Larry Brent Classic 012: Retortenmonster - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 012: Retortenmonster E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Das Monster aus der Retorte Einmal heißt es, das Professor Yondos Haus unbewohnt sei, dann wieder, daß sich der greise Wissenschaftler völlig zurückgezogen habe. Andere wiederum behaupten, Yondo sei in einer Nervenheilanstalt. Fest steht nur eins, manchmal sind nachts furchtbare Schreie zu hören, von denen niemand weiß, welchen Ursprung sie haben. Der Polizist Tanizaki geht der Sache nach. Was er erlebt, läßt ihn an seinem Verstand zweifeln. Er glaubt, in Frankensteins Labor geraten zu sein. Ein unheimlicher Mörder geht um, und Larry Brent wird mit den grauenvollen Ereignissen konfrontiert, als er sich in Tokio aufhält, um Keiko Yamada für die PSA anzuwerben. Es gibt keinen Zweifel, durch einen wahnsinnigen Wissenschaftler ist ein Monster erschaffen worden, das nur seinem urweltlichen Instinkt folgt. Schrei, wenn dich der Hexentöter würgt Als Petra Zeller aus dem Auto steigt ist sie nach einem schönen Abend vergnügt und heiter. Doch als sie ihr Elternhaus betritt und sich auf ihr Zimmer begibt, ändert sich das schnell. Sie wird überfallen. Zum Schreien kommt sie nicht mehr, denn unter dem Würgegriff des unheimlichen Besuchers geht sie zu Boden. Als sie zu sich kommt, findet sie sich auf einem Scheiterhaufen wieder. Das Mittelalter scheint erwacht. Eine Gestalt steht vor ihr. Groß, schwarzgekleidet, ein Schlapphut auf dem Kopf. Die Hand des Fremden zuckt nach, vorn, hält das brennende Holz in den Scheiterhaufen, der wenige Augenblicke später auflodert. Petra Zeller wird als Hexe verbrannt! Doch sie ist nicht die einzige, und die PSA schickt X-RAY-3, um dem Grauen ein Ende zu bereiten. Morna Ulbrandson soll der Köder sein!

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 12

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-812-9

Dan Shockers Larry Brent Band 12

RETORTENMONSTER

Mystery-Thriller

Das Monster aus der Retorte

von

Dan Shocker

Prolog

»Kommen Sie mit! Ich verspreche Ihnen das heißeste Abenteuer, das Sie jemals in Tokio erlebt haben«, sagte der Japaner mit dem Anflug eines Lächelns.

Der Amerikaner grinste. »Deshalb bin ich Ihnen schließlich gefolgt. Umsonst werfe ich fünfzig Dollar nicht zum Fenster raus.« John Parkinson fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als genieße er bereits den Vorgeschmack der Dinge, die in diesem Haus auf ihn warteten. Liebe, Sex und ein ungewöhnliches erotisches Abenteuer waren ihm versprochen worden. Man musste nur das Glück haben, in einer Riesenstadt wie Tokio, die hinter den Kulissen das Außergewöhnliche bot, einen Vermittler zu finden, der wusste, wo diese delikaten Dinge geboten wurden.

Parkinson stieg hinter dem kleinen Japaner die schmalen Stiegen des alten Hauses hoch. Es war wenige Minuten vor Mitternacht und völlig still.

Parkinsons Gesicht sah ein wenig gerötet aus. Das kam nicht nur von der Aufregung, die sich seiner bemächtigt hatte, sondern auch von dem reichlich genossenen Reiswein.

»Wir sind gleich da«, murmelte der Japaner. »Die drittletzte Tür rechts ist es. Suzi wird Ihnen eine Nacht bereiten, von der Sie bisher nur geträumt haben, Mister ...«

Aus der Nische neben einer Tür sprang plötzlich eine Gestalt.

Trotz seiner Körperfülle wirbelte Parkinson herum. Er rechnete damit, dass sein Begleiter, der ihn hierhergebracht hatte, nun ebenfalls in das Geschehen eingriff.

Doch da geschah etwas, womit er am wenigsten gerechnet hatte.

Der Schatten fiel über den Japaner her, der offenbar genauso überrascht war wie Parkinson.

Der Amerikaner sah, wie der blitzende Stahl eines Dolches sich zweimal tief in die Brust des Mannes senkte, der vor wenigen Augenblicken noch quietschvergnügt fünfzig Dollar von ihm bekommen hatte.

Gurgelnd und blutüberströmt brach der Getroffene zusammen ...

Parkinson erreichte nicht mehr den Treppenabsatz.

Der unheimliche Mörder mit dem Dolch war schneller. Parkinson fühlte sich von einer harten Hand herumgerissen. Er wollte sich zu Boden fallen lassen, um dem tödlichen Stich auszuweichen. Doch die Waffe drang ihm genau zwischen die Schulterblätter. Dann war der Unheimliche, der wie berauscht schien, auch schon über ihm.

Parkinson wehrte sich trotz der gefährlichen Verletzung aus Leibeskräften, und es gelang ihm, einen zweiten Dolchstoß abzufangen.

»Hilfe!« Der Amerikaner schrie, so laut er konnte.

Parkinson gelang es, sich auf die Seite zu rollen, während seine Beine halb über die beiden oberen Treppen rutschten.

Das Gesicht des Amerikaners glühte.

Er hatte es mit einem hässlichen, pockennarbigen Burschen zu tun, der über erstaunliche Körperkräfte verfügte. Die Augen des Angreifers glitzerten kalt, und Parkinson las seinen Tod in diesem Blick.

Keuchend drückte der Amerikaner den Arm des Mannes beiseite, der den blutverschmierten Dolch abermals herabstoßen wollte.

John Parkinsons Kräfte ließen merklich nach. Schweiß stand auf seinem Gesicht.

Er wusste, dass er – obwohl er fast einen Zentner mehr wog als sein Widersacher – keine Chancen mehr hatte. Sein Gegner war beweglich, und nur ein einziger Gedanke erfüllte ihn: diesen Mann zu töten.

Mit dem Mut der Verzweiflung wandte Parkinson sich ab, und der kräftig geführte Dolch blieb knirschend in der wurmzernagten Stufe stecken.

Der Angreifer wollte den Dolch sofort ergreifen, rutschte aber auf der Treppe ab und griff daneben. Parkinson erkannte die Chance, die sich ihm bot.

Er streckte die Linke aus und fühlte den warmen und mit Blut bedeckten Dolch in seiner zitternden Hand. Er wusste nicht mehr, wie es ihm eigentlich gelang, die tödliche Waffe aus dem Holz zu ziehen und herumzureißen.

Mit einem leisen Aufschrei sprang ihn der pockennarbige Japaner sofort wieder an.

Parkinson handelte instinktiv. Er schob die lange Waffe seinem Widersacher einfach entgegen.

Der Stoff knirschte unter dem Druck der Klinge, die sich in den weichen Körper schob. Parkinson wusste nicht, wie das alles geschah. Er sah kaum noch etwas. Alles verschwamm vor seinen Augen. Die Wände rückten auf ihn zu, und die Treppe mit dem sich krümmenden menschlichen Körper drehte sich wie unter einer heftig kreisenden Bewegung.

Der getroffene Japaner versuchte, noch einmal auf die Beine zu kommen.

Der Amerikaner aber kannte kein Pardon. Es war, als hätte die tödliche Gefahr seine Sinne geschärft. Abermals stach er zu, und wieder gab etwas Weiches nach. Wie in Hypnose spürte John Parkinson das warme Blut, das über sein Handgelenk spritzte.

Dann taumelte der Schatten vor ihm und überschlug sich. Dumpf krachte der Körper auf die morschen Stufen, rollte nach unten und blieb reglos auf dem schmalen Treppenabsatz liegen.

Stöhnend kam Parkinson hoch. Wie im Krampf hielt er den klebrigen Dolchgriff umfasst.

Der Amerikaner stand zitternd auf den Beinen und taumelte an der rauen, schmutzigen Wand entlang. Seine blutigen Finger hinterließen lange, rote Spuren auf dem graugelben Verputz.

Parkinson sah und bemerkte es nicht. Er rutschte mehr, als dass er ging. Der Boden unter ihm gab nach wie eine Schaumgummimasse, und es wurde dem Schwerverletzten nicht bewusst, dass er stürzte und sich mühsam wieder aufrichtete.

Schon schalteten seine Sinne langsam ab; er war geschwächt durch den starken Blutverlust, den er erlitten hatte.

Ich brauche Hilfe, hämmerte es in seinem Gehirn. Einen Arzt ... und die Polizei ...

In seinem fiebernden Bewusstsein machte sich der Gedanke breit, dass dies alles nur ein furchtbarer Traum und niemals Wirklichkeit war.

Parkinson lag neben der Leiche und schaffte es nicht mehr, sich zu erheben. Durch den zähen, dunklen Nebel, der über seinen Augen wallte, erkannte er die Umrisse einer Tür.

Es war die Tür, durch die der Vermittler ihn führen wollte, bevor sein Mörder ihn zu Boden streckte.

Parkinson ließ den Dolch fallen. Mühsam streckte der Amerikaner sich. Seine Kräfte ließen nach. Aber trotz allem glaubte er nicht daran, dass dies das Ende war. Er hoffte, noch einmal davonzukommen, wenn er bald in ärztliche Behandlung kam. Solange er noch so denken konnte, war er noch nicht verloren!

Er erreichte mit der rechten Hand die Türklinke und zog sie mit seinem ganzen Körpergewicht herab.

Er machte sich keine Gedanken darüber, dass die Tür sofort quietschend zurückschwang und nicht verschlossen war.

»Kommen Sie, rasch ...!«, murmelte Parkinson. Es gelang ihm nicht, die Worte laut auszusprechen. Ein dünner Blutfaden lief aus seinen Mundwinkeln, und der Amerikaner wischte ihn mit dem Handgelenk ab. »Ich brauche Hilfe – es ist etwas Furchtbares passiert!«

1. Kapitel

Der Mann, der in dieser stillen Stunde nach Mitternacht genau am entgegengesetzten Punkt von Tokio hinter einer Buschgruppe am Rande der Stadt wartete, war niemand anders als der Polizeibeamte Reima Tanizaki.

Seit zwei Stunden hielt er sich in dieser Gegend auf.

Nachbarn, die die Häuser dem alten, baufälligen Gebäude gegenüber bewohnten, hatten sich in der letzten Zeit zunehmend darüber beschwert, dass dort, wo ein gewisser Professor Yondo wohnte, zu später Stunde immer wieder seltsame Geräusche, Stöhnen und unterdrückte Schreie zu hören wären.

Die Eingaben waren zunächst von einem einzelnen Mann erfolgt, der als Außenseiter galt und nicht ganz ernstgenommen wurde.

Dann aber hatte sich das Revier doch mit der Angelegenheit beschäftigen müssen, weil auch andere Leute behaupteten, etwas gehört zu haben.

Zwei Beamte nahmen sich zunächst der Sache an und machten einen Besuch bei Professor Yondo, der als eigensinniger und menschenscheuer Arzt galt.

Die Polizisten waren die ersten Menschen seit langer Zeit, die Yondo in sein Haus ließ. Man hatte als Tarnung ein paar Fragen parat, um angeblich eine Mordsache zu klären. Dieses fingierte Verbrechen war zurechtgelegt worden, um überhaupt einen Grund zu haben, dem Professor in seinem abgelegenen Haus einen Besuch abzustatten. Angeblich hätte ein junger Mann in der Nähe des verwilderten Parks, der das einsame Haus Yondos umgab, einem Mädchen Gewalt angetan und es danach ermordet.

Yondo hatte mit gutem Gewissen behaupten können, dass ihm nichts aufgefallen war und er weder etwas gesehen noch gehört hatte. Bei der Begegnung mit dem alten, weißhaarigen Mann, der älter wirkte, als er in Wirklichkeit war, hatten sich die beiden Beamten unmerklich im Haus umgesehen und mit gespitzten Ohren aufmerksam auf die angeblichen Geräusche gelauscht, die es hier nach den Aussagen der Nachbarn und einiger Passanten geben sollte.

Es war auch kein Zufall, dass die beiden Männer vom 9. Revier zur Abendstunde in Yondos Haus gekommen waren. Denn nach Einbruch der Dunkelheit sollten sich die unheimlichen Geisterstimmen und Geräusche am deutlichsten entfachen. Doch den Polizisten fiel nichts auf. Unverrichteter Dinge zogen sie wieder ab.

In ihrem nachfolgenden Bericht war dann auch von den Hirngespinsten der umliegenden Bewohner die Rede, die es offenbar darauf angelegt hatten, den menschenscheuen Professor auf Eis zu legen und ihn von hier zu vertreiben. Yondo war nicht beliebt.

Die Gerüchte aber verstummten auch nach dem Besuch der beiden Polizisten nicht. Im Gegenteil: Man behauptete, die Schreie hätten sich verstärkt. Irgendetwas Gespenstisches, Unheimliches oder Verbotenes müsse in dem Haus des Alten vorgehen. Er wohne doch allein darin. Wieso könne man dann Stimmen hören?

Man setzte daraufhin Reima Tanizaki auf die Spur.

Er hatte den Auftrag, die Dinge genau zu studieren. Aus allernächster Nähe, als stummer Beobachter, sollte er den Dingen auf den Grund gehen.

Gab es die geheimnisvollen Stimmen und Schreie wirklich? Beschäftigte sich der zurückgezogen lebende Mann mit verbotenen Experimenten, wie von bösen Zungen behauptet wurde? Ging in diesem Vorort Tokios etwas vor, das man fürchten musste?

Alle diese Fragen sollte Tanizaki klären ...

Er löste sich jetzt lautlos von den Büschen und hielt sich im Schatten der Alleebäume auf, die die Straße flankierten. Die Ruhe in dieser abgelegenen Gegend war ungewöhnlich. Etliche Kilometer weiter spielte sich jetzt das hektische farbige Leben in den Vergnügungsstätten der japanischen Hauptstadt ab, schoben sich die Menschen unter den flimmernden Leuchtreklamen durch und an den hellerleuchteten Schaufenstern der Ginza vorbei, der Hauptgeschäftsstraße der Metropole.

Hier draußen aber wirkte die Umgebung beinahe ländlich.

Es gab größere Grünflächen als in der Stadt, weniger Geschäfte und um diese Zeit kaum Verkehr. Tanizaki hatte in zwei Stunden ganze fünf Autos gezählt, die die Straße passierten.

Der Japaner duckte sich jetzt, bewegte sich an der Mauer entlang, die ein Anwesen umgab, und huschte dann über die düstere Straße.

Das Haus lag in tiefer Dunkelheit und geheimnisvoller Stille. Der Zaun, der das Grundstück eigentlich sichern sollte, war eine Farce. Er war an zahllosen Stellen durchbrochen, und jeder, der hier eindringen wollte, konnte das eigentlich tun.

Yondo war ein alleinstehender, alter Mann, der nicht mehr die Kraft hatte, Reparaturarbeiten an Haus und Zaun durchzuführen. Er legte überhaupt nicht viel Wert darauf, dass das Anwesen gepflegt und sauber wirkte. Die Wege waren mit Unkraut überwachsen, die Büsche standen verwildert, und die Hecken, die wie eine natürlich gewachsene Mauer direkt auf das Haus zuwuchsen, hätten längst beschnitten werden müssen. Die Hausfront selbst war von dichten, grünen Ranken bis an den ausschwingenden Dachvorsprung überwachsen. Einige Fenster waren schon gar nicht mehr zu erkennen, und wenn man außerhalb des Zaunes stand, dann kam man unwillkürlich auf den Gedanken, dass der Komplex hier immer mehr verfiel und dass eigentlich unmöglich noch jemand darin wohnen konnte.

Tanizaki war ein junger, sympathischer Bursche, fünfundzwanzig Jahre alt. Er verfügte über eine ausgezeichnete Kombinationsgabe und war seinen Vorgesetzten schon durch die klare Schilderung komplizierter Vorgänge und durch seinen Intellekt aufgefallen.

Die Dunkelheit und die dichtstehenden Baumreihen nahmen ihn auf.

Tanizaki glaubte nicht an ein Monster. Er dachte mit keinem Gedanken daran. Die Leute hier redeten viel, wenn der Tag lang war. Diejenigen, die hier lebten, waren keine Großstädter mehr, sie fühlten sich zum Land gehörig. Und diese Landbewohner hatten manchmal merkwürdige Ansichten. Sie waren scheu und abergläubisch und kamen auf die tollsten Ideen, wenn da etwas war, das sie nicht gleich begriffen.

Ein trockener Ast knackte unter seinen Füßen, und der Beamte verhielt in der Bewegung.

Sein Blick war wie in Hypnose auf die düstere, hinter Pflanzen und wildem Wein kaum wahrnehmbare Hauswand gerichtet. Er wünschte sich unwillkürlich, er könne jetzt die Wände mit seinen Blicken durchdringen und sehen, was es in den umfangreichen Kellergewölben des großen Gebäudekomplexes an Verborgenem und Geheimnisvollem gab.

Tanizaki hielt plötzlich den Atem an.

Es war ihm, als befände er sich mit einem Mal nicht mehr allein in dem großen, verwilderten Garten.

Jemand befand sich in seiner Nähe.

Tanizaki schluckte. Er verharrte in der Bewegung. Deutlich hörte er jetzt die Stimmen.

»Hallo?« John Parkinson atmete schwer, während seine fiebrig glänzenden Augen das Dunkel zu durchbohren schienen. Er glaubte hinter dem zerfließenden Nebel die Umrisse einer Schrankwand und davor ein breites, französisches Bett zu erkennen.

Er kroch über den Boden und spürte, dass es ein dicker Teppich sein musste, auf dem er lag. Der Amerikaner befand sich halb in dem fremden Zimmer.

Sein Herz schlug so heftig, dass er das Gefühl hatte, seine Brust zerspringe. Der Ton des pochenden Organs schien laut und deutlich wie eine schlagende Uhr die Dunkelheit zu durchdringen.

Warum antwortete ihm niemand?

Er schob sich weiter in den düsteren Raum hinein, und es war ihm, als stünde auf einem kleinen Tisch neben dem Bett eine Lampe, die einen gelblich-grünen Schein verbreitete.

Parkinsons Hände tasteten sich über den teppichbelegten Fußboden. Der Amerikaner versuchte, sich auf das mitten im Raum stehende Bett zu ziehen, aber er rutschte ab.

Schwer schlug Parkinson mit dem Oberkörper auf. Da fühlte er etwas Weiches an seinen Fingerspitzen. Unwillkürlich streckte er die Hände weiter aus und ertastete den noch warmen, nackten Körper, der unmittelbar vor ihm unter dem Bett lag.

Verzerrt sah er plötzlich die Umrisse des weiblichen Körpers, der jedoch sofort wieder hinter einer Wand aus undurchdringlichem Nebel verschwand.

Die Frau war tot!

In Parkinsons Gehirn brauste es, als würde ein aufgepeitschter Ozean toben.

Er versuchte, mit den Problemen, die sich ihm stellten, fertigzuwerden, aber er schaffte es nicht. Die Dinge gingen über seine Kräfte.

Die Japanerin, die ihn hier in diesem Zimmer erwartet hatte, war erstochen worden. Eine klaffende Wunde befand sich in Höhe ihres Herzens.

»Wahnsinn ...«, presste er zwischen den Zähnen hervor und konnte nicht verhindern, dass sie klappernd aufeinanderschlugen, als erfasse ihn plötzlich ein Schüttelfrost. »Ich bin – in ein Irrenhaus geraten ...«

Für Parkinson gab es nur eine Lösung: Der Bursche, der ihm und dem Vermittler aufgelauert hatte, musste auch das Mädchen ermordet haben!

Ein Amokläufer? Ein Irrer?

Minutenlang blieb Parkinson reglos neben der Leiche unter dem Bett liegen, ehe er erneut versuchte, auf die Beine zu kommen.

Er war ganz auf sich selbst angewiesen und benötigte dringend Hilfe.

Gab es ein Telefon in diesem Zimmer?

Er hatte sich darauf verlassen, dass vielleicht das Mädchen ihm helfen könne, aber ...

Parkinson gelang es, sich aufzurichten.

Doch er versuchte vergebens, auf die Beine zu kommen. Kraftlos fiel er über dem weichen Bett zusammen, vor dem er kniete.

Sein Atem ging röchelnd. Er merkte, dass ihm das Denken schwerfiel.

Wie aus weiter Ferne nahm Parkinson ein Geräusch wahr.

»Ist da jemand?« Er wollte laut und deutlich fragen, aber es wurde nur ein dumpfes, gurgelndes Stöhnen. Er konnte die Worte nicht mehr artikulieren.

Ein Schatten fiel über seinen Körper.

Es war gut, dass John Parkinson nicht sah, wer sich ihm näherte.

Der Amerikaner fühlte, dass sich eine Hand auf seine Schulter legte. Dann wurde er brutal herumgerissen. Parkinsons Pupillen weiteten sich. Der Schatten über ihm hatte die Umrisse einer menschlichen Gestalt. Zwei kalte, behaarte Hände legten sich um Parkinsons Kehle und drückten zu.

Die Augen des tödlich Verletzten quollen aus den Höhlen. Für den Bruchteil eines Augenblicks wurde Parkinsons Blick vollkommen klar, und er sah seinen unheimlichen Mörder!

Es war eine Frau ...

Sie trug schulterlanges Haar, aber auch ihre starken Arme waren behaart bis zu den Handflächen. Unter der halb aufgeknöpften Bluse erkannte John Parkinson, dass auch der Körper von dichtem und borstigem Haar bewachsen war.

Ein Mensch? Nein, ein Ungeheuer, ein Wesen, halb Mensch, halb Tier ...

Die affenartigen Züge des gespenstischen Wesens waren zu einer hässlichen Fratze verzerrt. Dies waren die letzten Eindrücke, die der Amerikaner in eine andere Welt mitnahm.

Er merkte nicht mehr, wie sein Körper dumpf und schwer neben dem Bett aufschlug.

Er sah auch nicht mehr, wie das unheimliche, affenartige Wesen mit flinken Bewegungen zur Tür huschte und verschwand, lautlos und still wie ein Schatten.

Reima Tanizaki lauschte.

»... es wird niemand merken. Der Alte ist nicht zu Haus. Ich weiß es ...«, sagte die eine Stimme. Sie klang ein wenig heiser.

»Hast du dich hundertprozentig vergewissert?«, fragte eine andere zweifelnd.

»Hast du jemals erlebt, dass ich oberflächlich war?« Die Erwiderung klang fast böse.

»Nein«, sagte der andere. Seine Stimme klang weicher, und man merkte dem Sprecher an, dass er gewohnt war, Befehle entgegenzunehmen und nicht die Kraft hatte, sich zu behaupten. »Ich bin nur ein bisschen nervös. Das musst du verstehen. Soviel Geld auf einem Haufen habe ich noch nie gesehen. Und wir wollen es schließlich behalten.«

»Der Coup war bestens vorbereitet, Jonka. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen. Die gefährlichsten Augenblicke haben wir überstanden. In ganz Tokio werden sie jetzt nach uns suchen. Aber hier vermutet uns niemand. Das soll jedoch nicht heißen, dass wir uns hier heimisch einrichten werden. Wir lassen lediglich das Geld verschwinden, und dann nehmen wir unser ganz normales bürgerliches Leben wieder auf.«

Das Rascheln von Kleidungsstücken, die entweder abgelegt oder angezogen wurden, folgte unmittelbar nach der Bemerkung des ersten Sprechers. Tanizakis Lippen wurden zu einem schmalen Strich.

Dies hier hörte sich beileibe nicht an, als würden sich Geister unterhalten. Die beiden Burschen, die der junge Beamte wenige Sekunden darauf zu sehen bekam, als er sich vorsichtig um die Hauswand schob und den schattigen Winkel überblicken konnte, waren aus Fleisch und Blut. Und sie waren eifrig damit beschäftigt, die Uniformen auszuziehen, die sie trugen.

Tanizaki wagte kaum zu atmen. Auf den ersten Blick erkannte er, was hier geschah, und die ausführlichen Bemerkungen der beiden Männer sprachen für sich ...

Die beiden Geldräuber, nach denen Hunderte von Polizisten seit den späten Nachmittagsstunden ganz Tokio durchsuchten – standen hier keine drei Schritte von ihm entfernt und fühlten sich völlig sicher und unbeobachtet.

Gegen sechzehn Uhr war es zu einem der größten und dreistesten Überfälle auf einen Geldtransport gekommen, die es in Tokio jemals gegeben hatte.

Ein Wagen, der zwanzig Millionen Yen in drei großen, plombierten Säcken zu einer Bank transportieren sollte, wurde auf dem Weg nach dort in einer verhältnismäßig gut befahrenen Hauptstraße von zwei Polizeibeamten angehalten. Der Fahrer des Wagens und sein Begleiter, der den Transport überwachte, hielten sofort an, weil sie der Ansicht waren, eine wichtige Nachricht sollte ihnen von den beiden wartenden Beamten übergeben werden. Vielleicht wollte man sie auch warnen. Und dann nahm das bis ins Detail vorbereitete Spiel seinen verhängnisvollen Lauf ...

Die beiden als Polizisten verkleideten jungen Männer stiegen in den Wagen ein, bedrohten den Fahrer und den Wächter und bestimmten von nun an den Kurs des Geldtransportes. Unterwegs warfen sie die beiden Männer aus dem Wagen und machten sich aus dem Staub.

Von dem Auto fehlte bis zur Stunde noch jede Spur – ebenso von den beiden Männern, die diesen raffinierten Überfall perfekt ausgeführt hatten. Die beiden ursprünglichen Begleiter des Geldtransportes, der Fahrer und der Wächter, waren wohlauf. Ihnen war kein Haar gekrümmt worden. Geschickt und beinahe elegant war das Geschehen über die Bühne gegangen, ohne jeglichen Blutverlust, ohne Anwendung von Härte und Brutalität ...

Reima Tanizaki fuhr sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen. Ein Zufall hatte ihn auf die Spur der beiden Räuber geführt, und er würde sich diese einmalige Chance nicht entgehen lassen!

Doch er war – trotz seiner Jugend – zu erfahren und zu vorsichtig, um jetzt etwas zu überstürzen.

Er prägte sich die Gesichter der beiden Männer ein, von denen keiner älter war als er.

Vor ihren Füßen lagen die drei Säcke. Einer von ihnen war geöffnet. Die Plombe fehlte. Gebündelte Scheine waren sichtbar.

Der vorhin mit Jonka Angesprochene nahm die Kleidungsstücke an sich und machte aus den Polizeiuniformen ein fein verschnürtes Paket.

Tanizaki fand es erstaunlich, dass die beiden Männer nicht noch größere Vorsicht und Ruhe zeigten. Sie fühlten sich in diesem abgelegenen verwilderten Garten offenbar vollkommen sicher.

Jonka lachte plötzlich. »Wenn der alte Knacker wüsste, welchen Wert seine baufällige Hütte mit einem Mal repräsentiert, Omuru.«

Reima Tanizaki, der stille Beobachter der Szene, die sich ihm wie auf einer Kinoleinwand darbot, grinste still vor sich hin. Nun kannte er schon die beiden Namen der Männer, wusste, wie sie aussahen und war auch davon unterrichtet, welches Versteck sie gewählt hatten.

Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Der mit Omuru Angesprochene näherte sich der Hauswand, ging in die Hocke und nahm dann aus dem Sockel des Gebäudes vorsichtig die schweren Quadersteine heraus, so dass sich in dem alten Bauwerk eine große, tiefe Öffnung in der Außenwand des Hauses bildete. Darin versteckten die beiden Männer rasch den einen Sack mit dem Geld.

Vorsichtig passten sie die Steine wieder ein.

Was dann geschah, konnte Reima Tanizaki noch weniger verstehen, und ihm wurde bewusst, wie raffiniert die beiden Räuber ihren Coup vorbereitet hatten. Wochen zuvor schon mussten sie dieses Versteck beobachtet und dann für ihre Zwecke hergerichtet haben.

Yondos altes Haus war ein ideales Versteck.

Und dass die beiden Männer einen Schlüssel für dieses Haus hatten, war die nächste Überraschung, die Reima Tanizaki zu verdauen hatte.

Ein Nachschlüssel!

Das kam auch eindeutig durch die Bemerkung eines Gangsters zum Ausdruck, der sich darüber lustig machte, dass der alte Professor so wenig zu Hause war.

Das war für Tanizaki eine weitere Neuigkeit.

Auf der einen Seite hieß es, dass Yondo ein zurückgezogenes Leben führte, und hier nun musste er erfahren, dass der alte Herr sehr oft außer Haus war. Was stimmte?

Offenbar das letztere, denn sonst wäre es den beiden Geldräubern wohl kaum möglich gewesen, während der letzten Zeit frei und unbeschwert ihre Vorbereitungen durchzuführen.

Die beiden Männer verschwanden in dem dunklen Haus. Die schwere Holztür verschlossen sie nicht hinter sich. Sie lehnten sie nur an.

Auf Zehenspitzen huschte der Beamte näher, warf einen Blick durch den Spalt der Tür und verbreiterte ihn dann ein wenig, um die beiden Burschen durch den tunnelähnlichen Korridor zu verfolgen.

»Ich fühle mich hier schon wie zu Hause«, bemerkte Jonka mit seiner weichen Stimme. »Es ist herrlich, wenn man sich irgendwo frei und ungezwungen bewegen kann, findest du nicht auch?« Da Omuru keine Antwort gab, fuhr er einfach fort: »Peinlich wäre es, wenn er ausgerechnet heute Nacht zu Hause geblieben wäre ...« Jonka kicherte, dann erzählte er, dass der einsame Bewohner dieses stillen Hauses seit zehn Tagen regelmäßig abends nach Einbruch der Dunkelheit ausgeflogen war.

Durch den keineswegs leisen Dialog der beiden Räuber erfuhr Tanizaki mehr über das seltsame Leben des geheimnisumwitterten Professors, als die Männer im Revier überhaupt ahnten.

Danach verhielt sich Yondo im Prinzip wie eine Fledermaus, die nach Einbruch der Dunkelheit aufbrach und erst im Morgengrauen wieder in den Bau zurückkehrte.

»Ob er eine kleine Freundin in der Stadt hat?«, meinte Jonka scherzend.

»Zuzutrauen wäre es ihm«, erwiderte Omuru. »Er sieht zwar schon etwas klapprig aus, aber der äußere Eindruck scheint zu täuschen.« Die Stimmen wurden leiser, als die beiden Männer eine Gangbiegung passierten.

Reima Tanizaki hatte sich diese Nacht anders vorgestellt. Er hatte nicht damit gerechnet, dem Haus einen Besuch abzustatten, das sprach auch gegen den Auftrag, den er hatte. Außerdem hätte er gegen das Gesetz verstoßen, wäre er unangemeldet oder ohne ordentlichen Hausdurchsuchungsbefehl hier eingedrungen. Reima hielt sich an das Gesetz, das er vertrat. Jeder Polizist kannte seine Vorschriften. Wenn man das Gesetz vertreten wollte, musste man es selbst schützen und respektieren.

Aber dieser besondere Umstand hatte die Situation verändert.

Es kam nun nicht mehr darauf an, Professor Yondos Haus zu beobachten, sondern die beiden Männer nicht aus den Augen zu verlieren, deren abenteuerliches Vorgehen in den Extra-Ausgaben der Abendzeitungen Furore gemacht hatte. Ganz Tokio hatte seit heute Abend nur ein einziges Gesprächsthema: den raffinierten Überfall auf den Geldtransport.

Der Verfolger setzte sich den beiden Räubern auf die Spur. Tanizaki passierte den schmalen Korridor.

Nach etwa zehn Metern machte der Gang einen Knick.

Tanizaki sah danach sofort die beiden Männer wieder, die den Rest des Geldes nun an einem Ort innerhalb des Hauses verbergen wollten. Offenbar wussten sie, dass hier ein Platz war, an den Yondo nie oder nur selten hinkam.

Es war ein ausgedehnter, mit Unrat und Abfall überfüllter Kellerraum. Ratten huschten zwischen altem Gestänge, Kisten und Kästen herum, als die Räuber in einem vorbereiteten Loch die beiden Geldsäcke verschwinden ließen und dann den Unrat über der Bodenöffnung aufzuschichten begannen.

Sie vermieden es dabei, geräuschvoll zu Werke zu gehen. Immerhin gab es in der unmittelbaren Nähe einige Nachbarhäuser.

»Das wäre geschafft«, sagte Omuru. Er reckte sich und stieß Luft durch die Nase. »Den ganzen Kram lassen wir hier liegen, so lange wie nötig. Wir leben in der nächsten Zeit unser Leben weiter und machen uns nicht durch übermäßige Geldausgaben verdächtig. Sie werden ganz Tokio durchkämmen ...« Er lachte rau. »Aber sie werden nichts finden!«

»Ein paar Scheinchen aber nehmen wir mit«, meinte Jonka. »Es muss toll sein, wenn ...«

»Red keinen Unsinn!«, stieß der andere hervor. Seine Augen funkelten.

»Wir lassen die Finger davon. Die Nummern der Noten sind notiert, darauf kannst du dich verlassen. In den nächsten Wochen spielt sich nichts ab, und damit basta.«

Jonka murrte, aber er sagte sonst kein Wort mehr. Er war es gewohnt, dass Omuru das Kommando führte.

Die beiden Männer warfen noch einmal einen Blick auf ihr Werk, schienen zufrieden und wandten sich dann um. Sie wollten das Haus des alten Professors verlassen, als es plötzlich geschah.

Ein markerschütternder Schrei, der eher aus dem Maul eines Urtieres als aus der Kehle eines Menschen zu kommen schien, erfüllte das nächtliche Haus und hallte schaurig und dröhnend durch das düstere Kellergewölbe.

Die beiden Geldräuber fuhren zusammen. Reima Tanizaki wirbelte herum und stellte fest, dass dem Schrei ein weiteres Geräusch nachfolgte.

Schritte hinter ihm?

Er sah die dunkle Gestalt, die keine Armweite von ihm entfernt an der Wand stand, in der Rechten eine entsicherte Pistole.

Tanizaki konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen. Es war vom Schatten völlig bedeckt.

Der in vielen Gefahren geschulte Beamte schätzte blitzschnell die Möglichkeiten ab, die er noch hatte.

Aus der massiven, rohen Mauer schob sich eine dünne, metallene Zwischenwand, die wie eine überdimensionale Tür den Weg hinter ihm versperrte. Tanizaki hörte wie aus weiter Ferne plötzlich die Rufe und Schreie der beiden Geldräuber. Er vernahm, wie sie mit den Fäusten gegen Metall schlugen. Und dann mischte sich in dieses Schlagen und Klopfen und Rufen ein leises, zischendes Geräusch.

Gas?

Wie ein Panther sprang der Beamte nach vorn. Seine Reaktion erfolgte so schnell aus dem Stand heraus, dass dem Bewaffneten die Entwicklung der Vorgänge gar nicht richtig bewusst wurde.

Tanizakis Rechte traf die Schusshand des vor ihm Stehenden wie mit einem Dampfhammer.

Durch den Angriff löste sich ein Schuss.

Hart und trocken bellte er auf. Die Kugel schlug an die Decke, prallte ab und surrte als Querschläger nach unten; dabei streifte sie Reima Tanizakis Arm. Er hatte das Gefühl, ein glühendes Messer schlitze seinen Jackenärmel auf. Die Kugel verursachte eine tiefe Fleischwunde, die sofort heftig zu bluten begann. Der Verletzte achtete nicht darauf. Er musste verhindern, dass sein unbekannter Gegner noch mal die Gelegenheit fand, einen Schuss anzubringen.

Ein erbitterter Kampf spielte sich in dem düsteren Gewölbe ab. Tanizaki war durch seine Verletzung gehandicapt, aber es gelang ihm, dem Gegner die Waffe aus der Hand zu schlagen.

Er drückte den kräftigen Widersacher, der verzweifelt versuchte, sich aus dem Polizeigriff zu lösen, an die Wand und schlug ihm das Handgelenk solange gegen die Mauer, bis die Waffe klirrend zu Boden fiel.

Die beiden Männer atmeten schwer. Über Tanizakis Stirn lief der Schweiß.

»Sie hätten sich die Unannehmlichkeiten ersparen können«, kam es da hart über die Lippen des Fremden, der ihn hier aufgespürt hatte, und von dem Tanizaki noch immer nicht wusste, um wen es sich handelte. Yondo konnte es nicht sein. Der Mann hier war muskulös. Yondo war alt, Mitte siebzig, und unfähig, einen solchen Kampf noch durchzustehen.

Ein fremder Mann in diesem Haus, von dem jeder glaubte, es würde nur von Yondo bewohnt?

Die Gedanken wirbelten wild in seinem Gehirn durcheinander. Er war auf ein Geheimnis gestoßen. Und er durfte jetzt nicht lockerlassen.

Der Gegner konnte sich unerwartet losreißen, bückte sich und warf Tanizaki über seinen breiten Rücken. Schwer schlug der Beamte auf und lag sekundenlang auf dem kalten, rauen Betonboden.

Tanizaki wusste, wenn es seinem Widersacher gelang, die Pistole an sich zu bringen, dann war es mit ihm zu Ende. Hier würde dann sein Leben verlöschen. Der andere war nicht mehr bereit, sich noch mal auf ein Risiko einzulassen.

Der Polizist handelte, ohne lange zu zögern. Mit schmerzlich verzogenem Gesicht rollte er sich herum, griff nach der Pistole und war eine Zehntelsekunde schneller als sein Gegner.

Dann erhob Tanizaki sich auf die Beine. Er musste sich gegen die Wand lehnen, weil ihm durch die rasche Bewegung und die zunehmende Schwäche, die sich in seinen Gliedern ausbreitete, schwindlig wurde.

»Und jetzt heben Sie mal schön Ihre Hände in die Höhe«, sagte er scharf, ohne den Gegner aus den Augen zu lassen. »Ich glaube, das Blatt hat sich gewendet. Wir sollten uns irgendwo gemütlich zusammensetzen und ein wenig plaudern. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass wir uns eine ganze Menge zu erzählen haben. Und der Hauptredner dabei werden wohl Sie sein.«

Mit der einen Hand die Pistole haltend, zog er mit der anderen die Taschenlampe heraus, die er immer bei sich trug.

Er schaltete sie ein und ließ den hellen, schmalen Lichtstrahl über die Gestalt gleiten, die benommen vor ihm stand.

Er starrte in ein abgekämpftes und hasserfülltes Gesicht.

Der Mann war mindestens fünfundvierzig Jahre alt. Zahlreiche Pocken- und Operationsnarben verunstalteten sein Gesicht. Das linke Auge fehlte. Eine dünne, pulsierende und feuchte Hautschicht bedeckte die tiefliegende Augenhöhle und hatte sie überwachsen; im Licht der Taschenlampe zeigten sich die zahlreichen Verästelungen der winzigen Blutgefäße, die diese Hautschicht mit Nahrung versorgten.

Doch Tanizaki war nicht der Typ, der sich durch Äußerlichkeiten beeinflussen ließ. Für ihn zählte der Mensch, egal, wie er aussah. Es kam darauf an, wie er lebte, was er aus diesem Dasein machte, welchen Charakter er hatte ... Aber in diesem Fall, so schien es dem drahtigen japanischen Beamten, deckte sich das äußere Bild offenbar mit dem der Seele.

»Sie gehen jetzt voran«, sagte Tanizaki scharf, und es gelang ihm hervorragend, die Schwäche zu vertuschen, die ihn quälte und in seiner Bewegungsfähigkeit beeinträchtigte. Er musste auf dem schnellsten Weg etwas tun und die stark blutende Wunde verbinden. Das Blut lief seinen Arm entlang und tropfte über den Handrücken. Er musste die Wunde abbinden, sobald sich Gelegenheit dazu bot. Aber diese Gelegenheit hatte er noch nicht. Der andere stand auf der Lauer und wartete nur auf einen unbedachten Augenblick, auf die geringste Nachlässigkeit.

Tanizaki schluckte. »Los, gehen Sie! Führen Sie mich zu Yondo! – Haben Sie vorhin geschrien?«, fügte er unbeabsichtigt hinzu.

»Nein.«

»Wer ist sonst noch in diesem Haus untergebracht? Was wissen Sie darüber?«

»Ich habe keinen Grund, Ihnen Rede und Antwort zu stehen. Sie sind in dieses Haus eingedrungen! Ich werde Sie anzeigen!« Tanizaki nickte. »Etwas Besseres könnten Sie gar nicht tun, dann wird Sie mein Kollege vom 7. Revier gleich weiterverhören. Sie sind dort zumindest genauso neugierig und wissbegierig wie ich.«

»Sie kommen von der Polizei?«, klang die überraschte Frage. »Ich dachte, Sie gehörten zu denen?«

»Die beiden Burschen habe ich verfolgt, das ist alles. Und dabei bin ich auf eine interessante Spur gestoßen. Dieses geheimnisumwitterte Haus steckt voller Rätsel, so scheint es mir. Man hat das abseits gelegene Gebäude offenbar unterschätzt.«

Der andere nickte. »In Ordnung, ich führe Sie zu Yondo.« Seine Stimme klang rau. Die Nerven hinter der leeren Augenhöhle zuckten, und Tanizaki verspürte ein merkwürdiges Gefühl im Magen.

Es kam ihm so vor, als könne man die dünne Haut mit dem Finger durchstoßen und direkt in das Hirn des seltsamen Mannes greifen.

Der Einäugige ging langsam vor ihm her. Tanizaki hielt sowohl die Waffe als auch die Taschenlampe auf den Vordermann gerichtet, um gegen jede Eventualität gewappnet zu sein.

»Es wäre vielleicht besser gewesen, Sie wären nicht hierhergekommen«, sagte der Einäugige mit leiser Stimme. Der Unterton der Drohung war nicht zu überhören. »Sie werden den Wunsch haben, niemals hierhergekommen zu sein! Gehen Sie, solange noch Zeit ist! Ich zeige Ihnen den Ausgang. Vergessen Sie, was Sie gehört und gesehen haben!«

»Was wurde aus den beiden Männern, die das Geld versteckt haben?« Tanizaki ging gar nicht auf die Bemerkung ein, die der andere geäußert hatte.

»Das weiß ich nicht.«

»Sie haben uns allen – aufgelauert?«

Der Gefragte lachte hart. »Dieses Haus erweckt immer den Eindruck, dass es einsam, verlassen und ruhig ist. In Wirklichkeit aber bewachen es tausend Augen ...«

»Wer hat vorhin geschrien?« Tanizaki hatte sich entschlossen, schon während des Weges durch den Kellergang die wichtigsten Fragen zu stellen.

Plötzlich blieb der Mann vor ihm stehen. Tanizaki reagierte sofort. Der andere drehte sich langsam um. Sein hässliches, abstoßendes Gesicht tauchte wie eine unwirkliche, fratzenhaft verzerrte Maske im Schein der Taschenlampe vor dem Beamten auf.

»Irgendjemand«, sagte er einfach.

»Das ist keine Antwort!« Reima Tanizaki hob nachdrücklich die Waffe. »Ich bin es gewohnt, dass man mir höflich und zuvorkommend antwortet, wenn ich ebenso frage.«

»Es war Tonko.«

»Tonko?«

Der Einäugige nickte. »Ja.«

So sehr Tanizaki sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, dem anderen noch weitere Einzelheiten zu entlocken. Der Bursche schwieg, als hätte man ihm ein Pflaster auf den Mund geklebt.

»Weiter! Zu Yondo. So war doch unsere Abmachung.«

»Sie werden es bereuen«, lautete die gepresste Erwiderung. Der Mann vor ihm stieg jetzt die ausgetretenen Kellertreppen in die Höhe und kam vor einer alten, schwarzen Holztür an. Ein verrosteter Riegel verschloss sie. Der Mann legte den Riegel um.

Dann ging er durch die Tür. Ein langer Flur lag vor ihnen. Dann wieder eine Tür.

Dahinter Geräusche.

Tanizaki hörte das leise, rhythmische und saugende Geräusch einer Pumpe. Irgendwo in einem riesigen Behälter sprudelte eine Flüssigkeit.

»Sie wollten es so haben«, sagte der Einäugige. »Yondo liebt keine Besuche. Wer unangemeldet in dieses Haus kommt – kehrt grundsätzlich nicht mehr zurück.«

Im ersten Augenblick hatte er das Gefühl, in das legendäre Labor des Barons von Frankenstein geraten zu sein. Eine Anzahl von flachen Arbeitstischen flankierte die Wand rechts neben der Tür. Farbige Kabel und zahlreiche gläserne Säulen hingen in einem hohen, bis zur Decke reichenden Gestell. Kleine Apparaturen summten und surrten, und hektische, farbige Schatten wurden an die Wände und die Decke geworfen.

Rechts hinter einer klapprigen Pritsche hing an der Wand eine riesige Karte, die die Entwicklung des Urmenschen zeigte, der sich angeblich aus dem Affen entwickelt hatte.

Genau in der Mitte des geräumigen, mit weißem Kalk getünchten Labors stand eine mehr als mannsgroße Glassäule, die auch etwa doppelt so dick war. In dieser Säule stand ein Wesen, groß, stark, gewaltig. Es atmete, und es stand bis zu den Knien in einer grünlich-gelben, sprudelnden Flüssigkeit, die langsam von einer unsichtbaren Pumpe abgesaugt wurde.

Der Einäugige trat einen Schritt zur Seite, als wolle er damit dem Mann hinter sich die Möglichkeit geben, die Dinge noch genauer zu sehen.

Die Gestalt in der Säule war ein Mensch, der affenähnliche Züge trug.

Sein ganzer Körper war mit langen, dunklen Haaren bedeckt; die affenartigen Arme hingen kraftvoll und muskulös an den Seiten herunter.

Der Schädel des unheimlichen Wesens in der Retorte war ebenfalls dicht behaart, aber das Gesicht war frei und zeigte helle, menschenähnliche Haut und menschliche Augen. Nur der Mund war etwas aufgeworfen.

Die Ohren waren klein und standen ein wenig ab.

Die Größe und die Stärke des Ungeheuers irritierte und beschäftigte Tanizaki. Er begriff die Welt nicht mehr!

In der letzten Stunde war zu viel auf ihn eingestürmt. Er musste es erst verdauen.

Es war ihm nicht bewusst, dass er die Waffe ein wenig gesenkt hielt. An der Reaktion des Einäugigen bemerkte er seine Nachlässigkeit. Aus den Augenwinkeln nahm er die Gefahr wahr. Sofort ruckte die Pistole wieder in die Höhe.

»Ich bin noch auf Draht«, sagte Tanizaki. »Ich kann mich auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren, wenn es sein muss«, fügte er hinzu. Er wandte dabei kaum merklich den Blick und erkannte, wie schwer es ihm fiel, die Aufmerksamkeit von dem abzuwenden, was sich ihm hier bot. So etwas Eigenartiges war ihm noch nie begegnet.

Tausend Fragen drängten sich ihm auf, aber ihm wurde auch bewusst, dass er nicht mehr die Kraft aufbrachte, die Dinge hier zu einem guten Ende zu führen. Der hohe Blutverlust machte sich bemerkbar. Tanizaki musste unbedingt seine Dienststelle benachrichtigen. Von dort konnte man sofort einige Leute herschicken, die sich der Sache annahmen.

Verbotene Experimente ... mit Menschen und Tieren ... mit ... Leichenteilen?

Die letzte Idee kam ihm, als er ein wenig den Blick wandte und auch die schattengleiche Gestalt in der Nische hinter der Glassäule mit dem affenartigen Wesen wahrnahm.

Tanizaki musste die Augen zusammenpressen, um deutlicher zu sehen.

Auf einem kleinen Podest stand eine Gestalt, eine Frau offensichtlich, darauf wiesen die schulterlangen Haare hin. Ihr zierlicher Körper war nackt, an zahlreichen Stellen dicht behaart, so dass Brüste und Bauch kaum auszumachen waren. Die Arme wiederum waren zum Teil hell, zum Teil mit runden und eckigen fellähnlichen Hautstellen bewachsen.

Die Frau war tot, ausgestopft, wie eine Attrappe, die man zu Lehrzwecken aufstellte.

Tanizaki schluckte. Er hatte es mit Wahnsinnigen zu tun, denen das Handwerk gelegt werden musste!