Krähe und Nachtigall - Norman Liebold - E-Book

Krähe und Nachtigall E-Book

Norman Liebold

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Beschreibung

Ein Barde ist immer in der Welt, und seine Geschichten sind die Welt. Und wenn seine Zeit gekommen ist, reitet er auf einem Lichtstrahl zum Mond, um dort mit seinen Geschichten den großen Spiegel zu vervollständigen. Der jetzige Barde aber hat einen Nachfolger, der seine Aufgabe nicht begreift, und schon gestorben kann er nicht zum Mond aufsteigen. Er schickt Botschaften zu seinem Nachfolger, die ihm ihre Lebensgeschichten erzählen und in ihm langsam die Erkenntnis seines Schicksales reifen lassen – bis er zuletzt dem Alten Barden begegnet, schon halbverwest und voller Geschichten, die er auf sich nehmen muss, um ihm endlich seinen Frieden zu schenken. Ein ganz besonderes Märchenbuch voller Zauber und Geschichten, das in und um Siegburg spielt. Enthaltene Geschichten: Die Insel im See Der Beduine Der Wassermann Der Wächter der Zeit Der Drachenpriester Der Tote Barde (mit folgenden kleinen Märchen: „In des Gottes Ei“, „Zwei Lämmer im Wolfspelz“, „Zwei Schwestern“, „Der Argonautische Goldvließraub“, „Die Sage vom ewig kämpfenden Ritter“, „Der Ast vom Baum des Lebens“, „Die Ballade von Nadir“ und „Von Elfen und Häusern“)

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Norman Liebold

Krähe und Nachtigall

Nâhtegals Siegburg-Buch

mit Illustrationen von Norman Liebold

AMATOR VERITAS

Digitale Version der Erstausgabe 2010.

Amator Veritas Buch Nr. I
Titelfoto: Anke Böser.
Covergestaltung von N.Liebold.
Illustrationen von Katharina Theine, Maxim Spektor, Norman Liebold.
Copyright © 2010
Norman Liebold und Amator Veritas Verlag, Hennef.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und elektronische Medien, sowie der Übersetzung auch einzelner Teile.

Die Insel im See

Die Krähe war der Anfang vom Ende.

Sie saß auf einem Ast, in den Bergen um Egigir, saß dort und schaute mich an mit schief gelegtem Schädel. Ihre Augen waren schwarz wie poliertes Glas, und es war mehr darin, als in Vogelaugen sein darf. Sie schauten und schienen mich auszulachen.

Als ich den Stein vom Boden nahm und ausholte, ihn nach ihr zu werfen, begann es. Der Vogel machte einen geruhsamen Schritt zur Seite, und der Stein flog an ihm vorüber, das Gefieder gerade streifend. Er krächzte - es war ein Lachen, dessen bin ich mir gewiss. Als er aufflog, mit den Flügeln rauschend, da warf ich ihm einen zweiten Stein nach, einen dritten. Ich lief ihm nach, und kaum dass er sich irgendwo nieder setzte, scheuchte ich ihn auf mit Stein um Stein.

Ich traf ihn nie, und ich warf viele Steine. Ich wunderte mich nicht, dass die Krähe auf mich zu warten schien, blieb ich zurück, wunderte mich nicht, dass sie am Morgen auf dem Baum vor dem Hotel saß und mir entgegen krächzte, wunderte mich nicht, dass sie mich auf dem Schiff begleitete, das mich übers Mittelmeer zurück nach Europa brachte.

Ich verfolgte die Krähe nicht, sie führte mich. Aber das weiß ich heute, damals war nur Zorn gegen den Vogel in mir und der Wille, sie zu verfolgen bis ans Ende der Welt.

Wir - die Krähe und ich - durchquerten Griechenland, Italien, die Alpen und kamen nach Deutschland zurück. Aus einer Krähe wurden zwei, drei, letztlich ein ganzer Schwarm, der ständig mich begleitete, über mir kreiste und auf mich wartete, wenn ich ruhte.

*

Auf der Insel im Edersee war es, dass ich mich zum ersten Mal wunderte.

Spät am Abend kamen der Krähenschwarm und ich am Ufer an. Verfolgte ich noch den Schwarm, oder rannte ich vor ihm weg, wurde verfolgt, getrieben? Steine warf ich schon lang nicht mehr. Oft war nur noch Angst vor den großen, schwarzen Schnäbeln, dass sie auf mich nieder kommen, mich in Stücke zerhacken, und ich floh. Als nur noch Wasser vor mir war, warf ich mich zu Boden, hinter mir das Rauschen und Krächzen des Schwarms. Ich zitterte, ich bangte, schon spürte ich scharfe Krallen, spitze Schnäbel. Aber nur ein Wind von Schwingenschlägen kam und ging über mich hinweg. Die Schatten der Krähen waren über dem See. Und ich - ich fühlte mich verlassen.

Auf einem Eichenbaum der Insel ließen sie sich nieder, ein Vogel um den Anderen, schauten zu mir herüber. Ich zog mich aus, ich stieg ins eisig kalte Novemberwasser. Ich schwamm hinüber, die eine Hand fest um mein Messer gekrallt. Wer diese Schrift hier liest, frage mich nicht um meine Gründe. Der Krähenschwarm zog mich, oder er trieb mich vor sich her, alles aber, um mich irgendwohin zu bringen. Als ich langsam über den scharfen Fels aus dem Wasser kletterte und über mir im Geäst der Eiche die Krähen krächzten, begriff ich dies.

Hier war etwas, hier sollte ich sein. Da war etwas, das hatte mich hierhin geführt. Ich konnte nicht sagen, wer. Ich konnte nicht sagen, warum. Aber ich ahnte es. Lang saß ich unter meinen Krähen ohne Furcht. Die Nacht kam, das silberne Glimmen des Mondes färbte die Wolken. Eine Krähe hob ihre Schwingen, glitt durch die Wipfel der Bäume, und ich ging ihrem Schatten nach.

Die Insel war Fels und Mauerwerk. Altes Mauerwerk, verfallen und unkenntlich geworden im Atem der Zeit. Überwachsen, vielleicht geschleift vor Jahrhunderten schon. In der Mitte der Insel war ein kleiner, freier Platz voll Dornenranken, die über den Boden krochen. Die Krähe saß auf einem Stein.

„Was soll ich hier?“ fuhr ich sie an, doch sie legte nur den Kopf auf die Seite und sah mir entgegen. Durch ein Wolkenfenster schien der Mond, ein Strahl seines Lichtes kam durch die Wipfel der Bäume und tauchte den freien Platz in Helligkeit. Und in der Helligkeit sah ich einen Brunnen, der vorher nicht da gewesen war. Er war alt, und an vielen Stellen waren die in Marmor gehauenen Verzierungen zerbrochen und von Moos und Flechten überwachsen. Rankengestrüpp war daran emporgewachsen, und zwischen den Ranken wanden sich Schlangen, gleichsam aus silbrigem Licht und durchscheinend. Ihre Augen glitzerten schwarz. Ich sah die ausgeblichenen Knochen einer zierlichen Hand, eines Arms, halb Licht, halb Schatten. Gras und Ranken wuchsen durch sie hindurch. Ein Schädel lag dort, eingewachsen in stachelbewehrtes Gestrüpp, an dem weiße Rosen blühten.

Eine Wolke zog vor den Mond, Schatten kroch über die Insel, und als er die kleine Lichtung erreichte, erloschen der Brunnen, der Rosenstrauch und die Gebeine. Es ist schwer zu beschreiben, auch wenn ich später noch oft dergleichen sehen sollte. Der Brunnen, weißmarmorn, stand mannshoch vor mir, ich sah, wie die Moose grünlichsilbern von Tau benetzt jede Wölbung der Ornamente nachzeichneten wie Samt, wie die Rosenblüten an schwärzlichem Dornenast sich entfalteten, leise im Windhauch schwankten, und als wären sie ausgewischt, verschwanden sie, als das Mondlicht hinter der Wolke sich verbarg. Das nächste Wolkenfenster ließ sie wiedererstehen, so wirklich, dass ich sie berühren konnte, und ja, berühren konnte ich sie auch, wenn das Mondlicht, schwindend, sie verschwinden ließ: Sie waren da, das Mondlicht machte sie nur sichtbar.

Ich kniete nieder und nahm den Schädel in die Hand. Er war zierlich und wie gemeißelt. Durch Augen- und Nasenhöhlen wucherten die Ranken des Rosenstrauchs. Mir war, als schauten mich Augen an, grau wie Nebel in der Früh, und eine Stimme schien zu mir zu sprechen. Ich verstand nicht, was sie sagte, es war ein Säuseln wie Wind in herbstlichem Laub.

Die Krähe krächzte.

Und in meiner Hand hielt ich keinen Totenschädel mehr. Es war der Kopf einer jungen Frau. Ihr Haar floss seidig über meine Finger, und ihr Leib ruhte hingestreckt in meinem Arm, als schliefe sie.

„Was geschieht hier?“ entfuhr es mir erstaunt. Das Mädchen öffneten die Augen, nebelgrau waren sie und schauten mich lange an. Für einen Moment wuchsen Fältchen über ihr glattes, jugendliches Gesicht, gruben sich ein, die Haut welkte, warf sich auf, Maden krochen rasend schnell drüber hin, zerfrassen die Wangen, die Haut schälte sich von der Stirn, die Augen versanken in den Höhlen. Und einen Moment, ein Augenblinzeln später, sah ich wieder in das unzerstörte Gesicht eines jungen Mädchens.

„Wer bist Du?“ fragte ich, doch sie legte nur den Finger auf meine Lippen und sprach mit einer Stimme wie Wind im Herbstlaub: „Still! Noch ist es nicht an Dir zu reden! Du wirst noch genug reden, glaube mir! Aber zuerst musst Du mit off‘nem Sinne lauschen!“

Ein Schatten kam über den Himmel hin, die Krähen kreisten über uns, flogen höher und höher hinauf und trieben mit ihren Schwingen die Wolken auseinander, dass der Mond ungehindert zu uns herab scheinen konnte. Ihre Schatten zuckten über Boden, Rosenstrauch und Brunnen und löschten sie für Momente aus, es war, als rissen sich Löcher in die Wirklichkeit. Bald war der Himmel frei von Wolken, hell und bleich wie Gebein schaute der Mond, die Sterne funkelten wie Brillantsplitter auf schwarzem Samt.

Das Mädchen sprach: „Ich bin nicht wirklich hier. Ich bin überall und nirgends. Doch das ist gleich, denn du kannst mich sehen. Das Land, von dem ich erzählen werde, ist nicht das Land, das du hier sehen kannst. Die Insel, von der ich dir erzählen werde, ist nicht die Insel, auf der du jetzt bist. Und ich bin nicht die, für die du mich hältst.

Schweig! Es ist heute an mir zu reden, und ich rede, wie es mir richtig erscheint. Wer zuviel weiß, verfehlt oft den Weg, den er sonst blind gefunden hätte!

Ich will dir meine Geschichte erzählen, die Geschichte der nebeläugichten Prinzessin. Und du wirst mir lauschen. Die Menschen haben verlernt zu lauschen, und mit dem Lauschen verlernten sie das Sehen. Du kannst noch sehen, sonst sähest du mich nicht - also lerne wieder zu lauschen! Schweig, habe ich gesagt und lausche!

Unsere Geschichte handelt in einem Lande, das schon längst unter gesunken ist, von dem vielleicht nicht mehr noch sich dem Auge zeigt als sein höchster Berg. Wenn du also irgendwo in einem großen See, in einer Meeresbucht eine kleine Insel siehst, darauf vielleicht noch die Steine liegen einer alten Feste, dann könnte dies wohl dieser höchste Berg des Landes sein, das unter gesunken ist.

Und wenn du hinüber schwimmst, siehst du vielleicht auch noch die Reste der Straße, die von der Feste einst ins Land hinunter führte, jetzt aber im Wasser verschwindet ohne Sinn und Ziel. Wenn du also dort hinüber schwimmst, vielleicht mir zuliebe, und dich auch vor den Schlangen in Acht nimmst - dieses vor Allem mir zuliebe - dann, wenn du durch die Ruinen wandelst, des Nachts, wenn der Sichelmond darüber hanged, findest du vielleicht im alten Hof, überwuchert, die Reste eines Brunnens; und in dem trockenen Rohre, daraus einst das Wasser sich ergoss, wirst du einen kleinen Stein sehen, daran vorbei sich manchmal ein Tropfen presst.

Und dieser Stein ist es, darum sich unsere Geschichte rankt, die Geschichte, die so weit zurückliegt, dass nichts von ihr erzählt als vielleicht ein vergessenes Lied.

Zu der Zeit, da ich beginnen möchte zu erzählen, begann das Land schon langsam zu versinken. Es war dies eine traurige Welt: Sah man von dem Schlosse rings ins Land, so sah man die Bäume der Wälder kahl und schwarz und Morast war überall. Der ganze Erdkreis schien immerdar unter waberndem Nebel zu liegen, und kaum je drang die Sonne bis zum Boden hindurch. Die Felder wurden nicht mehr bebaut, denn alles war zu Sumpf geworden, und die Menschen waren in andere Gegenden ausgewandert bis auf einige Wenige, die ihre Heimat nicht hatten lassen können.

Nur im Schloss lebten noch die alte Familie des Grafen und sein Gesinde. Sie bebauten die wenigen trockenen Felder auf dem Hügel, lebten von ihrem Ertrage, von der Jagd auch und vom Fischfang.

Man erzählte sich von einer Zeit, wo die Sonne warm und voller Kraft sich über grünende Wälder und fruchtbare Felder verströmte, sprach von Gottes Fluch und ging selten nur aus dem Schloss heraus, denn draußen war nichts als Moor, und das Moor war gefährlich.

Seltsame Tiere, Monster und unheimliche Gestalten hatten sich hier verkrochen, und nicht selten verschlang allein der Morast einen Jäger. Man eilte schnell über den Hof, denn beständig war es kalt ohne Sonne. Ungeziefer flog umher und ein immerwährender Niesel kam herab.

Als es so bestellt war um das Land, das Versinkende, ward der letzte Spross geboren im Geschlechte des Grafen. Dieser Spross, ein Mädchen von zarter Gestalt, wuchs auf in dem alten Schlosse, dessen Mauern salperterwuchernd die Wasser zogen. Sie sah kaum je die Sonne, nur immer Nebel nur, und ihre Augen waren so wie der Nebel selbst. Und wie die Augen des Mädchens wie von Nebel waren, so hieß man es auch: Die Nebeläugichte. Ihr Lieblingsplatz war, trotz des ewigen Niesels, trotz des feuchtkalten Windes und trotz des immer verhangenen Himmels kein anderer als der Hof, der, von Arkaden umgeben, in seiner Mitte einen Brunnen hatte.

Dieser Brunnen nun, derselbe, den du vielleicht gesehen hast, als du in den See oder die Meeresbucht hinaus geschwommen zu der kleinen Insel kamst, war lang schon versiegt. Sein Becken war zwar immer gefüllt mit Wasser, darin die riesenhaften Mücken und Bremsen ihre Larven zogen, doch es kam nicht aus dem Brunnen, sondern von dem Niesel des Nebels und auch von den oftmals niedergehenden Regenschauern. Das Kind saß oft auf des Brunnens Rand, schaute den Zucklarven zu, wie sie sich drinnen bewegten oder auch den wenigen Tropfen, die sich aus der Mündung der Quelle pressten, vorbei an dem Kiesel, der darinnen stak.

Einmal auch, als niemand hinschaute, stocherte es mit einem Stabe in der Öffnung und hebelte den Kiesel heraus. Kaum aber hielt es ihn in der Hand, da hörte es ein Rumoren tief drunten im Berge, und rings aus dem Moore tönte Schmatzen und Grunzen, ja der ganze Boden schien zu zittern, dass ihr ganz ängstlich zumute wurde.

Und als plötzlich aus grad jener Öffnung ein schlammigbraunes Wasser zu quellen begann, zuerst wenig nur, dann immer mehr, das Zittern im Berg, das Schmatzen rings im endlosen Moor zu nahm, da stopfte es voller Angst den Stein wieder dorthin, woher er genommen war und rannte fort, um in einer Arkade versteckt den Kopf in den Armen zu bergen.

Das Schmatzen und Grunzen im Sumpf verebbte, das Zittern im Berg verschwand, doch seither getraute sich das Mädchen kaum mehr, an den Rand des Brunnens heranzutreten.

Die Nebeläugichte las sehr viel zu dieser Zeit. Die Bibliothek, obgleich schon feucht und angeschimmelt mit modrigem Geruch, war reich bestückt. Viel Minnesänger-Weisen, alte Lieder, Heldensagen und auch, nicht weniger - in dunklen, todgeweihten Landen ist der Drang dorthin sehr stark - Philosophisches und Schriften der Religion. So lebte das Mädchen bald mehr in jenen Landen als in der wirklichen Welt, und man soll es drum nicht schelten: Hier war nicht gut zu leben, und auch war es ihr verboten, aus dem Schloss zu gehen, denn von Tag zu Tag kamen mehr Nachrichten herein von verschollenen Jägern und von Monstren, die das Moor behausten.

So gingen die Jahre ins Land. Blass ohne Sonne und doch von jugendlicher Lebenskraft erfüllt saß die Nebeläugichte in den Arkaden, schaute hin zum Brunnen, der sie mit unwiderstehlicher Kraft anzog und grad darum auch ihr Angst einflößte. Sie las in ihren Büchern und spielte auf der Mandoline ihres Vaters. Das Instrument war, wie alles, von Klammheit durchzogen und verstimmt. Traurig klang es, doch die Nebeläugichte vermochte - als Einzige - wunderbar zarte Töne daraus hervor zu zaubern und Melodeien zu spinnen. Fünfzehn Lenze war sie inzwischen alt und unter knospenden Brüsten schlug ein sehnsüchtiges Herz.

In dieser Zeit mag es wohl gewesen sein, da vom Turme her ein Fanfarenstoß erklang. Das war seit Jahren nicht geschehen, denn dieser Fanfarenstoß ist ein altes Signal, das zur Begrüßung von Fremden geblasen wird, die sich dem Herrensitze nähern. Und es war vergessene Zeiten her, dass jemand sich verirrt hatte in die Nebel und zum versinkenden Land.

Die Nebeläugichte, aufgeschreckt von dem Signal, davon sie schon viel hatte erzählen hören, versteckte sich hin den Arkaden und schaute hin zum Tore, das sich langsam öffnete. Vielleicht, dachte sie, käme ein stolzer Ritter in glänzender Rüstung daher geritten, ein Königssohn auf weißem Pferde mit der Sonne auf dem Banner, um grad bei ihr inne zu halten, den Arm hinab zu reichen, den sie, schüchtern natürlich, nehmen würde, um von ihm hinauf auf sein Pferd gezogen zu werden. Und dann würde er sie mitnehmen in sein Land, wo immer die Sonne schien.

Aber durch das Tor kam niemand geritten, es kam jemand zu Fuß hindurch, mit einem großen Wurzelstabe. Er trug einen grauen Mantel gegen den Regen und bis an die Beinkleider hinauf war er mit Schlamm bedeckt. Er hatte einen festen Schritt und eingetreten schlug er die Kapuze zurück und schaute sich um. Er hatte ein trauriges Gesicht, zwar scharf geschnitten und mit hellen, klaren Augen, doch es lag ein Ausdruck darin, der schwer war und düster.

Von seiner Schulter herab hing ein Futteral, von einer Harfe vielleicht, und seine Schritte lenkten nicht zu dem scheu äugenden Mädchen hin, sondern grad dem Hause zu, darin der Graf wohnte mit seinem Weibe und dem Reste seines Gesindes.

Und erst am nächsten Tage sollte man ihn wieder im Hofe sehen, und von da an war er fast jeden Tag dort, bis zu jenem Tage, da er wieder durch das Tor in den Sumpf hinaus schreiten sollte.

Nun trug es sich zu, dass unser junges Mädchen ein sehr verstecktes Leben führte in dieser Zeit. Denn keine fremden Menschen gewohnt, und auch von einer gewissen Scheu erfüllt gegenüber dem Manne, getraute es sich nicht wie sonst seinen Lebtag im Hofe zu verbringen, in den Arkaden sitzend und die Mandoline spielend.

Aber sowohl durch seine Verbundenheit dem Schlosshofe gegenüber, wie auch von dem Fremden seltsam angezogen - grad wie von dem alten Brunnen - trieb es das Mädchen immer wieder dort hin. Es schlich den alten Geheimgang hinab, der durch den Kamin seines Zimmers in eine Nische am Ende des Kreuzganges führte. Die Nische war versteckt und dem Auge verborgen durch einen Gobelin, und hinein gelangt äugte das Mädchen in den Hof, huschte von Säule zu Säule, um unsichtbar den Fremden zu beschauen.

Der saß einen großen Teil des Tages drunten im Hof, schrieb in ein Buch oder zupfte auf seiner Harfe verträumte Melodien. Manchmal schaute er hoch, als habe er ein Geräusch gehört und blickte mit hellen, durchdringenden Augen grad zu der Säule hin, dahinter die Nebeläugichte stand. Sie zuckte dann zurück und stand mit enger Brust und klopfendem Herzen an den kühlen Stein gepresst, um erst nach einer ganzen Weile wieder hervor zu äugen.

Und der Fremde saß mit einem seltsam Lächeln dort, einem Lächeln, das ihr Herz noch ärger klopfen machen wollte. Es schien, als lächelte er über sie, wüsste drum, dass sie hinter der Säule stand mit klopfendem Herzen. Und so schlich sie zurück in die Nische, drückte den Stein im Auge des Daimons, der die geheime Tür aufspringen ließ und den Weg zur Treppe frei gab. Und sie eilte ihn hinauf und blieb in ihrem Zimmer bis zum Einbruch der Nacht.

Wenn es aber finster geworden war, schlich sie wieder hinab, setzte sich mit einer Kerze in den Kreuzgang und spielte bis zum Grauen des Morgens die Mandoline.

So also war die Zeit, als der Fremde auf dem Schlosse weilte im Nebelland. Und einmal geschah es so: Als die Nebeläugichte des Tags hinter der Säule verborgen den Fremden beschaute, dieser plötzlich den Blick von der Harfe hob, geradewegs hinein blickte in ihre Nebelaugen, sie vor Schreck ganz vergaß fortzulaufen, in diesen Augen hing und ihr das Herze bis zum Halse hüpfte. Als ihr war, als sei sie angewurzelt und der Fremde ihr geradewegs ins Angesicht lachte, da spürte sie, wie ihr das Blut in die Wangen sprang, ihr Gesicht glühte und sie riß sich los und lief so schnell wie noch nie den Gang hinunter.

Lang stand sie mit klopfendem Herze in der Nische, den seltsamen Drang verspürend, zurück zu gehen. Zu ängstlich aber drückte sie den Stein im Auge des Daimons, eilte die Treppe hinauf, warf sich auf ihr Bett und blieb den ganzen Tag dort liegen, um erst mit der Nacht wieder hinunter zu schleichen. Und als sie so, mit wieder klopfendem Herzen, aus der Nische trat, durch den Gang schritt und in den Hof sah, da erschrak sie, denn dort saß der Fremde.

Sie konnte sein Gesicht sehen, der Schein aus einem Fenster fiel bleich darauf, aber die Augen lagen im Dunkel. Und vielleicht sah der Fremde vor sich hin, vielleicht auch schaute er gerade zu ihr, der Nebeläugichten, im Nachtgewande, die Kerze in der Hand, im Kreuzgange stehend wie eine Säule von Salz.

Ihr war es, als müsste der ganze Hof widerhallen vom Schlagen ihres Herzens, und wie sie da stand, griff der Fremde nach seiner Harfe und schlug eine traurigschöne Melodie darauf an. Er erhob seine Stimme und begann zu singen, und seine Stimme machte das Mädchen schaudern, wie sie durch die Arkaden sich schlang und widerhallte. Es war, als wäre sie in einen Fluss gefallen und würde fort getragen.

Es gibt, hinter den Hügeln dort, Ein vergess‘nes Land, Von dem zu singen Mein Herz mich drängt.

Nebel wallen immer dort Von Dämmerung zu Dämmerung, Und es heißt, dass Gespenster in den Nebeln wandeln Am Tage und auch bei Nacht.

Ein verwunsch‘nes Schloss steht, Umgeben von des Nebels Wallen, In des Landes weitem Lauf, Und rings das Auge blickt Nur auf schwarzen Sumpfes Dämpfe.

Das hohe Schloss, Eine fels‘ge Insel im Morast, Wird bewohnt vom traur‘gen Fürst, Der, wie sein ganzes Volk, Noch nie die Sonne sehen durft.

Denn nur manchmal, in selt‘nen Zeiten, Wenn des Nebels Wogen, Die Welt nicht ganz verschlucken, Sieht der Hof des traur‘gen Fürsten Eine blasse Scheib am Himmel steh‘n.

Und ebenso blass stielt sich dann Ein Lächeln in gespenstergleiche Angesichter, Und vielleicht hält man kurz inne, Die Schultern angezogen und vor Kälte zitternd, Um zu des Schlosses Zinnen emporzuschau‘n.

Doch nur selten scheint durch den Nebel Die blasse Scheib der Lebensspenderin, Und Tag um Tag lebt man im Nassen: Kaum hat je einer das Schloss verlassen, Denn draußen wartet nichts als Moor und Tod.

Doch wäre da ein Mutiger, Der es wagte, vor die Tür zu geh‘n Und sich nach Osten hin zu wenden, Zwei Tage durch den Sumpf zu waten, Er würd den Grund für alles seh‘n!

Denn wenn er zwei Tage lang Sich allein durch den Morast geschleppt, Wird er, erstaunt, ein Mauerwerk erblicken, Von Moos überwuchert im Moore thronend, Zwischen toter Bäume schwarzem Fingerzeig.

Vor Jahrhunderten ergoss sich hier Einer klaren Quelle heit‘rer Strahl In ein weißes Marmorbecken, und Es war dies der Nymphen liebstes Stelldichein.

Durch hoher Bäume rauschend Blätterdach Brach güld‘nes Sonnenlicht und strahlte In tausendfarb‘nen Regenbögen, Wenn es in der Waldesquell heit‘rem Strahl Mit sonniger Lebensfreude ein Bad sich gönnte.

Der Fürst, Ahn des Traurigen, Kam hier vorbei, und sein Herz ging auf, Als er die Nymphen fröhlich baden sah. Er selbst nahm hier ein Bad, Und selten hat man glücklicher ihn geseh‘n.

Doch aus irgendeinem Grunde, Vielleicht könnte man ihn ja verstehn, Sah er dem Wasserstrahl mit Sorgen zu, Wie er so ungestüm und voller Kraft In des weißen Beckens Marmor sich ergoss.

Wohl sagt er sich, Was, wenn er sich bald erschöpft Und nach wen‘gen Wochen schon Ganz und gar verbraucht? Gar zu schad wär‘s um diesen schönen Platz!

Zu seinen stärksten Rittern sprach er so: He, ihr! Kommt her, und nehmt diesen Fels, Um ihn in die Öffnung hier zu klemmen! Des Wassers Strahl wird so gehemmt, Sich arg zu schnell dann auszuschöpfen!

Und in dem Glauben, Ein gutes Werk getan zu haben, Ritt er zu seinem Schloss zurück Und gab ein großes Fest Zu Ehren des wunderschönen Nymphenquell.

Durch den Fels in seinem Lauf Staute sich das klare Wasser Und durchdrang schon bald Den Boden rings umher, dass zu schwarzem Morast er wurde.

Und dieses Moor nahm schnell an Größe zu, Denn stark war des Wassers Drang Und unerschöpflich seine Quellen. Der Bäume Wurzeln faulten in der nassen Erde, Und tot und kahl ragten sie denn auf.

Vergessen ward die Quell im Walde. Das Moor wuchs von Tag zu Tag, Man sagt, nach zwanzig Jahren Verschluckte es schon die ersten Dörfer Nach hundertfünfzig dann des Schlosses Straßen.

Und auch jetzt noch, höret wohl! Wächst der Sumpf von Tag zu Tag. Und seht, schon steh‘n dort auf den Hügelspitze Toter Bäume Fingerzeigen!

Als der Fremde sein Lied geendet hatte, legte er seine Harfe beiseite und saß wieder still, und die Nebeläugichte wusste nicht: Schaut er mich an, oder schaut er nur vor sich hin? Sang er vielleicht das Lied für mich? Und wie sie hinschaute zu seinem ernsten Gesicht, da bekam sie mehr und mehr Angst, er könnte die ganze Zeit so ernst zu ihr hinschauen, die ganze Zeit grad in ihre Augen.

Ihr Herz begann zu klopfen, als wollte es ihre Brust zerreißen, und als sie es nicht mehr aushielt, da rannte sie mit enger Brust hin zu der Nische am Ende des Kreuzganges, stand atemlos dort und verwirrt drückte sie den Stein im Auge des Daimons und stieg in ihr Zimmer hinauf, warf sich auf das Bett und konnte die ganze Nacht nicht schlafen.

Sie sah das bleiche, ernste Gesicht des Fremden vor sich im Dunkeln schweben und hörte das Lied in sich tönen. Es wollte nicht weichen, und als Morpheus schließlich seine Arme ausbreitete und die Nebeläugichte an seine Brust nahm, sie in den Dämmer und in den Schlaf hinüber schwebte, da träumte sie, wie ihr Ahne aus dem großen Bild in der Galerie stieg, sie rief und sagte, sie solle ihm folgen.

Sie folgte ihm, und er ging in langen grauem Mantel und Kapuze, Wurzelstock in der Rechten, vor ihr her aus dem Schloss und in den Sumpf hinein, immer fort gen Osten, bis sie, durch Morast watend, an ein marmornes Becken kamen.

Und in dem Rohre, daraus einstens wohl das Nass sich ergossen, war ein Fels hinein gerammt, groß wie sie selbst, und der Ahn sprach: Diesen musst du fortnehmen! Und sie nahm ihn fort, und ein heller Strahl sprang daraus hervor und rings das Moor schwand, die toten Bäume grünten, die Nebel lösten sich auf und die Sonne brach hindurch und schien in das Gesicht des Mädchens.

Da wachte sie auf. Es war schon hell, so hell zumindest, wie es hier hell werden konnte, und noch im Nachtgewande lief sie hinab in den Hof, um den Fremden zu suchen.

Die Nebeläugichte wollte ihn fragen, wo dieser Nymphenquell denn liege, aber als sie mit wehendem Haar und baren Fußes in den Hof gekommen, da war kein Fremder dort. Das Mädchen war verwirrt und blickte sich um, denn immer war er da gewesen um diese Zeit.

Sie suchte im ganzen Schloss, und wie sie ihn nicht fand, da lief sie zum Vater und dieser, seine Tochter in dem seltsamen Aufzuge betrachtend, mit wirren Haaren und Verzweiflung im Gesicht, fragte, was denn sei. Die Nebeläugichte fragte: Wo ist der Fremde? und der Vater, mit gerunzelter Stirne und zweifelndem Blick, sagte, der sei früh am Morgen schon seiner Wege gegangen.

Da rannte das Mädchen, es wusste selbst nicht recht warum, einfach fort und immer fort. Seine Brust wollte bersten, und es rannte und rannte, rannte mit Tränen auf den Wangen, und als es ganz erschöpft war und nieder fiel, fand es sich mitten im Sumpfe wieder, auf einer kleinen Insel, und dort schlief es ein.

Und wie es schlief, da träumte ihm wieder von dem Nymphenquell im Moor. Und der Fremde saß auf dem Rand des marmornen Beckens und lächelte ihm zu. Da wachte es auf und es war dunkel ringsum, der Schlamm schmatzte, irgendwo heulte ein hungriges Ungeheuer, ein Käuzchen schrie, und überall im toten Gehölz bewegte es sich.

Das Schloss stand hell und mit Licht in seiner Fenstern fernab, und fast ohnmächtig vor Angst schaute sie nicht mehr rechts, nicht mehr links, hielt sich die Ohren zu und rannte immer nur auf das Schloss zu, raffte sich, in den Schlamm hingefallen, schnell wieder auf und kam aus dem Sumpf und die Straße zum Schloss hinauf und rannte grad in des Vaters Arme, die sie auffingen und an sich drückten. Sie hörte den starken, dunklen Schlag seines Herzens, seine raue Stimme, die beruhigend sprach und alles wurde dunkel um die Nebeläugichte und warm und sicher und der Schlaf kam und nahm sie in seine Arme.

Sie schlief sehr lang, einige Tage ohne aufzuwachen, und es träumte ihr vom Nymphenquell und wie die Sonne wieder schien über wogenden Meeren reifer Ähren, golden unter dem Wind. Sie träumte von grünen Wiesen und blühenden Bäumen, vom Rauschen der Wälder in der Nacht. Von einem Hügel träumte sie, der war mit Gras bewachsen und auf seiner Höhe stand ein uralter Baum, so stark, dass wohl ein Dutzend Arme ihn nicht umfassen konnten. Mächtig breitete er seine Äste aus und spendete Schatten unter der Mittagssonne, und drunter, an den Stamm gelehnt, saß der Fremde mit ihrer Mandoline und spielte darauf ein Liebeslied für sie, die Nebeläugichte, das sang von Nebel. Aber nur, weil die Farbe ihrer Augen die von Nebel war.

Erwachend hörte sie jemanden singen, ganz nah bei sich, mit rauer, ungeübter Kehle, der sang von ihren Nebelaugen und von der Angst, dass sie nie wieder sich öffnen würden. Da schlug sie die Augen auf und sah ihres Vaters Gesicht, und seine Augen, die waren von verwaschenem Blau und voller Sorge. Als sie aber sahen, dass sie erwacht, da ging in ihnen ein Licht auf wie die Sonne hervor bricht nach einem Unwetter.

Hast Du etwas Schönes geträumt? so fragte der Vater die Tochter, und sie nickte, ein wenig schwach noch, und erzählte von dem Nymphenquell und dem Stein darin und von dem fremdem Sänger und seinem Lied, und wie sie den Stein aus dem Rohr genommen und das Wasser hellauf gesprudelt war und die Sonne wieder schien, die Bäume wieder grünten, und sie sah, wie eine Träne war in des Vaters Auge.

Er griff in seinen Wams und holte ein Pergament hervor und gab es ihr. Aufgefaltet zeigte sich eine schöne Kalligraphie und ein Bild von ihr, und der Vater sprach, das hätte der Fremde für sie abgegeben, als er ging. Es war das Lied vom Nymphenquell, und der Fremde hätte erzählt, er habe es für sie geschrieben, die hier in den Nebeln wohnen musste, und ihr hätte er es auch zum ersten Male vorgesungen.

Gibt es diesen Nymphenquell? fragte die Tochter, aber der Vater schüttelte nur den Kopf. Niemand weiß, so erzählte er,warum das Land versinkt. Unsere Ahnen lebten noch in einer Zeit, da schien die Sonne und die Wälder waren grün und die Felder wie Gold vom Korn. Und eines Tages, so erzählt man, versiegte plötzlich der Brunnen im Schlosshof, die ersten Nebel stiegen auf. Dann starben, zuerst in den Tälern, die Bäume. Morast quoll überall aus dem Boden, füllte zuerst die Niederungen, kroch dann immer höher, bis der Berg, auf dem unser Schloss liegt, zur Insel im Moor geworden war.

Dann hat der Sänger gelogen? fragte die Nebeläugichte, und der Schloßherr antwortete: Die Sänger lügen niemals, ganz einfach, weil sie niemals die Wahrheit sprechen. Sie schreiben und singen, und was sie schreiben und singen, das ist etwas anderes als die Welt. Es sind Geschichten, Bilder, Träume, Symbole. Und wer sie für wahr nimmt, der wird sein ganzes Leben nach etwas suchen, was es nie gegeben hat.

Das Mädchen, geschwächt noch, wurde sehr traurig und die Müdigkeit ließ ihm die Lider wieder schwer werden, und vom Vater durchs Haar gestrichen, schlief es bald schon wieder ein.

Aber als die Nebeläugichte am nächsten Tage aufwachte, las sie wieder und immer wieder das Pergament, nahm ihre Mandoline und sang das Lied, wie sie es gehört hatte drunten im Hofe, sang es dem Brunnen vor und dem Nebel. Alle ihre Kraft legte sie hinein, doch der Brunnen blieb versiegt, und der Nebel teilte sich nicht, um die Sonne scheinen zu lassen. Nach einigen Tagen ging sie hin zum Vater und sprach: Ich kann nicht länger hier bleiben! Ich sehne mich nach der Sonne, sehne mich nach grünen Wiesen, nach Feldern wie Gold, nach Wärme. Vater, ich kann nicht warten, bis das Land und das Schloss von Schlamm verschluckt sein werden!

Der Vater saß vorm Kamine und schaute in die Flammen und sah sehr nachdenklich aus. Dann sprach er: Ich habe oft darüber nachgedacht, meine Tochter. Das Schloss ist schon seit Jahren mehr ein Geisternest als eine Heimstatt. Bis auf einige Getreuen sind alle gegangen oder an dem Fieber gestorben, das aus dem Sumpf kommt. Es ist mir so schrecklich, daran zu denken, dass du dein ganzes Leben in dunstigem Dämmer leben musst, umgeben von nichts als Schlamm, von Ungeheuern und kalter Nässe. Wenn ich gestorben sein werde, bist du ganz allein. Und einsam wirst du zuschauen müssen, wie alles Meter um Meter im Schlamm versinkt. Und wenn ich daran denke, dassdu vielleicht das Fieber bekommst - mein Herz krampft sich zusammen! Du bist jetzt fast erwachsen. Höre: Ich will dir alles zeigen, was ich weiß, damit du allein Deinen Weg gehen kannst, dann lasse ich dich gehen.

Und so tat er. Er brachte der Tochter bei, was er vielleicht seinem Sohne gelehrt hätte, das Jagen, das Kämpfen, und als ein Jahr vergangen war, gab er ihr sein Schwert, seinen Bogen und ließ ihr ein hartes Wams machen von Leder zur Rüstung und hieß sie gehen mit seinem letzten Pferd.

Viel wäre zu berichten vom Schicksale der Nebeläugichten. Von dem, was ihr widerfuhr, was sie sah und erlebte, aber an dieser Statt will ich nur erzählen, dass sie nicht aus dem Lande zog, um die Sonne in einem anderen zu suchen.

An ihrem Herzen trug sie das Pergament des fremden Sängers, und jeden Tag, wenn sie aufstand, sang sie dieses Lied, und jeden Abend, wenn sie sich lagerte auf einer trockenen Insel im Morast. Sie suchte nach dem Nymphenquell im Moor, und nichts anderes war mehr in ihrem Geist.

Jeden, den sie traf, fragte sie, ob er ihn kenne, aber niemand konnte ihr helfen. Sie sah das Elend im Lande, die verödeten Bauernhöfe, die toten Dörfer, die Jammergestalten, die aus Liebe zur Muttererde nicht gegangen waren und im ewigen Dämmer mit Fieberbeulen und blassen Angesichtern hinsiechten, und so war ihr Wille erhärtet, den Nymphenquell zu finden.

So wurden aus Tagen Wochen, aus Wochen Monde und aus Monden Jahre, und die Jahre verflossen, wie die Tropfen sich an dem Stein vorbei pressten im Hofe des Schlosses, Tropfen um Tropfen in diesem riesenhaften Sumpf, der einst ein blühendes Land gewesen. Immer öfter kam sie an Stellen, die sie schon kannte. Und ein jedes Mal stellte sie mit Schrecken fest, dass der Schlamm sich wieder um einen halben Meter höher gefressen hatte.