Lady Amalia und andere Erzählungen über den letzten Ritter
Michael Pick
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Lady Amalia
und andere Erzählungen über den letzten Ritter
Michael Pick
Lady Amalia
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Ritter jemals eine Liebelei hatte. Welche Frau könnte auf die irrsinnige Idee kommen, ihre Lippen in die Gegend seines Oberlippenbartes zu platzieren? Ich glaube, seine Stoppeln sind härter als die Borsten eines Wildschweins“, Gnuor-Gnuor schüttelte den Kopf.
Das Streitross Inimo lächelte. Nicht das erste Mal, dass der Ritter jemanden überraschte.
„Ihr vergesst, dass niemand alt geboren wird. Vor dreißig, vierzig Jahren war seine Rüstung noch glänzend, sein Schritt kraftvoll, der Blick scharf und das Gesicht einnehmend.“
Gnuor-Gnuor schien nicht überzeugt.
„Meine Güte“, gab Inimo zu, „allerdings weiß ich nur von einer Liebschaft des Ritters. Der Ausgang dieser Angelegenheit gab keinen Anlass für einen weiteren Versuch. Aber ich will es Euch erzählen.
Als der junge Ritter ins richtige Alter gekommen war, schickte ihn sein Vater auf Brautschau durch sämtliche Königreiche. Mando hatte dafür jedoch wenig Sinn, wie es bei einem jungen Mann oft der Fall ist“, Inimo prüfte mit einem schnellen Blick den Gesichtsausdruck des Knappen Gnuor-Gnuor, doch der war auf der Hut und lächelte wissend.
„Aber weil zu jener Zeit der Gehorsam großgeschrieben wurde, kam Mando dem Wunsch seines Vaters nach und bereiste die Welt. Wann immer er ein Schloss fand, bat er um Unterkunft und Essen für einen Tag und eine Nacht, wie es damals Sitte war.
Die meiste Zeit unterhielt er sich mit dem Schlossherrn über Drachen und Architektur, seine Lieblingsthemen. Für Prinzessinnen oder andere junge Damen fand er wenig Interesse.“
Gnuor-Gnuor rutschte auf dem Baumstamm, als hätte er sich versehentlich auf einen Ameisenhaufen gesetzt.
„Aber es gab doch eine Liebschaft, sagtet Ihr.“
„Geduld, Geduld, junger Mann“, das Streitross schüttelte die Mähne, „Ungeduld ist ein Vorrecht des Alters, merkt Euch das. Uns Alten läuft die Zeit davon, nicht euch Jungen.“
Gnuor-Gnuor winkte ab.
„Auf einer dieser Reisen gelangte der junge Mando zum Schloss Sibald. Hier residierte König Floda und seine Tochter Amalia. Sie geboten über ein kleines Königreich, aber immerhin, es war ein Königreich.
Augenscheinlich war es Lady Amalias Lieblichkeit und außergewöhnliche Schönheit, die den Ritter in ihren Bann zogen. Vergessen waren Drachen und Schlosstürme. Der Ritter hing an den kirschroten Lippen der Prinzessin, als wären seine Augen unsichtbar an ihnen fest gekettet. Er war kaum eine halbe Stunde in dem Schloss, als er sich mit dem Gedanken trug, das Mädchen zu heiraten.“
„Potztausend, das ging aber schnell“, bemerkte der Knappe.
„Gefangen war der Gute. Dabei kam ihm die Angelegenheit sonderbar vor.“
„Weshalb?“, Gnuor-Gnuor öffnete vor Aufregung den Mund und wenn einige Fliegen in dem Zimmer geflogen wären, hätten sie bequem seinen Mundraum erforschen können.
„Zu der Zeit waren schöne, junge Prinzessinnen rar. Wenn es mal eine gab, standen die Verehrer Schlange vor dem Schlosstor und die Mädchen waren schneller weg, als eine Horde Flöhe.
So benebelt Ritter Mando von der Schönheit und dem Charme der Lady Amalia war, dieser Umstand fiel ihm auf. Er befragte ihren Vater, der jedoch nur nervös mit den Schultern zuckte. Am Ende meinte König Floda, die Welt hätte das wahre Gesicht seiner Tochter nicht erkannt. Dazu grinste er verschlagen. Der gute Ritter dachte sich nicht viel dabei. Schließlich wollte er ja auch nicht den König sondern dessen Tochter heiraten.
Es gab eine weitere Kleinigkeit, die merkwürdig auf Schloss Sibald war. Es gab dort nicht einen Spiegel, nicht eine Fläche, die so blank war, dass man sein Antlitz dort wiederfinden konnte. Und das in einem Haushalt, in dem eine Frau lebte.
Auch hierzu befragte Ritter Mando den König und erhielt die Antwort, eine Lieblichkeit wie jene von Amalia benötige kein Spiegelbild. Die Sache wurde dem Ritter unheimlich. Doch Mando hatte sein Wort verpfändet und es wäre ihm und seiner Familie eine Schande bedeutet, hätte er die Verbindung mit solch fadenscheiniger Begründung gelöst. Denn was hätte er gegen Lady Amalia und ihren Vater vorbringen können?
Die Vorbereitungen für die Hochzeit liefen an. Natürlich wurden auch Mandos Vater und Großvater eingeladen. Man kann sich die Freude der beiden vorstellen. Der Ritter bat sie, ein Geschenk nach Art der Mando-Familie mitzubringen.
Kaum war eine Woche vergangen, da war alles für die Hochzeit vorbereitet. Des Ritters Vater und Großvater waren eingetroffen und von der Braut ihres Sohnes mindestens so beeindruckt, wie Mando selbst. Sein Vater wollte platzen vor Stolz. Der Fortbestand der Familie schien gesichert. Er strahlte den ganzen Tag von einem Ohr zum anderen.
Der Ritter fragte ihn, ob er auch an das Geschenk gedacht hatte. Natürlich, rief sein Vater entrüstet. Wie hätte er es vergessen können? Mando bat seinen Vater das Geschenk in der Kapelle aufzuhängen – direkt gegenüber der Stelle, an der das Brautpaar sich das Ja-Wort geben würde. Weiter beauftragte er ihn, es zu verhängen und erst in dem Augenblick zu enthüllen, wenn Mando ihm ein Zeichen gab.