Larry Brent Classic 048: Die Todesbucht - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 048: Die Todesbucht E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Der Monstermann Als Frank und Eileen Weston nach Hause kommen werden sie von einer grauenhaften Gestalt überfallen. Einem in Leder gekleideten Mann mit dem Schädel einer Kobra. Während Frank scheinbar getötet wird, flieht Eileen zu ihren Nachbarn. Die sind aber spurlos verschwunden. Nur eine geheimnisvolle Truhe befindet sich im Keller, in der der Monster-Mann auf Eileen gewartet hat. Die junge Frau verliert das Bewusstsein. Als die Polizei Eileen findet, nimmt sie die Frau unter dem Verdacht des dreifachen Mordes fest. Die Todesbucht von Cala Mordio Es geschah in einer Tiefe von zweiundachtzig Metern. Sie waren zu zweit getaucht. Stan Oldredge, der bekannte englische Geologe, und ein spanischer Sporttaucher namens Juan Valmarez, mit dem der Engländer befreundet war. Es war der dritte Tauchversuch in zwei Tagen. Stan Oldredge hatte es eilig, und es war ihm egal, daß es bereits Nacht war. Hier unten auf dem Meeresboden, rund zehn Kilometer vor der Ostküste Mallorcas, merkte man sowieso nicht ob die Sonne schien oder nicht. Oldredge wollte keine Zeit verlieren. Er hatte eine sensationelle Entdeckung gemacht. Doch Sensationen kamen nur zustande, wenn man das, was sie auslösen sollte, auch vorweisen konnte.

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 48

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-848-8

Dan Shockers Larry Brent Band 48

DIE TODESBUCHT

Mystery-Thriller

Der Monstermann

von

Dan Shocker

Prolog

Als sie nach Hause kamen, war es zwei Uhr morgens. Frank und Eileen Weston befanden sich in aufgeräumter Stimmung. Das junge Paar, seit sechs Monaten verheiratet, hatte sich bei Freunden aufgehalten. Frank Weston war mittelgroß und kräftig, der Sohn eines Farmers hatte Hände wie Baggerschaufeln.

Er lehnte an der Hauswand, während seine Frau die Tür aufschloss. Frank atmete tief durch.

»Hast du's bald?«, fragte er mit schwerer Zunge.

»Ich kann das Schlüsselloch nicht finden«, erwiderte Eileen. Sie war einen Kopf kleiner als ihr Mann, trug das dunkle Haar halblang und wirkte burschikos. »Das ist doch nicht möglich! Heute Abend, als wir das Haus verließen, war es noch da ...«

Frank Weston hob die Augenbrauen und drehte sich halb um. Das helle Licht vor dem Eingang des kleinen Hauses leuchtete Tür und Platz davor gut aus. Eileen Weston wankte. Sie hatte zu viel getrunken, und es fiel ihr schwer, den Schlüssel ins Loch zu stecken. Nach mehreren Versuchen gelang es ihr endlich. »Heh?!«, sagte sie da verwundert.

»Was ist denn jetzt schon wieder?«

»Da ist ja gar nicht abgeschlossen, Frank ...« Die Frau richtete sich auf und drückte die Tür langsam nach innen.

»Unsinn! Ich habe selbst abgeschlossen, Eileen.«

»Die Tür ... ist nur ins Schloss gefallen, Frank.« Eileen Westons Stimme klang sicherer. »Ich habe den Schlüssel zweimal umgedreht«, erwiderte der Mann unwillig. Eileen Weston stieß die Tür vollends auf, zögerte aber hineinzugehen. »Was ist denn? Warum gehst du denn nicht ins Haus und ...«

»Psst«, zischte sie und legte den rechten Zeigefinger an die Lippen. Eileen Weston hielt den Kopf schief und lauschte. »Ich habe ein Geräusch gehört«, wisperte sie kaum hörbar.

»Das wird die alte Standuhr sein, die wir von deiner Tante zur Hochzeit geschenkt bekamen. Die schlägt und tickt nicht nur laut, in ihr knirscht es auch, wenn sie steht. Da ist der Holzwurm drin.«

»Das ist kein Holzwurm ... ich habe Schritte gehört.«

»Holzwürmer in Stiefeln, was?«, fragte der Angetrunkene überrascht, hob erstaunt die Augenbrauen und grinste breit.

»Mir ist nicht zum Scherzen zumute.« Die Stimme der dunkelhaarigen Frau klang sehr selbstsicher und fest. »Da ist ein Einbrecher im Haus ...« Frank Weston winkte ab. »Hier gibt's keine Einbrecher. Außerdem ist bei uns nicht viel zu holen. Lass mich mal vor.«

Er schob sich an seiner Frau vorbei ins Halbdunkel der Diele, die nur durch das Streulicht der Außenbeleuchtung aufgehellt wurde. Der Mann übertrat die Schwelle und tastete nach dem Lichtschalter. Die Deckenlampe in der Diele flammte auf. »Hallo?«, rief Frank Weston. »Ist hier jemand?« Er durchquerte den Raum, der teakholzfarben eingerichtet war, und näherte sich der Wohnzimmertür. Seine Frau folgte ihm auf dem Fuß. »Hier ist kein Mensch.« Frank Weston zuckte die Achseln. »Die Tür ist in Ordnung, die Fenster sind es auch.«

»Aber die Haustür war nicht abgeschlossen!« Eileen blieb hartnäckig. Frank Westons Hand lag auf der Klinke der Tür, die ins Wohnzimmer führte. Er drückte sie herab.

Da wurde ihm die Tür von innen aus der Hand gerissen. Weston wurde von der urplötzlichen Aktion so überrascht, dass er nach vorn taumelte. In seinem alkoholumnebelten Gehirn registrierte er den Sturz, den er instinktiv noch auffangen wollte. Er ließ deshalb die Klinke nicht los, sondern umklammerte sie fester und lief seinem Mörder genau in die Arme. Im Dunkeln vor ihm ragte eine Gestalt empor. Groß, schwarzgekleidet. Sie schien Lederkleidung zu tragen. Es ging alles blitzschnell. Frank Weston sah die Gefahr nicht mehr auf sich zukommen, spürte nur noch einen harten Schlag gegen die Brust und brach röchelnd in die Knie.

Eileen Weston, durch reichlichen Alkoholgenuss ebenfalls in ihrer Reaktionsfähigkeit gehemmt, glaubte im ersten Moment selbst nicht an das, was sie sah. Die schattenhafte Gestalt sprang auf sie zu. Die Frau registrierte ein breites Gesicht mit weit auseinander stehenden Augen und einem seltsamen Mund. Etwas zuckte auf sie zu. Eileen Weston wusste nicht, was es war. Es erinnerte sie an eine Zunge und gleichzeitig an die Spitze eines Speeres.

Die Frau warf sich herum und duckte sich gleichzeitig. Eileen Weston spürte noch den zischenden Luftzug an ihrem Kopf. Sie schrie und lief wie von Furien gehetzt davon. Eileen Weston war von einem Moment zum anderen stocknüchtern. Jemand war in ihr Haus eingedrungen, hatte Frank überfallen, womöglich getötet, und war nun auch hinter ihr her. Die junge Frau rief um Hilfe und lief in die Nacht hinaus. Das Nachbarhaus lag mehr als zweihundert Schritte entfernt. Die Siedlung Little Bridge entstand am Fuß einer Gebirgskette und war erst vor zwei Jahren zum Bauen erschlossen worden. Es gab deshalb nur wenige Häuser in Little Bridge, die meisten davon befanden sich noch im Rohbau und waren nicht bewohnt.

Eileen Weston klebte das Kleid am schweißnassen Körper. Die junge Amerikanerin wagte nicht, den Kopf zu drehen und einen Blick zurückzuwerfen. Sie wusste: Der Unheimliche ist hinter mir her. Er will etwas von mir! Keuchend und am ganzen Körper zitternd wie Espenlaub, überquerte sie die noch nicht ausgebaute Straße und gelangte auf holpriges, steiniges Gelände. Noch ein paar Schritte ... dann war sie am Haus der Hamiltons. Hinter sämtlichen Fenstern brannte kein Licht. Kaum verwunderlich um diese Stunde. Eileen Weston warf sich der Tür entgegen und presste ihre Hand auf den Klingelknopf.

Durch die nächtliche Stille im Haus tönte schrill das nicht enden wollende Geräusch der Klingel.

»Aufmachen! Schnell ... Mister Hamilton. Überfall ... helfen Sie mir!«

Mit beiden Fäusten trommelte die Verängstigte gegen die massive Holztür und blickte sich mit weit aufgerissenen, fiebrig glänzenden Augen um. Das Haus der Hamiltons lag auf einer kleinen Anhöhe, so dass man von hier aus auf die tieferliegende Straße und die anderen Häuser sah. Eileen Weston atmete schwer, drückte sich mit dem Rücken gegen die Tür und beobachtete mit unruhigen Augen die Wege und Bauplätze vor ihr. Keine Spur von dem Verfolger! Die junge Amerikanerin spürte ihr Herz bis zum Hals klopfen und schlug weiterhin kräftig gegen die Tür.

»Bitte!«, wisperte Eileen totenbleich. »So macht doch auf ... lasst mich herein! Wir müssen den Sheriff verständigen!«

Wo war der Verfolger?

Sie spürte, dass er noch in der Nähe weilte, und fühlte sich beobachtet. Aber weit und breit war kein Mensch zu sehen, und im Haus hinter ihr regte sich ebenfalls nichts. Die Hamiltons schliefen wie die Murmeltiere. Eileen Weston schlich an der Wand entlang. Die Schlafzimmer lagen nach hinten. Vielleicht konnte sie die Besitzer wecken, wenn sie dort gegen die Fenster trommelte. Eileen Weston lauschte auf jedes Geräusch. Aber ringsum blieb es still.

Hatte der Fremde, dem Frank in die Hände gefallen war, sich gar nicht an ihre Fersen geheftet und war im Haus zurückgeblieben? Der Kerl musste Nerven wie Drahtseile haben, und Eileen Weston wusste nicht mehr, was sie von allem halten sollte. Sie gelangte auf die Rückseite des Hauses. Hier hinten, nicht weit von baum- und buschbewachsenen Berghängen entfernt, war es stockfinster. Hier hatten die Hamiltons ihren großen Garten angelegt. Alte Bäume und Büsche hatten sie bei der Bearbeitung des Anwesens von vornherein stehen lassen, so dass ein Teil des Gartens wie ein alter Naturpark wirkte. Bevor Eileen um die Hausecke ging, spähte sie vorsichtig in die Dunkelheit.

Sie fürchtete, dass dort eventuell der Fremde stehen und sie ihm auf die gleiche Weise in die Hände laufen würde. Aber dann verwarf sie diesen Gedanken ebenso schnell wieder, wie er ihr gekommen war. Es konnte nicht sein, dass der Fremde an ihr vorbeigelaufen war und sich auf der Rückseite des Hamilton-Hauses versteckt hatte. Wieder merkte sie, wie unlogisch ihre Gedanken waren. Wenn der Unbekannte es auf sie abgesehen hatte, wenn er verhindern wollte, dass sie preisgab, wovon sie Zeuge geworden war, hätte er sie direkt angefallen. Eileen Weston verstand überhaupt nichts mehr ...

Mit dem Rücken zur Wand näherte sie sich den beiden großen Fenstern des Schlafzimmers. Ein Flügel war gekippt. Läden gab es hier nicht. Ein dünner Vorhang war nur von innen vorgezogen, der sich leise raschelnd im Nachtwind bewegte. Die Hamiltons hatten nicht mal eine Übergardine, um sich vor fremden Blicken zu schützen.

Hier, nahe dem Berghang und umgeben von Bäumen und Büschen, gab es wohl niemand, dessen Blicke sie abwehren mussten. Eileen Weston sah sich aufgeregt um und klopfte ans Fenster.

»Mister Hamilton! Nicht erschrecken ... ich bin's, Eileen Weston.« Sie klopfte stärker. »Das gibt es doch nicht!«, entfuhr es ihr schließlich. »Hier kann einer durch die Wand brechen, und die Hamiltons werden auch davon nicht wach.«

Sie beugte sich vor und spähte durch die Scheiben. Die Betten standen weit zurück, so dass in der Dunkelheit nicht zu erkennen war, ob überhaupt jemand darin lag. Eileen Weston ließ sich von ihrer Furcht leiten. Sie hatte einfach Angst davor, in ihr Haus zurückzulaufen und dem unheimlichen Fremden erneut zu begegnen. Deshalb handelte sie ganz mechanisch, griff durch den breiten Spalt zwischen Fensterflügel und Wand und konnte ohne besondere Schwierigkeiten den Kipphebel ergreifen und zur Seite schwenken. Das Fenster ließ sich auf diese Weise mühelos öffnen. Lautlos schwang er zur rechten Seite. Eileen Weston kletterte über die niedere Brüstung und befand sich im nächsten Moment im Schlafzimmer der Hamiltons. Die Betten – waren leer!

Eileen Weston zuckte unwillkürlich zusammen, ihre Angst wuchs. Die junge Frau hielt den Atem an und lauschte. Alles war still. Aber gerade die Stille stachelte ihre Furcht noch mehr an. Sie wurde das Gefühl nicht los, unablässig beobachtet zu werden, und die seltsamsten Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Waren auch die Hamiltons überfallen worden? War der Unheimliche zuvor in diesem Haus gewesen, ehe er zu ihnen kam? Die Betten waren jedenfalls benutzt.

»Mister Hamilton? Mrs. Hamilton?«, fragte Eileen Weston zögernd in die Dunkelheit, ihren ganzen Mut aufbringend. Sie erhielt jedoch keine Antwort. Unwillkürlich wanderte ihr Blick über die Wände und zur Tür, die nach innen ins Haus führte. Unter der Türritze nahm die Frau schwachen Lichtschein wahr. Er war so dünn, dass sie im ersten Moment meinte, sich zu täuschen. Aber dann blickte sie starr auf die Stelle und registrierte das schwache Licht ...

Es war also doch jemand im Haus! Es war Samstagnacht. Vielleicht saßen die Hamiltons noch im Livingroom. Zwar war das normale Fernsehprogramm schon zu Ende, aber sie konnten sich schließlich noch einen Videofilm ansehen. Dass die Betten benutzt waren, konnte damit zusammenhängen, dass das Paar einen Mittagsschlaf gehalten hatte und Mrs. Hamilton danach die Betten nicht mehr machte. Hoffnung erfüllte Eileen Weston wieder.

Vielleicht war das Gerät so laut eingestellt, dass sie Klopfen, Klingeln und Rufen nicht hörten. Eileen Weston öffnete die Livingroomtür und musste ihre Überlegungen sofort wieder ändern. Wenn der Fernsehapparat laut eingeschaltet war, hätte sie spätestens jetzt etwas hören müssen. Aber kein Geräusch war zu vernehmen. Nun sah Eileen Weston auch, dass hier in den Räumen kein Licht brannte. Der Schein kam von unten. Die Tür zum Keller stand spaltbreit offen, und schwacher Lichtschein sickerte in den schmalen Korridor. Was machten die Hamiltons nach Mitternacht noch im Keller ihres Hauses? Eileen Weston wusste überhaupt nicht mehr, was sie denken sollte.

Auf Zehenspitzen näherte sie sich der Tür und lauschte. Alles war still. Die junge Frau wollte schon umkehren. Angst und Neugier erfüllten sie gleichermaßen und hielten sich zuerst noch die Waage. Dann siegte die Neugier. Die von Zweifeln und Ratlosigkeit erfüllte Frau verbreiterte den Spalt und ging über die schmalen Steinstufen nach unten. Sie bemühte sich, dabei kein Geräusch zu verursachen. Während sie abwärts schritt, warf sie gleichzeitig einen schnellen Blick zurück. Absichtlich hatte sie die Tür oben weit offen stehen lassen, dass sie sofort fliehen konnte, wenn die Situation es erforderte.

Eileen war überrascht über ihre Einstellung und Denkweise. Ob es vielleicht der Alkohol war, der sie Dinge sehen und hören ließ, die überhaupt nicht sein konnten? Vielleicht bildete sie sich das alles nur ein ...

Die ganze Situation war so verworren, dass sie immer mehr zu der Einsicht kam, dies alles nicht zu erleben. An der Kellerdecke hing eine nackte Birne. Die Wände waren frisch verputzt, aber noch nicht gestrichen. In einer Nische stand eine verschmutzte Speiswanne, an deren Rand eine Maurerkelle hing. In der Wanne stand handbreit eine graue Brühe. Der Boden war mit Kalkspritzern übersät.

Der Keller bestand aus mehreren Räumen. Überall lagerten Baumaterialien, alte Möbel, Kisten und Kästen, die beim Umzug vorerst hierher geschafft und noch nicht geöffnet worden waren. Eileen kannte das. Auch bei ihnen hatte es so ausgesehen, und der Keller war auch heute noch nicht so, wie sie ihn gern hätte. Die Frau sah sich um. Im Dunkeln ganz hinten stand eine alte, wurmstichige Truhe, wie sie früher zum Aufbewahren der Wäsche benutzt wurde. Eileen Weston handelte wie unter Zwang. Das schwere Bronzeschloss war nur eingeklinkt und nicht verschlossen. Ein Bügel fehlte. Die Frau wusste selbst nicht, weshalb sie ausgerechnet auf die Idee kam, den Deckel zu heben und einen Blick in das Innere der Truhe zu werfen.

Eileen Westons Augen weiteten sich. Wie der Teufel aus der Kiste sprang sie etwas an. Es war dunkel, kalt und glitschig. Die junge Frau wollte noch schreien, aber wie ein derbes Tuch legte sich etwas auf ihren Mund. Eileen ging in die Knie, riss die Arme nach vorn und wollte den unheimlichen Angreifer abwehren. Wie durch Nebel nahm sie die Gestalt, die sie anfiel, wahr: Das war der Mann aus ihrem Haus! Groß, dunkel, in schwarzglänzendes Leder gekleidet, das wie eine zweite Haut seinen Körper umhüllte.

Aber – dieser Körper war nicht ganz geschlossen. Aus der Brust schoben sich armdicke Schlangen und wickelten sich um Brust und Hals, um Hüften und Gesicht der Frau, die dieses namenlose Grauen nicht verkraftete. Schlagartig wurde es schwarz vor ihren Augen, Eileen Weston fiel wie ein Stein zu Boden und brach vor der alten Truhe zusammen ...

1. Kapitel

Die beiden Männer, die am frühen Vormittag in das Gefängnis kamen, wurden schon erwartet. Der Leiter des Hauses ließ es sich nicht nehmen, die beiden Besucher persönlich in den betreffenden Zellentrakt zu geleiten.

»Bitte, kommen Sie mit«, sprach der Gefängnisdirektor den sportlich gebräunten, blonden Mann und dessen vierschrötigen Begleiter mit dem roten Haar und dem wilden Vollbart an. »Wir haben sie in Zelle siebenundzwanzig untergebracht. Machen Sie sich bitte zuerst einen Eindruck von ihrem Zustand. Dann reden wir über alles Weitere.«

Larry Brent alias X-RAY-3 nickte. Scott Dewing ging ihm voraus. Der Mann war untersetzt und hatte Schultern wie ein Kleiderschrank. Er hatte schon schütteres Haar, obwohl er erst Ende Dreißig war. Dieser Umstand machte ihn älter. Dewing trug einen dunkelgemusterten Anzug, in dem er seriös und zuverlässig wirkte. Als Direktor des Untersuchungsgefängnisses von San Bernardino war er als Einziger über die Anwesenheit der beiden PSA-Agenten informiert und hatte den Auftrag, Brent und Kunaritschew jede Hilfe zuteil werden zu lassen und sich mit ihnen zu verständigen.

»Wenn Sie mich fragen«, begann Dewing unvermittelt, während sie durch den langen Korridor gingen, auf den graue Eisentüren mündeten, »so muss ich Ihnen sagen, dass es aufgrund der vorliegenden Ergebnisse schwer sein wird, ihre Unschuld zu beweisen. Um ehrlich zu sein: ich glaube auch nicht daran. Aber das ist meine persönliche Meinung. Das letzte Wort hat das Gericht. Es hat darüber zu befinden, ob sie lebenslänglich hinter Gittern kommt oder ob man ihr mildernde Umstände zubilligt.«

»Wir werden sehen«, sagte Larry Brent ausweichend. Dewing führte ihn und seinen Freund Iwan Kunaritschew ins Besuchszimmer. Kleine schmale Tische standen darin. Das einzige Fenster befand sich unterhalb der Decke, war quadratisch und vergittert. »Ich bin sofort zurück.«

Dewing verschwand durch eine Seitentür. Larry und Iwan nahmen nebeneinander Platz, und der Russe griff mechanisch nach dem silbernen Zigarrenetui in seiner linken Jackettasche, um sich eine seiner berühmt-berüchtigten Selbstgedrehten herauszunehmen.

»Keinen Fehler begehen, Brüderchen«, sagte Larry kaum hörbar. »Hier gibt's zwar 'ne Menge Ungeziefer in den Wandritzen, und ich hätte nichts dagegen, wenn du dich hier als Kammerjäger betätigen würdest. Aber ich möchte unsere Gesprächspartnerin nicht vergraulen. Sie soll uns etwas erzählen und nicht vorhusten ...«

Iwan alias X-RAY-7 hielt die überlange Selbstgedrehte schon zwischen den Lippen, aber er zündete sie nicht an. In diesem Moment kam die Frau durch den Seiteneingang. Sie wirkte ernst, bleich, und ihrem Gesicht haftete ein versteinerter Zug an, der durch das hochgesteckte Haar noch verstärkt wurde. Mit unruhigem Blick musterte die Untersuchungsgefangene die beiden Fremden. Sie nahm ihnen gegenüber Platz.

»Das ist Eileen Weston«, stellte der Gefängnisdirektor die junge, übernächtigt aussehende Frau vor. »Ihre Gesprächszeit ist unbegrenzt. Wenn Sie die Unterhaltung abzubrechen wünschen, geben Sie dem Wachmann draußen vor der Tür ein Zeichen. Ich gehe einstweilen in mein Büro zurück.«

Eileen Weston musterte die beiden PSA-Agenten.

»Was wollen Sie von mir?«, fragte sie rau.

»Mit Ihnen sprechen«, entgegnete Larry Brent.

»Und aus welchem Grund? Sind Sie Anwalt? Dann muss ich Sie enttäuschen. Ich hab bereits einen, er prüft zurzeit die Möglichkeit, mich gegen Kaution auf freien Fuß zu bekommen. Oder sind Sie von der Presse?«

Larry Brent alias X-RAY-3, der bereits zum Sprechen angesetzt hatte, ließ sein Gegenüber erst die vielen Fragen stellen. »Okay«, sagte er dann, »ich werde Ihnen eine nach der anderen beantworten. Der Grund unseres Hierseins liegt darin, um Ihnen zu helfen. Nein, mein Kollege und ich, wir sind keine Anwälte und kommen auch nicht von einer Zeitung.«

»Wer sind Sie dann?«

»Mein Name ist Larry Brent.«

»Und meiner Iwan Kunaritschew.«

»Schön.« Eileen Weston blickte mit müden Augen abwechselnd von einem zum andern. »Und was hab ich davon?«

»Vielleicht die Möglichkeit, schnell und rehabilitiert hier herauszukommen, noch ehe ein Prozess in die Wege geleitet wird.«

Eileen Weston starrte den blonden Mann mit den eisgrauen Augen an wie einen Geist. »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen? Tun Sie doch nicht so, als wüssten Sie nicht, wessen man mich anklagt! Auf Mord lautet die Anklage. Dreifacher Mord! An meinem Ehemann und dem Ehepaar Hamilton. Und das, obwohl man keine Leichen gefunden hat ...«

Ihre Stimme klang rau und verbittert. Das war kein Wunder, wenn man bedachte, wessen sie beschuldigt wurde. »Man hat Blut an meiner Kleidung entdeckt, das Blut meines Mannes. Ich weiß nicht, wie es drankommt ... Aber so, wie man das entdeckt hat, wird man auch noch eine Erklärung dafür finden, aus welchem Grund ich in jener Nacht drei Menschen getötet haben soll.« Ihre Stimme war schwächer geworden. Eileens schmale Hände lagen auf der nackten Tischplatte und waren so stark ineinander verhakt, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

»Wir möchten die Geschichte, die Sie erzählt und zu Protokoll gegeben haben, aus Ihrem eigenen Mund hören, und wir möchten Sie vor allem bitten, ganz spezielle Fragen, die wir an Sie haben werden, genau zu beantworten.«

»Was habe ich davon?« Diese erneute Frage klang provozierend und doch niedergeschlagen.

»So schnell wie möglich Ihre Freiheit.«

»Das glaube ich Ihnen nicht.«

»Wir haben mit der Polizei, die die Untersuchungen bisher geleitet hat, nichts zu tun. Wir gehören einer Sonderabteilung an, die sich mit rätselhaften Vorgängen und übersinnlichen Phänomenen beschäftigt. Und wir sind fest überzeugt davon, dass in Ihrem Fall ein solches Ereignis in Frage kommt. Sie wurden offenbar in eine Situation hineinmanövriert, die Sie nicht selbst verursacht haben.«

Eileen Weston, die sich seit drei Tagen im Gefängnis von San Bernardino befand, schluckte trocken. Sie war noch immer misstrauisch und wollte nicht wahrhaben, dass hier wirklich jemand gekommen war, der seine Hilfe anbot. Larry Brent gelang es, ihre Bedenken und ihr Misstrauen zu zerstreuen. Dann begann sie zu erzählen. Von jenem Abend bei Freunden, bei denen sie die Party gefeiert hatten. Das alles wussten Larry und Iwan schon aus dem Protokoll, das X-RAY-1, der geheimnisvolle Leiter der PSA, ihnen während des Fluges nach Los Angeles per Funk übermittelt hatte.

Die Westons waren bei einer Familie namens Belling gewesen, die ebenfalls einsam lebte und eine kleine Fabrik betrieb, in denen alte Automobile aufgemöbelt wurden. Eileen berichtete davon, dass Dona und Alan Belling ihnen noch angeboten hatten, über Nacht zu bleiben. Doch Frank Weston hatte abgelehnt. Er liebte das kleine Haus vor den Ausläufern der Berge und blieb nicht gern über Nacht woanders, wenn es ihm möglich war ohne größeren Aufwand nach Hause zu fahren. Und mit der Rückkehr hatte der Alptraum Eileen Westons begonnen ...

Sie erinnerte sich an jede Einzelheit. Ihr Gedächtnis ließ sie von dem Augenblick an im Stich, als sie erwachte. Sie befand sich bereits im Gewahrsam der Polizei. Einem Einwohner von Little Bridge, der unweit des Hauses der Hamiltons an seinem Bau arbeitete, war die Stille im Haus aufgefallen. Als er nachsah, entdeckte er das geöffnete Schlafzimmerfenster und die leeren Betten.

Er vermutete sofort ein Verbrechen, schlich durchs Haus und entdeckte die im Keller liegende bewusstlose Eileen Weston. Der Nachbar alarmierte die Polizei, der die junge Frau nach ihrem Aufwachen ihre mysteriöse Geschichte erzählte. Niemand nahm ihr diesen unwahrscheinlichen Bericht ab. Nachdem von Frank Weston und dem Ehepaar Hamilton trotz intensivster Suche in der näheren Umgebung keine Spur zu entdecken war, wurde Eileen Weston verhaftet. Möglicherweise tötete sie ihren Mann und das Nachbarehepaar in einem Anfall geistiger Umnachtung und schaffte dann die Leichen an einen unwegsamen Ort, von dem man bisher nichts wusste ...

In den nahen Bergen gab es Tausende von Versteckmöglichkeiten. Man hatte die in Frage kommenden Stellen sogar mit Hunden abgesucht, ohne auf eine Spur zu stoßen. Pausenlos war Eileen Weston verhört worden. Sie wurde immer verstockter und ergab sich schließlich in ihr Schicksal. Die Tatsache, dass an ihrem Kleid Blut ihres Mannes nachgewiesen worden war, ließ sie zur Hauptverdächtigen werden. Ihre Unschuldsbeteuerungen nutzten nichts. Der geheimnisvolle Fremde, der ihren Mann angeblich getötet und ihn dann fortgeschafft hatte, der danach noch Unterschlupf in der alten Truhe im Keller suchte, nachdem er zuvor offenbar auch noch die Hamiltons ermordet hatte, war und blieb in den Augen der Polizei eine Phantasiegestalt.

Larry zog seine Brieftasche heraus und entnahm ihr einen zusammengefalteten Papierbogen. Darauf befand sich eine Zeichnung. Sie stellte den angeblichen Mörder dar, den Eileen Weston in jener Horrornacht sah und der sie auch anfiel. »Sie wissen, dass aufgrund Ihrer Beschreibung von dem vermutlichen Mörder ein Phantombild angefertigt wurde.«

»Ja.«

»Sie halten daran fest, dass der Mann so und nicht anders ausgesehen hat?«

»Ich habe ihn so gesehen. Anders kann ich ihn nicht beschreiben.«

»Aber die Gestalt, die Sie beschreiben, kann unmöglich ein Mensch gewesen sein, nicht wahr?« Sie zuckte die Achseln. »Ich kann nur das angeben, was ich in diesen Minuten gesehen habe. Das war kein Mensch ... er muss eine Maske getragen haben.«

»Unwahrscheinlich. In der Abgeschiedenheit einer kleinen Siedlung, in der kaum ein Mensch wohnt, hatte er das nicht nötig. Außerdem war's nicht nur eine Maske, sondern eine ganze Verkleidung ... Denken Sie an die Schlangen, die aus seiner Brust kamen, an die Haut, die Sie an einen Chitinpanzer oder an Leder erinnerte.«

»Das war kein Mensch, das war eine Spukerscheinung, ein Dämon ... ein Monster ...« Die beiden Freunde ließen die junge Frau, während sie sprach, nicht aus den Augen. Eileen Weston wirkte überzeugend. Es musste ihr schwerfallen, diese seltsame Geschichte, die so viel Unglauben hervorgerufen hatte, erneut zum Besten zu geben. Aber für Larry Brent und Iwan Kunaritschew war ihre Art, Bericht zu erstatten, gleichzeitig ein Test. Und den bestand die in Untersuchungshaft befindliche Frau!

Larry und Iwan hatten während ihrer langen, gemeinsamen Arbeit für die Psychoanalytische Spezial-Abteilung, kurz PSA genannt, viele Menschen unter unglaublichen Extrembedingungen kennengelernt. Nein, Eileen Weston war nicht verrückt! Und sie hatte sich ihre unheimlich und unwahrscheinlich klingende Geschichte nicht aus den Fingern gesogen. »Es hört sich alles sehr seltsam an, nicht wahr?«, sagte die junge Amerikanerin unvermittelt, als hätte sie die Gedanken ihrer Besucher erraten. »Sie glauben mir ebenso wenig wie die anderen ... Ich kann es Ihnen nicht mal verübeln. Für mich gäb's nur eine Rettung.«

»Und die wäre?«, fragte Larry.

»Diese unheimliche Gestalt, die ich nur so unvollkommen beschreiben kann, taucht auch woanders auf.« Iwan Kunaritschew nickte. »Wenn es ihn wirklich gibt, Towaritschka, wird das auch der Fall sein, denn es ist unwahrscheinlich, dass er nur gekommen ist, um Sie zu erschrecken und um drei Menschen mitzunehmen ...«

»Glauben Sie an – Geister?«

»Ja, Towaritschka. Wir haben schon mehr als einmal mit ihnen im Clinch gelegen. Nicht umsonst gibt es Spuk- und Geisterforscher, Haunting Houses und Erscheinungen, denen man mit modernsten Mitteln auf den Grund kommen will.« Die beiden Freunde unterhielten sich noch eine Weile über alltägliche Dinge und mussten feststellen, dass Eileen Weston flink und normal reagierte und offensichtlich selbst nicht wusste, was sich eigentlich in jener Nacht abgespielt hatte.

»Vielleicht war das, was geschah, Eileen«, sinnierte Larry, »auf einen bestimmten Ort konzentriert. In allem, was Sie uns sagten, kommt eindeutig zum Ausdruck, dass das Haus der Hamiltons und Ihr Haus im Mittelpunkt der Ereignisse standen. Man hat inzwischen, wie Sie wissen, alle Einwohner von Little Bridge befragt. Niemand hat etwas gehört oder gesehen. In der kleinen Siedlung ist die Welt bis auf das Geschehen, das man Ihnen zuschreibt, noch in Ordnung. Es drängt sich bei genauem Hinsehen der Gedanke auf, dass die Erscheinung möglicherweise an das Haus der Westons und das der Hamiltons gebunden ist. Vielleicht käme man schneller hinter das Rätsel des Monstermannes, wenn man Gelegenheit hätte, sich die Orte, an denen er erschien, näher anzusehen.«

Eileen Weston begriff sofort, worauf der blonde Mann, der ihr von Anfang an sympathisch gewesen war, hinaus wollte. »Sie möchten sich in meinem Haus einquartieren?«

»Ja, gern. Wenn es möglich ist ...«

»Warum sollte es nicht möglich sein, Mister Brent? Ich gebe Ihnen gern die Erlaubnis, sich in meinem Haus aufzuhalten und dort zu wohnen, wenn es sein muss.«

»Es müsste sein, Eileen.«

»Dann lassen Sie sich von der Gefängnisdirektion meine Hausschlüssel aushändigen. Bewegen Sie sich in meinem Haus in Little Bridge wie in Ihrem eigenen. Und wenn Sie etwas finden, was meine Aussage bestätigt, dann halten Sie nicht hinter dem Berg damit.«

»Wir werden Beweise, die Sie entlasten, umgehend an die Stellen weitergeben, die für Ihre Festnahme verantwortlich sind.«

»Gut«, nickte Eileen Weston und sah Larry Brent lange und eingehend an. »Dann machen Sie sich schnell auf den Weg. Die Untersuchungshaft ist schon schlimm genug. Durch meinen Anwalt aber weiß ich inzwischen, dass die Absicht besteht, mich von hier zu verlegen und in eine Nervenheilanstalt einzuweisen. Man hat die Absicht, mich in ein Irrenhaus zu stecken. Für immer. Das würde ich nicht überleben.«

»Keine Sorge, Eileen«, versprach Larry Brent. »Wir tun, was in unserer Macht steht. Wenn es den von Ihnen beschriebenen Monstermann gibt, werden wir ihn finden und stellen. In diesem Zusammenhang, Eileen, hätte ich allerdings noch eine letzte Frage an Sie.«

»Wenn ich sie Ihnen beantworten kann ...«

»Sie haben gesehen, wie Ihr Mann von dem Monstermann getötet wurde und Sie gehen davon aus, dass auch das Ehepaar Hamilton ihm zum Opfer fiel.«

»Richtig ... Aber ich verstehe nicht, worauf Sie hinaus wollen.«

»Ganz einfach, Eileen. Auch Sie sind dem Unheimlichen begegnet. Aber Sie hat er in Ruhe gelassen. Er griff Sie zwar an. Sie wurden ohnmächtig, aber als Sie erwachten, war Ihnen nichts geschehen.« Sie nickte und senkte den Blick. »Deshalb bin ich hier«, murmelte sie tonlos. »Damit wurde automatisch alle Schuld auf mich abgewälzt. Vielleicht war das seine Absicht.«

»Das wäre möglich ... Aber vielleicht hatte er auch eine andere Absicht.« Den zweiten Teil seines Satzes sagte Larry jedoch erst, als er mit Iwan Kunaritschew bereits draußen auf dem Korridor war und Eileen Weston in ihre Zelle zurückgeführt wurde, so dass sie diese Bemerkung nicht mehr hören konnte.

Little Bridge, die neue Wohnsiedlung, lag rund fünfundzwanzig Minuten östlich von San Bernardino. Larry Brent und Iwan Kunaritschew fuhren nach ihrem Gespräch mit Eileen Weston gleich dorthin.

Unterwegs informierte Iwan Kunaritschew über den PSA-Ring die Zentrale in New York. X-RAY-7 schilderte den Eindruck, den sie gewonnen hatten, und berichtete von ihren Absichten. X-RAY-1, der geheimnisvolle Leiter der PSA, nahm die Informationen entgegen und ging auf die Wünsche seiner Agenten ein. Larry und Iwan kam es darauf an, so schnell wie möglich die Sache aufzuklären, in der die Person Eileen Westons eine so große Rolle spielte.

»Die Frau, Sir«, erklärte Iwan Kunaritschew, »ist möglicherweise der Schlüssel. Leider ist alles recht undurchsichtig geblieben. Aber das würde sich schnell ändern, wenn man mehr über Eileen Westons Person und Verhalten herausfindet. Vielleicht hat sie etwas verändert, vielleicht wurde sie auch nur als Werkzeug benutzt. Man müsste in Eileen Westons Nähe eine Vertrauensperson einschleusen.«

»Gewissermaßen eine Mitgefangene, jemand, der die Zelle mit ihr teilt«, ließ X-RAY-1 sich vernehmen. Seine Stimme klang ruhig, besonnen und väterlich.

»Das wäre am unauffälligsten, Sir.«

»Für diese Aufgabe eignet sich natürlich bestens eine Frau, Sir«, fügte Larry Brent alias X-RAY-3 hinzu. »Ja, das habe ich mir auch gedacht, Towarischtsch«, nickte der Russe. »Der Gedanke, dass du als Frau verkleidet die Zelle mit Eileen Weston teilen würdest, kam mir schon etwas befremdlich vor, das muss ich ehrlich zugeben.«

»Das Leben, Brüderchen, ist keine billige Slapstick-Komödie. Ich habe jemand im Sinn, der es nicht nötig hat, sich zu verkleiden.« Der Dialog im Auto wurde auch in New York gehört. »Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen«, erklang die Stimme von X-RAY-1 aus dem winzigen Lautsprecher von Iwan Kunaritschews PSA-Ring. Er hatte die Form einer Weltkugel, die in einer massiv goldenen Fassung mit der Gravur Im Dienste der Menschheit – X-RAY-7 ruhte. Durch die Kontinente des goldenen Miniaturglobusses schimmerte das stilisierte Gesicht eines Menschen. Im Ring untergebracht war eine vollwertige Sende- und Empfangsanlage. »Ich nehme an«, fuhr der Leiter der PSA fort, »dass X-GIRL-C sich für diese Aufgabe sicher gut eignen würde.«

»Morna!« Larry Brents Gesicht hellte sich auf. »Er strahlt wie ein Honigkuchenpferd, Sir«, berichtete Kunaritschew. »Er sieht verliebt aus ...« Der Russe grinste verschmitzt von einem Ohr zum andern. Dass Larry Brent und Morna Ulbrandson sich mochten, dass sie mehr waren als Kollegen, war in der PSA ein offenes Geheimnis.

»Für die Liebe wird wohl wenig Zeit bleiben. Morna Ulbrandson kommt als Tatverdächtige in die Zelle zu Eileen Weston. Morna ist kratzbürstig und aggressiv. Außerdem kennt sie einen Mann wie Larry Brent, der schließlich soeben Kontakt mit Eileen Weston aufgenommen hat, nicht.«

Larry Brent, der den Leihwagen, einen fast neuen Chevrolet Caprice, durch den beginnenden Abend steuerte, zerdrückte eine Bemerkung zwischen den Lippen. »Ich bin mit der klugen Entscheidung, Sir«, beendete Iwan Kunaritschew das Gespräch nach New York, »sehr zufrieden. Auf diese Weise kann es kaum Verwicklungen geben.«

Man konnte das Haus in der Abgeschiedenheit der Berge nur als windschiefe, verwitterte Hütte bezeichnen. Sie machte einen verwahrlosten und unbewohnten Eindruck. Dennoch war sie bewohnt.

Ein steiniger, steiler Pfad führte in die Höhe. Hinter windzerzausten Büschen und dornigem Gestrüpp war die Holzhütte kaum wahrzunehmen. Sie schmiegte sich eng an die Felswand an und gerade in der Dunkelheit wurde sie eins mit den Schatten und wäre auch aus wenigen Schritten Entfernung von einem zufällig vorbeikommenden Spaziergänger nicht mal wahrgenommen worden.

In diese Gegend aber kam kein Mensch, und selbst in Little Bridge, der Siedlung, in der noch keine zehn Häuser bewohnt waren, wusste kaum jemand von der alten Hütte. Sie stammte noch aus dem vorigen Jahrhundert und war damals von einem Einzelgänger errichtet worden. Der Erbauer der Hütte war in diese Gegend gekommen. Zusammen mit einigen Freunden hatte er die Höhlen und Stollen tiefer in den Berg getrieben, in denen es angeblich Diamanten geben sollte. Vor ungefähr drei Monaten stieß Joe Trecker zufällig auf die Hütte der alten Diamantengräber. Trecker war selbst Abenteurer und Herumtreiber, ein Mann, der sich nirgends zu Hause fühlte, niemals sesshaft wurde und ruhelos und unstet durch die Welt wanderte.

Er hatte in einem kleinen Nest in Mexiko in einer Kneipe von den alten Bergwerkstollen gehört und auch von dem Gerücht, dass damals dort angeblich einige Brocken von den Männern gefunden und versteckt worden sein sollten. Es wurde viel erzählt von alten Schätzen, die angeblich von Indianern und Gold- und Diamantengräbern versteckt worden sein sollten. Keiner hatte sie je geborgen. Die meisten glaubten nicht an solche Berichte. Auch Joe Trecker nicht. Er hatte die Gegend, über die er diese Geschichten gehört hatte, aufgesucht und die Hütte dabei entdeckt.

Joe Trecker war ein kräftiger Mann mit langem Haar und aschblondem Vollbart, fünfunddreißig Jahre alt, wirkte aber viel älter. Er trug abgewetzte Bluejeans, ein großkariertes Hemd und darüber eine speckige Lederjacke. Der Einsiedler hatte die Hütte zu seiner Behausung gewählt und sie einigermaßen bewohnbar hergerichtet. Es gab einen alten Ofen, der wieder funktionierte. Sogar Töpfe und Keramikschalen waren noch in der Hütte gewesen und verschimmeltes Brot.

Die Hütte bestand aus einer kleinen Küche und einem weiteren mittelgroßen Raum, der ihm als Wohn- und Schlafzimmer diente. In der Dunkelheit kam Joe Trecker aus den Bergen zurück. Hinter einem Felsvorsprung lag der Eingang zu einem Stollen. Er war innen mit mächtigen Balken abgestützt.

Doch diese waren im Lauf der Jahrzehnte morsch oder vor langer Zeit absichtlich teilweise zum Einsturz gebracht worden. Viel Schutt und Steine waren zu beseitigen. Mit dieser Arbeit hatte Trecker begonnen. Sein Ziel war es, tiefer in die alte Mine einzudringen und nach Diamanten zu suchen. Vielleicht war doch etwas an der Geschichte dran ...

Es war schon sehr dunkel geworden. Mit stoischer Gleichgültigkeit wanderte der Mann den steinigen, mit dornigem Gestrüpp bewachsenen Hang hinunter. Der Eingang zur alten Diamantenmine war in der Dunkelheit hinter ihm mehr zu ahnen als zu sehen. Treckers Kleidung war verstaubt und durchschwitzt. Er sehnte sich nach einem Bad. Das wollte er gleich nach seiner Rückkehr in die Hütte nehmen. In der Nähe gab es eine ergiebige Quelle, die unten im Tal zu einem kleinen Bach wurde. Das Rinnsal von den Bergen lag wie eine Grenze zwischen dem oberen und unteren Teil des Hanges.

Der Bach war schmal genug, um ihn bequem überspringen zu können. Er war auch nicht tief. Maulesel und Pferde, mit denen in früheren Zeiten Waffen, Sprengstoff und Proviant transportiert worden waren, konnten den Bach ohne Gefahr durchwaten. An seiner breitesten Stelle war vor mehr als hundert Jahren eine primitive hölzerne Brücke errichtet worden, von der nur noch Reste existierten. Die neue Siedlung weiter unten hatte aufgrund dieser Brücke ihren Namen Little Bridge bekommen. Kleine Steine lösten sich unter den Füßen des Mannes und kullerten den Abhang hinunter. Es war gefährlich, in der Dunkelheit dieses unwegsame Gelände zu benutzen. Doch Joe Trecker kannte hier jeden Fußbreit Boden und fürchtete die Gefahr nicht.

»Los, Jonny! Ein bisschen schneller!«, rief er in die Finsternis hinter sich, blieb stehen und wandte den Kopf. Ein zottiges Etwas auf vier Beinen trottete gemächlich hinter ihm her. Jonny war ein irischer Hirtenhund mit langem Fell, das weit über seine Augen wuchs, so dass die Sinnesorgane hinter dem dichten Vorhang kaum zu erkennen waren. Jonny war zwölf Jahre alt, das Laufen fiel ihm schwer. »Ein bisschen Training, Alter, kann dir nichts schaden.« Trecker redete mit dem Hund wie mit einem Menschen, der seine Bergeinsamkeit mit ihm teilte.

»Lauf schon mal voraus, öffne die Tür und stell einen Topf mit Bohnen und Speck auf. Wie wär's, wenn du mich mal zur Abwechslung bedienen würdest, hm? Ich war den ganzen Tag in der Mine, während du faul herumgelegen und geschlafen hast.« Jonny war herangekommen und stehen geblieben. Er legte den Kopf schief, hob die Ohren ein wenig und lauschte der Stimme seines Herrn. Dann setzte er sich in Bewegung, er schien genau verstanden zu haben, was sein Herr von ihm wollte. Joe Trecker sah dem großen, grauweißen Hund nach, der nun schneller lief als vorhin.

Die Hütte lag noch etwa zwanzig Schritte von dem Mann entfernt. Jonny erreichte die windschiefe Behausung zuerst. Die Tür war nur angeklinkt. Abschließen konnte man sie nicht. Trecker hielt dies auch nicht für nötig. Er fürchtete keine zwielichtigen Gestalten und Diebe. Bei ihm war nichts zu holen. Die Nahrungsmittelvorräte waren stets so bemessen, dass sie eine Woche reichten. Leicht verderbliche Dinge bewahrte der Mann in einem Loch in der Felswand auf, das mit einer steinernen Platte verschlossen wurde.

Diese Speisekammer war so alt wie die Hütte und offensichtlich ganz zu Anfang schon von dem oder den Erbauern angelegt worden. Der Hund stellte sich auf die Hinterbeine und drückte mit den Vorderpfoten die Klinke herunter. Ein schmaler Spalt entstand, den das Tier weiter vergrößerte. Im selben Moment registrierte Jonny etwas Fremdes in unmittelbarer Nähe. Leises, abwehrendes Knurren entwickelte sich in der Kehle des Tieres. Joe Trecker, noch zehn Schritte von Tür und Hund entfernt, beobachtete die Reaktion mit Erstaunen. Dann ging es auch schon drunter und drüber. Jonny nahm die Witterung des Fremden, der im Dunkeln mitten in der Hütte stand, zu spät auf. Sein Geruchssinn war nicht mehr der Beste. Das wurde ihm zum Verhängnis. Ein leises, zischendes Geräusch war zu vernehmen, nicht lauter als das Knurren des Tieres.

Der Fremde hielt den linken Arm ausgestreckt, und es war zu sehen, dass dort keine Hand war. Ein dicker, vorn abgerundeter Metallstab ragte aus dem Ärmel der Lederjacke und sah aus wie ein künstliches Körperglied, das eine durch Krankheit oder Unfall verlorengegangene Hand ersetzte.

Aber – es war eine Waffe! Und sie spuckte Vernichtung.

Ein fingerdicker, metallisch schimmernder Pfeil löste sich aus der raketenförmigen Spitze und raste blitzschnell auf Jonny zu. Die Wucht, mit der der Pfeil abgeschossen wurde, war so gewaltig, dass er die Brust des Hundes durchschlug. Aber das war noch nicht alles. Joe Trecker sah wie Jonny herumgewirbelt wurde, wie er sich einmal um die eigene Achse drehte, als wäre er von unsichtbaren Händen gepackt. Die dumpfe Explosion war kaum zu hören. Sie kam aus dem Körper des Tieres.

Eine Flammenlohe stieg an der Stelle empor, wo sich der altersschwache Hirtenhund soeben noch befunden hatte. »Jonny!«