Larry Brent Classic 053: Meeresdämonen - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 053: Meeresdämonen E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Geheimexperiment Todessporen In Seoul findet ein Wissenschaftskongress statt. Professor Amos Boaring ist hier mit Dr. Frank Haily verabredet, doch der Engländer erscheint nicht. Der amerikanische Wissenschaftler lässt das Zimmer im Korean-Hotel öffnen und findet Dr. Haily tot vor. Der Körper ist ausgehöhlt und vertrocknet. Zwischen den Schulterblättern sitzt in einem klaffenden Loch ein grinsender Totenschädel. Die PSA schickt Larry Brent und Iwan Kunaritschew zu einer Forschungsstation in Desert Valley. Hier sollen die Agenten Professor Boaring befragen, doch auch dieser Wissenschaftler stirbt eines mysteriösen Todes. Scheinbar werden in der Forschungsstation geheime Experimente durchgeführt. Aber was hat ein zehnjähriges Mädchen damit zu tun, das behauptet ihr Teddybär könnte sprechen? Bald befinden sich Larry und Iwan in einem Studel unheimlicher Ereignisse. Die Gefahr des Geheimexperiments ist weitaus größer, als sie zunächst vermuten. Urzeitdämonen greifen an Junge Frauen verschwinden aus den Straßen Tokios. Keiner weiß, dass sie Rakkat, dem Urzeitdämon, als Opfer dargebracht werden. Denn vor zwanzig Jahren trieb ein Erdstoss die Vulkaninsel Naigasir an die Oberfläche. Doch das kleine Eiland barg neben dem schlafenden Urzeitmonster noch mehr Geheimnisse. Der ermittelnde Kommissar Eitura Keimatse bittet die PSA um Hilfe. Larry Brent kommt nach Japan um Keimatse zu unterstützen. Doch schon am Flughafen wird ein Attentat auf Keimatse verübt. Larry Brent heftet sich an die Fersen der Attentäter und rutscht in ein bizarres Abenteuer, das mit dem mysteriösen Urkontinent Mu verknüpft ist.

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 53

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-853-2

Dan Shockers Larry Brent Band 53

MEERESDÄMONEN

Mystery-Thriller

Geheimexperiment Todessporen

von

Dan Shocker

Prolog

Der Mann in der Hotelhalle warf einen Blick auf seine Armbanduhr und wirkte nervös.

»Versteh ich nicht«, sagte er dann kopfschüttelnd.

»Er ist doch sonst die Pünktlichkeit in Person. Wenn Hailey etwas nicht leiden kann, ist es Unpünktlichkeit.« Der Sprecher war Mitte Fünfzig, hatte graumeliertes Haar und trug einen maßgeschneiderten dunklen Anzug mit einer dezent gepunkteten Pierre-Cardin-Krawatte. Professor Amos Boaring hielt sich seit einer Woche in Seoul auf. Seine Anwesenheit in Südkorea war teils privater, teils geschäftlicher Natur. In Seoul fand im Korean-Hotel, einem der ersten Häuser am Platz, ein Kongress statt, an dem Wissenschaftler und Forscher aus vierzig Ländern der Erde teilnahmen. In Vorträgen und Diskussionen ging es darum, die Erträge in der Dritten Welt zu verbessern, den Hunger zurückzudrängen, Wüsten urbar zu machen und allgemein für eine bessere Lebensqualität zu sorgen. Professor Boaring arbeitete in seinen Untersuchungen daran, die passende Welt von morgen zu schaffen. Und Dr. Frank Hailey, der aus London stammende Fachmann, hatte einige Gedanken geäußert, die Boaring imponierten. Die Konferenz war am Tag zuvor zu Ende gegangen, die meisten Teilnehmer waren schon abgereist. Boarings Maschine würde am späten Nachmittag Seoul verlassen. Bis dahin blieb noch ausreichend Zeit zu einer Begegnung mit Frank Hailey.

Aber der Mann kam nicht ...

Eine Viertelstunde nach der vereinbarten Zeit wurde Boaring ungehalten.

»Rufen Sie doch bitte mal in seinem Zimmer an«, forderte er den Concierge auf.

»Nummer 328.« Der Hotelangestellte erledigte den Auftrag sofort. Er ließ es ununterbrochen läuten.

»Tut mir leid, Sir«, sagte er dann mit bedauerndem Achselzucken, »aber da hebt niemand ab.«

»Aber – Dr. Hailey ist doch noch nicht abgereist, nicht wahr?«

»Nein, Sir. Er hat die Schlüssel noch nicht abgegeben.«

»Haben Sie ihn heute Morgen schon gesehen?«, hakte Boaring nach und wirkte plötzlich besorgt.

»Nein, Sir.«

»Da stimmt doch etwas nicht«, sagte der amerikanische Wissenschaftler abwesend.

»Vielleicht ist ihm schlecht geworden, und er kann nicht aufstehen. Er braucht vielleicht Hilfe ...«

»Einen Moment, Sir.« Der Koreaner hinter der Rezeption griff zum Telefon und wählte eine Nummer. Er setzte sich mit der Geschäftsführung in Verbindung. Fünf Minuten später tauchte ein junger Mann auf, der sich als Mister Kim vorstellte und den Universalschlüssel mitgebracht hatte. Kim war stellvertretender Geschäftsführer, korrekt gekleidet und überaus höflich.

»Sie machen sich Sorgen um Ihren Bekannten, Sir?« Der Koreaner sprach leise und ein akzentfreies Englisch.

»War Dr. Hailey krank, dass Sie diese Befürchtung hegen?«

»Nein, nicht dass ich wüsste. Aber auch bei kerngesunden Menschen kann es plötzlich zu einer unerwarteten Störung kommen. Muss im Fall Hailey nicht zutreffen, Mister Kim. Aber ich habe keine Erklärung für sein Fernbleiben ...«

Boaring folgte dem Koreaner, der ihm nur bis zur Schulter reichte, in den luxuriös mit Goldornamenten ausgestatteten Aufzug. Haileys Zimmer lag in der dritten Etage des insgesamt neunstöckigen Gebäudes. Dicke Teppiche auf dem Boden schluckten die Schritte der beiden Männer. Das ganze Haus war still und von angenehmer Atmosphäre. Zimmer 328 lag etwa in der Mitte des langen Korridors. Kim klopfte an. Niemand reagierte. Er drückte die Klinke, doch das Zimmer war von innen abgeschlossen.

»Hallo, Dr. Hailey? Können Sie mich hören, können Sie Antwort geben?« Kim blieb noch immer sachlich, aber Boaring war überzeugt davon, dass der Mann sich nur äußerlich so gab.

»Da stimmt etwas nicht, da ist etwas passiert!«, stieß der amerikanische Wissenschaftler beunruhigt hervor.

»Ich habe die ganze Zeit über schon ein so merkwürdiges Gefühl ... Öffnen Sie die Tür, schnell ...«, bedrängte er den stellvertretenden Geschäftsführer. Der Mann benutzte den Universalschlüssel und öffnete. Vorsichtig drückte er die Tür auf. Von der Schwelle aus konnten die beiden Männer direkt auf das breite Bett sehen. Es war benutzt, und es lag jemand reglos darin.

»Hailey!« Amos Boaring schluckte.

»Oh mein Gott ...«

An der Seite des Koreaners eilte er in den großen, bequem eingerichteten Raum. Haileys Kleider hingen korrekt an einem stummen Diener neben dem Bett in einer Wandnische. Der Engländer trug noch den Pyjama, war zugedeckt bis zu den Hüften und lag auf dem Rücken. Sein Mund war halb geöffnet, die Augen blickten starr zur Decke. Da Hailey sich nicht regte, als die Männer sein Zimmer betraten, kam diesen sofort der Verdacht, dass der Wissenschaftler tot wäre. Noch ehe sie am Bett standen, ließ der Koreaner schnell seinen Blick in die Runde schweifen. Die Fenster waren geschlossen. Das Zimmer war nicht durchwühlt. Auf den ersten Blick schied ein Überfall und damit ein Verbrechen aus. Demnach war Hailey auf natürliche Weise gestorben. Offenbar durch Herzversagen. Der Tod schien ihn im Schlaf überrascht zu haben. Kim berührte flüchtig die rechte Hand des Engländers. Sie fühlte sich kalt an. Frank Hailey war schon einige Stunden tot.

Amos Boaring stand da wie vom Donner gerührt.

»Ich kann es nicht fassen ...« Er starrte den englischen Kollegen an.

»Ich war noch letzte Nacht mit ihm zusammen.« Benommen und scheinbar gedankenlos legte er die Hand auf die rechte Schulter des Toten.

»Fassen Sie nichts an, verändern Sie bitte nichts«, sagte Kim mit belegter Stimme. Er war blass geworden, und man sah ihm an, dass ihm der Vorfall äußerst unangenehm war.

»Bitte, sprechen Sie mit niemand darüber und ...«

Seine Augen verengten sich, als er sah, wie die Schulter unter dem Druck von Professor Boarings Hand einsackte, durchbrach wie hauchdünnes, morsches Pergament – und der Stoff des Pyjamas in das entstehende Loch gedrückt wurde ...

Kim fuhr zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Mit einem leisen Aufschrei des Entsetzens wich er zurück und konnte seinen Blick nicht von der reglos liegenden Leiche mit der eingesackten Schulter und dem Professor wenden, der nicht minder erschrocken war als er. Boaring zuckte zurück. Dabei riss er seine Hand so heftig herum, dass noch mal Druck auf die Schulter ausgeübt wurde. Das Ergebnis war alarmierend.

Von dieser einzigen kurzen, aber heftigen Abwehrreaktion wurde der Körper des Toten herumgerissen, als hätte ein Pferdehuf ihn getroffen. Frank Hailey flog zur Seite, als würde sein Körper von der Mitte abgeknickt. Er kam auf der Seite zu liegen. Und da war's dann zu sehen. Es gab doch eine äußere Verletzung. Und was für eine! Der Rücken der Pyjamajacke war völlig aufgerissen, die Haut schien durch. Es könnte in Frank Haileys Körper, genau zwischen den Schultern, eine Bombe explodiert sein. Der Körper des Mannes war an dieser Stelle geöffnet. Ein großes, rundes Loch klaffte in seinem Rücken. Dort hockte ein grinsender Totenschädel ...

1. Kapitel

Den ganzen Abend über hatte reger Betrieb in Geoffrey's Meeting-Point geherrscht. Die Wirtschaft befand sich hinter einer Tankstelle hundert Meilen von der nächsten Ortschaft entfernt, auf der Strecke zwischen Denio und Winnemuca. Viele Reisende machten hier gern Rast, vor allem Trucker, die wussten, dass es bei Geoffrey etwas Vernünftiges zu essen gab. Nichts aus Konservendosen, sondern echte Hausmannskost. Außerdem stand fest, dass im Umkreis von dreihundert Meilen keiner so zarte T-Bone-Steaks briet wie Geoffrey. Auch der Mann, der verhältnismäßig spät mit einem knallroten Lotus Europa auf den Parkplatz vor das Gasthaus rollte, schien von den hervorragenden Gerichten gehört zu haben. Der Mann am Steuer brachte den Lotus wenige Schritte neben dem Eingang zum Stehen.

»Okay, Brüderchen«, sagte der Blonde zu seinem Beifahrer.

»Wir sind da. Während ich volltanke, kannst du schon mal die Speisekarte studieren und die Bestellung vornehmen. Ich schließe mich deiner Auswahl an.«

Der Angesprochene blickte gespannt durch die Frontscheibe.

»Hoffentlich gibt's überhaupt noch etwas, Towarischtsch«, antwortete er. Seine markige, dunkle Stimme erfüllte das Wageninnere.

»Die ganzen Trucker sind schon weg. Wenn sie das Kühlhaus leergefuttert haben, müssen wir uns mit 'nem Eintopf zufrieden geben.« Der Sprecher – Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7 – machte bei diesen Worten ein bedenkliches Gesicht und kraulte seinen feuerroten dichten Vollbart.

»Wir hätten früher aufbrechen sollen.«

»Ich nehme an, dass deine Befürchtungen umsonst sind, Brüderchen«, entgegnete der Blonde an seiner Seite. Wie Kunaritschew trug auch er einen ungewöhnlichen Ring, der die Form einer Weltkugel hatte. Durch die Kontinente schimmerte stilisiert das Gesicht eines Menschen, und in der Fassung, in der die Kugel ruhte, waren folgende Worte eingraviert: Im Dienst der Menschheit, X-RAY-3. Dieser Mann war Larry Brent, Erfolgsagent der PSA. Brent war auf Anhieb sympathisch und wirkte ruhig und gelassen. Niemand sah ihm die Gefährlichkeit an, die von ihm ausgehen konnte, wenn er einen unheimlichen Gegner zur Strecke bringen musste.

»Als ich aufs Gelände fuhr, habe ich gesehen, dass hinter der Wirtschaft noch ein weiteres Gebäude steht. Die Fenster sind klein und vergittert. Das Kühlhaus ist also groß genug.«

»Lassen wir uns überraschen.« Iwan Kunaritschew stieg aus und betrat das Lokal, während Larry Brent vom Parkplatz rollte und zur weiter an der Straße liegenden Tankstelle vorfuhr, wo im Kassen- und Verkaufsraum eine Frau und ein etwa zehnjähriges Mädchen sich aufhielten. Die Frau blätterte in einem Magazin, das Kind spielte mit einem Teddybär, der fast so groß war wie es selbst. Als Larry an die Zapfsäule fuhr, kam von der anderen Seite der Zufahrt ein schwarzer Pontiac. In dem Auto saßen zwei dunkel gekleidete Männer.

Iwan Kunaritschew steuerte indessen einen leeren Tisch direkt am Fenster an. Tief hängende kleine Lampen im Tiffany-Stil spendeten angenehmes, warmes Licht. Das Restaurant war leer bis auf ein Ehepaar, das in der hintersten Ecke saß, Cola trank und Teller mit Riesensteaks vor sich stehen hatte. Iwans Augen begannen zu leuchten. Der Wirt kam auf ihn zu und fragte nach seinen Wünschen.

»Wenn Sie noch zwei von der Sorte haben, können Sie die schon mal in die Pfanne legen, Towarischtsch. Das heißt, drei wären eigentlich besser.«

»Für Sie – allein?«, staunte der Mann in dem karierten Hemd und der roten Schürze.

»Ein Steak wiegt ein Kilo.«

»So gefräßig bin ich natürlich nicht«, schwächte der Russe mit unbeweglicher Miene ab.

»Mir reichen natürlich zwei. Aber ich hab noch 'nen Freund dabei. Er tankt gerade. Und dann will er natürlich auch was essen ... Für ihn ist das dritte, Towarischtsch ...«

Die Frau füllte den Tank randvoll. Da es nur eine Zapfstelle für Super-Treibstoff gab, fuhr Larry seinen Lotus auf die Seite, ehe er in das Häuschen ging, um seine Rechnung zu begleichen. Die Frau des Tankstellen-Inhabers wirkte frisch und natürlich und unterhielt sich angeregt mit Larry Brent. Sie hatte am polizeilichen Kennzeichen gesehen, dass der Lotus in New York zugelassen war, und machte aus ihrer Bewunderung für dieses Fahrzeug keinen Hehl.

»Ein toller Schlitten. So etwas sieht man nicht alle Tage ... ich versteh was von Autos. Ehe ich Geoffrey heiratete, habe ich selbst Rennen gefahren. Heiße Öfen, kann ich Ihnen sagen. Die Motoren waren natürlich frisiert.« Die Art, wie sie redete, passte zu ihrem Äußeren, eine couragierte Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand und zupackte, wo's nötig war. Das Mädchen saß vor dem Tisch, auf dem die Kasse stand, und war ganz in sein Spiel vertieft. Es plapperte mit seinem Teddy, der aussah, als hätte ihn jemand irgendwann mal aus dem Müll gezogen. Der Plüsch war schmutzig, an Händen und Füßen waren Flicken aufgesetzt, damit die Strohfüllung nicht herausquoll. Ein Glasauge fehlte.

»Mit dem Burschen muss sie wohl täglich spielen«, meinte Larry und lächelte versonnen.

»Ich erinnere mich an meine Kindheit. Da hatte ich auch so ein Ungetüm von Teddybär, von dem ich mich nicht trennen konnte. Aber das ist der ramponierteste Bursche, der mir je zu Gesicht gekommen ist.«

Die Frau seufzte.

»Das glaub ich Ihnen gern, Mister. Mir ergeht's ebenso. Das Tollste dabei ist, dass Jennifer ihn noch gar nicht so lange hat.«

»Er sieht aus, als hätte er ihre Kindheit gerade eben noch überstanden.«

»Sie hat ihn von einem Truckerfahrer geschenkt bekommen. Das ist etwa drei oder vier Wochen her. Aber seitdem trennt sie sich nicht mehr von ihm.«

»Ist doch klar«, ließ das blonde Mädchen mit dem Namen Jennifer sich da vernehmen.

»Es ist auch ein ganz ungewöhnlicher Bär.«

»Und was ist daran so ungewöhnlich?«, fragte Larry schnell, ehe Jennifers Mutter ihn davon abhalten konnte.

Wieder seufzte sie.

»Besser, Sie hätten nicht gefragt«, raunte sie ihm zu, während sie die Dollars einstrich und in die einzelnen Fächer verteilte. Diese Fächer waren randvoll, Geldscheine quollen förmlich unter den Spangen, die sie halten sollten, heraus. Das Geschäft war heute besonders gut gewesen.

»Die Antwort«, fuhr sie fort, »kann ich Ihnen geben. Seien Sie nicht überrascht ...«

»... schließlich«, machte Jennifer sich da bemerkbar, ohne den Blick von ihrem liebsten Spielzeug zu wenden, »kriegt man nicht jeden Tag einen Teddy geschenkt, der sprechen kann.«

Die Tankstelleninhaberin hob kaum merklich die Augenbrauen.

»Was sagt er denn so?«, ging Larry auf das kindliche Spiel ein.

»Wie ich mich verhalten soll, zum Beispiel.«

»Und du tust, was er dir sagt?«

»Ja. Sonst ist er böse.«

»Wie äußert sich das bei ihm?«

Jennifer blickte auf. Um ihre Lippen zuckte es.

»Ich weiß nicht«, entgegnete sie kleinlaut und schlug die Augen nieder, »ob ich das sagen darf.«

»Und warum hast du Scheu davor?«

»Dann macht er mir wieder Vorwürfe und beschimpft mich.« Die Welt der Erwachsenen spiegelte sich in Jennifers Spiel und Antworten wider.

»Er kann wohl sehr böse werden, wie?«, fragte Larry abschließend und legte noch einen halben Dollar auf den Tisch, um sich dafür eine Tafel Schokolade geben zu lassen, die er dem Mädchen schenken wollte. Doch dazu kam es nicht mehr ...

Auch die Frau, die die Kasse schließen und hinausgehen wollte, um die beiden neuen Kunden in dem schwarzen Pontiac zu bedienen, kam nicht mehr dazu, ihre Bewegung auszuführen.

»Lassen Sie die Kasse gleich offen, Ma'am!«, sagte da eine scharfklingende Stimme von der Tür her.

»Das erspart uns allen unnötige Arbeit. Keinerlei Bewegung! Dann gibt's keinen Ärger ...«

Larrys Kopf war schon bei den ersten Worten herumgeflogen.

X-RAY-3 starrte die Männer an, die lautlos durch die Tür getreten waren und großkalibrige Waffen auf die beiden Menschen richteten.

»Das sind keine Spielzeugkanonen«, sagte der vorderste der beiden. Ihre Gesichter waren nicht zu erkennen. Sie hatten dunkle Strumpfmasken über ihre Gesichter gezogen, die ihre Physiognomie völlig verzerrten. Die Männer hatten die Figuren von Preisboxern, waren muskulös und breitschultrig.

»Kein langes Palaver! Hebt die Hände und seid artig! Dann wird euch nichts passieren ...«

Larry hätte unter normalen Umständen sofort reagiert, trotz dieser Warnung.

Aber da waren die Frau und Jennifer. Der zweite Bewaffnete richtete die Waffe genau auf das Kind. Ein Schreck genügte, und der Bursche zog den Stecher durch.

Larry Brent gehorchte und hob langsam die Hände. Sein Gegner brauchte nur einen halben Schritt zu machen und schon stand er bei Jennifer, die ihm am Nächsten war. Er riss das Mädchen in die Höhe, das zusammenzuckte und ängstlich seinen Teddy an sich drückte.

»Tun Sie ihr nichts! Bitte!«, stieß die Mutter – weiß wie ein Leintuch – hervor.

»Nehmen Sie alles – und gehen Sie wieder ...«

Hinter der Strumpfmaske des Unbekannten, der mit schnellem Schritt um die Theke gekommen war, erklang ein leises, sich widerlich anhörendes Lachen.

»Aber genau doch, Ma'am!«, sagte er kalt.

»Deshalb sind wir ja gekommen ...«

In Larry Brent stieg es siedendheiß auf. Wenn einer so redete, ging ihm das an die Nieren. Er musste an sich halten, um nicht die Rolle, in die man ihn gezwungen hatte, zu verlassen. Jennifer war in höchster Lebensgefahr. Kalt und gefühllos ging der zweite Verbrecher vor. Er hielt dem Kind die Mündung an den Kopf. Jennifer war seine Geisel! Larry ballte unwillkürlich die Fäuste. Ihm waren die Hände gebunden. Die Mutter des Mädchens zitterte vor Angst und bat flehentlich darum, ihm nichts zu tun. Der erste Maskierte griff in die offen stehende Kasse und steckte das Geld in seine Taschen.

Dann gab er seinem Kumpan ein Zeichen.

»Bleibt hier und rührt euch nicht!«, zischte der Geldräuber.

»Das Mädchen nehmen wir mit ...«

»Jennifer!«, stieß Jane Drawder hervor.

»Aber ihr habt doch alles, was ihr wolltet. Lasst sie hier und ...«

»Quatsch keine Oper, Ma'am! Wenn ihr tut, was wir von euch verlangen, geht alles gut. Wir brauchen einen Vorsprung von zehn Minuten ... Bis dahin wird keine Polizei verständigt und nicht zum Telefon gegriffen! Haben wir uns verstanden?«

Die Frau nickte, und Tränen rollten über ihre Wangen. Der zweite Gangster schleifte Jennifer hinaus. Er wollte ihr den Teddy aus den Händen schlagen, aber das Mädchen hielt ihn verzweifelt an sich gepresst.

»Ich geb ihn nicht her!«, schrie es. Jennifer setzte sich zur Wehr und riss sich blitzschnell los, ungeachtet der Tatsache, dass der Gangster sie mit der Waffe bedrohte. Da verlor der Verbrecher die Nerven. Er drückte ab. Aus der Mündung zuckte eine Feuerzunge, und heißes Blei bohrte sich in den Kopf des Teddys. Jennifer schrie wie von Sinnen auf, streckte ihre kleinen Arme aus, hielt den schmutzigen, vergammelten Teddybären von sich und presste ihn dann wieder an ihren Körper. Der in Nervosität abgefeuerte Schuss brachte Unruhe und Hektik in den bisher glatt und problemlos verlaufenen Coup. Die Übersicht war verloren.

Larry Brent handelte. Wie eine Rakete schoss er nach vorn. Seine Rechte schnellte Jennifer entgegen, packte sie und riss sie herum. Gleichzeitig sprang er wie ein Kung-Fu-Kämpfer in die Höhe und rammte das Bein dem Gangster gegen die Brust. Der Schütze flog nach hinten. Der andere, der das Geld an sich genommen hatte, legte auf Larry Brent an. Da zuckte ihm auch schon ein greller Blitz aus der Hand des Agenten entgegen. Wie durch Zauberei lag plötzlich der Smith & Wesson Laser in seiner Rechten. Der scharfgebündelte Lichtstrahl zeigte in dieser Stärke seine verheerende Wirkung. Der Lauf der gegnerischen, auf ihn gerichteten Waffe wurde rotglühend und weich, so dass er zusammenschmolz und schlapp wie ein Rüssel herabhing.

Dann ging's auch schon drunter und drüber. Mit einer solch undurchschaubaren Entwicklung hatten die beiden Gangster nicht gerechnet. Sie wurden vollkommen überrumpelt. Der Geldräuber ließ seine unbrauchbar gewordene Waffe mit einem dumpfen Aufschrei fallen und stand zwei Sekunden wie vom Donner gerührt da.

X-RAY-3 hatte das Überraschungsmoment voll auf seiner Seite. Der andere, der bis vor wenigen Augenblicken das Mädchen als Geisel festgehalten hatte, stellte im Moment die größte Gefahr für Larry Brent dar. X-RAY-3 durfte ihm keine Chance geben, die Waffe erneut in Aktion zu setzen. Der Geiselnehmer war irritiert, warf sich herum und schoss ungezielt in den Kassenraum, während er gleichzeitig zur Tür flüchtete, um aus dem Schussbereich von Larry Brents Waffe zu kommen. Jennifer und ihre Mutter lagen auf dem Boden hinter der Theke, waren dort im Augenblick verhältnismäßig sicher. Von der Tür her legte der wütende Flüchtling noch mal auf Larry an und drückte ab.

X-RAY-3 konnte nicht schießen, da der zweite Geldräuber genau zwischen ihm und dem Flüchtling stand. Darauf aber nahm der Mann, der die Dollars aus der Kasse entwendet hatte, keine Rücksicht. Er hoffte, Brent zu treffen, um den Gegner auszuschalten und das Ruder noch zu seinen Gunsten herumreißen zu können. Sein Kumpan, der sich in diesem Moment herumwarf, um sein Heil ebenfalls in der Flucht zu suchen, lief genau in die Kugel hinein. Er schrie auf, presste die Hand gegen die Brust und taumelte Larry Brent entgegen. Im Fallen fing X-RAY-3 den Getroffenen noch auf.

Der Schütze jagte mit Riesensätzen davon, auf sein Auto zu, das mit offenen Türen im Schatten neben der Einfahrt stand. In dem rund zweihundert Schritte entfernten Gasthaus waren die Schüsse gehört worden.

Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7 riss die Tür auf und stürzte ins Freie. Er sah, wie der schwarze Pontiac mit kreischenden Pneus an den Zapfsäulen vorbeischoss und auf die Straße jagte, wo er unbeleuchtet in nördliche Richtung davonbrauste.

Larry Brent konnte nicht gleich folgen, da er den Schwerverletzten nicht einfach fallen lassen konnte. Der Mann brauchte schnellstens ärztliche Hilfe. Vorsichtig ließ X-RAY-3 ihn zu Boden gleiten, während Kunaritschew mit weitausholenden Schritten die Entfernung zwischen Gaststätte und Tankstelle hinter sich brachte.

»Rufen Sie einen Arzt an, kümmern Sie sich um ihn«, sagte Larry schnell zu der Frau des Tankstellenbesitzers.

»Ich nehme an, Sie verstehen sich darauf Wunden zu versorgen und Blutungen zu stillen.« Die Angesprochene tauchte hinter der Theke auf und nickte abwesend. Sie starrte auf den stöhnenden Gangster, der noch immer seine Maske trug, aber nicht mehr fähig war, sich zu erheben. Unter seinen Fingern sickerte Blut hervor. Der Frau fiel es schwer, die Nummer des Arztes zu wählen und ihn umgehend herzubitten. Dieser Mann, der am Boden lag, hatte keine Rücksicht auf ihr Leben und ihre Unversehrtheit genommen. Er war ein Verbrecher, der gekommen war, um sich zu bereichern, und hatte dabei auch ihren Tod für den Fall einkalkuliert, dass nicht alles glatt ging. Die mitgebrachten und inzwischen auch eingesetzten Waffen waren der eindeutige Beweis dafür. Die Frau, die Todesängste um ihre Tochter ausgestanden hatte, ballte unwillkürlich die Fäuste, als sie um die Theke herumkam.

Larry Brent hatte den Kassenraum bereits verlassen und stürmte seinem weiter vorn parkenden Lotus entgegen. Die Frau ging vor dem Schwerverletzten in die Hocke, noch immer ohne besondere Eile und mit geballten Fäusten. Ihre Hände näherten sich dem Gesicht des Unbekannten und rissen ihm mit scharfem Ruck die Strumpfmaske herunter. Die Frau starrte in ein bleiches, schweißbedecktes Antlitz mit Augen, in denen Angst zu lesen war. Todesangst ...

Stumm musterten sich die beiden Menschen. Der Blick der Frau wanderte über den Körper des gegen die Außenwand der Theke lehnenden Verbrechers – und blieb an seinem Gürtel haften, an dem sich eine Lederscheide mit einem langen Dolch befand.

Sie kamen fast zur gleichen Zeit an dem Lotus an. Larry warf sich hinters Steuer. Noch ehe der Russe die Tür ins Schloss gezogen hatte, machte der Lotus Europa schon einen Satz nach hinten. Brent wendete und raste los. Wie eine Rakete schoss der knallrote flache Wagen aus der Ausfahrt auf die staubbedeckte Asphaltbahn, die quer durch die Wüste führte. Links und rechts der Fahrbahn breitete sich steppenartiges, flaches Land aus. Eine Hochebene, über die sich der dunkle Himmel spannte.

X-RAY-3 gab Gas und berichtete seinem Freund mit knappen Worten, was sich im Kassenraum der Tankstelle abgespielt hatte. Der Lotus schob sich vor. Auf der dunklen, schnurgeraden, in die Wüste führenden Straße brauste der schwarze Pontiac vor ihnen her. Seine Umrisse waren mehr zu ahnen denn zu sehen. Die weitreichenden Scheinwerfer des Verfolgungsfahrzeuges erfassten ihn noch nicht. Der Fliehende holte das Äußerste aus seinem fahrbaren Untersatz heraus.

Aber der PS-starke Motor unter der Haube des Lotus war zu größerer Leistung fähig. Unerbittlich und verhältnismäßig schnell holte er auf. Der Geldräuber sah den näherkommenden Wagen im Rückspiegel. Der Gangster hatte sich die Strumpfmaske vom Gesicht gerissen, um besser sehen zu können. Sein breitflächiges Gesicht und die scharfen Linien links und rechts der schmalen Lippen verliehen dem Flüchtigen einen harten Ausdruck.

»Na warte«, stieß der Gangster hervor und betätigte einen Knopf, der den elektrischen Fensterheber an seiner Seite in Bewegung setzte.

»Dass du dich an meine Fersen heftest, wird dir nicht bekommen ...«

Lautlos war die Scheibe herabgeglitten. Der Fahrer des Gangsterfahrzeuges starrte in Außen- und Rückspiegel, entsicherte dann seine Waffe und wurde langsamer. Der Lotus schoss heran. Der Verbrecher wartete noch einige Sekunden, bis er das Verfolgungsfahrzeug voll im Rückspiegel sah.

Dann hielt er seine Waffe aus dem Fenster, richtete sie auf das herannahende Auto und feuerte. Die Schüsse peitschten durch die Nacht. Eine Kugel schlug wenige Meter vor der Kühlerhaube des Lotus in den Asphalt, die zweite surrte als Querschläger über das Kühlerblech und hinterließ einen hässlichen Kratzer. Larry und Iwan zogen die Köpfe ein. Der Russe entsicherte seinen Smith & Wesson Laser.

»Ich werde seine Reifen verdampfen lassen, Towarischtsch!«, stieß er hervor.

»Oder du hast etwas anderes vor und zeigst ihm endlich, was für ein feines Gefährt das hier ist?«

»Genau das, Brüderchen, plane ich.« Larry Brent betätigte einen Knopf am Armaturenbrett und schmunzelte. Aus versteckten Düsen drang dichter, milchiger Nebel. Dieser künstliche Rauch, wie er zur Untermalung gespenstischer oder phantastischer Szenen auf der Bühne Verwendung fand, hüllte den Lotus Europa im nächsten Moment völlig ein. Der Gangster im vorausfahrenden Pontiac kniff die Augen zusammen, nahm den Lotus nicht mehr wahr und gab noch auf gut Glück zwei Schüsse ab, die jedoch keinen Schaden anrichteten. Nur fünf Sekunden nach dem Einsatz der Vernebelungsanlage betätigte X-RAY-3 einen weiteren Knopf. Am Armaturenbrett traten daraufhin Veränderungen auf. Messinstrumente, wie sie in einem Sportflugzeug üblich waren, kamen hinter freiwerdenden Klappen oder aus Versenkungen hervor. In der Nebelwand, in der sich der Lotus mit hoher Geschwindigkeit bewegte, geschah etwas Seltsames. Hinter den Kotflügeln entstand Bewegung. Metallschwingen, elastisch und vibrierend, schoben sich aus dem doppelwandigen Bodenblech, hinter dem Heck glitt eine Stange hervor, aus der sich ein Höhenruder schob. Der Lotus war ein Fahrzeug besonderer Art. Er war nicht nur als Amphibienfahrzeug zu benutzen, sondern auch als Kleinflugzeug. Die Techniker der Firma hatten ihr ganzes Können in die Konstruktion des Autos gelegt, von dem es nur diesen Prototyp gab. Er war durch die PSA finanziert worden.

Larry Brent hatte sich an den Kosten beteiligt, und so gehörte ihm praktisch das Fahrzeug, das besonders im inneramerikanischen Raum zum Einsatz kam. Während Larrys Abwesenheit wurde der Wagen auch gelegentlich von anderen Agentinnen und Agenten der PSA benutzt.

Der Lotus Europa hob langsam ab. Die Kühlerhaube stieg an. Alle vier Räder lösten sich gleichzeitig von der Straße, und wenige Sekunden später schwebte das ungewöhnliche Fluggerät schon zehn Meter über dem Boden. Höher wollte Larry gar nicht. Noch immer arbeitete die Vernebelungsanlage auf vollen Touren und hüllte den fliegenden Lotus völlig ein. Der Gangster sah die langsam schwächer werdende Nebelwand hinter seinem Fahrzeug und wunderte sich, dass er die Scheinwerfer des Verfolgers nicht mehr wahrnahm. Hatte der andere die Beleuchtung ausgeschaltet? Der Geldräuber wurde mit dem, was dann über die Bühne ging, überfordert. Er sah plötzlich Nebel vor seiner Frontscheibe und ging unwillkürlich mit dem Fuß vom Gaspedal. Der Nebel kam von oben und schränkte die Sicht ein. Der Gangster beugte sich nach vorn. Ein Stöhnen entrann seinen Lippen, als er den Schattenriss des Flugzeuges über sich wahrnahm. Das Herz des Flüchtigen schlug zwei Takte schneller. Wieso war das Verfolgerfahrzeug plötzlich verschwunden? Und – wo kam jetzt das Flugzeug her? Warum flog es so tief? Er richtete die Waffe auf die Frontscheibe und drückte ab. Die Kugel durchschlug das Glas und jagte in die Nebelfront über ihm.

Aber die Reaktion des Geldräubers kam zu spät. Das Flugzeug war nicht mehr zu sehen und schien genau über ihm zu hängen. Mit dem Knauf seiner Schusswaffe zertrümmerte der Irritierte die Frontscheibe völlig. Das in kleinste Splitter zerfallende Glas fiel auf die Kühlerhaube und ins Wageninnere. Der Gauner wollte freie Sicht und das Ziel vor sich haben. Aber er sah es nicht mehr ...

Larry Brent manövrierte so geschickt, dass der Lotus nur eineinhalb Meter über dem Dach des Pontiacs schwebte.

X-RAY-3 hatte die Geschwindigkeit der des Gangsterfahrzeuges genau angepasst und gab damit seinem Freund Iwan Kunaritschew die Gelegenheit zum Einsatz. Iwan drückte die Tür auf. Er musste seine ganze Kraft einsetzen um dies gegen den Fahrtwind zu ermöglichen. Die Tür war mit Teleskopscharnieren ausgerüstet. Auch dies war eine Besonderheit, die sich jetzt bezahlt machte. Der Fahrtwind hätte normalerweise die Tür wieder ins Schloss gedrückt.

Aber die Scharniere rasteten ein und ließen sich – wenn ein entsprechender Hebel an der Türinnenseite herabgedrückt war – nicht mehr von außen schließen, wenn von innen Gegendruck herrschte. Kunaritschew öffnete die Tür so weit wie notwendig, um aussteigen zu können. Die beiden Freunde hatten sich zu einem waghalsigen Unternehmen entschlossen. Nur zwei Männer, die sich ohne große Worte verstanden und von dem der eine wusste, wie er andere reagierte, die in Gefahren zusammengeschweißt worden waren, konnten ein Manöver, wie es jetzt über die Bühne ging, überhaupt durchführen. Iwan spürte das Dach des Pontiacs unter sich, ließ dann erst los und ging sofort in Bauchlage, um vom Fahrtwind nicht vom Wagendach geweht zu werden. Er krallte sich fest. Alles klappte wie am Schnürchen.

Larry Brent handelte wie vereinbart. Er wurde wieder schneller. Die Vernebelungsanlage war ausgeschaltet, und die letzten milchigen Schleier verwehten in der Nacht. Der Gangster saß über das Lenkrad gebeugt und starrte aus dem zertrümmerten Fenster. Er sah, wie sich die Kühlerhaube des Lotus, der seit der Flucht von der Tankstelle hinter ihm her war, über die Kühlerhaube des Pontiac hinausschob. Der Geldräuber schnappte nach Luft. Er begriff die Welt nicht mehr. Trotz der Fragen, die ihn überfluteten, vergaß er nicht, dass er noch eine Waffe hatte. Auf die verließ er sich, gleich, wie immer der Lotus auch funktionierte, was für verrückte Ideen die Konstrukteure hier verwirklicht hatten. Gepanzert würde er bestimmt nicht sein. Der Gangster streckte die Rechte aus dem zertrümmerten Fenster und zielte nach oben. Da geschah es ...

Iwan Kunaritschew schob sich mit scharfem Ruck nach vorn, und seine Finger griffen zu. Dem Gangster wurde blitzartig die Schusswaffe aus der Hand gerissen, ehe er begriff, wie ihm geschah.

X-RAY-7 verlor keine Sekunde Zeit. Die Elastizität und Schnelligkeit, mit der er seinen muskulösen Zweizentnerkörper bewegte, erregte immer wieder Bewunderung. Kunaritschew schleuderte die Waffe zur Seite und schob im nächsten Moment beide Arme und seinen Oberkörper durch die offene Scheibe.

Die Geschwindigkeit des Pontiacs war nicht mehr so hoch, weil der Fahrtwind dem Gangster am Steuer zu schaffen gemacht hatte. Der Staub von der Straße war ungehindert in den Wagen geschleudert worden, hatte das ungeschützte Gesicht des Fahrers getroffen und seine Augen zum Tränen gebracht. Die Rechnung der beiden Freunde ging auf. Iwan packte den Überraschten. Der trat voll auf die Bremse und verriss dabei das Steuer. Die nächsten zehn, fünfzehn Sekunden wurden für Kunaritschew noch mal lebensbedrohend. Der Wagen brach aus und raste quer über die Fahrbahn, dann über deren Rand auf den weichen Sand jenseits der Straße. Eine riesige Staubwolke wurde aufgewirbelt. Der Pontiac drehte sich einmal um die eigene Achse. Einen Moment sah es so aus, als würde er durch die Bodenmulde, in die er geschlittert war, umkippen.

Aber dazu kam es nicht.

Iwan Kunaritschew und der Gangster waren ineinander verkrallt. Der Russe rutschte nicht von dem Fahrzeug und konnte, als der Pontiac endlich stillstand, seinen Einsatz erfolgreich beenden. Er zerrte den völlig Verdutzten hinter dem Lenkrad hervor, über die Kühlerhaube hinweg und auf den Boden hinunter. Der Bursche war zu perplex, um sich jetzt noch zur Wehr zu setzen. Gegen seinen Widersacher kam er nicht an. Der Mann hatte Kräfte wie ein Bär und verschnürte seinen Gegner in einer halben Minute so kunstgerecht, dass er weder Arme noch Beine bewegen konnte. Dreihundert Meter entfernt setzte Larry Brent den Lotus auf, fuhr die Schwingen und das Höhenruder ein und wendete. Als er an die Stelle kam, wo die Staubwolke sich eben verzog, hatte Iwan Kunaritschew ganze Arbeit geleistet. Auf der Straße zeigten sich in der Ferne zwei Scheinwerfer und blitzendes Rotlicht. Ein Polizeifahrzeug raste heran. Es wurde langsamer, als die Insassen des Autos auf die Fahrzeuge und Männer am Straßenrand aufmerksam wurden.

Larry und Iwan konnten den Cops, die von Jane Drawder, der Frau von der Tankstelle, benachrichtigt worden waren, den Geldräuber übergeben.

»Von der Beute fehlt nichts. Er hatte noch keine Gelegenheit, einen einzigen Dollar auszugeben«, bemerkte Larry Brent.

»Aber das sollten wir jetzt tun, Towarischtsch«, ergänzte der Russe.

»In Geoffreys Meeting-Point brutzeln die Steaks. Knapp zehn Minuten sind um, Towarischtsch. Pro Steakseite rechnet man fünf Minuten, wenn das Fleisch noch so sein soll, dass es einem wirklich schmeckt. Wenn wir uns dranhalten, können wir noch mit gutem Appetit essen. Und genau das will ich jetzt tun. Auf in Geoffreys Meeting-Point! Heute Abend werden wir einen trinken, Towarischtsch. Ein riesiges Glas Bier – ich muss den Staub hinunterspülen, den ich während der Fahrt geschluckt habe.«

Jane Drawder hatte die Rachegedanken, die sie erfüllten, niedergekämpft. Sie hätte den Mann mit seinem eigenen Dolch erstechen können.

Aber sie tat es nicht. Mit schnellen Schnitten schlitzte sie ihm das völlig durchblutete Hemd auf. Die Wunde sah schlimm aus. Die Frau holte Verbandszeug aus einer Schublade und legte bis zum Eintreffen des Arztes notdürftig einen Wundverband an. Der Arzt kam aus Denio. Die Stadt lag zweihundert Meilen von der Tankstelle entfernt. Der Doc besaß ein Flugzeug, mit dem er die langen Strecken zu seinen Patienten zurücklegte. Die Polizei traf früher ein. Ein Streifenwagen in der Nähe war über Funk von dem Überfall auf die Tankstelle unterrichtet worden. Zusammen mit der Polizei kamen die beiden Fremden zurück, die geistesgegenwärtig die Verfolgung aufgenommen hatten und auch erfolgreich gewesen waren, wie sich herausstellte. Der zweite Gangster war gefasst, das Geld konnte auf den Cent genau zurückgegeben werden. Alles war wieder im Lot – bis auf das Verhalten von Jennifer Drawder ...

Das Mädchen war völlig verstört, stand offensichtlich unter einem Schock und schien den Vorfall noch nicht verkraftet zu haben. Sie war erschreckend blass und wollte den Teddy, in dessen Kopf eine Kugel steckte, nicht mehr anrühren. Aus dem Einschussloch quoll Holzwolle.

»Wir werden ihn wieder flicken, Jennifer«, tröstete Jane Drawder ihre Tochter.

»Er wird wieder genauso sein, wie er war.«

Da schluckte das Mädchen und schüttelte heftig den Kopf.

»Nein«, stieß sie tonlos hervor.

»Nein, das wird er nicht ... Er ist tot ... Er wird nie wieder so sein, wie er war. Er wird nicht mehr zu mir sprechen können.«

»Aber Jenny! Er hat noch nie zu dir gesprochen ... Das hast du doch alles nur – gespielt. Und du wirst genauso weiterspielen können ...«

»Ich habe seine Stimme gehört.« Das Mädchen atmete schnell, und Schweiß bedeckte sein weißes, rundes Gesicht.

»Nur ich allein ...«

»Das hast du dir bloß eingebildet, Jenny.«

»Nein!« Sie wich zurück, als ihre Mutter mit dem Finger in das Einschussloch bohrte, um die Kugel herauszupulen.

»Du glaubst mir nicht, weil du nicht weißt, was er mir alles gesagt und erzählt hat ...«

Wie in Trance wich sie an die Wand zurück und hatte die Augen weit aufgerissen. Ihr Atem ging stoßweise.

»Du hast es mir nie erzählt, Jenny.« Jane Drawder bemühte sich, ruhig und gefasst zu bleiben. Das war schwer. Jennifers Verhalten verwirrte und ängstigte sie. So hatte sie ihre Tochter noch nie erlebt.

»Weil es nur mich angeht!«, schrie das Mädchen seine Mutter an. Jane Drawder ging auf ihre Tochter zu. Das alles spielte sich in einem Hinterzimmer des Kassenraumes ab, der als Aufenthaltsraum wohnlich eingerichtet war. Hier warteten Jane und Jennifer Drawder die Ankunft des Arztes ab. Draußen im Kassenraum hielten sich die Polizisten und die beiden Männer auf, die den Geldräuber verfolgt hatten. Die Blutung bei dem Schussverletzten war gestillt. Der Mann hatte inzwischen ein volles Geständnis abgelegt. Es ging ihm nicht gut. Die Blutung war doch stark gewesen und hatte ihn geschwächt. Larry und Iwan, die nicht mehr gebraucht wurden, suchten das Steak-Restaurant auf. Nach dem Zwischenfall, der sie alle – auch Geoffrey, den Besitzer und Koch – aufgeschreckt hatte, war wieder Ruhe eingekehrt. Die Gangster waren festgenommen. Sorgen bereitete nur noch der Zustand der kleinen Jenny, die sich einfach nicht beruhigen ließ. Es war höchste Zeit, dass der Arzt kam und ihr eine Beruhigungsspritze gab. Wenn die Zehnjährige eingeschlafen war, kam sie von den Gedanken weg, die sie offensichtlich quälten. Und morgen früh, wenn sie dann erwachte, würde sie alles vergessen haben und vielleicht sogar daran glauben, dass alles nur ein böser Traum war ...

Aber so einfach ließ sich die Sache nicht aus der Welt schaffen. Larry und Iwan wurden auf halbem Weg zum Restaurant plötzlich durch schnelle Schritte und Jane Drawders Rufen aufgeschreckt. Die Freunde warfen ihre Köpfe herum. Jennifer Drawder rannte über den freien Platz. Ihre Haare flogen, und sie war völlig aufgelöst. Hinter ihr her jagte die Mutter und rief ihr zu, stehen zu bleiben.

Aber das Mädchen dachte nicht daran. Wie von Furien gehetzt lief es auf das Haus zu, in dem sich die Gastwirtschaft, die Wohnung der Drawders und einige Fremdenzimmer befanden. Das Haus war einstöckig und durch einen Anbau erst kürzlich erweitert worden. Jennifer Drawder schlug einen großen Bogen um die beiden Agenten. Ihr Blick war starr, als wäre sie nicht Herrin ihres eigenen Willens, und sie lachte, als würde eine Hexe kichern ...

Es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder sie war aufsässig und empfand Freude an dem eigenartigen Spiel, das sie hier inszenierte, oder sie wusste nicht, was sie tat. Das wiederum würde bedeuten, dass die Ereignisse ihren Verstand durcheinandergebracht hatten.

Jennifer riss die Tür zum Restaurant auf, in dem immer noch das Ehepaar am Tisch in der hintersten Ecke saß. Geoffrey Drawder, der nach den Schüssen kurzfristig im Kassenraum bei der Tankstelle gewesen war, hielt sich wieder in der Gastwirtschaft auf. Wie ein aufgescheuchtes Huhn, hektisch und nervös, mit wehendem Kleid und fliegendem Haar, stürmte seine Tochter in den Gastraum.

Sie durchquerte ihn, ließ sich durch einen scharfen Zuruf nicht aufhalten und schloss sich im Hinterzimmer ein. Mit Engelszungen versuchten ihre Eltern, sie daraus hervorzulocken. Vergebens! Jennifer Drawder behielt ihre befremdliche Ablehnung bei und zog sich in den Schmollwinkel zurück. Sie gab keine Antwort mehr. Nicht mal ihr hexenhaftes Lachen ließ sie hören.

Dr. Merredith aus Denio traf endlich ein. Nach der Untersuchung des Gangsters stand fest, dass dieser halb so schlimm verletzt war, als es ursprünglich schien. Die Kugel hatte eine tiefe Fleischwunde geschlagen und reichlich Blut führende Gefäße getroffen. Die Verletzung war nicht lebensgefährlich. Durch das rasche Eingreifen Jane Drawders und den starken Verband, den sie angelegt hatte, war die ärgste Blutung gestillt. Der Gangster war transportfähig und fuhr in dem Polizeiwagen mit, in dem auch sein gefesselter Kumpan die Fahrt zum Sheriff's Office antrat. Dr. Merredith war der Typ des alten, gütigen Arztes, der seit Jahren im Haus ein- und ausging und jeden Einzelnen genau kannte. Er klopfte an die Hintertür, rief Jennifer und bat um Einlass. Iwan und Larry, die von Geoffrey Drawder mit knusprig gebratenen Steaks versorgt worden waren, bekamen diese Versuche trotz der geschlossenen Tür zum Privatbereich mit.

»Das Mädchen ist völlig verändert«, sagte Larry unvermittelt.

»Ich habe schon viele Menschen erlebt und gesehen, die unter einem Schock standen. Aber ich habe ein solches Verhalten noch nie festgestellt.«

»Du sagst, was ich denke, Towarischtsch. Die Sache mit dem sprechenden Teddy beschäftigt mich. Damit scheint alles zusammenzuhängen. Sie reagiert hysterisch. Sie scheint wirklich zu glauben, dass der Teddy erschossen wurde ...«