Larry Brent Classic 051: Der Zombiezug - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 051: Der Zombiezug E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Die Werwölfe des Dr. Satanas Dr. Satanas ist wieder da - das glaubt zumindest die PSA, als im Luxus-Etablissement Chalakka ein Mädchen tot aufgefunden wird. An ihre Leiche fehlte ein winziges Hautstück. Doch die Ermittlungen von Morna Ulbrandson und Larry Brent laufen in verschiedene Richtungen. Denn in der Zwischenzeit stiehlt der dämonische Menschenfeind aus einem Labor das Präparat VC 98. Mit ihm will Dr. Satanas nicht nur unschuldige Menschen zu Werwölfen machen, sondern sich auch an der PSA rächen. Und Morna Ulbrandson steht ganz oben auf seiner Liste. Zombies im Orient-Express In einem verfluchten Landhaus-Hotel passieren grauenvolle Dinge. Der Sohn des Besitzers Lord Dempsey verbringt eine Nacht in dem Spukhaus und erlebt Fürchterliches. Die PSA wird eingeschaltet und kommt einem Zombie-Geist auf die Spur. Doch mit der Vernichtung des Wesens fängt das Grauen erst an. Eine Voodoo-Hexerin erschafft eine Horde von Untoten, mit denen sie im berühmten Orient-Express nach Bukarest fährt. Im Zug will sie sich mit dem mysteriösen Voodoo-Master treffen, dessen Blut eine unheilvolle Macht innewohnt. Doch auch Larry Brent, Iwan Kunaritschew und Morna Ulbrandson fahren im Orient-Express mit - und setzten all ihre Kräfte ein, um die Zombie-Brut aufzuhalten ...

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 51

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-851-8

Dan Shockers Larry Brent Band 51

DER ZOMBIEZUG

Mystery-Thriller

Die Werwölfe des Dr. Satanas

von

Dan Shocker

Prolog

Dr. Satanas!

Ein Name, der auf den Teufel zurückgeht.

Und den Teufel hat er im Leib, denn seine Absicht und sein Ziel ist es, Unruhe und Verwirrung zu stiften, Ängste und Abhängigkeit zu erzeugen und – den Tod zu bringen. Dr. Satanas ist ein Feind der Menschen und des Lebens. Immer wieder taucht er auf. Und keiner erkennt ihn. Wie der Teufel, der in jeder Gestalt auftreten und sein Opfer verführen kann, so ist auch Dr. Satanas dazu imstande. Oft ahnt man seine Nähe und seine Anwesenheit nicht, denn er ist ein Meister der tausend Masken und Gesichter, die er seinen Opfern auf grausame Weise stiehlt ...

Auch Dr. Brenda Galley und Professor Ernest Coleman ahnten nichts von seiner Anwesenheit, als VC 98 in jener Nacht zum ersten Mal seine Wirkung zeigte. Brenda Galley arbeitete seit vier Jahren in dem Versuchslabor. Professor Ernest Coleman, ein großer, ernster Mann, der eine altmodische Nickelbrille trug, war Leiter des Instituts. In dem Labor wurden bestimmte chemische Substanzen, die in neue Medikamente eingesetzt werden sollten, auf ihre Wirksamkeit und eventuelle schädliche Nebenerscheinungen getestet. Ratten, Mäuse, Affen, Meerschweinchen und Katzen waren die Versuchstiere. Brenda Galley wusste, dass es ohne Tierversuche nicht ging. Die Wirkung von bestimmten Präparaten musste ausgetestet sein, ehe sie als Medikament am Menschen eingeführt wurde. Brenda Galley lehnte grausame Methoden ab. Es war ihr gelungen, eine Verfahrensweise durchzusetzen, die Tierquälerei ausschloss. Die Forscherin führte in eigener Verantwortung Versuchsserien durch. Aus hochwirksamen Giften wurden Substanzen gefiltert, die dazu dienen sollten, eine bestimmte Form der Krebserkrankung künftig ohne Skalpell anzugehen und den sich bildenden Tumor im Körper zerfallen zu lassen.

Die fünfunddreißigjährige Medizinerin war mit einigen Versuchsreihen der letzten Wochen unzufrieden und hatte, um verlorene Zeit aufzuholen, viele Versuche wiederholen müssen. Dies war der Grund, weshalb sie abends länger blieb und manchmal nicht vor Mitternacht nach Hause kam. Die spezielle Methode, nach der sie arbeitete, erforderte einfach ihre Anwesenheit, um sofortige Entscheidungen fällen zu können. Doch ihre Versuche waren nicht der einzige Grund, der sie veranlasste, länger zu arbeiten. Da gab's noch etwas anderes. Es betraf die Person Colemans. Seit Tagen bekam sie ihn kaum zu Gesicht. Er schloss sich stundenlang in seinem Versuchsbereich ein und war nicht ansprechbar. Er vergaß, zwischendurch einen Kaffee zu sich zu nehmen.

Und das wollte viel heißen bei einem Mann, der täglich zehn bis fünfzehn Tassen des anregenden Gebräus zu trinken gewohnt war. Wenn man vier Jahre eng mit einer anderen Person zusammenarbeitete, lernte man viel von ihr kennen. Ernest Coleman war als schweigender und zurückhaltender Mensch bekannt. Doch so sehr ins Schneckenhaus zurückgezogen hatte er sich noch nie. Er wirkte blass und abwesend und schien alles um sich herum nicht mehr wahrzunehmen. In dem Forschungslabor arbeiteten insgesamt fünf Menschen. Die meisten gingen nach Ablauf ihrer normalen Arbeitszeit gegen siebzehn Uhr. Brenda Galley hätte an diesem Tag ebenfalls schon früher gehen können. Spätestens um zwanzig Uhr hatte sie ihre Arbeit so weit abgeschlossen, dass sie zum Aufbruch bereit war.

Aber Brenda Galley blieb. Sie wusste, dass das Labor manchmal Aufträge von der Regierung erhielt. Coleman war eine Koryphäe und bekam oft Geheimaufträge. Er sollte dann irgendwelche Substanzen, die sich zur Entwicklung biologischer oder chemischer Waffen eigneten, testen. Professor Coleman hatte eigene Patente und neue chemische Verbindungen entwickelt, deren Formeln jedoch nur ihm bekannt waren. Ernest Coleman war an einer Sache dran, die ihm keine Ruhe ließ, und Brenda Galley, die ein komisches Gefühl hatte, beschloss, noch länger zu bleiben.

Es wurde zweiundzwanzig Uhr, schließlich dreiundzwanzig Uhr. In dem kleinen Versuchslabor gingen die Lichter nicht aus. Brenda Galley zündete sich eine Zigarette an und schlenderte den Korridor entlang, der in Colemans Abteilung führte. Der Gang endete vor einer massiv stählernen Doppeltür. Sie hatte die Qualität, wie sie beim Bau von Tresoren Anwendung fand. Die Tür war dahinter so gut gepolstert, dass Anklopfen allein nichts brachte. Wer dahinter saß, hörte nichts. Aus diesem Grund gab es einen Klingelknopf und eine Sprechtaste. Neben dieser folgte ein weiterer Knopf, der beleuchtet war und auf dem stand: Bitte nicht stören.

Coleman arbeitete oft bis in den späten Abend.

Aber es war ungewöhnlich, dass er kurz vor Mitternacht noch immer nicht aus seinem Verschlag gekommen war. War ihm etwas zugestoßen? Brenda Galley begann sich Sorgen zu machen. Kurzentschlossen betätigte sie den Klingelknopf. Durch die hermetisch abdichtende und gut gepolsterte Tür war das Klingelzeichen nicht zu vernehmen. Dafür meldete sich aus der Sprechanlage neben dem Klingelknopf eine leise und sehr müde Stimme.

»Ja?«, erklang es verwundert.

»Professor«, Brenda Galley atmete unwillkürlich auf.

»Gott sei Dank ... Ich hatte schon Angst, Ihnen sei etwas zugestoßen.«

»Kann Sie beruhigen, Galley. Ich bin völlig okay und bei der Arbeit.«

»Wissen Sie auch, wie spät es ist?«

»Nein. Den Glücklichen schlägt keine Stunde und keine Frau ...«

Brenda Galley schmunzelte. Das war typisch Coleman. Er hatte eine militärisch knappe Sprechweise und manchmal eine Art von trockenem Humor, mit dem er einige Leuten schon vor den Kopf gestoßen hatte.

»Gleich Mitternacht, Professor. Wollen Sie nicht wenigstens 'ne Tasse Kaffee zu sich nehmen?«

»Mitternacht?!« Ernest Colemans Stimme war die Überraschung anzuhören.

»Und Sie sind immer noch im Labor, Galley?« Er sprach sie grundsätzlich nur mit dem Nachnamen an. Auch eine Marotte von ihm.

»Ich hatte noch zu tun, Professor.«

»Sie werden's nicht glauben, aber ich auch. Ich komme sofort. Stellen Sie schon mal das Wasser auf. Ich glaube, dass 'ne Tasse Kaffee jetzt nicht schaden kann.«

Brenda Galley machte auf dem Absatz kehrt und ging in ihren Arbeitsbereich zurück. In einem extra abgetrennten Raum war eine kleine Küche eingerichtet. Außerdem stand eine einfache Liege dort, auf der man sich in der Mittagspause ausruhen konnte. Die Wissenschaftlerin schaltete die Kaffeemaschine ein und wandte den Kopf, als sie die sich nähernden Schritte vernahm. Ernest Coleman kam. Er gähnte herzhaft und hatte den weißen Kittel aufgeknöpft. Sein graumeliertes, dünnes Haar sah zerzaust aus, als wäre der Wind hineingefahren. Tief atmend ließ Coleman sich auf den wackeligen Stuhl neben der Tür plumpsen, nahm die Nickelbrille ab, rieb sich die Augen und blickte dann auf die Frau.

»Sie sind 'ne treue Seele, Galley. Sie können wohl auch nie Schluss machen, wie?«

»Ich hatte noch zu arbeiten.«

»Gibt es niemand, für den es lohnt, früher nach Hause zu gehen?«

»Noch nicht. Ich warte noch auf den Richtigen.«

»Den werden Sie hier nicht finden, Galley. Ich bin zu alt für Sie, und ich gefalle Ihnen nicht. Einen anderen Mann gibt's nicht. Je länger und öfter Sie sich hier einsperren, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie jemand kennenlernen werden ... Ich hab's geschafft, Galley«, fügte er unvermittelt hinzu, und die Forscherin hatte das Gefühl, als streife sie ein kühler Wind. Coleman redete von seiner Arbeit! Das war mehr als ungewöhnlich.

Wieder hatte Brenda Galley das Gefühl, dass es richtig gewesen war, heute besonders lange zu bleiben. Sie sah den Mann, der müde und abwesend nach seiner Tasse griff, nur an. Sie sagte keinen Ton, denn sie wusste genau, dass es verkehrt war, Coleman eine Frage zu stellen. Wenn er den Wunsch hatte, weiterzureden, würde er es von sich aus tun. Genau so war es auch.

»Der Stoff ist einsetzbar. Im Tierversuch zumindest funktioniert er ... Galley, so etwas haben Sie noch nicht gesehen. Im achtundneunzigsten Versuch hat's geklappt.« Er unterbrach sich, nahm einen großen Schluck und schlürfte genussvoll.

»Sie machen's spannend, Professor.«

Er antwortete nicht gleich, starrte in seine Kaffeetasse und schien die Welt um sich herum vergessen zu haben.

Dann stellte er die Tasse geräuschvoll auf die Arbeitsplatte und erhob sich. Plötzlich schien alle Müdigkeit von ihm gewichen, und er wirkte voll neuem Elan.

»Kommen Sie, Galley. Ich will Ihnen etwas zeigen ...«

Die Forscherin merkte, wie es ihr heiß wurde. Noch nie während der vergangenen vier Jahre hatte Coleman in dieser Weise mit ihr gesprochen. Auch nicht zu einem anderen Mitarbeiter.

Ich will Ihnen etwas zeigen ...

Er sagte kein Wort von aber darüber lassen Sie mir nichts verlauten oder das ist streng geheim ...

Wenn er sich entschloss, ihr einen Blick in sein Heiligtum zu gestatten dann schloss diese Tatsache alles andere in sich ein. Er ging voraus, nicht ganz so aufrecht wie sonst, sondern etwas gebeugt. Die Tür zu seinem Labor war abgeschlossen. Es war ein Spezialschloss, und es gab nur einen einzigen Schlüssel dazu. Den besaß Coleman. Sein Labor bestand aus drei Räumen, die quadratisch und jeweils etwa zwanzig Quadratmeter groß waren. Die Regale bedeckten alle vier Wände und reichten vom Boden bis zur Decke. Im mittleren der drei Räume stand ein langer Arbeitstisch mit zahllosen Glaskolben und Behältern, zum Teil mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten gefüllt, teilweise leer. Auf dem Tisch lag ebenfalls ein Berg Papier. Die Bögen waren voll mit Skizzen und Bemerkungen. Sie stellten anatomische Studien dar. Vor einer Wand standen in Reih und Glied kleine, saubere Gitterkäfige. In ihnen befanden sich Mäuse, Ratten und Kaninchen. Sie machten alle einen gesunden und gut genährten Eindruck. Sie waren munter, fraßen und soffen und blickten auf, als die Zweibeiner eintraten. Coleman stieß die Verbindungstür zum hintersten Raum auf. Er war, wie die beiden vorangegangenen auch, angenehm beleuchtet. Mehrere Apparaturen standen herum. Auf einem Stativ war eine Kamera befestigt, Metallhaken an der Decke hielten mehrere Scheinwerfer, um die mancher Amateurfilmer Coleman beneidet hätte. Mitten in dem sonst kahlen Raum stand auf einem Metalltisch ein großer Käfig, der in der Mitte durch eine dünne Trennwand geteilt werden konnte. Die Käfige waren frisch gereinigt und peinlich sauber. Es roch nach Desinfektionsmitteln. In den Schalen war frisches Wasser, die Näpfe für das Fressen allerdings waren leer. Der Käfig stand frei im Raum und war deshalb von allen Seiten zugänglich. Die untere Hälfte der Gitter war außerdem mit einer dünnen Glaswand bestückt. Dr. Brenda Galley nahm die Eindrücke schnell und intensiv in sich auf. Dies also war Colemans Reich. Nichts Besonderes. Im Prinzip glich es den anderen Räumen.

Aber Brenda Galley war lange genug in ihrem Beruf tätig, um zu wissen, dass das äußere Bild grundsätzlich täuschte. Kein Mensch konnte sagen, was in den Krügen und Gläsern aufbewahrt wurde, die die Regale an der Wand links neben der Eingangstür füllten. Darauf klebten Zettel mit Nummern und Buchstaben. Die Bezeichnungen für die Chemikalien waren verschlüsselt.

»Bleiben Sie hier, Galley. Sie können Platz nehmen, Sie können aber auch stehen ... Das bleibt Ihnen überlassen. Auf beide Weisen haben Sie jedoch einen guten Überblick. Ich bin gleich wieder da.«

Mit diesen Worten kehrte er noch mal in den angrenzenden Raum zurück und kam mit einer ganz normalen Feldmaus wieder. Das Tier war zutraulich, kreiselte auf seiner Hand und schnupperte an seinen Fingern. Coleman setzte die Feldmaus in die linke Käfigseite, wo sie ihren Rundgang witternd aufnahm. Der Professor suchte noch mal den Nebenraum auf und kehrte dann mit zwei gewöhnlichen Hauskatzen im Arm zurück. Die eine war schwarz wie ein Panther, die andere tigergestreift. Coleman verfrachtete die Tiere in die rechte Käfighälfte. Beide Katzen wussten infolge der undurchsichtigen Plastiktrennwand nichts von der Maus auf der anderen Seite. Brenda Galley hatte keine Vorstellung davon, was Coleman ihr zeigen wollte.

Eine Karte, die Nordamerika zeigte, war auf Karton aufgezogen und ließ sich wie eine flache Schiebetür zur Seite drücken. Dahinter befand sich ein Wandtresor. Coleman stellte sich so, dass Brenda Galley die Zahlenkombination, die er einstellte, nicht beobachten konnte. Brenda gab sich auch keine Mühe. Sie wollte Colemans Stimmung durch falsches Verhalten ihrerseits nicht verderben. Mit einer Spritze in der Hand kam er näher. Im Glaskolben war eine gelbliche Flüssigkeit aufgezogen.

»Dort in der Ecke, Galley, steht eine Dose. Es liegen Speckwürfel drin. Reichen Sie mir doch eben gerade mal zwei oder drei Stückchen davon ...«

In die feingeschnittenen Würfel injizierte Coleman einen Tropfen der Flüssigkeit und legte die präparierten Würfel dann in die niedrige Schale. Wenige Sekunden später reagierte die Maus auf den Duft, huschte an die Stelle und knabberte die Speckwürfel an. Schnell waren sie verspeist. Professor Coleman warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

»Jetzt dauert's noch drei Minuten, Galley.« Das war alles, was er sagte. Eine weiterreichende Erklärung gab er nicht. Die drei Minuten kamen der Forscherin lange vor.

»Okay ... Jetzt geht's los! Passen Sie auf, Galley! Es geht alles sehr schnell. Wenn ich erst die Trennwand weg habe, können Sie kaum noch verfolgen, wie die Dinge im Einzelnen ablaufen.«

Brenda Galley begriff nicht ganz, was Coleman damit bezweckte, die kleine Maus von den beiden Katzen gleichzeitig jagen zu lassen. In dem engen Käfig gab's keine Versteckmöglichkeit. Die Maus hatte nicht die geringste Chance. Langsam und geräuschlos zog der Wissenschaftler die Trennscheibe in die Höhe. Die Katzen bekamen im ersten Moment nicht mit, dass der Käfig größer geworden war.

Aber dann sahen sie die Maus. Oder registrierte die Feldmaus ihre beiden Todfeinde zuerst?

Keiner von ihnen konnte es später noch sagen. Es ging in der Tat alles sehr schnell. Durch die Körper der beiden Katzen ging ein Ruck. Die eine streckte sich und schnellte nach vorn, als auch in den kleinen grauen Leib am Boden plötzlich Bewegung kam. Mit beiden Vorderpfoten sprang die schwarze Katze auf die Maus zu. Die Katze überschlug sich. Brenda Galley und Professor Coleman hörten ein nervenzerfetzendes Miauen und Kreischen. Sie sahen, wie die in den Käfig eingesperrten Tiere ein wildes Knäuel bildeten. Die andere, tigergestreifte Katze war ebenfalls gesprungen. Blut spritzte. Die untere verglaste Hälfte des Käfigs wurde voll davon. Der Kopf der schwarzen Katze knallte gegen die Scheibe, der gesamte Käfig erzitterte und wackelte, so dass Brenda Galley unwillkürlich einen Schritt zurückging, weil sie befürchtete, er würde mitsamt den darin eingesperrten Tieren vom Tisch kippen. Die unglaubliche Unruhe und das Fauchen und Miauen der Tiere währte nur zehn oder fünfzehn Sekunden.

Dann kehrte schlagartig wieder Ruhe ein.

In dem Doppelkäfig lagen die beiden Katzen. Der Kopf der schwarzen war abgetrennt, als wäre sie damit unter das Blatt einer elektrischen Säge geraten. Die Kehle der tigergestreiften Katze war durchgebissen. Der Maus – war nichts geschehen! Sie hockte auf der schlaffen, leblosen tigergestreiften Katze und leckte deren Blut ...

Brenda Galley hatte schon viel erlebt und unglaubliche Erfahrungen während ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit gesammelt. Was sie aber hier mitbekam, sprengte die Grenzen ihres Fassungsvermögens.

»Nein, Professor«, murmelte die Frau. Sie war blass, und ihre Hände zitterten, als sie sie zum Mund führte, um ihr Erschrecken nicht laut hinauszuschreien.

»Sagen Sie, dass ich träume, dass dies ... nicht wirklich ist ...«

Coleman schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, Galley ... Aber es ist die Wirklichkeit. Sie träumen nicht!«

Brenda Galley kniff sich in den Oberarm und spürte den Schmerz.

Coleman nickte und ließ seine Kollegin, die rund zwanzig Jahre jünger war als er, keine Sekunde aus den Augen.

»VC 98 ... hemmt die Angst und steigert Mut, Angriffs- und Zerstörungslust ins Unermessliche. Es ist ein Stoff, der direkt aufs Zentralnervensystem wirkt. VC 98 kann flüssig und in Tablettenform hergestellt werden. Es wird am einfachsten und wirksamsten oral eingenommen. Noch ehe der Wirkstoff den Magen erreicht, wird er bereits von den blutreichen Gefäßen der Schleimhäute absorbiert und gelangt direkt ins Hirn. Der Stoff ist denkbar einfach zu nehmen, wie Sie gesehen haben, Galley. Am zweckmäßigsten mit der Nahrung ... Ob Katze, Kaninchen, Ratte, Maus oder Goldhamster ... ich kann jede einzelne Gattung in reißende Bestien verwandeln, vorausgesetzt – das Opfer ist ein Säuger ...«

Mehr brauchte Coleman wahrhaftig nicht zu sagen. In keinem Labor der Welt waren die Versuche ausschließlich so gestaffelt, dass sie nur die Tiere betrafen. Die gesicherten Erkenntnisse sollten dem Menschen zugute kommen und nach Möglichkeit auf ihn übertragbar sein. Brenda Galley schluckte und fuhr sich nervös mit beiden Händen durch ihr seidig schimmerndes und weich fließendes Haar.

»Ein Mensch, Professor – wird zum Raubtier, zum Monster.«

»Er trägt alle Anlagen dazu in sich, Galley. Seit Jahrtausenden. Die Artigkeit und Freundlichkeit sind nur das Ergebnis eines langen Entwicklungszeitraumes und liegen lediglich wie eine hauchdünne Schicht über seiner wirklichen Wesensart. Seit jeher hat der Mensch sich im Kampf ums Überleben bewähren, hat harte Kämpfe ausfechten müssen. Die Geschichte der Menschheit strotzt von Kriegen. Wir sind aufgrund der Sicherheit, die wir uns durch Technik und eine geregelte Versorgung geschaffen haben, scheinbar weg von diesem Zustand, unbedingt für das Überleben und für die Nahrung des nächsten Tages kämpfen zu müssen. In Wirklichkeit sind wir dem Urzustand in unserem Denken und Fühlen näher, als manch einer von sich selbst glauben möchte. Wie verändern sich Menschen unter der Einwirkung von Alkohol und Drogen! Auch VC 98 ist eine Droge, aber keine im herkömmlichen Sinn.«

Brenda Galley musste ihre Abneigung überwinden, wieder näher an den Käfig heranzutreten, in dem sich das ungeheuerliche Geschehen abgespielt hatte: Eine Maus, die zwei kräftige aber hungrige Katzen angefallen und in atemberaubender Geschwindigkeit getötet hatte, ehe diese dazu gekommen waren, ihre scharfen Krallen oder ihre Zähne einzusetzen! Coleman hatte eine furchtbare Waffe entdeckt.

»Ist VC 98 ... seine Wirkung ...«, ließ Brenda Galley sich nun wieder mit tonloser Stimme vernehmen, »auch auf den Menschen übertragbar?«

»Die chemischen Untersuchungen sprechen jedenfalls nicht dagegen.«

»Dann, Coleman, sehe ich schlimme Zeiten auf uns zukommen, wenn Ihre Entdeckung bekannt wird. Es wird heute wieder viel vom Krieg gesprochen. Die Menschen haben panische Angst davor, und keiner kann sich so recht vorstellen, dass Soldaten ihre schrecklichen Waffen einsetzen würden. Die gegenseitige Vernichtung wäre die Folge. Jeder ist gewissermaßen gleichstark und hat es in der Hand, den anderen zu vernichten. Es gäbe keinen Sieger. VC 98 nimmt diese Angst und kann ganze Armeen in reißende Wölfe verwandeln.«

»Sie haben eben selbst das Stichwort gegeben, Galley«, fiel Coleman ihr ins Wort.

»Wölfe haben Sie gesagt. Richtig ... Durch Menschen, von denen man sagt, sie könnten sich zu gewissen Zeiten in wilde Tiere verwandeln, bin ich auf VC 98 gekommen. Die Substanz kommt im Blut von Menschen vor, die während der Zeit des Vollmondes zu Werwölfen werden ...«

Da starrte die Forscherin den Professor an, als hätte er den Verstand verloren. Ernest Coleman erwiderte den Blick aus den rehbraunen Augen seiner Mitarbeiterin.

»Ich weiß noch, was ich sage, Galley ... Ich bin keineswegs verrückt. Es gibt – auch in unserer Zeit – noch Vampire und Werwölfe. Ich habe einen Mann kennengelernt, der sich mit der Bitte um Hilfe an mich wandte, um ihn von seiner schrecklichen Veranlagung zu befreien. Ich habe ihn studiert und beobachtet, zum ersten Mal mit wissenschaftlichen Methoden untersucht, während er seine schlimme Verwandlung durchmachte.«

»Sie kennen einen Mann, der sich in einen Werwolf verwandeln kann?«

»Ich kannte ihn. Er ist tot. Sein Blut aber – gibt es noch immer, und damit die Substanz, die ich aus diesem Blut gefiltert und isoliert habe. Die Maus dort, die ihren natürlichen Todfeind, die Katze, anfiel und tötete – war eine Wermaus, solange der Stoff in ihrem Hirn wirkt. Das ist eine seltsame, fast lächerlich klingende Bezeichnung, ich weiß. Aber sie trifft den Tatbestand am ehesten.« Er legte eine kurze Sprechpause ein.

»Sie ist jetzt wieder ganz friedlich. Ich habe nur gering dosiert ...«

Dr. Brenda Galley nickte abwesend. Die Gedanken bildeten ein einziges Karussell in ihrem Kopf. Alles drehte sich, und sie musste daran denken, was geschehen würde, wenn VC 98 in falsche Hände geriet.

»Vernichten Sie den Stoff, die Aufzeichnungen, Professor! So etwas können und dürfen Sie niemand weitergeben ... Harmlose, ahnungslose Menschen können zu reißenden Bestien werden.«

Coleman wollte etwas darauf erwidern, als er im Ansatz des Sprechens innehielt.

»Psst, Galley ... da ist doch etwas«, entfuhr es ihm und er erschrak. Brenda Galley hielt den Atem an. Auch ihr war das Geräusch nicht entgangen. Draußen, wo sich die anderen Experimentierräume befanden, war jemand. Sie waren nicht mehr allein ...

1. Kapitel

»Da vorn ist es«, sagte die Frau an seiner Seite.

Larry Brent nickte kaum merklich und folgte der dunkelhaarigen Geschäftsführerin durch den langen Korridor. Alice Marchner war eine verführerisch aussehende Dame. Sie leitete dieses Haus, in dem ihr insgesamt vierzig Mädchen und Frauen unterstanden. Das Luxus-Etablissement hieß Chalakka. Das langgestreckte Gebäude, ein ehemaliger Supermarkt, der pleite gegangen war, lag am Rand der Stadt. Es war vor drei Jahren umfunktioniert worden. Alice Marchner hatte einen großen Kredit aufgenommen, aus den Lager und Verkaufshallen viele kleine Räume gemacht und dann per Zeitungsanzeigen gutaussehende Girls gesucht. Davon gab's genug.

Dann bekam das Haus seinen Namen. Und schon heute war es in der Stadt und über deren Grenzen hinaus ein Begriff. Wenn ein Fremder kam und wissen wollte, wo etwas los war, hieß es grundsätzlich:

»Im Chalakka ...«

Mädchen, die nicht nur schön waren, sondern alles mitmachten, mit denen man saunieren und baden konnte, die im Evakostüm Drinks servierten, und scheinbar immer guter Dinge waren, zeichneten das Chalakka aus. Alice Marchner hatte einen guten Riecher gehabt, als sie sich entschloss, dieses Geschäft zu eröffnen. Über Mangel an Besuchern und Interessenten konnte sie nicht klagen. Die Schönheit und das Vergnügen, das die Männer anlockte, brachte jedoch nicht nur harte Dollars, sondern war für die eine oder andere Liebesdienerin auch eine Gefahr. Die Girls der Madame Alice riskierten bei dem Job manchmal auch ihr Leben. Schließlich wusste keine vorher, mit welchem Freier sie ins Bett stieg. Manch einer kam ins Chalakka mit einer gefährlichen Veranlagung, die sich auch durch Massage und Baden und allerlei andere Spielchen nicht aus der Welt schaffen ließ. Es handelte sich um Menschen mit abnormen Neigungen, Triebtäter und Lustmörder, die glaubten, im Chalakka die richtigen Opfer zu finden. Alice Marchner zeigte jedoch auch hier, dass sie ihr Geschäft klug zu führen verstand. Es gab nur eine geringe Anzahl separater Räume, die jedoch durch Videokameras überwacht wurden. Selbst wenn ein Girl nicht mehr in der Lage sein sollte sich gegen einen eventuellen Mörder zur Wehr zu setzen und um Hilfe zu rufen, hatte die Überfallene die Chance, dass jemand rechtzeitig die Gefahr erkannte und eingriff. Im Chalakka war noch nie etwas vorgekommen.

Bis zum heutigen Abend jedenfalls nicht. Nun aber war doch etwas passiert, was Alice Marchner eigentlich hatte vermeiden wollen: Eines der Girls war tot! Es war ermordet worden, offensichtlich durch Gift. Der vermutliche Täter schien mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Spritze gearbeitet zu haben. Alice Marchner, die die Monitore selbst überwachte, konnte sich das schreckliche Geschehen in Raum Nr. 17 nicht erklären.

Diesem näherten sie sich nun. Um ihn zu erreichen, mussten sie die Region durchqueren, in der sich viele wassergefüllte Becken befanden. Sie waren durch künstliche Bäume, Büsche und blühende Sträucher voneinander abgetrennt.

Larry Brent alias X-RAY-3 hatte das Gefühl, durch einen tropischen Paradiesgarten zu wandern. Wasser plätscherte, künstliche Bäche und Wasserfälle ergossen sich in einige Becken, in anderen waren lediglich Whirlpools. Alice Marchner und Larry Brent kamen an einem Becken vorüber, in dem sich ein kräftiger Mann mit drei Mädchen tummelte. Das Wasser dampfte, der Mann schwitzte, und die flinken, nackten Girls entzogen sich immer wieder geschickt seinen Zugriffen und tauchten unter. Der Badende jauchzte, wenn er glaubte, endlich eine von seinen Gespielinnen erwischt zu haben. Und er freute sich nicht minder, wenn diese sich im letzten Augenblick wieder seiner Hand entzog. Das Spiel schien ihm bisher jedenfalls großen Spaß zu bereiten. Alice Marchner, nur mit einem Bikini bekleidet und darüber ein hauchdünnes Negligé tragend, öffnete die Tür mit der Nummer 17. Dahinter lag ein luxuriös eingerichteter Raum. Auf einem breiten Bett, das mit durchscheinenden Vorhängen wie ein Himmelbett geschlossen werden konnte, lag eines von Madame Marchners Girls. Alice Marchners Miene versteinerte, als sie Larry in den Raum ließ.

»Das ist Manuela, Sergeant ...« Sie redete ihn mit Sergeant an, da sie glaubte, er käme von der Mordkommission. So war es ihr auch telefonisch mitgeteilt worden. Was jedoch gelaufen war, und wie es kam, dass sich bereits ein PSA-Agent mit dem Fall beschäftigte, wusste die Besitzerin des Chalakka nicht. Durch einen Nachrichtenmann der PSA war die ganze Sache praktisch ins Rollen gekommen. Der Nachrichtenagent war der Überzeugung, dass der berüchtigte Dr. Satanas, der Unheimliche mit den tausend Gesichtern, in dieser Stadt aufgetaucht war. Dr. Satanas wurde nach wie vor wie die obligate Stecknadel im Heuhaufen gesucht. Die Tatsache, dass er sein Äußeres ständig wechseln konnte, machte es so schwer, seiner habhaft zu werden. Er wechselte nicht nur sein Aussehen auf recht makabre Weise, sondern auch die Orte seiner Auftritte. Entfernungen spielten bei ihm keine Rolle. Er konnte heute irgendwo in Frankreich auftauchen, morgen entdeckte man vielleicht eine Spur, die nach Singapur führte. Dr. Satanas, der Menschenfeind, verachtete das Leben und stand mit dem Herrn der Hölle in Verbindung. Seine Fähigkeit, die Gestalt zu wechseln, ging nur durch ein dämonisches Ritual. Er benötigte von einem anderen Menschen ein Stück Haut, um dessen Aussehen und Wesen voll zu übernehmen. Seine Opfer ließ er grundsätzlich spurlos verschwinden, meistens auf die Weise, dass er die Leichen den Flammen übergab oder sie in einem Säurebad auflöste. Hier im Chalakka hatte er aber zum ersten Mal anders gehandelt und, wenn die Beobachtung des Nachrichtenmannes stimmte, sein Opfer zurückgelassen. Absichtlich? Oder hatte er keine Gelegenheit gehabt, es verschwinden zu lassen? Wenn Absicht dahinter steckte, dann bedeutete dies, dass er damit etwas bezweckte. Er wollte die PSA auf sich aufmerksam machen. Sie und jene Menschen zu vernichten, die sich dafür einsetzten, war sein oberstes Ziel.

Manuela war eine Mestizin und stammt aus einer kleinen Stadt im Herzen Mexikos. Sie war vor wenigen Monaten nach Salem im Staate Oregon gekommen, wo das Chalakka Animier- und Vergnügungsmädchen suchte. Die rassige Schönheit mit einer Haut, die an Sahnekaffee erinnerte, hatte bald einen festen Kundenstamm und war begehrt.

Einen Mord auf dem Friedhof von Salem hatte die örtliche Polizei mit den herkömmlichen Mitteln bearbeitet. Durch die Routinemeldungen, die die Hauptcomputer der PSA bearbeiteten und archivierten, war der Verdacht aufgekommen, dass Dr. Satanas wieder von sich reden machte. Bei der Untersuchung der Leiche entdeckte der Gerichtsmediziner, dass an der linken Wade ein winziges Hautstück fehlte. Niemand konnte sich den Grund erklären. Bei der PSA aber löste dieser Hinweis Alarm aus. Dr. Satanas benötigte für Verwandlungen ein Stück Haut seiner Opfer. Sämtliche Nachrichtenagenten der Region wurden alarmiert. Einer wurde im Chalakka fündig. Dort verkehrte bei Manuela in regelmäßigen Abständen ein Mann, auf den die Beschreibung des Toten passte. Der Mann konnte mehrfach fotografiert werden, und die Bilder gingen zur Auswertung an die PSA. Die Überprüfung ergab, es konnte nur Satanas sein, der sich im Chalakka aufhielt. Der Plan, ihn abzufangen, festzunehmen und endlich seine teuflischen Machenschaften zu unterbinden, war fix und fertig.

Aber er konnte nicht mehr ausgeführt werden ...

Satanas war wieder mal schneller! Er tötete Manuela, und der PSA-Nachrichtenagent entdeckte die Leiche des Girls. Die Besitzerin des Chalakka rief die Polizei an. Diese wiederum informierte umgehend die PSA, die bereits die Verantwortung für die geplanten Aktivitäten übernommen hatte.

Larry Brent befand sich schon in der Nähe. Aber auch er erhielt nur noch die Todesnachricht. Nun blieb ihm die traurige Pflicht, sich das Opfer anzusehen und einen neuen Weg zu finden, um Satanas zu greifen.

Manuela lag da, als ob sie schliefe. Ihr Gesicht war ebenmäßig, ihre Lippen rot und sinnlich. Die langen Augenwimpern schimmerten wie Seide. Manuela war mit einem weißen Laken zugedeckt. Darunter war sie nackt. Es gab keinen Hinweis auf Gewaltanwendung. Das Chalakka-Girl war nicht erdolcht, nicht erwürgt und nicht erschossen worden. Alice Marchner vermutete den Einsatz von Gift. Auf den ersten Blick ließ sich jedoch auch diese Überlegung nicht erhärten. Manuelas Gesicht war ruhig, nicht verzerrt. Es hatte keinen Todeskampf gegeben. Viele X-RAY-3 bekannten Gifte hinterließen Hautveränderungen. Auch sie gab es nicht. Dr. Satanas war Meister der Hypnose und konnte seinen Opfern seinen Willen aufzwingen. Am linken Bein der Toten gab es eine winzige, blutunterlaufene Stelle. Sie sah aus, als hätte Manuela sich dort die Haut aufgeschabt. Das Mal des Dr. Satanas! Er hatte ein Stück Haut entnommen ...

An dieser Stelle knüpfte Larry Brent an.

»Manuela wurde vor zwei Stunden tot in ihrem Zimmer aufgefunden, Miss Marchner«, sagte er und zog wieder das Laken über die Leiche. Er richtete seinen Blick auf die Besitzerin des Luxus-Etablissements.

»Können Sie mir genau erklären, wie Sie bemerkt haben, dass etwas nicht stimmt?«

»Natürlich, Sergeant ... Ich saß in meinem Büro und warf hin und wieder einen Blick auf die Monitore, die mir zeigen, was in den Einzelzimmern vorgeht. Manuela stand unter der Dusche. Ihr Besucher lag ausgestreckt auf dem Bett und sah ihr dabei zu. Ich habe dann für etwa fünfzehn Minuten lang mein Büro verlassen ...«

»Gab's dafür einen besonderen Grund?«

»Ja, ein Gast machte Schwierigkeiten. Er hatte zu viel getrunken und war mit einem der Mädchen in Streit geraten. Ich konnte das schnell wieder schlichten. Bei meiner Rückkehr ins Büro sah ich Manuela und ihren Gast Arm in Arm auf dem Bett. Sie schienen zu schlafen. Das Licht war gedämpft, es brannte nur noch eine kleine Tischlampe. Nach einer Stunde war die Szene noch immer unverändert. Da kam ein anderer Kunde und wollte Manuela sprechen ...« Damit war der PSA-Nachrichtenagent gemeint. Alice Marchner fuhr fort.

»Wieder verließ ich kurz das Büro, um den Mann mit einem anderen Mädchen bekannt zu machen. Er wollte jedoch unbedingt zu Manuela und ließ mich wissen, dass er von der Polizei wäre. Er wies sich aus und behauptete, Manuela befände sich in tödlicher Gefahr ... Das wollte ich erst nicht glauben. Ich zeigte ihm den Monitor. Dort hatte sich in der Zwischenzeit tatsächlich etwas verändert. Manuela befand sich allein in ihrem Zimmer.

Von dem Fremden war weit und breit nichts mehr zu sehen. Das Unheimliche daran ist, dass er ungesehen verschwand. Es gibt keinen Hinterausgang, keine Seitentür ... Manuelas Freier hätte uns also begegnen müssen.«

Larry nickte beiläufig, aber er dachte etwas anderes: Wenn Dr. Satanas dahinter steckte, dann sah die Sache schon ganz anders aus. Zu einem Zeitpunkt, als Alice Marchner noch glaubte, dass sich ein Paar in Zimmer Nr. 17 aufhalte, konnte Satanas schon längst das Chalakka verlassen haben. Mit seiner teuflischen, hypnotischen Kraft hatte er Alice Marchner getäuscht und ihr eine Szene vorgegaukelt, die schon längst nicht mehr Wirklichkeit war. Dafür sprach auch das Untersuchungsergebnis des sofort herbeigerufenen Arztes. Er attestierte, dass Manuela zum Zeitpunkt ihres Auffindens bereits seit zwei Stunden tot war. Die Leiche fing an, bereits auszukühlen. Dass sie noch immer hier lag, hing damit zusammen, dass sich der alarmierte Larry Brent vom Ort des Geschehens und der Toten einen persönlichen Eindruck verschaffen wollte.

X-RAY-3 wechselte noch einige Worte mit Alice Marchner und stellte Fragen, deren Beantwortung ihm am Herzen lag. So erfuhr er unter anderem, dass die ersten Besuche des Unbekannten vor etwa fünf Wochen begannen. Keiner kannte seinen Namen, keiner seine Herkunft. Larry sprach in dieser Nacht, es ging auf zwölf Uhr zu, noch mit allen anderen anwesenden Girls des Chalakka. Offiziell war Manuela bereits seit sieben Uhr heute Abend tot. Er aber wollte wissen, ob die Mexikanerin danach noch mal gesehen worden war. Er erntete auf diese Frage viel Erstaunen, Verwunderung und stieß verständlicherweise auf Unwillen und Ratlosigkeit.

»Wollen Sie sich über uns lustig machen, Sergeant?«, wurde er mehr als einmal gefragt.

»Glauben Sie denn, dass Manuela hier noch ... als Geist herumgespukt ist?«

»Ja«, sagte X-RAY-3 da.

»Solche Dinge gibt es manchmal.« Aber in Wirklichkeit dachte er dabei an etwas anderes. Wenn Satanas sich Haut von Manuela besorgte, bedeutete dies nur eins – er wollte mit dem Aussehen der Mexikanerin herumlaufen. So hätte er auch ohne aufzufallen das Chalakka verlassen können. Doch offenbar war dem nicht so. Larrys Hirn arbeitete mit der Präzision eines Computers und versuchte Licht in die Dunkelheit dieses mysteriösen Falles zu bringen. Es gab zu viele Widersprüche und Unwägbarkeiten. Satanas hatte sich klammheimlich aus dem Staub gemacht und eine Leiche zurückgelassen, von der er wissen musste, dass durch das typische Merkmal die PSA umgehend auf den Plan gerufen würde. War das seine Absicht? Errichtete er hier eine Falle, von der man nur noch nicht wusste, wie sie funktionierte?

Eine andere Frage, auf die er keine Antwort fand, beschäftigte ihn unablässig. Gab es einen anderen Grund, weshalb Satanas ausgerechnet Manuela als sein Opfer wählte? Oder war es purer Zufall? Larry Brent wusste, dass mit der Beantwortung dieser Frage sein ganzer Einsatzplan stand oder fiel. Bei einer bewussten Auswahl Manuelas führte Satanas etwas Bestimmtes im Schilde. Hatte er sie schon früher gekannt und hier wieder aufgesucht? Gab es noch mehr Verbindungen zwischen Manuela und ihrem Mörder? Er musste so viel wie möglich, und das auf dem schnellsten Weg, über die Mexikanerin erfahren. Wer war sie wirklich? Wo kam sie her? Wer waren ihre Freunde? Gab es in ihrem Leben oder in dem ihrer Familie etwas Außergewöhnliches? Er begab sich in Alice Marchners Zimmer und rief von dort aus die PSA an. Diesmal benutzte er nicht den Sender seines Ringes. Die Chefin des Etablissements, die ihn allein ließ, sollte meinen, dass er mit dem Revier sprach. Larry informierte seinen geheimnisvollen Chef über seine Erkenntnisse und forderte gleichzeitig einen Leichenwagen an. Die Tote musste noch in dieser Nacht aus dem Haus. X-RAY-1, von dem niemand wusste, wer er wirklich war und dessen Name niemand kannte, traf aufgrund der neuen Informationen sofort eine Entscheidung.

»Das Chalakka scheint es unserem bösen Widersacher angetan zu haben X-RAY-3«, sagte X-RAY-1 am anderen Ende der Strippe.

»Vielleicht sollten wir das Etablissement ein wenig im Auge behalten.«

»In Ordnung, Sir. Dann bleibe ich gleich am Ball. Von Madame Alice habe ich bereits eine Einladung zu einem heißen Bad erhalten. Rose und Jennifer sollten mir nach der anstrengenden Arbeit hier mit einem Gratisbad die nächste Stunde versüßen ... Das konnte ich natürlich nicht abschlagen, Sir.«

»So, X-RAY-3, habe ich mir Ihren Einsatz allerdings nicht vorgestellt. Dennoch können Sie Ihren verdienten Feierabend nehmen. Ich muss Sie jedoch darauf aufmerksam machen, dass ich die Absicht habe, Miss Ulbrandson alias X-GIRL-C ins Chalakka zu schicken. Sie soll dort ein paar Tage bleiben. Vielleicht taucht Dr. Satanas nochmal auf, vielleicht befindet er sich längst auch schon dort, ohne dass es jemand weiß, und die Ermordung der Mexikanerin ist nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver, das einen unschuldigen, bedauernswerten Menschen das Leben gekostet hat. Wir brauchen dort ständig jemand, X-RAY-3. Und ich kann nicht zulassen, dass Madame Alice Ihnen dauernd Gratisbäder gibt. Da steigen die Geschäftsunkosten in die Höhe. Nehmen Sie Ihr Bad, X-RAY-3 ... In etwa eineinhalb Stunden wird Morna Ulbrandson im Chalakka eintreffen. Halten Sie Ihre Uhr gut im Auge, damit's nicht zu einer unliebsamen Eifersuchtsszene im Etablissement kommt.«

»Wer sagt Ihnen, Sir, dass es dazu kommen muss? Ich werde auf Morna Ulbrandsons Ankunft warten und mir von Madame Alice ein Becken reservieren lassen. Ich übernehme es, X-GIRL-C in ihre neue Aufgabe – selbstverständlich mit größtem Feingefühl – einzuweisen.«

Er hatte den Hörer kaum aufgelegt, als Madame Alice anklopfte und ihm mitteilte, dass der Leichenwagen vor dem Haus stände. Larry überwachte den Abtransport der Toten, die in einem Zinksarg weggebracht wurde. Die Nacht war frisch, und am Himmel zogen massige Wolkenberge dahin. Hinter einer vorüberziehenden Wolke tauchte kurz der Mond auf. Er war fast voll. Nur noch ein winziger Streifen fehlte, um die Scheibe zu vollenden. Eine Nacht noch, dann war Vollmond.

X-RAY-3 sah, wie der Sarg in den Wagen geschoben und dann die Tür geschlossen wurde. Das Auto fuhr wenig später mit dem grauen, schmucklosen Zinksarg in seinem Laderaum los. Dort hinten befand sich niemand, der gehört hätte, dass sich in dem Sarg etwas rührte. Und doch war es so! Ein langgezogenes Seufzen war zu vernehmen ...

Dr. Brenda Galley und Professor Coleman sahen sich nur kurz an. Coleman wirkte erschrocken.

»Die Eingangstür war doch nach dem Weggehen des letzten Mitarbeiters abgeschlossen, nicht wahr?«

Versuchte ein Dieb ins Labor einzudringen? Es wäre nicht der erste Versuch. Mancher drogenabhängige Zeitgenosse war der Meinung, sich hier im Labor mit entsprechendem Stoff versorgen zu können. Das war ein gewaltiger Irrtum. Rauschmittel kamen hier nicht zur Anwendung. Der Professor und seine Mitarbeiterin eilten durch den Korridor zur Eingangstür.

Von innen war der Riegel vorgelegt. Außerdem steckte der Schlüssel. Neben der Tür befand sich eine Plastikleiste mit mehreren Schaltern. Coleman drückte sie. Das freie Gelände und die Zufahrt vor dem Gebäude wurden durch Zusatzscheinwerfer, die normalerweise nur bei Auslösen der Alarmanlage ansprangen, ausgeleuchtet.

»Hallo?«, rief Coleman durch die verschlossene Tür.

»Ist da jemand?« Die beiden Menschen lauschten.