Gesicht sich kurz aufhellte. Sein Gesprächspartner dagegen schaute neugierig fragend.

„Na, schon eingelebt?“, fuhr Nick fort, da sonst niemand sich berufen fühlte, die Konversation am Laufen zu halten.

Als Antwort grummelte Kolja etwas Unverständliches und fuhr mit seiner Arbeit fort.

„Ich bin Juri, Koljas Freund und… nun ja, Kollege“, ein ordentlich aussehender Mann mit Brille und Anzug reichte ihm die Hand und Nick schlug ein.

„Freut mich. Ich bin Nick. Moment mal, Kollege?“, fragte Nick.

„Wir sind beide Gesellschaftswissenschaftler. Und du?“, Juri kratzte sich an der Schläfe und schaute Nick an, als wäre er ein unlösbares Rätsel.

„Kolja und ich haben uns im Zug hierher kennengelernt, stimmts Kolja?“, rief Nick zu ihm rüber.

„Gut, dass er schon ein paar Freunde gefunden hat“, Juri grinste verwegen und warf Kolja einen bedeutungsvollen Blick zu.

„Nick ist nicht…“, setzte Kolja an, brach dann aber ab und widmete sich wieder seiner Arbeit.

„Wenn es dir nichts ausmacht, könntest du ab und zu nach ihm schauen?“, Juri beugte sich über einen Haufen Kartoffeln zu Nick rüber und senkte seine Stimme. „Kolja ist gerade in einer schwierigen Situation, er könnte jemanden gebrauchen, der…“

„Na klar, kein Problem“, Nick schob eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Wo wohnt er gerade?“

„Auf einem verlassenen Hof außerhalb von Mela. Du kannst mit einer Bahn, die nicht sonderlich oft fährt, dorthin kommen, ich schicke dir die Adresse“, Juri holte seinen Taschencomputer heraus und tippte darauf herum. „Nur, wenn es dir nichts ausmacht natürlich. Kolja hat noch nicht viele Kontakte hier und ich bin aktuell stark eingebunden, das Semester hat gerade begonnen…“

„Ihr wisst schon, dass ich euch hören kann“, Kolja stand auf einmal neben ihnen und verschränkte die Arme vor sich. „Und außerdem brauche ich niemanden, der auf mich aufpasst, das habe ich dir schon gesagt und schon gar nicht…“

„Ich muss los, Leute“, unterbrach Juri ihn und klopfte ihm auf die Schulter. „Wir hören voneinander. Und Nick, danke! Das wird eine super Sache, das sehe ich jetzt schon“, er zwinkerte ihm zu, drehte sich um und verschwand in der Menge.

„Juri und ich kennen uns schon seit Urzeiten“, Kolja schaute ihm hinterher, „er meint es nur gut, du musst aber nicht…“

„Kolja, kannst du bei den Schultes beim Ausladen helfen?“, eine robust aussehende Frau mit gesunder Gesichtsfarbe kam zu ihm rüber.

„Na klar“, brummte Kolja und warf Nick noch einen Blick zu.

„Man sieht sich“, rief Nick zum Abschied und dann war Kolja auch schon weg.

-4-

Am nächsten Montag wollte Nick seine neue Anstellung endlich mit voller Energie angehen und begab sich schon früh zum Kleiderdepot. Als er die Tür aufschloss, schlug ihm wie immer ein leicht dumpfer Geruch entgegen, weshalb er alle Türen öffnete und einmal ordentlich durchlüftete. Als nächstes lief er zum Nähraum und steuerte als erstes die verschiedenen Nähmaschinen an, die auf und unter den zwei Tischen standen. Sie sahen aus wie die Vorvorvorgängermodelle der Geräte, die er normalerweise benutzte, aber es würde schon gehen.

Bei der ersten, die er an den Strom anschloss und in Betrieb nahm, funktionierte gar nichts. Der Unterfaden verknotete sich bei jedem Nähversuch und so sehr Nick auch neue Spulen einsetzte, einfädelte und an den Stellschrauben drehte, die Maschine war wohl ein hoffnungsvoller Fall und weigerte sich, einen sauberen Stich zu produzieren. Nick packte sie wieder ein und stellte sie zur Seite. Schickte über den Taschencomputer eine Nachricht an die Zentralen Dienste, damit die Maschine abgeholt und eventuell repariert wird.

Nahm sich die nächste vor. Diese produzierte bei jeder Bedienung ein furchtbar ratterndes Geräusch, aber immerhin nähte sie Gerade- und Zickzackstiche ohne Einwände und hatte auch noch ein paar andere Funktionen auf Lager. Entgegen der gängigen Auffassung, dass Nähmaschinen möglichst hunderte von Stichen und Spezialtricks auf Lager haben müssten, war Nick der Meinung, dass eine solide Grundausstattung völlig ausreichte, um fast alles zu nähen, was es auf der Welt so gab.

Die Overlock-Maschine, die er als nächstes entstaubte und an den Strom anschloss, hatte einen altmodischen Fußhebel, funktionierte aber einwandfrei und produzierte saubere Nähte, die Nick so sehr liebte. Immerhin.

So arbeitete er sich von einem zum anderen und unterzog auch gleichzeitig alle Scheren, Druckknopfzangen und anderes Zubehör einem Funktionstest. Er merkte gar nicht, wie die Zeit verging und mit einem Mal hörte er eine Stimme hinter sich, die ihn vor Schreck eine Dose mit Stecknadeln auf den Boden fallen ließ.

„Wer bist du denn?“, rief jemand vorwurfsvoll und Nick drehte sich ruckartig um.

Ein jugendliches Mädchen stand in der Tür des Nähzimmers und stemmte ihre Hände in die Hüften. Sie war komplett in Rot gekleidet. Leinen-Sommerhut mit roten Mohnblumen, weites Baumwollkleid in Weinrot, feuerrote Socken in erdbeerfarbenen Schuhen.

„Ich bin Nick, hab vor kurzem die Stelle hier angetreten als Leitung der Kleidersammlung“, stellte er sich vor.

Das Mädchen schaute skeptisch und rümpfte die Nase. Dann schaute sie sich um, der Raum war in großer Unordnung, weil Nick fast jeden Krümel neu sortiert hatte und Haufen von Dingen gebildet hatte, die für die Reparatur oder Entsorgung bestimmt waren.

„Ich wollte hier etwas Ordnung und die ganze Einrichtung auf einen besseren Stand bringen. Von Altkleidersammlung zu spannender Kleiderparty“, grinste Nick.

Das Mädchen versuchte ein Lächeln zu unterdrücken und kam näher. Kniete sich auf den Boden, um die Stecknadeln aufzusammeln. Nick holte die Dose dafür und half ihr.

„Und du bist…“, setzte er an.

„Ich bin Ruby. Ich helfe hier nach der Schule aus“, grummelte sie.

„Oh, Ruby… Ist das dein Künstlername? Wegen des ganzen Rots?“

„Was, nein“, schnaubte sie. „Meine Eltern haben mir diesen Namen völlig ahnungslos gegeben, sie wussten bei meiner Geburt noch nicht, welches Feuer sie entfachen würden. Eines, das sie verschlingen würde.“

Nick riss die Augen auf. „Sehr dramatisch“, nickte er anerkennend.

„Und du? Du siehst aus, wie…“, sie lehnte sich zurück und betrachtete Nick von oben bis unten, „…als hätte sich ein Profifußballer nach einer Formkrise für sechs Monate in einer einsamen Höhle verkrochen und hätte dort merkwürdige Pilze konsumiert. Als er wieder rauskam, war er nicht mehr wiederzuerkennen. Fast. Ist er es, oder nicht? Seine Augen sind wirr, seine Haare lang und sein Trikot: Schuhe, Stulpen, Shorts und T-Shirt haben sich transformiert in… etwas unerklärliches, unerklärlich… hässlich.“

Nick lachte und klatschte müde in die Hände. „Bravo. Ich hab nur in meinem ganzen Leben nicht einmal einen Ball in irgendeine Richtung befördert. Aber sonst, der Rest stimmt. Also, wie oft bist du hier und welche Aufgaben übernimmst du?“

„Ich komme so zwei bis drei Mal in der Woche“, Ruby stand auf und brachte die Dose mit den Stecknadeln zum Tisch. Danach lief sie durch den Raum und inspizierte alle Veränderungen, die Nick vorgenommen hatte. „Helfe beim Sortieren der neu angelieferten Kleidung. Kämpfe gegen Motten und Stockflecken. Habe ein Vorgriffsrecht auf alles Rote. Hasse es, Leute zu beraten und Löcher zu stopfen. Versuche bisher erfolglos alles Braune und Graue aus dem Sortiment zu verbannen“, sie lächelte verschwörerisch.

„Prima“, Nick war zufrieden, „ich übernehme gerne die Beratung und versuche mein Glück an den Nähmaschinen. Zeigst du mir, nach welchem Prinzip du sortierst? Und an welchem geheimen Ort die Farben, von denen wir nicht sprechen dürfen, landen? Oder werden sie gleich verbrannt?“

Ruby kicherte und machte eine Geste, ihr zu folgen. Zusammen betraten sie das ewige Labyrinth in der Halle und Nick ließ sich alles erklären.

-5-

„Eine Reparatur ist zu aufwendig“, verkündete eine städtische Mitarbeiterin namens Nina am Telefon. „Und mit Nähmaschinen kenne ich mich leider auch nicht so gut aus. So oder so, bei dem Anschaffungswert ist es günstiger, neue zu kaufen, als nach Ersatzteilen zu suchen.“

„Habe ich mir schon gedacht“, stimmte ihr Nick zu und staubte in dem Schneiderraum die Regale ab. „Mach dir bitte keinen Kopf. Ich werde neue besorgen. Bessere. Die billige Verarbeitung von diesen hier ist sowieso zu fehleranfällig.“

„Gibt es dafür ein Budget?“

„Ich werde mir etwas einfallen lassen.“

„Alles klar. Wenn es andere defekte Geräte gibt, dann kannst du mich direkt anschreiben.“

„Gut zu wissen. Ich muss noch die Waschmaschinen und einiges andere testen. Ich melde mich dann.“

Nachdem er aufgelegt hatte, hielt er kurz inne und ließ das Reinigungstuch liegen. Seit ein paar Tagen kreiste ein Gedanken immer wieder in seinem Kopf. Er könnte zwei von seinen geliebten Nähmaschinen aus dem Depot, in dem er den Großteil seines Besitzes eingelagert hatte, kommen lassen. Es schien irgendwie ein bedeutender Schritt zu sein. Würden Leute Fragen stellen? Sich wundern, wie er zu diesen Geräten gekommen war? Vielleicht würde es niemandem auffallen. Andererseits, ohne eine gute Ausrüstung konnte er nicht arbeiten. Ruby war vielleicht in der Lage auf einem ratternden Donnergeschoss Löcher zu stopfen, er war es nicht.

Nick entschied sich genau dafür und schickte den Auftrag raus. Machte sich als nächstes daran, eine neue Lieferung auszupacken. Kleidung sortieren, an Leute auszugeben, die Abrechnung über das stadtinterne Punktesystem abwickeln, daraus bestand sein Alltag und schon nach ein paar Tagen Vollzeitarbeit war er in den Abläufen drin.

Ruby war eine gute Unterstützung und sie führten immer spannende Gespräche, auch mit den anderen städtischen MitarbeiterInnen pflegte er einen guten Umgang. Aber nach einer Weile sehnte er sich danach, außerhalb von seiner Arbeit Menschen kennen zu lernen. War das nicht in seinem alten Job das Problem gewesen, dass alles nur noch mit ihm und Kleidung assoziiert war? Diesmal wollte er es anders angehen.