Larry Brent Classic 073: Larrys Totentanz - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 073: Larrys Totentanz E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Dr. Satanas kennt nur ein Ziel: Die Vernichtung der PSA. Und dieses Mal scheint er alle Trümpfe in der Hand zu haben. Die PSA-Agenten stehen vor ihrer größten Herausforderung. David Gallun, der Gründer der PSA, schwebt in Lebensgefahr.

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Band 73

Dan Shocker

LARRYS TOTENTANZ

Erscheinungstermine von „Larry Brents Totentanz“:

23.09.1975 als Silber Grusel-Krimi Nr.100

Mai 1977 als Silber Grusel-Krimi-Neuauflage Nr. 100

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: www.ralph-kretschmann.de

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-873-0

„Das ist nett von Ihnen, Herr Doktor, dass ich noch kommen darf.“ Der Mann, der das sagte, war Ende dreißig, sportlich, dunkelhaarig und trug ein gepflegtes Lippenbärtchen.

Der Arzt lächelte jovial und reichte dem Patienten die Hand. „Ich weiß doch, was ich einem so treuen Menschen schuldig bin. Ihre Stimme hört sich wirklich recht eigenartig an. Wie lange haben Sie das schon, Mister Lansing?“

Fred Lansing räusperte sich. „Seit drei Wochen etwa. Ich habe das Gefühl, dass ich langsam die Stimme verliere, Doc. Es kratzt und beißt. Ich habe gegurgelt und mengenweise Tabletten geschluckt. Das alles half nur kurze Zeit, dann setzten die Schmerzen wieder ein.“

„Das kriegen wir hin. Ich habe da was für Sie.“ Mit diesen Worten öffnete der Arzt, dessen Praxis bereits geschlossen war, den Glasschrank mit den dunkelbraun getönten Scheiben und nahm eine kleine Flasche heraus. „Das ist ein gutes Mittel. Zehn Tropfen davon und Sie werden nichts mehr spüren.“ Er träufelte die gelbliche Flüssigkeit auf einen Zuckerwürfel und reichte dem Patienten den Löffel. Der musterte ihn zweifelnd.

„Zehn Tropfen, und die sollen mir helfen?“

„Die wirken garantiert und sofort. Ihre Halsschmerzen, Mister Lansing, sind sofort wie weggeblasen.“

Der Patient steckte den Löffel in den Mund, kaute den Zucker und schluckte. Er wollte noch etwas sagen. Das konnte er aber nicht mehr. Er röchelte nur, griff an seinen Hals und fiel um. Es polterte dumpf, als er zu Boden stürzte. Der Mann in dem weißen Arztkittel ging neben seinem Patienten in die Hocke und drehte ihn langsam auf die Seite. Lansings Augen waren weit aufgerissen, die Iris ins Unendliche erweitert. Fred Lansing atmete nicht mehr. Er war tot.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, Mister Lansing, dass Sie nach zehn Tropfen keine Halsschmerzen mehr haben. Ich habe Wort gehalten.“

Der Arzt atmete tief durch, griff mit der rechten Hand in sein Gesicht, zupfte leicht an der Stirn, und die Haut löste sich leise knisternd, als würde sie der Mediziner zusammenknüllen. Es war eine Maske – aus richtigem Fleisch, die durchblutet war. Das freundliche Gesicht des Arztes mit der edel geformten Nase, den sympathischen Zügen und den blauen Augen wich einer grauen, formlosen Masse, in der es keine Augen, keine Nase und keinen Mund mehr gab. Plötzlich kam Bewegung in die Substanz und formte sich zu einem bleichen, verhärmten Antlitz mit schmalen, zusammengekniffenen Lippen, dunklen, tiefliegenden Augen, in denen alle Feuer der Hölle zu lodern schienen. Es war das Gesicht … von Dr. Satanas, dem Menschenfeind und skrupellosen Mörder. Achtlos knüllte er sein falsches Antlitz zusammen und ließ es einfach neben den Toten fallen.

„Auch PSA-Agenten sind sterblich“, sagte er mit unangenehm rauer, gefährlich klingender Stimme. „Du bist der Beweis, Fred Lansing alias X-RAY-10! Ich habe dir gezeigt, dass auch ein PSA-Agent nicht alles durchschauen kann. Du hattest wirklich geglaubt, deinen Hausarzt, Dr. Morris, vor dir zu haben! Den armen Dr. Morris gibt es aber auch schon seit heute Nachmittag nicht mehr. Seine sterblichen Überreste schwimmen bereits in der Kanalisation. Ein kleines Säurebad in seiner luxuriösen Schwimmhalle hat er nicht vertragen.“

Satanas lachte hart, erhob sich, streifte den Kittel ab und breitete ihn über der Leiche des PSA-Agenten Lansing aus. Unter dem Kleidungsstück ragte die Hand des Agenten hervor. Dort befand sich der PSA-Ring. Dieser enthielt nicht nur eine hochtechnisierte Sende- und Empfangsanlage, sondern er hatte auch die Aufgabe beim Tode eines Agenten, ein Signal an die Zentrale zu senden und über das Ableben zu informieren. Danach löste sich der Ring auf.

„Ich habe viel über euch gelernt“, murmelte Dr. Satanas, „während ihr alle geglaubt habt, mich zu studieren! Ihr habt euch vorgenommen, mich zu vernichten. Ich werde euch zuvorkommen! Du warst der Erste, Fred Lansing. Eine Art Versuchskaninchen. Blind bist du in die Falle gelaufen. Ich habe nicht nur über euch, sondern auch über meine Fähigkeiten viel dazu gelernt. Ich habe mehr Kraft, mehr Macht als je zuvor. Ihr werdet einen Dr. Satanas kennenlernen, wie ihr ihn noch nie erlebt habt!“ Triumph klang in seiner Stimme. „Fred Lansing war mein erster Streich. Du solltest froh sein, auf diese Weise den Tod gefunden zu haben. Für die anderen wird es schlimmer. X-RAY-1 ist der Nächste!“

Ein Mann saß am Schreibtisch, trug einen rosenholzfarbenen Anzug und eine dunkle Brille. Der Mann hatte dichtes, graues Haar, das er nach hinten gekämmt trug. Seine Augen waren nicht zu erkennen. X-RAY-1, der geheimnisvolle große Unbekannte im Hintergrund, der die PSA ins Leben gerufen hatte und leitete, war Mitte fünfzig. Seine Agenten kannten ihn nicht. Von seinem Büro aus hielt er telefonisch und über Funk Kontakt zu seinen Mitarbeitern, die in allen Teilen der Welt tätig wurden. X-RAY-1 alias David Gallun war ein Mann der einsamen Entscheidungen, unter dessen Führung die PSA zu dem geworden war, was sie heute darstellte; die schlagkräftige Organisation gegen außergewöhnliche Verbrechen, die durch die herkömmlichen Institutionen und Methoden nicht aufgeklärt werden konnten. Ein Stab der besten Agentinnen und Agenten unterstützten ihn bei seiner Arbeit. Ohne diese Menschen, die eine anstrengende Ausbildung hinter sich hatten und an die große Anforderungen gestellt wurden, die charakterfest und einsatzfreudig waren und über einen hohen Intelligenzquotienten verfügen mussten, wäre auch die PSA nicht zu dem legendären Ruf gekommen, den sie besaß. X-RAY-1 konnte sich auf seine Leute verlassen. Sie fürchteten weder Tod noch Teufel. Und gerade das konnte man, wenn man für die PSA tätig war, wörtlich nehmen. Die PSA wurde tätig in Fällen, bei denen Menschen durch außergewöhnliche, scheinbar unerklärliche Ereignisse bedroht oder gar getötet wurden. Besonderen Wert legte X-RAY-1 dabei auf die Früherkennung, um solche Gefahren schon auszuschalten, bevor sie eintraten. PSA-Agenten, die mit diesen Problemen täglich konfrontiert wurden, hatten eine Art sechsten Sinn entwickelt, handelten spontan und unkonventionell und kannten sich wie niemand sonst in der Welt der bösen Mächte und teuflischen Kräfte aus.

X-RAY-1 selbst hatte Kontakt mit diesen Kräften gehabt und wusste, was es bedeutete, ihnen ausgeliefert zu sein. Die Tatsache, dass er noch mal davongekommen war, hatte den Ausschlag gegeben, die PSA zu gründen. Höchste Regierungsstellen und private Wirtschaftsfunktionäre stellten Geld zur Verfügung, ohne irgendwelche Auflagen zu machen. David Gallun legte vertraglich fest, dass er frei schalten und walten konnte, dass es so unbürokratisch wie möglich zuging und der Mensch wirklich im Mittelpunkt stand, wie das Versprechen der PSA-Agenten lautete. Dieses Versprechen, Im Dienste der Menschheit, war sogar in das Gold der Ringe graviert, die von den Agenten dieser Spezialabteilung getragen wurden.

Auf dem Tisch vor dem Blinden befanden sich zahlreiche Instrumente, Telefone und Mikrofone. Ein leises Summen wies darauf hin, dass die elektronische Anlage in vollem Betrieb war. Aus einem Schlitz auf dem Schreibtisch, der eher aussah wie die Schalttafel eines Raumschiffes, ruckte eine aluminiumfarbene Folie hervor, auf die Zeichen in Blindenschrift gestanzt waren. Durch ein leises akustisches Signal wurde David Gallun darauf aufmerksam gemacht. Sicher griffen seine Finger nach dem Streifen, ließen ihn durchgleiten und ertasteten den Sinn dessen, was ihm da mitgeteilt wurde. Die Hauptcomputer, die in einem vollklimatisierten Raum einen Stock tiefer standen, waren mit der hochwertigen Sende- und Empfangsanlage gekoppelt, die in einem PSA-eigenen Satelliten untergebracht war, der den Globus umrundete und über den der gesamte Funkbetrieb der PSA lief.

„Es geht etwas vor. Die Sache gefällt mir nicht“, kam es leise über die Lippen des grauhaarigen Mannes, der aussah wie ein Vater, zu dem jedes Kind sofort Vertrauen hatte. Gallun nagte an seiner Unterlippe. Der Bericht, den er entgegennahm, erfüllte ihn mit Unruhe. James Turnwood alias X-RAY-8, ein Afroamerikaner, der im Dienst der PSA stand und in Südamerika eingesetzt war, teilte mit, es gäbe untrügliche Zeichen dafür, dass sich in einem kleinen Bergdorf in Chile eine Sekte traf, die okkulte Zusammenkünfte abhielt. Dagegen war im Prinzip nichts einzuwenden, solange dieser Okkultismus niemandem schadete. Doch das war eben nicht mehr der Fall! Seit drei Wochen recherchierte Turnwood in Chile, und es sah ganz so aus, dass mindestens fünf ungeklärte Morde, welche die lokale Polizei mit politischen Motiven zu erklären versuchte, in Wirklichkeit auf das Konto dieser Gruppe gingen, über die Turnwood noch mehr in Erfahrung zu bringen hoffte. Es wurden Blutopfer dargebracht. Menschen wurden wie in den finsteren Tagen der Weltgeschichte beseitigt. Die Namen Dr. Satanas und Rha-Ta-N’my wurden in diesem Zusammenhang erwähnt. Wie passte das eine mit dem anderen zusammen?

In der jungen, aber bewegten Geschichte der PSA waren gerade diese Namen es, die X-RAY-1 und seine furchtlosen Mitarbeiter vor die bisher größten Rätsel und Probleme stellten. Von Rha-Ta-N’my wusste man nicht mehr, als dass es sich bei ihr um eine schreckliche Dämonengöttin handelte, die in grauer Vorzeit auf der Erde herrschte und durch einen Fluch von diesem Planeten verbannt wurde.{1} Noch heute allerdings existierte mindestens ein Exemplar eines Buches, das auf das Wirken Rha-Ta-N’mys und der Totenpriester jener Zeit in der fernen Vergangenheit zurückging, und in dem die gefährlichen Riten, Worte und Symbole standen, die menschliche Hirne verwirrten und menschliches Leben forderten. Dämonen hatten zu allen Zeiten das Blut der Menschen gefordert, das Blut derer sogar, die ihnen dienten. Nur durch den konsequenten Einsatz der PSA war es gelungen, die akute Gefahr bisher zu bannen und die Rückkehr einer Macht zu verhindern, die sich kein menschliches Hirn vorstellen konnte. Jede Bewegung mit dem Übersinnlichen, mit ungewöhnlichen Phänomenen, bei der auf irgendeine Weise Menschen zu Schaden kamen, war gerade auch daraufhin untersucht worden, ob sie nicht etwas mit dem Bestreben jener kolossalen, unmenschlichen Macht zu tun hatte, wieder auf der Erde Fuß zu fassen und eine Zeit entstehen zu lassen, die schon mal Menschen in Angst und Schrecken versetzte. Erfolgreich war bisher jeder Versuch, der in diese Richtung zielte, abgewehrt worden.

Eine andere Geschichte war das Auftauchen des nicht minder rätselhaften Dr. Satanas. Bis zur Stunde wusste immer noch niemand, wer er war und woher er kam. In tausend Masken trat er auf und beging seine Verbrechen. In den meisten Fällen war es durch das beherzte Eingreifen von Larry Brent und Iwan Kunaritschew gelungen, Schlimmeres zu verhüten. Doch gefasst hatte man den Unhold noch nicht. Aus allen Teilen der Welt gab es auch hier Hinweise, welche die Computer verarbeiteten und mit den bisher gespeicherten Daten verglichen. Neue Erkenntnisse kündigten sich an, aber noch waren sie zu gering, um zu Buche zu schlagen. Durch James Turnwoods Bericht kam nun einiges an neuen Vermutungen hinzu. Rha-Ta-N’my und Dr. Satanas wurden in einem Atemzug erwähnt. Wie passte das eine zum anderen? Eine völlig neue Variante tat sich auf.

Höchste Aufmerksamkeit war geboten. David Gallun war gerade dabei, nach dem Telefon zu greifen, als es plötzlich anschlug. Er hob ab und meldete sich als X-RAY-1 in der Erwartung, dass einer seiner Mitarbeiter ihm etwas mitzuteilen habe. Nur den engsten Vertrauten der PSA war diese Telefonnummer bekannt.

„Guten Abend, X-RAY-1“, sagte eine kalte, messerscharfe Stimme.

Noch ehe sie fortfuhr zu sprechen, fühlte X-RAY-1 ein leichtes Kribbeln im Nacken. Gefahr!, gellte es in seinem Bewusstsein auf. Das Gefühl entstand so heftig in ihm, wie er das seit langem nicht mehr gespürt hatte. Am anderen Ende der Strippe befand sich eine Person, die Unruhe und Angst vermittelte. X-RAY-1, der nach einem schweren, provozierten Unfall noch mal mit heiler Haut davongekommen war, hatte sich seinerzeit einer schwierigen Operation unterziehen müssen. Seit diesem Zeitpunkt war er ein Empath, das bedeutete, dass er Stimmungen und Gefühle anderer Menschen empfangen und auswerten, aber auch beeinflussen konnte. Nur selten hatte er bisher von dieser Gabe Gebrauch gemacht. In der Abgeschiedenheit seines Büros, wo er seine einsamen Entscheidungen traf, gab es wenig Gelegenheit und es bestand auch kaum die Notwendigkeit, diese Fähigkeit einzusetzen.

„Ja, bitte?“, blieb er höflich, obwohl die wenigen Worte, die der Anrufer bisher gesprochen hatte, ihm zur Genüge bewiesen, dass der andere auf diese Höflichkeit überhaupt nicht reagieren würde. David Gallun täuschte sich nicht.

„Ich will Ihre wertvolle Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen, X-RAY-1“, fuhr die unbekannte Stimme spöttisch fort. „Ich wollte Sie eigentlich nur darauf aufmerksam machen, dass es ein besonders lustiger Abend für Sie wird.“

„Wer sind Sie?“, reagierte Gallun mit scharfer Stimme.

„Namen tun doch nichts zur Sache, Sir. Nicht im Moment jedenfalls. Sie sind doch immer sehr interessiert daran, Neuigkeiten zu erfahren.“

Galluns Miene war starr wie eine Maske. Er schien in diesen Sekunden selbst das Atmen zu vergessen, so angespannt war er. Wer mochte der andere sein? Ein Agent sicher nicht, aber nur denen war die geheime Telefonnummer bekannt! Tiefe Sorgenfalten furchten seine Stirn.

„… sicher haben Sie die New York Times von heute gelesen“, fuhr die Stimme fort. „Oh, entschuldigen Sie! Man vergisst es so leicht, Sie können ja nicht sehen. Aber Sie sind doch ständig über alles informiert, was in der Welt und in dieser Stadt vorgeht. Gibt es eine spezielle Blindenzeitung, Sir?“ Der andere wartete die Antwort erst gar nicht ab. „Nun, das alles ist auch gar nicht so wichtig. Ich wollte Sie auf die Einweihung des Sky-Hotels aufmerksam machen. Der neue Wolkenkratzer entsteht in unmittelbarer Nähe des Riverside Parks und des Riverside Museums. Das Hotel liegt im achten, neunten und zehnten Stockwerk. In den Etagen darunter befinden sich die Büros von Steuerberatern, Anwälten, Ärzten und Immobiliengesellschaften. Das Sky ist interessant! Ich habe es mir angesehen. Heute Abend sind geladene Gäste dort. Damen in großer Abendgarderobe, Herren im Smoking. Eine illustre Gesellschaft! Auf die alle möchte ich Sie aufmerksam machen, X-RAY-1. Rund fünfundsiebzig Menschen sind versammelt. Keiner von ihnen wird den morgigen Tag erleben. In genau fünf Minuten gehen dort drei Bomben hoch. In jeder der Sky-Etagen eine. Knapp hundert Menschen werden von einer Sekunde zur anderen in ein brüllendes Feuermeer eingehüllt sein. Es gibt keinen Ausweg! Dieser Anruf, X-RAY-1, ist kein makabrer Scherz. Er soll Ihnen beweisen, dass der Plan, den ich mir vorgenommen habe, Schritt für Schritt Wirklichkeit wird. Der Untergang des Sky-Hotels ist ein Fanal für den Untergang der PSA! Es ist jetzt einundzwanzig Uhr siebenunddreißig. Noch vier Minuten bis zur Zündung der Nitroglycerin-Behälter! Das war eine Nachricht von Dr. Satanas!“

Es knackte hart. Der Teilnehmer hatte aufgelegt. David Gallun glaubte, jemand griffe ihm mit eisiger Hand ins Genick. Dr. Satanas! Der Erzfeind der PSA! Wie kam er an die Geheimnummer? Aber sich jetzt darüber Gedanken zu machen, war müßig. Ganz anderes stand auf dem Spiel: das Leben von fünfundsiebzig Menschen! Die musste er warnen, ehe die Hölle über die Ahnungslosen hereinbrach. Die Rufnummer des Sky-Hotels! Gallun drückte mit zitternder Hand den flachen Knopf unterhalb der Tischleiste. Ein leiser Summton wurde hörbar. Zu einem der großen Hauptcomputer, die eingehenden Meldungen und Berichte aus aller Welt archivierten, entstand eine Verbindung.

„Die Nummer des neuerrichteten Sky-Hotels am Hudson River“, verlangte X-RAY-1 mit rauer Stimme. Diese Computer, welche die Meldungen für ihn akustisch oder in Blindenschrift gestalteten, werteten auch Alltagsmeldungen aus. Nun zeigte sich, dass ein Archiv nie zu groß sein sollte, dass jede Pressemeldung irgendwann doch mal bedeutungsvoll werden konnte. Das gesamte Pressematerial eines einzigen Tages wurde obligatorisch auf einen daumennagelgroßen Mikrofilm kopiert, von denen es schon mehr als eine halbe Million in den PSA-Archiven gab.

Computer arbeiteten schnell. Schneller als Menschen.

Zehn Sekunden vergingen. Sie kamen X-RAY-1 vor wie eine Ewigkeit. Nochmals zehn Sekunden.

Ein leises, hämmerndes Geräusch erfolgte, als ob ein Lochstreifen gestanzt würde. Aus dem Schlitz rutschte die Folie, darauf befand sich in Blindenschrift die Rufnummer des Sky-Hotels.

David Gallun wählte und kam nicht durch. Besetzt! Weitere zwanzig Sekunden gingen verloren.

Schweiß perlte auf seiner Stirn. Er konnte nicht länger warten. Polizei und Feuerwehr mussten alarmiert werden. Die Nummern wusste er auswendig. X-RAY-1 wählte, kam durch und leitete alles in die Wege.

„Beeilt euch“, sagte er heiser. „Falls euch noch genügend Zeit bleibt, überhaupt etwas zu unternehmen.“

Es war 21.40 Uhr. Noch sechzig Sekunden …

Sie waren ahnungslos, und in ihrer Ahnungslosigkeit waren sie glücklich und zufrieden.

Die Stimmung war famos. Die geladenen Gäste amüsierten sich prächtig. Männer und Frauen standen in Gruppen beisammen. Die Geschäftsleitung ließ echten französischen Champagner auffahren, und auf silbernen Tabletts wurden mit Lachs und Kaviar, Schinken und Pastete belegte Schnitten gereicht. Daneben war ein kaltes Büfett aufgebaut, wo es vom Geflügelsalat bis zum zerlegten Fasan alle kulinarischen Köstlichkeiten gab.

Janette O’Casey, berühmte rothaarige Fernsehreporterin, griff mit spitzen Fingern nach einer langen silbernen Gabel und zupfte sich eine appetitlich duftende Fleischschnitte auf ihren Dessertteller, der ein verschnörkeltes, ansprechendes Motiv trug, das speziell für das Sky-Hotel von einem finnischen Künstler entworfen worden war. Neben Janette O’Casey tauchte Bill Morgan auf. Er war Chefredakteur einer großen Programmzeitschrift, die wöchentlich in mehreren Millionen Exemplaren auf dem amerikanischen Markt erschien.

Morgan war ein Schwergewicht. Seine zweieinhalb Zentner pflegte er. Alles an ihm war in die Breite geraten, und er hatte Mühe, seine Fleischmassen noch zu bewegen. Er atmete schwer. In der Rechten trug er einen Teller, auf dem er diverse Salate, Schinken und zwei geräucherte Fleischseiten angehäuft hatte.

Janette O’Casey verdrehte die Augen. „Lieber Bill“, meinte sie mit ihrer klaren, sympathischen Stimme. „Wenn ich so sehe, was Sie da alles für hübsche Sachen auf Ihrem Teller haben, dann steigt mein Cholesterinspiegel, ohne dass ich einen Bissen zu mir nehme.“

Bill Morgan grinste. Seine dicken Wangenpolster schoben sich nach oben, so dass seine Augen praktisch nicht mehr zu erkennen waren. „Der Cholesterinspiegel ist halb so schlimm, Janette. Den kriege ich mit guten Pillen unter Kontrolle. Was denken Sie, wie erst mein Blutdruck steigt, wenn ich Sie sehe!“ Er schob sich ein mit Spargelköpfen und Sahnemeerrettich gefülltes Schinkenröllchen zwischen die Zähne. „Seit dem letzten Mal haben Sie sich verändert. Die Haarfarbe ist anders. Sie benutzen ein neues Make-up, die Kleider sind auch nicht mehr dieselben.“

Janette lachte. Morgan verzog keine Miene. Er hatte eine ganz eigene Art von Humor.

„Jetzt fehlt bloß noch, dass Sie sagen, der Pickel am Kinn sei auch endlich verschwunden.“

„Moment“, dachte Morgan sofort scharf nach. „Das kenn ich doch. Irgendwie kommt mir der Witz bekannt vor.“ Er kam nicht drauf, setzte seine Ausführungen aber fort. „Wie lange ist es eigentlich her, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben?“