Larry Brent Classic 065: Zombies auf der Reeperbahn - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 065: Zombies auf der Reeperbahn E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

In London steht ein Kunstsammler unter Mordverdacht. Zeitgleich läuft ein Schiff mit einer teuflischen Fracht an Bord in den Hamburger Hafen ein. Kurz darauf geschehen in beiden Ländern seltsame Dinge die ihren Ursprung in Afrika haben. Bonus: Die Leser-Story DER KOPFPARASIT

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Band 65

Dan Shocker

ZOMBIES AUF DER REEPERBAHN

Erstveröffentlichung „Zombies auf der Reeperbahn“

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Lindner

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: www.ralph-kretschmann.de

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-865-5

„Schau es dir genau an, Hans“, sagte Piet Terman, der rotblonde Matrose, zu seinem Begleiter, Hans Schaller, der wie er auf der Anja T. angeheuert hatte. „Jetzt kommen die Kisten an Bord. Die haben‘s in sich, sag ich dir …“

Die beiden Männer hielten sich noch außerhalb des Schiffes auf. Der schwere Frachter war fast fertig beladen. Das Schiff lag im Hafen von Lomé, in Afrika, und hatte Baumwolle, Kakaobohnen und Bananen an Bord. Die Verladung war abgeschlossen. Als Letztes waren lange, vernagelte Kisten an Bord gekommen, die nichts mit der sonst üblichen Fracht zu tun hatten.

Schaller zuckte die Achseln. Er saß an der Kaimauer und warf seine noch glimmende Zigarette in das schmutzige Wasser. „Ich weiß nicht, was du an den Kisten so Besonderes findest“, murrte Schaller, der einen Kopf kleiner als der drahtige Terman war. „Sind da Waffen drin?“

Terman verdrehte die Augen und tippte sich an die Stirn. „Von Afrika nach Europa? Vielleicht haben die Eingeborenen im Urwald heimlich unter der Anleitung eines genialen Wissenschaftlers ein paar Schnellfeuergewehre zusammengebastelt, wie? Umgekehrt macht es vielleicht Sinn. Nee, mein Lieber, da steckt etwas anderes drin.“

„Hast du einen bestimmten Verdacht?“

„Sogar einen präzisen.“

„Und der wäre?“

„Schon mal etwas von Professor Hollenz gehört?“, fragte Terman.

„Nein.“

„Hab ich mir gedacht. Du solltest manchmal einen Blick in die Zeitung werfen.“

„Mach ich doch!“

„Kommt immer darauf an, was man liest. Du steckst deine Nase doch nur in die Sportseiten.“

„Interessiert mich eben am meisten. Mit Politik und so ‘n Kram hab ich nichts am Hut.“

„Hier geht‘s nicht um Politik, sondern um die geheimnisvolle Reise eines Professors, der drei Jahre unter härtesten Bedingungen bei verschiedenen Eingeborenenstämmen im tiefsten Dschungel gelebt hat.“

„Allerhand für einen alten Mann. Ist schon ne tolle Leistung, so was zu machen.“

Terman stieß hörbar Luft durch die Nase. „Wer sagt dir, dass Hollenz ein alter Mann ist?“

„Du hast doch von einem Professor gesprochen. Professoren sind immer alt.“

„Hollenz nicht. Er ist vierunddreißig.“

„Hey!“ Schaller versetzte dem anderen einen leichten Stoß gegen die Schulter. „Jetzt bindest du mir aber einen Bären auf. Ich hab noch nie so einen jungen Professor gesehen.“

„Du beziehst dein Wissen über Professoren aus Comics. Hollenz ist vierunddreißig und schon kreuz und quer durch Afrika gereist. Heute tritt er die Heimreise an. Sein Gepäck ist schon an Bord. Diese beiden Kisten sind die Letzten.“

„Warum nimmt er einen Frachter und kein Passagierschiff?“

„Alles eine Frage der Kosten. Er hat unglaublich viel Gepäck an Bord schaffen lassen, verzollt und verplombt. Muss sich um wichtige Dinge handeln, die er nach Deutschland bringt.“

„Was kann man schon mitbringen aus dem Busch? Alte Speere, steinerne Spitzen, Tonkrüge, Klamotten der Eingeborenen …“ Er lachte. „Falls sie überhaupt welche tragen. Eventuell die Ausrüstung eines Medizinmannes. Vielleicht hat er auch ne Strohhütte zerlegt und lässt sie in Deutschland Stück für Stück im Garten hinter seinem Einfamilienhaus wieder aufbauen. Na, was soll schon drin sein in diesen Kisten?“

„Hast du jemals etwas von mystischen Orten gehört, wo es Schätze geben soll? Zum Beispiel der legendäre Schatz des sagenhaften Königs Salomon? Juwelen, Diamanten, Silber und Gold!

Der soll irgendwo im Herzen Afrikas verborgen sein.“

Hans Schaller hob die Augenbrauen. „Und du meinst …“ Er führte nicht aus, was er sagen wollte.

„Ich weiß es nicht!“ Terman winkte ab. „Ich hab nur so ein komisches Gefühl. In dem Interview, das ich vor einigen Monaten gelesen habe, wurde Hollenz gefragt, was er von seiner Reise erwarte. Und er antwortete, dass er in erster Linie Erkenntnisse über Leben, Kunst und Geschichte der primitiven Völker Afrikas erwarte. In der Vergangenheit der Eingeborenenstämme sei noch viel Rätselhaftes und Geheimnisvolles verborgen, das bis heute nicht aufgezeichnet worden sei. Und er nannte in diesem Zusammenhang auch den Schatz des Königs Salomon. Er meinte, vielleicht könne man, wenn einer nur lange genug beim richtigen Stamm lebe, von einem der alten Weisen etwas über die Lage des Verstecks erfahren. In den Kisten ist etwas, Hans! Ich glaube nicht, dass Hollenz nur mit Speerspitzen und Tontöpfen heimkehrt, sondern weit wertvollere Dinge mitbringt. Dafür lohnt sich auch mal ein Aufenthalt von drei Jahren unter Entbehrungen. Wir probieren es. Ich möchte dich gern dabeihaben. Heute Nacht, wenn alle an Bord schlafen, treffen wir uns im dritten Laderaum. Okay?“

Der Hafen lag schon weit hinter der Anja T. Der Frachter bewegte sich auf offener See. Für die nächsten Tage war gutes Wetter angesagt. Im Schiff selbst war bis auf das monotone Geräusch der hochgezüchteten Dieselmotoren nichts zu hören. Im Schlafsaal der Mannschaft ging es allerdings nicht so ruhig zu. Wo dreißig Männer schliefen, wurde auch geschnarcht. Piet Terman tat allerdings nur so, als würde er schlafen. Er atmete tief und ruhig und ließ manchmal einen schnarchenden Laut vernehmen. Dabei waren seine Sinne aufs Äußerste gespannt. Er hatte die Augen halb geöffnet und blickte aufmerksam umher. Hans Schaller lag schnarchend eine Etage tiefer. Terman wurde unruhig. Der Idiot war wirklich eingeschlafen. Der rotblonde Matrose streckte seine Hand nach unten und beugte sich über den Rand des Bettes. Hans Schaller lag auf dem Rücken, hatte die Augen fest geschlossen und den Mund halb geöffnet. Er glich einem friedlich schlafenden Kind, das keiner Fliege etwas antun konnte.

Piet Terman tastete nach der Nase des Schnarchers und drückte fest zu. Das Geräusch brach abrupt ab. Schaller riss den Mund noch weiter auf, röchelte und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. Terman ließ schnell wieder los, überzeugt davon, mit dieser Schocktherapie Wirkung erzielt zu haben. Doch sein Freund Schaller warf sich mit einem Ruck auf die Seite und schlief wie ein Murmeltier weiter. Terman verdrehte die Augen. Schaller konnte er abschreiben. Den kriegte er nicht mehr wach.

Terman blieb noch einige Minuten ruhig liegen. Hatte einer von der Mannschaft etwas bemerkt? Er war schon lange genug auf dem Schiff, um die Gewohnheiten der einzelnen Seeleute zu kennen. Die meisten ließen sich abends volllaufen und legten sich dann in die Koje. Dort schnarchten sie bis in die Morgenstunden durch. Auch Terman nahm abends gern einen zur Brust. Heute aber hatte er sich zusammengerissen. Er musste klar im Kopf sein, wenn er sein Unternehmen startete. Nach ein paar Minuten des Verharrens stieg er aus der Koje. Er trug Shorts und ein ärmelloses Unterhemd. Barfuß und auf Zehenspitzen schlich Piet Terman zwischen den Betten entlang. Den schnarchenden Schaller beachtete er nicht mehr. Was er sich vorgenommen hatte, würde er auch allein schaffen.

Wie ein Schatten glitt der Matrose zur Tür und verharrte einige Sekunden, um sich zu vergewissern, dass wirklich niemand seinen nächtlichen Spaziergang verfolgte. Wenn es so war, konnte er immer noch so tun, als würde er die Toilette aufsuchen. Er öffnete die Tür und schob sich nach draußen. Überall brannte die Nachtbeleuchtung. Auf dem Gang war niemand zu sehen. Zielstrebig ging Terman voran. Er musste an Hollenz denken. Der Anthropologe befand sich ebenfalls an Bord. Er hatte vom Kapitän der Anja T. eine Kabine in der Nähe des Laderaums zugewiesen bekommen. Das alleine regte Termans Phantasie an. Jemand, der in der Nähe seines Gepäcks schlafen wollte, musste dafür einen besonderen Grund haben.

Der legendäre Schatz des Königs Salomon! In Termans Hirn drehte sich alles nur um diesen Punkt. Professor Hollenz hatte sicher wertvolle Dinge von seiner Forschungsreise mitgebracht, und außer ihm wusste niemand davon. Er war allein unterwegs gewesen, ohne Begleiter. Das hieß, es gab keinen Zeugen für das, was er entdeckt hatte. Terman suchte den Geräteraum auf. Hier lag alles, was er für sein Unternehmen brauchte. Zuerst nahm er eine Taschenlampe an sich. Dann griff er sich einen besonders langen Schraubenzieher und ein handliches Stemmeisen sowie eine Kneifzange. Mit diesen Werkzeugen dürfte es keine Schwierigkeiten bereiten, die zugenagelten Deckel der Kisten anzuheben. Dann benötigte er noch einen Hammer, um die Nägel wieder ins Holz zu schlagen. Das würde nicht geräuschlos über die Bühne gehen, aber Piet Terman war zuversichtlich, dass er trotzdem unbemerkt bleiben konnte.

Der Laderaum, in dem Hollenz Eigentum verstaut war, lag nicht weit vom Maschinenraum entfernt, und das Stampfen der großen Motoren, die den Frachter übers Meer trieben, war laut genug, um jedes andere Geräusch zu übertönen. Dann schlüpfte er noch in einen Montageanzug. Das hatte zwei Vorteile. Für den Fall, dass er Hollenz unverhofft über den Weg lief, hatte er eine Ausrede und konnte behaupten, dass er wichtige Reparaturen durchzuführen hätte. Der zweite Vorteil war, dass der Anzug zwei große, aufgesetzte Taschen aufwies. Darin konnte man einige Handwerkzeuge verstauen, aber für ihn waren sie auch wichtig, um die Beute aufzunehmen, die er zu finden hoffte. Der Anzug hatte zudem noch den Effekt, dass er als Tarnung diente. Im Fall einer Entdeckung würde es schwer sein, ihn genau zu beschreiben. Um die Tarnung perfekt zu machen, griff Terman nach einer Schutzbrille für Schweißarbeiten.

Derart ausgestattet lief er durch die Gänge, eilte eine Treppe nach unten und erreichte den Laderaum, in dem sich die Koffer, mehrere tropensichere Aluminiumbehälter und die beiden mannsgroßen Kisten befanden. Im Laderaum war es stockfinster. Terman knipste die Lampe an. Der bleiche Strahl wanderte zitternd über die Wände und das aufgeschichtete Gepäck, wurde von der matten Aluminiumoberfläche der Behälter reflektiert und blieb schließlich auf einer der Kisten hängen. Sie standen nebeneinander auf dem Boden. Unwillkürlich musste Terman an eine Szene aus einem Film denken, den er vor Kurzem gesehen hatte: Draculas Ankunft in England.

Dort waren Särge in einem alten Schiff zur britischen Insel transportiert worden. Särge, in denen sich Ratten, Draculas Lieblingsbegleiter, und der Blutfürst selbst befanden.

Terman gruselte sich, als er auf die beiden Kisten zuging, die ihn stark an die Särge im Film erinnerten. Er ging in die Hocke und legte die Taschenlampe neben sich. Der Schein war so ausgerichtet, dass er die untere Hälfte der langen Holzkiste voll ausleuchtete. Ohne Zeit zu verlieren, begann Piet Terman mit seiner Arbeit. Er drückte die ersten Nägel mit dem Schraubenzieher in die Höhe und packte sie dann mit der Kneifzange, um sie ganz aus dem Holz zu ziehen. Als der letzte Nagel gezogen war, spürte Terman, dass seine Handinnenflächen feucht waren. Nicht vor Anstrengung, sondern vor Aufregung. Nun würde sich zeigen, ob seine Mühe sich gelohnt hatte. Er schob den Deckel vom Kopfende her zur Seite und griff mit der anderen Hand automatisch nach der Taschenlampe, um ins Innere der Kiste zu leuchten.

Im selben Moment flog der Deckel mit gewaltigem Druck zur Seite, als würde eine Spiralfeder ihn wegkatapultieren. Eine klappernde Gestalt schoss wie ein Kastenteufel in die Höhe. Es war aber nicht der Teufel, sondern ein blankes Skelett.

Piet Terman schnellte zurück, kam aber nicht mehr aus der Hocke hoch. Die rechte Knochenhand des Skeletts raste blitzartig auf ihn zu, die harten und fleischlosen Finger umklammerten sein Handgelenk. Terman wollte sich wehren, das Skelett zerschlagen, aber ihm blieb nicht einmal die Zeit, um Hilfe zu schreien. Er hatte das Gefühl, als wehte ein eisiger Wind durch ihn hindurch. Das Blut hämmerte in Termans Schläfen, sein Herz begann wie wild zu rasen, vor seinen Augen verschwamm die Umgebung. In der Luft schienen unsichtbare Geister zu tanzen. Eine wilde Orgie, in die sich schrille Schreie und monotones Trommeln mischten. Das Skelett hatte sich zu voller Größe aufgerichtet und stand nun Terman genau gegenüber. Alles Leben wich aus seinem Körper. Die Kälte in seinen Gliedern war nicht nur Einbildung!

Der Matrose starrte sein Gegenüber an. In den leeren Augenhöhlen flackerte kaltes Licht. Die fahlen Knochen des Schädels veränderten ihre Farbe. Sie bedeckten sich mit Fleisch und Haut. Aus dem Nichts entstanden Gesicht und Haare! Die glühenden Höhlen im Schädel füllten sich mit Augen, die ihm bekannt vorkamen! Auch die gerade Nase, das energische Kinn, die sonnengebräunte Haut, das gelockte, rotblonde Haar. Das alles war doch er selbst! Der Matrose starrte sich selbst an. Entsetzt stellte er fest, dass das Skelett seinen Körper annahm!

Ich bin zu einem Skelett geworden! Das war Termans letzter Gedanke, dann erloschen jegliche Sinneseindrücke. Das gespenstische Ereignis des unheimlichen Körpertauschs hatte keine Minute gedauert. In dem blauen Arbeitsanzug, mit dem Terman sich hatte tarnen wollen, steckte nun ein fahles Skelett. Termans Äußeres, das sich wie Plastilinmasse auf den Knochen aufgeschichtet hatte, war inzwischen komplett ausgebildet. Vom Wesen und dem Bewusstsein des jungen Mannes steckte allerdings nichts in dem Körper, der sein eigener gewesen war.

Der Unheimliche aus der Totenkiste, nackt von Kopf bis Fuß, schälte dem neu entstandenen Skelett den blauen Arbeitsanzug von den Knochen. Das Skelett des jungen Matrosen stand noch immer und bewies, dass Leben in ihm steckte. Aber es war kein natürliches Leben mehr. Klappernd schritt das Skelett auf die Kiste zu und nahm die Stelle des anderen ein. Der Knöcherne legte sich zurück, und das Skelett, das Piet Termans Körper geraubt hatte, setzte dessen Arbeit fort. Der neue Piet Terman legte den Deckel wieder auf die Kiste und bückte sich nach den Nägeln. Die Werkzeuge, die der Matrose aus dem Magazin mitgebracht hatte, ließ er unbeachtet. Ohne besondere Kraftanstrengung drückte er mit bloßen Händen jeden Nagel einzeln in das Loch und verschloss auf diese Weise den Deckel. Dabei zog er sich Verletzungen zu; seine Hände bluteten, was ihn aber offenbar nicht störte. Danach erst nahm er alle Werkzeuge an sich, die Taschenlampe knipste er aus. Es wurde stockfinster im Laderaum, wie in einem Grab. Dennoch stieß die rätselhafte Gestalt auf dem Weg zur Tür nirgends an und fand sich mit traumwandlerischer Sicherheit zurecht. Sie betrat den Gang, suchte das Magazin auf, brachte alle entwendeten Gegenstände, auch den Arbeitsanzug, wieder an Ort und Stelle und verließ den Raum. Der Körpertauscher lief über die Treppe nach oben, gelangte auf das höher gelegene Deck und wollte gerade um die Ecke biegen, um den Rückweg in den Schlafsaal anzutreten, als er mit Hans Schaller zusammenstieß.

„Mister Brent, schnell! Werden Sie wach! Es geht wieder los!“ Gloria Henniets Stimme klang aufgeregt.

X-RAY-3 schlug die Augen auf. Die Bilder von Marotsch, dem Vampir-Killer, wurden aus seinem Gehirn gefegt. Er hatte geträumt. Der letzte Fall in Österreich hatte ihm einiges abverlangt. Das ließ sich nicht so schnell aus den Kleidern schütteln. Von einer Sekunde zur anderen war er jedoch hellwach. Kurz vor Mitternacht hatte er sich hingelegt, denn es war nicht unbedingt notwendig, dass er in der fremden Wohnung rund um die Uhr wach blieb. Den Versuch gab es schon in der Nacht zuvor. Sinnlos, denn in jener Nacht war das Erwartete nicht eingetreten. Und so hatte er mit Gloria Henniet vereinbart, sich gegenseitig mit der Beobachtung abzuwechseln. Sollte Gefahr im Verzug sein, bedurfte es nur eines geringfügigen Geräuschs, um Larry aufzuwecken. Sein Unterbewusstsein war darauf trainiert. Und so war er von einer Sekunde zur anderen hellwach. Er stand sofort auf.

Das Zimmer war mittelgroß und mit antiken englischen Möbeln eingerichtet. Es war das zweite Wohnzimmer der Henniets, die mitten im Herzen von London in einer der vornehmsten Gegenden wohnten und so reich waren, dass sie es sich leisten konnten, eine ganze Etage zu mieten. Dreihundert Quadratmeter Wohnfläche. Eigentlich zu viel für zwei Personen. Doch Gloria und Charles Henniet, beide Mittfünfziger, waren vernarrt in alte Möbel, Uhren, kostbare Bilder und Teppiche. Dennoch wirkten die Räume nicht überladen. Man merkte jedem der guten Stücke an, dass sie mit Geschmack und Kunstverstand ausgewählt und zusammengestellt worden waren. Hier fühlte man sich automatisch wohl. Die beiden hatten sich eine heile Welt geschaffen, in der sie lebten und zufrieden waren. Doch seit einigen Wochen waren sie es nicht mehr. Etwas Furchtbares war in ihren Alltag gefahren. Es hing mit Charles Henniets Afrika-Reise zusammen. Seitdem hatte er sich verändert. Das behauptete zumindest seine Ehefrau. Gloria resolut und intelligent. Sie stand mit beiden Beinen fest im Leben und war dennoch der Meinung, dass Charles in die Abhängigkeit eines afrikanischen Medizinmannes oder Magiers geraten war, der ihn wie eine Puppe fernsteuerte. Im Londoner Hyde-Park, der nur wenige Schritte von der eleganten Wohnung des Paares entfernt lag, waren in der letzten Woche zwei Spaziergängerinnen auf bestialische Weise verletzt worden. Ihre Körper fand man übersät mit blauen Flecken, tiefen Kratz- und Bisswunden, als wäre ein wildes Tier über die unglücklichen Opfer hergefallen. Eine Frau war ihren Verletzungen inzwischen erlegen. Um das Leben der zweiten kämpften die Ärzte noch.

Beide Überfälle ereigneten sich abends, kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Charles Henniet hielt sich zur jeweiligen Tatzeit nicht in seiner Wohnung auf, absolvierte wie immer seinen Spaziergang im Hyde-Park. Das allein wäre noch kein Grund gewesen, misstrauisch zu werden. Doch Gloria Henniet hatte nach der Rückkehr ihres Mannes dessen unordentliche Kleidung bemerkt und außerdem einige Blutflecken am Jackett und an den Hosenbeinen. Und Charles machte einen verstörten Eindruck, stand wie unter Schock und gab an, fast von einem Auto überfahren worden zu sein. Wie in Trance entledigte er sich seiner Kleidung, kroch ins Bett und bat seine Frau inständig, auf keinen Fall einen Arzt zu verständigen. Alles sei in bester Ordnung. Danach schlief er ein. Am nächsten Morgen erwachte er ausgeruht und konnte sich an nichts mehr erinnern.

Gloria Henniet ließ ihren Mann von dieser Stunde an nicht mehr aus den Augen. Da sie seit Jahren getrennt schliefen, erwies sich dieses Unternehmen jedoch als schwer durchführbar. Die Schlafzimmer lagen jeweils am anderen Ende der Etage, die Partner gingen zu verschiedenen Zeiten ins Bett. Besonders Charles Henniet führte einen äußerst unregelmäßigen Lebenswandel. Mal verschwand er gegen zwanzig Uhr in seinem Bett, mal hielt er sich bis weit nach Mitternacht noch in der Bibliothek auf, um ein seltenes Buch zu studieren, das er am Tag zuvor in einem der zahlreichen Antiquariate in Soho aufgestöbert hatte. Meist handelte es sich um Werke, in denen Möbel und Schmuck aus dem siebzehnten Jahrhundert abgebildet waren. Für diese Epoche interessierte sich Charles Henniet besonders. Das war auch ein Grund für seine Afrika-Reise gewesen. Um diese Zeit hatten viele Engländer aus religiösen und politischen Gründen die Insel verlassen, um in Amerika und Afrika ein neues Zuhause zu finden.