Krimifrass - Norman Liebold - E-Book

Krimifrass E-Book

Norman Liebold

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Beschreibung

Auf der Margarethenhöhe wird ein besonderes Krimidinner veranstaltet [.]. Nur für die oberen Zehntausend und mit unglaublichem Aufwand, um die perfekte Stimmung zu garantieren. Das ganze im Stil von Wallace und Christie, samt Butler, sturmumtoster Villa, Stromausfall und natürlich feinstem Gaumenkitzel. Auch die Leichen fehlen nicht. Aber das Spiel kippt natürlich bald, und Angst macht sich unter den Bonzen breit: Man weiß nicht mehr, was Spiel und was Wirklichkeit ist. Wurde der Schädel des Generals mit dem Vorschlaghammer zertrümmert? Und es zeigt sich immer deutlicher, dass hier ein perfider Plan umgesetzt wird. [.] Der Held ist ein kleiner Lokalberichterstatter, und wer [Liebold] kennt, dürfte sich an einem Finger abrechnen können, dass es mehr ist als eine Räuberpistole. (Neue Rheinische Zeitung)

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Norman Liebold

Krimifrass

Ein Siebengebirgs-Krimi

Digitale Version der Ersterscheinung 2008.

Amator Veritas Buch Nr. XLII
Titelfoto und Covergestaltung von N.Liebold.
Copyright © 2008
Norman Liebold und Amator Veritas Verlag, Hennef.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und elektronische Medien, sowie der Übersetzung auch einzelner Teile.
ISBN-13 (Print): 978-3-937330-28-0
ISBN-13 (eBook): 978-3-937330-42-6
www.norman-liebold.com
www.amator-veritas.de

Friede den Hütten! Krieg den Palästen!

Georg Büchner

1.

Windgeschwindigkeiten von bis zu hundertzwanzig Stundenkilometern, orkanartige Böen und schwere Gewitter mit Hagelschlag«, kündigte die Stimme im Radio an. Christian schaute vom Schreibtisch hoch und durch das Fenster. September. Der Wald hinter den Weiden begann sich schon zu verfärben, und darüber stand pechschwarz eine Wolkenwand, die sich alle Mühe gab, den Radiosprecher glaubhaft klingen zu lassen. Christian war verdammt froh, dass heute nichts anlag. Kein Theaterstück, über das er berichten musste, kein dämlicher Empfang klugschwätzender Lokalpolitiker. Ein Abend zu Hause, seit langem. In seinem Job selten genug. Ein Fläschchen Wein aus dem Regal holen und sich in ein gutes Buch vergraben.

Das Telefon schrillte.

Christian seufzte, als er dem Ton nachging und begann, auf der Suche nach dem Gerät Stapel von Papieren, Büchern und Zeitschriften zu durchwühlen. Wahrscheinlich die Redaktion, der doch noch irgendetwas eingefallen war. Oder ein Kollege war abgesprungen – was Familiäres, da könnte er doch? Der Junggeselle, der sich eh gerne überall herumtrieb ...

»Ja? Müller hier«, maulte er in den Hörer.

Die Stimme am anderen Ende war aufgeregt wie die eines kleinen Jungen. Das war niemand von der Redaktion, noch nicht einmal ein Kollege. Wenn der ein Kollege wäre, dann würde er bestimmt nicht für dreiundzwanzig Cent die Zeile Artikel schreiben, die keine Sau interessierten und die aus Zeitmangel so schlecht recherchiert waren, dass es ihn jedes Mal heiß überlief, wenn er sie gedruckt in der Zeitung las. Mario war Manager beim pinken Riesen und kümmerte sich um Werbeverträge und die Öffentlichkeitsarbeit des Konzerns. »Heute Nacht! Sie haben gerade angerufen!«

»Wer?«

»Dein Geburtstagsgeschenk!«

Christian überlegte. Mario hatte ihm eine Art Gutschein geschenkt. »Dieses Krimi-Dinner?« Er konnte das begeisterte Nicken von Mario geradezu sehen. »Nicht einfach ein Krimi-Dinner!« betonte der genau wie auf dem Geburtstag vor drei Wochen. »Das ist ein absoluter Geheimtipp! Geht nur mit persönlicher Einladung!« Und natürlich hatte er – typisch Mario – auch auf dem Geburtstag nicht unterlassen können darauf hinzuweisen, dass der Preis für diesen Geheimtipp im vierstelligen Bereich lag. »Das ist nur, damit nicht jeder Pups hinkommt«, waren seine Worte gewesen. Christian hatte davon abgesehen, ihm zu erklären, dass er – Lokalberichterstatter Christian Müller – genau so ein Pups war. Mario reagierte auf dergleichen stets etwas pikiert – Dinge wie finanzielle Nöte oder gar Arbeitslosigkeit und Hartz IV blendete er grundsätzlich aus. Mit seiner begeisterten Jungenstimme schilderte er am Telefon, wie fantastisch er die ganze Sache fand: »Verstehst du? Sie haben extra auf so ein Wetterchen gewartet! Damit es so richtig stimmungsvoll wird! Und das Beste: Weißt du, wo es stattfindet?«

»Wie sollte ich?« Christian war sich noch nicht schlüssig, ob er sich von Marios Begeisterung anstecken lassen sollte, oder ob er mehr dem Gefühl von Skepsis zuneigte, das sich in ihm angesichts dieses Snobs breit machte.

»Im Margarethenhof!«

»Hat der nicht zugemacht?«

»Eben, Christian! Eben! Die ganze Villa nur für das Spiel, verstehst du? Wahrscheinlich ist sogar der Strom abgeschaltet, Telefon und alles. Wie in einem dieser alten Schwarz-Weiß-Krimis, wo die Leute in einem alten Anwesen sitzen, ringsum tobt der Sturm ...«

»Sehr stimmungsvoll, in der Tat.« Die Skepsis begann, überhand zu gewinnen, während Christian, das Telefon am Ohr, aus dem Fenster schaute. Der Himmel war jetzt gänzlich schwarz, unten bogen sich die Baumwipfel unter heftigen Böen. Das Gras auf der Weide wogte wie ein Meer. Mit einem erstaunlich lauten Geräusch schlug ein erster Regentropfen gegen die Scheibe. Irgendwie fand er den Gedanken gar nicht so reizvoll, jetzt in einem alten Haus zu sitzen, ohne Strom und Telefon und wahrscheinlich auch noch ungeheizt. Er war mehr der pragmatische Typ. Mit einer schönen Frau, die sich beim Rollen des Donners an ihn schmiegte, mit einem flackernden Kamin und einem Glas Rotwein – nun gut. Aber für ein Detektiv-Spiel? Weshalb Mario ihm das zum Fünfunddreißigsten geschenkt hatte, war ihm sowieso schleierhaft. Wahrscheinlich war das da oben in seinen Kreisen üblich – da hatte man alles. Vierstellig ... der Preis. Verdammt! Ein Satz neuer Winterreifen! Ein Tank-Gutschein – oh ja: Ein Tankgutschein von vierstelligem Wert!

»Stimmungsvoll?« Die kindliche Freude am anderen Ende schnappte fast über. »Das ist der Hammer, Mann! Eine alte Villa oben im Siebengebirge, Sturm und Gewitter, Kerzenlicht und flackernder Kamin – du kannst drauf wetten, dass die Kamine anhaben! Und dann ein mörderisches Geheimnis, das wir knacken müssen!«

»Es ist ein Spiel, Mario. Da gibt‘s kein Geheimnis, es ist alles inszeniert.« Er dachte an die Reportage über die Live-Rollenspieler, die er im Sommer gemacht hatte. Drachenfest, so hatte das geheißen. Latex, Knallfrösche und Gummischwerter. Magische Feuerbälle aus gefärbtem Schaumstoff.

»Aber ein richtig gutes! Sie scheuen keine Mühen, die ziehen alle Register! Wahrscheinlich haben sie Spezialeffekte ohne Ende herangekarrt!« Christian seufzte innerlich. Er kannte Mario noch nicht lange, mochte ihn aber recht gern. Er konnte ihm einfach nicht den Spaß verderben. Abgesehen davon las sich die Gästeliste – die Mario natürlich zitieren musste – wie ein Who‘s-who rheinischer Hochfinanz und Politik. Vielleicht steckte da eine gute Story drinnen. Er grinste ins Telefon. Ob Mario daran gedacht hatte, dass er die Presse einschleuste in seinen elitären Club? Immerhin hatten sie sich so kennen gelernt: Während eines Interviews hatte Christian ihn ziemlich hart rangenommen, als er erklären sollte, weshalb der pinke Riese 30.000 Stellen outsourcte. »Wann soll es denn losgehen?«

»Halb zehn. Ich hol‘ dich ab.«

Christian legte das Telefon auf die Anrichte. Die Regentropfen schlugen immer dichter gegen das Fenster, die Bäume krümmten sich unter dem Wind, während sie langsam von der Dämmerung verschluckt wurden. Laut Radiosprecher würde dieses Unwetter erst in der Nacht so richtig losgehen.

Stimmungsvoll.

So so.

2.

Könntest du ein bisschen langsamer fahren, Mario?« Christian kam sich lächerlich vor, als er diese Frage stellte, umso mehr, als dass er nur zu deutlich hören konnte, wie seine Stimme zitterte. Mario grinste zu ihm herüber – nichts als das Schimmern zweier Augen und Blendamet-Zahnweiss. Draußen war es stockfinster bis auf die Fetzen nasser Fahrbahn und windgeschüttelten Waldes, die von den Scheinwerfern des zweisitzigen Sportwagens aus dem Dunkel gerissen wurden. Blätter und Äste wirbelten durch die Luft, und selbst durch die laut aufgedrehte Anlage drang das Fauchen des Sturms. Sie schraubten sich von Königswinter kommend in die Sieben Berge, die Tachonadel zitterte bei hundertzwanzig Stundenkilometern, und der Wagen rutschte und schlingerte in den engen Serpentinen. Mario schien das aufregend zu finden, Christian dachte an nasses Laub unter den Reifen, plötzliche Sturmböen und an Kurven, die einfach zu eng waren – auch für so ein hochgezüchtetes Geschoss mit wahrscheinlich für jedes Rad einzeln gesteuerten Soundso-Automatiken.

»Und schau verdammt nochmal auf die Straße!«

»Du benimmst dich wie ein Mädchen!« Mario schaute wieder nach vorn, sein Gesicht wurde von unten schwach durch das Armaturenbrett beleuchtet. Plötzlich weiteten sich die Augen, der Mund verkrampfte: Die Kurve führte steil und in viel zu spitzem Winkel den Berg hinauf. Mario stieg in die Eisen, und im selben Augenblick traf eine Sturmböe die Flanke des Wagens wie eine Faust. Die Leitplanke schrammte am Kotflügel entlang, im Seitenspiegel konnte Christian tatsächlich Funken sprühen sehen. Mario fluchte, kurbelte am Lenkrad. Sie rutschten auf die gegenüberliegende Fahrbahn, sahen einen dicken Ast quer darüber liegen – es rumpelte, ein Knall gegen das Bodenblech, dann hatte Mario wieder Gewalt über das Fahrzeug. Er stoppte, stieg aus, ging um den Wagen.

»Mario!« Es war ein eigenartiges Bild. Dieser Manager sturmumtost im maßgeschneiderten Anzug: Die Krawatte stand im rechten Winkel von ihm ab, die Hosen schlugen knatternd um die Beine, während er besorgt die Flanke seines Wagens beäugte. Das rote Glühen der Rücklichter hatte etwas Unwirkliches, Christian wurde das Bild nicht los, wie aus dem Wald ein dicker Ast herunter wirbeln und diese geleckte Führungskraft in den Asphalt rammen würde. Oder einfach ein Wagen ... »Steig ins Auto, verdammt! Hinter der Kurve kann dich niemand –« als wäre das eine Ahnung gewesen, kam greller Lichtschein um die Biegung. Der Sturm hatte das Autogeräusch übertönt, Licht und Wagen waren einfach da. Mario hechtete zur Leitplanke. Der Wagen – ein dunkelblauer Transporter – rauschte grell hupend vorbei. Als Mario wieder im Wagen saß und den Zündschlüssel ins Schloss steckte, konnte Christian sehen, dass seine Hand zitterte. Langsam krochen sie den Berg hinauf. Die Faust des Sturmes packte den Wagen wieder, als sie auf der Margarethenhöhe auf freies Gebiet kamen und schüttelte ihn, als wäre er aus Pappmaché.

»Gleich da rechts, hinter der Ampel!« deutende Christian über die Straße. »Da ist die Einfahrt!« Mario lenkte den Wagen durch das offen stehende Tor. Abrupt war es still. Zwar jagte der Sturm über das Anwesen hin und ließ die Bäume laut rauschen und ächzen, aber das Rütteln und Fauchen am Wagen war wie weggeblasen: Der Hof lag im Windschatten. Einmal mehr musste Christian an alte Schwarz-Weiß-Filme denken: Eine Freitreppe führte zu einer breiten, zweiflügeligen Tür hinauf, große Fenster mit Sprossen waren in die Fassade eingelassen, die erst in zwei Meter Höhe über einer Natursteinmauer begann. Hinter den Fenstern leuchteten nicht etwa die grellen Punkte elektrischen Lichtes, sondern das warme, flackernde Licht vieler Kerzen. Erst jetzt fiel Christian auf, dass im ganzen Hof kein einziges elektrisches Licht zu sehen war, weder am Haus noch sonst irgendwo. Nur vorn an der Straße glommen rostrot einige Laternen. Man hatte Gartenfackeln aufgestellt, deren Flammen sich wild hin und her bogen. Ihr Licht fiel auf eine Anzahl geparkter Wagen, die Christian schlucken ließ. Marios zweisitziges Geschoss in dunklem Blau wirkte fast ein wenig ärmlich, als er es zwischen einen feuerroten Ferrari und einen ungewöhnlich lang gestreckten Mercedes mit getönten Schreiben rollen ließ. Er fühlte sich hier gänzlich fehl am Platz, und Mario schien es ihm anzusehen. »Komm schon«, sagte er in der kumpelhaften Art, die er stets bei ihm an den Tag legte. »Vielleicht stinken die nach Geld, aber beißen werden sie schon nicht.« Christian nickte. Wenn das steife alte Säcke wären, würden sie wahrscheinlich nicht hier herausfahren, um in einem dichtgemachten Restaurant den Nervenkitzel einer Art Live-Rollen-Spiel zu suchen.

3.

Trotzdem der Sturm im Inneren des Hofes merklich abgeschwächt war, zerrte er dennoch an den Kleidern und fauchte über ihnen zwischen den Dachschindeln. Auf den Treppenstufen hatte man Kerzen in hohen Kelchen aus Glas arrangiert, und am geschnitzten Holz der Eingangstür war ein großer Türklopfer in Form eines Geier-Kopfes angebracht. Als Mario die Klinke nieder drückte, war abgeschlossen. Durch das Holz hindurch war das Stimmengewirr einer Abendgesellschaft zu hören, im Hintergrund das Spiel von Streichinstrumenten. Mario griff nach dem Klopfer, und Christian fuhr zusammen, so laut und drohend hallte der Ton durch das Haus. Das Stimmengewirr ebbte merklich ab, nur die Streicher spielten ohne Unterbrechung weiter. Jetzt konnte Christian Kontrabass, Cello und die beiden Geigen heraus hören. In der Tat: hier wurde darauf Wert gelegt, gediegene Stimmung zu erzeugen. Das Streichquartett klang, soweit er es mit der Tür zwischen ihm und sich einschätzen konnte, ganz hervorragend. Er meinte sogar, das Stück zu erkennen: Eine Szene aus Berlioz‘ Symphonie fantastique, offenbar eine Bearbeitung für Streichquartett.

Die Tür öffnete sich, und Christian musste unwillkürlich grinsen: Im gestreiften Livree, einen altmodischen Kerzenhalter mit Windschutz in der Hand, stand ein magerer, hoch gewachsener Mann vor ihnen. Mit der einen Hand hielt er die Tür fest, unbefugten Eintritt verwehrend, mit der anderen leuchtete er ihnen ins Gesicht und verzog nicht eine Miene. »Sie wünschen?« kam kalt und arrogant und gänzlich erwartungsgemäß. Mario griff in sein Jackett und zog zwei Kuverts hervor, schweres Bütten mit Prägungen und verschnörkelten, goldenen Schriftzügen darauf. Christian konnte im Licht der Kerze seinen Namen lesen.

Der Butler nahm die Hand vom Türblatt und griff mit weißem Handschuh die Kuverts, öffnete sie und zog aufwändig gestaltete Karten hervor. Christian dachte, dass so Einladungen zum gräflichen Ball im 19. Jahrhunderts ausgesehen haben mochten. Als das Auge des Butlers über Christians Eintrittskarte glitt, hob sich die Augenbraue um ein winziges Stück. So wenig nur, dass es normalerweise nicht aufgefallen wäre – aber in diesem langen, knochigen, gänzlich unbewegten Gesicht wirkte es wie ein Erdrutsch oder eine Lawine. Der Butler hüstelte. »Christian Müller«, sagte er in einem Tonfall als wäre es eine Schande, einen dermaßen gewöhnlichen Namen zu tragen. »Sie sind, wenn ich recht in der Annahme gehe, dieser ...« Kunstpause. Es war geradezu erstaunlich, wie viel Verachtung dieser Butler in wortlose Stille legen konnte. »... Journalist. Dieser etwas links geneigte, nun ... Lokalberichterstatter.«

Mario schien zu merken, wie Christian der Kamm schwoll. Er legte die Hand auf seine Schulter. »Herr Müller ist mein persönlicher Gast«, erklärte er mit deutlicher Betonung. Der Butler betrachtete ausgedehnt Marios Karte, ohne etwas zu sagen. Nach einer ganzen Weile erklärte er schließlich: »Interessant. Mich dünkte bisher, dass allein der Herr des Hauses jemanden als persönlichen Gast bezeichnen dürfe.«

»Finden Sie nicht, dass sie Ihre Rolle ein klein wenig übertreiben?« Im Gesicht des Butlers geschah wieder der Millimeter-Erdrutsch einer gehobenen Augenbraue, und unterhalb der Nase bahnte sich ein Gesichts-Beben an: Der rechte Mundwinkel hob sich kaum merklich, verlor den Kampf und erstarrte wieder. Dieser Schauspieler war außerordentlich, musste Christian zugeben. Er hatte tatsächlich das Gefühl, vor dem Anwesen eines alten Adelsgeschlechtes zu stehen und nicht vor dem kürzlich aufgegebenen Margarethenhof, der trotz des schönen Gebäudes ein gewöhnliches Restaurant gewesen war. Und er hoffte, dass dieses alberne Spiel mit dem Einlass – so authentisch es auch wirken mochte – nicht mehr lange dauerte: Es regnete nach wie vor, und auch wenn der Sturm nicht mit ganzer Wucht hier hinein schlug, so ließ er nichtsdestotrotz den Regen unter das Vordach peitschen und fuhr kalt um die Glieder.

»Rolle?« gab der Butler von sich – offenbar wollte er das Spiel weiter treiben. Er wurde ja auch nicht nass, wie er da im Eingang stand. »Was belieben Sie damit ausdrücken zu wollen?«

»Es reicht jetzt!« wurde Mario laut. Er schnappte sich mit einer schnellen Bewegung die Eintrittskarten und wedelte mit ihnen vor dem unbewegten Pferde-Gesicht herum. »Wir werden hier patschnass und holen uns noch einen Schnupfen!«