Larry Brent Classic 031: Die Gruft - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 031: Die Gruft E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Die Gruft der bleichenden Schädel Der Amsterdamer Filmemacher Harry van der Loose ist im niederländischen Fernsehen eine Berühmtheit, denn seine Reportagen über unbekannte Naturvölker sind ein Renner. Auf einer seiner Expeditionen, auf der er von Larry Brent und seiner Schwester Miriam begleitet wird, erfährt er von der geheimnisvollen "Gruft der bleichenden Schädel" und wittert eine Sensation. Der Ort an dem angeblich nur Zauberer und Medizinmänner beigesetzt sein sollen, sei verflucht. Geister treiben dort ihren unseligen Spuk. Als einer aus der Gruppe auf eigene Faust nach der Gruft sucht und sie findet, wird diese Entdeckung für ihn zur Falle. Totenschädel beißen ihm das Fleisch vom Leib. Ahnungslos nähern sich kurze Zeit später die anderen Expeditionsteilnehmer der tödlichen Gefahr. In den Katakomben der Gräfin Redziwihl "Horror-Tours", eine neue Art der Touristenattraktion des Reiseveranstalters Alan W. Cromewell, verspricht ein großer Erfolg zu werden. Während ein Konkurrent angeblich Führungen durch das Schloß des Grafen Dracula anbietet, suchen Cromwells Scouts nach weiteren Orten die von geheimnisvollen Mythen umrankt werden. Einen solchen Ort finden sie in den Ruinen des Schlosses Prota, wo die männermordende Gräfin Redziwihl gelebt hat und angeblich die Leichen ihrer Liebhaber in einer geheimen, bisher noch nicht entdeckten Gruft versteckte. Die Gräfin ließ sich lebendig einmauern als sie ihr Ende nahen spürte. Als einer der Scouts die geheimen Katakomben entdeckt, geschieht das Unfaßbare. Die Gräfin erwacht und dürstet nach dem Blut junger Männer!

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 31

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-831-0

Dan Shockers Larry Brent Band 31

DIE GRUFT

Mystery-Thriller

Die Gruft der bleichenden Schädel

von

Dan Shocker

Prolog

Stuart Hamshere war 26 Jahre alt. Zu jung, um zu sterben, aber darauf nahm sein Mörder keine Rücksicht. Er lauerte seinem Opfer vor Jonnys Nachtbar auf. Es war der 5. Mai, 23.56 Uhr. Als Stuart Hamshere die Bar verließ, ahnte er nicht, dass er den 6. Mai nicht mehr erleben würde. Er trat auf die menschenleere Straße. Die Nacht war kühl, ein feuchter Wind wehte von der Themse her. Fröstelnd schlug Stuart Hamshere den Kragen hoch, griff in die linke Brusttasche und zog ein Etui hervor. Er zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief und wollte auf die andere Straßenseite wechseln, wo sein Fahrzeug stand.

Genau in diesem Augenblick öffnete sich die Tür der Bar hinter ihm.

»Hallo, Mister Hamshere«, rief eine Stimme.

Stuart drehte sich um. Vor ihm stand ein hagerer, blasser Mann. Er hatte die typische Gesichtsfarbe der Menschen, die kaum an die frische Luft kamen, die sich entweder den ganzen Tag im geschlossenen Raum aufhielten, oder sich in Bars wie der von Jonny herumtrieben.

»Ja, bitte«, fragte Stuart Hamshere erstaunt. Er kannte den Mann nicht.

Der Fremde trat auf ihn zu. »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle«, sagte er. »Mein Name ist Harold Shorthand. Ich bin Reporter beim Daily Express.

»Shorthand?«, murmelte Stuart Hamshere. »Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«

»Kein Wunder«, der Journalist grinste. »Den Namen eines Starreporters sollte man kennen. Vielleicht erinnern Sie sich noch genauer an mich, wenn ich Ihnen sage, dass mein Spitzname Pinky ist.«

»Pinky Shorthand, natürlich!«, rief Stuart Hamshere überrascht. »Sie sind doch der Bursche, der die Artikelserie Unheimliche Kriminalfälle und ungewöhnliche Ereignisse schreibt. Ich kenne Ihre Stories. Interessante Dinge, über die Sie schreiben.«

»Interessant und faszinierend«, bemerkte Pinky Shorthand.

»Sie dürfen nicht vergessen, dass jeder Artikel der Wahrheit entspricht.«

»Woher kennen Sie mich und was für einen Grund haben Sie, mich anzusprechen?«, fragte Stuart Hamshere. Er war ein Mensch, der gern sofort zum Wesentlichen kam.

Harald Pinky Shorthand legte seine Stirn in Falten. »Sie sind der Sohn von Frank Hamshere, nicht wahr?«

»Ja.«

»Dann sind Sie genau der Mann, mit dem ich sprechen will.« Zwischen Stuart Hamsheres Augen bildete sich eine steile Falte.

»Dann verstehe ich nur eins nicht. Weshalb sprechen Sie mich hier auf der Straße an? Sie kommen doch gerade aus der Bar. Ich bin länger als zwei Stunden dort gewesen.« Der misstrauische Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.

»Das ist einfach gesagt, Mister Hamshere. Daran ist Jonny, der Barbesitzer schuld. Er hatte versprochen, mich anzurufen, sobald Sie wieder in der Kneipe sind. Leider hat er erst zu spät wieder an unsere Abmachung gedacht, und ...«

Weiter kam Pinky Shorthand nicht.

Stuart Hamshere zuckte zusammen. Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle er etwas sagen. Doch statt eines Wortes kam nur ein unartikulierter Laut über seine Lippen, der wie »aaarghhkk« klang. Stuart Hamshere streckte seine Hand aus, als wolle er auf etwas deuten. Auf einmal klappte er wie ein Taschenmesser zusammen. Reglos und in seltsam verkrümmter Haltung lag er auf dem Rand des Gehweges, den Kopf zur Seite gedreht, die Hand, welche die noch brennende Zigarette hielt, in die Gosse gestreckt, wo die Glut zischend in einer schmutzigen Pfütze verlöschte.

Der Reporter stand drei Sekunden wie zur Salzsäule erstarrt. Dann löste er sich aus dem Bann.

»Mister Hamshere? Aber, um Gottes willen! Was ist denn los mit Ihnen?«

Pinky Shorthand bückte sich und drehte den reglosen Körper auf die Seite. »Mister Hamshere?« Er schüttelte den Mann, der eben noch mit ihm gesprochen hatte. »Hallo? Können Sie mich hören?«

Stuart Hamshere konnte nicht. Er atmete nicht mehr, sein Herz stand still. Der junge Mann war tot.

Pinky Shorthand warf den Kopf in den Nacken und blickte aus fiebrig glänzenden Augen aufgeregt um sich.

Ein Mord, schoss es ihm durch den Kopf. Ein mysteriöses und unheimliches Verbrechen.

Stuart Hamshere war nicht auf natürliche Weise ums Leben gekommen. Dies war der Fluch der bleichenden Schädel! Frank Hamshere, der Vater des Toten, hatte diesen über die Familie gebracht.

Der Reporter ließ seinen Blick die Straße entlanggleiten. Weit und breit kein Mensch. Die Gegend lag verlassen und dunkel vor ihm. Auch auf dem Parkplatz gegenüber von Jonnys Nachtbar gab es keine verdächtige Bewegung. Stuart Hamsheres Tod schien nicht durch Menschenhand erfolgt zu sein. Pinky Shorthand sprang auf und rannte auf die Bar zu.

Er, der täglich unerklärlichen Ereignissen nachspürte, schalt sich einen Narren. Seit einiger Zeit ahnte er, dass es über kurz oder lang zu einem ähnlichen Vorfall kommen musste. Dass es so schnell ging, damit hatte er nicht gerechnet.

Nun war es zu spät, sich Vorwürfe zu machen.

Stuart Hamshere, der letzte Spross der Forscherfamilie, der ihm als einziger einen entscheidenden Tipp hätte geben können, war nicht mehr.

Pinky Shorthand stürzte in die Bar und rief sofort Scotland Yard an. Er vermied es, große Aufmerksamkeit zu erregen.

Draußen bei dem Toten wartete er danach die Ankunft der Beamten ab. Dabei fiel ihm unmittelbar nach seiner Rückkehr aus der Bar ein merkwürdiger Umstand auf. Stuart Hamsheres Lage war verändert worden!

Er lag jetzt auf der Seite und nicht mehr auf dem Rücken.

Entweder war jemand hier gewesen, um dem Toten schnell und heimlich etwas aus den Taschen zu nehmen, oder, und bei diesem Gedanken sträubten sich die Nackenhaare des Reporters, Stuart Hamshere hatte sich nach dem Eintritt des Todes noch mal auf die Seite gerollt!

1. Kapitel

Trüb und regnerisch war der nächste Morgen, an dem Pinky Shorthand der erste Besucher im Gebäude von New Scotland Yard war. Der Reporter ließ sich bei Chiefinspektor Edward Higgins melden und wurde auch gleich vorgelassen.

Higgins betrachtete seinen frühen Gast. »Speedy Pinky«, knurrte er. »Harold der Schnelle, Blitzreporter und Hansdampf in allen Gassen. Früher schlich er mit Miniaturkamera und Super-Teleobjektiv durch die Straßen und inspizierte die Schlafzimmer anderer Leute. Das Ganze braute er dann zu einer Artikelserie unter dem Titel Rosarote Bettgeschichten zusammen. Damit hatte er seinen Spitznamen Pinky weg. Als der Sex nicht mehr florierte, fand Pinky Shorthand heraus, dass es Zeit war, sich einem anderen Metier zuzuwenden. Die Leute haben Ängste, die in unserer aufgeklärten Welt immer größer werden, und dem spürte Speedy Pinky nach. Nun wühlt er im Untergrund, im Makabren und Gespenstischen und hat auch damit Erfolg. Wenn Sie so weitermachen, haben Sie bald 'nen neuen Spitznamen weg. Vielleicht nennt man Sie bald schon Dracula Shorthand oder Pinky Frankenstein. Wie wär's mit einer Serie über das Liebesleben von Vampiren, hm? Oder Rosarote Bettgeschichten aus Draculas Leichenkammer? Sie mixen das eine mit dem andern und gewinnen eine ganz neue Leserschicht.«

»Sie sind ein anregender Gesprächspartner, Chief.« Auf dem hageren, wächsern aussehenden Gesicht des Reporters erschien ein Grinsen. »Man muss am Ball bleiben, die Hand am Puls der Zeit. Frau durch den Fleischwolf gedreht, Speedy Pinky sprach zuerst mit den Buletten!«, deklarierte Pinky Shorthand theatralisch. »Das ist das Geheimnis meines Erfolges! Wenn andere noch nicht ahnen, woher der Wind weht, kämpft Speedy Pinky bereits mit den Gewalten des Sturms.«

»Es hätte mich auch gewundert, wenn Sie heute Morgen nicht hier angetanzt wären, Shorthand«, bemerkte Edward Higgins.

»Ich hätte darauf wetten sollen. Sie sind superschnell, Shorthand. Langsam werden Sie mir unheimlich.«

»Wie kommt denn das, Chiefinspektor?«

»Sie hören schon mehr als nur das Gras wachsen.«

»Ich bin ein hypersensibler Mensch und habe ein feines Gespür für gewisse Dinge. Mein sechster Sinn funktioniert bestens.«

»Er funktioniert so gut, dass Sie bereits zur Stelle sind, um Augenzeuge eines gespenstischen Mordes zu werden. Jetzt verstehe ich auch, weshalb Ihre Kollegen Sie nicht mögen. Sie schnappen denen ja die fettesten Brocken vor der Nase weg.

Pinky Shorthand lachte. »Sie sind ein humorvoller Typ, Chief. Ich freue mich immer, wenn ich mit Ihnen zusammenarbeiten kann, denn Sie nehmen alles von der heiteren Seite. Ich bin hier, um etwas von Ihnen zu erfahren. Wie starb Stuart Hamshere?«

»Er wurde erschossen.«

»Erschossen?«

Pinky Shorthands Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Die Antwort traf ihn wie ein Faustschlag.

»Mit einem Pfeil.«

»Sie machen es spannend, Chief.«

»Das Projektil haben wir allerdings nicht mehr gefunden«, fuhr Edward Higgins ungerührt fort. »Es war entfernt worden. Die gerichtsmedizinische Untersuchung hat ergeben, dass der winzige Einstich in der Brust nur von einem Pfeil, wie er von Wilden benutzt wird, herrühren kann. Ich habe aus diesem Grund eine etwas diffizile Frage an Sie, Shorthand. Als Sie Stuart Hamshere umdrehten, haben Sie da den Pfeil bemerkt?«

»Nein. Im ersten Moment dachte ich, dass Hamshere übelgeworden sei, dass er vielleicht einen Infarkt erlitten habe. Doch dann tippte ich sofort auf Mord.«

»Wieso dachten Sie an ein Verbrechen?«

»Es passte genau in meine Überlegungen. Mein Beruf ist es, Dingen auf den Grund zu gehen, die man normalerweise nicht klären kann oder bei denen eine Aufklärung nur unter schwierigsten Umständen möglich ist. Stuart Hamshere war gefährdet. Ich ahnte es bereits seit einiger Zeit. Doch ich wusste noch zu wenig über seinen Vater. Frank Hamshere hat vor zwei Jahren eine Expedition auf die Insel Borneo unternommen. In seiner Begleitung befand sich damals auch seine Tochter Ruth. Insgesamt bestand die Gruppe aus acht Mitgliedern. Bis auf den heutigen Tag hat man nichts mehr von der Hamshere-Expedition gehört. Es heißt allerdings, dass auf verschlungenen Pfaden eine Nachricht nach London gelangt sein soll. Diese war speziell für Stuart Hamshere gedacht und muss vor wenigen Tagen in London eingetroffen sein, nicht früher. Ich erfuhr davon. Instinktiv ahnte ich, dass einiges in Bewegung geraten würde und dass Stuart Hamshere offensichtlich nur auf eine solche Botschaft gewartet hat. Das, was Sie mir über den Pfeil gesagt haben, irritiert mich, Chief.«

»Sie sind unser wichtigster und einziger Zeuge. Haben Sie kein Geräusch gehört oder jemanden davonlaufen sehen?«

»Nein.« Das klang bestimmt und fest.

»Was veranlasst Sie eigentlich anzunehmen, dass Stuart Hamsheres Tod etwas mit der zwei Jahre zurückliegenden Expedition seines Vaters zu tun haben könnte, Shorthand?«

»Die Art und Weise, auf die Hamshere starb, Chief. Und der Zeitpunkt, an dem er starb. Ich bin überzeugt, dass sich Stuart Hamshere nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, dass sein Vater und seine Schwester nicht mehr am Leben seien. Er hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um über die Ereignisse vor zwei Jahren so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen.«

Edward Higgins zuckte die Achseln. »Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht folgen. Wir haben noch etwas anderes in Erfahrung gebracht und konnten eindeutig feststellen, dass zum Zeitpunkt des Mordes auf der gegenüberliegenden Seite ein Wagen parkte, der nicht mehr dort stand, als wir eintrafen.«

»Sie meinen, dass von dort aus ...?«

»Richtig. Dort saß der Mörder und hat den Giftpfeil auf Stuart Hamshere geschossen. Sie sehen, hier im Yard sind nicht bloß Schlafmützen tätig. Hin und wieder tun auch wir etwas.«

»Wissen Sie, wer in dem Wagen saß?« Pinky Shorthand war anzusehen, dass er sich ärgerte. Da stand er in der letzten Nacht nur wenige Meter von dem vermutlichen Mörder entfernt und war nicht auf die Idee gekommen, sich auf dem Parkplatz näher umzusehen. In der Aufregung und Eile waren ihm ganz andere Dinge durch den Kopf gegangen.

»Nein, das wissen wir noch nicht. Wir tun unser möglichstes, aber wir können nicht hexen, Shorthand.«

»Und es hängt doch mit Hamsheres Reise nach Borneo zusammen.« Pinky Shorthand ließ sich nicht irritieren.

Edward Higgins zuckte mit den Achseln. »Vielleicht sollten wir unsere Aktionen künftig absprechen. Sie suchen Ihren Unsichtbaren, ich weiß, dass Sie nicht locker lassen werden. Und ich forsche nach einem Mörder aus Fleisch und Blut.«

»Vielleicht treffen sich unsere Interessen irgendwo in der Mitte«, grinste Pinky Shorthand. Er erhob sich. »Ich will Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Denke, dass hier für mich doch kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Ach, eine Frage noch, Chief, haben Sie eigentlich in der Zwischenzeit je wieder etwas von der Geschichte mit den Ärzten gehört?«

»Wie kommen Sie jetzt darauf?« Edward Higgins wusste, dass dies ein wunder Punkt in der Aufklärungsarbeit seines Teams war. Vor genau fünf Monaten hatte die mysteriöse Geschichte begonnen. Seit dieser Zeit waren sie keinen Schritt weitergekommen.

»Nur so. Ich musste gerade daran denken.«

Edward Higgins kniff die Augen zusammen. Wenn Pinky Shorthand eine solche Bemerkung machte, dann ahnte er entweder etwas oder er bluffte nur. »Nein, wir wissen nichts Neues. Tut mir leid.«

»Macht nichts!« Das war typisch Pinky Shorthand. Sprunghaft und unberechenbar. »Vielleicht hat das Verschwinden auch mit dem zu tun, was sich in der letzten Nacht ereignet hat, wer weiß? Ich habe eine Antenne für mysteriöse Dinge, Chief. Das Verschwinden von drei medizinischen Koryphäen ist zumindest ebenso seltsam wie der Mord. Vielleicht gibt es Zusammenhänge.«

Pinky Shorthand verabschiedete sich.

Edward Higgins blickte ihm nach. »Ich habe schon 'ne Menge erlebt«, murmelte der Chiefinspektor. »Aber wenn das so wäre, dann müsste es an den Haaren herbeigezogen sein.« Er schüttelte den Kopf und griff in die Zigarrenkiste. »Drei Ärzte verschwinden spurlos. Ein Professor für Anatomie, ein namhafter Chirurg und ein Psychologe. Kurz hintereinander scheinen sie sich in Luft aufgelöst zu haben. Und jetzt wird der Sohn eines Forschers mit einem Giftpfeil erschossen, und Pinky Shorthands Computergehirn schlägt Kapriolen. Es ist nicht zu fassen!«

Er steckte sich die noch nicht angezündete Zigarre zwischen die Lippen, griff nach dem Hörer und wählte eine interne Nummer.

»Merchant, ich habe was für Sie. Gerade war Shorthand da. Heften Sie sich ihm an die Fersen. Ich will alle zwei Stunden wissen, wo er sich aufhält, was er treibt und mit wem er spricht.«

»Okay, Chiefinspektor. Bin schon unterwegs.«

Charly Merchant hatte eine ruhige, sympathische Stimme. Sie passte nicht ganz zu seinem Äußeren. Er war blond und sehr hager, fast dürr. Seine Gesichtshaut schimmerte wächsern, und er sah aus, als ob er den ganzen Tag nur in einem geschlossenen Raum arbeitete. Doch das stimmte nicht.

Meistens befand er sich im Außendienst. »Auf Achse«, wie er es bezeichnete. Seine Erfolge als Beschatter vom Dienst waren im Yard wohlbekannt. Er klebte förmlich an seinem Opfer, und keiner brachte es fertig, sich mit so vielen Tricks an den zu Beobachtenden heranzuschleichen wie Charly Merchant.

Edward Higgins betrachtete sinnend seine Zigarre. »Die werde ich Bissen für Bissen verspeisen, wenn Shorthand recht hat, verdammt noch mal!«

Der Himmel in Amsterdam war grau, und Wolken zogen vom Meer her übers Land.

Es war noch früh am Abend, aber trotzdem schon dunkler als sonst.

Miriam Brent, die hübsche Schwester des erfolgreichen PSA-Agenten Larry Brent, hielt sich in ihrem Hotel auf, das direkt am Hafen lag.

Die Amerikanerin befand sich seit zwei Tagen in der Stadt der Grachten.

Miriam stand auf dem Balkon und blickte auf die belebte Straße, die genau am Hotel vorbeiführte.

Die junge Schauspielerin warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, ging kurz darauf in das geschmackvoll eingerichtete Zimmer und schaltete das Fernsehgerät ein. Nach den Nachrichten folgte ein Informationsprogramm des Senders. Darin wurden die holländischen Zuschauer über Sendungen und Ereignisse unterrichtet, die sie in naher Zukunft erwarten konnten, und sie durften einen Blick hinter die Kulissen werfen. Die Sendung hatte Magazincharakter und war recht interessant gestaltet – informativ und unterhaltsam zugleich.

Miriam verstand allerdings nicht sehr viel davon. Sie sprach nur wenige Worte Holländisch. Aber das störte sie nicht. Schließlich wartete sie auf den Auftritt eines Mannes, dem ihr Besuch in Amsterdam galt.

Zehn Minuten vor neun war es soweit.

Der Moderator stellte Harry van Loose vor, der den Zuschauern kein Unbekannter mehr war.

Ein junger Mann, vor wenigen Tagen neunundzwanzig geworden, weltoffen und sympathisch. Der dunkle, gepflegte Vollbart, der sein Gesicht wie ein Kranz umrahmte, ließ ihn etwas älter erscheinen.

Van Loose hatte für das niederländische Fernsehen mehrere abenteuerliche Reiseberichte gedreht. So war er unter anderem vor drei Jahren den Spuren Alexander des Großen gefolgt, hatte risikoreiche Trips durch Persien und Afrika hinter sich und einen Aufenthalt bei den Kurden. Schon als Siebzehnjähriger nahm er an einer abenteuerlichen Autoreise durch Indien teil. Er und drei seiner Freunde, die bei einem Unfall ums Leben kamen, hatten sich eigentlich vorgenommen, diese Reise mit dem Rad zu unternehmen und sich dabei eine zweijährige Reisedauer ausgerechnet. In letzter Minute aber waren sie von dieser Idee abgekommen.

Harry van Loose wählte ungewohnte Wege und Routen, er entdeckte Dinge und Orte wieder, die man längst verloren glaubte. Vor einem halben Jahr war er in den USA gewesen, wo einer seiner Reisefilme mit Begeisterung vom dortigen Fernsehpublikum aufgenommen wurde. Miriam Brent, die sich an jenem Abend zu Aufnahmen in diesem Fernsehstudio aufhielt, kam mit Harry van Loose ins Gespräch. Beide fanden sich auf Anhieb sympathisch, und seit jenem Abend sah man sie öfter gemeinsam.

Vor vier Monaten teilte ihr Harry von Europa aus mit, dass die Planung einer neuen ungewöhnlichen Kamerareise so gut wie abgeschlossen sei. Seit über einem Jahr liefen die Vorbereitungen. Er beabsichtigte, quer durch Borneo zu reisen. Wieder sollte es eine Route sein, die vor ihm noch kein Mensch verfolgt hatte.

Vor zwei Tagen erhielt Miriam einen Anruf in den Staaten. Harry van Loose machte ihr den Vorschlag, ihn zu begleiten. So war er – spontan und voller Überraschungen!

Miriam erbat sich einen Tag Bedenkzeit.

Zeitlich konnte sie es einrichten, und so entschied sie sich für die Reise. Nicht jeden Tag erhielt man ein solches Angebot!

Einen Tag später war sie bereits in Amsterdam.

Harry van Loose sagte soeben im Fernsehen: »Unsere Reise nach Borneo erfüllt einen dreifachen Zweck, meine Damen und Herren.« Sein Gesicht kam groß ins Bild. Hinter ihm an der Wand leuchtete ein Dia auf. »Wir bereiten die Expedition seit zwölf Monaten vor. Zu meiner Begleitung werden gehören: Piet Halström, Kameramann und Toningenieur, der mich bereits auf meinen letzten beiden Fahrten begleitete. Neu dabei ist ein Ehepaar aus Frankreich, Jean und Monique Buscon. Er ist Reiseschriftsteller, sie erforscht die Verhaltensweisen primitiver Stämme. Ebenso wird uns eine junge Amerikanerin namens Miriam Brent begleiten.« Er lächelte kaum merklich. Dieses Lächeln galt ihr. Aber von den Hunderttausenden von Zuschauern, die um diese Zeit vor den Geräten saßen, ahnte das niemand. »Der erste Grund der Reise ist, einen Weg durch das Innere des noch immer nicht ganz erforschten Landes zu finden, den bisher noch keiner vor uns gegangen ist.«

Das Bild ging in die Totale. Harry van Loose erhob sich. Die Wand hinter ihm zeigte eine riesige Karte von Borneo. Darauf war in leuchtend roter Farbe der Weg eingezeichnet, den die kleine Expedition vorgesehen hatte. »Von Kudat aus, im Norden des Landes, brechen wir einen Tag nach unserer Ankunft auf. Wir beabsichtigen, den über 4000 Meter hohen Kinabalu zu besteigen, der in der Religion der Ureinwohner dieses Landes eine besondere Rolle spielt. Er ist der Sitz der Geister der Verstorbenen. Auf der anderen Seite werden wir dann unseren Weg quer durch das Landesinnere fortsetzen, und zwar in südwestlicher Richtung, immer an den Bergen entlang. Es heißt, dass dort noch Stämme hausen, die von der Zivilisation völlig unberührt sind und die noch keinen Weißen gesehen haben. Dies nachzuprüfen, ist unsere zweite Aufgabe. Als drittes haben wir uns vorgenommen, die Spuren jener verschollenen Expedition zu suchen, die vor gut zwei Jahren in das Gebiet um den Kinabalu vorstieß und von der man seither nichts mehr gehört hat.«

Auf der Karte zeigte er die einzelnen Stationen und geplanten Rastplätze seiner Gruppe. Eine schraffierte Stelle um den Kinabalu verdeutlichte, wo man die Hamshere-Expedition zuletzt vermutete.

Frank Hamshere war im Süden der Insel aufgebrochen und von Bandjarmasin aus in jenen Teil Borneos gelangt, der noch zu Malaysia gehört.

Harry van Loose erzählte fesselnd und spannend. »Letzte Spuren weisen daraufhin, dass Frank Hamshere und seine Begleiter offensichtlich noch bis zum Kinabalu gekommen sind. Deswegen haben wir auch den Ausgangspunkt unserer Reise dorthin verlegt. Frank Hamshere, der die Insel bereits dreimal bereiste, muss bei seiner ersten Tour schon auf ein Geheimnis gestoßen sein, denn er fuhr immer wieder dorthin, um offensichtlich mehr darüber zu erfahren. Erst bei seiner vierten Reise, die seine letzte werden sollte, deutete er an, dass er sicher sei, nun auf jenen Stamm zu stoßen, der den bleichenden Schädeln huldigte. Darauf angesprochen, ergänzte er, dass es sich hier offenbar um eine Naturreligionsform handele, die völlig unbekannt sei. Die Anhänger dieser Religion verehrten angeblich Totenschädel, die über magische Kräfte verfügten.«

Miriam Brent, aufmerksame Zuschauerin und Zuhörerin, kniff plötzlich die Augen zusammen.

Zur Unterstützung seiner Ausführungen griff Harry offensichtlich in diesem Moment auf ein Dia zurück, das vom Regieraum eingespielt wurde. Er stand noch immer vor der Karte. Wie eine zweite Schicht wurde nun offenbar ein neues Dia auf die Wand geworfen. Die gelben, grünen und braunen Flecke wurden schwächer. Dunkel, düster und drohend zeichnete sich ein überdimensionaler Totenkopf auf der Rückwand ab.

Aber mit Harry van Looses Verhalten stimmte etwas nicht!

Er zeigte noch auf die Karten, die Miriam gar nicht mehr sehen konnte, beschrieb die Landschaft, den Lauf des Flusses, der sie mitten durch einen wilden Dschungel tragen würde, und schien den Totenkopf an der Wand nicht zu bemerken.

Das war kein Dia! Der Kopf bewegte sich!

In den großen, ausgefransten Augenlöchern glomm ein gespenstisches, unheimliches Licht. Die breiten Kiefern bewegten sich mahlend, öffneten sich, und für Bruchteile von Sekunden sah es aus, als wolle der schrecklich aussehende Schädel Harry van Looses Kopf verschlingen.

Miriam hielt entsetzt den Atem an, und ein eisiger Schauer lief über ihren Rücken.

Das alles wirkte so lebensecht, so überzeugend.

Sie nahm nicht mehr nur an einer Fernsehsendung teil, sondern fühlte sich beobachtet. Angst und Beklemmung legten sich auf ihr Herz, als sie glaubte das Bild käme wie in einem 3-D-Film auf sie zu. Sekundenlang füllte es wie ein dunkler Nebel die Bildfläche aus, die schrecklichen, lautlos mahlenden Kiefer standen vor ihr im Raum, als löse sich der unheimliche Schädel vom Fernsehbild. Das Studio, Harry, seine Stimme, sein erstaunlich ruhiges Verhalten, das eindeutig darauf hinwies, dass er von dem Totenkopf überhaupt nichts sah!, verschwanden in endloser Ferne.

Dann war der Spuk vorüber, das Bild verschwunden.

Miriam Brent schluckte.

Das Studio war unverändert.

Im Vordergrund sah man einen Teil des Tisches, dahinter Harry und die Tafel, auf der die Karte von Borneo leuchtete. Er machte noch ein paar Andeutungen über die Schwierigkeiten, mit denen er rechnete ohne allerdings sagen zu können, was wirklich auf sie zukam.

»Das alles werden wir erst wissen, wenn alles vorüber ist«, dröhnte seine Stimme aus dem Lautsprecher. »In drei Tagen brechen wir auf, und in drei Monaten werden wir zurück sein. Drücken Sie uns die Daumen, dass alles gut geht!«

Er kam noch einmal groß ins Bild, als der Moderator, der die Sendung leitete, auf ihn zuschritt, ihm die Hand drückte und sagte: »Vielen Dank, Harry van Loose! In drei Monaten dann hier, an dieser Stelle, zur gleichen Zeit. Mit hoffentlich ausreichend belichtetem Filmmaterial.«

»Wir haben jedenfalls genügend dabei.«

Die Szene wurde abgeblendet. Das war unverständlich. Kein Wort über den eingeblendeten Totenschädel!

Eine Erklärung wäre Harry seinen Zuschauern schuldig gewesen.

Miriam Brent saß noch einige Minuten regungslos vor dem Fernsehgerät. Sie ließ den Titelnachspann vorübergleiten, ohne die vielen Namen, unter denen sich auch der Harry van Looses befand, wahrzunehmen.

Schließlich schaltete sie den Apparat ab. Ihr Schädel brummte, sie fühlte sich benommen und unsicher auf den Beinen.

Als das Telefon läutete schreckte sie zusammen, weil sie gedanklich immer noch bei dem furchtbaren Bild war, das nicht kommentiert wurde, und das – trotz des Hintergrundes – nicht in den Rahmen der Sendung gepasst hatte. Wie ein Schatten verfolgte sie der riesige Schädel mit den gespenstisch glühenden Augenhöhlen.

Miriam Brent nahm den Hörer ab und meldete sich.

Am anderen Ende der Strippe erklang eine wohlvertraute Stimme: »Hallo Darling! Da bin ich wieder. Diesmal ganz allein für dich.«

Harry van Loose befand sich in aufgeräumter Stimmung.

»Hallo, Harry! Nett, dass du anrufst.« Miriam atmete hörbar auf. Ihre Stimme klang nicht ganz so frisch wie sonst.

»Ich wollte dir nur sagen, dass ich in spätestens einer halben Stunde bei dir im Hotel bin. Dann gehen wir gemeinsam in die Bar und nehmen einen Drink zu uns. Okay? Zieh dir was Nettes an!«

»Drink ist gut. Den kann ich jetzt gebrauchen.«

»Deine Stimme klingt so komisch. Ist etwas nicht in Ordnung? Was für eine Laus ist dir über die Leber gelaufen?«

»Ich bin erschrocken, Harry. Das ist alles. Ich habe gar nicht gewusst, dass mich solche Dinge derart aus der Fassung bringen können. Dieses verrückte Bild, das du gezeigt hast! War das wirklich nötig? Ein neuartiger Test, um die Nerven der Zuschauer zu strapazieren? Ist das der Grund, weshalb ihr alle im Studio stillschweigend die Einblendung übergangen habt? Wollt ihr erst mal die Reaktion des Publikums abwarten?«

»Ich verstehe nicht, wovon du redest, Miriam! Was für ein Bild, was für eine Einblendung?«

Sie erklärte es ihm.

Er hörte aufmerksam zu und antwortete mit ruhiger, kühler Stimme: »Aber, Darling, kein Wort davon ist wahr! Vom Regieraum wurde kein Dia eingeblendet. Ich verstehe das nicht.«

»Ihr habt also nicht ...?« Miriam merkte, wie es in ihrem Nacken kribbelte.

»Du musst eingeschlafen sein. Vielleicht nur für ein paar Sekunden. Ich habe über die Anhänger der bleichenden Schädel gesprochen. Einen Moment lang hast du geistig abgeschaltet.«

»Ich schlafe nicht vorm Bildschirm ein, Harry! Ich bin keine alte Tante.«

»So war das nicht gemeint. Du bist sicher übermüdet, Miriam. Leg dich noch eine Weile hin. Die Reise, die vielen Wege, das alles sind Strapazen. Da muss man keine alte Tante sein, um bei einer Sendung kurz einzunicken.«

Er lachte leise, und es klang beruhigend.

»Du wirst recht haben, Harry. Ich lege mich etwas hin. Aber den Drink nehmen wir doch noch an der Bar.«

»Okay, Darling. Ich freue mich schon.«

Es knackte in der Leitung. Harry van Loose legte auf, nachdem er sich mit einem in die Muschel gehauchten Kuss von ihr verabschiedet hatte.

Gedankenverloren stand Miriam Brent einen Moment neben dem Telefon, wandte sich dann um und schüttelte den Kopf.

»Halluzinationen«, murmelte sie. »So also kann's einem ergehen. Einen Augenblick der Schwäche, die man nicht mal selbst erkennt, und gleich sieht man auf der Grenze zwischen Wachen und Träumen nicht vorhandene Dinge.«

Miriam legte sich auf die Couch und stieß mit dem Fuß die Balkontür auf, so dass der gleichmäßige Straßenlärm und das Rauschen des Wassers vom Hafen her in ihr Zimmer drangen.

Eine Viertelstunde verging. Die Amerikanerin schlief nicht ein. Sie war nicht müde, sondern fühlte sich frisch und voller Tatendrang, wollte aber noch fünf Minuten liegen bleiben. Dann war es Zeit, um sich fertig zu machen, um Harry van Loose zu empfangen.

Miriam richtete sich auf, ließ eine Hand durch die langen, kastanienbraunen Haare gleiten und war gerade im Begriff aufzustehen, als das Telefon erneut anschlug.

Harry van Loose meldete sich.

»Harry? Du?«, wunderte sich die junge, grazile Amerikanerin, und ihre braunen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

»Tut mir leid, Darling!« Seine Stimme klang verändert. »Ich bin immer noch im Studio. Es ist da etwas, was ich dir sagen muss. Ich glaube, du hast doch nicht geträumt. Die Telefone klingeln heiß. Wir haben schon weit über achtzig Anrufe bekommen. Alle wollen wissen, was der Unsinn mit dem makabren Bild bedeutet. Hier im Studio ist der Teufel los. Wir suchen den Fehler. Die Meinung, dass einer der Filmgeber durch irgendeinen Defekt selbständig geworden ist, setzt sich immer mehr durch. Es wird nachgeprüft, ob das der Fall sein kann und ob vielleicht ein Grusel- oder Horrorfilm eingespannt gewesen ist. Rätselhaft ist nur, wie die Sendung dann über den Kanal gekommen ist. Das ist so gut wie ausgeschlossen, aber aufgrund der Reklamationen wohl nicht mehr von der Hand zu weisen. Ich werde hier so schnell wie möglich zu einem Ende kommen. Gedulde dich noch etwas, Darling! Unser Drink ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.«

Der Holländer traf nach etwas mehr als einer Stunde im Hotel ein. Miriam war fix und fertig angezogen und sah reizend aus. Harry van Loose küsste sie zärtlich. Er war nervös, versuchte aber, sich das nicht anmerken zu lassen.

»Was ist aus der Geschichte mit dem Bild geworden?«, erkundigte sich Larry Brents Schwester.

Harry wusch sich im Bad die Hände, steckte sein Gesicht unter den kalten Wasserstrahl und kämmte sich dann seine Haare.

»Wir sprechen darüber. In der Bar.«

»Ich schlage vor, wir gehen zuerst ins Restaurant. Die Sache hat begonnen, mir auf den Magen zu schlagen.

»Okay, wenn du Hunger hast, dann nichts wie hin. Ich habe heute Abend in der Kantine nur ein Käsebrötchen gegessen. Das war auch alles. Ich könnte etwas vertragen, aber ich habe nicht gewagt, davon anzufangen. Aus Amerika habe ich in guter Erinnerung, dass du der Figur zuliebe auf manchen Leckerbissen verzichtet hast.«

»Das ist auch heute noch so, Harry. Aber bisher hatte ich noch nicht richtig die Gelegenheit, die holländische Küche kennenzulernen. Und das will ich mir nicht entgehen lassen. In drei Tagen ist es sowieso aus mit anständiger Kost. Dann leben wir von Fertiggerichten aus der Dose und Tütensuppen.«

Sie lächelte. Er aber erwiderte es nicht. Der Ausdruck in seinen Augen veränderte sich. Er wollte etwas sagen, aber er tat es nicht.

Miriam bemerkte die Veränderung. »Du willst mich nicht mehr mitnehmen?«, fragte sie leise, als hätte sie seine Gedanken erraten.

Er antwortete nicht gleich, sondern führte sie wortlos aus dem Zimmer bis in das gemütlich eingerichtete Restaurant. Dort wählten sie einen Tisch in einer einsamen Nische. Eine kleine kunstgewerbliche Lampe mit rotem Schirm brannte über ihnen und spendete anheimelndes, warmes Licht.

Harry van Loose war noch immer schweigsam. Ihn quälten Sorgen. Erst als der Ober ihre Bestellung entgegengenommen hatte und ging, war Harry bereit zu reden. »Ja, ich habe es mir noch mal gründlich überlegt, Darling. Ich glaube es ist besser, wenn du nicht mit uns reist.«

»Aber wieso, Harry? Wieso auf einmal?«

»Es hat sich etwas geändert. Ich bin ein nüchtern denkender Mensch. Das weißt du. Aber das, was heute geschehen ist, lässt sich nicht mehr mit den Naturgesetzen in Einklang bringen.«

Er machte eine kleine Pause und fuhr fort: »Heute Abend im Studio, das ist nicht mehr nur mysteriös, das ist schon unheimlich! Unsere Techniker haben alle Möglichkeiten durchgeprüft. Der Sender arbeitete einwandfrei, und von uns aus ist auf keinen Fall dieser lebende Totenschädel eingespielt worden. Wir haben sofort eine andere technische Möglichkeit in Betracht gezogen: Hin und wieder kommt es vor, wenn auch selten, dass sich Programme überlagern. Das heißt, dass Fernsehbilder aus dem Nachbarland, aus Belgien, Deutschland oder gar Dänemark, ihren Weg durch Frequenzüberlagerungen zu uns finden. Bei bestimmten Wetterlagen sind dann diese »Geisterbilder«, wie wir Fernsehleute sie nennen, auch auf unseren Bildschirmen zu sehen. Manchmal sogar recht deutlich. Wir wollten es genau wissen. Die Wetterlage dazu stimmt heute auf keinen Fall, und Nachfragen bei den Fernsehanstalten unserer Nachbarländer haben ergeben, dass über keinen einzigen Sender ein Film gespielt wurde, in dem ein Totenschädel vorkam.« Er sah Miriam lange an. »Ich war überzeugt davon, dass du einen Teil der Sendung nur noch bei halbem Bewusstsein gesehen hast. Aber wenn das so wäre, dann hätte halb Holland heute schlafend vor den Apparaten sitzen müssen. Tausende haben diesen Kopf gesehen!«

»Du sprichst immer von den anderen, Harry. Wie war das mit dir, mit deinen Kollegen im Studio?«

»Wir haben nichts gesehen!«

»Aber jede Sendung wird doch aufgezeichnet.«

»Ja, auch die Aufzeichnung haben wir geprüft. Es war nichts zu sehen! Was immer auch Tausende registrierten: Es kam von außerhalb und auf keinen Fall von einer technischen Einrichtung.«

»Massensuggestion?«, fragte Miriam leise.

»So etwas Ähnliches. Es gibt eine Kraft, die mir, oder uns allen, ein Zeichen geben wollte. Ihr habt einen Schatten über mir gesehen. Ein furchtbarer Schatten, der mich bedrohte, der alle bedrohte, die mit mir diese Reise unternehmen! Und deswegen will ich nicht, dass du mitkommst. Schon von Anfang an barg das Unternehmen große Risiken in sich. Aber nun sind sie unüberschaubar geworden. Ich muss dauernd an Frank Hamshere denken, Miriam. Es zog ihn mit beinahe magischer Gewalt immer wieder nach Borneo. Er ging nie richtig aus sich heraus. Und doch ist er gefahren. Ich werde es den anderen freistellen, ob sie mich begleiten wollen oder nicht. Nur bei dir bestehe ich darauf, dass du umgehend in die Staaten zurückfliegst. Sollte mein ganzes Geschwätz Unsinn sein, desto besser, dann haben wir die große Wahrscheinlichkeit, dass wir uns lebend wiedersehen. Die bleichenden Schädel wurden zu Frank Hamsheres Schicksal. Unbewusst habe ich das immer gespürt, und ich glaube, gerade das war es, was mich ausgerechnet diese Expedition planen und ausrüsten ließ.«

»Du glaubst an übersinnliche Wahrnehmung?«

»Ich habe nie daran geglaubt. Aber manchmal gibt es Dinge, die man annehmen muss, auch wenn man sich nicht mit ihnen anfreunden kann. Irgendjemand will nicht, dass ich komme. Gerade deshalb trete ich erst recht die Reise an. Es ist verrückt – so wie ich –, und ich bin verwirrt. Entschuldige, wenn ich so quer daherrede.«

Er griff nach seinem Glas, führte es langsam an seine Lippen und trank einen großen Schluck.

»Ich werde mitkommen«, sagte Miriam einfach.

»Aber das ist doch heller Wahnsinn!«, entfuhr es ihm.

»Wenn ich mal eine Entscheidung getroffen habe, mache ich keinen Rückzieher mehr, Harry.«

»Aber unter diesen Umständen ...«

»Auch unter diesen Umständen, von denen wir nicht mal wissen, was sie zu bedeuten haben! Abertausende haben das gesehen, was ich wahrgenommen habe. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass dieser makabre Scherz eine Warnung darstellen soll: Kannst du dir vorstellen, dass Tausende von Meilen hinweg Gedanken und Einflüsse denkender Geschöpfe wirksam werden können, die dich beeinflussen wollen, aber sich eigenartigerweise nicht dir offenbaren, sondern denen, die zuschauen?«

»Ich weiß nicht, Miriam. Ich weiß überhaupt nichts.« Harry verbarg das Gesicht in beiden Händen. »Ich muss darüber nachdenken.«

»Gedanken sind ungebunden, sie können telepathische Einflüsse mitbringen, wenn jemand die Gabe besitzt«, sprach Miriam unbeirrt weiter. »Vielleicht ist es etwas Ähnliches. Sehen wir die Sache aber auch mal anders, Harry. Wer sagt dir, dass die Totenkopferscheinung unbedingt eine Drohung oder Warnung darstellen muss? Kann sie nicht auch eine Botschaft sein?«

Harry blickte auf.