Larry Brent Classic 044: Die Gespensterdschunke - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 044: Die Gespensterdschunke E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Die Gespenster-Dschunke von Shanghai Schanghai: Ein junges Paar wird Opfer der geheimnisvollen Gespenster-Dschunke, die angeblich die Gewässer Chinas unsicher macht. Die Leiche der Frau wird zum Drogen-Schmuggel missbraucht, wobei sich das durch die Dämonen verseuchte Blut mit dem Heroin vermischt. Die PSA-Agentin Keiko Yamada soll einen jungen Mann namens Jasiro beaufsichtigen. Der Chinese hat gerade eine Entziehungskur hinter sich, hat aber vorher im Drogenrausch Menschen mit skelettierten Drachenschädeln gesehen. Keiko beschattet Jasiro, der sie zu seinem Dealer führt. Kurz darauf nimmt Jasiro Keiko mit zu einer Freundin, wo wieder ein rauschendes Fest gefeiert wird, natürlich mit Heroin, welches verseucht ist. Dadurch verwandeln sich die Drogensüchtigen in Gestalten mit Drachenschädeln, welche die Agentin überwältigen und ebenfalls die Droge verabreichen ... Medusas steinerne Mörder Das Haupt der Medusa ist unterwegs - zu Wasser, immer auf Flüssen entlang. Da ohne Körper, kann der berühmte schlangenbewehrte Kopf lediglich im Wasser existieren. Im Trockenen sowie ohne Körper funktioniert diese Existenz nicht allzu lange. Ab und an versteinert ein Mensch, der durch wehleidiges Klagen vom Medusenkopf angelockt wurde. Ein Blick ins Gesicht der Unseligen, ein Erhaschen der Schlangen - schon wird Fleisch zu Stein. Doch diese Steinernen können Sklaven dieser Medusa sein, wenn sie es will. Die steinernen Diener bewegen sich dann, können gehen, das Haupt in einen anderen Fluß bringen, wo die Reise für den Kopf weitergeht. Hin zu Draculas Bruder ...

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 44

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-844-0

Dan Shockers Larry Brent Band 44

DIE GESPENSTERDSCHUNKE

Mystery-Thriller

Die Gespenster-Dschunke von Shanghai

von

Dan Shocker

Prolog

Eine Viertelstunde vor ihrem Tod war Madleen Cordes noch fröhlich und guter Dinge. »Die Nacht ist herrlich!«, schwärmte sie träumerisch, stand an der Reling der kleinen Yacht und blickte auf das nächtliche Meer. In der Dunkelheit flimmerten wie beleuchtete Perlen an einer Schnur die Lichter von Hongkong. Sie waren etwa fünf Seemeilen entfernt. Das Meer war ruhig, die weiße Yacht schaukelte sanft auf den Wellen. Die Worte, die die siebenundzwanzigjährige Britin sprach, galten dem schmalen Chinesen an ihrer Seite.

Mister Wang.

Er hatte sie auf seiner Yacht mitgenommen, und Madleen wusste die Ehre zu schätzen. Mister Wang galt als kontaktarm und scheu. Er lebte sein eigenes, zurückgezogenes Leben. Dabei gehörte er zu den reichsten Männern der britischen Kronkolonie. Wang war passionierter Junggeselle und Hersteller der feinsten Seiden und Stoffe des Landes. Als Einkäuferin aus London war Madleen Cordes nach Hongkong gereist. Es war ihr erster Kontakt zu dem menschenscheuen Sonderling, den sie jedoch sehr sympathisch fand.

»Wir sind weit draußen«, sagte er leise zu ihr, und sie konnte seine Worte eben noch verstehen. »Der Lärm und die Hektik der Millionenstadt dringt nicht bis zu uns hierher. Es ist auch unwahrscheinlich, dass hier, westlich der Straße von Formosa, eine Dschunke unseren Weg kreuzt. Die meisten laufen nicht so weit aus. Sie drängen sich in den Buchten von Kowloon. Die Dschunken und Tausende von Hausbooten, sogenannte Sampans, liegen dort. Eine einzige schwimmende Stadt.«

»Das ist ein Teil Hongkongs«, lächelte Madleen Cordes. »Es macht seine Atmosphäre aus, deshalb komme ich immer wieder gern hierher ...«

»Zum wievielten Mal sind Sie schon hier, Miss Cordes?«

»Zum fünften. Und ich kenne Hongkong noch immer nicht. Allein dieses Bild vom Meer aus. So phantastisch, so faszinierend habe ich die Weite außerhalb und die Silhouette Hongkongs noch nie erlebt.«

»Viele, die sie so sehen konnten, leben auch nicht mehr«, meinte Mister Wang nachdenklich. Auch er lehnte an der Reling und blickte in die Ferne.

Er trug einen weißen Anzug, wirkte klein und unscheinbar und war doch einer der ganz Großen. Leise plätscherte das Wasser gegen die Außenwände des Bootes, die Sterne funkelten im schwarzblauen Wasser des Südchinesischen Meeres.

»Wie meinen Sie das?«, fragte die dunkelhaarige Besucherin aus London. Sie wandte dem Sprecher ihr Gesicht zu und musterte den Mann im weißen Anzug von der Seite.

»Es gab eine Zeit, die glücklicherweise schon lange zurückliegt, da herrschte große Unsicherheit entlang dieser Küstenlinie, bis hoch nach Shanghai und noch weiter. Die Menschen fürchteten die Gespenster-Dschunke aus Shanghai.«

»Davon habe ich noch nie gehört.«

Er lächelte abwesend. »Wenn Sie fünfzigmal in Hongkong gewesen sind, brauchen Sie noch nie davon gehört zu haben. Jeder kennt die Legende, aber im Allgemeinen wird nicht darüber gesprochen. Ein geschäftstüchtiger Manager scheint dieses Tabu allerdings jetzt durchbrochen zu haben. Seit einigen Monaten gibt's eine neue Attraktion in Hongkong, sowohl für die Touristen dieser Stadt als auch für die Einheimischen.«

»Und was für eine Attraktion ist das?«

»Das Gespensterschiff, von dem ich Ihnen eben erzählte. Einer ist auf die Idee gekommen, die Dschunke nach alten Überlieferungen nachzubauen und einzusetzen. Jeder, der Lust hat, kann gegen gutes Geld den Service der Mannschaft und des Käpt'n in Anspruch nehmen.«

»Und was ist das für ein Service?«

»Man gibt der Firma Bescheid, dass beispielsweise ein Überfall während einer Exkursion stattfinden soll. Nach Piraten-Manier werden Touristen-Barkassen und Dschunken überfallen und die Menschen, die sich darauf befinden, verschleppt. Das ist allerdings recht kostspielig und wird, wie schon angedeutet, meistens nicht von Privatpersonen in Anspruch genommen, sondern eben von Reisegesellschaften, die das sogenannte abenteuerliche, unheimliche Hongkong in ihr Programm aufgenommen haben.«

Madleen schüttelte den Kopf. Ihre Haare flogen. »Das ist das erste, was ich darüber höre. Sie scherzen, Wang.«

»Nein, es ist die Wahrheit«, antwortete der Chinese todernst. Die Engländerin strich sich das Haar aus der Stirn. »Was die Leute sich alles einfallen lassen, um Geld zu verdienen«, bemerkte sie kopfschüttelnd. »Und was ist das kleine Programm für den schmalen Geldbeutel?«

»Sie könnten zum Beispiel die Dschunke während einer Ausflugsfahrt in der Bucht oder zwischen den Inseln auftauchen lassen. Dann wird die Flagge der Drachen-Männer gehisst und die unheimlichen Gestalten zeigen sich an Bord, schwingen Schwerter und Enterhaken und tauchen wieder unter, im künstlichen Nebel ...«

»Toll, was es alles gibt. Ich habe schon viele Vergnügungs- und Freizeitparks gesehen und interessante Darbietungen und Aktionen erlebt. Die Sache mit der Gespenster-Dschunke ist originell. Und es soll sie wirklich mal gegeben haben?«

»Es wird so erzählt. Ursprünglich waren es Piraten, die die Gewässer unsicher machten, Handelsschiffe überfielen und ausraubten. Menschen festnahmen und dann hohe Lösegelder erpressten, wenn sie zufällig an den Angehörigen einer reichen Familie geraten waren. Bei solchen Überfällen wurden immer viele Menschen getötet, wie man sich denken kann. Die Mannschaft der legendären Gespenster-Dschunke konnte nie gefasst werden.«

»Deshalb wohl heute noch der Glaube in der Bevölkerung, dass es sie immer noch gibt und in Nebelnächten lautlos durch die Buchten streift, wie?«

»Genau so ist es ... Wie in Ihrem Land immer wieder in der Presse zu lesen ist, dass das legendäre Ungeheuer von Loch Ness gesichtet wurde, so findet man in den hiesigen Gazetten in der sogenannten Sauren-Gurken-Zeit Hinweise auf das Aufkreuzen der Gespenster-Dschunke, die im Hafen von Shanghai zu Hause war ... In solchen Nächten wie der heutigen, könnte die Dschunke auftauchen. Wir sind weit vom Festland weg ... da ist es umso wahrscheinlicher, dass sie kommen könnte ... Aber es ist kein Grund. Man sagt, dass auch die Dschunke unweit des Festlandes aufzutauchen pflegte ... Nun, freuen wir uns, dass wir nicht mehr in vergangenen Jahrhunderten leben und keine Gespenster-Dschunken zu fürchten brauchen. Vielleicht hatte das damals aber auch sein Gutes«, schränkte er augenblicklich wieder ein. Bei diesem Mann wusste man nie, woran man war.

»Sonst hätte ich die Gelegenheit gehabt, meinen Mut unter Beweis zu stellen und Sie zu retten.«

»Wäre Ihnen das so unangenehm gewesen?« Die Engländerin hob kaum merklich die fein nachgezogenen Augenbrauen, und sie wusste selbst nicht, wie sie dazu kam, so etwas zu sagen. Es rutschte ihr einfach heraus.

»Nein, gewiss nicht.« Diese Erwiderung von Mister Wang war nicht minder erstaunlich. Er wandte ihr voll das Gesicht zu. In seinen dunklen Augen spiegelte sich das schimmernde Licht der Sterne. Madleen Cordes wirkte erschrocken. Sie merkte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann. »Mister ... Wang ...«, flüsterte sie. Er griff nach ihrer Hand, und sie entzog sie ihm nicht. Er führte ihre schlanken Finger an seine Lippen und hauchte einen Kuss darauf. »Ich mag Sie ... Sie sind mir sympathisch ...« Da wurde Madleen Cordes rot. »Mister Wang«, konnte sie nur sagen. Sie senkte den Blick, und er ließ ihre Hand los. »Damit hatte ich nicht gerechnet ...«, sagte sie sichtlich betroffen.

War Wang doch nicht so ohne? Hatten sich alle, die ihn beschrieben und mit ihm bisher zu tun hatten, in ihm getäuscht?

»Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sprach er sie an und riss sie aus ihren Überlegungen. »Es ist nicht so. Ich mochte Sie vom ersten Augenblick an ...«

»Wir kennen uns noch keine achtundvierzig Stunden, Mister Wang.«

»Es gibt Menschen, die mag man in der ersten Sekunde, und es gibt welche die mag man nach einem Jahr oder nach zehn oder zwanzig noch nicht.« Der Chinese nickte ihr aufmunternd zu. »Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben«, sagte er plötzlich mit entwaffnender Offenheit und grinste wie ein scheuer Junge, den man bei einem Streich erwischte. »Ich habe Sie nicht mitgenommen, um Sie zu verführen oder so zu tun, als hätte die Yacht einen Motorschaden, und wir müssten die Nacht auf dem offenen Meer verbringen.«

»Nein«, schüttelte sie heftig den Kopf. »Das habe ich auch gar nicht angenommen. Trotzdem ... es ist schon spät ... Morgen wartet viel Arbeit auf uns ... Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mit mir hinausgefahren sind, aber jetzt wäre es doch nett, wenn wir wieder zurückfahren würden ...«

»Selbstverständlich, Miss Cordes ... Und bitte, seien Sie mir nicht böse.«

»Aber weshalb?«

»Wegen vorhin. Ich habe mich nicht ganz korrekt benommen. Ich habe mich einen Moment vergessen.«

»Sie verhalten sich noch immer korrekt, Mister Wang.«

Der Chinese ging an ihr vorbei, um die einige Stufen tiefer liegende Kabine aufzusuchen.

»Mister Wang!«, rief Madleen Cordes plötzlich und deutete auf ein schwaches Licht, das grün schimmerte und langsam näher kam. »Da kommt etwas direkt auf uns zu.«

Sie deutete über die Reling weit in die Finsternis. Aus nordöstlicher Richtung näherte sich lautlos ein Objekt. Es konnte nur ein anderes Schiff oder eine Dschunke sein. Aber etwas daran stimmte nicht. Das andere Wasserfahrzeug war zu schnell. Rasch kam es näher.

Minutenlang blickten der Chinese und seine europäische Begleiterin über die funkelnde Wasserfläche hinweg.

Und da fiel ihnen noch etwas auf ...

Dünne Nebelschleier waberten über die Wasseroberfläche, die die ganze Zeit über glatt und spiegelnd gewesen war. »Wo kommt denn der Nebel her?«, entfuhr es Madleen Cordes unwillkürlich. Er wurde schnell dichter, milchig, legte sich wie weißer Qualm über das Wasser und nahm an Ausdehnung zu. Das grüne Licht vor ihnen in der Dunkelheit wurde größer. In der Atmosphäre lag plötzlich etwas unbeschreiblich Fremdes und Bedrohliches.

»Schnell, Mister Wang«, stieß die Engländerin hervor, die sich mit einem Mal nicht mehr wohl in ihrer Haut fühlte und die Nacht auch nicht mehr herrlich fand. »Fahren Sie schnell ... weg von hier ...« Der Chinese nickte, zuckte die Achseln und wirkte einen Moment bedrückt und hilflos. Aber Madleen Cordes wusste nicht, ob es echt oder nur gespielt war. Obwohl sie oft mit Partnern aus diesem Raum zusammenkam, waren und blieben ihr die Menschen mit den dunklen, mandelförmigen Augen und dem ewigen sanften Lächeln um den Lippen ein Rätsel.

In wenigen Sekunden war die Yacht von dem geheimnisvollen, milchigen Nebel eingehüllt. Ein bedrohliches grünes Glühen hing vor ihnen in der Luft.

Dann ging es auch schon drunter und drüber.

Der massige Bug einer Dschunke ragte plötzlich wie ein dunkler Berg vor der kleinen Yacht empor. Ein riesiges rotes Segel, auf dem ein goldener chinesischer Drache prangte, zerteilte die Nebelwand seitlich des Schiffs. Schon immer fand Madleen Cordes die Darstellung des chinesischen Drachens unheimlich. Sie hatte ihn schon in vielen Variationen gesehen, aber noch nie in der jetzigen. Der Drache auf dem blutroten Segel hatte einen kahlen Totenschädel, und das widerliche Grinsen wirkte wie eingefroren.

Doch das war noch nicht alles. Am dunklen Bug der Dschunke drängten sich unheimlich anzusehende Gestalten. Sie schwangen Haumesser und Krummschwerter. Madleen Cordes presste erschrocken die Hand vor den Mund und erstickte den Schrei, der in ihrer Kehle aufstieg. Aus der Angst, die sich in ihr Herz krallte, wurde blitzartig eine Erkenntnis, die sie aufatmen ließ.

»Mister Wang!«, stieß sie hervor und begann plötzlich zu lachen, das allerdings seltsam klang. »Jetzt verstehe ich auch Ihre Geschichte. Sie werden mir langsam unheimlich. Erst erzählen Sie mir von der Gespenster-Dschunke, und nun lassen Sie sie auch noch auftauchen ... Die Touristen-Attraktion von Hongkong ... Hierher bestellt von Ihnen. Als Schrecken um Mitternacht ... Mister Wang ...« Sie atmete tief durch. »Die Überraschung ist Ihnen in der Tat gelungen. Ich habe mich wirklich erschrocken und ...«

»Nein!«, unterbrach Wang! »Sie täuschen sich ... ich habe mit alledem ... nichts zu tun. Ich ...«

»Aber Mister Wang!«, lachte Madleen Cordes plötzlich und schüttelte heftig den Kopf. »Jetzt doch nicht mehr ... es sei denn, das Programm geht weiter und ...«

Da stieß der kleine Chinese die Britin zur Seite und wollte zur Treppe, um nach unten zu gelangen. Er war weiß wie ein Leintuch und schrie ihr etwas zu, das sie nicht verstand. Es klang wie eine Warnung.

Der scheue Sonderling! Er hatte sich für diese Nacht einige Überraschungen einfallen lassen. Erst ein hervorragendes Abendessen in einem schwimmenden Restaurant, wo Mister Wang eine private Anlegestelle benutzen durfte, dann die Fahrt mit der Yacht hinaus ins südchinesische Meer, seine etwas hilflos gestammelte Liebeserklärung, und nun diese Rock- und Horror-Show. Fehlte bloß noch die dazu gehörige Musik. Wahrscheinlich lag das Band auch schon bereit, und der Mann war nur nicht mehr dazu gekommen, es rechtzeitig vor dem Auftauchen der Grusel-Attraktion zu starten. Und nun spielte er noch den Ahnungslosen. Wang steckte voller Überraschungen! Er war noch einen Schritt von der obersten Stufe entfernt, als die ersten Piraten auf die schaukelnde, antriebslose Yacht sprangen. Zwei, drei dunkle Gestalten erschienen im Nebel, der die Umrisse der eigenen Bootswand kaum noch erkennen ließ ... so dicht und undurchdringlich war er geworden.

Diese Lautlosigkeit!

Madleen Cordes merkte, dass im Zusammenspiel der Kräfte etwas nicht stimmte. Die Annäherung der riesigen Dschunke hätte ein Geräusch verursachen müssen. Sicher wurde sie mit Motorkraft betrieben wie viele Dschunken in dieser Region. Aber Motoren – machten Lärm. Die Geschwindigkeit, mit der das Wasserfahrzeug herangekommen war ... auch das ging nicht mit rechten Dingen zu. Vor wenigen Sekunden noch war nur ein kleines grünes Licht in der Ferne zu erkennen gewesen. Dann tauchte die Dschunke auch schon seitlich der Yacht auf, war wie ein Pilz aus dem Boden gewachsen ...

Etwas Metallisches zischte durch die Luft und blinkte auf. Wang lief mitten hinein. Ein Schrei entrann seinen Lippen und hallte über Deck der kleinen Yacht. Die Nacht wurde zu einer Aura des Grauens.

»Mister Wang!«, schrie Madleen, die nicht mehr wusste, was sie von allem halten sollte. Gehörte das auch noch zu dem Programm, das dieser unscheinbare und undurchsichtige Mann für die ahnungslose Besucherin aus dem fernen Land vorbereitet hatte?

Wang wankte auf sie zu, die Augen weit aufgerissen, beide Hände vor den Leib gepresst. Zwischen seinen Fingern sickerte Blut hervor.

»Neeeiiinnn!«

Sie schrie so laut wie nie zuvor in ihrem Leben, und ihr eigener Schrei hallte schaurig in ihren Ohren. Madleen Cordes sah, wie der kleine Chinese vor ihren Füßen zusammenbrach und in verkrümmter Haltung liegen blieb. Die junge Engländerin wich zurück und war unfähig, sich schnell zu bewegen oder zu überlegen, was sie hier mitten auf See, für ihre Rettung tun könnte. Das war kein Spaß mehr, keine Vorführung eines Unternehmens, das auf die Idee mit der Gespenster-Dschunke gekommen war.

Blutiger Ernst!

Sie erhielt einen derart heftigen Stoß zwischen die Rippen, dass sie nach vorn taumelte und auf die Planken stürzte. Dann wurde sie von harten Händen unbarmherzig gepackt und noch mal in die Höhe gerissen. Eine einzige Sekunde noch funktionierten ihre Sinne. Was war das für ein Gesicht, das im Nebel vor ihr auftauchte? Fahl, knöchern ... ein Drachenkopf?

Weiteres Denken war nicht mehr möglich. Ein scharfer, brennender Schmerz plagte sie in der Schulter, dann erfolgte ein noch heftigerer im Magenbereich. Mit ungläubig aufgerissenen Augen stürzte Madleen Cordes erneut auf die Planken. Wie Mister Wang presste sie die Hände auf den Leib.

Als sie auf dem Boden lag, streckte sich ihre Hand wie hilfesuchend nach einem Halt aus, die junge Frau rutschte über Deck und hinterließ lange, blutige Streifen.

Madleen Cordes Augen brachen.

1. Kapitel

»Kann ich den Mann sehen?«, fragte die zierliche Japanerin. Sie trug hochhackige Schuhe und ein figurbetontes Kleid mit raffiniertem Ausschnitt, der die schwarze Spitzenwäsche sehen ließ. Das Haar der Frau war seidig und schick frisiert. Sie trug eine Kurzhaarfrisur, die ihre Jugend noch unterstrich. Der Pfleger, ein kräftiger, gedrungener Mann, nickte. »Aber selbstverständlich, Miss Yamada. Sie sind mir bereits angekündigt worden. Bitte, kommen Sie mit ...«

Durch die schmalen, hohen Fenster des alten Gebäudes fiel das Sonnenlicht. In Tokio war es neun Uhr morgens. Das Haus, in dem vor allem Suchtkranke untergebracht waren, war rund achtzig Jahre alt und hätte längst einen neuen Anstrich und eine allgemeine Renovierung vertragen. Aber dem Träger mangelte es an Geld.

Der Mann ahnte nicht, wen er durch den langen, gekachelten Korridor begleitete. Zwar kannte er den Namen der freundlichen Frau, aber über ihre wahre soziale Stellung wusste er nichts. Keiko Yamada war PSA-Agentin mit der Deckbezeichnung X-GIRL-I. Offiziell war sie Mitarbeiterin einer Sozialeinrichtung, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Rehabilitationsmaßnahmen an jenen Kranken durchzuführen, die sich für eine Entziehungs-Therapie entschieden hatten. Viele hoffnungslose Kandidaten und Kandidatinnen, vor allem Rückfällige, waren in diesem riesigen Haus an der äußersten nördlichen Peripherie untergebracht. Viele lagen in total überfüllten Zimmern, abgemagert bis auf die Knochen und die ausgemergelten, vom Rauschgift ausgehöhlten Körper wurden durch Infusionen am Leben erhalten. Die meisten waren nicht mehr bei Besinnung. Nur wenige Suchtkranke schafften noch mal den Absprung und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Auf dem Weg durch den Korridor begegneten Keiko Yamada und ihrem Begleiter einige jugendliche Insassen der Anstalt. Sie wirkten scheu, bleich und krank. In den tiefliegenden Höhlen glühten die Augen wie Kohlen. Die jungen Männer blickten der gutgekleideten, zierlichen Frau nach, die ihnen freundlich zugelächelt hatte. Der Patient, zu dem Keiko geführt wurde, hatte ein Einzelzimmer. Er stammte aus gutem Hause. Sein Vater, ein wohlangesehener Tokioter Geschäftsmann, liebte seinen einzigen Sohn über alles. Er sollte mal das Unternehmen erben und führen. Aber seit dem siebzehnten Lebensjahr nahm Jasiro Takato Rauschmittel. Im Freundes- und Bekanntenkreis bei Partys fing es an. Nur erst mal zum Spaß, als Mutprobe ... Es kann ja nichts passieren, nicht mir, ... das war die Einstellung. Es begann mit Aufputschmitteln und Tranquilizern, die sie sich auf gefälschte Rezepte beschafften. Dann folgte mal der Zug an einer Hasch-Zigarette. Es wurden mehr. In der Heroinsucht schließlich endeten die meisten. Drei aus der Gruppe, in der Jasiro bis zuletzt verkehrte, lebten schon nicht mehr. Mit achtzehn, zwanzig und zweiundzwanzig hatten sie sich den goldenen Schuss gesetzt und waren an einer Überdosis Heroin gestorben. Sie hatten aus dem Rausch nicht mehr zurückgefunden ...

Jasiro Takatos Vater brachte das Kunststück fertig, seinen Sohn vor einigen Monaten dazu zu überreden, freiwillig eine Entziehungskur zu machen.

Der Zustand des Fünfundzwanzigjährigen war schon bedenklich gewesen, als man ihn einlieferte. Aber Takato hatte die feste Absicht von dem Gift wegzukommen, auszubrechen aus dem Teufelskreis, in den er geraten war. Der eigene Wille war eine entscheidende Sprosse auf der Leiter, die er mühsam nach oben stieg. Dann zeichnet sich ab, dass er es schaffen konnte. Die große Frage war aber: Würde er auch widerstandsfähig bleiben, wenn er die Anstalt hinter sich ließ?

Dafür interessierte sich nicht nur der alternde Vater des Mannes, der von der Sucht losgekommen war, sondern auch die PSA. Und zwar aus einem besonderen Grund. Es hing mit dem zusammen, was Jasiro Takato damals von sich gab, als man ihn verdreckt und erschöpft in der Gosse fand. Er war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich immer noch im Rausch, denn er sprach von merkwürdigen Bildern in seinem Kopf und Gestalten, die er so genau beschreiben konnte, als stünden sie leibhaftig vor ihm. Aus den Träumen, die er sich bisher stets mit harter Münze erkauft hatte, waren Alpträume geworden.

Als er aufwachte, begann er sofort zu schreien.

Er wurde befragt, was los sei, und er berichtete von einer wilden Party in einem Sommerhaus, dreißig Meilen südlich Tokios. Dort hatte sich eine Gruppe junger Leute getroffen, deren Namen er jedoch nicht preisgab. In jener Nacht hätte er sie alle mit seltsamen Köpfen gesehen, Drachenköpfen. Kahl und knöchern, ohne Haut, ohne Farbe ...

Da hatten seine Schreianfälle schon begonnen. Panikerfüllt sei er davongerannt. Obwohl mit Rauschgift vollgepumpt, sei ihm noch bewusst geworden, dass es nicht gut sei, in dem Sommerhaus zu bleiben.

In jener Nacht hatte er in einer Wasserpfütze sein eigenes Antlitz gesehen. Er sah genauso aus wie die anderen und trug einen Drachenschädel auf den Schultern! Er durchlebte einen Horror-Trip, den er so schnell nicht mehr vergaß. Und dieses Erlebnis brachte ihn dazu, sich für eine Entziehungskur zu entscheiden. Durch das Polizeiprotokoll erfuhr auch die PSA, die Psychoanalytische Spezial-Abteilung, von diesem Vorkommnis. X-RAY-1, der geheimnisvolle Leiter der Institution, wollte mehr darüber wissen. In der Großcomputer-Anlage der PSA waren alle bekannten Spuk-Phänomene registriert, die irgendwann mal aufgetreten waren. Bei der Arbeit der Spezialagenten, die außergewöhnlichen Vorfällen überall in der Welt nachgingen, hatte sich herausgestellt, dass Ereignisse in der Vergangenheit oft noch mal wiederkommen konnten, wenn sie seinerzeit nicht völlig aufgeklärt wurden. Typische Fälle waren die Spuk- und Phantomerscheinungen in alten Schlössern und Gespensterhäusern. Durch die Erfahrungen, die man zwischenzeitlich gemacht hatte und auch durch die Forschungen auf diesem Gebiet, wusste man heute einige Dinge, die früher nicht bekannt waren.

Als Jasiro Takatos Erlebnis der PSA bekannt und den Computern zur Archivnahme eingegeben wurde, gab's Alarm. Die Gestalten, die der Rauschgiftsüchtige während seines Horror-Trips gesehen hatte, und denen er selbst ähnlich gewesen zu sein meinte, waren als Spuk-Phänomen in chinesische Legenden eingegangen. Man nannte sie nur die Drachenmänner ... Wie wilde Piraten hatten sie gehaust und den Seeweg längs der Küste des chinesischen Festlandes unsicher gemacht. Das alles lag schon über hundertfünfzig Jahre zurück. Gab es zwischen Vorgängen in der Vergangenheit und dem, was Jasiro Takato glaubte, gesehen und erlebt zu haben, einen Zusammenhang?

Die PSA nahm sich unkonventionell und schnell undurchsichtiger und verdächtiger Dinge an, bei denen zu befürchten war, dass sie rasch zu einer Gefahr werden konnten. Keiko Yamada alias X-GIRL-I wurde informiert. Sie sollte als Sozialhelferin auftreten, sich um Jasiro Takato nach dessen Entlassung kümmern, sich mit ihm anfreunden und versuchen, mehr über jene düsteren Tage herauszufinden, in denen der junge Japaner seinen Horror-Trip erlebte. Vielleicht war es möglich, Namen zu erfahren. X-RAY-1 glaubte, dass mehr hinter dem Erlebnis steckte, als allgemein aufgrund der Vorfälle angenommen werden konnte. Um Besonderheiten kümmerte sich stets die PSA, wenn es einen begründeten Verdacht gab. War es wirklich nur ein Horror-Trip gewesen, den Takato durchmachte, oder steckte mehr dahinter?

Nicht jeder Mensch war gleich, und er blieb vor allem auch nicht immer derselbe. Jeder machte Entwicklungsstufen durch. Körperlich und geistig. Es konnte sein, dass Takato ohne es zu ahnen, so etwas wie eine Hellsichtigkeit erlebt hatte. Es konnte aber auch sein, dass sich ein grausamer Spuk neu bemerkbar machte und Menschen, deren Bewusstsein, durch die Einnahme von Rauschgift zum Beispiel, zeitweise aufgehoben war, bedrohte. Es konnten auch noch ganz andere unbekannte Faktoren dahinterstecken die keiner von ihnen derzeit erkannte, weil zu wenig Informationen darüber vorlagen. Und diese Informationen wollte Keiko Yamada beschaffen. Ihre Aufgabe bestand darin, sich mit Takato anzufreunden und sein Vertrauen zu gewinnen. Keiko war hübsch und im richtigen Alter. Seit Wochen schrieb sie dem Mann, dessen Entlassung für den heutigen Tag vorgesehen war. Gern hätte sie schon vorher eine persönliche Begegnung mit ihm gehabt, doch Jasiro Takato hatte dies abgelehnt.

Der Pfleger erreichte die Tür am hinteren Ende des Korridors. Der Gang führte nach rechts weiter. Hier hinten war Jasiro Takatos Unterkunft. Der Pfleger klopfte an, und ein leises Herein erklang hinter der Tür. Der Mann im weißen Kittel deutete seiner hübschen Begleiterin an, als erste hineinzugehen. Das tat Keiko.

Das Zimmer war einfach aber freundlich eingerichtet. Der Eingangstür gegenüber lag ein Fenster mit Blick zum Garten. Am Fenster stand ein Mann, schmal, mit einer hohen Stirn und klugen Augen. Er war westlich gekleidet, trug einen dunklen Anzug und ein weißes Sporthemd mit offenem Kragen. »Hallo!«, sagte Keiko lächelnd und ging ihm entgegen. Vorzustellen brauchte sie sich nicht. Sie kannten sich beide von Bildern her. »Ich bin gekommen, Sie abzuholen ...«

Sie verbeugte sich grüßend nach japanischer Sitte vor ihm. Er erwiderte diese Verbeugung. Jasiro Takatos Koffer standen gepackt vor dem Schrank. Die letzte ärztliche Untersuchung war abgeschlossen und zu seinen Gunsten verlaufen.

Er war weg vom Rauschgift. Nun kam es darauf an, wie es draußen weiterging.

Er deutete in die Runde. »Ich hoffe, Sie finden es nicht merkwürdig, dass ich Sie gebeten habe, mich hier zu treffen, Keiko. Ich wollte, dass Sie sehen, wo und wie ich in den vergangenen Monaten gelebt habe. Das war meine Heimat ...« Er blickte sich in der Runde um, blickte dann noch mal lange aus dem Fenster in den großen Garten, wo andere Anstaltsinsassen spazieren gingen oder auf Bänken herumhockten und abwesend in die Gegend stierten. Jasiro war freundlich und charmant, wirkte frei und gelöst, und sie waren sich beide auf Anhieb sympathisch.

»Schade, dass Sie nur einen bezahlten Job haben und mich deshalb aus diesem Grund begleiten ...«, sagte er, als sie durch den Korridor nach draußen gingen, wo Keikos Mitsubishi stand, ein blau-silbernes Fahrzeug, blitzsauber gepflegt, so dass man ihm die Jahre und die gefahrenen Kilometer, schon achtzigtausend, nicht ansah.

»Wer sagt, dass ich Sie nur deshalb begleite?«

»Sie sind eine Mitarbeiterin der Sozialen Hilfe-Vereinigung für Suchtkranke. Sie hätten jeden anderen auch abgeholt, und damit hat es sich für Sie ...«

»Ganz so einfach ist es diesmal nicht, Jasiro. Ich habe Sie durch Briefe aus der Anstalt kennengelernt. Ich mochte von Anfang an Ihre Art, wie Sie schreiben. Sie war mir sympathisch. Und sie selbst sind es mir auch.«

»Wirklich?«

»Ja.«

Da strahlte er. Glücklich sah er sich um, nachdem sie das Hauptportal passiert hatten. »Ich kann es noch gar nicht fassen«, murmelte er glücklich, während sein Blick ein letztes Mal zu dem großen alten Gebäude zurückging. »Ich kann das Gelände verlassen und keiner hindert mich daran. Ich bin frei und fühle mich auch so. Es ist ... als könnte ich Bäume ausreißen.«

»Tun Sie's nicht, Jasiro. Es gibt in Tokio sowieso zu wenige davon.«

Da lachten sie beide. Sie sprachen miteinander, als würden sie sich schon ewig kennen. Der Tonfall war natürlich.

»Ich werde es schaffen«, murmelte Takato, als der Mitsubishi den Hauptweg zur Straße rollte. »Nie wieder hierher zurück ... nie wieder von dem Stoff nehmen.«

»Ja, Sie werden es schaffen.«

»Wenn Sie mir helfen, Keiko, dann bestimmt.«

»Ich werde tun, was in meiner Macht steht.«

Wenige Minuten später rollte Keikos Auto auf die Hauptverkehrsstraße. Jasiro Takato saß neben der charmanten jungen Frau und unterhielt sich angeregt mit ihr. Er wusste tausend Dinge zu erzählen. Mit keinem Wort aber sprach er von den Ereignissen jener Nacht, die ihm so zugesetzt hatten. Keiko verstand das und fragte auch nicht danach. Die Zukunft hatte Vorrang. Nun kam es darauf an, ob Jasiro die Freiheit verkraftete und mit ihr zurechtkam. Mitten im Sprechen stockte er plötzlich. Keiko, die auf den Verkehr achtete, wandte unwillkürlich den Kopf.

»Ist etwas nicht in Ordnung?«

Sie sah, dass er einen Moment erschrocken war, und in dem Augenblick, als sie ihn beobachtete, den Blick vom Rückspiegel nahm. Keiko Yamada folgte blitzschnell dem Blick. Hinter ihnen fuhr ein schwarzes Fahrzeug, ein Leichenwagen. Hielt Jasiro das für ein schlechtes Omen, war er abergläubisch?

»Nein, es ist alles in Ordnung«, flüsterte der aus der Anstalt Entlassene. »Nur einen Moment war ich doch erschrocken ... Wegen dem Auto«, fügte er zögernd hinzu. Aber das glaubte Keiko ihm nicht mehr. Sie war eine gute Menschenkennerin. Er log. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie ihn weiter. Wieder richtete Takato verstohlen seinen Blick auf den Innenspiegel und beobachtete das Auto, das hinter ihnen herfuhr. Am Steuer saß ein Mann. Das sah jedenfalls Keiko Yamada ganz deutlich. Jasiro Takato aber sah etwas anderes. Er merkte, wie seine Hände leicht zu zittern begannen, und sich Schweiß auf seiner Stirn bildete. Die Vergangenheit, jene Nacht des Grauens, die er durchlebt hatte, holte ihn ein! Der Mann am Steuer grinste höhnisch, und sein Gesicht veränderte sich auf widerliche Art. Er hatte gar keinen Menschen-, sondern einen fleischlosen Drachenkopf auf den Schultern!

Ihnen folgte ein Gespenst im Leichenwagen.

In Hongkong war es elf Uhr morgens. Ein Patrouillenboot der Polizei wurde auf die weiße Yacht aufmerksam, die herrenlos im Wasser trieb. »Sehen wir uns das Boot mal aus der Nähe an«, meinte der Offizier.

Fünf Minuten später legten sie von Luv her an. Auf der Yacht rührte sich nichts. Über Megaphon rief der Offizier hinüber. »Reagiert keiner ...«

Da entschlossen sich die Polizisten in ihren khakifarbenen Uniformen, auf die Yacht überzusetzen und nach dem Rechten zu sehen. In dem Moment als sie die Reling erreichten, erblickten sie die grauenvollen Bilder. »Verdammt«, entfuhr es dem Offizier. Auf den Planken lagen zwei Menschen. Ein Mann und eine Frau. Die Blutlachen rings um sie waren schon eingetrocknet. Die beiden Beamten nahmen die reglosen Menschen sofort in Augenschein. Da war nichts mehr zu machen. Sie waren beide tot. Über Funk wurde die Küstenstation von dem Fund unterrichtet. Dann nahm die Arbeit ihren Lauf.

Mit einem Hubschrauber kamen zwei Beamte der Mordkommission auf das Schiff und begannen mit ihren Untersuchungen. Der Chinese war schnell identifiziert. Es handelte sich um den stadtbekannten Mister Wang. Wer seine europäische Begleiterin gewesen war, fand man erst später heraus.

Das Auffinden der beiden Leichen gab zu vielen Fragen Anlass. Waren außer dem Seidenhändler und seiner Begleiterin noch andere Menschen an Bord der Yacht gewesen? Hatte es Streit gegeben, in dessen Verlauf die Morde geschahen? Oder waren Piraten dafür verantwortlich zu machen?

Der Inspektor der Mordkommission neigte zu letzterem. Die Kabinen der Yacht sahen aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Sämtliche Einbauschränke und Schubladen standen weit offen, alle Utensilien waren herausgerissen und lagen im Boot verstreut. Die Polster von Sesseln, Couch und die Matratzen der Betten waren aufgeschlitzt. Offenbar mit den gleichen Waffen, mit denen man die Frau und den Mann vorher umgebracht hatte. Die Tatwaffen waren auf keinen Fall klein gewesen. »Es scheint sich, den Verletzungen nach zu urteilen, um Schwerter gehandelt zu haben«, bemerkte der kleine Mann mit dem schütteren, leicht angegrauten Haar halblaut. Es war eine Angewohnheit von ihm, laut zu denken. »Vielleicht liegt auch ein persönlicher Racheakt vor. Leute, ich glaube, wir kriegen hier 'ne Menge Ärger und Arbeit an den Hals. Wenn das die Tat von Piraten war, frage ich mich, was sie hier gesucht haben. Es ist kaum anzunehmen, dass Mister Wang außergewöhnliche Wertsachen an Bord hatte ... Er weiß wie alle, die in diesen Gewässern verkehren, dass moderne Piraterie an der Tagesordnung ist.«

Piraterie in diesen Gewässern zeigte zunehmende Tendenz. Die Verbrecher fuhren nach Einbruch der Dunkelheit aus. Ihr Hauptinteresse galt Handelsschiffen mit technischer Ladung. Noch in den Häfen selbst nahmen sie sich solche Objekte vor, kletterten in den meisten Fällen an den Ankerketten hoch und ohne besondere Mühe durch die Ankerklüsen dann ins Innere des betreffenden Schiffes. Die ahnungslose Besatzung wurde gefesselt und geknebelt. Dann begannen die Gauner in aller Ruhe damit, das Schiff zu entladen. Auch wenn die Polizei einen Hinweis erhielt, war es in den meisten Fällen leider nicht möglich, die Piraten zu fassen. Ihre Dschunken waren getarnt und durch starke Dieselmotoren unter dem Rumpf unglaublich schnell. Sie verschwanden in der Nacht auf das offene Meer, und die ergaunerten Waren tauchten irgendwo in Ländern der Dritten Welt zu Spottpreisen wieder auf. Kapitäne vieler Handelsschiffe aus dem Ausland hatten von ihren Reedereien die Anweisung, nachts weit außerhalb eines Hafens zu ankern, das Schiff ringsum zu beleuchten und Doppelwachen an Deck patrouillieren zu lassen. Sobald sich eine verdächtige Dschunke näherte, wurde die Besatzung alarmiert und stand über Funk auch schon mit der nächsten Küstenstation in Verbindung. Wo Licht und Aufmerksamkeit herrschten, machten die Piraten grundsätzlich einen Rückzieher. Sie brauchten die Dunkelheit und Zeit, um ihre Verbrechen durchzuführen.

Viele Dingen gingen dem kleinen Inspektor durch den Kopf. In Hongkong passierten täglich genug Verbrechen, aber ein derart Scheußliches, dass zwei ahnungslose Menschen einfach hingeschlachtet wurden, war ihm schon lange nicht mehr untergekommen. Die Yacht wurde von einem Polizisten in den Hafen gesteuert, die beiden Leichen in Zinksärgen aufs Festland zur weiteren Untersuchung gebracht. Die übliche Routinearbeit begann.

Die Identität der Toten wurde gegen vierzehn Uhr bekannt. Es handelte sich um eine gewisse Madleen Cordes, die geschäftlich in Hongkong weilte. Eine Kollegin hatte eine Vermisstenanzeige aufgegeben, nachdem sie am Morgen in ihrem Hotel nicht zum Frühstück erschienen war.

Die gerichtsmedizinische Untersuchung wurde schnellstens durchgeführt, um die Leiche zur Überführung freizugeben. Der Tod war eindeutig durch die schweren Bauchverletzungen eingetreten. Aber an Madleen Cordes Körper gab es noch eine weit schwerwiegendere Verletzung, oberhalb ihrer rechten Schulter. Dort existierte eine tiefe Fleischwunde, die nicht von einem Dolch, einem Schwert und auch nicht mit einem stumpfen Gegenstand verursacht worden sein konnte. Jemand äußerte den Verdacht, dass diese Verwundung möglicherweise auf krallenartige Pranken oder einen Biss zurückzuführen wäre. Von den Toten und ihren Verletzungen wurden zahlreiche Fotos geschossen, die der Polizei bei ihren Ermittlungen weiterhelfen sollten. Am frühen Nachmittag schon wurde die tote Engländerin freigegeben. Ein Bestattungsinstitut erhielt den Auftrag, die Leiche einzusargen und für den Rückflug nach London vorzubereiten.

Madleen Cordes sterbliche Hülle wurde von der Firma abgeholt und in einem kühlen Kellerraum bis zum weiteren Abtransport aufbewahrt. Und darauf schien jemand gewartet zu haben. Der Inhaber des Bestattungsunternehmens erhielt genau zwanzig Minuten nach Einlieferung der ermordeten Frau einen Anruf.

»Du hast einen Gast in deinen kühlen Kellerräumen, Cheng, für den wir uns interessieren würden.« Chengs Pokergesicht blieb bewegungslos wie eine Maske, und er schürzte kaum die Lippen, als er sprach. »Dann haltet euch ran«, sagte er nur, »wenn ihr die Engländerin meint.«

»Genau die meinen wir.«

»In spätestens zwei Stunden wird der Sarg zum Flughafen transportiert. Ihr habt verdammt wenig Zeit.«

»Wenn's um große Geschäfte geht, kann man die Knochen auch mal schneller bewegen, nicht wahr?«, antwortete die dumpfe Stimme am anderen Ende der Strippe. »Es geht diesmal um eine Million, und das ist nur eine Teillieferung. Unser Kontaktmann in London weiß schon Bescheid ... Der Stoff in der Leiche dürfte ein sicherer Aufbewahrungsort sein.«

»Beeil dich.« Der Bestattungsunternehmer legte auf, machte sich einige Notizen in einem schmalen, schwarzen Kalender, der auf seinem Schreibtisch lag, und schien das Telefonat schon längst wieder vergessen zu haben. Er wusste Bescheid und kümmerte sich um nichts. Dafür, dass er nichts tat, kassierte er hin und wieder ein paar Dollars.

Er hörte den Wagen auf den Hof fahren und hob nicht mal den Kopf. Der Mann, der kam, interessierte ihn nicht. Der wusste von selbst Bescheid.

Der Ankömmling war von kräftiger Statur, trug Blue Jeans und ein beiges, vorn aufgeknöpftes Hemd, das seine behaarte Brust sehen ließ. Der Mann war noch jung, kaum zwanzig. Er war nicht identisch mit dem Sprecher, der vor wenigen Minuten angerufen und das Unternehmen angekündigt hatte. Der Ankömmling durchquerte den Hof und ging durch eine Hintertür, die nicht verschlossen war. Schmale Steinstufen führten in einen schummrigen Korridor, dessen Wände grob gemauert und feucht waren. Der Kellerraum war groß. Alte Bahren und Särge standen darin. Bei einigen waren die Deckel nicht geschlossen, und so war zu sehen, dass die Behälter leer waren. Der Zinksarg mit Madleen Cordes stand hinten an der Wand. Durch winzige, verstaubte Kellerfenster sickerte nur schwach das Tageslicht und schuf eine zwielichtige Atmosphäre, in der das Kühle und Gespenstische der Räume noch unterstrichen wurde. Der Mann steuerte direkt auf den Zinksarg zu und schlug den Deckel zurück. In dem Raum war es so kühl, dass der Atem des stummen Gastes zu sehen war.

Im Sarg lag bleich und ausgeblutet die Leiche Madleen Cordes. Sie trug ein einfaches Totengewand. In einem grauen Jutesack am Fußende des Sarges lagen die Kleider, die die Tote bei der Ermordung getragen hatte und die ebenfalls nach London zurückgeschickt werden sollten. In einer braunen, knittrig aussehenden Aktentasche, die der Besucher dieses ungastlichen Ortes mitgebracht hatte, befanden sich ein Messer und mehrere kleine Plastikbeutel, das Messer war in ein rotes Tuch eingeschlagen, in den Beuteln befand sich ein weißes Pulver. Heroin ...

Der Chinese, der mit Billigung des Bestattungsunternehmers hier weilte, brachte seine Arbeit schnell zu Ende. Er öffnete noch mal die klaffende Wunde und verbarg in der Leiche die mitgebrachten Beutel. Dann richtete er alles wieder so her, wie er es angetroffen hatte und verließ schon nach wenigen Minuten die Kellerräume mit den Särgen und Leichen.