Kumohoshi - Medra Yawa - E-Book

Kumohoshi E-Book

Medra Yawa

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Beschreibung

"Es hätte auch andere Möglichkeiten gegeben. Für die Kodomo. Und für ... die andere." "Du hättest sie vorhin fast getötet." "Ihr Tod würde für mehr Sicherheit auf beiden Seiten sorgen." "Und ihr Überleben bereinigt das Chaos des Monsters." Ein Kartenhaus der Freundschaft, erbaut inmitten des ewigen Krieges, ist nicht von Dauer, oder? Es stürzt ein. Vergräbt jegliches Vertrauen. Die einzige Hoffnung auf die Zukunft ... Denn das Ende kommt stets, ehe der Frieden das Licht der Welt erblickt.

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Kapitelübersicht

Prolog: Die Geburt einer Freundschaft

Kapitel 1: Der Fehler im Kartenhaus

Kapitel 2: Das Pflegeheim der Normalität

Kapitel 3: Die Angst einer Mutter

Kapitel 4: Der zerplatzte Traum

Kapitel 5: Abschiedsschmerz

Kapitel 6: Auswege suchend

Kapitel 7: Aus anderen Augen

Kapitel 8: Werbungen der Zukunft

Kapitel 9: Zwischen Normen und Befehlen

Kapitel 10: Verborgen und dennoch offen

Kapitel 11: Realitätsflucht

Kapitel 12: Die Wege der Toten

Kapitel 13: Monster

Kapitel 14: Geständnisse des Herzens

Kapitel 15: Dem Ende entgegen

Kapitel 16: Die Chance auf Frieden

Epilog: Die Geburt eines Neuanfangs

Mini-Glossar: Die Befehle der Seelensplitter

Begriffsverzeichnis

Personenübersicht aus diesem Band

Danksagung

Weiteres von der Autorin

Prolog: Die Geburt einer Freundschaft

Sven Ryan folgte seiner Mutter durch die kühlen Gänge. Er mochte diesen Ort nicht. Hier war es immer zu kalt. Zu steril. Aber genau deswegen musste er sie begleiten.

Er durfte sie nicht alleine in die Hölle lassen.

Obwohl er erst acht Jahre zählte, wollte er seine Mutter beschützen. Sie war seine Ma. Sein Fels in der Brandung. Er wusste, dass sie einzigartig war. Dass die anderen Mütter von Kumohoshi nicht so liebevoll mit ihren Kindern umgingen. Egal, ob diese so alt wie er oder sehr viel jünger waren. Doch war das nur ein weiterer Grund, warum er sich um seine Ma zu kümmern hatte.

Warum er ihr beistehen musste …

Nachdenklich musterte er ihre schlaffen Schultern. Ihren gebeugten Schritt. Während Fiona Katja daheim bereits als neue Meisterin des Sahasrara gefeiert wurde, konnte er hier nur eine verletzliche Frau vor sich sehen. Sie wirkte erschöpft. Angespannt. Beinahe abweisend.

SR fragte sich, wie er sich wohl benehmen würde, wenn er in ihren Schuhen steckte …

»Hier lang«, ihre Stimme klang heiser, als sie die Tür am Ende des Flurs anpeilte und zum selben Monolog ansetzte, den sie ihm auch die letzten sechs Male gehalten hatte, »Denk dran: Sie ist sehr vergesslich. Sie-«

»Sie meint es nicht so«, unterbrach er die Sorgen.

Dankbar lächelte seine Ma ihn an. Sie beugte sich zu ihm herab. Drückte seine Schulter. Seufzte. Wandte sich wieder ab und öffnete die Tür.

»Hallo, Ma!«

Obwohl FK die alte Frau so euphorisch grüßte, schaute SR's Großmutter nicht auf. Ihr Blick war auf das Fenster gerichtet. Sie starrte die Wolken an. Die weißen Formen, die durch den Himmel schwebten und die Sven an sein Zuhause erinnerten.

An die fliegende Stadt im Himmel, auf der die Frau einst mit ihnen gelebt hatte: Kumohoshi.

»Du hast dein Frühstück ja gar nicht angerührt, Ma. Also wirklich. Du musst bitte besser auf dich achten«, sprach FK weiter auf die Frau ein. Doch erst als sie sich an den Tellern zu schaffen machte, schaute diese auf.

»Oh, gibt es schon Essen? Dankeschön.«

Obwohl ihre Stimme sanft klang, zuckte Svens Mutter zurück. Sie setzte ein gequältes Lächeln auf. Korrigierte die alte Frau nicht. Stattdessen schob sie ihr den Teller so zu, als hätte sie ihn gerade erst gebracht.

Sie laugt Ma aus!, befand er vor seiner anderen Seele.

Ryan antwortete ihm nicht. Dann war er wohl noch bockig. Genau wie die letzten Male als Sven entschieden hatte, dass sie ihre Ma begleiten würden. Schließlich war ihre Großmutter nur eine Hutan. Eine Nichtmagische, die von anderen ihrer Art betreut wurde. Nur wegen dieser Frau sahen die restlichen Hushen auf ihn und seine Ma herab! Sie war die Wurzel allen Übels in Ryans Augen. Diese Großmutter, die er am liebsten gegen jedes Monster dieser Erde eingetauscht hätte!

Stumm setzte sich SR auf den freien Stuhl. Er nahm sich eine vergilbte Zeitung vom Nachttisch. Eine Ausgabe, die noch vor seiner Geburt erschienen war. Die nichts mit dem Lehrstoff der Akademie von Kumohoshi gemein hatte. Die er dennoch auswendig kannte, weil seine Großmutter die verschiedensten Artikel darin verfasst hatte.

Sie war damals für einen großen Verlag tätig gewesen. Immer wieder hatte sie zu den Brennpunkten recherchiert und ihre Ergebnisse unter einem männlichen Pseudonym rausgebracht. Als vor ein paar Jahren ihre Vergesslichkeit eingesetzt hatte, hatte FK alle Werke zusammengetragen. Als Erinnerungsstütze, hatte sie gemeint. Damit sich seine Großmutter so hoffentlich nicht zu schnell vergaß. Damit die Demenz ihr nicht zu früh ihre einzige Seele raubte …

Diesmal hatte er die Ausgabe über die Tierquälerei in Centy erwischt. Die mochte er am wenigsten. Dennoch las er sie erneut durch. Einfach, um beschäftigt zu wirken.

»Frau Louis, wie wei- Oh. Ich habe Sie gar nicht kommen gehört«, stockte die Pflegerin an der Tür, als sie FK und SR erkannte.

Sven blieb stumm sitzen. Es wunderte ihn nicht, dass man sie erst nun bemerkte. Immerhin hatten sie sich direkt ins Haus geblinzelt. Nur so konnten sie ihre Vertrauten, zwei hundeähnliche Desson, ungesehen in das Gebäude schmuggeln. Es tat ihm zwar leid, dass die beiden immer in einer Abstellkammer ausharren mussten. Aber solange SR noch die Akademie besuchte, durfte er nicht zu weit von seinem Desson entfernt sein. Seine Magie entwickelte sich stetig. Verschob sich zu schnell. Verfing sich mit jedem Streit, in den Ryan ihn zog … Ohne den Vertrauten könnte sie zu leicht ausbrechen und erkannt werden!

»Entschuldigung, Sie wirkten so in Gedanken, als wir kamen. Da wollte ich Sie nicht erschrecken«, lächelte FK.

Warum entschuldigt sie sich immer vor diesen-

Ryan! Es sind Hutan. Keine Hushen, erinnerte er seine andere Seele nachdrücklich.

Aber jede Entschuldigung ist eine Erniedrigung!

Sven blätterte unbeteiligt durch die Zeitung. Er verstand sein anderes Ich schon. Eine Entschuldigung bedeutete eine Schuldübernahme. Dies als Hushen zu äußern, hieß, dass man sich selbst als fehlerhaft sah. Dass man auch von späteren Fehlern seinerseits ausging. Egal, wie alltäglich eine Entschuldigung für Hutan war — für Hushen galt sie als sozialer Selbstmord!

Sie wissen nicht, was Ma oder wir sind. Das dürfen sie nicht! Wenn nun also ein einfaches Wort uns den Stress erspart, eine neue Unterkunft für Großmutter zu suchen, dann sei es eben so. Für Ma wirst bestimmt auch du mal deinen Stolz runterschlucken können!

Immerhin durfte die Frau aus Platznot nicht zu ihnen. Und ihre Hutanfreunde waren leider auch keine Option. Der Otou-san selbst hatte schweren Herzens erklärt, dass nur seine Ma und er Kontakt zu ihr pflegen durften. Sie war zu krank. Wenn sie mit den falschen Leuten reden würde, könnte sie ganz Kumohoshi in Gefahr bringen. Daher wurde entschieden, dass eine sofortige Hinrichtung erfolgen musste, sobald seine Ma oder er sich nicht mehr um die senile Emily Louis kümmern konnten.

Aus Sicherheitsbedenken …

»Wie geht es ihr?«, hörte er seine Ma fragen.

Sven musterte die Pflegerin. Es war dieselbe wie die letzten Male. Deswegen hatte seine Ma dieses Pflegeheim ausgewählt: Es war winzig. Nur knapp zwanzig alte Hutan wohnten hier. Und sie alle waren je einer von sechs Pflegekräften fest zugeordnet. Dabei war Janice Rico für SR's Großmutter zuständig. Sie und ihr Mann galten als sichere Hutan, so FK’s Nachforschungen. Genauso wie die restliche Kollegschaft.

»Sie träumt viel vor sich hin. Aber es scheint ihr zu helfen, die Wolken zu beobachten«, flüsterte diese Janice und deutete aus dem Fenster.

»Spricht sie viel?«, die Frage klang verzerrt. Zu verzerrt.

SR schielte über den Rand der Zeitung. Er musterte, wie seine Ma gegen ihr Bein trommelte. Eine Stressreaktion, die er nur zu gut kannte. Die ihre Sorgen verriet.

»Sie-«, noch ehe die Pflegerin antworten konnte, wurde die Tür aufgerissen.

»Janice?«, ein Mann steckte den Kopf rein, »Da ist eine Frau vorne, die behauptet, deine Schwester zu sein. Sie meint, es wäre wichtig.«

»Was- Das kann nicht sein, Tino. Meine Schwester …«

»Sie meinte, sie hieße Rebekka Naar. Richtig hellblond. Ansonsten könnte sie dir aus dem Gesicht geschnitten sein. Nur irgendwie dürrer«, erklärte der Mann.

»Ich-«, befangen schaute die Janice zwischen FK und Tino hin und her. Sven konnte sehen, wie seine Ma nach ihrem Zentrip griff. Nach dem kleinen Schlüsselanhänger, der an ihrer Hose hing. Ob sie mit einem Angriff rechnete? Aber so verpeilt, wie dieser Tino sonst war …

»Sie haben eine Schwester?«, fragte seine Großmutter so leise durch die angespannte Stimmung, als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht, »Oh. Ja. Das haben Sie erzählt. Ich hatte Ihnen auch von meinen Kindern erzählt. Töchter. Zwei Mädchen. Sie waren herzliche Schwestern, die-«, ihr Blick richtete sich endlich richtig auf FK, »Fiona?«

»Ja«, sie trat näher an ihre Mutter, »Guten Morgen, Ma.«

Sven beobachtete, wie die Pflegerin sich entschuldigte und meinte, dass sie ihnen die Akte ihrer Großmutter hole. Doch so wie sie Tino beim Rausgehen dankte, traute SR ihr nicht. Sie klang zu gehetzt …

»Das Klo war den Gang runter links, oder?«, fragte er den Pfleger unbeteiligt, während er ihr folgte.

Er achtete nicht auf die Antwort. Lieber tastete er nach dem Zentrip in seiner Tasche. Ein kleines Taschenmesser. Er konnte die Magie darin spüren. Und so auch Tatakai. Sein Vertrauter, der sich nur wenige Schritte entfernt in einer Abstellkammer verbarg. Dem es derzeit gut ging. Dem es noch gut gehen musste, falls sich dies in einen Hinterhalt verwandelte …

Beruhigter schlich er durch die Gänge. Er achtete darauf, einen weiten Abstand zu dieser Janice zu halten. Dennoch durfte er sie nicht aus den Augen verlieren. Er musste sichergehen, dass seine Ma nicht in Gefahr geriet. Und dass seine Großmutter von den Monstern nicht als Köder verwendet wurde!

Warum war sein Großvater so bekannt gewesen?!

Kurz darauf beobachtete er, wie diese Janice eine andere Frau umarmte. Tränen entflohen ihr dabei. Eilig wischte sie die Tropfen weg. Ihre Stimme spannte sich an. Doch blieb sie zu leise, als dass er die Worte ausmachen konnte. Als dass er verstehen konnte, was die Frauen sagten. Und so wie sie einander gegenüber standen …

Es wirkte angespannt, oder?

Da kommen wir nicht ungesehen weiter. Sobald sie uns bemerken, ist Sense, schimpfte Ryan, Was willst du sagen? Denn an den Klos sind wir schon längst vorbei!

Ich weiß nicht. Wir könnten einfach so tun, als wollten wir frische Luft schnappen?

Klar doch!

Ryan lachte ihn ungehört aus. Gegenvorschläge konnte er aber auch nicht vorbringen. Und die Zeit rannte ihnen tickend davon. Dabei mussten sie ihre nächsten Schritte genaustens abwägen! Von wo konnten sie die meisten Informationen ergaunern?

Da entdeckte Sven ein Mädchen. Sie stand zwischen einem Automaten und Empfangstresen. Sie konnte gerade mal sechs Jahre alt sein. Vielleicht sogar noch jünger. Und auch sie beobachtete die beiden Frauen. Ihre blonde Mähne stand in alle Richtungen ab. Ganz anders als bei den Hushen daheim. Wo immer darauf geachtet wurde, dass längere Haare zusammengebunden oder abgedeckt blieben. Immer ordentlich. Immer glatt.

Sie sieht aus wie eine Wilde!, lachte Ryan, als er das Mädchen bemerkte.

Sven hätte sie eher mit Janice und der anderen verglichen. Ihre Statur passte. Genau wie ihr Gesicht! Nur ihre Augen wirkten schief. Sie strahlten zu hell. Zu blau?

»Hey«, grüßte er sie auf Hutanart, als er beiläufig neben ihr stoppte und den Snackautomaten hinter ihr musterte.

»Ehm. Hi?«, sie wirkte unschlüssig, »Mom mag es nicht, wenn ich mit Fremden rede.«

So wie sie Mom sagte, klang sie wie eine Hutan. Das würde zur Pflegerin passen. Wenn er es richtig verstand, war sie deren Nichte? Dann musste sie auch eine Hutan sein, oder? Seine Ma hatte ja gemeint, dass sie jede Person hier gecheckt hätte. Dass vor allem diese Janice Rico nicht unmagischer sein konnte!

Dennoch blieb er wachsam.

»Nun, dann solltest du nicht im Weg stehen«, er deutete auf das Bedienpanel, das sie blockierte.

»Hast du überhaupt Geld?«, fragte sie misstrauisch.

Ryans Lachen dröhnte durch seinen Kopf. Ja. Geld hatten sie zwar. Aber nur Yorups. Das war Hushengeld. Keine…Was brauchte der Automat? Die Hutan hatten ja in jedem Land irgendeine andere komische Währung!

»Wenn es nicht reicht, hole ich mir sonst noch was von meiner Ma«, behauptete er.

»Dann musst du auch noch nicht ran, Blondie.«

»Ich habe einen Namen«, beschwerte er sich grummelig.

»Und wie heißt der? Nervbold? Oder-«, sie brach ab und wandte den Kopf hastig zur Seite. Ihre Finger spannten sich an. Dann atmete sie durch. Sie schaute wieder zu den Frauen. Sackte in sich zusammen. Machte stumm Platz!

Unschlüssig blickte Sven auf die Knöpfe der Maschine. Dann auf das Mädchen.

Sie wirkte ausgelaugt. Oder ausgehungert? Sie erinnerte ihn an ein in die Ecke gedrängtes Tier. An einen freien Desson, der keine Bindung eingehen wollte. Der lieber jeden anfauchte, um seinen Freiraum zu behalten.

Hätte er dieses Mädchen in der Akademie getroffen, hätte er ihr geraten, mehrere Schuljahre zu wiederholen. Damit sie erstmal ein paar Muskeln aufbauen könne. Damit sie zu Kräften käme. Sonst würde sie noch vor dem Schlachtfeld sterben. Aber hier? In einem Pflegeheim der Hutan? In jenem, in dem seine Großmutter lebte?

Er tippte ein paar Zahlen in das Panel und ließ dabei einen seichten Blitz aus seinen Fingern springen. Diesen lenkte er sachte hinein. Damit das Gerät nicht kaputt ging. Aber damit es einen kontrollierten Kurzschluss gab, durch den sich die Mechanik in Bewegung setzte.

»Hier«, murmelte er, als er ihr die Schokolade reichte, die durch Zufall unten rausfiel.

»Ich darf nichts von Fremden-«

»Ist von der Maschine. Nicht von mir«, korrigierte er sie und drückte die Süßware gegen ihre Brust.

»Du …magst nicht?«, fragte sie unschlüssig.

Ich schon!, grummelte Ryan.

Genervt und brach Sven zwei Reihen ab. So würde Ryan hoffentlich endlich still bleiben! Mürrisch schob er das zerrissene Papier ab. Biss hinein. Wandte sich zum Gehen, als ihn das Mädchen zurückhielt.

»Warte. Ehm. Danke. Du …«, sie schaute wieder zu den Frauen rüber, die noch immer angespannt miteinander sprachen, »Du bist kein Fremder, wenn wir uns vorstellen, oder? Ich bin Jessi. Du?«

»Sven«, antwortete er und nickte in die Richtung, aus der er gekommen war, »Meine Großmutter liegt ein paar Gänge weiter.«

»Macht Sinn. Ich meine, weil das hier ja ein Pflegeheim ist und-«, sie senkte die Stimme, »Ich meine, für dich. Von meiner Familie liegt niemand hier. Wir sind nur hier, weil-Mom hat mit dem Geld zu kämpfen, weil Dad so lange weg ist. Seine Arbeit hält ihn auf. Deswegen sind wir immer nur zu zweit unterwegs. Sie wollte daher zu Tante Janice. Aber-«, sie schaute sich hastig um, »Mom meint, dass mein Onkel unliebsam ist. Keine Ahnung was das heißt. Aber wir können deswegen nicht zu ihnen und …«

Also kein Hinterhalt, hm?, dachte er im Stillen, Und für eine Hutan ist sie schon irgendwie lustig.

Eher unfassbar gesprächig. Wird das ein Spendenaufruf, oder was?

Nein. Schau sie dir genau an. Sie scheint das sonst alles schweigend ertragen zu müssen. Wahrscheinlich kann sie mit niemandem richtig über ihre Probleme reden.

»Klingt ziemlich wild«, murmelte Sven, »Ihr habt es nicht leicht, oder?«

»Was ist schon leicht? Es ist doch immer-«

»Jessica!«, ihre Mutter polterte wie eine Kanonenkugel auf sie zu und sofort zuckte das Mädchen zusammen, »Du sollst doch nicht mit Fremden reden! Du-«

»Bekki. Hör. Auf!«, mischte sich die Pflegerin scharf ein, »Denkst du wirklich, dass ich dir helfen möchte, wenn du den Enkel einer meiner Patientinnen belästigst?«

»Ich meinte nur- Wegen Jessi- Wir hatten mal-«

»Dein Mutterherz in allen Ehren: Kinder sind Kinder. Lass sie in Ruhe«, Janice legte SR einen Geldschein in die Hand, »Hier. Seid so gut und holt euch ein Eis. Sweet Paradice, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, ja?«

Perplex beobachtete Sven, wie die Schwestern in dem Zimmer hinterm Tresen verschwanden, ohne dass er auch nur den Mund öffnen musste. Wie kam diese Hutan auf die Idee, ihm Almosen zuzustecken? Kannte sie denn keine Ehre?! Am liebsten wollte er den Schein auf den Boden werfen und zurück zu seiner Ma gehen! Doch Jessicas strahlend blaue Augen stoppten ihn.

»Was soll’s. Welche Sorte möchtest du haben?«, fragte er, während er den Schein zwischen den Fingern rieb.

Waren das Dollar? Oder Euro? Er war sich unsicher. Aber nachzusehen würde zu viel Aufmerksamkeit erregen. Er müsste sich einfach im Laden überraschen lassen.

»Ich … Ich hatte noch nie ein Eis. Ich-«

Ungläubig starrte er sie an. Zwar wurden Süßigkeiten und alle Speisen, die fett oder träge machen konnten, auf Kumohoshi als abwertend gesehen, dennoch waren sie von keiner Feier wegzudenken. SR war sich vor allem sicher, dass jeder Hushen die kalte Köstlichkeit kannte! Sie war als einziges leichter in der Höhe herzustellen …

Dass nun ein Hutankind diese Hutanerfindung bislang nie probiert hatte, klang irgendwie traurig.

»Dann wird das eine lustige Bestellung. Kommst du?«

Damit führte er das Mädchen zu der Eisdiele.

Das Mädchen, dessen Eis bei jedem Treffen schneller als seines zu schmelzen schien …

Kapitel 1: Der Fehler im Kartenhaus

Nachdenklich blieben SR's Augen an einem zerrissenen Zeitungsartikel hängen. Er hing eingerahmt in der Stube seiner Eltern. Seine Ma hatte ihn dort zur Schau gestellt, nachdem seine Großmutter aufgehört hatte, zu sprechen. Sie bezeichnete die Frau mittlerweile als lebendige Tote. Ein atmendes Wrack, das nicht mehr lange durchhalten würde. Das einzig SR besuchte. Das nur deswegen nicht hingerichtet worden war …

Etwas, was seinen Vater nicht wirklich begeisterte. Die Beschwerden kamen ja bereits, als der Papierfetzen seinen Weg an die Wand gefunden hatte. Er hatte gemeint, dass Wandschmuck sich nicht gehöre. Dass er ablenken würde. Deswegen hatte er es direkt abhängen wollen. Spätestens jedoch, wenn sein Bruder käme. Oder andere Hushen. Wie der Otou-san. Wie SR's Kollegen. Immerhin galt SR als volljährig. Als erwachsen. Sie hatten sich als reine Hushen zu präsentieren. Keine Albernheiten!

Dennoch hatten sie den Artikel bislang nicht einmal zum Putzen abgenommen …

»Und wie sieht dein Plan aus?«, riss Richard Tobias ihn aus den Gedanken.

»Hm?«, murrte Sven nichtssagend.

»Na, während unser Musuko die kommenden Wochen bei seinem Vater feststeckt«, erwiderte der Hushen, »Die Amtseinarbeitung für den Notfall steht an: Aktenordnung, Missionssortierung, Konziltreffenplanungen …«

SR musterte seine Besucher. Seine Kollegen. RT und TJ. Zusammen waren sie eine kleine Einheit, die noch in der Akademie gegründet wurde. Während er Tarek John seit Kindestagen kannte, weil seine Ma und TJ’s Vater alte Freunde waren, war RT ihnen von den Lehrmeistern in die funktionierende Dynamik gedrückt worden. Damit sie ein Dreierteam wären. Damit sie Unterstützung hätten.

Damit die Fraktion der Ajnaabteilung und RT's Familie einen stärkeren Halt in ihrer Politik bekämen.

Deswegen hatte er RT die ersten Jahre kaum akzeptiert. Vor allem, wenn es um dessen Familie ging. RT’s Mutter TL war die Nichte des Ajnameisters. Sein Vater NA der Vorsitzende der Spione. RT selbst verbrachte jede freie Minute in der Abteilung der Illusionen. Und wenn dessen Schwester es damals auf die Akademie geschafft hätte, so war sich SR sicher, wäre auch sie in dem Familienbetrieb gelandet. Sie war nur dank des Herzfehlers, der vor zwei Jahren ihr Leben forderte, dem Schicksal entkommen.

Und nur weil er RT nach ihrem Tod weinen sah, hatte er ihn erstmalig als Partner annehmen können.

»Ich werde Ma wahrscheinlich zur Hand gehen. Seitdem der Sensorbannkreis überarbeitet wurde, lassen sich die Spuren des Sahasrarachakra viel leichter identifizieren«, murmelte er abwesend.

Doch seine Aufmerksamkeit lag dabei auf TJ. Auf dem Musuko. Auf dem nächsten Otou-san, der sich wohl lieber ans andere Ende der Welt als zu seinem Privatunterricht wünschte. SR verstand ihn: Die Bürokratie war erstickend. All die Anträge von den fliegenden Inseln und die der Chakrameister wirkten, oberflächig gesehen, wie reine Zeitverschwendung. Doch die versteckten Implikationen konnten verheerend enden. Das letzte Mal war TJ den Folgen nur entkommen, weil die irre Floris eine Spur der Verwüstung hinterlassen hatte. Die Abteilungen waren zu beschäftigt gewesen, ihre einzigartige Spur zu verfolgen. Sie endlich zur Strecke zu bringen!

Erfolglos.

»Du weißt schon, dass fast alle eine Zeitverschwendung im siebten Chakra sehen«, entgegnete RT mit erhobener Augenbraue, »Kaum einer glaubt noch daran.«

»Und dennoch bekomme ich den ein oder anderen Trick damit hin«, SR grinste, »Es wäre ein Vergehen, wenn ich Ma trotz meines Talentes hängen ließe.«

»Du hast sie noch nicht gefragt?«, mischte sich TJ ein.

»Nah, es wird ein Überraschungsbesuch«, lachte er.

»Wenn sie es positiv auffasst.«

RT's Bedenken waren nicht unbegründet. Immerhin hatte SR den offiziellen Antrag mal wieder vergessen. Damit würde er auf jeden Fall eine Standpauke kassieren. Egal, wie viele der verstaubten Theorien seines Großvaters er beweisen oder widerlegen würde.

Super. Vielleicht sollte er sich doch dürre machen? Wenn Jessica ihrem Rhythmus treu blieb, stünde eh bald der monatliche Besuch bei seiner Großmutter an …

»Du bist beim Ajna? Angewandte Illusionen, Bürokratie oder Spionage?«, fragte er RT, um von sich abzulenken.

Hat er doch gesagt!, mischte sich Ryan ein, Schläfst du heute? Er muss seiner Mutter helfen, die Zweitbeste zu bleiben. Irgendwer hat behauptet, dass RT's Schwester eine Schande gewesen wäre und umgebracht wurde, weil sie es nicht in die Akademie geschafft hätte. Ihre Unfähigkeit wird nun der ganzen Familie angelastet, weswegen sie sich alle in Grund und Boden schuften. Alles nur wegen dieses kleinen Nichtsnutzes, der-

Nein. TC war keine Schande, unterbrach Sven.

Sag das mal laut!, lachte Ryan zurück, Außerdem- ach, was soll's. Sie ist eh tot. Ein unwichtiger Schritt im Leben.

Er blendete seine andere Seele aus, als er TJ's Stimme vernahm. RT’s Antwort war hingegen ungehört an ihm vorbei gezogen. Dabei musste er sich konzentrieren!

»… schlimmer sein. Wenigstens musst du dich nicht sorgen, dass du versehentlich eine Insel offenlegst«, murrte sein Freund.

SR unterdrückte ein Lachen. Er erinnerte sich, wie TJ vor drei Jahren mit eingezogenem Kopf aufgetaucht war. Er hatte damals lernen sollen, wie das Blinzeln der Inseln eingeleitet wurde. Nur hatte er Kumohoshi so direkt über eine Metropole der Hutan verschieben lassen! Kleinlaut hatte er SR den Fehler gestanden, weswegen Sven ihn in eben jene Welt der Hutan gebracht hatte.

Knapp drei Wochen hatten sie sich unter Unmagischen verborgen, um den Konsequenzen zu entgehen. Um sich vor den Wutanfällen der Konzilmitglieder zu verstecken. Dann hatte FK sie gefunden, als sie sich gerade in einem Zug eingerichtet hatten. Sie hatte ihnen ein Ultimatum gesetzt. Ein Zeitfenster, in dem sie zurückkehren konnten, um ihre Würde zu behalten, ehe sie beide auffliegen lassen würde. Und so waren sie lieber zurückgekommen, um sich ihren Strafen zu stellen.

Strafen, die jeder zu vergessen schien. Denn die Sorge um den vermissten Musuko hatte jeglichen Zorn oder gar Missmut vertrieben, den Hushen wie Desson empfunden hatten. Es war ein einmaliges Erlebnis gewesen!

»Das ist nur einmal passiert. Mach dir nichts daraus. Aus Fehlern lernt man«, erklärte RT eilig.

»Ja, klar. Sag das mal meiner Mutter. Sie hält mir das Chaos immer noch vor, wenn-«

TJ brach ab. Sein Blick war auf ihre Vertrauten gefallen. Drei Wesen, die dafür sorgten, dass ihre Magien nicht ausbrachen. SR's Hundedesson Tatakai lag immer noch schläfrig da. An seiner Seite lehnte RT's stummer Feendesson Genso. Der von TJ jedoch, ein Schattenwesen namens Gakumon, war aufgesprungen. Die Augenbrauen über den roten Seelenspiegeln zogen sich zusammen. Er knurrte leise. Schüttelte den Kopf.

»Schon gut«, seufzte TJ und gab ihm ein Handzeichen.

Sofort entspannte sich der Desson. Er atmete tief durch. Seine Augen blitzten blau auf, als ein anderes Wesen durch ihn hindurch sah. Dann war er wieder er selbst.

»Sie ist stinkwütend«, berichtete er, »Du wärst zu spät.«

Na? Was diese Kodomo wohl diesmal hat?

Lass es, Ryan!

Was? Du bist eh der einzige, der sich die Wahrheit aus meinem Munde antun darf! Ich kann nicht glauben, dass ich das sage, aber: Nicht einmal dieser quasselnde Ubrid mit Macianblut ist so schlimm wie TJ's Schwester. Sie ist wenigstens ehrlich!

Sie hat einen Namen, murrte er zurück.

Halbmonster?

Jessica, korrigierte Sven widerwillig, Und sie ist-

Er stockte, als Tatakai stirnrunzelnd den Kopf hob. Eilig schob er Ryan fort. Er hatte keine andere Wahl. Wenn er sich der Diskussion weiter hingab, könnte er sich verraten. Und dann würden nicht nur er, sondern auch seine Ma Probleme bekommen. Nur weil er seinen einen Verdacht nie gemeldet hatte.

Diesen einen kleinen Verdacht, mit dem er nun seit fast einem Jahrzehnt lebte.

»Tja, es war schön, solange wir es genießen konnten«, verabschiedete sich TJ – stand allerdings nicht auf.

Er wartete noch auf seine Abholung.

Kurz darauf hörte SR die Schritte auf dem Flur. Die Tür flog auf und knallte gegen den Bücherschrank. Für einen Moment sah es so aus, als ob TJ's Spiegelbild den Raum betreten hatte. Die Frau trug die gleichen Gesichtszüge. Die gleichen Augen. Die gleichen Haare! Einzig die Farbe ihrer Anziehsachen unterschied sich: Wo TJ eher dunklere Farben bevorzugte, erstrahlten ihre im hellsten Weiß. Und sie waren am Oberkörper etwas praller.

Denn immerhin war seine Zwillingsschwester kein Kind mehr. Sie hatte ihre Volljährigkeit gemeinsam mit TJ vor zwei Jahren feiern können. Und seither hatte sie sich zurückgezogen, um den Tempel zu unterstützen.

»Treibst du dich schon wieder hier herum?!«, donnerte Shana Marissa, sobald sie ihren Bruder erblickte.

»Und wenn schon?«, hinterfragte er schulterzuckend.

»Du weißt, dass Mutter es hasst, wenn du dich im Haus dieser-«, abfällig blickte sie zu SR.

»Lasst hören: Wie mögt Ihr meine Ma heute nennen, werte Kodomo?«, fragte Sven.

Obwohl Kodomo ihr ehrenvoller Titel war, sprach er es wie ein Schimpfwort aus. Wie sonst sollte er jene Person behandeln, die ihn für das Blut seiner Großmutter hasste? Die seine Ma aufgrund ihrer Freundschaft zu ihrem Vater verachtete? Die sich lieber der Abscheu ihrer eigenen Mutter anschloss, als sich dafür zu bedanken, dass seine Ma ihr in Kindertagen so oft geholfen hatte, wenn sie Sorge hatte, ob sie ihrer Rolle gerecht werden würde?

Sven konnte noch so eng mit TJ befreundet sein, SM war ihm stets ein Dorn im Auge.

»Du wagst es-«

»Dir eine Frage zu stellen? Ich wüsste nicht, warum nicht, Schwesterchen«, entgegnete TJ für ihn.

Damit presste sie die Lippen zusammen. Verschränkte die Arme. Atmete durch. Wandte sich nickend ab.

Nicht aber ihr Desson, der sich an ihr vorbei schlich und mit Gakumon schmuste. Ein weißes Wesen mit blauen Augen. Und das Geschöpf, das sich in die Gedanken von TJ's Vertrauten geschlichen hatte, um herauszufinden, wo sie sich aufhielten.

SR hasste es für diese Fähigkeit.

»Kommst du? Du hast versprochen, mich zum Tempel zu begleiten. Für die Liste«, verlangte sie an TJ gerichtet.

»Und als verantwortungsvoller Bruder habe ich dieses Versprechen, an das ich mich nicht einmal entsinnen kann, natürlich auch zu halten, oder?«, TJ hob eine Augenbraue.

»Du bist unvoreingenommener als Vater.«

Damit hatte sie die Aufmerksamkeit der drei Hushen. Vor allem die ihres Zwillings. Langsam stimmte TJ zu und stemmte sich hoch. Er hob zwei Finger zum Abschied, wartete jedoch keine Erwiderung ab. Das tat er nie. Stattdessen stellte er sich zwischen seine Schwester und ihre Vertrauten und blinzelte alle vier fort.

Ohne diese gar zu berühren. Sven war jedes Mal davon beeindruckt, wie gut sein Freund blinzeln konnte. Wenn er kein Kazoku wäre, hätte er sich bestimmt um eine Position als Chakrameister bemühen können …

»Was meinst du, was sie damit meinte? Wegen ihres Vaters?«, fragte SR seinen verbliebenen Kollegen, als er dessen Blick bemerkte.

Einen Blick, der ihn fast bereuen ließ, dass er ihn erst nach TC's Tod ernst genommen hatte. Es war derselbe, wie zur Beerdigung des kleinen Mädchens. Ein Kind, das er selbst nur ein paar Mal getroffen hatte. Das er einst für so aufgeweckt und einzigartig gehalten hatte. Doch hatte er ihre Gesellschaft nie genießen können. Aus Sorge, dass sie, genau wie ihre restliche Familie, einzig das Wohl der Ajnaabteilung im Sinn hatte. Dass sie durch ihn an TJ, an den nächsten Otou-san gelangen wollte …

RT reagierte nicht sofort. Es war, als wäre er aus einem Traum erwacht. Ob das an den neuen Gerüchten über seine Familie lag? Er schien in letzter Zeit immer öfters in Gedanken zu versinken …

»Du mein-«

»Was sie damit meinte? Und was sie von unserem Musuko will«, erklärte er so sachte, als hätte er zum ersten Mal gefragt, »Sonst hämmert sie lieber so lange gegen die Tür, bis er ihr entgegenkommt. Wäre mir auch irgendwie lieber gewesen, weißt du?«

»Vater erwähnte ein Gerücht: AC hätte sich als unwürdig erwiesen, die Rolle des Otou-san zu übernehmen, weil er auf Mission versagt hätte. Also soll er um SM geworben haben, um so seinen Rang zu retten.«

»Dein Ernst?«, platzte es aus SR raus.

Sven hatte eigentlich gedacht, dass die Werbungen um die Hand der Kodomo noch aufgeschoben waren. Ihre Mutter, die Okaa-san hatte es einst veranlasst, weswegen SM seither so viel im Tempel arbeitete. AC sollte das doch wissen, oder? Er war ihr Cousin!

Und was, wenn er einfach nur doof ist?, fragte Ryan.

Ich weiß nicht, entgegnete Sven unschlüssig.

Er fühlte sich, als würde er irgendetwas übersehen. AC mochte ein Mistkerl sein. Er war eingebildet. Egoistisch. Unverantwortlich! Aber er war nicht doof …

»Du weißt, dass deine Mutter nach einer Eheschließung mit der Kodomo gefragt wurde?«, murmelte RT.

»Meine Ma kann die Kodomo nicht ehelichen. Sie ist kein Mann«, widersprach SR lachend.

»Nein. Aber sie ist ein Konzilmitglied. Eine Meisterin. Und deine Mutter. Der Otou-san hätte sich wohl erkundigt, ob man eure Familienbande nicht stärken könne.«

Das Lachen erstarb auf seinen Zügen. Sven konnte nicht mehr denken. Er spürte Ryans Unglauben in sich. Hörte, wie dieser nachfragte, ob ihre Ohren noch funktionierten.

»Shana und Marissa hassen mich beide. Sie hassen meine Ma für die Aufmerksamkeit, die sie vom Otou-san bekommt. Sie hassen uns für das Hutanblut in unseren Adern. Sie hassen mich für meine Freundschaft zu TJ. Sie hassen meine Familie für was-weiß-ich-noch-alles! Wir würden nie miteinander klarkommen! Nie!«

»Und dank der Regeln des Tempels würde die Linie deines Großvaters nach eurem Kind entweder aussterben oder die neue Kazokulinie werden. Daher soll sich deine Mutter enthalten haben«, offenbarte RT.

»Das- Das kann nicht- Das ist doch-«

»Dir wurde nichts gesagt?«, riet RT.

»Kein Wort.«

***

Es war mitten in der Nacht, als Tatakai endlich mit dem Schwanz ausschlug. Er wies dabei zum Flur. Dorthin, wo FK mit Fuyu, ihrer Vertrauten, auftauchte. Vermutlich würden sie direkt in der Küche verschwinden, wenn er sie nicht vorher abfing.

»Wann wolltest du es mir sagen?«, fragte SR seine Ma, als sie gerade vorbei eilte.

»Hm?«, sie blickte nicht auf. Sie hielt nicht einmal inne! Stattdessen setzte sie ihren Weg unbeirrt fort und zwang ihn so, das Gespräch fallen zu lassen oder ihr zu folgen.

Sven entschied sich für letzteres.

»SM«, erklärte er, als er seinen Desson zurückließ, um sich zu ihr zu blinzeln, »Sie und dieses Familienbande stärken oder so. Nicht meine Worte.«

»Nun dann weißt du hoffentlich auch, dass ich nur um deinetwillen noch nicht geantwortet habe«, bemerkte sie trocken, »Warum hätte ich dich mit etwas belangen sollen, für das du dich eh nicht begeistern wirst? Ich habe eine Abteilung zu führen. Ganz zu schweigen von den elenden Konziltreffen. Mein Terminkalender läuft über.«

»Und was ist mit Ragnaröks?«

Das letzte Wort ließ FK stocken. Sie sah von dem Brot auf, das sie aus dem Schrank geholt hatte. Starrte ihn an. Ihre Hand zuckte. Er konnte sehen, wie die andere Seele seiner Ma durchbrach. Wie sie über das Gesicht schlich. Wie sie sich wieder aufzulösen schien.

»Das ist nicht dein Kampf.«

Woah, Sven. Sachte! Ich mag es auch nicht, wenn sie uns so abweist, aber-

Ruhe!, drängte er Ryan zurück.

Er durfte sich nicht mehr wie ein Kind behandeln lassen. Nicht, wenn das die Sicherheit seiner Freunde und seiner Familie bedrohte! Sie musste doch erkennen, dass er für das Chaos ihrer Welt bereit war!

Er war der Einzige, der, neben ihr, das Sahasrara ohne Unterstützung nutzen konnte. Wenn ihr etwas geschehen würde, müsste er ihre Abteilung übernehmen oder ihre Zerstörung mitansehen. Mehr Optionen gab es nicht!

Und dann wäre Ragnarök sein Kampf.

»Stimmt. Es ist nur der Kampf der Kazokus bei dem du aushilfst. Dann wird er dank TJ erst in drei Wochen auf meine Agenda rutschen. Danke für die Schonfrist.«

»Das ist keine-«

»Doch«, unterbrach er sie harsch, »Es ist eine Schonfrist. Eine unsinnige Schonfrist.«

Seufzend ließ sie sich auf den nächsten Stuhl fallen. Ihre Augen huschten zur Tür. Sie malte ein Zeichen in die Luft. Eine Andeutung auf das Zentrip seines Vaters und eine Geste, mit der sie sich stets erkundigte, ob er daheim war.

»Bei BM«, murrte SR, »Ich habe echt keinen Schimmer, wie er die Gesellschaft von diesem Widerling erträgt. Er hätte in deine Abteilung wechseln sollen.«

»BM ist sein Bruder, Sven«, belehrte FK ihn halbherzig.

»Hm. Und ein Teil Ragnaröks, oder?«

»Das konnte nicht bestätigt werden. Vielleicht ist er auch einfach nur altmodisch. Ein altmodischer Narr, der-«

»Super. Nur ein altmodischer Narr, der zufällig auch ein Konzilmitglied ist. Also steht ja nur seit … wann? Seit Ragnaröks Gründung auf ihrer Rekrutenliste«, unterbrach er sie erneut.

»Sven!«

Und nun wird sie wieder böse, murrte Ryan, Wollen wir wirklich die nächsten Wochen in ihrer Abteilung sein?

Lass das. Wir müssen beim Thema bleiben.

Da das bislang auch so gut klappt.

Daraufhin sammelte sich Sven wieder. Er ordnete seine Gedanken neu. Dachte an RT's Worte. An die Art, wie sich TJ, wie sich SM benommen hatten. Dass der Otou-san den Musuko immer öfter einarbeiten wollte …

»Ma. Bitte. Sag mir nicht, dass du BM vertraust. Er ist Vaters Bruder, ja. Aber sonst?«

»Es ist komplizierter. Alles ist komplizierter. Selbst SM's Vermählung…«, offenbarte sie.

»Wieso? Dank TJ, EJ und AC steht sie als Frau eh ganz hinten an. Sie musste ja noch nicht einmal eine Mission übernehmen. Bei Shingasha- sie könnte sich einen Hutan suchen und es würde keinen kümmern!«, er zog sich den nächsten Stuhl heran, um sich zu seiner Ma zu setzen.

FK lächelte. Es war dieses besondere Lächeln. Jenes, das sie immer trug, ehe sie ihn auf einen Fehler hinwies. Auf einen winzigen Punkt, den er zuvor übersehen hatte. Einen Stolperstein, der all seine Überlegungen zunichtemachte.

»Sollte SM vermählt werden, muss EJ oder AC nach den Gesetzen der Kazokus geopfert werden. Da EJ der Ältere ist, würde es ihn treffen und AC müsste anschließend öfter an die Front. Da AC jedoch mit Inkompetenz glänzt, ist sein baldiges Ableben dabei unausweichlich. TJ hingegen hat kein Interesse an der Machtergreifung und könnte vom Tempel durch eine einfache Eignungsprüfung vernichtet werden. Wodurch SM's Gatte, falls unser jetziger Otou-san stirbt, vorläufig den Posten übernehmen müsste.«

»Wenn das so gefährlich ist, wieso ist es bislang nie Thema gewesen? Wieso ist nie etwas passiert? Ich meine, SM ist seit zwei Jahren volljährig – das Thema kann jetzt nicht neu aufgekommen sein«, überlegte SR laut.

»Es wurde versucht«, gestand FK lächelnd, »Deswegen hat der Otou-san seine Frau auch angewiesen, SM als Kind zu beschimpfen. Dadurch mussten die Gespräche auf Geheiß der Okaa-san aufgeschoben werden.«

»Und nun hat die Okaa-san ihre Meinung geändert?«

»Nun hat AC um SM's Hand gebeten.«

»Das habe ich schon gehört, doch-«

Ihr Blick ließ ihn innehalten. Er spielte im Kopf einige Szenarien durch. Eine, in der AC abgewiesen wurde und sich gekränkt gab. Eine, in der er die Kodomo ehelichen konnte. Eine, in der die Kodomo sich hinter ihrer Arbeit im Tempel versteckte. Als das imaginäre Kartenhaus neue Farben annahm, schüttelte SR sich. Dieses gewaltige Konstrukt, in dem er seit seiner Geburt feststeckte, war durch einen Schlag noch komplizierter geworden. Und doch sollte er täglich durch diesen Irrgarten navigieren, um seinem Freund beizustehen!

Dabei knirschte es schon an allen Seiten …

»Wenn die Verbindung von zwei Kazokus durchginge, könnte TJ's Eignungsprüfung benutzt werden, um EJ's Opferung zu verhindern. Dadurch würden EJ und AC die Gesetze des Tempels unbeschadet überstehen. Und falls Ragnarök AC unterstützt, könnten sie ihn danach in ihre persönliche Marionette verwandeln. Es wäre für sie ein Kinderspiel, die Macht des nächsten Otou-sans zu lenken. Daher hat LR nach deiner Hand für die Eheschließung mit SM gefragt, Sven. Damit TJ und SM nicht von Ragnarök oder AC gegeneinander ausgespielt werden können. Denn bei dir wäre die Kodomo am sichersten aufgehoben«, erklärte seine Ma endlich.

Bei uns? Sicher? Deswegen sollen wir Babysitter für das Biest der Biester spielen? Sie muss ablehnen!, schimpfte Ryan sogleich.

Sie … Ich weiß nicht. Wer sonst käme in Frage? Sie brauchen jemanden, dessen Einfluss nicht abgestritten werden kann. Jemanden, der TJ bedingungslos unterstützt.

Das grenzt die Kandidaten drastisch ein. Zumal fast jeder andere Hushen es eher als Aufstiegschance sehen würde.

»Dann hast du wegen der Zukunft des Sahasrarachakras um Zeit gebeten?«, riet Sven.

»Ich habe um einen Aufschub gebeten, bis wir alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Weil ich dich kenne. Weil ich sie kenne. Und weil ich weiß, dass du niemals mit SM glücklich werden würdest«, sie seufzte, »Es ist eine Sache, dass unsere Generation ihr Glück aufgeben musste. Aber ich habe es nie von dir verlangen wollen. Das war meine einzige Bedingung für die Ehe mit deinem Vater. Und an dasselbe habe ich LR erinnert, als er trotz aller Geschehnisse meinen Rat und deine Hand wünschte.«

SR nickte. Er wusste, dass sich seine Eltern nicht liebten. Ihre Ehe und seine Existenz waren nur durch den Otou-san entstanden. Damit keiner FK eine unethische Position vorwerfen konnte. Und damit sein Vater Unterstützung für dessen Bruder bekam. Deswegen hatte sein Vater kein Mitspracherecht bei SR’s Erziehung erhalten. Er hatte FK’s Prinzipien zu akzeptieren. Zu übernehmen. Es war Teil des Vertrages gewesen, durch den ihr Familienleben bestimmt wurde.

Sie waren nur nach außen eine herzliche Familie.

»Ma, mein Glück ist nur ein kleines Übel«, murmelte Sven und selbst Ryan stimmte griesgrämig zu, »Ehe Ragnarök TJ ins Verderben stürzt, musst du zusagen. Ich werde mich schon irgendwie mit SM arrangieren können.«

Sein Herz lag eh in einer anderen Welt.

***

Jessica starrte auf das Eis. Zornig war es aus dem Boden gebrochen und hatte das ganze Dorf zerlegt. Es war ein winziges Hutandorf gewesen. Bestehend aus gerade mal fünf Häusern! Kaum der Rede wert. Vermutlich fand es nicht einmal unter den Hutan viel Beachtung. Ihre kleine Truppe hätte einfach daran vorbeifahren müssen. Niemand hätte verletzt werden müssen!

Und dann hatte die Floris nach einer Pause gefragt.

Still blickte Jessica zu ihr herüber. Sie starrte auf die toten Männer hinter ihr. Hutan, die an einen Baum gepinnt sterben mussten. Die qualvoll zugrunde gegangen waren. Die beiden waren die einzigen, die die Floris hatte leiden lassen. Die sie wohl immer noch jammern hören wollte!

»Liebste? Ich fühle mich einsam ohne dich«, säuselte SteMa, der neben dem ersten Auto stand.

Die Floris reagierte nicht. Also musste die Kolonne noch warten. Jessica hatte ein einziges Mal den Fehler gemacht und weiter auf die Frau eingeredet. Sie war damals jünger gewesen. Sie sechs, die Flora sieben. Peitschende Winde hatten sie als Antwort gegen einen Baum geschlagen. Ihr Rücken hatte sich zerrissen angefühlt. Dornen waren aus dem Holz gebrochen. Dann hatte Eis Füße festgefroren. Die Kälte hatte sie gelähmt. Sie hatte sich zu den Toten zählen wollen. Hatte geglaubt, wieder mit ihren Eltern zusammen zu kommen …

Ohne ihren Großonkel und dessen Phönix hätte sie den Tag nicht überlebt.

Er hatte sich für Jessica eingesetzt. Hatte sie unterrichtet. Hatte sie aufgenommen. Hatte sie als sein Blut deklariert, damit sie unter dem Schutz eines Generals stand! Aber erst als ersichtlich wurde, dass sein Phönix auch auf sie hörte und ihre Feuermanipulationen dem des Naturgeistes ähnelten, hatte man ihr einen Funken Respekt erwiesen. Man hatte sie zu den Floras zitiert. Damit sie sich um die Spuren der einstigen Calyx, der jetzigen Floris kümmern würde. Damit sie dieses Mädchen beschützen würde.

Damit sie der Mörderin ihrer Eltern diente.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wandte sich die Flora endlich ab. Sie schenkte Jessica keinen Blick, als sie sich erkundigte, wie es im Sommer Frost geben könne. Es war eine Kritik. Eine Beschwerde, warum Jessica das Eis nicht bereits geschmolzen hatte. Und es war ein Befehl, dass sie sich beeilen solle.

Die Floris wolle abreisen.

Die beiden haben sich nur geliebt, murmelte Nicole ungehört, als sie die Männer vom Baum löste, Sie haben diese Qualen nicht verdient.

Sag das ja nicht laut! Ich habe keine Lust, noch mehr auf der Abschussliste zu landen!, tadelte sie ihre andere Seele.

Ja, aber-

Nichts aber! Die Floris hasst uns eh schon. Und seit dem Tod ihres Bruders und der Schwangerschaft ist sie ein Maschinengewehr ohne Sicherung. So einem Teil tanzt man aus dem Weg, Nici. Nicht entgegen.

Nicht wie diese LaVi. Die Kindheitsfreundin der Floris. Sie hatte die Flora nach dem Tod des Radix trösten wollen. Nur waren zeitgleich die Gerüchte aufgetaucht, dass sie die wahre Natur des Radix enttarnt hätte. Sie hätte den Generalstab darüber informiert, dass sich der Bruder der Floris zu Männern hingezogen fühle. Nur deswegen wären die Geschwister voneinander getrennt worden. Damit die Vorwürfe geprüft werden konnten. Damit die Wahrheit ans Licht kommen konnte. Damit dieser TriSte danach den Hushen vorgeworfen werden konnte …

Als die Floris die Gerüchte gehört hatte, hatte sie diese LaVi genauso qualvoll sterben lassen, wie die Männer, die Jessica nun von der Erde verschlucken ließ.

Ob sie die Einstellungen der Hutan für den Tod ihres Bruders verantwortlich macht?, mutmaßte Jessica still.

Sicher, dass es nicht an ihrem Zustand liegt? Oder … ihrer Mom?, überlegte Nicole, ehe sie sich verkroch.

Ja. Das war auch eine Möglichkeit. Immerhin hatte man die Schwangerschaft der Floris erst diese Woche bekannt gegeben. Und da die alte Floris erneut so kalt auf ihre Tochter reagiert hatte …

Jessica hatte fast Mitleid mit der Schwangeren.

Zwanghaft verdrängte sie die Erinnerungen und erkannte dadurch, dass ihre andere Seele schauderte. Das Blut war ihr wohl zu viel gewesen. Nicole mochte das Leid generell nicht. Es hatte sie schon als Kind ausgelaugt, wenn sie bettelnde Leute sah. Stets hatte sie den Fremden etwas in ihre leeren Pappbecher werfen wollen. Und stets hatten sie selbst zu kämpfen gehabt, um überhaupt genug fürs Essen zusammen zu bekommen …

Sobald das Eis getaut war, ließ sie die Arme fallen. Sie schüttelte sich. Rieb die Hände aneinander. Erschuf einen Funken darin. Ein weißes Lichtlein, das sie zum nächsten Haus schnipste. Damit würde sie auch die Kameras an der Haustür zerstören. Die Fahrzeuge konnte sie ignorieren. Das hatte ihr Großonkel sie gelehrt. Hauptsache, sie ließ keine Spuren der Floris zurück.

Solange sie sich daran hielt, würde er schon nicht auf der Abschussliste der Floris landen.

Mit hängendem Kopf ließ sie sich in das letzte der drei Autos fallen. Generälin LiJu's Auxilius, Gregor Wolter, diente als Fahrer und Aufpasser des Wagens. Er war ein großer, mürrischer und elendig stiller Kerl. Die restlichen zwei Macian in ihrem Wagen waren auch von Generälin LiJu ausgewählt worden. Der Mann aus Sahaswa sollte als Bote mitreisen. Die Frau war eine Schülerin von General LeVi und sollte notfalls die Floris versorgen. Jessica war derweilen für die Magiespuren zuständig.

Und keiner von ihnen durfte unter GreWo's wachsamen Augen mehr als ein paar Freundlichkeiten äußern. Als Nicole das ihrem Großonkel berichtet hatte, hatte dieser nur traurig genickt. Sie würden alle als Druckmittel für die Generäle dienen, hatte er erklärt. Druckmittel, die nicht verwehrt werden durften, da Generälin LiJu ihre Anfragen stets im Namen der Floris stellte.

Damit lenkte Jessica ihren Blick aus dem Fenster. Sie hätte gerne das Handy rausgekramt, das sie von ihrer Tante im letzten Jahr geschenkt bekommen hatte. Aber da die Macian in den Errungenschaften der Hutan einzig Gefahren sahen, würde sich selbst dieses Schlangenspiel nicht lohnen. Sie konnte es kaum erwarten, wieder vor Gallahain anzukommen. Da ihre Feuermanipulationen zu stark waren, war ihr der Eintritt in den Stützpunkt eh verwehrt. Daher durfte sie immer bei ihrem Großonkel bleiben, solange die Floris dort hausierte.

Es war der einzige Grund, warum sie sich regelmäßig davonstehlen konnte, um ihre Tante zu besuchen. Der Teil ihrer Familie, der nichts von der Magie wusste.

Ob Onkelchen uns diesmal allein reisen lässt?, fragte Nicole nach ein paar Stunden.

Zu Tante Janice?, erkundigte Jessica sich, Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Er ist halt ein Sorgenkopf.

Sorgenkopf war dabei noch die liebe Ausdrucksweise. Jedes Mal, wenn Jessica mit der Floris aufbrach, benahm er sich, als ob ihm das Herz herausgerissen werden würde. Und als sie ihn das erste Mal darum gebeten hatte, den Kontakt mit ihrer Hutantante aufrecht zu erhalten, hatte er sich in ein stotterndes Desaster verwandelt. Er hatte von Hinterhalten gesprochen. Von Gefahren. Gefahren aus der Welt des Krieges und der Welt der Hutan gleichermaßen. Erst als sie ihm klarmachen konnte, dass sie auch jenes Hutanblut in sich trug und sie beide Seiten ihrer Familie würdigen wollte, hatte er widerwillig eingewilligt.

Eingewilligt unter der Bedingung, dass der Phönix sie aus der Ferne begleiten würde. Dass sie Houo dann rufen musste, wenn sie etwas Absonderliches bemerkte. Dass sie stets wachsam bleiben musste.

Ich mein' ja nur …

Nicole schickte ihr ein Bild von Sven. Von dem jungen Mann, dessen demente Großmutter im Pflegeheim vor sich hin vegetierte. Jedes Mal, wenn sie Tante Janice besucht hatte, war auch er aufgetaucht. Er lud sie immer ins Sweet Paradice ein. Es war ihr Ritual. Eine spaßige Atmosphäre, in der Jessica die Floris vergessen konnte.

Er ist nur ein Freund.

Ein Freund, an den du immer häufiger denken musst.

Weil das Leben bei den Hutan halt unbekümmerter ist. Blondie ist aus einer entspannteren Welt. Einer, in die ich mich mit jedem irren Tag mehr zurücksehne!

Funken stoben zwischen ihren Fingern auf. Funken, die dort nicht sein durf-

»JeNi!«, zischte der Auxilius von vorne.

»Verzeihung«, presste sie hervor. Sie spannte sich an. Atmete durch. Konzentrierte sich auf ihre Balance. Auf das Gefühl der Ruhe, das sie mit Nicole teilte, wenn sie in der Eisdiele saßen.

Sofort verschwand die Feuermanipulation.

Nici. Bitte. Bring uns nicht in Schwierigkeiten.