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„Seit dem Erscheinen seines allerersten Allergie-Krimis ist Gunter Gerlachs Detektiv zur schrägen Kultfigur avanciert.“: Hamburger Rundschau über „Kortison“ – jetzt als eBook bei dotbooks. Seine Geliebte heißt Kortison. Klar, sie ist eine gefährliche Freundin. Eines Tages wird sie ihn ebenso umbringen wie seinen Freund Gerd. Aber was hat im Leben keine Nebenwirkungen? Detektiv Bartzsch ist hyperallergisch. Da hilft nur Kortison. In rauhen Mengen. Das Problem ist nur, dass Bartzsch ausgerechnet jenen Arzt, der ihm halblegal das zur Droge gewordene Arzneimittel besorgen sollte, tot im Behandlungszimmer vorfindet. Angeblich eine allergische Reaktion auf einen Insektenstich. Doch daran mag Bartzsch nicht so recht glauben und sticht bei seinen Ermittlungen in ein wahres Wespennest. Die Presse über Gunter Gerlach: „Die Ungeheuerlichkeiten, die sich Seite um Seite enthüllen, sind von einer so abgründigen Komik und Tragik, wie man sie in der deutschsprachigen Literatur nur selten findet.“ Süddeutsche Zeitung „Was und wie dieser Autor schreibt, das ist selten in der deutschsprachigen Literatur.“ – Hamburger Abendblatt „Gunter Gerlach ist ein Autor, der auf intelligente Art zu unterhalten versteht.“ – Frankfurter Rundschau Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Kortison“ von Gunter Gerlach. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 165
Über dieses Buch:
Seine Geliebte heißt Kortison. Klar, sie ist eine gefährliche Freundin. Eines Tages wird sie ihn ebenso umbringen wie seinen Freund Gerd. Aber was hat im Leben keine Nebenwirkungen?
Detektiv Bartzsch ist hyperallergisch. Da hilft nur Kortison. In rauhen Mengen. Das Problem ist nur, dass Bartzsch ausgerechnet jenen Arzt, der ihm halblegal das zur Droge gewordene Arzneimittel besorgen sollte, tot im Behandlungszimmer vorfindet. Angeblich eine allergische Reaktion auf einen Insektenstich. Doch daran mag Bartzsch nicht so recht glauben und sticht bei seinen Ermittlungen in ein wahres Wespennest.
Über den Autor:
Gunter Gerlach, Jahrgang 1941, studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Er schreibt Hörspiele, Rundfunkserien, Kurzprosa und außergewöhnliche Krimis, für die er u. a. 1995 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde. Gunter Gerlach zählt zu den am häufigsten mit dem renommierten Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichneten Autoren, lebt in Hamburg.
Bei dotbooks erscheinen ebenfalls Gunter Gerlachs Romane Herzensach, Das Jahr, in dem ich beschloss, meinen Großvater umzubringen, Ich bin der andere und Der Haifischmann sowie die Literaturquickies Gold im Gebirge und Vorlieben.
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Neuausgabe Oktober 2015
Copyright © der Originalausgabe 2000 Europäische Verlagsanstalt/Rotbuch Verlag, Hamburg
Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de
Titelbildabbildung: Thinkstockphoto/Dennis Vdw
E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-273-9
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Gunter Gerlach
Kortison
Roman
dotbooks.
Bei meiner Geburt lag mein Immunglobulin-E-Spiegel weit über der Norm. Jedenfalls nehme ich das an. Die Ärzte haben es vor fünfundvierzig Jahren versäumt, mein Blut daraufhin zu untersuchen. Falls sie das damals schon konnten. Hätten sie es getan, wäre die Katastrophe meines Lebens vorhersehbar gewesen.
Mein Kopf schmerzte, und ich starrte auf die stumpfe Metallfolie, mit der ich mein Schlafzimmer tapeziert habe, um es staubfrei halten zu können. Ich habe den Trick aus einer amerikanischen Zeitschrift. Ein Bericht über die Wohnungen von Allergikern. Ich horchte auf meine Bronchien. Mein Atem pfiff ein leises Lied. Ich holte tief Luft, und ein primitives Orchester versammelte sich in meiner Luftröhre. Die Musiker stimmten ihre Instrumente, strichen, bliesen, zupften, bemühten sich redlich um Harmonie und Zusammenspiel, aber unter der rauhen Regie des Luftzuges meiner Lungen konnte nichts gelingen. Ich versuchte die archaische Melodie, die mich seit Jahren immer wieder begleitet, durch Husten und ausgedehntes Räuspern zu unterbrechen. Es brachte nichts. Schließlich stand ich auf, stellte den Luftreiniger auf volle Touren – nachts macht er mir zu viel Lärm – und wankte röchelnd ins Badezimmer. Ich betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Es gab die ersten Anzeichen für einen neuen Anfall. Die Nase hatte sich gerötet, war großporig geworden. Dann untersuchte ich meinen Körper. Nur die rechte Armbeuge war grau und rauh. Der Hautausschlag hatte sich vergrößert – war auf dem Weg zum Hals. Aber vielleicht konnte ich die Spritze doch noch hinauszögern. Ich schob die Lider meines rechten Auges auseinander, betrachtete die roten Äderchen auf dem Augapfel, hob das Lid und begutachtete die gerötete Schleimhaut. Es stand schlecht um mich.
Ich öffnete den Badezimmerschrank und sortierte das Außenlager der Pharmaindustrie. Mein Kortisonvorrat war ziemlich am Ende. Noch drei Spritzen. Es war höchste Zeit, einen Arzt zu finden, der mich noch nicht kannte. Sonst blieb nur noch mein Freund Molotow. Er wußte, bei wem man sich das Zeug ohne Rezept besorgen konnte. Ich zahle gut, und manchem ist es genug Anreiz, dafür in eine Arztpraxis oder in eine Apotheke einzubrechen, wenn es nicht allzu schwierig ist oder keine anderen Aufträge vorliegen. Aber wofür ich mich auch entschied, ich mußte das Haus verlassen, und das war nur möglich, wenn ich meinen Abwehrkräften die Kraft raubte.
Ich drückte das Kortison in die linke Armvene, und sofort ging es mir besser. Das Zeug macht einfach mehr mit mir, als nur mein Immunsystem außer Gefecht zu setzen, es erzeugt, zumindest am Anfang, auch eine leichte Euphorie.
Ich übertönte die Melodie meiner Bronchien mit einer gepfiffenen Melodie aus »Carmen«, ging in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. Ja, ich weiß, Kaffee gehört möglicherweise zu den Allergenen, die meinen Organismus in Aufruhr versetzen, aber es war mir egal.
Ich duschte und behandelte den Hautausschlag mit einer kortisonhaltigen Creme. Dann genoß ich den Kaffee mit viel Zucker, den mir jeder Arzt verbietet, und fühlte mich unsterblich. Warum sollte ich kleine Gauner unterstützen, um mir Kortison zu besorgen. Ich war so gut drauf, daß es mir gelingen würde, einen Arzt zu überzeugen. Es mußte nur einer sein, der mich noch nicht kannte. Ich griff zum Telefon. Zuerst meldete sich Gerds Anrufbeantworter, aber dann schaltete er sich direkt ein. Er ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Weißt du, wie spät es ist? Sieben Uhr morgens! Verdammt noch mal, es ist mitten in der Nacht. Bist du das, Bartzsch?
»Du hättest nicht rangehen müssen.«
»Was willst du? «
Ich kenne Gerd aus meiner Allergikergruppe. Wir versuchten uns damals gegenseitig bei einer Diät zu unterstützen. Es funktionierte nicht.
»Du weißt, ich habe schon eine Menge Ärzte durch. Kannst du mir noch einen Tip geben. Ich brauche einen, der freizügig mit Kortison umgeht.«
»Ach du Scheiße. Muß das sein? Ruf mich heute nachmittag wieder an.«
»Komm schon, du kennst dich doch aus.«
»Gut, ich habe einen. Nur werde ich ihn anschließend anzeigen, bei der Ärztekammer.«
»Sag seinen Namen, und du kannst dich wieder hinlegen.«
»Das Arschloch heißt Bauer. Wilfried Bauer, Gute Nacht.«
Neurodermitis habe ich mein ganzes Leben lang gehabt, aber vor sechs Jahren war noch etwas anderes ausgebrochen. Über Nacht. Rote Quaddeln hatten sich über den ganzen Körper ausgebreitet. Und meine Lunge röchelte mit der Sirene des Krankenwagens um die Wette. Ich bekam meine erste Kortisonspritze. Sie hielt nicht lange vor. Zwei Jahre wehrte sich mein Körper erfolgreich gegen alle Therapieversuche, dann war ich Frührentner. Ein Allergietest erbrachte, daß ich auf rund ein Dutzend Stoffe hyperallergisch regierte. Meine Haut verwandelte sich in eine rissige, entzündete Schweineschwarte. Ich war niemandem mehr zuzumuten.
Heute habe ich die Sache einigermaßen im Griff, und meine Geliebte heißt Kortison. Klar, sie ist eine gefährliche Freundin. Eines Tages wird sie mich ebenso umbringen wie meinen Freund Gerd. Aber was hat im Leben keine Nebenwirkungen?
Ich suchte die Nummer von Dr. Bauer aus dem Telefonbuch heraus und erwartete, in ein paar Tagen einen Termin zu bekommen. Ich bekam ihn am selben Nachmittag, ohne daß die Sprechstundenhilfe mich nach meinen Beschwerden gefragt hatte. Ärzte, die großzügig mit Medikamenten um sich werfen, haben entweder zuviel oder zuwenig Patienten. Ich kannte mal einen, der spielte in seinem Sprechzimmer ununterbrochen Akkordeon, während die Arzthelferin in die vorbereiteten Rezeptblöcke die Namen der Medikamente schrieb, die ihr die Patienten angaben. Ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen. Eines Tages war die Praxis plötzlich geschlossen, der Arzt unauffindbar. Auf einem Foto in der Morgenpost sah ich ihn zum ersten Mal. Man hatte ihn in Südamerika entdeckt. Ich nehme an, er ist immer noch in Brasilien, sitzt auf der Veranda seiner Villa, spielt Akkordeon und hat ein kühles Getränk neben sich. Und es geht ihm gut. Dr. Bauers Praxis lag in Altona, und ich brauchte fast eine Stunde von Wandsbek aus. Erst der Bus, dann die U-Bahn, schließlich die S-Bahn und ein kurzer Fußmarsch. Hamburgs Verkehrssysteme sind in der Regel gut und teuer, bei Querverbindungen nur noch teuer. Mit einem Wagen hätte ich es in der halben Zeit geschafft. Nach meiner Pensionierung hatte ich mir ein Auto gekauft. Ich konnte mich mit meinem Pizzagesicht in keinem öffentlichen Verkehrsmittel zeigen. Kaum saß ich in dem neuen Wagen, bekam ich einen Anfall. Ich ließ ihn in der Trockenkammer einer Lackiererei ausdünsten. Es brachte nichts. Irgend etwas steckte in den Polstern und Kunststoffteilen und versetzte meine Abwehrzellen in höchste Alarmstufe. Ich mußte den Wagen verkaufen. Wenn ich heute ein Auto brauche, rufe ich Molotow an. Er verschafft mir dann einen dreißig, vierzig Jahre alten Oldtimer. Garantiert ohne Konservierungsstoffe.
Die Arzthelferin gefiel mir. Ich mag den männlichen Typ, ohne ausgeprägte weibliche Formen. Sie hatte die glasklaren blauen Augen von Paul Newman und das Lächeln von Rita Tushingham, als sie noch jung war. Der Film war eine fehlerlose Kopie, ohne Flimmern, Streifen und Regen, dazu noch im 3-D-Verfahren. Und ich spielte mit. Wie konnte ich meine Nebenrolle ablegen und in die Person des Helden schlüpfen, der am Schluß die Krankenschwester bekam? Vielleicht sollte ich die Regie übernehmen? Ich versuchte es mit dem Hundeblick.
»Ich brauche eigentlich nur ein Medikament.«
Ich gab ihr den Krankenschein. Sie entzifferte den Namen.
Bartzsch?
» Ja, wie der Kindermörder, nur mit z. Aber keine Sorge, ich bin harmlos.« Ich hoffte, ihr Lächeln würde noch einmal hervorkommen, aber sie gab sich gleichgültig und sah in ihren Terminkalender. »Sie sind der nächste Patient.«
»Ich habe es nicht eilig. Würden Sie für mich noch einmal lächeln?«
Sie hob erstaunt den Kopf, dann lächelte sie.
»Sie können ins Wartezimmer gehen.« Ihre Hand zeigte auf eine Tür, das Lächeln blieb.
»Sehr hübsch. Danke.«
Ich war allein im Wartezimmer mit den üblichen Plastikstühlen, halbvertrockneten Pflanzen und alten Zeitschriften. Es dauerte zwanzig Minuten, dann hörte ich sie mehrmals ängstlich Dr. Bauers Namen rufen. Der Ton alarmierte mich. Ich ging hinaus. Sie hatte die äußere Doppeltür zum Sprechzimmer geöffnet und stemmte sich mit dem Körpergewicht gegen die zweite Tür.
»Helfen Sie mir! «
»Was ist los?«
»Ich weiß nicht. Er antwortet nicht. Ich fürchte ... «
»Gibt es keinen anderen Zugang? «
»Oh doch, ja.« Sie rannte davon.
Ich warf mich gegen die Tür, und es gelang mir, das Gewicht dahinter so weit wegzuschieben, daß ich meinen Kopf in den Raum stecken konnte.
Zu meinen Füßen lag der leblose Dr. Bauer. Das Bild, das er mir bot, kannte ich nur allzugut.
Das Frühstück im Freien gehört für die meisten Menschen zu einer erstrebenswerten Lebensform. Für manche kann es tödlich sein. Und ich habe das dazugehörige Bild nie vergessen können: die leuchtend roten Marmeladenbrote auf den weißgedeckten Tischen vor dem Landschulheim. Es war meine erste Klassenfahrt. Und natürlich hatte die Lehrerin gleich am ersten Morgen die Tische draußen vor dem Haus decken lassen. Wir stürzten uns auf die Brote und den Malzkaffee, blinzelten in die Sonnenstrahlen, und unsere Herzen hüpften in Erwartung der Abenteuer, die Neunjährige in der Holsteinischen Schweiz reichlich erleben können. Aber auch die Wespen entdeckten begierig unsere Marmeladenbrote. Der schmächtige Junge mit den schwarzen Augenrändern und der blassen, fast durchsichtigen Haut schrie. Eine Wespe hatte ihn gestochen. Wir lachten, und dann wurden wir stumm. Es dauerte keine fünf Minuten, und er war tot.
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