Larry Brent Classic 079: Totengruft der Templer - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 079: Totengruft der Templer E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Während in New York Larry Brents Schwester entführt wird, steigen in Frankreich Untote aus den Gräbern. Es sind abtrünnige Templer aus der Zeit der Kreuzzüge. Unaufhaltsam nähern sie sich einem alleinstehenden Haus.

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Band 79

Dan Shocker

Totengruft der Templer

Erscheinungstermine von „Totengruft der Templer“

© 2015 BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: Ralph Kretschmann

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Druck und Bindung: CPI, Clausen & Bosse, Leck

Alle Rechte vorbehalten

www.BLITZ-Verlag.de

Das Dorf Beaumage bestand nur aus wenigen Häusern. Zweihundertsiebzehn Menschen lebten dort, die meisten Bauern und einfache Handwerker. Beaumage hat sich in der Geschichte keinen Namen gemacht, und das Dorf im äußersten Süden der Provence ist so unbedeutend, dass es auf keiner Landkarte auftaucht.

Und doch birgt es ein Geheimnis. Ein großes sogar, denn in einem bewaldeten Hügel jenseits der Weiden und Äcker liegen die Reste eines Tempels, in dem in den Jahren 1307-1310 unbeschreibliche Gräueltaten begangen wurden. Der Tempel versank in Schutt und Asche. Die Herren des Tempels – abtrünnige Templer, die sich unheimlichen und okkulten Riten verschrieben –, nahmen ihre Geheimnisse und Kenntnisse zwar mit ins Grab, hinterließen aber ein schreckliches Vermächtnis. Es sollte an einem Frühsommertag zur Erfüllung kommen, als der zwölfjährige Ricky Desud wildernd durch den dichten Wald auf die kleine Anhöhe lief.

Ricky trug ein weiß-rot gestreiftes T-Shirt. Auf der Brust war ein großer Kreis mit einem roten R. „Hierher, Napoleon … hierher hab ich gesagt!“

Wer da auf den berühmten Namen Napoleon hören sollte und es nicht tat, war ein kleiner Rauhaardackel, der schwanzwedelnd in alle möglichen Richtungen lief, nur nicht dahin, wo der Junge ihn haben wollte.

Ricky Desud seufzte. „Du bist das anstrengendste Geburtstagsgeschenk, das ich je bekommen habe“, stöhnte er. „Du musst anfangen zuzuhören. Hierher heißt: Komm zu mir!“ Er führte den Hund an einer Leine, die er mit einem vier Meter langen Wäscheseil verlängert hatte, um den Bewegungsspielraum für den nervösen Vierbeiner zu vergrößern.

Sanft zog der Junge an der Leine. Napoleon, der einen besonders delikaten und aufregenden Geruch in einem Gebüsch wahrgenommen hatte, ließ sich nicht beirren und stemmte sich mit allen Vieren gegen die Zugbewegung. Ricky ging etwas rabiater vor, um zu zeigen, wer der Herr war. Ruckartig zog er den kleinen Dackel immer weiter auf sich zu. Der begann zu jaulen und zu heulen und wollte unbedingt ins Gebüsch.

„Napoleon!“, maulte Ricky, der seinem Hund zum ersten Mal die weitere Umgebung von Beaumage zeigte. „Du bist ein Dickkopf. Du musst mir gehorchen, kapiert!“

Rauhaardackel Napoleon kapierte nichts, war störrisch wie ein kleines Kind und sprang in die entgegengesetzte Richtung, in die der Junge ihn zog.

Der Hund schlenkerte mit den kleinen krummen Beinen und jaulte erneut. Er hatte eigentlich nicht die Kraft, sich loszureißen. Und doch kam es dazu. Ricky hatte die Wäscheleine nur mit einem einfachen Knoten an der Schleife des Lederriemens befestigt. Der Knoten ging auf.

Napoleon merkte sofort, dass sein Dagegenstemmen Erfolg hatte und war noch so in Schwung, dass er nach vorn kippte und auf die Schnauze fiel.

Der Dackel war von seiner eigenen Kraft derart überwältigt, dass ihm auch die Hinterbeine wegsackten. Er rutschte über den mit Laub bedeckten Boden und war im nächsten Moment wieder auf den Beinen. Als Ricky bemerkte, dass Napoleon nicht mehr an der Leine war, kreischte er in höchsten Tönen. „Stehengeblieben! Keinen Schritt weiter!“

Der Junge rannte nach vorn, doch der Dackel verschwand blitzschnell in dem Gebüsch, das die ganze Zeit schon sein reges Interesse geweckt hatte. Napoleon tauchte unter im Halbdunkel, und Ricky konnte schreien und drohen so viel er wollte, es half alles nichts. Der Hund kroch immer tiefer ins Dickicht, und dem Jungen blieb nichts anderes übrig, als sich flach auf den Bauch zu legen und zu versuchen, ebenfalls in das Gebüsch einzudringen. Aber selbst ein kleiner Junge ist größer als ein Hund. Was Napoleon spielend schaffte, wurde für Ricky Desud zum Problem.

Die Zweige waren zu dicht und hingen zu tief herab, und Ricky starrte ängstlich ins Dickicht. „Napoleon!“, brüllte er, und seine Stimme nahm einen weinerlichen Klang an.

Er hörte nur noch das Rascheln, sah aber nichts mehr von seinem kleinen vierbeinigen Geburtstagsgeschenk.

Wie sehr hatte er sich immer einen Hund gewünscht! Die Mutter hatte ihm eingeschärft, sehr auf den unbeholfenen und naseweisen Kerl aufzupassen. Auf keinen Fall dürfte er ihn frei laufen lassen. Und genau das war jetzt passiert.

Rickys Herz klopfte bis zum Hals und er kämpfte mit den Tränen. Er fing an, Zweige und Laub abzureißen, rief immer wieder nach seinem Hund und verlegte sich aufs Betteln. Weder das eine, noch das andere nützte jedoch etwas.

Der Junge richtete sich schließlich auf, lief um das Gebüsch herum und blieb zwischendurch immer wieder mal stehen, um zu lauschen, wo das Rascheln herkam. Es hörte sich so leise, schon so weit entfernt an. Ricky brach durch die Büsche, kämpfte sich durchs Unterholz und geriet so immer mehr in den Wald hinein. Der Boden führte sanft bergauf. Knorrige alte Buchen und Eichen wuchsen hier, und das Unterholz war so dicht, dass man sich darin verfangen konnte.

Die dichtbelaubten Wipfel ließen kaum mehr Sonnenlicht durch, das ohnehin immer schwächer wurde. Im Westen färbte sich der Himmel schon rot.

Ricky Desud biss sich die Lippen blutig. Immer wieder schluckte er mannhaft.

„Napoleon?!“, wisperte er. „Wo bist du hingelaufen? Komm zurück … Ich tu dir auch nichts, ich werde nicht mal schimpfen, sondern dich ganz lieb streicheln … Aber komm wieder! Ich kann doch nicht ohne dich nach Hause kommen … Es wird bald finster werden und dann weißt du nicht mehr, wo du bist … Napoleon!“

Rickys Ruf hallte durch den stillen Wald. Und in dem Moment, als seine Stimme verebbte, hörte er ein Rascheln. Nur drei Schritte entfernt, hinter einer Bodenerhebung, tauchte etwas Dunkles auf, das Ähnlichkeit mit einer wandelnden, struppigen Bürste hatte.

Napoleon!

Er machte ein paar merkwürdige Sprünge und schien etwas zu verfolgen, das durchs Laub hüpfte … ein Frosch, eine Maus oder ein Wiesel. Er tappte nach vorn, noch mit den tapsigen, unbeholfenen Bewegungen eines jungen Tieres, das seinen Körper noch nicht beherrschte. Der Hund sprang nach vorn, wollte etwas festhalten, rutschte in ein Loch und verschwand.

Von Napoleon war nichts mehr zu hören und zu sehen.

Im ersten Moment erschrak Ricky, aber dann triumphierte er. Wenn der Hund in ein Loch gefallen war, kam er womöglich aus eigener Kraft nicht mehr heraus. Man brauchte ihn dann nur noch ins Genick greifen, um ihn nach Hause zu tragen.

Ricky preschte los, warf sich ins Laub und griff in den Spalt, in dem sein Hund verschwunden war. Hastig räumte der Junge Äste und Laub beiseite, streckte seinen Arm in die Bodenöffnung und musste zu seinem Erschrecken feststellen, dass das Loch tiefer als vermutet war. Seine Finger stießen ins Leere. Der Junge spähte in das Loch, ohne jedoch etwas zu erkennen.

Die Öffnung war schmal und befand sich unterhalb eines verwitterten, brüchigen Steines, der mit Moos, Gras und Unkraut überwachsen war. Aus einem Spalt wuchs sogar eine kleine Birke.

Der Stein lag quer über dem Loch wie ein Abstützbalken, der verhinderte, dass die Erde an dieser Stelle wegsacken und das Loch verschütten konnte.

Mit bloßen Händen entfernte Ricky dicke Erdschollen. Der Boden war humusreich und locker. Er ließ sich leicht beiseiteschaffen. Ricky kam es darauf an, das Loch zu vergrößern, um besser den Kopf hineinstecken und begutachten zu können, wohin Napoleon gefallen war. Im Boden lagerten noch mehr Steine. Die waren kleiner, saßen aber ziemlich tief in der Erde, und er musste sie mühsam herausholen. Das kostete Zeit und Kraft.

Ricky besorgte sich einen dicken Ast und stocherte damit in der Erde herum. Manche Steine waren so morsch und brüchig, dass sie wegbrachen, sobald er mit dem Stock darauf stieß. Sie fielen mit Erde, Grasbüscheln, Unkraut und fauligem Laub in die Tiefe. Hier musste vor langer Zeit einmal ein Haus gestanden haben, das wohl verfallen war. Später dann hatte sich Erde darauf gesammelt, und Sträucher überwucherten die Trümmer.

Über die Größe mancher Steine, die das erweiterte Loch von der Seite stützten, und dieer auch mit dem Stock nicht herauslösen konnte, war Ricky verwundert. Das musste ein großes Haus gewesen sein, das hier eingestürzt war. Ein Palast oder ein Tempel!, überlegte er.

„Napoleon?!“, rief er dann wieder in das erweiterte dunkle Loch zwischen den alten, überwucherten Steinen. Seine Stimme hallte schaurig durchs Dunkel und vermittelte eine Ahnung davon, wie groß und weit der Hohlraum sein musste, der dort unten lag.

Ein letzter Rest Tageslicht schimmerte durch die Bäume, ging über den Rand der Erdöffnung hinaus und zeigte Ricky einige herumliegende Steine, die aus den massigen Mauern herausgebrochen waren. Die Steine waren gar nicht so weit entfernt und brachten ihn auf eine Idee. Er konnte sie wie eine Treppe benutzen. Ricky Desud überlegte nicht lange. In seinem Kopf hatte nur ein Gedanke Platz, und der betraf den kleinen Rauhaardackel, den seine Eltern ihm zum Geburtstag geschenkt hatten und für den er die Verantwortung trug.

Der Junge drehte sich herum, stieg vorsichtig in das Loch und klammerte sich mit beiden Händen an der Kante eines langen dicken Quaders und an den Wurzeln fest, die darüber ragten.

Ricky testete seine Möglichkeiten und wollte herausfinden, ob er unter den Füßen festen Halt bekam. Wenn er einen guten Stand bekam, war es auch kein Problem mehr, wieder nach oben zu steigen.

Napoleon hatte sein Halsband und die Lederleine noch an. So konnte Ricky, wenn er ihn fand, besser nach ihm greifen. Er kam mit den Füßen unten auf. Der Stein trug ihn, und Ricky wollte noch nicht loslassen, aber das Schicksal bestimmte es anders. Er rutschte auf dem schrägliegenden Quader ab, und sein ganzes Körpergewicht hing sekundenlang an den dünnen Wurzeln. Der plötzliche Ruck riss ihn in die Tiefe, und er landete neben dem Quader und schlug sich die Knie auf. Der Junge verbiss sich einen Schmerzensschrei. Unter seiner Hand, die bei dem Sturz in einen Spalt zwischen zwei Steine geraten war, kribbelte es. Ricky fühlte die harten, wimmelnden Chitinpanzer unter seinen Fingern und schrie auf. Trotz aufgeschlagener Knie war er sofort auf den Füßen. Dunkelheit umgab ihn, und es dauerte einen Moment, bis seine Augen sich daran gewöhnt hatten. Im sich abschwächenden Tageslicht, das durch das von ihm erweiterte Loch fiel, sah er die Umrisse großer und kleiner Quader, die wild durcheinander gewürfelt waren. Senkrecht stehende Wände stützten die unterirdischen Räume.

Ricky hatte Streichhölzer dabei und riss eines an. Im unruhig flackernden Licht sah er den Verlauf eines Weges, der ebenfalls von kleinen und großen Steinen übersät war. In den dunklen Ecken und Winkeln regte sich etwas. Hunderte von Käfern und Spinnen verschwanden lautlos in Wandnischen, Spalten und Ritzen, Mäuse sausten zwischen den Steinen davon und krochen blitzschnell in ihre Schlupfwinkel.

Ihm fröstelte, als er sich nach Napoleon umsah und hoffte, dass sein kleiner Hund den Sturz in die Tiefe überstanden hatte. Ricky fürchtete, dass der Dackel sich vielleicht tödlich verletzt haben könnte. Auf sein Rufen reagierte er nicht. Ricky suchte so intensiv, dass er nicht merkte, wie das Streichholz immer kleiner wurde, bis er sich die Finger verbrannte. Die Flamme erlosch, er riss ein neues Hölzchen an.

Zwischen den Steinen, die er inzwischen erreicht hatte, war der Hund nicht zu sehen. Das gab ihm die Hoffnung, dass Napoleon kurzerhand im Labyrinth umherliegender Steine und der sich dazwischen befindenden Gänge verschwunden war. Ricky entdeckte jedoch nur Mäuse und auch einige fette Ratten, die davonrauschten, als er mit seinem flackernden Streichholz tiefer in das eingestürzte unterirdische Bauwerk vordrang.

Dann fuhr er mit einem wilden Aufschrei zusammen. Er sah aus einer Spalte zwischen mehreren aufeinandergeschichteten und moosüberwachsenen Steinen eine buntschillernde Schlange hervorschießen. Das Reptil schnellte auf eine Maus zu, die sich vor dem Jungen in Sicherheit bringen wollte. Sie schaffte es nicht mehr und zappelte im nächsten Moment zwischen den Kiefern. Der winzige Nager verkrampfte sich, als sich die Giftzähne der Schlange in seinen kleinen Leib bohrten. Das Gift wirkte sofort, und die Schlange zuckte in ihr dunkles Versteck zurück.

Ricky stand sekundenlang wie erstarrt und wagte nicht zu atmen. Hier unten in dem großen Loch lebten diese Viecher wie die Maden im Käse. Mit jeder Sekunde, die verstrich, fühlte er sich unwohler. Ein leises Geräusch lockte ihn noch einige Schritte tiefer in die verschüttete Ruine. Er kam durch einen halbschrägen Durchlass. Hier war der Boden abgesackt, und hinter dem Durchlass befand sich ein Raum von der Größe einer Halle. Er schlich hinein. „Napoleon?“, rief er in die Dunkelheit und riss ein weiteres Streichholz an. Der Boden war mit Sand und Staub übersät. Auch Reste vertrockneter Pflanzen lagen herum und die ausgewürgten Skelette von Ratten und Mäusen, ein Zeichen dafür, dass es hier besonders viele Schlangen gab.

Ricky Desud blieb stehen. War dies ein Schlangennest? Hier unten hatten sie die besten Lebensbedingungen, konnten sich vermehren und es gab genügend Mäuse und Ratten, die sie jagen konnten. Aber würden sie auch Menschen und Hunde anfallen? Der Gedanke daran, dass Napoleon von einem solchen Reptil getötet worden sein konnte, erfüllte ihn mit Angst.

Zwischen all dem Staub, Unrat und ausgespienem Gebein entdeckte er jedoch keine einzige Schlange, aber auch nicht seinen Hund. Dafür sah er etwas anderes: lang gestreckte, etwa fünfzig Zentimeter hohe Steinsärge. Sie standen in eigenartiger Anordnung, wie strahlenförmig, vor einem runden Altar, der an eine abgebrochene Säule erinnerte. Die Säule hatte einen Umfang von mindestens drei Metern und wirkte massig.

Eine Schatzkammer? Eine Gruft? Ricky musste an die Romane denken, die er so gern las, in denen von Dr. Frankenstein und dem Grafen Dracula aus Transsylvanien die Rede war. Er gruselte sich gern bei solchen Geschichten, und Angst hatte er nicht. Er fand das alles sehr spannend und aufregend. Es gab keinen Zweifel, er hatte hier mitten im Wald, dort wo der Hügel am höchsten war, eine seltsame Entdeckung gemacht. In Beaumage wusste offenbar kein Mensch etwas von dieser unterirdischen Ruine. Obwohl er hier groß geworden war und mit den anderen Jungen und Mädchen im Dorf auch schon Verstecken gespielt hatte, war ihnen diese Stelle nie besonders aufgefallen.

Neugierig trat Ricky näher und ging auf die sieben Steinsärge vor dem runden, abgebrochenen Altar zu. Die grauen Särge waren mit Spinngewebe überzogen, riesige Schleier spannten sich auch von Ecke zu Ecke unter der Decke entlang und hüllten einen Teil des Altars ein. Die Wände waren verstaubt und auch mit klebrigem Gespinst überzogen. In den oberen Ecken hockten fette Spinnen, und als er näherkam und mit bloßen Fingern die Schleier zerriss, ging ein Zittern durch die kugelrunden Leiber. Manche Spinne sauste davon und suchte ein tieferliegendes Versteck in einer Spalte auf. Die Wände ringsum waren alles andere als kahl und schmucklos. Unter den klebrigen Fäden und dem Staub, der sich festgesetzt hatte, waren farbenprächtige Gemälde zu erkennen. Sie waren direkt auf den teilweise schon vergammelt aussehenden Verputz gemalt.

Im unruhig flackernden Licht eines neuen Streichholzes sah Ricky sich einige Szenen an. Links vor ihm war die Darstellung eines riesigen Schlachtfeldes. Im Hintergrund jenseits massiger Mauern erschienen die Umrisse von Türmen und Minaretten, davor Berittene, die weiße Umhänge trugen und mit einem großen rotbraunen Kreuz verziert waren. Die Männer trugen Helme und hatten sich mit Lanzen und Schwertern bewaffnet. Der Boden war übersät mit Leichen. Die Menschen in den weißen Umhängen mit dem Kreuzsymbol mussten erschlagen, erstochen oder erschossen worden sein. In vielen Körpern steckten gleich mehrere Pfeile.

Der Anführer der Gruppe hockte offenbar tot auf seinem Pferd, das von mehr als zehn Pfeilen niedergestreckt worden war. Die Feinde im Hintergrund umringten die Toten. Eine Szene aus ferner Vergangenheit, aus dem 11. oder 12. Jahrhundert, wie Ricky aus der Geschichtsstunde wusste. Hier wurden Kreuzritter dargestellt, die die heiligen Stätten der Christenheit aufgesucht hatten und dabei den Tod fanden.

Die Wand hinter dem abgebrochenen Altar war halbrund und enthielt eine Vielzahl unterschiedlicher Darstellungen. Da waren erneut Ritter in weißen Umhängen zu sehen, aber die Kreuze standen auf dem Kopf. Die Templer standen in finsteren Gemäuern, bei alchemistischen Unternehmungen und sonderbaren, abschreckenden Ritualen. In einer Szene erkannte Ricky sogar den runden Altar wieder, vor dem die sieben Steinsärge standen. Auf der Halbsäule thronte ein riesiger Kopf, von einer wilden Haarpracht umgeben, mit gierig aufgerissenen Augen. Der Schädel trug Hörner, die steil emporragten. Das Bild des Satans. Triumphierend blickte er auf ein Opfer, das man ihm darbrachte. Zwei Männer in weißen Umhängen zerrten eine nackte Frau auf ein Podest direkt vor dem eigentümlichen Altar. Ein dritter Templer stand am Kopfende mit hocherhobenem Schwert, und weitere vier Personen flankierten das Podest und hielten schwere Goldbecher in der Hand, an denen Blutstropfen klebten. Das Bild schien auszudrücken, dass diese Männer auf neues Blut warteten, das sie trinken wollten.

Ricky zerriss so viele Spinnweben, wie er erreichen konnte, um noch mehr der seltsamen Darstellungen freizulegen. Er stellte fest, dass stets sieben Personen auf den Gemälden versammelt waren. Es waren immer dieselben und trotz der gleichen Kleidung, die sie trugen, leicht voneinander zu unterscheiden. Sie sahen verschieden aus und waren unterschiedlich groß. Der eine trug einen grau-weißen Spitzbart und hatte ein wettergegerbtes Gesicht, der andere hatte einen Backenbart, der sein ovales, hageres Gesicht wie ein Bilderrahmen umgab. Ein dritter fiel durch seine kräftige Gestalt und buschige Augenbrauen auf, der vierte hatte eine Hakennase, die wie ein Geierschnabel aus seinem Gesicht ragte.

Ricky Desud ging zwischen den einzelnen Särgen entlang und entdeckte, dass bei einem der Deckel nicht ganz auflag. Hinter dem Spalt raschelte es.