Larry Brent Classic 087: Im Todesnetz der Kung-Fu-Killer - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 087: Im Todesnetz der Kung-Fu-Killer E-Book

Dan Shocker

0,0

Beschreibung

Die PSA-Agenten Larry Brent, Su Hang und Iwan Kunaritschew treffen in China auf einen Propheten. Die verheerenden Aussagen des Mannes treten ein. Ein erbarmungsloser Kampf beginnt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 150

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Band 87

Dan Shocker

Im Todesnetz der Kung-Fu-Killer

Erscheinungstermine von „Im Todesnetz der Kung-Fu-Killer“

10.08.1976 als Silber Grusel-Krimi Nr. 122

© 2016 BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: Ralph Kretschmann

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Druck und Bindung: CPI, Clausen & Bosse, Leck

Alle Rechte vorbehalten

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-887-7 (epub)

Die schauerlich aussehenden Gestalten umringten ihn. Lia Toos Lippen wurden zu einem schmalen Strich in seinem wächsernen, von kaltem Schweiß bedeckten Gesicht. Unheimliche Laute, schlangengleiches Zischen und Blubbern, das von einem nahen Sumpf herrührte. Lia Too stand da wie gelähmt. Wie kam er hierher?

Er konnte sich nicht daran erinnern, einen Weg gegangen zu sein, der ihn in diese abgelegene, nebelgeschwängerte Landschaft geführt hätte.

Er schlug die Augen auf … und war einfach dort.

Aus dem bleiernen Nebel schälten sich die fahlgelben Gestalten. Sie hatten durchweg graues, dünnes Haar und große, schräg liegende schwarze Augen. Fremde Wesen … von einem anderen Stern?

„Du brauchst keine Angst vor uns zu haben“, sagte eine der Gestalten. Die dunkle Stimme mischte sich unter die unheilvollen, Gänsehaut erzeugenden Laute und wurde Teil der grauenvollen Klänge, die sein Innerstes durchbebten. „Du sollst etwas für uns tun.“

„Für euch? Wie käme ich dazu? Wer seid ihr?“

„Nicht von dieser Welt. Aber das, worum wir dich bitten, kommt einem zugute, der aus deinem Volk stammt.“ Die Laute, die in sein Gehör drangen, waren nicht immer klar verständlich. Der Sprecher bediente sich zwar der chinesischen Sprache, doch es waren Begriffe darunter, wie sie heute nicht mehr gebräuchlich waren, und Lia Too, der Schreiner, hatte Mühe, sich etwas darunter vorzustellen.

„Du bist dazu auserwählt, einem Großen deines Volkes einen Gefallen zu tun. Du kannst dich nicht weigern, denn du wohnst im Haus der vierten Dekade.“

Auf Toos Stirn bildeten sich steile Falten.

„Haus der vierten Dekade?“

Er blickte sich in der Runde der fahlgelben Gestalten um. Etwas Dämonisches, Gespenstisches haftete ihnen an. Ihre Nähe bedrückte und erschreckte ihn, und er war dennoch nicht in der Lage vor ihnen davonzulaufen.

„Es ist nicht nötig, dass du weißt, was damit gemeint ist“, fuhr die Stimme fort. Lia Too bemühte sich vergeblich, festzustellen, wer der Sprecher der unzähligen Geschöpfe war. „Du sollst lediglich den Stein des Dunklen Opfers freilegen. Mehr verlangen wir nicht von dir. Du findest den Altar in deinem Haus, dem Haus der vierten Dekade.“

Er träumte! Der Gedanke daran erleichterte ihn. Nun passte nämlich überhaupt nichts mehr zusammen.

Der Sprecher fuhr fort: „Im Keller deines Hauses gibt es eine geheime Falltür. Die führt zum Stein des Dunklen Opfers. Das ist die erste Botschaft, die wir für dich haben. Wir kommen in der nächsten Nacht wieder, um uns zu vergewissern, ob du unseren Auftrag erfüllt hast.“

Er wollte noch etwas dazu sagen, als Bewegung in die Reihen der fahlgelben, etwa einen Meter großen Gestalten geriet.

Wie trockene Blätter wirbelten sie durcheinander. Die bleiernen Nebel zerfetzten und schienen die Geschöpfe aufzusaugen. Für den Bruchteil einer Sekunde war es Lia Too, als ob die Finsternis dahinter sich aufhellte. Er erkannte die Umrisse einer geheimnisvollen, seltsamen Stadt, die von Architekten erbaut zu sein schien, die andere Gesetzmäßigkeiten zu berücksichtigen hatten als die herkömmlichen irdischen.

Aber es ging alles so schnell, dass er sich nicht auf Einzelheiten konzentrieren konnte.

Die Bilder erloschen, die fernen, nur schemenhaften Umrisse lösten sich mit dem zerfließenden Nebel auf.

Lia Too schüttelte sich kurz … und schlug die Augen auf.

Die Spannung fiel von ihm ab wie eine zweite Haut.

Die vertraute Umgebung seines Schlafzimmers umgab ihn. Er war zu Hause. Alles, was er eben gesehen und gehört hatte … war doch nur ein Traum gewesen!

Da fuhr er wie unter dem Guss eiskalten Wassers zusammen, und eine Hand schien sein Herz zusammenzupressen.

Über sein Bett zog bleierner Nebel und löste sich im nächsten Moment auf.

Draußen herrschte kein Nebel! Die Luft war mild und klar. Der Fluss und die Wiesen lagen weit entfernt.

Lia Too richtete sich den Atem anhaltend in seinem Bett auf.

Sein Blick fiel auf seine bessere Ehehälfte. Tei schlief tief und fest.

Zwei Minuten verstrichen, und Lia Toos Innerstes war aufgewühlt.

Er starrte zu dem halb offen stehenden Fenster. Dahinter schloss sich ein kleiner quadratischer Garten an, in dem mehrere große Kirschbäume standen, die voll erblüht waren. Der Blütenduft erfüllte die stille Nacht.

Der Himmel war klar, und tausend winzige Sterne glitzerten über der kleinen Stadt Shuahang, die von der nächstgrößeren Stadt Shanghang rund dreißig Kilometer entfernt lag.

Es war eine Nacht wie jede andere auch, und doch war sie anders.

Lia Too musste an den Nebel denken, der sich verflüchtigt hatte und der einwandfrei vorhanden war, als er erwachte.

Nebel und Geister, es passte zusammen. Geister hatten ihn besucht. Er konnte sich noch genau an ihr Aussehen erinnern, an die Worte, die der eine zu ihm gesprochen hatte.

Unruhe erfüllte den Schreiner.

Er stand am Fenster, starrte hinaus in die Nacht und ging dann aus dem Zimmer. Ohne irgendwo Licht zu machen, lief er durch die angrenzenden Zimmer, passierte den Korridor und nahm aus der Schublade eines kleinen Lackschrankes eine halb heruntergebrannte Kerze. Er zündete sie an und stieg die ausgetretenen Stufen zum Keller hinab.

Hier unten roch es nach frischem Holz, nach Leim und Farbe. Einen Teil der Unterkellerung benutzte der Chinese als Lagerraum für Holz und Handwerksgeräte und andere Materialien, die er für seine Arbeit benötigte.

Lia Too hatte sich auf die Herstellung feingeschnitzter kleiner Möbel spezialisiert, deren Farbenpalette und Eleganz die Kunden begeisterten.

Vor Jahren noch hatte er hier unten im Keller gearbeitet, seit längerer Zeit jedoch war in dem Haus eine kleine Werkstatt angegliedert, in der er mit seinen zwei erwachsenen Söhnen seiner Arbeit nachging.

Der Traum ging ihm nicht aus dem Kopf. Ihm, Lia Too, war eine Botschaft übermittelt worden.

Eine Geheimtür im Keller? In welchem Raum?

Mit der Kerze inspizierte er einen Raum nach dem anderen. Er schob Tische und Stühle und angefangene Schränke beiseite, um den Boden zu untersuchen. Sein Hantieren ging nicht ganz lautlos über die Bühne.

Die schweren Schränke, Truhen und Holzpaletten, die er über den holprigen Boden schob oder rollte, verursachten Lärm.

Der Geist in seinem Traum hatte nicht gesagt, in welchem Raum die Geheimtür zu finden war, hinter der er den Stein des Dunklen Opfers finden konnte.

Er hatte nie davon gehört. Es war ihm auch völlig neu, dass dieses Haus ein Geheimnis barg.

Tei, die hier geboren wurde und die er heiratete, als sie ein junges Mädchen von zwanzig Jahren war, hatte ebenfalls nie irgendeine Andeutung gemacht.

Er stellte die Kerze auf einen Mauervorsprung und fasste die schmiedeeisernen Griffe einer bunt bemalten alten Truhe, um sie zur Seite zu ziehen, damit er auch diese Stelle des Bodens genau untersuchen konnte.

Plötzlich vernahm er ein Geräusch hinter sich und fuhr wie von einer Tarantel gestochen herum.

„Tei!“, sagte er erschrocken und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über sein schweißnasses Gesicht. Er fasste sich sofort wieder. „Was tust du hier? Mitten in der Nacht? Du solltest schlafen!“ Die zierliche Frau in dem goldfarben schimmernden Brokatmorgenmantel blickte ihn erstaunt aus großen Augen an.

„Was ich hier mache?“, fragte sie halblaut. „Mitten in der Nacht? Eher könnte ich dich das fragen, Lia. Ich bin wach geworden. Du machst einen Krach, als ob du das ganze Haus einreißen wolltest.“

Sie kam auf ihn zu. „Was ist nur in dich gefahren, Lia?“

„Ich habe etwas gesucht. Entschuldige! Ich wollte nicht so laut sein!“

„Wie kommst du auf die Idee, jetzt um diese Zeit etwas zu suchen?“

„Ganz einfach. Ich konnte schlecht schlafen, und Gedanken gingen mir durch den Kopf. Die Familie Shou möchte einen Schrank wie die Yangs mit den gleichen Motiven. Mir ist plötzlich eingefallen, dass ich einige der alten Pläne hier unten habe.“

„Lia!“, sagte sie vorwurfsvoll. „Die Pläne liegen in den Schubladen des Schrankes dort drüben. Das weißt du genau. Du aber rückst Truhen und Schränke weg.“

„Der Plan, den ich suche, könnte darunterliegen, Tei. In den Schubladen da drüben jedenfalls habe ich ihn nicht gefunden, ich …“

Kopfschüttelnd stand sie vor ihm. Er senkte den Blick.

„Lia! Was ist nur los mit dir? Warum belügst du mich?“

„Ich …“

Sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Doch, du belügst mich. Alles, was du sagst, ist Unsinn. Warum bist du wirklich hier? Du benimmst dich wie ein Dieb im eigenen Haus. Du hast nicht mal das Licht angeschaltet. Mit einer Kerze treibst du dich hier unten herum.“

Eine Zeit lang standen sie sich schweigend gegenüber.

Er nagte an seiner Unterlippe. „Tei, glaubst du an Geister?“

„Manchmal, ja.“

„Glaubst du daran, dass man Botschaften in Träumen empfangen kann?“

„Möglich. Ich habe mal gelesen, dass ein Mann von einer Insel träumte, auf der Piraten einen Schatz vergraben hatten. Nacht für Nacht wiederholte sich der Traum. Immer mehr Details erkannte er in den Bildern, und eines Tages wusste er auch, wo die Insel lag. Da fuhr er hin. An der ihm im Traum gezeigten Stelle fand er den Piratenschatz. Dass es so etwas gibt, daran glaube ich, Lia!“

„Hm, könntest du dir auch vorstellen, dass ich etwas träume, was mit diesem Haus zu tun hat?“

Wortlos erwiderte sie seinen Blick.

„Gibt es ein Geheimnis in diesem Haus?“

„Nicht dass ich wüsste. Wie kommst du darauf?“

„Ich habe geträumt, dass es so ist Tei. Ich kenne dieses Haus schon lange, aber du kennst es noch länger. Es ist das Haus deines Vaters, dessen Handwerk ich erlernt habe und der mir Haus und Tochter anvertraute, als seine Stunde gekommen war. Es kommt mir so vor, als hätte ich den Traum von dieser Nacht auch die Nacht davor schon geträumt. Deshalb beunruhigt und beschäftigt er mich so.“

Er machte eine längere Pause.

„Erzähl mir mehr von deinen Träumen, Lia“, bat sie ihn tonlos.

Ihre Stimme klang ein wenig verändert, aber in diesen Sekunden achtete er nicht so darauf.

Da fasste er sich ein Herz und berichtete alles, was er gesehen und gehört hatte.

„Ich soll, nein, ich muss die Geheimtür finden, wenn es sie gibt. Und ich muss sie öffnen. Irgendetwas ist mit dem Stein des Dunklen Opfers.“

Als er diesen Begriff nannte, wurde Tei Too weiß wie eine Kalkwand und schrie erschrocken auf.

Ihre Augen weiteten sich.

„Tei!“, rief er entsetzt. Wie vom Blitz gefällt brach sie zusammen.

Er fing sie gerade noch auf, trug sie die Treppen hoch und legte sie auf das Bett.

Ihr Puls flog, ihr Atem ging flach.

Lia Too weckte seine beiden Söhne und schickte den einen zum Arzt.

Der Doktor wohnte zum Glück nicht weit. Schon knapp zehn Minuten später tauchte er auf, hatte seine schwarze, weiche Ledertasche dabei, in der sich Medikamente und Instrumente befanden.

Er horchte das Herz ab, fühlte den Puls, maß die Temperatur und erkundigte sich nach der Situation, die zum Zusammenbruch der Frau geführt hatte.

Lia Too war in diesem Moment der Aufregung nicht schlagfertig genug, sich eine Geschichte aus den Fingern zu saugen. So berichtete er die Wahrheit.

Dr. Hoa blickte ernst, als er eine Spritze aufzog. „Es ist keine Infektion, und doch hat sie von einer Sekunde zur anderen hohes Fieber bekommen. Ich vermute, dass es ein Nervenfieber ist, welches sie sich durch irgendetwas zugezogen hat, worüber sie furchtbar erschrocken ist, und dessen Zusammenhänge nur ihr klar sind. Ich hoffe, dass ihr Zustand sich schnell wieder bessert. Sie ist eine gesunde Frau, sie hat eine ausgezeichnete Konstitution, Lia. Ich glaube, Sie brauchen sich um sie keine Sorgen zu machen.“

Er verabreichte ihr eine zweite Spritze und ließ die drei Männer des Hauses Too wissen, dass dieses Medikament gut sei, um Herz und Kreislauf zu unterstützen.

Dann verabschiedete er sich wieder. „Ich komme gleich morgen früh noch mal herein“, sagte er. „Sollte noch irgendetwas sein, bin ich gern bereit, noch mal vorbeizuschauen.“

„Danke, Doktor Hoa.“ Lia Too begleitete den Arzt bis zur Tür und blickte ihm dann nach, wie er in der dunklen, engen Dorfstraße verschwand.

Besorgt eilte er wieder ans Bett seiner kranken Frau.

Niemand von seinen Söhnen sprach ein Wort.

Die Minuten reihten sich aneinander. Eine Stunde verging.

Lia Too griff des Öfteren nach der weißen, schmalen Hand und hielt sie fest. Sie fühlte sich heiß an.

Eine zweite Stunde verging.

Da veränderte sich sichtlich etwas im Zustand der Kranken. Die Temperatur sank, Puls und Herzschlag wurden regelmäßiger.

Tei Too gewann das Bewusstsein wieder.

Sie schlug die Augen auf. Es dauerte einige Sekunden, ehe sie offenbar begriff, wo sie sich befand und wer die Personen waren, die um ihr Bett saßen.

Sie lächelte.

„Tei!“, stieß Too hervor.

„Mutter!“, sagte der älteste Sohn.

„Wie geht es dir?“, wollte Lin, der Jüngere, wissen.

„Lin, Shan“, sagte sie mit schwacher Stimme. „Ihr könnt unbesorgt sein, es geht mir gut. Aber lasst mich allein mit eurem Vater. Ich muss mit ihm sprechen.“

Ihre Stimme klang schwach, aber jedes ihrer Worte war klar erkennbar.

Die beiden Söhne gehorchten ohne Widerrede. Leise klappte die Tür.

„Wir sind allein. Lia?“

„Ja, Tei.“

Er beugte sich über sie und konnte nicht verhindern, dass seine Rechte zitterte, als er durch ihr glattes, gescheiteltes Haar fuhr. „Ich freue mich, dass es dir wieder besser geht.“

„Es ist nur vorübergehend, Lia“, sagte sie leise. „Es ist alles so, wie es kommen muss. Mein Schicksal erfüllt sich, denn ich wohne im Haus der vierten Dekade, wie du gesagt hast.“

„Tei! Sprich nicht davon … jetzt nicht!“

Sie hob die Rechte und gab ihm durch diese sanfte Geste zu verstehen, dass sie genau wusste, was sie sagte. Tei wollte, dass er sie nicht vom Sprechen abhielt.

„Lia, ich muss dir etwas sagen, etwas sehr Wichtiges. Hör mir genau zu! Ich fürchte, es wird keine zweite Gelegenheit mehr geben, darüber zu sprechen. Das Haus ist verhext. In ihm haust … ein böser Dämon.“

„Es gibt keine Dämonen, Tei!“

„Du hast sie selbst in deinen Träumen gesehen und beschrieben. Wie sollte man das, was man nicht sieht, sonst beschreiben können?“

Sie blickte zu ihm auf. Ihre Augen blickten klar. Sie hatte kein Fieber mehr, doch sie fühlte sich noch sehr schwach.

„Ruh dich aus, Tei! Sprich nicht so viel, und alles wird wieder gut werden.“

„Gut werden für euch, das möchte ich, ja, Lia. Für mich kann niemand mehr etwas tun. Und nun unterbrich mich bitte nicht mehr, Lia. Bitte, hör mir zu, wenn du willst, dass du und deine Söhne ein Leben in Frieden und Zufriedenheit fortführen können. Wir waren fremd, als wir nach Shuahang kamen. Vater war damals sehr arm. Von einem Tao-Priester hatte er gehört, dass es in Shuahang ein leer stehendes Haus gab, in dem es umgehe und das aus diesem Grund gefürchtet sei. Vater aber hatte keine Angst vor Geistern und Dämonen, und so entschloss er sich, in das große Haus einzuziehen. Dort wurde ich geboren. Meiner Familie ging es gut, und es gab keine Anzeichen dafür, dass das Haus verhext war. Wir alle blieben gesund, niemand musste hungern, die Atmosphäre im Haus war gut. Niemand vernahm nachts ungewöhnliche Geräusche oder litt unter schlimmen Träumen. Als Vater starb, rief er mich zu sich. Und da machte er mir eine Eröffnung: Es gab den Dämon, von dem der Tao-Priester einst sprach. Hier in diesem Haus war ihm ein besonderer Raum gewidmet. Vater hatte mit der dunklen Macht einen Pakt abgeschlossen oder eine Art Waffenstillstand geschlossen. Er mauerte einen Eingang zu dem Kellerraum kurzerhand zu, um zu verhindern, dass irgendeiner von uns dort eindrang. In seiner Todesstunde gestand Vater mir, dass er selbst ein Gespräch mit jenem unwürdigen, Unheil bringenden Geist gehabt hätte. Das lag viele Jahre zurück. Der Raum diene einem besonderen Ritual, um den ins Leben zurückzurufen, der derer sieben hat. Der Stein des Dunklen Opfers sei hier im Haus verborgen. Es gebe insgesamt sieben solcher Steine im ganzen Land verborgen. Drei davon seien schon aufgebraucht. Hier in diesem Haus in Shuahang befinde sich der vierte. Er sei als nächster an der Reihe, wenn es zu jenem Phänomen käme, von dem nur ganz wenige etwas wissen. Einer, den man den Herrscher des Schreckens nennen wird, verlange nach dem Stein des Dunklen Opfers. Das könne in hundert oder zweihundert, in tausend oder in zehntausend Jahren soweit sein. Da winkte mein Vater nur lachend ab und gab zu verstehen, dass ihn nicht interessiere, was in hundert oder tausend oder zehntausend Jahren auf seine Familie zukäme, denn auch das kam zur Sprache. In dem Fall, dass der Stein seine Bestimmung erfüllen werde, ziehe er den Tod all derer nach sich, die in seiner unmittelbaren Nähe gelebt haben, die wegen der schlechten oder gerade trotz der schlechten Bedingungen ein sorgenfreies Leben führten. Das sagte mir Vater noch, ehe er starb. Nun hast du von dem Stein geträumt, von den Fremden, die ihn anfordern, die wollen, dass du die Kellerkammer öffnest. Der die sieben Leben hat, kündet sich an, Lia, und er fordert unsere Leben, denn nichts wird den Menschen umsonst gegeben. Fliehe, verlasse dieses Haus, wenn du nicht ins Verderben geraten willst! Sorge dafür, dass Lin und Shan so schnell wie möglich von hier wegkommen, weit weg, in der Hoffnung, dass es etwas nützt, denn nicht hundert Jahre sind vergangen, nicht tausend und keine zehntausend: Ein halbes Jahrhundert wurde uns geschenkt. Flieh, Lia!“

„Wenn du es wünschst, Tei, werden wir tun, was du verlangst. Aber du wirst mitkommen. Du sprichst immer nur von uns, aber auch du bist schließlich noch da.“

„Noch, ja. Aber nicht mehr lange. Ehe der Morgen graut, Lia, werde ich tot sein!“

„Du bist nicht schwer krank, Tei“, widersprach Lia schnell und bemühte sich, sein Erschrecken auf ihre Worte hin nicht merken zu lassen. „Dr. Hoa war hier, er hat dich versorgt. Eine kleine Schwäche, etwas Fieber, mehr nicht. Du wirst morgen ganz anders reden.“