Lahrer Chrysanthemen - Peter Winter - E-Book

Lahrer Chrysanthemen E-Book

Peter Winter

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Beschreibung

Warum regnet es auf einen Lahrer Bauernhof bunte Chrysanthemen und wieso ist ein wetfälischer Zeppelinmechaniker Schuld daran? Wie kommt es, dass es auf dem Lahrer Wochenmarkt nur ein einziges Mal tintenblaue Chrysanthemen zu kaufen gibt? Welches Geheimnis verbindet ein Armeleutegrab mit einer roten Chrysantheme, die auch im Schnee nicht welkt? Es sind witzige, geheimnisvolle, leidenschaftliche und tragische Geschichten über Liebe und Hoffnung,Verrat und Versöhnung, die der Autor rund um die Chrysantheme spannend und mit feinem Humor über Lahrer Orte und Begebenheiten zu einer unterhaltsamen historischen Lesereise verknüpft.

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Über den Autor:

1959 in Ulmbach im rumänischen Banat geboren, ist Peter Winter bekennender Banater Schwabe. Er hat in Freiburg und Würzburg Philosophie, Politische Wissenschaften und Pädagogik studiert. Dem Magister-Abschluss folgte eine Ausbildung für den gehobenen Verwaltungsdienst, die er als Diplom-Verwaltungswirt (FH) abschloss. Im Anschluss daran absolvierte er ein Volontariat und arbeitete mehrere Jahre als Lokaljournalist. Es folgten eine Ausbildung zum Mediengestalter und eine zehnjährige Tätigkeit in einer Werbeagentur. Winter, seit vielen Jahren mit einer Diplom-Heilpädagogin verheiratet und Vater dreier Kinder, ist heute freiberuflich als Dozent und Publizist tätig.

Inhaltsverzeichnis

Vorrede

Die blaue Chrysantheme

Die gelbe Chrysantheme

Die „Zottli“-Chrysanthemen

Das Chrysanthemenfeld

Der weiße Chrysanthemenstrauch

Die verzauberte Chrysantheme

Die geknickte Chrysantheme

Die grüne Chrysantheme

Die verkohlte Chrysantheme

Die rote Chrysantheme

Chrysanthemen mit Ahornsirup

Die braun gefleckte Chrysantheme

Die japanische Chrysantheme

Vorrede

Allenthalben werde ich von alteingesessenen Lahrer Bürgern und Menschen aus dem Umfeld der Stadt auf die hier im Büchlein erzählten Geschichten angesprochen. Während sich die einen wundern, von diesen Geschehnissen noch nichts gehört zu haben, machen mir die anderen gestrenge Vorhaltungen: Diese Jahreszahl ist falsch, jener Name nicht richtig geschrieben und manche Geschichte habe sich an einem völlig anderen Orte abgespielt.

Nun denn, mit diesen Erzählungen verhält es sich wie mit fast allen Geschichten, die halb wahr und halb erfunden sind und die wir nur vom Hörensagen kennen: Wer könnte nach all den vielen Jahren noch zuverlässig wissen, was sich damals wirklich ereignet hat? Die meisten Personen, von denen ich hier erzähle, sind seit vielen Jahren tot, die Häuser und Plätze ihrer Geschichten abgerissen oder so umgebaut, dass sie kaum noch wiedererkannt werden können.

Zu jener Zeit lebten andere Menschen in einer anderen Welt – ohne Internet und Fernseher, ohne den Medienlärm und die Bilderflut, die uns heute die Erinnerung raubt.

Es waren Zeiten, in denen man noch die Muße fand, sich mit Nachbarn und Freunden zu treffen, um sich in aller Ruhe Geschichten zu erzählen. Deshalb möchte ich zu meiner Verteidigung auf die dichterische Freiheit verweisen: Was ich hier aufgeschrieben habe, ist keine Lahrer Stadtgeschichte. Es sind Lahrer Stadtgeschichten als unterhaltsame Erinnerungen an eine längst untergegangene Welt.

Die blaue Chrysantheme

Nach dem Ersten Weltkrieg lebte in Dinglingen ein Mann mit seiner Frau und seinen fünf Kindern. Die Familie bewohnte ein geducktes, ärmliches Haus, hinter dem sich ein schmaler Garten bis hinunter zur Schutter erstreckte.

„Was für ein feiner Kerl, unser Herr Kaiser“, pflegte der Mann im Wirtshaus zu lamentieren, „hat mich ganz schön übers Ohr gehauen, unser Herr Kaiser. Bin mit zwei gesunden Beinen in den Krieg gezogen und einem zerlumpten Soldatenmantel wieder heimgekehrt. Und einem Holzbein. Mein linkes Bein hab' ich also gegen Mantel und Holzbein eingetauscht. Sapperlot, Ihre allergnädigste Majestät verstehen sich aufs Tauschen!“

Vielleicht waren solche und ähnliche Sprüche der Grund dafür, dass ihn seine Saufkumpane den „Roten Dieter“ nannten und ihm im Suff an den Kopf warfen, ein hundsföttischer, vaterlandsloser Sozialist zu sein. Jedenfalls wanderte der größte Teil seiner kümmerlichen Invalidenrente und nicht wenig von dem, was er darüber hinaus als Korbmacher erwerben konnte, über den Tresen des „Hirschen“ am Hirschplatz, wo sich klimpernde Münze im Nu in roten Wein verwandeln ließ.

Weil sie mit dem bescheidenen Rest des Familieneinkommens ihre Kinder kaum sattbekommen konnte, züchtete die arme Frau des Kriegshelden Hühner, Enten und Kaninchen und bewirtschaftete darüber hinaus noch den Garten hinter dem Haus. So schaffte es die fleißige Mutter nicht nur, die verfressenen Mäuler der Familie zu stopfen, sondern darüber hinaus durch den Verkauf von Kleinvieh, Eiern und Gemüse auf dem Lahrer Wochenmarkt noch einen Notgroschen für schlechte Tage anzusparen. Um auch im Herbst, wenn es im Garten keine Gurken, Karotten oder Erbsen zu ernten gab, auf dem Markt noch etwas feilbieten zu können, hatte die kluge Frau in einer Ecke des Gartens ein stattliches Beet mit Chrysanthemen bepflanzt, die nun in blässlichem Weiß in der Herbstsonne prächtig leuchteten.

In der frostigen Morgendämmerung des Samstags vor Martini hatte die Frau einen üppigen Strauß dieser weißen Chrysanthemen geschnitten und in einen halb mit Wasser gefüllten Blecheimer gestellt. Damit sie die beschwerliche Fahrt zum Marktplatz unbeschadet überstehen, hatte die

Frau die empfindlichen Blüten in Zeitungspapier eingeschlagen. Den Eimer mit den Blumen, drei rot goldene Kürbisse und einen Henkelkorb mit blank geputzten Äpfeln verstaute sie auf ihrem klapprigen Handwagen und deckte ihre kostbare Ware zum Schluss mit einem groben Leinensack ab.

Sie wollte gerade losfahren, als im Haus lautes Geschrei und wütendes Gezanke losbrach. Zornig ließ sie ihr Wägelchen stehen, um mit einer vorsorglich für diesen Zweck geschnittenen Haselgerte im Haus für Ruhe zu sorgen.

Just in diesem Augenblick kam ein Nachbarjunge vorbei, der auf dem Weg zur Schule war. Mit wenig Lust auf lehrreichen Unterricht, dafür aber umso mehr Freude an bösen Streichen, erkannte der kleine Tunichtgut die Gelegenheit: Blitzschnell schlug er den Sack zurück, stopfte sich zwei Äpfel in die Hosentaschen und schüttete einen kräftigen Schuss Tinte in den Chrysanthemeneimer. Ratsch, die Abdeckung wieder zurückgezogen, damit sein Streich nicht vorzeitig entdeckt werde und hurtig weiter zur Schule. Wie würden seine Freunde in der Schule loslachen, wenn er seine Heldentat zum Besten geben würde. Indes hatte die wackere Frau mit mahnenden Worten, biegsamem Stock und kräftigen Ohrfeigen den häuslichen Frieden wiederhergestellt. Verärgert über die Verzögerung, schnappte sie sich ihren Wagen und hastete mit der rumpelnden Karre zum Markt. Der von der Morgensonne in sanftes Rot getauchte Weg, die fröhlich zwitschernden Spatzen und die Vorfreude auf den einen oder anderen Schwatz mit den anderen Marktfrauen ließen ihren Ärger recht bald verfliegen.

Auf dem Markt angekommen, baute sie mit zwei klappbaren Holzböcken und drei breiten Brettern flink ihren Marktstand auf. Anschließend bereitete sie ihre Waren so ansprechend darauf aus, dass jedermann Lust aufs Kaufen bekommen musste. Während sie die Chrysanthemen geschickt so im Eimer verteilte, dass jede einzelne von ihnen ihren stolzen Blütenkopf majestätisch präsentierte, war ihr, als ob die weißen Blütenblätter heute von einem bläulichen Schimmer überzogen wären.

„Wenn erst die Sonne scheint, werden sie bald wieder in ihrem gewohnten Weiß strahlen“, dachte sie bei sich und huschte die drei Schritte zur Honigfrau am Nachbarstand, um die zu begrüßen. Und natürlich auch, um den neuesten Tratsch aus dem Nachbarörtchen Sulz zu erfahren. Die Marktweiber kannten sich untereinander seit vielen Jahren. Noch ehe die feinen Damen aus ihren großbürgerlichen Villen auf dem Markt erschienen, kannte jedes Marktweib all jene pikanten Neuigkeiten aus Lahr und den umliegenden Dörfern, über die die Zeitung nicht zu schreiben wagte.

Es mag wohl eine gute Stunde vergangen sein, bis die gute Frau ihre Schwatzrunde beendet hatte und wieder an den eigenen Stand zurückkehrte. „Oh, Gott! Was ist denn das?" Vor Schreck sprachlos, stand sie mit aufgerissenen Augen über ihren Blumeneimer gebeugt und konnte nicht begreifen, was sie da sah: blaue Chrysanthemen. Stängel und Blätter rankten in sattem Violett, die Blütenköpfe aber prangten in schönstem Kobaltblau. Schnell rief sie nach der Honigfrau, die sofort herbeigerannt kam, den so blaue Chrysanthemen hatte auch sie noch keine gesehen.

Die Kunde von den wundersamen Blumen machte schnell die Runde. Die Käsefrau kam, staunte und ging kopfschüttelnd an ihren Stand zurück. Ebenso die Eierfrau, die Kräuterfrau und all die anderen Marktfrauen. Was war das für ein Getuschel und Geschnatter! Jede präsentierte eine andere Erklärung für dieses pflanzliche Wunder. Während die Marmeladenfrau vom Langenhard die Blumen am liebsten sofort verbrannt hätte: „Dieses Teufelszeug bringt bestimmt Unglück!“, bot die Kartoffelfrau aus Schuttern an, die wundersamen Blumen persönlich und mit aller erforderlicher Ehrerbietung in der Klosterkirche vor dem Altar abzulegen – das bringe sicherlich Gottes Segen!

Sosehr ihr dieser Vorschlag im ersten Augenblick auch gefiel, die Blumenbesitzerin musste ihm dennoch eine Absage erteilen: Von Gottes Segen allein werde man nicht satt, Brot und Milch wollten bezahlt sein. Das Mirakel der blauen Chrysanthemen sprach sich auch unter den Marktbesuchern herum. Alle strömten zum Stand, um dieses sonderbare Naturwunder zu bestaunen. Es wurde gelacht und geschimpft, gemahnt und aufgeregt durcheinander gequatscht. Nur gekauft wurde nichts.

Darüber war es spät geworden. Die Käufer wurden spärlicher, die ersten Marktfrauen begannen bereits damit, ihre Stände abzubauen, der Markttag neigte sich seinem Ende zu. Verzweifelt und mit den Tränen kämpfend, war auch die Chrysanthemenfrau im Begriff, ihren Stand abzubauen, als die Frau eines wohlhabenden Zigarren-Fabrikanten mit ihrer Dienstmagd an den Stand trat und die blauen Chrysanthemen neugierig musterte. „Die sehen ja putzig aus, Sofie“, kicherte sie mit ihrer Magd, „die passen bestimmt wie gemalt zu meinem atlasblauen Kleid für die Soiree heute Abend.“ Sofort bot sie der verdutzten Marktfrau einen so hohen Preis für die Blumen, dass diese ihr Äpfel und Kürbisse gerne noch als Dreingabe dazu gab. Zudem erbot sie sich eilfertig, dass Gekaufte mit ihrem Handwagen zum Haus der Dame zu fahren. Verspätet, aber glücklich über den unerwarteten Geldsegen kehrte die gute Frau schließlich nach Hause zurück.

Auch wenn die Leute noch lange Zeit über die wundersamen blauen Chrysanthemen rätselten – auf dem Lahrer Markt wurden sie seitdem nie wieder feilgeboten.

Die gelbe Chrysantheme

Vor noch gar nicht so langer Zeit lebte im schönen Schwarzwaldstädtchen Offenburg eine Frau. Die Frau arbeitete in der Redaktion einer bekannten Modezeitschrift eines noch bekannteren großen Verlags als Chefredakteurin. Wie es bereits ihre Berufsbezeichnung ahnen lässt, war diese Frau – nennen wir sie Magdalena Neubarth – eine sehr moderne Frau: eine Business-Frau.

Wie alle wichtigen Business-Frauen ihrer Redaktion, war Frau Neubarth sehr darum bemüht, auch wie eine wirklich wichtige Business-Frau zu wirken. Also aß sie jeden Tag nur einen teuren Bio-Salatkopf, den sie sich mit ihrem weißen Wellensittich brüderlich teilte. Sie trank nur teures Gletscherwasser mit echten Blattgoldstückchen, die anschließend in der Toilettenschüssel lustig glitzerten. Außerdem trug sie maßgeschneiderte Designer-Kostüme mit auffälligem Logo, damit auch alle Nicht-Modefrauen erkennen konnten, dass sie sich teure Designer-Mode leisten konnte.

Und wenn die anderen Mitarbeiter Frau Neubarth in ihrem teuren perlmuttweißen Sport-Cabriolet vors Redaktionsgebäude vorfahren sahen, wussten alle, dass hier eine erfolgreiche Business-Frau ihr wichtiges Manager-Tagwerk aufzunehmen gedenke. Insgeheim beneideten die meisten von ihnen die Frau Neubarth ungemein.

Frau Neubarth wohnte in einer riesigen Wohnung in einer schneeweißen teuren Altbauvilla, die sie sich sehr modern eingerichtet hatte. Modern heißt: Die Wohnung war praktisch leer. Im Wohnzimmer gab es nur vier weiße Wände und eine sehr exquisite weiße Designer-Ziegenleder-Couch in Form eines Termitenhügels, auf der man kaum sitzen, geschweige denn liegen konnte. Das restliche Mobiliar bestand aus einer gläsernen Vitrine, in der eine einzelne weiße Vase aus bemaltem Blech stand – natürlich ebenfalls ein teures Designerstück – und einem teuren weißen Designer-Stuhl, in dem man sich hineinknien musste. Das tat Frau Neubarth jedoch selten, weil ihr beim Knien immer die Füße einschliefen.

Ihre teure weiße Designer-Küche sah wie neu aus – was sie praktisch ja auch war, da man Salat bekanntlich nicht kochen muss. Das Einzige, was Frau Neubarth regelmäßig kochte, war Kaffee. Dafür hatte sie sich einen teuren, weißen Designer-Kaffeeautomaten zugelegt. Selbstverständlich waren auch in Badezimmer und Schlafzimmer nur teure weiße Designer-Möbel zu finden. Daher befiel die seltenen Besucher von Frau Neubarth das seltsame Gefühl, in den Palast der Schneekönigin geraten zu sein und trachteten danach, dieser kalten weißen Designer-Pracht möglichst schnell wieder zu entkommen.