Larry Brent Classic 072: Nosferata, die Blutlady - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 072: Nosferata, die Blutlady E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Ein Amsterdamer Museumsdirektor wird beim Diebstahl einer Mumie von einem mysteriösen Fremden überrascht. Wenig später trifft der PSA-Agent Larry Brent auf eine Untote. Er weiß, dass sie den Pesttod in sich trägt. Dennoch verspürt X-RAY-3 einen übermenschlichen Drang, diese Blutlady zu küssen. Als Bonus: Eine Larry Brent-Leser-Story!

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Band 72

Dan Shocker

NOSFERATA, DIE BLUTLADY

Erscheinungstermine von Larry Brent „Nosferata, die Blutlady“

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Lindner

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: www.ralph-kretschmann.de

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-872-3

Von den Grachten her wehte ein kalter Wind. Die beiden Männer, die durch die enge, finstere Gasse liefen, hatten die Kragen ihrer Mäntel hochgeschlagen und die Hüte tief ins Gesicht gezogen, um sich vor dem Nieselregen zu schützen. Die schmalen Häuser, typisch für das Amsterdamer Altstadtviertel, sahen in der Dunkelheit aus, als würden sie sich enger aneinanderpressen, um Kälte und Nässe besser zu ertragen. Das dunkle Fachwerk schimmerte durch den Regen, das holprige Kopfsteinpflaster war rutschig.

„Wir sind Idioten, Frederik“, schimpfte der eine der beiden Männer. Er war hager, und selbst der auftragende Mantel konnte die Statur kaum verbergen. „Wir hätten mit dem Taxi fahren sollen.“

„Du redest Unsinn, Jan“, maulte der Angesprochene. „Du weißt genau, dass wir das nicht riskieren können. Ich bin meine Stellung los, wenn mich einer erkennt.“

Jan van Steen schimpfte leise vor sich hin, lief aber weiter neben seinem Begleiter her.

„Noch ein paar Schritte, Jan, dann haben wir’s geschafft“, sagte Frederik Kadens. „Du wirst sehen, dass es sich lohnt. Aber nur für den, der zu schätzen weiß, was da durch einen Zufall entdeckt wurde. Wenn die Sache bekannt wird, hat die Welt ihre Sensation! Soweit aber will ich’s nicht kommen lassen. Ehe die Amerikaner hier eintreffen, müssen wir uns den Fund unter den Nagel gerissen haben. Ich werde niemand einweihen, nur dich. Du musst mir dabei helfen.“

Van Steen knurrte, aber aus dem Laut war nicht zu erkennen, ob er Zustimmung oder Ablehnung bedeutete. „Wie lange laufen wir eigentlich schon durch die Stadt?“

„Ungefähr eine halbe Stunde.“

„Mir kommt’s so vor, als wären wir schon Stunden unterwegs.“

Frederik Kadens drehte sich um. Die Gasse hinter ihnen war menschenleer. Er blieb einige Sekunden stehen und lauschte, ob Schritte zu vernehmen waren. Doch alles war still.

Van Steen seufzte. „Du machst es verdammt spannend. Welchen Schatz hast du eigentlich entdeckt?“

„Es ist ein Schatz, Jan. Einer der größten überhaupt, auch wenn er mit Gold und Geschmeide nichts zu tun hat. Wir sind da.“

Sie standen vor einem Haus, das zur Hälfte abgerissen war. Die Vorderfront war mit dunklen Eichenbalken abgestützt, ein mannshoher Bretterzaun umgab das Grundstück. Ein knallgelbes Schild mit der Aufschrift Betreten verboten war zwischen all den bunten Plakaten und Parolen, die in den letzten Wochen auf die Bretter gepinselt und gesprüht worden waren, kaum noch auszumachen. Das Haus neben der Baustelle sah wahrlich mitgenommen aus. Fahlgrüne, verwitterte Fensterläden verdeckten die Scheiben. An der Haustür hing ein großes Schloss. Das Gebäude war unbewohnt. Dennoch beobachtete Frederik Kadens es einige Minuten genau, hob einen Stein auf und warf ihn gegen einen Fensterladen.

„Willst du die Mäuse und Ratten verscheuchen, oder ist das eine Methode, Einlass zu begehren? Meinst du wirklich, dass da drinnen einer wohnt? Da kommt doch das Regenwasser nicht nur durchs Dach, sondern auch schon durch die Wände.“

„Man kann nie wissen. Heute kann sich schon jemand drinnen eingenistet haben.“

Die Häuser in der Altstadt waren oft Gegenstand von Hausbesetzungen gewesen. Obwohl in den Gebäuden keine Fenster mehr waren und keine Namensschilder auf Bewohner hinwiesen, kam es immer wieder vor, dass jemand kurzfristig Unterschlupf fand. Stadtstreicher, verkrachte Existenzen, Obdachlose und Rauschgiftsüchtige verkrochen sich gerne mietfrei in diesen Vierteln, nisteten sich oft wie Kakerlaken ein, und die entdeckt man am besten, wenn man kräftig klopft. Und das tat Frederik Kadens, ungeachtet der Tatsache, dass der Regen inzwischen stärker geworden war. Unter ihren Füßen bildete sich eine Art grauer Schlick. Der Regen mischte sich mit dem kalkhaltigen Staub, der bei den Abbruch- und Bauarbeiten entstanden war.

Doch niemand reagierte auf Kadens Klopfen und die Steinwürfe, und so ging der Museumsdirektor, der alles tat, um unerkannt zu bleiben, seinem Begleiter zum Eingang des Abbruchhauses voran. Wortlos tauchten die beiden Männer in der Dunkelheit unter. Eine schmutzige Steintreppe führte in den Keller. Kadens knipste seine Taschenlampe erst an, als er sicher war, dass der Strahl von draußen nicht von einem zufällig vorbeikommenden Passanten gesehen werden konnte.

Überall lagen Steine und morsches Fachwerk herum. In einer Ecke standen mehrere Plastikeimer, die mit Schutt und Papierresten randvoll waren. In dem Kellergeschoss des Abbruchhauses roch es feucht und modrig. Zwischen dem Schrott bewegte sich eine Ratte, die sofort verschwand, als der Lichtstrahl sie traf. Die beiden Männer überwanden einen halbhohen Mauervorsprung. Es folgte ein größerer Raum, in dem ein umfangreiches Gerüst errichtet war. Schwere Bohlen lagen kreuz und quer über den Streben. Vorsichtig stieg Kadens darüber hinweg. Er lenkte den Lichtstrahl in die Tiefe, und Jan van Steen fand alles genau so vor, wie sein Freund es ihm am Abend schon angedeutet hatte. Das Fundament des alten Hauses war aufgebrochen worden. Darunter hatten die Bauarbeiter einen Keller gefunden, der in keinem Plan verzeichnet war. Ein eindeutiges Indiz dafür, dass hier schon mal ein anderes Haus gestanden hatte. Das aktuelle Haus war auf den Trümmern eines noch älteren errichtet worden.

Eine lange Leiter führte nach unten.

„Vorsichtig“, raunte Kadens seinem Begleiter zu. „Sie steht ein bisschen wackelig, und unten ist der Boden holprig und steinig.“

„Vielen Dank für den Tipp“, murrte Jan van Steen. „Du scheinst dich ja wirklich bestens hier auszukennen. Hast du die Bauarbeiter beim Abriss unterstützt? Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb ich diese nächtliche Exkursion überhaupt mitmache. Zu Hause könnte ich jetzt am warmen Ofen sitzen, die Beine von mir strecken und gemütlich ein Buch lesen.“

„Von einem Buch hab’ ich nichts bemerkt, als ich dich heute Abend abholte“, konterte Kadens. „Wenn ich mich recht entsinne, hast du im neuesten Playboy-Magazin geblättert. Und weshalb du mitkommst, kann ich dir auch sagen, weil du neugierig bist! Genau wie ich. Dich interessiert einfach, was ich dir zu zeigen habe.“

„Deine blumenhaften Andeutungen waren ja auch sehr verführerisch, Frederik.“

„Ich habe sicher nicht zuviel versprochen.“

„Willst du mir nicht endlich sagen, was es ist?“

„Also gut. Ich werde die Katze aus dem Sack lassen. Wir beide werden eine Leiche stehlen!“

„Eine Lei…“ Van Steen schnappte nach Luft und sprach nicht weiter.

„Nein, keine Lei, sondern eine Leiche. Eine uralte. Aus der Zeit, als der unheimliche Nosferatu die Stadt unsicher gemacht hat.“

„Nosferatu? Das ist eine Romanfigur. Wie Dracula.“

„Irrtum! Bei dem einen wie beim andern. Es hat sie beide gegeben, und in ihren Opfern leben sie weiter.“ Frederik Kadens stieg die Leiter nach unten.

Jan van Steen blieb oben auf der Bohle stehen und schüttelte den Kopf. „Während unserer Studienzeit, Frederik, haben wir allerlei Unsinn ausgeheckt und uns manch makabres Stück geleistet. Willst du die alten Tage wieder aufleben lassen und …“

„Ich bin mit niemand enger befreundet als mit dir und habe keinen Grund, mit dir Spielchen zu treiben. Es ist so, wie ich es dir sage. Nosferatu hat hier sein Vermächtnis hinterlassen. Beim Gebäudeumbau sind Arbeiter auf handschriftliche Unterlagen und die Leiche gestoßen. Sie haben sich bei der Polizei gemeldet, und die haben sich an die zuständigen Stellen gewandt. Ich durfte die Handschrift auf ihre Echtheit überprüfen.“ Kadens machte ein wichtiges Gesicht. „So, ab jetzt keine Fragen mehr. Je schneller wir die Sache hinter uns bringen, desto besser. Es muss jetzt, noch in dieser Nacht passieren. Morgen kann’s schon zu spät sein. Der Besitzer des Gebäudes hat mehrere Museen informiert.“

„Du klaust die Leiche, und ich soll dir dabei helfen? Frederik, ich weiß nicht, ob das gut geht.“ Und doch kletterte Jan van Steen ebenfalls die Leiter hinab.

Der Keller wirkte wie ein dunkler, fensterloser Schacht. Die Wände waren angefault, es roch wie in einem Gewölbe, in das nie ein Sonnenstrahl drang. Der Boden war voller Schutt und grauem Matsch, in dem sie bis zu den Fußknöcheln versanken. Der Lichtkegel der Taschenlampe wanderte wie ein Geisterfinger vor ihnen her.

„Du bist unter die Leichenräuber gegangen, Frederik“, sagte van Steen nüchtern in die eingetretene Stille. „Um zum Ort deiner Tat zu gelangen, führst du mich eine halbe Stunde kreuz und quer durch die Stadt. Und auf dem gleichen Weg sollen wir dann wohl die Leiche auf den Schultern, gemütlich nach Hause tragen. Vielleicht hast du schon einen Teppich parat, um sie einzuwickeln. Dann fällt unser nächtlicher Spaziergang sicher kaum auf. Teppichhändler sind in Amsterdam schließlich öfter unterwegs als Leichendiebe.“

Kadens winkte ab. „Ich habe auch an unseren Rückweg gedacht, Jan. Drei Häuserblöcke von hier entfernt steht ein VW-Bus. Den habe ich mir von meinem Schwager ausgeliehen, der ein Obst- und Gemüsegeschäft betreibt. Wenn wir die Leiche haben, brauchen wir nur noch die paar Schritte bis zum Wagen zurückzulegen. Der Weg führt von hier aus direkt dorthin. Innerhalb weniger Minuten ist die Sache abgewickelt. Also, kein Grund zur Besorgnis.“ Frederik Kadens hatte ein steinernes Podest erreicht. Dahinter konnte man eine Nische in der Wand erkennen, sie war mit einem Bretterverhau verschlossen. Kadens machte sich sofort an die Arbeit. Wortlos zog er eine Zange und einen Hammer aus seinem Mantel heraus. Die dünnen Bretter waren damit im Nu abgelöst, dahinter kam ein schmutziges Laken zum Vorschein, das mit vier Nägeln an die Wand gespannt war. Kadens zog mit der Zange die beiden Nägel oben und unten aus der Wand, und das Laken fiel raschelnd in sich zusammen. Dahinter lag eine weitere Wandnische. Deutlich war zu erkennen, dass hier vor langer Zeit ein Hohlraum in der Wand zugemauert worden war.

Hoch aufgerichtet, wie in einem ägyptischen Sarkophag, stand eine Leiche, steif und starr. Die vertrockneten Hände hingen herab, das Gesicht, welk und verdorrt wie das einer Mumie, war den beiden nächtlichen Besuchern der Baustelle zugewandt. Die Augen der Leiche waren weit aufgerissen, das Antlitz schauerlich verzerrt. Diese Person war bei lebendigem Leib eingemauert worden, und in dem engen Gefängnis schließlich elend erstickt. Das lange, strähnige Haar rahmte ein ungewöhnlich spitzes Gesicht. Am Haar, aber auch an der Kleidung, einem langen schwarzen Gewand, das bis zu den Knöcheln reichte, konnte man erkennen, dass es sich um ein weibliches Wesen handelte.

„Aber, das ist ja eine Frau, Frederik. Nosferatu war ein Mann!“ Weiter kam van Steen nicht.

„Das ist auch nicht Nosferatu, meine Herren“, sagte unvermittelt eine harte Stimme hinter ihnen. „Ihn gibt es nicht mehr! Er hat längst das Zeitliche gesegnet. Aber das Vermächtnis, das er hinterlassen hat, ist hochinteressant. Dies hier, meine Freunde, ist Nosferata, seine Geliebte!“

Schon bei den ersten Worten waren Frederik Kadens und Jan van Steen herumgefahren. Sie waren nicht allein! Ein Fremder stand hinter ihnen und grinste sie arrogant und teuflisch an.

X-RAY-1 muss sterben! Dieser Satz stand in Blindenschrift auf einer Folie, die soeben aus einem Schlitz der nierenförmigen Schreibtischplatte rutschte. Hier saß der Mann, in dessen Händen alle Fäden des Übersinnlichen zusammenliefen. Der Mann trug eine schwarze Brille, und die Folie, die weitere Einzelheiten mitteilte, glitt flink durch seine Finger. Trotz seines Handicaps war dieser grauhaarige und alterslos wirkende Mann der Leiter der schlagkräftigsten Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, dem ungewöhnlichen Verbrechen den Garaus zu machen. Geheimnisvolle und ungeklärte Vorgänge waren das Spezialgebiet der Männer und Frauen, die für die inzwischen legendäre PSA ihr Leben aufs Spiel setzten.

Die Bedrohungen häuften sich in der letzten Zeit, doch David Gallun alias X-RAY-1 dramatisierte diese Dinge keinesfalls. Ein Mann in seiner Position war natürlich besonders gefährdet. Viele Gegner trachteten ihm nach dem Leben – einer ganz besonders. Die Meldung, die X-RAY-1 an diesem Spätnachmittag erhielt, ging auf interne Quellen zurück. Die Nachrichtenagenten in aller Welt waren ständig im Einsatz und nahmen eine Menge merkwürdige Vorkommnisse unter die Lupe. Die PSA und die Menschen, die für sie arbeiteten, hatten viele Gegner. Aber einer hatte sich die Vernichtung dieser Institution vehement auf seine Fahnen geschrieben, Dr. Satanas. Wo er auftauchte, verbreitete er Angst und Schrecken. In der Vergangenheit war es bereits zu mehreren bedrohlichen Aufeinandertreffen gekommen. Im letzten Augenblick war es ihm jedoch immer wieder gelungen, sich den Zugriffen der PSA zu entziehen. Satanas verfügte über die unheimliche Gabe, sein Äußeres ständig zu verändern. Er war wie ein Chamäleon, das sich nur unter äußerst schwierigen Bedingungen finden ließ. Er konnte heute als der freundliche Nachbar in Erscheinung treten, morgen schon als die Krankenschwester im Hospital, als Postbote, Bankbeamter, Polizist oder Dienstmädchen. Für die Vielfalt seiner Masken gab es keine Grenzen. So vielseitig das menschliche Antlitz war, so vielseitig waren auch die Masken des Dr. Satanas. Er stahl auf makabre Weise seinen Opfern das Gesicht. Dabei ging er ausgesprochen gnadenlos und grausam vor. Oft ließ er seine Opfer verschwinden, indem er ihre Körper in einem Säurebad auflöste und führte dann mit dem Aussehen und dem gesamten Kenntnisstand der Bedauernswerten, die ihm in die Hände gefallen waren, deren Leben weiter. Manchmal für Tage und Wochen, ein andermal nur für Stunden. So wurde meist zu spät bekannt, wo Dr. Satanas zuletzt zugeschlagen hatte.

Wenn durch eine Routinemeldung oder eine Entdeckung eines PSA-Agenten die Spur von ihm aufgenommen wurde, dann war es meist schon zu spät.

Niemand wusste, mit welchem Gesicht Dr. Satanas gerade durch die Lande reiste, niemand kannte seine Pläne, doch diesmal meldete er sich selbst zu Wort. Er forderte die PSA und deren Leiter heraus. Die Computer der PSA hatten das Telefonat in Blindenschrift umgewandelt: Am nächsten Mittwoch wird an derEckeEast 59. Street Park Avenue ein Mann an der Verkehrsampvel stehen. Er trägt einen dunkelblauen Hut, einen beigen Trenchcoat und – eine Bombe bei sich, die Punkt 17.15 Uhr explodieren wird. Es ist sinnlos, diesen Mann vorher suchen zu wollen. Ihr kennt weder seinen Namen, noch sein Aussehen. Ihr werdet vor Ungewissheit verbrennen. Der Vorfall am Mittwochabend, zur Rush Hour in New York, ist ein Signal. Ihr werdet erkennen, dass es zwecklos geworden ist, mich suchen zu wollen. Ihr werdet mich nicht finden. Ich aber weiß ständig, wo ihr seid. Die PSA wird aufhören zu existieren! Und X-RAY-1 wird zuerst sterben!

Dr. Satans hatte Larry Brent vor zwei Tagen mit einem ersten Telefonanruf in dessen Wohnung überrascht. Gewaltsam hatte Dr. Satanas vorübergehend die Identität des PSA-Agenten angenommen.{1} Er konnte so wichtige Infos über X-RAY-3 für sich speichern und leicht auf ihn zugreifen. Selbstverständlich hatten PSA-Agenten den betreffenden Straßenabschnitt seit den letzten 48 Stunden rund um die Uhr beobachtet. Man war davon ausgegangen, dass die mit blauem Hut und beigem Mantel beschriebene Person vielleicht immer an dieser Straßenkreuzung zu einem festen Zeitpunkt auftauchen könnte. Aber das war nicht der Fall. Der Mittwoch schien demnach ein besonderer Termin für den Mann zu sein. Heute war es soweit, und Dr. Satanas hatte sich ein weiteres Mal bei Larry Brent gemeldet. Auch von diesem Telefonat gab es einen in Blindenschrift gestanzten Text.

Die Explosion der Bombe, die keiner von euch verhindern kann, soll das Zeichen für den Angriff auf die Struktur der PSA sein. Er ist das Signal dafür, dass ich erreiche, was ich mir als Ziel gesetzt habe. Tod der PSA! Tod dem X-RAY-1!

So klar war die Drohung noch nie erfolgt, und wenn Satanas sich so weit vorwagte, war dies ein Zeichen dafür, dass er gut vorbereitet war. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden verstärkt. Gleichzeitig begann die Suche nach dem geheimnisvollen Fremden, der um 17.00 Uhr mit einer Bombe unterwegs sein sollte.

X-RAY-1 setzte sich noch mal mit seinem besten Mann in Verbindung. Larry Brent hielt sich nahe der bezeichneten Stelle auf. Die Rush Hour in New York hatte begonnen. Eine nach Auspuffgasen stinkende Blechlawine wälzte sich durch die Straßen, Menschen hasteten an Häusern und Geschäften vorüber. Es wurde langsam dunkel. Nur zehn Schritte von der fraglichen Verkehrsampel entfernt, stand vor der Toreinfahrt zu einem Hinterhof ein runder Container.

„Wie sieht es aus, X-RAY-3?“, wollte X-RAY-1 wissen. „Gibt es etwas Auffälliges?“

„Nein Sir. Keine besonderen Vorkommnisse. Nur der Alltag von New York.“

„Und doch lauert irgendwo in der Menge dieser Satanas mit seiner menschlichen Bombe. Und wenn wir seine Drohung ernst nehmen, wird in den nächsten drei Minuten etwas passieren.“

„Genau das wollen wir verhindern, Sir. Deshalb sind wir hier“, antwortete Larry in seinen PSA-Ring. Es war 17.13 Uhr! Noch zwei Minuten …

X-RAY-1 unterbrach die Verbindung und Larry konzentrierte sich aufs Warten. Seine Sinne waren zum Zerreißen gespannt. Drüben auf der anderen Seite der Straße bemerkte er seinen Kollegen Jörg Kaufmann alias X-RAY-15. Kaufmann hielt einen Packen Zeitungen auf dem Arm und bot sein Blatt den Passanten an. Jörg Kaufmann, ein großer sportlicher Typ, hielt sich erst seit sieben Stunden in New York auf und war von X-RAY-1 für diese Aktion mit eingeteilt worden. Außer ihm gab es noch jemand, der auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig postiert war. Eine Kinderschwester, die einen Rollstuhl mit einem Mädchen vor sich her schob. Die Kinderschwester trug ein dunkles Cape und eine weiße Haube. Ihre nixengrünen Augen waren durch dicke Brillengläser kaum zu sehen. Die Schwester lief auffällig langsam, sie gehörte auch zum Team der PSA. Und es gab eine fünfte Person, die die Kreuzung im Auge behielt. Es handelte sich um einen untersetzten, mittelgroßen Mann mit Alltagsgesicht. Dieser Mann fiel nicht besonders auf und sah aus, als käme er aus der nächsten Kneipe an der Ecke. Seine Nase war gerötet, das dunkle Haar hing ihm wirr in die Stirn. Er hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Dieser Mann war Simon Sabatzki, ein Nachrichtenagent der PSA, der gleichzeitig ein hervorragender Computerfachmann war. Sabatzki konnte alle Codes knacken, kam in jedes Programm und hatte aufgrund der Morddrohungen gegen X-RAY-1 damit begonnen, alle Sicherheitsprogramme durchzuchecken.

Zusätzlich stand in jeder Seitenstraße, zwischen den parkenden Autos, eine Zivilstreife der New Yorker Polizei. Die Cops warteten auf ihren Einsatz. Sie wussten nichts von Dr. Satanas und seiner Aktion, waren nicht darüber informiert, wie ihr Einsatz eventuell aussehen würde. Sie waren lediglich in Alarmbereitschaft, falls es sich als notwendig erweisen sollte.

Jeder von den vorbeieilenden Passanten konnte Dr. Satanas sein. Der Bettler an der Ecke, der vor seinem Hut hockte und stumpfsinnig vor sich hinstarrte. Die junge Frau, die einen anderen Passanten anrempelte und ohne Entschuldigung weitereilte. In welcher Maske war Satanas diesmal unterwegs? Oder hielt er sich gar nicht in New York auf und heckte irgendwo auf der Welt eine andere Schweinerei aus, während hier viele Kräfte der PSA gebunden waren? Auch das war ihm zuzutrauen.

Doch dann tauchte der Mann auf. Er kam die Straße entlang, trug einen dunkelblauen Hut und einen beigen Trenchcoat. Unter seinem rechten Arm hatte der Passant eine abgegriffene Aktentasche geklemmt. 17.14 Uhr. Der Mann im Trenchcoat war nur noch ein paar Schritte von der Verkehrsampel entfernt. Rot. Bis auf zwei Passanten, die trotz der bereits anfahrenden Autos noch über die Straße eilten, blieben die anderen sofort stehen.

Larry Brent stürmte los. Er warf sich dem unbekannten Mann entgegen und entriss ihm mit einem scharfen Ruck die Tasche.

„Hilfe!“, brüllte der so Attackierte sofort. „Meine Aktentasche. Haltet den Kerl!“

Der Mann wurde durch Larrys Angriff zur Seite gefegt und taumelte, verlor aber nicht den Halt, weil zwei andere Passanten ihn geistesgegenwärtig auffingen. Im Nu war der Teufel los. Es waren einfach zu viele Menschen unterwegs, daher war es völlig unmöglich, das Ganze unbemerkt über die Bühne zu bringen.

„Ihm nach!“ Mehrere Stimmen riefen durcheinander, und mehrere Personen hetzten sofort hinter dem PSA-Agenten her. „Verdammter Kerl!“